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Macht Arbeit frei? Ein Versuch über den Wert der Erwerbsarbeit.

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Die Bedingung heißt: Abkehr vom keynesianischen Vollbeschäftigungsziel, also<br />

Schwächung <strong>der</strong> Gewerkschaften im Kampf um <strong>Arbeit</strong>szeitverkürzung.<br />

In Becks Werk von 1999 findet <strong>der</strong> Gegner <strong>der</strong> Vollbeschäftigungspolitik folgerichtig<br />

das Ideal <strong>der</strong> „Risikogesellschaft” in <strong>den</strong> Län<strong>der</strong>n „<strong>der</strong> sogenannten ‚Vormo<strong>der</strong>ne’” 105<br />

verwirklicht. Der Weg aus <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne des wohlfahrtstaatlichen Kapitalismus wird in<br />

die Zustände <strong>der</strong> Vormo<strong>der</strong>ne gewiesen. Das ist we<strong>der</strong> originell noch neu. Dass sich<br />

hinter <strong>der</strong> Propaganda für die „Zweite Mo<strong>der</strong>ne” nicht mehr verbirgt als <strong>der</strong> Wunsch<br />

nach Vormo<strong>der</strong>ne, mag gut nicht sein, doch gut zu wissen.<br />

Ulrich Beck lehrt: „Die ungewollte Folge <strong>der</strong> neoliberalen Utopie des <strong>frei</strong>en Marktes<br />

ist die Brasilianisierung des Westens”. Weshalb diese Folge ungewollt sein sollte, bleibt<br />

bei Beck so unklar wie Ziel und Sinn neoliberaler Utopie 106 , wenn die Folgen tatsächlich<br />

ungewollt wären. „Brasilianisierung” bedeutet für Beck, dass immer mehr Menschen<br />

ohne sozialen Schutz, als Scheinselbständige o<strong>der</strong> als Schwarz-<strong>Arbeit</strong>er tätig sind, dass<br />

oft mehrere Jobs zum Überleben notwendig sind und dass Gewerkschaften nichts<br />

mehr zu sagen haben. Darin – so meint Beck – lägen Chancen, die nur zur<br />

„Tätigkeitsgesellschaft” gestaltet wer<strong>den</strong> müssten. Der Wille zur Not für die Vielen<br />

lässt sich <strong>der</strong>gestalt „schön-gedacht“ als ein risikofreudiges und schöpferisches Projekt<br />

feiern, solang die risikoscheue Sinn-Frage „Wozu und zu wessen Gunsten eigentlich?”<br />

nicht störend aufkommt. – Wenngleich Becks Texte eher vom Mut zur Abstrusität als<br />

von kritischem Erkenntnisinteresse geleitet scheinen, entlarven sie doch unwillentlich<br />

sehr deutlich die Alternative zur Strategie <strong>der</strong> <strong>Arbeit</strong>szeitverkürzung.<br />

Je höher die <strong>Arbeit</strong>slosigkeit steigt, um so geringer wird die Verhandlungsmacht <strong>der</strong><br />

Gewerkschaften, <strong>Arbeit</strong>szeitverkürzung und Lohnerhöhung zu erstreiten. Die<br />

For<strong>der</strong>ung nach annähern<strong>der</strong> Vollbeschäftigung ist kein „Denkkäfig” im Dienste <strong>der</strong><br />

<strong>Arbeit</strong>smoral, son<strong>der</strong>n die Bedingung <strong>der</strong> Möglichkeit, <strong>den</strong> Preis für <strong>Arbeit</strong> zu heben,<br />

d. h. <strong>Arbeit</strong>szeitverkürzungen und Lohnsteigerungen zu erreichen.<br />

Vollbeschäftigung ist taktisch unaufgebbar, soll das Quantum <strong>der</strong> <strong>Arbeit</strong> für alle<br />

verringert, sollen die <strong>Ein</strong>kommen <strong>der</strong> <strong>Ein</strong>zelnen erhöht wer<strong>den</strong> und die Kaufkraft<br />

nivelliert wer<strong>den</strong> können. <strong>Erwerbsarbeit</strong> und <strong>Ein</strong>kommen bleiben die umkämpften<br />

Verteilungsprobleme.<br />

105<br />

106<br />

Vgl. Beck, Ulrich: Schöne neue <strong>Arbeit</strong>swelt. Vision: Weltbürgergesellschaft. Campus, Frankfurt a. M./<br />

New York, 1999.<br />

Vgl. Bergmann, Joachim: „Die negative Utopie des Neoliberalismus o<strong>der</strong> die Rendite muß stimmen.<br />

Der Bericht <strong>der</strong> bayrisch-sächsischen Zukunftskommission“, in: Leviathan. Heft 4 (1998), S. 319–340;<br />

bzw. in: Hirsch-Kreinsen, Hartmut/ Wolf, Harald (Hrsg.): <strong>Arbeit</strong>, Gesellschaft, Kritik – Orientierungen<br />

wi<strong>der</strong> <strong>den</strong> Zeitgeist. Edition Sigma, Berlin 1998.<br />

Oliver Kloss • 2001 • <strong>Macht</strong> <strong>Arbeit</strong> <strong>frei</strong>?<br />

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