return Ausgabe 03-2016
Schwerpunktthema: Zukunft managen Gezielter Blick auf das Geschäft von morgen
Schwerpunktthema: Zukunft managen Gezielter Blick auf das Geschäft von morgen
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www.<strong>return</strong>-online.de<br />
Artikel-Nr.: 585656<strong>03</strong><br />
ISSN: 2199-8841<br />
Magazin für Unternehmensführung und Sanierung<br />
<strong>03</strong><br />
16<br />
Zukunft managen<br />
Gezielter Blick auf das Geschäft von morgen<br />
Voraus<br />
Wie DFKI-Forscher<br />
Maschinen-Hirnen<br />
das Lernen beibringen<br />
Vorweg<br />
Warum die Führung<br />
bei 3M allen Erfindern<br />
so viel Freiraum lässt<br />
Voran<br />
Wieso Royal Philips umbaut<br />
für den Gesundheitsmarkt<br />
– und Krankheit vorhersagt
UNSERE KUNDEN<br />
KOMMEN AUS DEN<br />
FOLGENDEN BRANCHEN:<br />
• Maschinenbau<br />
• Metallbe- und -verarbeitung<br />
• Kunststoffbe- und -verarbeitung<br />
• Holzbe- und -verarbeitung<br />
• Lebensmittelindustrie<br />
• Hoch- und Tiefbau<br />
• Textilproduktion<br />
• Druckindustrie etc.<br />
Finanzierung<br />
in der Krise.<br />
CHANCEN NUTZEN<br />
WERTHALTIGKEIT SCHLÄGT BONITÄT: SALE & LEASE BACK GEBRAUCHTER MASCHINEN<br />
Maturus Finance bietet maschinenlastigen, produzierenden Unternehmen seit 2005 rein objektbasierte Finanzierungslösungen<br />
in Form von Sale & Lease Back-Strukturen an. Durch den Verkauf des gebrauchten Maschinenparks und das gleichzeitige<br />
Zurückmieten fließt dem Unternehmen frische Liquidität zu. Damit erhält es den finanziellen Spielraum, um die für das<br />
Gelingen einer erfolgreichen Sanierung notwendigen Maßnahmen umsetzen zu können. Erforderlich ist hierfür ein diversifizierter,<br />
werthaltiger und universal einsetzbarer Maschinenpark!<br />
Foto: Bernd Hegert<br />
Sehnsuchtserwachen<br />
EDITORIAL<br />
Unsere Zukunft ist allgegenwärtig, werte Leserin und werter Leser. Genau<br />
heute, zum Erscheinen dieser <strong>Ausgabe</strong> am 10. August <strong>2016</strong>, begann vor<br />
497 Jahren der Portugiese Magellan mit seiner Crew die erste Weltumsegelung.<br />
Das war eine Reise ohne Rückkehr für viele und mit Gefahren für alle.<br />
Gleichwohl galt schon immer, was der französische Schriftsteller und Pilot<br />
Antoine des Saint-Exupéry sinngemäß so empfahl: Wer ein Schiff bauen will,<br />
verteile nicht die Arbeit, sondern lehre zunächst die Sehnsucht nach dem weiten,<br />
offenen Meer.<br />
Es geht also darum, Überzeugung und Glauben dafür aufzubauen, dass es sich<br />
lohnt, ein neues Ziel anzusteuern. Verlangen nach Fernem wohnt Menschen<br />
inne. Das Feuer dafür muss man entfachen. Bei Freizeitabenteuern scheint<br />
das mittlerweile so leicht wie das Beobachten wilder Tiere in Afrika. Beim<br />
Aufbruch im Betrieb und im Büro begegnen Unternehmensführern eher Bedenken.<br />
Management selbst und alle Wirtschaftsförderer sind gefordert, den<br />
Weg zum Fortschritt zu weisen. Auch wenn die meisten angesichts unserer von<br />
Komplexität geprägten Gegenwart verunsichert am Alten festhalten.<br />
Agil die digitale Transformation anzugehen, gehört derzeit zu den großen Herausforderungen<br />
vor allem für Firmen. Dazu muss Führung auf Intelligenz, Innovation<br />
und Evolution vertrauen – und mehr Verantwortung in den eigenen<br />
Reihen verteilen. Einfach anfangen, auch in kleinen Schritten. Offensiv infrage<br />
stellen: Geht unser Geschäft weiter? Wie ändern wir was, um morgen noch<br />
profitabel zu arbeiten? Organisationen gestalten auch Zukunft zeitgemäß,<br />
indem sie Chancen aufspüren, Risiken annehmen, Fehler zulassen, Scheitern<br />
erlauben. Überlegungen folgen konkrete Umsetzungen, jedoch gehört jede<br />
Idee kritisch geprüft und bei berechtigten Zweifeln rechtzeitig verworfen. Der<br />
deutsche Mittelstand verfügt zweifelsohne über Innovationskraft. Aber ist er<br />
noch offen und hungrig genug? Trotz unserer „Hidden Champions“ mit ihren<br />
Weltmarktführer-Erfindungen erhält das hohe Ansehen auch für Strebsamkeit<br />
nach Neuem erste Schäden. Deshalb widmen wir dem verlorenen Potenzial<br />
diesmal die Debatte in „<strong>return</strong> kontrovers“ (S. 30). Wie schnell dagegen Singapur<br />
etwa autonome Autos auf die Straße bringt durch staatliche Zentralinitiative,<br />
zeigt einer unserer weltweiten Korrespondenten-Berichte im 30-seitigen<br />
Heft-Schwerpunkt zum Zukunfts- und Innovationsmanagement (ab S. 36).<br />
Dort liefern nicht nur das Interview beim global führenden US-Innovator 3M<br />
und das Porträt über den Umbau beim niederländischen Royal Philips hierzulande<br />
guten Stoff für vorbildliche Vorstellungen im unternehmerischen Planen<br />
und Handeln.<br />
Kommen Sie mit auf unsere Reise dorthin, wo führende Leute heute schon<br />
übers Morgen nachdenken. Gedacht als Inspiration, um Sehnsüchte zu wecken.<br />
MATURUS FINANCE BIETET IHNEN:<br />
• Eine rein objektbezogene, bonitäts- und bankenunabhängige Innenfinanzierung<br />
• Den Erhalt der Steuerungshoheit Ihres Unternehmens durch Zufluss frischer Liquidität aus eigener Kraft<br />
• Die Verbesserung der Eigenkapitalquote und mittelfristig der Bonität Ihres Unternehmens durch das Heben stiller Reserven<br />
Ihr<br />
Thorsten Garber<br />
Chefredakteur<br />
<strong>return</strong> – Magazin für Unternehmensführung und Sanierung<br />
Maturus Finance GmbH · T 040/300 39 36-250 · info@maturus.com · www.maturus.com<br />
<strong>03</strong>/16<br />
3
INHALT<br />
INHALT<br />
Inhalt<br />
<strong>return</strong> <strong>03</strong>/16<br />
18 Talent-Förderin<br />
„In einer dynamischen Welt ist man<br />
angreifbar, aber IBM greift auch an“<br />
38<br />
Kunstintelligenz-Tiere<br />
Schlaue Ameisen lösen bei<br />
Festo komplexe Aufgaben<br />
Aktuelles<br />
6 Meldungen<br />
8 Aktuelle Analyse<br />
10 Sanierungsmonitor<br />
Vier Fälle erfolgreicher Lösungen<br />
11 Cartoon<br />
12 Finanzlandkarte<br />
Stabile Zahlungsfähigkeit<br />
13 Brunowskys Tagebuch<br />
Einseitiger Übernahmetrend<br />
Mensch & Unternehmen<br />
14 Interview: Andreas Dengel, DFKI<br />
„Maschinelle Intelligenz schaffen“<br />
18 Porträt „<strong>return</strong> masterminds“<br />
Serie – IBM-Chefin Martina Koederitz<br />
Schwerpunkt<br />
36 Zukunft im Blick?<br />
Vorreiter im vorausschauenden Unternehmertum<br />
38 Innovationen umsetzen<br />
Anfangen mit „Action Plan“,<br />
rät Ulf Pillkahn<br />
40 Interview: Joerg Dederichs, 3M<br />
„Wir leiten die nächste Revolution ein“<br />
44 Unternehmensstory Royal Philips<br />
Umbau für digitalen Megamarkt<br />
im Gesundheitswesen<br />
48 Zukunftsmusik und Überschallreisen<br />
Korrespondenten-Berichte: China – USA<br />
50 Automission und Risikooption<br />
Korrespondenten-Berichte: Singapur – Südafrika<br />
52 Vision possible<br />
Fantasien aus Film<br />
und Buch – heute Realität<br />
Hintergrund & Wissen<br />
66 Interview: Ulrich Hermann, WK<br />
„In die Wertschöpfung des Kunden einbinden“<br />
70 Mentalitätswandel notwendig<br />
Studien zu Insolvenz und Scheitern<br />
72 Stakeholder als Könige<br />
Reputationsmanagement fordert Markus Renner<br />
74 Legal Tech<br />
Zu Juristen-Fortschritt drängt Holger Zscheyge<br />
75 Lernen aus Krisen<br />
Oliver Ibert über neue Forschungen<br />
76 Zahlungen anfechtbar<br />
Serie – Teil 11: Umgang mit säumigen Schuldnern<br />
78 Wissensquiz für Entscheider<br />
Sachgebiet: Haftung<br />
80 Krisenstadien<br />
Bilanz-Check: Planungsstandards<br />
85 Anne’s Corner<br />
Unternehmen auf Trab halten<br />
Service<br />
87 Rechtsprechung<br />
Praxis richterlicher Entscheidungen<br />
88 Medien<br />
Bücher und Zeitschriften<br />
89 Termine & Tools<br />
Veranstaltungen und Onlinequellen<br />
<strong>return</strong> bis Z<br />
90 Faulenzer oder Führungskraft?<br />
Wenn Heimarbeit lohnt für<br />
Arbeitgeber und -nehmer<br />
94 Kaum verstimmt<br />
Klavierkenner übertönt Dissonanzen<br />
96 Vorschau, Leserservice und Interna<br />
20 Unternehmensstory Scherer & Trier<br />
Nach der Krise durch gute Auftragslage<br />
24 Bosnien: Kampf um Dita<br />
Sauber saniert?<br />
26 Geniale Gründer<br />
Geschäftsstrategien von Tüftlern<br />
<strong>return</strong> kontrovers<br />
56 Zukunft managen<br />
Prozessqualität entscheidet<br />
über Erfolg, so Pero Mićić<br />
59 Forscher statt Trendsucher<br />
Gastkommentar über Gurus von Reinhold Popp<br />
60 Szenario als Wetterbericht<br />
Fehlvorhersagen vermeiden will Alexander Fink<br />
82 3D-Druck für Mittelständler<br />
Über Chancen schreibt Andreas Leupold<br />
84 Anpassung ist alles<br />
Jeffrey Beeson zum Führungswandel<br />
97 Impressum und Autorenverzeichnis<br />
98 Gewinnen und geniessen<br />
3 Editorial<br />
30 Verlorene Innovationskraft?<br />
Diskurs und Debatte<br />
62 Agil führen<br />
New Leadership by Egon Zehnder<br />
31 Standpunkt<br />
Helmut Ahr: „Systematische Steuerung“<br />
32 Pro & Kontra<br />
Dietmar Harhoff versus Nikolaus Franke<br />
63 Nudge Management<br />
Verhaltensstupser von Porsche Consulting<br />
52<br />
Hologramm-Telefonierer<br />
66<br />
64 „Komplettes Umdenken als Voraussetzung“<br />
Microsoft lässt über 3D-Screens<br />
Statements zum Zukunftsmanagement miteinander kommunizieren<br />
Digitaldienste-Transformierer<br />
„Wolters Kluwer hat sich<br />
vollständig verändert“<br />
4 5<br />
<strong>03</strong>/16 <strong>03</strong>/16
AKTUELLES<br />
AKTUELLES<br />
Meldungen<br />
Brexit als Ausrede für<br />
Management-Versagen?<br />
Der EU-Austritt von Großbritannien könnte vielen Unternehmen<br />
dazu dienen, still und leise ihre Prognosen zu<br />
revidieren, belegt die Targobank.<br />
In einem Markt-Kommentar zeigt das Team von Targobank<br />
Research um Direktor und Chefvolkswirt Dr. Otmar Lang<br />
(im Bild), dass ein Ausscheiden von Großbritannien aus<br />
der Europäischen Union von Unternehmen quasi als Entschuldigung<br />
für schlechte Zahlen instrumentalisiert werden<br />
könnte. Denn die Kennziffern wären zwar auch ohne das<br />
externe Ereignis schlecht gewesen. „Aber ein Brexit klingt<br />
als Grund besser als Management-Versagen“, folgern die<br />
„Deutsche Wirtschafts Nachrichten“ daraus. Richtig betroffen<br />
seien von dem Schritt eigentlich nur Zypern, Malta,<br />
Luxemburg und Nordirland, heißt es in dem Beitrag des Online-Newsletters. Auch die künftig fehlenden fünf Milliarden<br />
Euro aus London als EU-Beitrag könnten „kein Argument“ sein. Zur Entscheidung der Engländer nach dem Abstimmungsergebnis<br />
äußert Targobank-Chefvolkswirt Lang: „Wir vermuten: Ein Brexit wäre ein Vorwand, um weitere Unternehmensgewinn-Revisionen<br />
vorzunehmen und auch das Weltwirtschaftswachstum nach unten zu revidieren. Davor haben die Finanzmärkte<br />
wahrscheinlich mehr Angst als vor dem Brexit selbst.“<br />
www.targobank.de<br />
Foto: Targobank<br />
„Roboter übernehmen Tätigkeiten<br />
günstiger, besser, schneller“<br />
Lars Thomsen zählt zu den führenden Zukunftsforschern.<br />
Mit dem gebürtigen Hamburger und Wahl-Züricher<br />
sprach „<strong>return</strong>“-Chefredakteur Thorsten Garber.<br />
Herr Thomsen, Sie sagen aktuell als nächstes eine Krise<br />
der Arbeit voraus, weil Roboter bis zu 30 Prozent der<br />
Routinejobs übernehmen. Menschen in welchen Branchen<br />
sind besonders betroffen?<br />
Lars Thomsen: Alle Menschen, die immer wiederkehrende<br />
Arbeiten verrichten. Wer kreativ arbeitet oder individuell<br />
Klienten betreut, ist nicht gefährdet. Sachbearbeiter, Aktienanalysten<br />
und Taxifahrer aber schon. In den kommenden<br />
zehn Jahren übernehmen Roboter nach und nach solche<br />
Tätigkeiten – und zwar günstiger, besser, schneller. Ob im<br />
Finanzwesen, in der Logistik oder in Putzkolonnen.<br />
Wird diese Entwicklung die Unternehmen überrollen oder<br />
können Firmenlenker einen sanften Übergang schaffen?<br />
Das kommt auf den Zeitpunkt des Startes an. Der Mittelstand<br />
tut sich ja traditionell schwer mit Veränderungen, darf<br />
hier aber nicht zu lange zögern. Wer anfängt, braucht zwar<br />
Foto: future matters AG<br />
Mut und läuft Gefahr, zu früh zu sein, hat aber Vorsprung.<br />
Wer folgt, muss hinterherhinken und aufholen. Die erste<br />
Versicherung, die beispielsweise auf Roboter setzt und dadurch<br />
die Hälfte des Personals abbaut, wird heftige Kritik<br />
ernten. Dann aber wird die Stimmung kippen.<br />
Was entgegnen Sie Unternehmern etwa in der IT-Branche,<br />
die meinen, maximal ein Jahr im Voraus planen zu<br />
können?<br />
Dass dies keine strategische Planung ist. Es gibt durchaus<br />
Möglichkeiten für jede Branche, fünf bis zehn Jahre im Voraus<br />
zu planen. Anhand von Umbruchpunkten, die einer Logik<br />
folgen. So beim künftigen Einsatz von Künstlicher Intelligenz<br />
anhand von Rechenleistungen und Konnektivität. Einzelentwicklungen<br />
treten auf gut prognostizierbaren Technologiepfaden<br />
auf. Solche Tipping Points sind zuverlässig auf fünf Jahre<br />
vorherzusehen. Durchbruchsinnovationen wie das iPhone hat<br />
Apple auch nicht erst ein Jahr vorher beschlossen.<br />
Künstliche Intelligenz wird Ihnen zufolge für „eine unglaubliche<br />
Dynamik“ sorgen. Gibt es dabei auch im Positiven<br />
etwas, wovon wir profitieren?<br />
Diese Entwicklung ist zwingend notwendig, denn sonst<br />
landen wir alle im Irrenhaus. Wollen wir wirklich alle täglich<br />
300 Mails oder WhatsApp-Nachrichten checken und<br />
verarbeiten? Das ist doch absolut ineffizientes Arbeiten!<br />
Assistenzdienste durch Künstliche Intelligenz werden uns<br />
entlasten. Das weiß jeder, der mal eine persönliche Assistentin<br />
hatte, die täglich dazulernt und Dinge erledigt und<br />
mir damit Freiräume schafft. Damit schaffen wir es raus aus<br />
dem Hamsterrad. ~<br />
u Mehr unter www.<strong>return</strong>-online.de<br />
Mittelständler sehen nun<br />
Jobmotor in Digitalisierung<br />
Die digitale Transformation wird im deutschen Mittelstand<br />
zu einem Zuwachs an Arbeitsplätzen führen, antworten 43<br />
Prozent der 4.000 befragten Firmen für die Studie „Transformation<br />
trifft Tradition“ von TNS Infratest für die Commerzbank.<br />
Ein Umdenken zum „Jobmotor“ statt einst „Jobkiller“<br />
habe stattgefunden. Negative Beschäftigungseffekte erwarten<br />
nun nur noch acht Prozent nach 40 Prozent ein Jahr zuvor.<br />
www.unternehmerperspektiven.de<br />
Foto: Max Grönert<br />
Unternehmen schielen auf<br />
Einsatz von Datenbrillen<br />
Fast 850 Millionen Euro wollen deutsche Unternehmen bis<br />
zum Jahr 2020 in innovative Anwendungen für Virtual und<br />
Mixed Reality investieren. Gute Aussichten für Technologien<br />
rund um die derzeit fünf Brillentypen prognostiziert<br />
die Studie von Fraunhofer, Deloitte und Digitalverband<br />
Bitkom. In der Produktion von Airbus oder VW sei dies<br />
schon im Einsatz.<br />
www.bitkom.org<br />
<strong>return</strong> Position<br />
„Das Entscheidende in unserer Wirtschaftsordnung<br />
ist nicht der Kapitalmarkt,<br />
sondern die Erkenntnis, dass das ganze<br />
System von Innovation getrieben ist.“<br />
Peter Jungen, namhafter Investor in Start-ups der<br />
„New Economy“ im Interview der „Süddeutsche Zeitung“.<br />
Eigenverwaltung – eine Frage der Größe?<br />
Umsatz 20-100 Mio. Euro<br />
§ 270a<br />
Verfahren<br />
20%<br />
§ 270b<br />
Verfahren<br />
11%<br />
„Klassische<br />
Verfahren“<br />
69%<br />
Umsatz > 100 Mio. Euro<br />
§ 270b<br />
Verfahren<br />
22%<br />
§ 270a<br />
Verfahren<br />
20%<br />
Anteil bei Großinsolvenzen zwischen 2012 und <strong>2016</strong><br />
„Klassische<br />
Verfahren“<br />
58%<br />
Besonders größere Unternehmen nutzen die Vorteile des Schutzschirmverfahrens<br />
zur Sanierung.<br />
Quelle: Perspektiv GmbH<br />
Investor übt Druck aus<br />
auf Stada-Führung<br />
Beim Arzneimittelhersteller<br />
Stada<br />
spitzt sich der Streit<br />
um die Unternehmensführung<br />
vor<br />
der Ende August<br />
anstehenden Hauptversammlung<br />
weiter<br />
zu. Zwar befindet sich Großaktionär Active Ownership Capital<br />
(AOC) nun mit dem Management um Vorstandschef Dr.<br />
Matthias Wiedenfels (Foto) über die künftige Zusammensetzung<br />
des Aufsichtsrats im Gespräch. AOC-Mitgründer Klaus<br />
Röhrig erneuerte allerdings seine Kritik an Martin Abend,<br />
dem Vorsitzenden des Kontrollgremiums, die Aktionäre nicht<br />
in den Nominierungsprozess für die neuen Aufsichtsratsmitglieder<br />
eingebunden zu haben. Zudem will der Investor neue<br />
und „renommierte“ Wirtschaftsprüfer mit der Abschlussprüfung<br />
des MDax-Konzerns beauftragen. AOC hält mehr als<br />
fünf Prozent beim Generikahersteller.<br />
www.stada.de<br />
Foto: Stada<br />
6 7<br />
<strong>03</strong>/16 <strong>03</strong>/16
AKTUELLES<br />
AKTUELLES<br />
Neue Rettungshilfen genutzt<br />
Aktuelle Studie: Sanierungen<br />
Eine aktuelle Studie wertet insgesamt 394 Insolvenzverfahren<br />
von mittelständischen Unternehmen aus, die seit<br />
dem 1. März 2012 unter der neuen ESUG-Gesetzgebung<br />
geführt wurden. Hierzu wurden insbesondere die realisierten<br />
Lösungen analysiert. Für die Auswertung wurden Verfahren<br />
einbezogen, bei denen bis zum 30. Juni <strong>2016</strong> eine Lösung<br />
umgesetzt war – entweder eine Übertragungs- bzw. Insolvenzplanlösung<br />
oder eine Liquidation. Verfahren, deren Lösungsweg<br />
bis zu dem genannten Termin nicht bekannt war,<br />
wurden ausgeklammert.<br />
Darüber hinaus wurden realisierte Fortführungslösungen als<br />
Übertragungs- oder Planlösung dahingehend untersucht, ob<br />
im Betrachtungszeitraum ein erneuter Antrag gestellt wurde.<br />
Die analysierte Phase nach Umsetzung der jeweils realisierten<br />
Fortführungslösung beträgt somit bei einigen Verfahren<br />
bis zu vier Jahren, während dieser Zeitraum bei den aktuellen<br />
Verfahren nur wenige Wochen betragen kann.<br />
Ein zentrales Ergebnis lautet: Die Eigenverwaltung ist als<br />
Sanierungsinstrument in der Praxis angekommen. Rund 32<br />
Art der Sanierung<br />
Regelinsolvenzen<br />
266<br />
68%<br />
Eigenverwaltung<br />
128<br />
32%<br />
Übertragende<br />
Sanierung<br />
47%<br />
Insolvenzplan<br />
44%<br />
Verfahren insolventer Mittelständler nach gewählter Lösungen<br />
Text: Andreas Fröhlich<br />
Übertragende<br />
Sanierung<br />
75%<br />
Liquidation<br />
9%<br />
Auswertung von 394 Insolvenzverfahren bei Unternehmen mit über 20 Millionen Euro<br />
Umsatz und mit mehr als 100 Mitarbeitern, für die zwischen März 2012 und Februar<br />
<strong>2016</strong> der Antrag gestellt wurde.<br />
Prozent der untersuchten Insolvenzverfahren starteten unter<br />
Eigenverwaltung. In 68 Prozent der Fälle begann der<br />
Sanierungsprozess als Regelverfahren. Aber welche Sanierungswege<br />
beschritten die Verantwortlichen im weiteren<br />
Verfahrensverlauf? Die Übertragende Sanierung war in den<br />
klassischen Verfahren mit 75 Prozent noch immer die bevorzugte<br />
Gestaltungsform. Auch in den Eigenverwaltungsverfahren<br />
war der Verkauf an einen externen Investor im Zuge<br />
eines Asset-Deals mit 47 Prozent der häufigste Lösungsweg.<br />
Schon bei 44 Prozent der Eigenverwaltungsverfahren war<br />
allerdings der Insolvenzplan das gewählte Lösungsinstrument<br />
– mit oder ohne Einbezug eines externen Investors.<br />
Liquidation<br />
20%<br />
Insolvenzplan<br />
4%<br />
Quelle: Perspektiv GmbH<br />
Erfolgreiche Fortführung<br />
wie bei Centrotherm<br />
Die neuen Möglichkeiten des Insolvenzrechts sorgen offensichtlich<br />
für eine höhere Rettungsquote: In mehr als acht<br />
von zehn Insolvenzverfahren für Unternehmen mit über 20<br />
Millionen Euro Umsatz konnte der<br />
Geschäftsbetrieb fortgeführt werden.<br />
Ein besonderer Blick auf die<br />
Erfolgsquoten in den unterschiedlichen<br />
Verfahrensarten förderte interessante<br />
Ergebnisse zutage: So<br />
konnten in allen Schutzschirmverfahren<br />
nach Paragraph 270b der Insolvenzordnung<br />
passende Lösungen<br />
zur Fortführung gefunden und umgesetzt<br />
werden. Als ein prominentes<br />
Beispiel steht hier das Verfahren der<br />
Centrotherm-Gruppe.<br />
Auch in den unter Paragraph 270a<br />
der Insolvenzordnung begonnenen<br />
Verfahren lag die Fortführungsquote<br />
mit 86 Prozent höher als in den klassisch<br />
geführten Verfahren. Bei der<br />
letztgenannten Variante beträgt die<br />
Fortführungsquote 81 Prozent. Die<br />
schwächere Quote bei den klassischen<br />
Verfahren zeigt nach Ansicht<br />
der Autoren, dass Regelinsolvenzverfahren<br />
auch ein Instrument sind,<br />
um den geordneten Marktaustritt<br />
von nicht mehr wettbewerbsfähigen<br />
Unternehmen umzusetzen.<br />
Auffällig ist die relativ hohe<br />
„Rückfallquote“ bei Eigenverwaltungsverfahren<br />
von zunächst<br />
erfolgreich umgesetzten Fortführungslösungen<br />
in Höhe von acht<br />
Prozent. Das bedeutet: Erneute<br />
Insolvenzanträge werden hier<br />
häufiger gestellt als in Regelinsolvenzverfahren,<br />
wo dies in nur vier<br />
Prozent der Fälle eintrat. Bekannte<br />
Beispiele für solche Anschlussinsolvenzverfahren,<br />
die zunächst<br />
unter Eigenverwaltung eine Fortführung<br />
ermöglichten: Strauss<br />
Innovation, Frick Fachmärkte,<br />
Nordseewerke oder Stürtz. In der<br />
Sanierungsbranche sprechen Insider<br />
deshalb schon vom „erfolgreichen“<br />
Double oder Tripel.<br />
Das Eröffnungsverfahren konnte<br />
offensichtlich nicht genutzt werden,<br />
um die Zukunftsträchtigkeit<br />
kritisch zu hinterfragen, wenn im Eigenverwaltungsverfahren<br />
nach Lösungen gesucht wurde. So ist die Anschlussinsolvenzquote<br />
von Verfahren, die zum Eröffnungszeitpunkt<br />
in Eigenverwaltung fortgeführt wurden und für die zunächst<br />
eine Fortführungslösung umgesetzt werden konnte, mit<br />
neun Prozent deutlich höher als bei Verfahren, die als Regelinsolvenz<br />
eröffnet wurden. Hier beträgt die Quote nur<br />
drei Prozent. Geringfügige Unterschiede gibt es bei einer<br />
Erfolgsquoten der Sanierung<br />
Alle<br />
Verfahren<br />
Kein<br />
Verfahren<br />
100%<br />
§ 270b<br />
Schutzschirm<br />
86%<br />
§ 270a Eigenverwaltung<br />
Fortführungen der Unternehmen in Prozent<br />
nach Verfahrensarten<br />
In Sanierungsverfahren von insolventen Unternehmen<br />
gelang unter Schutzschirm immer eine Fortführung, in<br />
Eigenverwaltung immerhin noch in 86 Prozent der Fälle.<br />
Arbeitsplatzerhalt nach Sanierung<br />
Fortgeführte Beschäftigungsverhältnisse im Mitarbeitern in Prozent<br />
Die Übergangsquoten erhaltener Arbeitsplätze zeigen, dass in der Regel 30 Prozent und mehr<br />
der Stellen zur Umsetzung einer Lösung gestrichen werden müssen.<br />
81%<br />
Klassisches<br />
Verfahren<br />
Art des Verfahrens<br />
69% 69%<br />
§ 270b<br />
Schutzschirm<br />
Quelle: Perspektiv GmbH<br />
63%<br />
Klassisches<br />
Verfahren<br />
71%<br />
Art der Lösung<br />
64%<br />
§ 270a Eigenverwaltung<br />
Planverfahren<br />
Übertragungslösung<br />
Betrachtung der Anschlussinsolvenzquote, wenn man die<br />
Fortführungsvarianten der Plansanierung oder übertragenden<br />
Sanierung betrachtet: Sieben Prozent der mittels Plan<br />
sanierten Unternehmen mussten später erneut einen Insolvenzantrag<br />
stellen. Fünf Prozent betrug die Quote in den<br />
mittels Übertragungslösung sanierten Unternehmen.<br />
Ein weiterer Befund ist, dass in Insolvenzplanlösungen, die<br />
in Eigenverwaltung umgesetzt werden, regelmäßig eine höhere<br />
Anzahl von Mitarbeitern in den sanierten Unternehmen<br />
weiterbeschäftigt wird. In klassischen Verfahren umgesetzte<br />
Übertragungslösungen kommen hier auf geringere Werte.<br />
Dieser Fakt erlaubt zwei unterschiedliche Interpretationsansätze:<br />
Einerseits führen Eigenverwaltungsverfahren erfreulicherweise<br />
zunächst zu einem geringeren Mitarbeiterabbau<br />
in dem Schuldnerunternehmen, in denen Fortführungslösungen<br />
umgesetzt werden. Andererseits muss angesichts der<br />
hohen Anschlussinsolvenzquote kritisch hinterfragt werden,<br />
ob die Sanierung tatsächlich nachhaltig gestaltet war oder ob<br />
alte Risiken mit in das vermeintlich sanierte Unternehmen<br />
übertragen wurden.<br />
Es ist zu konstatieren, dass das gesamte insolvenzrechtliche<br />
Instrumentarium umfassend genutzt gehört, um Sanierungen<br />
auch in Eigenverwaltungs- und in Planverfahren erfolgreich<br />
umsetzen zu können. Dabei dürfen auch „harte<br />
Einschnitte“ nicht ausgeschlossen bleiben, beispielsweise<br />
durch eine Neuausrichtung der Organisationsstruktur. Nur<br />
so kann „das Unternehmen nachhaltig wettbewerbsfähig“<br />
aufgestellt sein, um auch in Zukunft erfolgreich fortgeführt<br />
zu werden. Die Belastbarkeit von Fortführungskonzepten<br />
in Eigenverwaltungsverfahren ist mit Blick auf die erhöhten<br />
Rückfallquoten intensiv zu prüfen. Denn „eine dritte<br />
Chance“, ein Unternehmen neu aufzustellen, gibt es in den<br />
meisten Fällen nicht. ~<br />
Quelle: Perspektiv GmbH<br />
8 9<br />
<strong>03</strong>/16 <strong>03</strong>/16
AKTUELLES<br />
AKTUELLES<br />
Sanierungsmonitor<br />
Aktuelle Fälle erfolgreicher Lösungen<br />
Quelle: Perspektiv GmbH<br />
10 11<br />
<strong>03</strong>/16 <strong>03</strong>/16
AKTUELLES<br />
AKTUELLES<br />
Mehr grün als rot<br />
Creditreform: Finanzlandkarte zeigt stabile Zahlungsfähigkeit<br />
Text: Michael Bretz<br />
Einseitiger<br />
Übernahmetrend<br />
Text: Ralf-Dieter Brunowsky<br />
Bonitätsatlas deutscher Unternehmen<br />
Durchschnittlicher<br />
Bonitätsindex auf<br />
PLZ-Ebene<br />
unter 260<br />
260 bis unter 270<br />
270 bis unter 280<br />
280 bis unter 290<br />
290 bis unter 300<br />
300 bis unter 310<br />
310 bis unter 320<br />
320 und mehr<br />
Kartengrundlage:<br />
© microm Consumer Marketing<br />
Bonität, die Zahlungsfähigkeit der Betriebe,<br />
ist der entscheidende Gradmesser<br />
für die Stabilität und Überlebensfähigkeit<br />
der Betriebe. Denn Insolvenz<br />
– das bedeutet Zahlungsunfähigkeit. Die<br />
Karte gibt wieder, wie es regional im<br />
Durchschnitt um die Bonität bestellt ist.<br />
Je dunkler das Rot desto flauer die durchschnittliche<br />
Bonität in der markierten Region.<br />
Über Gelb (mittlere Bonität) reicht<br />
die Palette bis zum satten Grün einer<br />
sehr guten Bonitätsbewertung im Durchschnitt<br />
des lokalen Ausschnitts.<br />
Dabei zeigt ein grober Überblick, dass<br />
sich ein breites Band schwächerer Bonität<br />
durch die Mitte Deutschlands zieht, das<br />
vom Rhein-Ruhr Gebiet und dem pfälzischen<br />
Südwesten über Sachsen-Anhalt<br />
bis nach Berlin-Brandenburg im Osten<br />
reicht. Vor allem im Süden präsentiert sich<br />
ein grünes Feld guter Stabilität vom östlichen<br />
Baden-Württemberg, über Bayern<br />
bis nach Sachsen.<br />
Zu bemerken ist auch, dass Ballungsgebiete<br />
eine größere Zahl gefährdeter Betriebe<br />
aufweisen als ländliche Regionen.<br />
Rot nimmt ab, Grün wird stärker. Diese<br />
Aussage betrifft nicht die parteipolitischen<br />
Verhältnisse in Deutschland, sondern<br />
die Bonität der Unternehmen: Ein<br />
Vergleich der Karten über die letzten Jahre<br />
hinweg macht deutlich, dass die Unternehmen<br />
mit guter Bonität zunehmen. ~<br />
Der Autor ist Mitglied<br />
der Geschäftsleitung<br />
im Verband der Vereine<br />
Creditreform e.V.<br />
Zu Deutschlands erfolgreichsten Unternehmen gehört<br />
Kuka, ein marktführender Maschinenbauer mit weltweit<br />
25 Tochterunternehmen. Eine deutsche Industrieperle,<br />
die unter anderem raffinierte Industrieroboter und automatisierte<br />
Produktionslösungen fertigt.<br />
Nun haben Chinesen die Firma entdeckt: Am<br />
17. Mai <strong>2016</strong> legte der chinesische Haushaltsgerätehersteller<br />
Midea ein Übernahmeangebot<br />
über 4,6 Milliarden Euro oder 115 Euro je<br />
Aktie vor. Seitdem diskutiert Deutschland den<br />
Ausverkauf deutscher Industrieperlen an China.<br />
Plötzlich meldet sich die Politik zu Wort. Wollen<br />
wir wirklich unser Tafelsilber an die Chinesen<br />
verscherbeln? Es ist nicht die erste Aktion dieser Art. Am<br />
24. Mai sprang der Kurs der Aixtron-Aktie um 16 Prozent<br />
in die Höhe. Was war passiert? Auch der Aachener Chipanlagenbauer<br />
hatte mit dem chinesischen Investmentfonds<br />
FGC einen Käufer gefunden. Die chinesische Firma Fujian<br />
Grand Chip Investment wurde als Retter des verlustreichen<br />
Hightech-Unternehmens gefeiert. Drei Tage später wieder<br />
eine Meldung: Der Staatskonzern ChemChina will offenbar<br />
den defizitären Graphit-Spezialisten SGL Group kaufen.<br />
Die Meldungen lassen aufhorchen.<br />
Einer Studie zufolge sind chinesische Investitionen in Europa<br />
von praktisch Null im Jahr 2000 auf rund 18 Milliarden<br />
Euro im Jahr 2014 gestiegen. Zwischen 2000 und 2014 hat<br />
es mehr als 1.000 Neugründungen, Fusionen und Übernahmen<br />
im Umfang von 46 Milliarden Euro gegeben. Beispiele<br />
für Übernahmen chinesischer Unternehmen in Deutschland<br />
gibt es viele: Lenovo etwa übernahm den deutschen Computer-Hersteller<br />
Medion für rund 530 Millionen Euro. Der<br />
Flugzeughersteller AVIC kaufte den Automobilzulieferer<br />
Hilite International für 473 Millionen, und Weichai Power<br />
Euro übernahm den Maschinenbau- und Logistikkonzern<br />
Kion für 467 Millionen.<br />
Eine exportorientierte Nation wie Deutschland muss auch<br />
offen für ausländische Investoren sein. Was aber, wenn Investoren<br />
unser ganzes Know-how kaufen, um uns eines Tages<br />
überflüssig zu machen? Wenn staatlich finanzierte Fonds wie<br />
der chinesische CIC in Deutschland gezielt finanzschwache<br />
Technologie-Perlen kaufen – weniger aus Renditegründen,<br />
sondern schlicht um sich Patente und Märkte anzueignen.<br />
Seit Jahren drängen immer mehr Staatsfonds als Aktionäre<br />
in deutsche Großunternehmen. Dubai, Singapur und vor<br />
allem China mit seinem Staatsfonds CIC, der 690 Milliarden<br />
US-Dollar in seiner Kasse hat, screenen den deutschen<br />
Markt, um attraktive Beteiligungen zu finden. Ähnlich ist<br />
seit Jahren der norwegische Staatsfonds „Statens pensjonsfond“<br />
unterwegs, der rund 734 Milliarden Euro aus den<br />
Einnahmen des Ölgeschäfts verwaltet. Experten<br />
warnen schon lange vor den Risiken eines Missbrauchs<br />
der Marktmacht durch staatliche Investoren,<br />
gerade im Umfeld niedriger Zinsen.<br />
Laut „manager magazin“ liegen derzeit über<br />
56 Prozent der Dax-Konzerne in den Händen<br />
ausländischer Investoren, die auch immer mehr<br />
mitreden. Der Druck auf deutsche Konzerne wächst<br />
– auch bei Gehältern und Boni. Die Deutschland AG, das<br />
einstige Bollwerk gegen zu viel ausländischen Einfluss, gibt<br />
es schon lange nicht mehr. Jetzt steht die lange Liste der<br />
„Hidden Champions“, vorwiegend der Maschinenbau, zur<br />
Disposition. Hier dominieren Familien-Unternehmen, die<br />
nur dann verkaufen, wenn die Firma anders nicht gerettet<br />
werden kann. Bei börsennotierten Aktiengesellschaften<br />
sieht die Sache anders aus.<br />
Der entscheidende neue Faktor ist die Digitalisierung unter<br />
dem Stichwort Industrie 4.0. Er verlangt von unserer Industrie<br />
in den nächsten Jahren ungeheure finanzielle Anstrengungen,<br />
wenn sie sich auf den Weltmärkten behaupten<br />
wollen. Da sind ausländische Investoren zunehmend gefragt.<br />
Dagegen ist nichts zu sagen, solange deutsche Investoren<br />
auch chinesische Firmen problemlos kaufen können. Das<br />
aber ist nicht der Fall. Die Wirtschaftspolitik muss sich etwas<br />
einfallen lassen. ~<br />
Der Autor war Chefredakteur des Wirtschaftsmagazins „Capital“ und<br />
ist heute Kommunikationsberater.<br />
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MENSCH & UNTERNEHMEN<br />
MENSCH & UNTERNEHMEN<br />
„Systeme schaffen,<br />
die Emotionen erkennen“<br />
Prof. Andreas Dengel vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz<br />
(DFKI) optimiert die Wissensarbeit – indem er „Maschinenhirnen“ das Lernen beibringt.<br />
Text: Armin Hingst<br />
Herr Prof. Dengel, beim Wissensmanagement des DFKI<br />
in Kaiserslautern beschäftigen Sie sich intensiv mit Assoziationen<br />
– denen von Menschen und denen von Maschinen.<br />
Sie wollen zum Beispiel im „Semantic Desktop“<br />
die Büroarbeit der Zukunft erleichtern, indem Sie das<br />
System den arbeitstäglich anfallenden Informationswust<br />
quasi von selbst ordnen lassen.<br />
Wie muss man sich das<br />
vorstellen?<br />
Andreas Dengel: Sie können<br />
einfach alles – Mails, Dateien,<br />
Texte, Präsentationen – in einen<br />
großen Topf werfen, und<br />
das System verbindet selbsttätig<br />
sämtliche Konzepte miteinander.<br />
Mit den Beschreibungssprachen,<br />
die wir nutzen,<br />
können wir Zusammenhänge zwischen Objekten, Institutionen,<br />
Themen, Projekten, Terminen modellieren. Damit<br />
mache ich mich unabhängig von jeder Anwendung. Dann<br />
weiß ich zum Beispiel, dass sich die Menschen zu diesem<br />
Termin über jene Themen unterhalten haben, weil da ein<br />
Zusammenhang mit einem Projekt besteht. Ich kann später<br />
aus jeder Perspektive anfragen: Wer hat sich getroffen? Über<br />
was wurde gesprochen, wann haben wir uns getroffen, warum<br />
haben wir uns getroffen?<br />
„Mit dem klassischen<br />
Schulbuch kann man kaum die<br />
Potenziale heben, die wir als<br />
Wissensexportnation brauchen.“<br />
Kapitel interessiert hat. Beziehen wir also Aufmerksamkeitsdaten<br />
beim Lesen mit ein, können wir deutlich die Assistenz<br />
verbessern, die solche Systeme liefern.<br />
Weil Sie Maschinen assoziatives Lernen beibringen wollen,<br />
haben Sie sich damit beschäftigt, wie Lernen funktioniert.<br />
Wie denn?<br />
Aufmerksamkeit ist für mich<br />
die Grundvoraussetzung für<br />
das Lernen. Wir müssen erst<br />
einmal aufmerksam sein, um<br />
Dinge zu erfahren, zu verstehen<br />
und im Gedächtnis zu verankern.<br />
Wir forschen daher seit<br />
Jahren zum Thema Aufmerksamkeit.<br />
Beim „erweiterten<br />
Verstehen“ oder „augmented<br />
understanding“ geht es zum Beispiel darum, Texte dadurch<br />
leichter verständlich machen, dass es die Augenbewegungen<br />
des Lesers via Datenbrille ermittelt – mit diesem „eyetracking“<br />
stellt das System fest, an welchen Stellen ungewöhnlich<br />
lange gezögert wird und schlägt zu den entsprechenden<br />
Textpassagen Erläuterungen in einem Bereich rechts neben<br />
dem Text vor. Dort bietet mir das System verschiedene Services<br />
an, ob das Übersetzungen sind, Wikipedia-Erklärungen,<br />
Videos.<br />
Professor Andreas Dengel, Chef des DFKI-Standortes Kaiserslautern, hat zwar in der Pfalz auch Informatik<br />
und Wirtschaftswissenschaften studiert, seine wissenschaftliche Karriere führte ihn aber immer wieder ins<br />
Ausland. Unter anderem gehörte er zu den Gründern des „Institut for Document Analysis and Knowledge<br />
Science“ an der Universität Osaka, wo er auch noch eine weitere Professur hat. Ebenfalls mitgegründet hat<br />
er das TUKL-NUST Research Center in Islamabad, ein von der Uni Kaiserslautern und dem pakistanischen<br />
Partner 2015 ins Leben gerufenes Forschungsinstitut für Computerwissenschaften.<br />
Foto: DFKI GmbH<br />
Was kann man mit diesen Erkenntnissen anfangen?<br />
Weil ich alle diese Aspekte verknüpft habe, kann ich aus<br />
diesen W-Dimensionen wie im mentalen Modell des Menschen<br />
auch im Unternehmensgedächtnis Zusammenhänge<br />
verstehen. Kombiniert man das Semantic Desktop etwa mit<br />
einer Datenbrille, die Augenbewegungen analysiert, dann<br />
erkennt es, an welchen Stellen besonders intensiv gelesen<br />
wurde. Wir könnten digitale Assistenten bauen, die sich die<br />
abgelegten Dokumente anschauen, Klassen bilden und lernen,<br />
was diese Klassen ausmacht. Manchmal haben sie lange<br />
Berichte in ihren Datenablagen, obwohl sie nur das dritte<br />
Welchen Nutzen sehen Sie in der Praxis?<br />
Wir setzen das gerade bei Schulen ein, wenn es um individualisiertes<br />
Lernen geht. Also etwa um Schüler, die besser sind,<br />
wenn sie sich kurze erklärende Videos anschauen statt Texte<br />
zu lesen. Mich stört am starren Schulsystem, dass es viel zu<br />
wenig auf die unterschiedlichen Lerntypen eingeht und immer<br />
noch zu sehr auf klassische Schulbücher setzt. Damit<br />
kann man kaum die Potenziale heben, die man braucht, um<br />
als Wissensexportnation auf Dauer bestehen zu können. Für<br />
uns ein Grund mehr, neue dynamisierte Formen von antizipierenden<br />
Schulbüchern zu entwickeln.<br />
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Oben: Der sechsbeinige Laufroboter MANTIS in Manipulationshaltung,<br />
entwickelt am Bremer Standort des DFKI.<br />
Mitte: Mit Kameras ausgestattete Datenbrillen als Schnittstellen zur<br />
Künstlichen Intelligenz.<br />
Unten: Optimierte Realität: Schwierige Montageaufgaben lassen sich<br />
durch Einblendung von Experten-Handgriffen leichter lösen.<br />
Also Schulbücher, die dank eyetracking von selbst merken,<br />
wo es hakt – und ihrem Leser dann passend auf die<br />
Sprünge helfen?<br />
Genau.<br />
Und wie bringen Sie solchen Maschinen bei, immer besser<br />
zu werden, zu lernen?<br />
Das DFKI hat auf meine Initiative hin gerade ein neues<br />
Deep Learning Center gegründet. Das soll maschinelle Intelligenz<br />
schaffen, die es bisher nicht gibt. So geht es unter<br />
anderem darum, Emotionen in Bildern selbstständig zu<br />
erkennen. Solche Systeme programmiert man nicht mehr,<br />
Foto: DFKI GmbH, Foto: Daniel Kühn<br />
man trainiert sie. Das müssen Sie sich vorstellen wie bei einem<br />
Kind, dem man beibringt, zwischen Früchten zu unterscheiden.<br />
Man sagt: Das hier ist eine Birne, dies ein Apfel.<br />
Und wenn sie genügend Beispiele von Äpfeln und Birnen<br />
gezeigt haben, die sich in Farbe und Form leicht unterscheiden,<br />
dann weiß das Kind irgendwann, was ein Apfel ist,<br />
wenn sie ihm eine Sorte zeigen, die es noch nicht gesehen<br />
hat. Ähnlich ist das mit solchen KI-Systemen. Sie können<br />
Beispiele extrapolieren. So gelingt es eben auch, Emotionen<br />
verlässlich zu erkennen.<br />
Wie soll das gehen, dass Software Emotionen erkennt?<br />
Das ist für Maschinen natürlich nicht einfach. Denken Sie<br />
an Konzepte wie „schöner Strand“ oder „schönes Auto“.<br />
Beides soll als schön beschrieben werden, aber in beiden<br />
Fällen sind jeweils ganz andere Bedingungen dafür entscheidend.<br />
Das System soll aber in der Lage sein, etwas als<br />
schön einzustufen, ohne dass ihm das der Mensch im Einzelnen<br />
vorgibt. Auch das lässt sich durch ein selbstlernendes<br />
System hinbekommen.<br />
Was haben denn Unternehmen von Mustererkennung<br />
und Deep Learning?<br />
Ein Anwendungsbereich ist die Wartung komplizierter<br />
Maschinen. Ich habe gelernt, dass zum Beispiel viele Aufzüge<br />
Unikate sind. Technische Elemente wie die Platinen<br />
sind oft individuell zusammengebaut. Da hilft es einem<br />
Wartungsingenieur sehr, der das erste Mal davorsteht, wenn<br />
er jemanden an seiner Seite hätte, der ihm zeigen kann, wie<br />
es geht – das wäre dann ein ,digital companion‘. Im Grunde<br />
ein Erklär-Video der besonderen Art: Bevor es zum Einsatz<br />
kommt, hat ein Experte mit einer Datenbrillen- oder<br />
Kopfkamera die zentralen, korrekten Arbeitsgänge aufgenommen.<br />
Die werden dem Wartungstechniker beim Einsatz<br />
vor Ort in seine Datenbrille eingeblendet. Weil auch<br />
die Handgriffe des Technikers aufgenommen werden, kann<br />
das System beide Aktionen vergleichen und auf Unterschiede<br />
aufmerksam machen: Grün eingefärbte Hände zeigen<br />
zum Beispiel an, dass der Techniker auf dem richtigen Weg<br />
ist. Der Clou dabei: Das Experten-Video wird automatisch<br />
von der KI des Systems in Einzelhandgriffe zerlegt und abgelegt,<br />
sodass die Mustererkennung des Systems optimal<br />
darauf zugreifen kann. Auf diese Weise schrumpft der Aufwand<br />
für die Erstellung des gesamten Erklär-Videos auf ein<br />
Minimum.<br />
Das DFKI setzt als Public Private Partnership-Projekt<br />
vor allem auf Anwendungsnähe ...<br />
Wir sind an Erkenntnis und Mehrwert im Transfer-Umfeld<br />
interessiert. Es geht um Ausbildung von Mitarbeitern<br />
für die Wirtschaft. Aber wir übernehmen auch Aufträge<br />
für die Industrie und fördern Spin-Off-Unternehmen.<br />
Wir haben schon über 70 Start-ups gegründet, die alle<br />
sehr erfolgreich am Markt agieren. Eines davon, die Firma<br />
IOXP, hat für das eben erwähnte System einen Landmaschinenhersteller<br />
als Kunden gewonnen. Es assistiert hier<br />
den Mechanikern beim Reparieren von Mähdreschern und<br />
Spezialmaschinen. Ein anderes Unternehmen ist „3digify“,<br />
wie IOXP eine Ausgründung aus dem Forschungsbereich<br />
„Augmented Vision“. Hier spielt sich automatische Mustererkennung<br />
gleich dreidimensional ab. Stellen Sie sich<br />
vor, Sie haben eine kaputte Steckdose oder brauchen ein<br />
Plastikersatzteil für die Waschmaschine, das der Hersteller<br />
nicht mehr hat. Dann fotografieren Sie dieses Teil, machen<br />
daraus mit 3digify ein 3D-Modell und lassen sich das dann<br />
ausdrucken.<br />
Nicht jeder DFKI-Angehörige kann oder will eine Firma<br />
gründen, aber Ihre Mitarbeiter sind sicher auch sonst<br />
gefragt …<br />
Ja, Beispiele gibt es genug. Eine Gruppe hat schon in den<br />
neunziger Jahren die Suchmaschine TREX für SAP entwickelt.<br />
Danach ist ein Teil des Teams zu SAP gewechselt und<br />
SAP setzt dieses Tool heute noch ein.<br />
Auch Sie selbst sind ja mehrfach angesprochen worden,<br />
zuletzt wollte Sie Siemens abwerben. Warum sind Sie<br />
geblieben?<br />
Wir Professoren haben hier viel kreative Freiräume. Das ist<br />
unschätzbar. Ich muss zugeben, dass mir es gerade Siemens<br />
besonders schwergemacht hat. Das war schon eine sehr interessante<br />
Aufgabe. Aber die Arbeit hier und auch private<br />
Lebensumstände haben mich dann doch gehalten.<br />
Apropos Freiräume: Engt es nicht ein, wenn es beim<br />
DFKI vor allem um rasche Verwertbarkeit geht?<br />
Wir sind gern ein Schnellboot. Und wir stellen uns bei Forschungsanträgen<br />
schon dem Wettbewerb untereinander,<br />
denn wir müssen auch nach außen im Wettbewerb der Ideen<br />
bestehen, wir leben von der Inspiration. Zudem erstellen<br />
wir eigene Technologie-Roadmaps, die acht Jahre in die<br />
Zukunft weisen und unsere Forschung leiten.<br />
Wie sähe die dann aus?<br />
Wir werden beispielsweise künftig – ob in der Ausbildung<br />
oder an der Arbeit – von Kreativräumen sprechen. Dabei<br />
wird der Raum an sich als Ganzes mit einbezogen.<br />
Er ist nicht nur reaktiv, nicht nur Display, sondern er vereint<br />
alle aktiven Komponenten, die mich bei der Arbeit<br />
unterstützen, und mir helfen, meine Kreativität besser einzusetzen.<br />
Indem ich Informationsunterstützung, Prioritätsunterstützung,<br />
Kommunikationsunterstützung habe, sodass<br />
ich meine Kollegen sehe, als ob wir tatsächlich zusammenstehen.<br />
Ich bin zwar da, virtuell, aber ich muss im Office<br />
der Zukunft nicht mehr präsent sein. Natürlich sieht vieles<br />
dann noch so aus wie heute. Dennoch werden wir einen<br />
Evolutionsprozess durchmachen, vielleicht auch einen Re-<br />
Evolutionsprozess, bei dem es zurückgeht auf die viele Jahrhunderte<br />
erprobte Form der Erzeugung von Information,<br />
der Umsetzung von Kreativität. Und womöglich haben wir<br />
dann gar keine Smartphones mehr, weil wir die Informationsschnittstelle<br />
auf der Nase tragen. ~<br />
Weltweit größtes Zentrum<br />
für Künstliche Intelligenz<br />
„Derzeit bauen wir gerade unsere Berliner Präsenz aus“,<br />
sagt Prof. Andreas Dengel. Dann wird das einstige Projektbüro<br />
zum vierten offiziellen Standort. Neben Kaiserslautern<br />
als Hauptsitz, nur wenige hundert Meter<br />
vom Uni-Campus entfernt, gibt es noch einen Standort<br />
in Saarbrücken und einen in Bremen. Eigener Darstellung<br />
zufolge ist das<br />
DFKI, „gemessen<br />
an Mitarbeiterzahl<br />
und Drittmittelvolumen“,<br />
das weltweit<br />
größte Forschungszentrum<br />
für Künstliche<br />
Intelligenz. Hier<br />
arbeiten „478 Wissenschaftler<br />
und<br />
337 studentische<br />
„B-Human“ ist wertvollster Teamplayer Mitarbeiter aus<br />
einer Fußball-Auswahl aus Robotern. mehr als 60 Nationen<br />
an 180 Forschungsprojekten“,<br />
heißt es auf der Website. Während in<br />
Kaiserslautern und Saarbrücken unter anderem semantische<br />
Informationsverarbeitung auf dem Forschungsplan<br />
steht, ist Bremen ein Zentrum für Robotik. Pünktlich<br />
zum zehnjährigen Bestehen des Bremer Standorts ist<br />
jüngst eine große Testhalle fertiggeworden, in der Geländeformationen<br />
anderer Planeten als Übungsfeld für<br />
Roboter aufgebaut werden können.<br />
Das DFKI wurde 1988 als Public Private Partnership<br />
gegründet und hat aktuell 18 privatwirtschaftliche Anteilseigner<br />
– vom Familienunternehmen bis zum Weltkonzern.<br />
Seit Herbst 2015 ist auch Google mit einer<br />
Einlage vertreten. „Im selben Umfang wie jeder andere<br />
privatwirtschaftliche Gesellschafter“, betont Dengel. Im<br />
Fokus des DFKI steht die anwendungsorientierte Technologieforschung.<br />
Ein eigenes Transfer-Zentrum kümmert<br />
sich darum, dass der wissenschaftliche Fortschritt<br />
bei der künstlichen Intelligenz möglichst rasch auch zu<br />
wirtschaftlicher Entfaltung kommt.<br />
Verteilt auf Vertragsjahre bearbeitete das DFKI laut Bundesanzeiger<br />
im Jahr 2014 Forschungsaufträge in Höhe<br />
von knapp 40 Millionen Euro. Knapp die Hälfte davon<br />
waren Bundesmittel, rund 5 Millionen Projektförderung<br />
des Landes, gut 8 Millionen kamen von der EU und rund<br />
vier Millionen aus der Industrie.<br />
Technisch-wissenschaftlicher Geschäftsführer und<br />
Vorsitzender der Geschäftsführung des DFKI ist Prof.<br />
Wolfgang Wahlster, Dr. Walter Olthoff verantwortet die<br />
kaufmännische Geschäftsführung. Prof. Andreas Dengel<br />
ist seit 2004 Mitglied der 5-köpfigen Unternehmensleitung<br />
und seit 2008 Standortleiter in Kaiserslautern sowie<br />
Leiter des Bereichs Wissensmanagement.<br />
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MENSCH & UNTERNEHMEN<br />
MENSCH & UNTERNEHMEN<br />
Die Talentförderin<br />
Fähige Köpfe zu entwickeln und Spitzenteams zu bilden – darin sieht<br />
Martina Koederitz als erste Frau an der Spitze von IBM Deutschland ihre Kernaufgabe.<br />
Magisches Dreieck: Neues schaffen, Innovation fördern<br />
und Kräfte entfesseln, möchte Martina Koederitz.<br />
Text: Peter Hanser<br />
Fotos: IBM Deutschland<br />
Auf der diesjährigen Cebit drängelten sich die Besuchermassen<br />
durch die engen Gänge des IBM-Messestandes,<br />
um sich über die neuesten Entwicklungen und Lösungsansätze<br />
des Unternehmens und seiner Partner zu informieren.<br />
Zu den zentralen Themen gehörten Industrie 4.0, Big Data<br />
Analytics, Cloud, Mobile oder Security. Weit ruhiger ging<br />
es auf der oberen Ebene des Standes zu, wo die Besprechungsräume<br />
liegen. Hier hatte Martina Koederitz für die<br />
fünf Messetage ihr helles Büro in der 4. Etage der Ehninger<br />
IBM-Zentrale mit der fensterlosen Besprechungszelle auf<br />
dem Messestand getauscht.<br />
Die 52-Jährige gehört einer eher seltenen Spezies von Frauen<br />
in deutschen Großunternehmen an. Während die wenigen<br />
Frauen, die es in die Vorstände schaffen, sich meistens mit<br />
Themen abseits des Kerngeschäfts wie Recht oder Personal<br />
beschäftigen, steht sie an der Spitze von IBM Deutschland<br />
mit Verantwortung für die D-A-CH-Region und mehrere<br />
tausend Mitarbeiter.<br />
„In einer dynamischen Welt ist man<br />
angreifbar, aber wir greifen auch an.“<br />
Die eher zurückhaltende, aber als durchsetzungsstark und<br />
zielstrebig geltende Betriebswirtin kennt das Unternehmen<br />
von der Pike auf. Schon während des Studiums hatte sie den<br />
Computerkonzern als zukünftigen Arbeitgeber ins Auge<br />
gefasst. Was die Studentin damals an dem amerikanischen<br />
Computer-Konzern faszinierte, waren sein Image als innovativer<br />
Arbeitgeber, die guten Qualifizierungsangebote für die<br />
Mitarbeiter und die Talententwicklung.<br />
Ihre Karriere startete sie 1987 in Stuttgart als Systemberaterin<br />
und stieg nach mehreren Aufgaben im Vertrieb 1998 zur<br />
Sales Managerin im Financial-Services-Sektor auf. Seit 1999<br />
leitete sie dann als Business Executive die Vertriebsorganisation<br />
für den genossenschaftlichen Finanzverbund. Vier Jahre<br />
später wurde Koederitz Vice President zSeries Sales IBM<br />
EMEA und 2006 Vice President System zSales in Deutschland.<br />
Als sie danach für sieben Monate als Client Advocacy<br />
in das Büro des damaligen IBM-CEO Sam Palmisano in die<br />
Konzernzentrale nach Armonk wechselte, war für Insider<br />
klar, dass sie zu Höherem berufen war. Spekulationen, die<br />
im Mai 2011 mit der Ernennung zur Vorsitzenden der Geschäftsführung<br />
der IBM Deutschland Realität wurden. Zwei<br />
Jahre später übernahm Koederitz als General Manager zudem<br />
die Verantwortung für die Geschäfte in Österreich und<br />
in der Schweiz. In der mehr als hundertjährigen Geschichte<br />
der deutschen Landesvertretung des weltgrößten Computer-<br />
Konzerns ist sie die erste Frau an der Spitze überhaupt.<br />
Bei der Frage, ob es für sie schwierig war, in der männerdominierten<br />
IT-Welt diesen Weg zu gehen, muss sie lachen.<br />
Ein Thema, über das sie eigentlich nie nachgedacht hätte,<br />
wenn man ihr nicht immer wieder diese Frage stellen würde.<br />
„Wenn ich das Gefühl gehabt hätte, mich hier nicht weiterentwickeln<br />
zu können, dann hätte ich vielleicht ganz andere<br />
Entscheidungen getroffen“, umschreibt Koederitz, was sie<br />
dazu bewegt hat, dem amerikanischen Konzern die Treue zu<br />
halten.<br />
Auf strategischer Ebene steht Koederitz vor der großen Aufgabe,<br />
die IBM-Strategie für die Themen Industrie 4.0, Internet<br />
of Things oder Cognitive Business mit ihrem Team<br />
für die deutschsprachigen Regionen umzusetzen. Die Managerin,<br />
die sich nicht als „die euphorischste Produkt- und<br />
Lösungsstrategin“ beschreibt, fokussiert sich dabei auf die<br />
Markt- und Kundenentwicklung. Dazu gehört der Aufbau<br />
langfristiger Partnerschaften wie mit Lufthansa, Allianz,<br />
Deutscher Bank oder der Bundeswehr und zahlreichen<br />
mittelständischen Unternehmen. „Die langfristig angelegten<br />
Partnerschaften müssen entwickelt und gemeinsam mit<br />
den Kunden ausgebaut werden“, weiß die Managerin um<br />
den Wert der Beziehungen und dass die Konkurrenz nicht<br />
schläft.<br />
In den nun fast 30 Jahren, die Koederitz in dem amerikanischen<br />
Konzern tätig ist, hat sie auch erlebt, wie sich die<br />
Führungskultur wandelte. Während sich Manager-Generationen<br />
früher daran orientierten, fachlich die richtigen<br />
Entscheidungen vorzubereiten und umzusetzen, nehmen<br />
sie heute eher die Rolle eines Coaches oder Orchesterleiters<br />
ein. „Jetzt sehe ich meine Führungsaufgabe darin, für unsere<br />
Herausforderungen die Teams so zu unterstützen, dass sie<br />
ein Spitzenteam sind in dem, wie sie miteinander arbeiten<br />
und in dem, was sie an Ergebnissen produzieren. Und die<br />
richtigen Talente frühzeitig zu erkennen und zu entwickeln<br />
sowie an die richtige Stelle zu bekommen“, hebt sie einen<br />
Schwerpunkt ihrer Führungsaufgabe hervor.<br />
Koederitz‘ Handeln wird geleitet von den IBM-Werten<br />
„Engagement für den Erfolg jedes Kunden“, „Innovationen,<br />
die etwas bedeuten für unser Unternehmen und für die<br />
Welt“ sowie „Vertrauen und persönliche Verantwortung in<br />
sämtlichen Beziehungen“. Werte, die die IBM-Mitarbeiter<br />
20<strong>03</strong> online in einem weltweiten „Value Jam“ erarbeiteten<br />
und moderne Formulierungen der Werte darstellen, wie sie<br />
schon der legendäre IBM-Chef Thomas J. Watson prägte.<br />
Diese Werte beeinflussen, wie die Managerin neue Themen<br />
wahrnimmt, wie sie Innovation antizipiert, wie sie sich mit<br />
dem Team einsetzt, um erfolgreich am Markt zu sein und<br />
wie sie mit den Menschen in ihrem Team und der IBM um-<br />
geht. „Man ist Teil dessen, wie die Werte gelebt werden“,<br />
bekennt Koederitz: „Man kann sich dem nicht entziehen“.<br />
Die deutsche IBM-Chefin prägt auch eine Eigenschaft, die<br />
nur wenigen männlichen Manager innewohnt: der Mut, sich<br />
selbst infrage zu stellen. „Ich führe sehr gerne Coaching-<br />
Gespräche und lasse mir gerne mal den Spiegel vorhalten“,<br />
zeigt sie sich offen, um zu lernen. Wohl wissend, dass morgen<br />
nicht mehr richtig sein muss, was gestern erfolgreich<br />
war. Ein Beispiel dafür liefert der amerikanische Konzern<br />
selber. Seit Anfang des 21. Jahrhunderts wandelte sich IBM<br />
vom Hard- und Softhersteller zum Beratungs- und Dienstleistungsanbieter.<br />
Auf die Frage nach Höhen und Tiefen in ihrer Zeit bei<br />
IBM antwortet Koederitz: „Tiefen sind immer das, wenn<br />
man feststellt, dass man trotz viel Zeit, viel Arbeit und viel<br />
Energie die Kundenerwartungen nicht erfüllen kann.“ Bei<br />
der Antwort auf die Frage nach möglichen Entlassungen bei<br />
der deutschen IBM verweist sie auf die Flexibilität des Unternehmens,<br />
das mit der Entwicklung zum Dienstleistungsanbieter<br />
schon aufgezeigt hat, wohin die Entwicklung geht:<br />
in eine digital vernetzte, instrumentalisierte Welt. Kognitiv,<br />
heißt hierfür das Schlagwort bei IBM.<br />
Hoher Besuch: Auf der Cebit 2014 zeigte Martina Koederitz Kanzlerin<br />
Angela Merkel, wie IT- und Automotive-Branche zusammenarbeiten.<br />
„Wir werden aus der Hypervernetzung und dem Phänomen<br />
Big Data neue intelligente Lösungen und Ansätze entwickeln“,<br />
skizziert Koederitz die IBM-Perspektiven. „Aber es<br />
ist klar, in so einer dynamischen Welt ist man angreifbar,<br />
aber wir greifen auch an“, gibt sie sich kämpferisch. Und mit<br />
Blick auf die Mitbewerber lautet für die Betriebswirtin dabei<br />
die entscheidende Frage: „Sind wir attraktiv genug für unsere<br />
Kunden, und sind sie bereit, sich für unser Angebot zu entscheiden<br />
oder nicht?“<br />
Für die Zukunft hat die IT-Managerin, die sich in zahlreichen<br />
Verbänden engagiert, noch eine große Vision. Sie<br />
möchte noch einige bahnbrechende Projekte in Deutschland<br />
anstoßen. Dabei liegt ihr insbesondere am Herzen, das<br />
Know-how der amerikanischen Mutter im Bereich der Medizin<br />
und Life Sciences auf dem deutschen Markt voranzubringen.<br />
„Technologie kann heute für uns als Gesellschaft<br />
ganz relevant werden, um Krankheiten früher zu erkennen,<br />
das Alter lebenswerter zu machen und damit Lebensqualität<br />
und Wohlstand zu unterstützen“, sieht sie einen realen<br />
Nutzwert in der Technik von morgen. ~<br />
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MENSCH & UNTERNEHMEN<br />
Wettlauf gegen die Zeit<br />
Hohe Verschuldung und eine gute Auftragslage führten den Automobilzulieferer<br />
Scherer & Trier in die Insolvenz. Ein Jahr blieb zur Rettung.<br />
Text: Peter Hanser<br />
Der Automobilzulieferer Scherer & Trier, heute unter Samvardhana Motherson<br />
Innovative Autosystems (SMIA) firmierend, steht für Kompetenz und Innovationsfähigkeit<br />
bei der Entwicklung und Herstellung hochwertiger Kunststoffteile.<br />
Doch hausgemachte Probleme führten in die Krise.<br />
Fotos: Imagefilm scherer-trier.de<br />
Die Weltwirtschaftskrise in den Jahren 2008 und 2009<br />
ging nicht spurlos an Scherer & Trier vorbei. Eine<br />
Phase, in der der Hersteller thermoplastischer Formteile für<br />
die Autoindustrie 350 Mitarbeiter entlassen musste. Doch<br />
gerade in dieser Phase, sprang der Markt wieder an und<br />
brachte im Jahr 2011 dem<br />
Michelauer Unternehmen<br />
extrem viele Aufträge.<br />
Eine Situation, die dem Zulieferer<br />
sämtlicher namhafter<br />
Autohersteller eigentlich Anlass<br />
zum Jubeln geben sollte.<br />
Doch stattdessen führte die<br />
hervorragende Auftragslage<br />
in die Krise. Denn vom Zeitpunkt der Auftragserteilung bis<br />
zu dem Zeitpunkt der Serienbelieferung vergehen je nach<br />
Bauteil und Komplexität bis zu drei Jahre, in denen neben<br />
der Konzept- und Konstruktionsphase auch die Fertigung<br />
von Prototypen und Vorserien stattfindet sowie die Produktionswerkzeuge<br />
und Montagelinien hergestellt werden. Und<br />
wenn die Serie erst mal am Laufen ist, heißt es noch lange<br />
nicht zurücklehnen. „Dieses Spiel zwischen Serienproduktion,<br />
die laufen muss, und zwischen Abspannen, Aufspannen<br />
der neuen Werkzeuge, Optimieren der neuen Werkzeuge,<br />
fordert die Mannschaft voll und treibt ihre Belastbarkeit an<br />
die Grenzen“, beschreibt Berater Wolfgang Feibig, der ehemalige<br />
für die Produktion verantwortliche Geschäftsführer,<br />
den aufwendigen Prozess.<br />
Gerade zu dieser Zeit, in der die Mannschaft in Michelau<br />
voll gefordert war, um die eigenen Aufträge zu bewältigen,<br />
gab es Probleme mit dem Werk in den USA. Dort reichten<br />
die Kapazitäten nicht für die Belieferung zweier Großkunden<br />
aus. Die Maschinen und Werkzeuge mussten von den<br />
Michelauer Mitarbeitern optimiert sowie die Fertigungsprozesse<br />
neu gestaltet werden, um möglichst viel Kapazität<br />
herauszuholen. Letztlich musste eine neue Maschine gebaut<br />
werden, um zusätzliche Kapazitäten zu schaffen.<br />
Doch damit nicht genug der Baustellen. Probleme verursachte<br />
noch eine neue Lackieranlage. Der akquirierte Produktmix<br />
führte dazu, dass die erhofften Stückzahlen nicht<br />
realisiert werden konnten, was alle Kalkulationen obsolet<br />
werden ließ. In dieser Phase unterstützte BMW seinen Zu-<br />
„Wir mussten es schaffen,<br />
im Ausnahmezustand<br />
Normalität zu leben.“<br />
Joachim Exner, Dr. Beck und Partner<br />
lieferer mit technischem Know-how, das Scherer & Trier<br />
technologisch und technisch wieder auf die Beine half.<br />
So hatten die Kunststofftechniker mehrere Baustellen, die<br />
viel Geld verschlangen, während man sich eigentlich in einer<br />
Phase befand, in der man Geld hätte verdienen können und<br />
müssen. All diese Baustellen<br />
führten zu einem erhöhten<br />
Kapitalbedarf. Nachdem<br />
die Gespräche über eine<br />
Anschlussfinanzierung bei<br />
dem bereits über Jahrzehnte<br />
hoch verschuldeten kapitalintensiven<br />
Unternehmen<br />
gescheitert waren, blieb<br />
dem oberfränkischen Unternehmen im März 2014 nichts<br />
anderes übrig, als einen Insolvenzantrag beim Amtsgericht<br />
Coburg zu stellen.<br />
Zum Vorläufigen Insolvenzverwalter bestellte das Amtsgericht<br />
den in der Automobilzuliefererbranche erfahrenen<br />
Rechtsanwalt Joachim Exner von der Kanzlei Dr. Beck und<br />
Partner. Nachdem sich Exner mit seinem Team einen Überblick<br />
über die Lage des<br />
Unternehmens verschafft<br />
hatte, war für ihn klar, dass<br />
ein Insolvenzplan faktisch<br />
nicht möglich war. „Die<br />
Situation zwischen den<br />
Shareholdern und den<br />
Verfahrensbeteiligten war<br />
nicht geeignet, den Erfolg<br />
eines Insolvenzplans<br />
Rechtsanwalt Joachim Exner von der<br />
Kanzlei Dr. Beck und Partner.<br />
zu prognostizieren“, umschreibt<br />
der Sanierungsexperte<br />
den vorgefundenen<br />
Status. Deshalb blieb als Alternative nur der Verkauf des Unternehmens.<br />
Damit begann für Insolvenzverwalter Exner ein Rennen gegen<br />
die Zeit, denn für den Verkauf des Unternehmens hatte<br />
man ihm ein Jahr Zeit gewährt und damit gegen den Verlust<br />
des Umsatzes der Zukunft. Denn die Herausforderung bestand<br />
darin, die Umsatzlinie auch in den Folgejahren zu halten.<br />
Die Sanierung eines Automobilzulieferers ist aufgrund<br />
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MENSCH & UNTERNEHMEN<br />
MENSCH & UNTERNEHMEN<br />
Funktionalität und Design sind keine Widersprüche für den Automobilzulieferer. Die eigene Produktentwicklung ermöglicht die Umsetzung komplexer<br />
Kundenwünsche.<br />
Autos werden immer leichter durch neue Werkstoffe. Durch seine mit Kunststoff ummantelten Aluminium- und Edelstahldachzierleisten leistet SMIA<br />
einen Beitrag zur Gewichtsreduzierung.<br />
der langen Vorlaufzeiten vom Auftrag bis zur Industrialisierung<br />
immer problematisch, insbesondere, wenn wie im Fall<br />
von Scherer & Trier, das Unternehmen auf Business-Stop<br />
gesetzt wurde. Das bedeutet, dass trotz gefüllter Auftragsbücher<br />
am Ende der Lifetime-Periode eines Produkts ein großes<br />
Umsatzloch droht, wenn für eine gewisse Dauer keine<br />
ausreichenden neuen Aufträge hereingeholt werden können.<br />
Als erste Aufgabe galt es, eine Schwachstellenanalyse zu erstellen<br />
und die Schwachstellen sofort zu beseitigen. Aufgesetzt<br />
wurde ein Exzellenzprogramm mit einem Restrukturierungsumfang<br />
von bis zu 35 Millionen Euro über drei Jahre. Dazu<br />
gehörten eine Reduzierung der Aufwendungen durch eine<br />
Kostenkontrolle sowie eine Optimierung der Kostenstrukturen,<br />
der Abbau von Leiharbeitnehmern, die Rückholung von<br />
Fremdvergaben im Lackierbereich, Reduzierung der Materialkosten<br />
durch Verbesserung der Einkaufsprozesse, Steigerung<br />
der finanziellen Transparenz, Einsatz von Mitarbeitern<br />
für interne Optimierungsprojekte, weitere Verschlankungen<br />
der Produktionsprozesse und Neuproduktentwicklungen, um<br />
nur einige zu nennen. Die Optimierungsmaßnahmen wurden<br />
mit dem Quality-Award von Volvo belohnt, worauf Ex-Produktionschef<br />
Feibig besonders stolz zurückblickt, der heute<br />
wieder als Berater tätig ist.<br />
Vorbeugen ist<br />
besser als heilen<br />
XXIn Branchen, in denen die Erfüllung von Aufträgen<br />
eine hohe Vorfinanzierung erfordert, ist darauf zu<br />
achten, dass keine zu hohe Verschuldung entsteht.<br />
XXBei Neuaufträgen sind die Risiken im Hinblick auf<br />
die Auftragserfüllung abzuschätzen, damit keine<br />
Abhängigkeiten entstehen.<br />
XXIm Ernstfall: Schnell Vertrauen zu Lieferanten und<br />
Kunden in eine erfolgreiche Sanierung aufbauen, indem<br />
zügig ein Lösungsmodell entwickelt und an alle<br />
beteiligten Gruppen kommuniziert wird.<br />
XXDen Mitarbeitern Vertrauen in die Zukunft geben,<br />
damit sie die notwendigen Veränderungen mittragen.<br />
XXSchnelle und termingerechte Umsetzung der im<br />
Lösungsmodell entwickelten Sanierungsmaßnahmen.<br />
XXEine Insolvenz ist nur schwer planbar, man muss immer<br />
auf Überraschungen gefasst sein. Deshalb gilt es,<br />
Probleme frühzeitig zu erkennen und vorausschauend<br />
zu handeln.<br />
Die Sanierungsmaßnahmen konnten ohne finanzielle Hilfe<br />
von Dritten abgewickelt werden. „Wir waren immer mit<br />
dem Ebitda positiv und der Ebitda ist gleichbedeutend mit<br />
dem insolvenzspezifischen Ergebnis“, betont Exner. In dieser<br />
Phase stimmten sogar alle beteiligten Gläubigergruppen<br />
einer Lohnerhöhung für die Mitarbeiter zu. Und weil das<br />
Verfahren so hervorragend lief, finanzierte ein Kunde sogar<br />
Millionen für die Anschaffung von Maschinen und Anlagentechnik<br />
bei Scherer & Trier, um seine eigenen Kapazitäten<br />
hochfahren zu können.<br />
Bei allen Beteiligten<br />
Vertrauen schaffen<br />
Die sofortige Beseitigung der Schwachstellen aus eigenen<br />
Finanzmitteln stellte für Exner ein wichtiges Element im<br />
Sanierungsprozess dar. „Dann kann das Unternehmen auch<br />
investieren“, begründet der Rechtsanwalt diesen Schritt,<br />
„weil die Banken das erwarten“. Der Gläubigerausschuss<br />
genehmigte alle Investitionen, die beantragt wurden und<br />
sinnvoll waren. Das hat natürlich einen nicht ganz uneigennützigen<br />
Grund, denn bei einem Unternehmen, bei dem der<br />
Restrukturierungsaufwand bereits abgearbeitet ist, lässt sich<br />
ein höherer Kaufpreis erzielen. „Und der war am Ende des<br />
Tages für das Unternehmen nicht unerheblich“, verrät Exner<br />
mit einem erfreuten Schmunzeln.<br />
Eine weitere entscheidende Voraussetzung für eine erfolgversprechende<br />
Sanierung bestand darin, Mitarbeiter, Lieferanten<br />
und Kunden bei der Stange zu halten. Denn wenn<br />
es nicht gelingt, die 500.000 Teile täglich und korrekt herauszubringen,<br />
steht bei Kunden irgendwo die Automobilproduktion<br />
still. „Durch Falsch- oder Nichtlieferungen können<br />
Schadensersatzansprüche entstehen, die jegliche Insolvenzquote<br />
atomisieren“, weiß Exner. Deshalb galt es erst einmal,<br />
die verunsicherte Belegschaft zu beruhigen und Vertrauen<br />
in eine erfolgreiche Sanierung aufzubauen. „Wir mussten es<br />
schaffen, im Ausnahmezustand Normalität zu leben“, beschreibt<br />
der Insolvenzverwalter sein Rezept. „Wenn schon im<br />
eigenen Betrieb nicht mehr der Glaube an das Unternehmen<br />
vorhanden ist, kann man das Unternehmen nicht fortführen<br />
oder verkaufen.“ Zu den vertrauensbildenden Maßnahmen<br />
gehörte in der Startphase die Einführung neuer Managementstrukturen.<br />
So übernahm mit Rolf Graf ein erfahrener<br />
Automobilzulieferer- und Restrukturierungsmanager den<br />
Vorsitz der Geschäftsführung. Die Bereichsleiter wurden<br />
zu Geschäftsleitern aufgewertet und zudem intensiv in den<br />
M&A-Prozess eingebunden. Existenzielle Bedeutung hatten<br />
die Gespräche mit den Lieferanten. „Um das Vertrauen in<br />
die Zulieferer reinzubringen, ging es dabei nicht um Wochen,<br />
sondern das musste schon in einem Gespräch sitzen“, betont<br />
Feibig, unter welchem Druck der Zulieferer stand.<br />
Für die Aufrechterhaltung der Umsatzlinie galt es vor allem,<br />
die Autohersteller – die die Michelauer auf „on hold“ gesetzt<br />
hatten – davon zu überzeugen, dem Unternehmen weiterhin<br />
zu vertrauen und ihm neue Aufträge zu erteilen. Den<br />
Oberfranken gelang es, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen.<br />
Sie zeigten die Zeithorizonte für die geplanten Restrukturierungsmaßnahmen<br />
auf, hielten die Planungen ein,<br />
setzten einen professionellen Investoren-Prozess auf und<br />
erzielten Einsparungen aus den Optimierungsmaßnahmen<br />
für die OEM. Als die Hersteller sahen, dass Technik und<br />
Investitionen weiterlaufen, kamen nach neun Monaten die<br />
ersten Neuaufträge herein. Und sie waren sogar bereit, die<br />
Werkzeuge für die neuen Aufträge vorzufinanzieren, damit<br />
die Produktion hochgefahren werden konnte.<br />
Das Aufrechterhalten der Umsatzlinie spielte für den Investorenprozess<br />
eine bedeutende Rolle, denn schließlich sind<br />
sich die Investoren dieses Risikos durchaus bewusst. Bricht<br />
nach drei bis vier Jahren die Umsatzlinie ab, sind teure Entlassungen<br />
erforderlich. Zudem gab es für den Verkauf einige<br />
erschwerende Faktoren:<br />
XXEin bereits gescheiterter vorinsolvenzlicher Verkauf.<br />
XXKein international ausgeprägter Footprint, außer einem<br />
Betrieb mit 100 Mitarbeitern in Mexiko. Die verlustreiche<br />
US-Tochter konnte zwischenzeitlich an ein kanadisches<br />
Zulieferunternehmen verkauft werden.<br />
XXKonzentration der Produktionsstätte auf das Hochlohnland<br />
Deutschland.<br />
Bereits 14 Tage nach Stellung des Insolvenzantrags wurde<br />
der M&A-Prozess aufgesetzt. Nach einem schwungvollen<br />
Beginn des Investorenprozesses blieben zum Schluss zwei<br />
ernsthafte Investoren übrig. Die Entscheidung fiel letztlich<br />
auf den international agierenden Automotive-Konzern Samvardhana<br />
Motherson Group, der mit 75.000 Mitarbeitern<br />
und Standorten in 25 Ländern zu den 50 größten Automobilzulieferern<br />
weltweit zählt. Die Insolvenz konnte abgeschlossen<br />
werden, ohne die Entlassung eines Mitarbeiters.<br />
Die Zukunft im indischen Motherson-Konzern sieht für<br />
Scherer & Trier, das heute unter Samvardhana Motherson<br />
Innovative Autosystems – kurz SMIA – firmiert, erfreulich<br />
aus. Die Nachfrage nach Produkten aus Michelau ist seit der<br />
Übernahme stark angestiegen und der neue Geschäftsführer<br />
Andreas Heuser macht sich Gedanken über eine Expansion.<br />
„Aktuell investieren wir in neue Maschinen, Optimierung<br />
von Prozessen und innovative Technologien wie Hochleistungsoberflächen<br />
für Kunststoffteile und integrierte LED-<br />
Beleuchtung“, berichtet Heuser. Und er hat klare Vorstellungen<br />
von der langfristigen Strategie des Unternehmens:<br />
„Wachstum durch Ausrichtung der Unternehmensstrategie<br />
an den Strategien der Kunden, Nutzen von gruppeninternen<br />
Synergieeffekten und dem Vertrauen in die Mitarbeiter.“ ~<br />
XX<br />
Lesen Sie zur Zukunft von SMIA das Interview mit Geschäftsführer<br />
Andreas Heuser auf www.<strong>return</strong>-online.de.<br />
Vom Kleinbetrieb zur<br />
internationalen Firmengruppe<br />
Andreas Scherer, Georg Scherer und Lothar Trier<br />
gründeten 1967 das Unternehmen im oberfränkischen<br />
Michelau. Die extrudierten Kunststoffprofile wurden<br />
hauptsächlich für die heimische Korb- und Kleinmöbelindustrie<br />
hergestellt. 1993 ging das Unternehmen in den<br />
Besitz der Familie Trier über.<br />
Scherer & Trier entwickelt sich zu einem Anbieter von<br />
Komplettlösungen für komplexe und designorientierte<br />
Kunststoff- und Hybridbauteile mit Tochterunternehmen<br />
in Mexiko, Skandinavien und den USA. Hauptabnehmer<br />
ist die internationale Automobilindustrie.<br />
Im März 2014 musste das Unternehmen, das rund 250<br />
Millionen Umsatz machte, Insolvenzantrag stellen. Im<br />
Februar 2015 wurde der Automobilzulieferer von der indischen<br />
Samvardhana Motherson Gruppe gekauft (Umsatz<br />
2014/2015: 6,9 Milliarden US-Dollar) und firmiert<br />
nun unter Samvardhana Motherson Innovative Autosystems<br />
(SMIA). Alle rund 2.000 Arbeitsplätze konnten<br />
erhalten werden. Der Standort Michelau soll zum<br />
Entwicklungszentrum für andere Geschäftsbereiche der<br />
Gruppe ausgebaut werden.<br />
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MENSCH & UNTERNEHMEN<br />
MENSCH & UNTERNEHMEN<br />
MUSTERTEXT<br />
Vorm Untergang bewahrt<br />
Bosnien: Arbeiter und Konkursverwalter kämpfen um Dita<br />
Text: Thomas Roser, Belgrad<br />
Geschäftig kurvt ein einsamer Gabelstapler auf der Laderampe.<br />
Etwas verloren wirken die Rufe der wenigen<br />
Arbeiter in den weitläufigen Hallen des Wasch- und Spülmittelherstellers<br />
Dita im<br />
bosnischen Tuzla. Zu jugoslawischen<br />
Zeiten sei Dita<br />
mit fast 800 Mitarbeitern<br />
und einer Produktionskapazität<br />
von über 50.000<br />
Tonnen im Jahr noch „ein<br />
Gigant“ gewesen, berichtet<br />
Logistikchef Dzevad Mehmedovic.<br />
Doch obwohl die<br />
Belegschaft auf ein Zehntel<br />
geschrumpft ist, und<br />
die Maschinen und Hallen<br />
eher notdürftig ausgebessert<br />
scheinen, spricht der<br />
Gewerkschafter von einem<br />
„Erfolg“: „Wir Arbeiter haben<br />
Dita bewahrt. Wenn es so gelaufen wäre, wie es vorgesehen<br />
war, wäre unsere Fabrik längst abgerissen.“<br />
Rückkehr in Regale: Dita-Produkte wie das Waschmittel „Tenzo“ erobern<br />
trotz Insolvenz des Herstellers wieder erste Handelsfilialen in Bosnien.<br />
Unzählige Industrie-Riesen<br />
ins Aus befördert<br />
Die Folgen des Bosnienkriegs und kriminelle Privatisierungen<br />
haben in dem gebeutelten Vielvölkerstaat unzählige<br />
Industrie-Riesen ins Aus befördert. Raffgierige Neubesitzer,<br />
veruntreute Sozialbeträge, nicht ausbezahlte Löhne und mit<br />
Hilfe korrupter Banker und Politiker gezielt überschuldete<br />
Unternehmen: Auch Dita häufte bis 2012 Schulden in Höhe<br />
von über 15 Millionen Euro auf. Bevor der Gerichtsvollzieher<br />
die ersten Maschinen des zahlungsunfähigen Unternehmens<br />
verpfänden konnte, besetzen damals die Beschäftigten<br />
ihre Fabrik. „Wir schützten das Werk gegen Plünderer und<br />
seine drohende Demontage“, erzählt Verkaufsleiter Nedzad<br />
Gavranovic.<br />
Das Schicksal von Dita sei in Bosnien „leider kein Einzelfall“,<br />
sagt der 64-jährige Konkursverwalter Hajrudin Kunalic.<br />
Mit gezielter Überschuldung seien oft völlig gesunde<br />
Firmen von ihren Besitzern „mit Absicht in den Bankrott“<br />
geführt worden: „Die Eigentümer zogen so Mittel aus den<br />
Firmen, um sie in die eigenen Taschen abzuzweigen.“ Doch<br />
Dita habe bessere Perspektiven als andere bankrotte Firmen,<br />
die weitgehend ausgebeint seien: „Für demontierte Betriebe<br />
kommt das Konkursverfahren meist zu spät. Doch die Dita-<br />
Arbeiter haben bewiesen, dass es für ihre Firma einen Markt<br />
gibt.“ Bis zur Wiederaufnahme<br />
der Produktion<br />
war es für die Belegschaft<br />
ein langer und harter Weg.<br />
Zwar lehnt sich das bosnische<br />
Konkursrecht laut<br />
Kunalic an das deutsche<br />
an, doch seien Beschäftigte<br />
„viel schlechter geschützt“.<br />
Vier Jahre erhielten sie<br />
weder Lohn noch wurden<br />
für sie Sozialabgaben abgeführt:<br />
Ihre Forderungen<br />
machen rund ein Zehntel<br />
der Verbindlichkeiten von<br />
Dita aus.<br />
Im Februar 2014 stand der<br />
Protest der Dita-Arbeiter an der Wiege von heftigen, aber<br />
kurzen Unruhen. Die Protestwelle ebbte rasch wieder ab.<br />
Die Dita-Beschäftigen stritten jedoch weiter unbeirrt für<br />
den Erhalt ihrer Fabrik. Mit der Kantonsverwaltung und<br />
dem Konkursverwalter konnte sich die Belegschaft schließlich<br />
im Frühjahr 2015 auf die Eröffnung des Konkursverfahrens<br />
und den Versuch eines Neustarts in Eigenverwaltung<br />
einigen. „Der Erlös für eine Fabrik, die läuft, ist immer höher<br />
als der für eine, die stillliegt“, erläutert Kunalic die Entscheidung<br />
zur Wiederaufnahme der Produktion. Auch die Erfahrung<br />
und Kenntnisse der Mitarbeiter sollten helfen, einen<br />
strategischen Partner für Dita ausfindig zu machen: „Unser<br />
Ziel war und ist es, einen Käufer aus der Branche zu finden,<br />
der die Produktion fortsetzt und genügend Kapital hat, um<br />
in die Fabrik zu investieren.“<br />
Auf der Startseite („pocetna“) des eigenen Internetauftritts dita.ba wird das Unternehmen und seine Produkte beworben. Doch hinter der durchaus<br />
professionell anmutenden Marketing-Kommunikation steht ein Sanierungsfall auf Käufersuche.<br />
Die große Frage sei vor einem Jahr gewesen, wie Dita ohne<br />
Eigenmittel die Produktion wieder ans Laufen bringen<br />
könne, erzählt Gavranovic: „Wir riefen die Bürger und die<br />
Wirtschaft dazu auf, uns zu helfen“. Nicht nur weil Dita zu<br />
Zeiten des Bosnienkriegs (1992-95) die Bevölkerung mit<br />
Gratis-Waschmitteln versorgt hatte, stieß der Appell auf ein<br />
enormes Echo. Es waren auch die allen Bosniern nur allzu<br />
gut vertrauten Ursachen des Kampfs der Dita-Arbeiter<br />
um ihre Jobs, die der Firma eine Welle der Solidarität bescherten.<br />
Zulieferer stundeten die Gelder zum Erwerb von<br />
Rohstoffen auch ohne Vorkasse. Angesichts des „großen<br />
Kampfs“ der Arbeiter für den Erhalt ihrer Firma habe er sich<br />
entschlossen, Dita auch ohne Zahlgarantien mit Rohstoffen<br />
zu beliefern, berichtet Muhidin Muratovic, Direktor des Zulieferers<br />
„forEks“ in Tuzla. Bislang habe seine Firma Rohstoffe<br />
im Wert von einer Million Euro an das Werk geliefert,<br />
von denen mittlerweile rund die Hälfte beglichen worden<br />
seien: „Dita ist der Beweis, dass man auf dem heimischen<br />
Markt mit kleinen Mitteln und selbst veralteter Technik viel<br />
erreichen kann.“ Auch die bosnische Handelskette „Bingo“<br />
unterstützt die Rückkehr in die Kaufregale. Außer bei der<br />
Vorfinanzierung der Produktion unterstütze ihr Unternehmen<br />
Dita mit der prominenten Platzierung der Produkte,<br />
berichtet Tatjana Paunoski, die Chefin der Bingo-Marketingabteilung.<br />
Das Waschmittel „Tenzo“ und das Spülmittel<br />
„3de“ seien das bestverkaufte in der Filial-Kette.<br />
Vertrauensvorschuss<br />
durch Konsumenten<br />
Andere Firmen halfen mit Sachleistungen bei der Überholung<br />
des Maschinenparks und leck geregneter Hallendächer.<br />
Doch letztendlich waren es die Konsumenten, die<br />
dem revitalisierten Dita-Werk den entscheidenden Vertrauensvorschuss<br />
gaben – und die Produkte kauften. Habe Dita<br />
zunächst vom Sympathie-Vorschuss der Kunden profitiert,<br />
habe es seine Marktposition inzwischen dank „der hohen<br />
Qualität bei niedrigen Preisen“ gefestigt, so Gavranovic:<br />
„Die Leute kaufen nun unsere Produkte, weil sie deren Qualität<br />
überzeugt hat.“ Die Erfolgsbilanz von Dita kann sich<br />
sehen lassen. In den ersten elf Monaten wurden Produkte in<br />
Wert von 1,8 Millionen Euro verkauft, der Wert der Lagerbestände<br />
wird von Gavranovic auf eine weitere Million Euro<br />
beziffert: „Gleichzeitig erfüllen wir alle Verpflichtungen<br />
gegenüber dem Staat, Zulieferern und den Beschäftigten.“<br />
Das derzeit 75 Mitarbeiter zählende Unternehmen arbeite<br />
zwar „ohne Verlust“ und bestreite laufende Reparaturkosten<br />
aus eigener Tasche, so Konkursverwalter Kunalic. Doch<br />
ohne Eigenmittel und der Möglichkeit, Kredite aufzunehmen,<br />
lasse sich die Fabrik kaum modernisieren. Dita habe<br />
inzwischen schon nach Kosovo, Serbien und Albanien geliefert,<br />
so Gavranovic. Doch aus Kontakten in Österreich,<br />
Deutschland und dem Nahen Osten seien leider noch keine<br />
Geschäftsabschlüsse gefolgt. Der bosnische Markt sei zu<br />
klein: „Für Großaufträge aus dem Ausland fehlt uns aber die<br />
Kontinuität in der Produktion – und das Kapital, um diese<br />
vorzufinanzieren.“<br />
Wiederauferstehung<br />
stört Wettbewerb<br />
Die Konkurrenz habe nicht unbedingt positiv auf die Wiederauferstehung<br />
von Dita reagiert: „Manche stört es, dass wir<br />
wieder da sind. Immer wenn wir ein neues Produkt ankündigen,<br />
senken sie ihre Preise und verteilen Gratisproben. Bis<br />
wir dann auf den Markt kommen, ist die Nachfrage meist<br />
gesättigt.“ Trotzdem bezeichnet der Verkaufsleiter das Beispiel<br />
Dita als „Hoffnungsfunken für das ganze Land“: „Wir<br />
sind ein Vorbild für alle in ähnlicher Situation. Wir wollten<br />
beweisen, dass unser Werk lebensfähig ist – und das ist uns<br />
gelungen.“<br />
Die Hoffnung der Dita-Mitarbeiter auf einen Partner hat<br />
sich bisher allerdings nicht erfüllt. Ein erster Verkaufstermin<br />
im Juni verstrich ergebnislos. Einige internationale Unternehmen<br />
aus der Branche hätten zwar die Unterlagen angefordert<br />
und die Fabrik angeschaut, aber kein Gebot für das<br />
zunächst für 8,5 Millionen Euro angebotene Werk abgegeben,<br />
berichtet Kunalic. Ein neuer Tender sei ausgeschrieben,<br />
der Preis werde vermutlich etwas gesenkt.<br />
Es wäre für Dita schwer, längerfristig mit dem derzeitigen<br />
Geschäftsmodell zu operieren, räumt der Konkursverwalter<br />
offen ein. Zwar sei es „nicht leicht“, einen Käufer zu finden.<br />
Doch das Unternehmen verfüge über eine intakte Fabrik,<br />
ausreichend Flächen- und Produktionskapazitäten und über<br />
einen eigenen Bahnanschluss, schlägt er die Werbetrommel:<br />
„Dita könnte für einen Käufer, der die Produktion fortsetzt,<br />
sehr schöne Zukunftsperspektiven bieten.“ ~<br />
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MENSCH & UNTERNEHMEN<br />
MENSCH & UNTERNEHMEN<br />
Tüftelnde Gründer mit<br />
Durchhaltevermögen<br />
Entrepreneure revolutionieren mit einigen Erfindungen ganze Branchen inklusive<br />
neuen Geschäftsmodellen. Mister Spex, Magazino oder Ergobag eint der lange Atem.<br />
Text: Vera Hermes<br />
Gemeinsam läuft‘s besser: In erfolgreichen Gründerteams arbeiten meist Menschen<br />
mit ganz verschiedenen Talenten zusammen. Es leuchtet ein, dass zum Beispiel eine<br />
Mischung aus Software-Experte, Ingenieur und Betriebswirt ein Unternehmen weiter<br />
bringt als drei Software-Experten, drei Ingenieure oder drei Betriebswirte.<br />
Foto: Magazino<br />
Wenn Vertriebswege, Produkte oder Services hochgradig<br />
innovativ sind, haben es junge Gründer und<br />
Erfinder oft besonders schwer, Geldgeber und Unterstützer<br />
zu finden. Zweifel und Skepsis schlagen ihnen entgegen.<br />
Oft werden staatliche Fördergelder erst nach mehrfachen<br />
Anläufen gewährt, Wettbewerbe<br />
gewinnen andere, Investoren geben<br />
sich zugeknöpft.<br />
Sind endlich Kapitalgeber gefunden,<br />
beginnt meist das nervenaufreibende<br />
Prozedere, alle sechs Monate<br />
handfeste Erfolge vorweisen<br />
zu müssen. Die Gründer von Startups<br />
wie Magazino, Mister Spex und<br />
Ergobag waren mitunter gefühlt<br />
nur Tage von der Pleite entfernt.<br />
Wie brillant eine Idee oder Erfindung<br />
auch immer sein mag: Diese<br />
Drei beweisen, dass Brillanz allein<br />
nicht ausreicht, um eine Idee in ein<br />
funktionierendes Geschäftsmodell<br />
zu verwandeln. Sie waren mutig,<br />
überzeugt, leidenschaftlich, begeisterungsfähig,<br />
begeisternd. Sie haben<br />
durchgehalten und sich von Fehlschlägen nicht beirren lassen.<br />
Einige von ihnen hätten sehr viel besser schlafen, weniger<br />
arbeiten und mehr Geld verdienen können, wenn sie<br />
als Angestellte in ihren alten Jobs geblieben wären. Was sie<br />
antreibt? Ihre Vision, ihr Elan und der Spaß. Als Erfolgsfaktor<br />
sehen sie das Arbeiten im Gründungsteam. Erstens ist es<br />
klug, verschiedene Talente zu vereinen, zweitens lassen sich<br />
Durststrecken zusammen besser überbrücken.<br />
Ein gutes Beispiel dafür ist Magazino. Die Ursprungsidee,<br />
einen innovativen Kommissionier-Roboter zu bauen, hatte<br />
Frederik Brantner im Jahr 2011. Ursprünglich schwebte<br />
ihm ein Roboter vor, der Schränke selbsttätig aufräumt. Nach<br />
kurzer Recherche war klar, dass derlei Technik für das Endkundengeschäft<br />
zu teuer sein würde. Für Apotheken indes,<br />
die schon mit einfachen Kommissionier-Automaten arbeiten,<br />
könnte ein intelligenter Roboter mit Greifarmen und<br />
Kamera wertvoll sein. Brantner, ausgestattet mit Doppelstudienabschlüssen<br />
in Management und seinerzeit Assistent<br />
der Geschäftsführung in einer Großbäckerei, organisierte<br />
ein Creative-Thinking-Wochenende mit Freunden. Einer<br />
brachte den Maschinenbauingenieur Lukas Zanger mit, der<br />
für Brantners Idee entflammte. Dritter<br />
im Bunde wurde der Informatiker<br />
Nikolas Engelhard.<br />
Gemeinsam starteten sie Magazino,<br />
um einen intelligenten Automaten<br />
zu entwickeln. Der sollte in der Lage<br />
sein, Teile stückgenau zu greifen und<br />
wieder abzulegen. Dieses stückgenaue<br />
Handling ist technisch schwierig,<br />
denn es setzt quasi eine menschliche<br />
Hand-Auge-Koordination voraus.<br />
Die Drei mieteten sich in einem<br />
16-Quadratmeter-Coworking-Raum<br />
ein und begannen zu schrauben.<br />
Foto: Magazino<br />
Wertvolle Erfindung: Der Roboter Toru ist in der Lage,<br />
Teile einzeln zu greifen und abzulegen.<br />
Später nutzten sie den „Makerspace“<br />
der TU München, eine Hightech-<br />
Werkstatt mit Maschinen, Werkzeugen<br />
und Software. Ihr Ziel haben sie<br />
erreicht. Florin Wahl, den Magazino<br />
jetzt als PR-Mann beschäftigt, betont: „Drei Frederiks, drei<br />
Lukasse oder drei Nikolasse hätten das nicht gekonnt.“ Es<br />
bedurfte der klugen Mischung aus Management-Expertise,<br />
Maschinenbau-Wissen und Software-Kompetenz.<br />
Nach einigen gescheiterten Versuchen, an Geld zu kommen,<br />
ergatterte das Team im Jahr 2014 ein Gründerstipendium<br />
und gründete die Magazino GmbH; zudem steuerten zwei<br />
Business Angels sowie der High-Tech-Gründerfonds weiteres<br />
Geld bei. Der Gründerfonds gab den jungen Entrepreneuren<br />
vor, sich auf den Apothekenmarkt zu konzentrieren.<br />
Das erwies sich als Flop, denn der Markt ist fragmentiert und<br />
somit letztlich unattraktiv.<br />
Auf einem Gründertreffen im Jahr 2015 mischte sich Brantner<br />
an der Grillwurstbude in ein Gespräch über Bilderkennung<br />
ein. Die Menschen, die er belehrte, waren von Siemens<br />
Novel Business. Es folgte eine Einladung, 13 Verhandlungs-<br />
26<br />
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MENSCH & UNTERNEHMEN<br />
MENSCH & UNTERNEHMEN<br />
Finanziell sorgenlos seit dem Siemens-Einstieg sind die Magazino-<br />
Gründer Nikolas Engelhard, Lukas Zanger und Frederik Brantner (v.l.).<br />
runden später übernahm Siemens die Anteile von High-<br />
Tech-Gründerfonds und Business Angels und legte noch<br />
finanziell drauf. Heute gehören dem Konzern 49,9 Prozent<br />
von Magazino, die drei Gründer halten 50,1 Prozent. „Das ist<br />
schon was Anderes, als wenn man alle sechs Monate überlegt,<br />
wie man über die Runden kommen soll“, kommentiert Wahl.<br />
Magazino zählt mittlerweile über 50 Mitarbeiter, darunter<br />
mehrheitlich Softwareentwickler, Maschinenbauer und<br />
Elektrotechniker. Im Oktober hatte der Roboter „Toru“ seinen<br />
ersten Testeinsatz bei einem Pilotkunden.<br />
Romantische Vorstellung von<br />
Unternehmensgründungen<br />
Einen genialen Tüftler durchfährt ein Geistesblitz, er entwickelt<br />
einen Prototyp und macht dank seiner bahnbrechenden<br />
Erfindung ein Riesengeschäft – das ist die romantische<br />
Vorstellung einer Unternehmensgründung. Und es ist die<br />
Variante, die in der Regel nicht funktioniert. Konrad Zuse<br />
etwa hat zwar den Computer erfunden, aber kein Geschäft<br />
damit gemacht. Gleiches gilt für die allesamt deutschen Erfinder<br />
von Fax, Scanner, Hybrid-Auto und MP3-Player –<br />
super Techniken, mit denen andere viel Geld verdienten.<br />
Magazino GmbH<br />
Magazino entwickelt und baut wahrnehmungsgesteuerte<br />
mobile Roboter für die Intralogistik. Mit Magazinos<br />
Technologie können über 2D- und 3D-Kameras einzelne<br />
Objekte im Regal identifiziert und lokalisiert, sicher gegriffen<br />
und schließlich präzise an ihrem Bestimmungsort<br />
wieder abgelegt werden.<br />
Mitarbeiter: > 50<br />
Umsatz 2015: sechsstellig<br />
Erste Idee: 2011<br />
Gründung: 2014<br />
Gründer: Frederik Brantner, Lukas Zanger und<br />
Nikolas Engelhard (50,1 Prozent)<br />
Mitinhaber: Siemens Innovative Ventures<br />
(49,9 Prozent)<br />
Foto: Siemens AG<br />
Auf der Suche nach einer profitablen Nische im E-Commerce setzte das<br />
Gründerteam von Mister Spex auf den Onlinehandel mit Brillen.<br />
Andersherum gibt es Gründer wie bei Mister Spex, entstanden<br />
im Jahr 2007. Damals kam gerade das erste iPhone auf<br />
den Markt, Zalando gab es noch nicht, die Business-Angel-<br />
Szene war klein und „E-Commerce war noch ein Synonym<br />
für Ebay-Powerseller, die im Jogginganzug ihre Pakete zur<br />
Post schleppen“, lacht Björn Sykora, Mitgründer des ersten<br />
Online-Brillenhändlers in Deutschland.<br />
Gemeinsam mit Dirk Graber war er davon überzeugt, dass<br />
das Internet den Handel grundlegend verändern würde. „Die<br />
Frage war: Wo glauben wir mit unserem BWL-Studium<br />
besser zu sein als andere? Wir haben strategisch geguckt,<br />
welche Branchen sich eignen“, erzählt Sykora. Einen Bezug<br />
zur Augenoptik hatten beide nicht, wenn man mal davon<br />
absieht, dass Grabers Schwiegermutter Augenärztin ist.<br />
Der Markt erschien ihnen attraktiv für den Einstieg in den<br />
E-Commerce: Der Branchenumsatz mit Augenoptik liegt<br />
nach aktuellem Stand bei gut 5,8 Milliarden Euro. Allerdings<br />
war der Brillenkauf via Internet vor gut zehn Jahren schwer<br />
vorstellbar: Der Besuch beim Optiker rangierte damals „kurz<br />
hinter dem Termin beim Kieferchirurgen“, frotzelt Sykora,<br />
vom Lustkauf war der Brillenerwerb weit entfernt. Zudem<br />
ist das Produkt beratungsintensiv. Entsprechende Ungläubigkeit<br />
schlug Graber und Sykora entgegen. Venture Capi-<br />
Mister Spex GmbH<br />
Mister Spex ist europäischer Marktführer im Online-<br />
Handel mit Markenbrillen und -sonnenbrillen. Seit 2011<br />
kooperiert das Unternehmen mit europaweit mittlerweile<br />
rund 600 lokalen Optikern, seit Februar <strong>2016</strong> betreibt es<br />
einen eigenen stationären Laden in Berlin.<br />
Mitarbeiter: > 400<br />
Umsatz 2014: 65 Millionen Euro (seit 2015 wird<br />
nicht mehr gemeldet)<br />
Erste Idee: 2007<br />
Gründung: 2007<br />
Gründer: Dirk Graber, Björn Sykora,<br />
Philipp Frenkel, Thilo Hardt<br />
Mitinhaber: Scottish Equity Partners, Goldman<br />
Sachs, Grazia Equity, XAnge,<br />
DN Capital, High-Tech Gründerfonds<br />
Für Kinder gab es lange Zeit nur mehr oder weniger rückenfeindliche<br />
Tornister. Ergobag hat dies ein für allemal geändert.<br />
talists winkten müde ab. Drei Business Angels konnte das<br />
Team schließlich von ihrem Geschäftsmodell überzeugen.<br />
Sykora und Graber holten sich die zwei IT-Profis Philipp<br />
Frenkel und Thilo Hardt ins Gründungsteam. Im April<br />
2008 war Mister Spex erstmals online.<br />
Ein gutes halbes Jahr später ging Lehman Brothers pleite<br />
und die Wirtschaft brach ein. „Viel Luft hatten wir im Dezember<br />
2008 nicht mehr, dann kam doch noch eine Zusage<br />
von einem Venture Capitalist – sonst hätten wir zumachen<br />
müssen“, berichtet Sykora.<br />
Der überzeugte Teamplayer rät allen Gründern, an die eigene<br />
Vision zu glauben und zugleich flexibel zu bleiben: „Den<br />
Kunden haben wir immer sehr ernst genommen, denn der<br />
entscheidet. Du kannst in der Theorie noch so oft definieren,<br />
was der Kunde will, oft entscheidet er anders als erwartet<br />
und darauf musst du reagieren und das Geschäftsmodell<br />
anpassen.“ Wichtig sei zudem eine „pragmatische Entscheidungsfreude,<br />
denn es muss ja vorangehen“, das wiederum<br />
setze eine gute Fehlerkultur voraus, denn es sei „blöd, wenn<br />
sich keiner traut, Entscheidungen zu treffen.“ Die Entscheidung,<br />
in den Online-Brillenhandel einzusteigen, war auf jeden<br />
Fall richtig: Mister Spex hat Brillenkäufern einen neuen<br />
Vertriebsweg eröffnet und die Optikerbranche für immer<br />
F. O. BAGS GmbH<br />
Die F.O. Bags GmbH ist aus der Ergobag GmbH hervorgegangen<br />
und bietet unter den Marken Affenzahn, Satch,<br />
Aevor, Pinqponq und AEP ergonomische Taschen, die<br />
bei über 4.000 ausgesuchten Fachhändlern in mehr als 20<br />
Ländern zu haben sind. Unlängst übernahm das Unternehmen<br />
zudem die Traditionsmarke Offermann.<br />
Mitarbeiter: > 150<br />
Umsatz 2015/16: vor.: > 45 Millionen Euro<br />
Erste Idee: 2008<br />
Gründung: 2010<br />
Gründer und Inhaber: Juliaan Cazin, Florian<br />
Michajlezko, Sven-Oliver Pink<br />
und Oliver Steinki (100 Prozent)<br />
(Ausgeschieden: Melanie Gabriel)<br />
Foto: Fonds of bags<br />
verändert. Die Gründer mussten allerdings auf dem Weg<br />
zum Erfolg den Löwenanteil ihres Unternehmens an Investoren<br />
abgeben.<br />
Insbesondere Geschäftsmodelle, bei denen Produkte vorfinanziert<br />
werden müssen, erfordern viel Kapital. So ist es auch<br />
den Gründern von Ergobag ergangen. Deren Geschäftsidee<br />
war so simpel wie einleuchtend: die Entwicklung und der<br />
Vertrieb von ergonomischen Schultaschen. Die gab es bis<br />
zum Start von Ergobag im Jahr 2010 nicht. Während Bergsteiger<br />
schon längst gesundes Gepäck auf ihrem Rücken trugen,<br />
ächzten Kinder noch unter herkömmlichen Tornistern.<br />
Auch in diesem Gründerteam war der Wille zur Unternehmensgründung<br />
zuerst da: „Wir haben vorher immer wieder<br />
darüber gesprochen, uns gemeinsam selbstständig zu<br />
machen, wir waren auf Sendung“, sagt Mitgründer Sven-<br />
Oliver Pink. Die Idee zu den ergonomischen Schultaschen<br />
entstand auf einer Party; einen Bezug zum Produkt gab es<br />
nicht: „Wir hatten keine Kinder und waren auch nicht unbedingt<br />
die besten Schüler“. Die mittlerweile zwecks Familiengründung<br />
ausgestiegene Miterfinderin Melanie Gabriel<br />
absolvierte damals ihren Master of Science in Physiotherapie<br />
und arbeitete als wissenschaftliche Mitarbeiterin an<br />
der Universitätsklinik in Marburg. Sie entwickelte das Produkt.<br />
Der Wirtschaftswissenschaftler Florian Michajlezko<br />
und Diplom-Kaufmann Sven-Oliver Pink kümmerten sich<br />
um den Business-Plan.<br />
Hilfe holen – ein Merkmal<br />
erfolgreicher Gründer<br />
Sie holten sich, auch ein Merkmal erfolgreicher Gründer,<br />
Hilfe von allen Seiten. Denn sie hatten weder Ahnung von<br />
Handel noch von Fertigung. Die Entrepreneure besuchten<br />
also zig Veranstaltungen, beschafften Unterstützung von<br />
staatlichen Förderprogrammen und Uni-Initiativen, erhielten<br />
ein Gründerstipendium und lernten immer mehr Hilfreiche<br />
kennen, darunter einen Designer von Jack Wolfskin, eine<br />
Einkaufsgenossenschaft, einen Finanzprofi der BASF AG<br />
und deren Aufsichtsratschef Dr. Jürgen Hambrecht.<br />
Letztgenannter erwies sich als Glücksfall: Er beteiligte sich<br />
mit 25 Prozent an Ergobag und schoss bei Bedarf immer<br />
wieder Geld zu günstigen Konditionen nach. Als Ergobag<br />
gut lief, verkaufte Hamprecht seine Anteile an die Gründer<br />
zurück, sodass sie heute komplett eigenfinanziert sind.<br />
Nur gut sechs Jahre nach dem Start vereinen sie heute unter<br />
der Dachmarke F.O. Bags sechs Marken. Sie erzielen im<br />
laufenden Geschäftsjahr voraussichtlich 45 Millionen Euro<br />
Umsatz. Mittlerweile bieten sämtliche Anbieter von Schultaschen<br />
ergonomische Modelle an.<br />
Sven-Oliver Pink sagt rückblickend: „Gerade im ersten Jahr<br />
war es ein extremes Auf und Ab. Oft habe ich gedacht: Jetzt<br />
sind wir pleite. Jetzt ist das Leben vorbei. Aber eigentlich hat<br />
es zu jeder Zeit auch Spaß gemacht und immer eine große<br />
Dynamik gehabt.“ Und er resümiert: „Man muss einmal anfangen,<br />
Mut haben und darf nicht aufhören. Und man muss<br />
das Vertrauen haben, dass sich immer eine Lösung findet.“ ~<br />
28 29<br />
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MENSCH & UNTERNEHMEN<br />
MENSCH & UNTERNEHMEN<br />
MUSTERTEXT<br />
Verlorene Innovationskraft?<br />
<strong>return</strong> kontrovers: Diskurs und Debatte<br />
Den offenen Meinungsaustausch wünschen sich die Medienmacher<br />
dieses Magazins für Unternehmensführung und<br />
Sanierung unter dem Titel „<strong>return</strong> kontrovers“. Diskurs und<br />
Debatte drehen sich jeweils um strittige Fragen mit aktuellem<br />
Bezug. Leser-Wünsche sind willkommen.<br />
Die Redaktion übernimmt dabei sachlich-fachlich die Einführung<br />
ins Thema, hier nachfolgend beginnend unter der<br />
Zwischenüberschrift „Gutachter sehen KMU nur noch im<br />
Mittelmaß“ und sammelt darüber hinaus diverse Stimmen<br />
und kontroverse Stellungnahmen in vielfältiger Form. In<br />
diesem Fall der „Standpunkt“ auf der gegenüberliegenden<br />
Seite und das Pro & Kontra auf den Seiten 32 und 33. Weitere<br />
Meinungsformen sind denkbar – erlaubt ist alles, was der<br />
Aufklärung, Orientierung und Meinungsbildung dient. Anregungen<br />
und Leserbriefe an: redaktion@<strong>return</strong>-online.de<br />
Standpunkt<br />
Helmut Ahr,<br />
Mitglied des Vorstands der Managementberatung<br />
Horváth & Partners<br />
Pro & Kontra<br />
Dietmar Harhoff,<br />
Direktor am Max-Planck-Institut für Innovation<br />
und Wettbewerb<br />
versus<br />
Nikolaus Franke,<br />
Professor der Wirtschaftsuniversität Wien<br />
Gutachter sehen KMU<br />
nur noch im Mittelmaß<br />
Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) gelten als starkes<br />
Rückgrat der deutschen Wirtschaft. In Begründungen wird<br />
vor allem auf die große Bedeutung für Beschäftigung und für<br />
Innovationen hingewiesen. Nach dem jüngsten Gutachten<br />
der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI)<br />
zeigen sich KMU in ihrer „Innovationsleistung jedoch heterogen“,<br />
in „Innovationsintensität und Innovationsausgaben<br />
im internationalen Vergleich gering“ und erreichen in „Patentintensität“<br />
und „Umsatzanteil mit neuen Produkten“ im<br />
europäischen Vergleich nur einen Platz im Mittelfeld. Die<br />
„am weitesten verbreiteten“ Hemmnisse: zu hohe Innovationskosten<br />
und zu hohe wirtschaftliche Risiken gefolgt von<br />
Fachkräfte-Mangel und fehlenden internen Finanzierungsquellen.<br />
Verbesserte Förderung und<br />
Wagniskapital-Bedingungen<br />
Die EFI-Gutachter beraten die Bundesregierung wissenschaftlich<br />
zu Fragen der Forschungs- und Innovationspolitik.<br />
In ihrem Gutachten weisen sie unter „Kernthemen<br />
<strong>2016</strong>“ darauf hin, dass in anderen Ländern neben direkten<br />
Förderungen auch steuerliche FuE-Förderungen bestehen.<br />
Dort sei der Anteil der aus staatlichen Quellen finanzierten<br />
FuE-<strong>Ausgabe</strong>n von KMU „wesentlich höher als in Deutschland“,<br />
wo es keine steuerlichen Anreize dafür gebe. Die Expertenkommission<br />
empfiehlt unter anderem, die bisherigen<br />
Instrumente um steuerliche Vorteile für KMU-Belange im<br />
FuE-Bereich zu ergänzen. Deutschland müsse zudem „Anstrengungen<br />
unternehmen, um dem Rückgang der Gründungsraten<br />
entgegenzuwirken“ – auch durch Gründer aus<br />
dem Ausland. Die private Finanzierung von Unternehmensgründungen<br />
müsse erleichtert werden. Die Bedingungen für<br />
Wagniskapital und damit die Finanzierungsmöglichkeit für<br />
innovative Unternehmen seien zu verbessern. KMU-Förderprogramme<br />
müssten „nach aktuellen wissenschaftlichen<br />
Standards evaluiert werden“.<br />
Rückläufige Aktivitäten,<br />
Defizite in der Robotik<br />
Auch das vorliegende „Gutachten zu Forschung, Innovation<br />
und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands“ konstatiert<br />
wie schon jenes aus dem Vorjahr, dass die „Innovations-<br />
und Forschungsaktivitäten in den letzten zehn Jahren<br />
rückläufig gewesen“ seien. In ihrer Untersuchung beleuchten<br />
die Wissenschaftler wieder die aktuelle Rolle von Digitalisierung<br />
und Vernetzung, diesmal insbesondere der Robotik<br />
als Schlüsseltechnologie. Ergebnis: Deutschland sei im internationalen<br />
Vergleich beim industriellen Roboter-Einsatz<br />
derzeit zwar „noch gut aufgestellt“, bei der schnell wachsenden<br />
Service-Robotik gebe es „aber Defizite“ in Forschung<br />
und Innovation. Die Experten raten der Bundesregierung<br />
zur Entwicklung einer „expliziten Roboterstrategie“ und zu<br />
einer Aufwertung des Themas an Hochschulen und in der<br />
Aus- und Fortbildung. ~<br />
„Systematische Steuerung<br />
der Innovationsarbeit“<br />
Standpunkt<br />
„Aus meiner Sicht läuft der Mittelstand in der D-A-CH-Region Gefahr, seine bislang überragende Innovationskraft<br />
peu à peu einzubüßen. Viele Mittelständler sind exzellent darin, in bestehenden Geschäftsmodellen innovative Produkte<br />
zu entwickeln. Mit der Digitalisierung entstehen aber zunehmend radikale, disruptive Innovationen, die das Potenzial<br />
haben, Märkte gänzlich neu zu ordnen. Unternehmen müssen die Fähigkeit entwickeln, derartige Innovationen<br />
entweder selbst hervorzubringen oder diese frühzeitig zu erkennen und darauf strategisch zu reagieren. Verbesserungspotenzial<br />
sehe ich insbesondere in der systematischen Steuerung der Innovationsarbeit.“<br />
Helmut Ahr, Mitglied des Vorstands der Managementberatung Horváth & Partners, ist unter anderem für Innovation<br />
zuständig und berät im Schwerpunkt in strategischer und operativer Unternehmenssteuerung.<br />
Foto: Horváth & Partners<br />
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MENSCH & UNTERNEHMEN<br />
MENSCH & UNTERNEHMEN<br />
Mittelstand nur im Mittelfeld<br />
Engpässe bei Fachkräften und Innovationsfinanzierung<br />
Mittelstand ist innovativ<br />
Inhaber treiben als Motor neue Projekte in Unternehmen<br />
Dietmar Harhoff, Direktor am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb:<br />
Nikolaus Franke, Professor der Wirtschaftsuniversität Wien:<br />
Der Mittelstand wird gemeinhin als eine der besonderen<br />
Stärken der deutschen Volkswirtschaft charakterisiert.<br />
Dabei wird vor allem auf seine große Bedeutung für Beschäftigung<br />
und Innovation verwiesen. Besonders hervorgehoben<br />
wird regelmäßig die Rolle der sogenannten Hidden Champions.<br />
Diese machen jedoch nur einen kleinen Teil des Mittelstands<br />
aus. Die Gesamtgruppe des Mittelstands ist in ihrer<br />
Innovationsleistung heterogen.<br />
Im Vergleich zum Ausland zeigt sich, dass die durchschnittlichen<br />
Innovationsausgaben von kleinen und mittleren Unternehmen<br />
(KMU) in Deutschland geringer sind als in wichtigen<br />
europäischen Vergleichsländern. Patentaktivitäten und<br />
Innovationserfolge weisen im europäischen Vergleich ein gemischtes<br />
Bild auf: Während deutsche KMU bei der Häufigkeit<br />
der Produkt- oder Prozessinnovationen führen, erreichen<br />
sie bezüglich der Patentintensität und des Umsatzanteils mit<br />
neuen Produkten nur einen Platz im Mittelfeld.<br />
Die Expertenkommission Forschung und Innovation ist in<br />
Sorge, dass ein großer Teil des Mittelstands die Relevanz des<br />
digitalen Wandels unterschätzt. Die Bedeutung innovativer<br />
Geschäftsmodelle, die auf software- und internetbasierten<br />
Technologien aufbauen, hat sehr stark zugenommen und<br />
wird weiter deutlich zunehmen. Bei Unternehmen, die diese<br />
Entwicklung nicht aufgreifen, besteht die Gefahr, dass sie<br />
ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Besonders wichtige digitale<br />
Technologien sind Big Data und Cloud Computing,<br />
da beide Technologien die bestehenden Technologien, Produkte<br />
oder Dienstleistungen verdrängen. KMU nutzen Big<br />
Data und Cloud Computing seltener als große Unterneh-<br />
Foto: David Ausserhofer<br />
men. Deutsche Unternehmen zählen hier im internationalen<br />
Vergleich ohnehin nicht zur Spitzengruppe. Daher sollte die<br />
Innovationspolitik unterstützen, neue Wertschöpfungspotenziale<br />
in der internetbasierten Wirtschaft zu erschließen und<br />
hier Schwächen auszugleichen. Des Weiteren sollte die Innovationspolitik<br />
an weit verbreiteten Innovationshemmnissen<br />
ansetzen. Hierzu zählen der zunehmende Mangel an Fachkräften<br />
und der Mangel an internen Finanzierungsquellen.<br />
Durch diese Innovationshemmnisse liegt vorhandenes Innovationspotenzial<br />
von KMU in Deutschland brach.<br />
Innovationshemmnisse<br />
abbauen<br />
Der zunehmende Fachkräftemangel hat seine Ursache in der<br />
demografischen Entwicklung und der Wissensintensivierung<br />
der Wirtschaft. Er stellt mittlerweile für rund ein Drittel der<br />
innovationsaktiven KMU ein Innovationshemmnis dar. Politik,<br />
Kammern und Verbände sollten ihre Unterstützungsmaßnahmen<br />
für KMU, die ausländische Fachkräfte rekrutieren,<br />
intensivieren und eine Informationskampagne starten.<br />
Auch der Mangel an internen Finanzierungsquellen behindert<br />
die Innovationsaktivitäten von fast einem Drittel der innovationsaktiven<br />
KMU. Hierzulande werden nur 14 Prozent<br />
der <strong>Ausgabe</strong>n für Forschung und Entwicklung (FuE) von<br />
KMU aus staatlichen Quellen finanziert. In den meisten Vergleichsländern,<br />
die neben der direkten Förderung auch über<br />
eine steuerliche FuE-Förderung verfügen, ist dieser Anteil<br />
mehr als doppelt so hoch. Bei dieser Förderung wird den Unternehmen<br />
eine Steuergutschrift proportional zur Höhe ihrer<br />
FuE-<strong>Ausgabe</strong>n gewährt. Das Instrument steht Unternehmen<br />
in den meisten OECD-Ländern zur Verfügung, Deutschland<br />
jedoch macht noch keinen Gebrauch. Die Förderinstrumente<br />
sollten durch die Einführung einer steuerlichen FuE-Förderung<br />
unter besonderer Beachtung der KMU-Belange ergänzt<br />
werden. Zudem sollte die Politik die Rahmenbedingungen<br />
für Wagniskapitel und damit die Finanzierungsmöglichkeiten<br />
für innovative Unternehmensgründungen verbessern. ~<br />
Der Autor ist Vorsitzender der Expertenkommission Forschung und Innovation<br />
(EFI), die für die Bundesregierung wissenschaftliche Politikberatung<br />
zu Fragen der Forschungs- und Innovationspolitik leistet. Er ist<br />
Direktor am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb.<br />
Die ideologischen Antipoden Joseph Schumpeter und<br />
Karl Marx eint eine historische Fehlprognose: beide<br />
glaubten an das baldige Ende des Mittelstands. „The capitalist<br />
process unavoidably attacks the economic standing<br />
ground of the small producer“, schrieb der Entdecker des<br />
Prinzips der schöpferischen Zerstörung. Und „Die Konkurrenz<br />
(…) endet stets mit Untergang vieler kleinerer Kapitalisten”,<br />
ergänzte der Urvater des Kommunismus.<br />
Heute, Jahrzehnte nach diesen düsteren Prognosen, ist ihr<br />
Irrtum evident. Der Mittelstand existiert nicht nur weiterhin,<br />
sondern ist kerngesund und nimmt an Bedeutung<br />
sogar weiter zu. Für den Erfolg des Mittelstands gibt es<br />
zahlreiche Gründe. Einer der wichtigsten ist, dass kleine<br />
und wendige Unternehmen im heute besonders wichtigen<br />
Wettbewerbsfaktor Innovation entscheidende Vorteile gegenüber<br />
Großunternehmen haben. Ihre geringere Unternehmensgröße<br />
begünstigt schnelle Reaktionen auf neue<br />
Trends und disruptive Veränderungen. In einer flachen<br />
Organisationstruktur ist die Kommunikation direkt und<br />
informell. Und für Innovationserfolge ist entscheidend,<br />
dass man eine sich bietende Gelegenheit schnell nutzt und<br />
nicht in endlosen Gremiensitzungen, Strategiemeetings<br />
und Lenkungsausschüssen zu einem faulen Kompromiss<br />
zerredet – Alltag in Großunternehmen. Eine entscheidende<br />
Rolle im mittelständischen Innovationsmanagement<br />
nimmt aber die Unternehmerpersönlichkeit ein. Der Unternehmer<br />
hat im Mittelstand einen weitaus größeren Einfluss<br />
auf das tatsächliche Unternehmensgeschehen als Manager<br />
in Großunternehmen. Er kennt Prozesse, Personen,<br />
Foto: Stephan Huger<br />
Technologie und Markt. Glaubt er an ein Innovationsprojekt,<br />
dann kann er als „Machtpromotor“ innerbetriebliche<br />
Widerstände schnell und effektiv überwinden.<br />
Beeindruckende Energie<br />
und Kreativität<br />
Als wissenschaftlicher Leiter des größten deutschen Innovationswettbewerbs<br />
im Mittelstand (TOP 100) habe ich seit<br />
15 Jahren genaue Einblicke in deren Strukturen, Strategien<br />
und Leistungen. Und Jahr für Jahr bin ich beeindruckt, mit<br />
welcher Energie und welcher Kreativität sich diese Unternehmen<br />
permanent neu erfinden. Es ist keine Seltenheit,<br />
wenn hier 30 Prozent des Umsatzes in Forschung und Entwicklung<br />
fließen und 80 Prozent des Umsatzes und Gewinns<br />
mit Innovationen der letzten drei Jahre gemacht werden. Die<br />
innovativsten Großunternehmen der Welt wären stolz, wenn<br />
sie diese Werte auch nur annähernd erreichen würden. Viele<br />
der TOP 100 Unternehmen treiben die Entwicklung von<br />
Spitzentechnologien, sind Weltmarktführer in ihren Bereichen,<br />
führen disruptive Innovationen ein und schaffen mit<br />
ihrer konsequenten Innovationsorientierung Arbeitsplätze<br />
und Wohlstand.<br />
Trotzdem unterschätzen viele Menschen die Innovationsleistung<br />
des Mittelstands. Dies hat systematische Gründe.<br />
Zunächst bieten Mittelständler häufig Investitionsgüter an.<br />
Man kann sie nicht im Supermarkt kaufen, vielen Menschen<br />
sind ihre Produkte fremd und abstrakt. Auch in den Medien<br />
spielen sie eine weitaus kleinere Rolle, als ihrer Bedeutung<br />
entspricht. Und schließlich ist die klassische Tugend der<br />
Bescheidenheit hier noch sehr stark verankert. Vielleicht zu<br />
sehr? Der typische Mittelständler schätzt Understatement<br />
und konzentriert sich auf die „eigentliche“ Arbeit. Die Konsequenz<br />
ist, dass seine Innovationsleistungen und -potenziale<br />
oft nicht bekannt sind. Aus meiner Sicht ist das bedauerlich.<br />
Dürfte ich mir etwas wünschen, dann wäre dies, dass der innovative<br />
Mittelstand seine Innovationskraft auch auf seine<br />
Unternehmenskommunikation ausdehnt. Nur dann wird er<br />
die Anerkennung bekommen, die er verdient. ~<br />
Der Autor forscht und lehrt in Österreich am Institut für Entrepreneurship<br />
und Innovation. Er fungiert in Deutschland als wissenschaftlicher Leiter<br />
des Wettbewerbs „Top 100“.<br />
32 33<br />
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MUSTERTEXT<br />
MUSTERTEXT<br />
www.brandeins.de<br />
Anstieg des Umsatzes der amerikanischen Seafood-Kette<br />
Red Lobster innerhalb von drei Tagen, nachdem die Sängerin<br />
Beyoncé ein Lied veröffentlichte, indem sie angab, nach dem<br />
Sex dort essen zu gehen, in Prozent: 33<br />
913<br />
Weitaus mehr als nur Zahlen<br />
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SCHWERPUNKT<br />
SCHWERPUNKT<br />
Zukunft<br />
im Blick?<br />
Gezielte Vorschau mit Vorstellungen<br />
vom Morgen, systematisches Abstimmen<br />
von Strategie und Geschäftsmodell,<br />
rechtzeitiges Vorantreiben geeigneter<br />
Innovationen: Die nachfolgenden rund<br />
30 Seiten handeln von Vorreitern im<br />
fortschrittlichen Unternehmertum.<br />
Schwerpunkt<br />
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SCHWERPUNKT<br />
SCHWERPUNKT<br />
Wort folgt Tat<br />
Von der Schwierigkeit, Innovationen praktisch umzusetzen<br />
Selten sind Organisationen so schlau und fähig wie die<br />
Summe der beteiligten Akteure. Und genau das macht<br />
sie so spannend. Es ist ähnlich wie beim Fußball: England<br />
hat zwar die besseren Einzelspieler, aber Island gewinnt.<br />
Was ist der Grund, und warum kann die exakt gleiche Idee<br />
in der einen Organisation eine Revolution bewirken, während<br />
sie in einer anderen als Generve abgetan wird?<br />
Vor einiger Zeit war ich Berater eines großen Herstellers von<br />
Hausgeräten. Es ging um den Haushalt, vor allem um dessen<br />
Zukunft. Das war 2005, Kaffeefiltermaschinen waren das<br />
Maß der Dinge. Kaffeevollautomaten, die Kaffee aus frisch<br />
gemahlenen Bohnen brühen, gab es damals nur in Bars und<br />
Restaurants. In dem Workshop kam nun die Idee auf, einen<br />
Kaffeeautomaten für den Privathaushalt zu entwickeln. Die<br />
Workshop-Teilnehmer waren begeistert – das wäre eine echte<br />
Innovation. Aber das Projekt wurde nicht angepackt. Ein<br />
Jahr später kam ein Konkurrent, die Firma Saeco, mit so<br />
einer Maschine auf den<br />
Markt. Und wurde Weltmarktführer.<br />
Warum hat<br />
es bei der einen Firma<br />
gezündet und bei der<br />
anderen nicht? Grundbausteine<br />
der Veränderung<br />
sind Wort und Tat.<br />
Die Zukunftsforschung<br />
ist per se Wort: Es geht<br />
um Gedanken, Visionen,<br />
Pläne. Erst wenn ich diese<br />
umsetze, materialisieren<br />
sie sich, ermöglichen<br />
Teamwork zwischen Mensch und<br />
Roboter hier mit dem „LBR iiwa“.<br />
Foto: KUKA Aktiengesellschaft<br />
ein Ergebnis. Aber der<br />
Übergang zum Handeln<br />
ist schwierig. Oft liegt in<br />
der Praxis viel zu sehr der<br />
Schwerpunkt auf dem<br />
Wort: Paralyse durch Analyse. Man begutachtet und bewertet<br />
das Geschriebene. Aber es passiert – nichts.<br />
Wer passiv bleibt, muss sich mit dem abfinden, was geschieht.<br />
Wer sich hingegen nicht gern überraschen lässt,<br />
muss selbst die Initiative ergreifen. Allerdings geht, wenn<br />
man die Zukunftsforschung abgeschlossen hat, die Arbeit<br />
erst richtig los. Das vergessen die meisten. Handlungsdruck<br />
ist erst da, wenn es ein Problem gibt. Deshalb ist Lernen vor<br />
Text: Ulf Pillkahn, Mitarbeit: Christine Mattauch<br />
der Krise viel schwieriger als nach der Krise. Im Unternehmen<br />
kann Zukunftsforschung in verschiedenen Bereichen<br />
zu Ergebnissen führen. Am einfachsten funktioniert es im<br />
Marketing: Da werden grandiose Präsentationen angefertigt,<br />
womöglich wird eigens ein Künstler angeheuert. Man geht<br />
damit auf eine Messe oder auf eine Konferenz, die Kunden<br />
sind beeindruckt, manchmal wollen sie die Vision auch<br />
gleich kaufen, was unbequem ist, weil man dann eingestehen<br />
muss, dass es das so noch nicht gibt.<br />
Ideen entstehen<br />
automatisch<br />
Der zweite Bereich ist Innovation. Wenn man über Zukunft<br />
nachdenkt, entstehen automatisch Ideen. An die muss dann<br />
aber im Unternehmen jemand glauben. Bei dem Hausgerätehersteller,<br />
den ich eingangs beschrieb, konnte sich der<br />
Chef des Unternehmens nicht vorstellen, dass es für diesen<br />
Kaffeeautomaten einen Markt geben könnte. Also ist die<br />
Idee gestorben. Alle Zukunftsforschung bringt nichts, wenn<br />
es im Unternehmen keine Leute gibt, die an eine Vision<br />
glauben und über die erforderlichen Ressourcen verfügen.<br />
Siemens entwickelte 2001 das „SimPad“. Das ist in Vergessenheit<br />
geraten. Aber alle kennen das iPad, das 2010 auf den<br />
Markt kam. Von Kleinigkeiten abgesehen, kam Siemens also<br />
neun Jahre früher auf die gleiche Idee, trotzdem wurde es<br />
ein Flop. Warum? Weil das Management nur halbherzig<br />
an das SimPad-Projekt glaubte, was sich unter anderem im<br />
geringen Budget ausdrückte. Wer innerhalb einer großen<br />
Organisation etwas Neues wagen will, muss um Ressourcen<br />
kämpfen, um Freiräume, um Mitarbeiter. Diese Verhandlung<br />
raubt Unternehmen unendlich viel Kraft. In kleinen Unternehmen<br />
sind die Wege kürzer. Wenn es einem Mitarbeiter<br />
gelingt, den Chef von einer Vision zu überzeugen, oder wenn<br />
es der Chef selbst ist, der die Impulse gibt, kann das ähnlich<br />
produktiv sein wie bei Apple. Steve Jobs musste sich nicht<br />
arrangieren. Er musste auch zu niemandem nett sein, um sich<br />
ein Budget für sein Projekt zu sichern. Die Frage ist doch, wie<br />
Innovationen entstehen. Ein Weg ist, dass jemand regelrecht<br />
besessen ist von einer Idee. Das sind die Gutenbergs, Edisons<br />
und Jobs dieser Welt. Der andere Weg ist der systematische:<br />
Innovations-, Ideen- und Kreativitätsmanagement. Es gibt<br />
Handbücher und Pläne, wie man es angeblich zu machen hat,<br />
aber die Erfolge sind dürftig. Siemens Healthcare hat einmal<br />
Künstliche Ameisen zeigen, wie sie kommunizieren und als vernetztes Gesamtsystem komplexe Aufgaben lösen.<br />
im eigenen Haus untersucht, wie Neuheiten entstehen. Vor<br />
allem weil es Tüftler und Querdenker gab, bei deren Arbeit<br />
die Innovation sozusagen als Nebenprodukt anfiel. Und das<br />
ist die dritte Komponente der Innovation: der Zufall. Er hat<br />
bei vielen bahnbrechenden Entwicklungen eine Rolle gespielt,<br />
sei es bei der Entdeckung des Penizillins oder der Entwicklung<br />
von Teflon.<br />
Wie geht das? Dem Zufall eine Chance geben? Google zum<br />
Beispiel lenkt 70 Prozent seiner Forschungs- und Entwicklungsausgaben<br />
in die Suchmaschine, das ist ihre Cashcow.<br />
20 Prozent gehen in Randbereiche wie Google Docs, die<br />
Traffic generieren. Aber zehn Prozent gehen in Aktivitäten,<br />
bei denen die Manager Neuland betreten. Da wollen sie lernen.<br />
Diese Haltung fehlt vielen Unternehmen.<br />
Echte Chance<br />
für den Zufall<br />
Oder nehmen wir Hyperloop, den superschnellen Zug, den<br />
ein besessener Innovator zwischen San Francisco und Los<br />
Angeles bauen will. Für die technische Lösung wurde im vergangenen<br />
Jahr ein Open-Source-Wettbewerb ausgeschrieben.<br />
Teams aus aller Welt konnten sich bewerben. Die Texas<br />
A&M University sichtete die Bewerbungen. Soweit die Systematik.<br />
Jetzt wetteifern 22 Teams miteinander, bauen Prototypen.<br />
Da hat der Zufall eine echte Chance.<br />
Zurück zur Zukunftsforschung. Sie ist auch wichtig für die<br />
Strategie. Warum mache ich denn Prognosen und entwerfe<br />
Szenarien? Damit ich schneller auf Veränderungen reagieren<br />
oder sie sogar vorwegnehmen kann. Ohne Zukunftsbetrachtung<br />
muss mein Unternehmen theoretisch so flexibel sein,<br />
dass es jede Veränderung rasend schnell aufnehmen kann.<br />
Das ist allerdings selten der Fall. Organisationen sind träge.<br />
Spätestens wenn die Unsicherheiten zunehmen, wenn Veränderung<br />
in der Luft liegt – dann ist es Zeit, das Umfeld zu<br />
analysieren und die eigene Position zu hinterfragen. Und das<br />
regelmäßig ein- oder zweimal im Jahr. Wenn dabei herauskommt,<br />
es passt alles, der Markt ist stabil, wir sind auf einem<br />
guten Weg – wunderbar. Wenn man aber feststellt, der Markt<br />
ist im Umbruch, unsere Position verschlechtert sich, wird es<br />
höchste Zeit, sich Gedanken über Szenarien zu machen. Sie<br />
sollten gleichwertig und gleich wahrscheinlich sein. Es ist<br />
nicht die Frage, ob sie einem gefallen. Szenarien sind Denkübungen.<br />
Sie verhindern, dass man überrascht wird.<br />
Ich habe lange vor der Nuklearkatastrophe in Fukushima einen<br />
Workshop mit einem Energieversorger gemacht, in dem<br />
wir vier Szenarien entwickeln wollten. Eines davon war, dass<br />
Atomenergie von der Bevölkerung nicht mehr akzeptiert<br />
wird. Der Vorstandsvorsitzende hat das nicht zugelassen. Jetzt<br />
hat der Konzern durch die Energiewende riesige Probleme.<br />
Shell – Pionier der<br />
Szenario-Technik<br />
Ein Gegenbeispiel ist Shell, ein Pionier der Szenario-Technik.<br />
Das Unternehmen war damit schon in den 1970er-<br />
Jahren extrem erfolgreich. Damals erhöhten sich Nachfrage<br />
und Ölförderung jedes Jahr. Alle gingen davon aus, dass das<br />
so bleiben würde. Shell jedoch entwickelte ein alternatives<br />
Szenario und ergänzte seine Verträge mit Speditionen um<br />
ein Sonderkündigungsrecht bei veränderter Marktlage. Als<br />
die OPEC die Fördermenge drosselte, der Ölpreis stieg und<br />
die Nachfrage einbrach, hatte der Konzern einen enormen<br />
Wettbewerbsvorteil. In Deutschland begeistern mich Automatisierungsspezialisten<br />
wie Festo oder Kuka. Auch ein<br />
handfester Mittelständler wie die Maschinenfabrik Reinhausen<br />
bei Regensburg hat den Mut, einfach mal ein Projekt<br />
zu machen und zu fragen: Was ändert sich? Stimmt unser<br />
Geschäftsmodell noch? Welche Innovationen brauchen wir?<br />
Und damit das dann nicht einfach liegen bleibt, gehört ein<br />
Action Plan dazu: kurz-, mittel- und langfristige Aktivitäten,<br />
gestaffelt nach Prioritäten. Anfangen, sonst ist der<br />
Schwung raus. Aber nicht das ganze Unternehmen lahmlegen,<br />
lieber kontinuierlich etwas ändern. Die Tat anschließen<br />
an das Wort. Darin liegt das ganze Geheimnis. Es klingt so<br />
einfach und ist doch so schwer zu machen. ~<br />
Der Autor ist Professor für Innovations- und<br />
Technologiemanagement, schrieb Bücher wie<br />
„Innovation zwischen Planung und Zufall“ und<br />
war zuvor mehr als 20 Jahre bei der Siemens AG<br />
unter anderem als Leiter Trend-Monitoring für<br />
Strategie, Innovation und Foresight zuständig.<br />
Foto: Festo AG & Co. KG<br />
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SCHWERPUNKT<br />
SCHWERPUNKT<br />
„Freiräume geben –<br />
Fehler akzeptieren“<br />
3M gilt als eines der innovativsten Unternehmen der Welt. Wie die Führung den Ideenreichtum<br />
fördert, erklärt Geschäftsführer Dr. Joerg Dederichs.<br />
Text: Thorsten Garber<br />
Dr. Joerg Dederichs verantwortet bei 3M für Deutschland, Österreich und die Schweiz seit 2015 die<br />
„Industrial Business Group“, größter Geschäftsbereich des Unternehmens mit Produktgruppen wie<br />
Industrie-Klebebänder und Klebstoffe, Schleif- und Poliersysteme oder Filtrationssysteme. Er begann<br />
seine Karriere vor fast 20 Jahren im US-Multitechnologiekonzern und gehört seit 2007 als Mitglied zur<br />
Geschäftsleitung. Er führte schon das „Health Care“-Geschäft und war auch Personalchef. Die Hochschule<br />
Niederrhein ernannte ihn 2015 zum Honorarprofessor am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften,<br />
wo er einen Lehrauftrag im MBA-Studiengang „Management“ wahrnimmt.<br />
Foto: Bernd Hegert<br />
Herr Dr. Dederichs, 3M war zwar europaweit mehrfach<br />
bestes Unternehmen in der Technologiefrüherkennung,<br />
aber waren echte Durchbruchsinnovationen dabei?<br />
Joerg Dederichs: Ja, häufiger. (lacht) Aber das sind selten<br />
spektakuläre Erfindungen für<br />
die Tagesschau. Wir haben den<br />
Markt für Schleifmittel mehrfach<br />
revolutioniert. Zum Teil<br />
ist dadurch die Produktivität<br />
unserer Kunden um 50 Prozent<br />
gestiegen. Unser Schleifkorn<br />
Cubitron II ähnelt einem Dreieck,<br />
dass beim Arbeitsprozess<br />
bricht und ein neues Dreieck<br />
entstehen lässt. Solche Entwicklungen<br />
sind extrem wichtig<br />
und nur mit eigenem Manufacturing<br />
so innovativ voranzutreiben.<br />
Wir leiten beim Schleifen<br />
demnächst die nächste Revolution ein.<br />
Wie hoch ist heute Ihre Quote verkaufter Neuprodukte<br />
am Umsatz, die jünger als drei Jahre sind?<br />
Jünger als fünf Jahre sind 35 bis 38 Prozent, wir wollen 40<br />
Prozent erreichen. Das ist nur ein Aspekt, um Innovationskraft<br />
zu bewerten. Die Zahl der Launches neuer Produkte<br />
erachte ich ebenfalls für wichtig. Für jedes Geschäftsfeld<br />
ist zudem eine gesunde Verteilung als „Health of Pipeline“<br />
überaus relevant, um über Diversität die Zukunft zu sichern.<br />
Nicht nur für das Dach des Olympiastadions in Kiew kamen mit<br />
robustem 3M-Werkstoff beschichtete Membranen zum Einsatz.<br />
Die FuE-Aufwendungen im vergangenen Jahr beziffert<br />
3M auf rund 1,8 Milliarden US-Dollar. Steht der Aufwand<br />
zum Ertrag in gutem Verhältnis?<br />
Ach, wissen Sie, es gibt immer mal Projekte, die nicht funktionieren.<br />
Auch wir müssen aufgeben, wenn wir nach fünf Jahren<br />
keine Lösung für ein Problem gefunden haben. Das können<br />
technologische oder marktbedingte Gründe sein. Es passiert,<br />
aber bei uns selten, weil 3M jeweils einen guten Prozess verfolgt.<br />
Mit fällt es zudem schwer, einen proportionalen Zusammenhang<br />
zu den 1,8 Milliarden Dollar herzustellen. Generell<br />
gibt es keine feste Korrelation zwischen FuE-Investition und<br />
Innovationserfolg. Auch bei den erfindungsreichsten Unternehmen<br />
der Welt nicht. Microsoft investiert unheimlich<br />
viel, aber nach meiner Beobachtung<br />
kommt dabei wenig heraus.<br />
Gleichwohl ist Microsoft erfolgreich,<br />
weil Produkte wie Windows<br />
eine hohe Durchdringung<br />
im Markt haben.<br />
Foto: 3M<br />
Von den jährlich mehr als 1.000<br />
Produkten, die 3M neu auf den<br />
Markt bringt, entwickeln sich<br />
wie viele zum Flop?<br />
Das kann ich nicht sagen, weil<br />
dazu auch erst ein Flop definiert<br />
werden müsste. Vom Markt<br />
nehmen wir ein Produkt so gut<br />
wie nie. Der Begriff greift wohl auch eher bei Fast Moving<br />
Consumer Goods (FMCG), also Verbrauchsgüter des täglichen<br />
Bedarfs. Ich schätze die Zahl unserer erfolgreichen<br />
Innovationen sicher auf mehr als 80 Prozent.<br />
Die ehemaligen Henkel-Manager Tina Müller und<br />
Hans-Willi Schroiff kritisieren in ihrem Buch „Warum<br />
Produkte floppen“ die hohe Ausfallquote bei sechs von<br />
zehn Neuheiten und zählen zu kurze Entwicklungszeiten<br />
zu den Todsünden. Sehen Sie Druck auch als Killer?<br />
Bei Henkel und bei Schnelldrehern mag der Wert passen,<br />
aber für 3M kann ich die Zahl nicht im Ansatz bestätigen.<br />
Wir würden eher Produkt-Launches verschieben, als mit einem<br />
neuen Produkt nicht zur richtigen Zeit auf den Markt<br />
zu kommen. Ihre Frage nach dem Zeitdruck kann ich also<br />
für uns nur verneinen.<br />
Forscher und Entwickler dürfen in Ihrem Unternehmen<br />
15 Prozent ihrer Arbeitszeit frei nutzen. Wie fällt die Erfolgsquote<br />
in Quantität und Qualität aus?<br />
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SCHWERPUNKT<br />
SCHWERPUNKT<br />
Wir messen es nicht, sondern dies ist uns kulturell wichtig.<br />
Sie können sogar Teams bilden und Mittel aus einem eigens<br />
eingerichteten Fonds für Equipment anfordern. Wir wissen<br />
allerdings, wie viele Erfindungen mit welchem Anteil auf<br />
unsere Ergebnisse wirken – und da ergeben die 15 Prozent<br />
Freiheit gute Werte. Unser Dauerbrenner Post-it ist ja zum<br />
Beispiel so entstanden. Unserem Forscher Art Frey sind aus<br />
seinem Gesangsbuch immer die Zettel herausgefallen, so dass<br />
er auf die Idee kam, die gelben Erinnerungsmarken mit Klebstoff<br />
zu entwickeln. Nur hat 3M immer mehr Ideen als Ressourcen,<br />
sodass sein Vorschlag es nicht durchs Priorisierungs-<br />
Meeting schaffte. Allerdings blieb Art Frey hartnäckig und<br />
hat mehr als 100 Sekretärinnen von CEOs in US-Firmen<br />
angeschrieben, die sein Produkt zur Kommunikation begeistert<br />
ausprobierten. Ihre positiven Antworten legte er beim<br />
nächsten Meeting vor. Heute generieren wir mit Post-it nach<br />
40 Jahren immer noch ein Geschäft im dreistelligen Millionen-Bereich.<br />
Ihr langjähriger Präsident und Aufsichtsratschef William<br />
L. McKnight fand für Wachstum wichtig, mehr Verantwortung<br />
an Mitarbeiter zu delegieren und zur Eigeninitiative<br />
aufzufordern. Macht das im Kern die DNA aus, die<br />
3M den Ruf als das Innovationsunternehmen einbrachte?<br />
Ja, das ist der Kern unserer Innovationskraft. Die Führung<br />
von Mitarbeitern ist entscheidend. Die „McKnight Principles“<br />
aus den 1950er-Jahren gelten als Grundsätze heute<br />
immer noch – ob bei Einstellungsgesprächen oder anderen<br />
Anlässen sind sie Thema. Freiräume zu geben und Verantwortung<br />
zu übertragen, prägt unsere DNA. Dabei auch Fehler<br />
zu akzeptieren, bringt übrigens unterm Strich im Saldo<br />
eindeutig Positives.<br />
Aber sind Führungskräfte<br />
nicht damit überfordert,<br />
weil sie eigentlich<br />
auch die Fehlervermeidung<br />
verantworten?<br />
(lacht) Wir werden so sozialisiert<br />
vom Eintritt in die<br />
Firma bis zur Rente. Befehlsempfänger hören bei uns in den<br />
ersten zwei Jahren auf, ansonsten liegt die Fluktuation bei<br />
unter einem Prozent. Wir sind große Freiheiten gewohnt. Im<br />
Prinzip können Sie bei uns besser nachher um Entschuldigung<br />
bitten als vorher um Erlaubnis.<br />
Töten Ängste vorm Scheitern sogar zündende Ideen?<br />
Unter Druck bin ich nicht kreativ. Wo kommen uns denn<br />
die besten Ideen? Beim Autofahren oder unter der Dusche.<br />
Selbst in Unternehmen, denen es schlecht geht, sollte die<br />
Führung den Druck versuchen herauszunehmen. Denn als<br />
Hemmschuh ist er nicht zielführend.<br />
„Freiräume zu geben und Verantwortung<br />
zu übertragen, prägt unsere DNA.<br />
Dabei Fehler zu akzeptieren, bringt<br />
unterm Strich eindeutig Positives.“<br />
Gut sichtbare Reflektoren wie Speichenclips mit „Scotchlite“ bieten<br />
Fahrradfahrern zusätzlichen Schutz.<br />
Innovationskultur muss aber auch effizientes und terminorientiertes<br />
Arbeiten einfordern, oder?<br />
Schauen Sie auf unseren Weg von der Idee bis zum Launch:<br />
Am Anfang setzen wir nach dem Trichter für Ideen auf Effektivität<br />
durch Priorisierungen in mehreren Schritten. Je weiter<br />
wir uns zum Launch bewegen, desto stärker achten wir auf<br />
Effizienz im Sinne von umgesetzten Milestones. Der Beginn<br />
ist für uns „the fuzzy front end“ des Innovationsprozesses; hier<br />
begangene Fehler sind später kaum auszumerzen. Zuerst gilt<br />
„Doing the right things“, später „doing the things right“.<br />
Sind Innovationsziele besser in kleinen Teams als in Konzernstrukturen<br />
zu erreichen?<br />
Ja, wir wollen Unternehmen im Unternehmen. Dann erhalten<br />
die Prozesse den richtigen Schwung. In unseren fünf Business<br />
Groups, wie in meiner Verantwortung „Industrial“, gibt<br />
es verschiedene „Divisions“ wie in meinem Fall etwa Schleifmittel<br />
oder Klebstoffe. Jede Division ist eine Unternehmung;<br />
dort werden die Entscheidungen getroffen. Zu kleine Divisionen<br />
müssen wir größeren zuschlagen wie zuletzt die Einheit<br />
für Windelverschluss-Systeme an den Klebstoff-Bereich.<br />
Gelingen neue Geschäftsmodelle<br />
oder disruptive Innovationen<br />
bei 3M auch mit<br />
externen Entrepreneuren?<br />
Nein, auch diese bauen wir<br />
nur intern innerhalb einer<br />
Division auf und aus. Seltsamerweise ist das für Medienredaktionen<br />
offensichtlich nicht sexy genug. Von externen<br />
Start-ups scheint mehr Reiz auszugehen. Wenn in einem<br />
Wirtschaftsmagazin mal ein Beitrag über eines unserer Minderheitsinvestments<br />
in einem externen Start-up steht, brechen<br />
gleich die Telefonleitungen zusammen.<br />
Foto: 3M<br />
Der Sensor des „SpotOn“-Systems bleibt bei Bedarf bis nach der OP an<br />
der Patienten-Stirn - etwa zum Temperatur-Messen.<br />
Worauf führen Sie das zurück?<br />
Vielleicht liegt der Hype daran, dass aus Start-ups im Internetzeitalter<br />
in kurzer Zeit auch Giganten wie Facebook<br />
entstanden sind. Für 3M zählt dieses Engagement aber zu<br />
Randaktivitäten. Wir helfen den Start-ups vor allem dabei,<br />
namhafte Kunden zu finden, die auf uns eher reagieren.<br />
Jungunternehmer nutzen also unser Netzwerk. Unser<br />
finanzielles Engagement ist überschaubar: Wir investieren<br />
in die Gründerszene pro Jahr global mehrere Millionen, in<br />
unsere eigene FuE aber 1,8 Milliarden. Und von den weltweit<br />
90.000 Mitarbeitern bilden zehn den kleinen Bereich<br />
„New Ventures“.<br />
Wie stellen Sie sicher, dass Forschungszentren und Geschäftsbereiche<br />
sich gegenseitig befruchten?<br />
Zum einen strukturell: Es gibt nur eine 3M. Die volle Integration<br />
ist in allen 70 Ländern gewährleistet. Zum zweiten<br />
personell: Wir legen Wert auf regelmäßige Wechsel unserer<br />
Menschen, die verschiedene Stationen und Geschäftsbereiche<br />
durchlaufen. Das ist wichtig, weil Neue immer andere<br />
Fragen stellen. Ich selbst war erst im Geschäftsbereich<br />
Healthcare, dann im europäischen Marketing, dann Master<br />
Black Belt in Deutschland, die übergreifend Prozesse verbessern,<br />
dann war ich Personalchef und jetzt führe ich unseren<br />
Industriezweig. Insbesondere in FuE bietet 3M viele<br />
Austausch-Foren etwa zu neuen Technologien, den Zugriff<br />
auf umfangreiche Datenbanken und einen internationalen<br />
Austausch der Labore.<br />
Google nutzt intern Erkenntnisse von Wirtschaftsnobelpreisträger<br />
Daniel Kahneman, wonach das menschliche<br />
Verhalten wesentlich auf Instinkten basiert, und steuert<br />
damit Verhalten. Worauf setzt 3M beim Einzelnen?<br />
Auf sechs Erfolgsfaktoren für gute Zusammenarbeit. Es sind<br />
unsere sechs Regeln für „Leadership Behavior“. Eine lautet<br />
beispielsweise „play to win“. Weitere bedeuten „Innoviere!“,<br />
„Kollaboriere!“ oder „Entwickle andere und dich selbst!“.<br />
Wir stellen Bekanntheit und Transparenz zu den Inhalten<br />
sicher, denn jeder unserer 90.000 Mitarbeiter spricht mit seinem<br />
Vorgesetzten darüber. Wir wissen, dass ein gutes Miteinander<br />
für Erfolge sorgt. Jeder bekommt jeweils nach seinem<br />
Gespräch ein schriftliches Feedback, woran er noch arbeiten<br />
muss und wo seine Stärken liegen.<br />
Stärken stärken – der Leitsatz Ihrer Mitarbeiterführung?<br />
Ja, weil wir wissen wollen, wofür Mitarbeiter ihre größte<br />
Leidenschaft entwickeln. Wenn wir ihre Stärken für eine<br />
Aufgabe stärken, dann machen sie diese gerne. Für einen<br />
lausigen Projektmanager könnten wir weltweit die besten<br />
Fortbildungsangebote buchen, es würde niemandem nutzen.<br />
Wir streben nach Exzellenz. Ist der Mitarbeiter am richtigen<br />
Platz zufrieden, erzielen wir eine Win-win-Situation. Es geht<br />
Foto: 3M<br />
im Kern also um Persönlichkeiten passend für Kundenbetreuung,<br />
Controlling, Unternehmenskommunikation oder Labor.<br />
Welche Stärken zählen künftig stärker?<br />
Wir lassen uns nicht von Trends treiben. Die Kernkompetenzen<br />
zählen immer, was ich nach mehr als 20 Jahren bei 3M<br />
unterstreiche. Klar beobachten auch wir beim Nachwuchs,<br />
dass manche keine Karriere mehr machen wollen, weil ihnen<br />
Work-Life-Balance wichtiger ist. Wer nicht zu Standortwechseln<br />
bereit ist, bleibt aber in seiner Karriere limitiert.<br />
Wie steuert 3M bei Krisen entgegen?<br />
Krise verstanden als schlechte Entwicklung eines Geschäftsbereichs<br />
erkennen wir sehr früh. Kennzahlen unserer Leading<br />
Indicators signalisieren das manchmal als gut funktionierendes<br />
Frühwarnsystem. Wir gehen rechtzeitig rein, wenn die<br />
Profitabilität nicht mehr stimmt. Anders gesagt: Wir reparieren<br />
das Dach, solange die Sonne noch scheint. In den meisten<br />
Fällen können wir eine Negativentwicklung umdrehen.<br />
Alle zehn bis 15 Jahre müssen wir vielleicht auch mal einen<br />
Bereich schließen. Aber wir haben ein sehr ausgefeiltes Controlling.<br />
Preisentwicklungen und Marktindikatoren muss man<br />
auf dem Schirm haben. So gehen wir zum Beispiel davon aus,<br />
dass der Verbrennungsmotor in 20 Jahren eine untergeordnete<br />
Rolle spielt. Unser Mantra zur Krisenvermeidung heißt<br />
auch: Wir müssen die besten Kunden haben, denn sie sind<br />
zwar anspruchsvoll, aber auch strategisch gut aufgestellt. ~<br />
u Mehr unter www.<strong>return</strong>-online.de<br />
Erfinder-Gigant<br />
aus Minnesota<br />
Fünf Partner gründeten im Jahr 1902 die „Minnesota<br />
Mining & Manufacturing Company“ (3M), um Mineralvorkommen<br />
zum Herstellen von Schleifpapier zu<br />
nutzen. Vom Hauptsitz St. Paul im US-Bundesstaat<br />
Minnesota legte das Unternehmen früh mit Innovationen<br />
in Technik und in Marketing die Basis für den<br />
weltweiten Erfolg. Heute nutzen rund 8.000 Forscher<br />
insgesamt 45 eigene Technologie-Plattformen, um Erfindungen<br />
für Arbeit, Medizin und Freizeit hervorzubringen;<br />
bis jetzt verbrieft in 100.000 registrierten Patenten.<br />
Weltweit erzielt 3M in 70 Ländern mit knapp<br />
90.000 Mitarbeitern mehr als 30 Milliarden US-Dollar<br />
Umsatz; davon in Deutschland mit rund 6.700 Beschäftigten<br />
mehr als zwei Milliarden Euro.<br />
www.3mdeutschland.de<br />
Foto: Bernd Hegert<br />
42 43<br />
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SCHWERPUNKT<br />
SCHWERPUNKT<br />
Majority Report<br />
Krankheiten vorhersagen und entgegenwirken – das ist eine Vision von Philips, weshalb<br />
der Konzern jetzt radikal für den digitalen Megamarkt im Gesundheitswesen umbaut.<br />
Text: Armin Hingst<br />
Kabellose Schmerztherapie, per App<br />
gesteuert: Einmal aufgeladen, liefert<br />
das Gerätetandem „PulseRelief“<br />
smartphone-überwacht transkutane<br />
elektrische Nervenstimulation<br />
(TENS). Das lindert laut Philips „geringe<br />
bis moderate Muskel- und Skelettschmerzen,<br />
Arthrose oder allgemeine<br />
chronische Schmerzen.“<br />
Fotos: Philips<br />
Ob LED-Lampe, Kopfhörer, DVD-Rohlinge, Rasierer,<br />
Küchenmaschine, Staubsauger, Fernseher oder Tischgrill<br />
– irgendein Produkt mit dem Schriftzug Philips findet<br />
sich vermutlich in jedem deutschen Haushalt. Eher selten<br />
fällt der Blick dagegen<br />
auf einen Magnetresonanztomographenn<br />
oder<br />
ein Ultraschallgerät.<br />
Dabei setzt das Unternehmen<br />
insbesondere<br />
auf Medizintechnik und<br />
Produkte fürs Gesundheitswesen.<br />
Dies gilt vor<br />
allem für Deutschland.<br />
Hier hat der niederländische<br />
Traditionskonzern<br />
etwa 4.900 Mitarbeiter,<br />
die deutsche<br />
Gesellschaft ist überdies<br />
auch Leitwolf für den gesamten deutschsprachigen Markt.<br />
Vom Allzweck-Elektrogerätehersteller zum Gesundheitsspezialisten,<br />
den Weg hat Philips schon früh eingeschlagen.<br />
Bereits 2007 schwor sich der Konzern in der „Vision 2010“<br />
auf die drei Kernbereiche Gesundheitswesen, Konsumelektronik<br />
und Beleuchtung ein und schafft es damit, einer veritablen<br />
Krise zu entgehen. Dieser Weg der Fokussierung wurde<br />
auf Konzernebene nicht nur weiterverfolgt, sondern noch<br />
intensiviert: Philips bot Teile seiner Lichtsparte über die<br />
Börse Euronext zum Verkauf, nachdem der Plan scheiterte,<br />
das Beleuchtungsgeschäft außerbörslich an Investoren zu<br />
veräußern – unter anderem hatten amerikanische Aufsichtsbehörden<br />
Widerstand signalisiert. Der Börsengang lief zwar<br />
etwas zäher als gedacht, in zwei Tranchen konnte der Konzern<br />
Ende Mai und Anfang Juni aber doch über 43 Millionen<br />
Aktien der Lichtsparte mit LED und Autolicht-Komponenten<br />
für insgesamt gut 860 Millionen Euro verkaufen.<br />
Jetzt hält er noch gut 71 Prozent an seinen Lichtaktivitäten.<br />
Der Konzernumbau beschränkt sich nicht auf abstrakte<br />
Zahlen, sondern ist insbesondere in Deutschland auch mit<br />
konkreten Veränderungen vor Ort verbunden. Im neuen Bürogebäude<br />
in Hamburg-Fuhlsbüttel zum Beispiel hat – ganz<br />
ähnlich wie bei vielen Start-ups – keiner mehr einen eigenen<br />
Wearables und Apps fürs persönliche Gesundheitsmanagement: Bei Philips laut<br />
eigener Aussage keine Trend-Gimmicks, sondern „geprüfte Medizinprodukte“.<br />
Raum. Den Chef eingeschlossen. Peter Vullinghs, Vorsitzender<br />
der Geschäftsleitung von Philips Deutschland: „Workplace<br />
Innovation, kurz WPI, ist ein Konzept, das Philips<br />
bereits in über 30 Standorten in der Welt lebt. In Hamburg<br />
ist es sehr positiv angekommen,<br />
ebenso wie<br />
vorher in Wien. Auch in<br />
unseren Entwicklungsstandorten<br />
finden Sie offene<br />
Arbeitsflächen. Uns<br />
ist es wichtig, dass die<br />
Mitarbeiter eine intensive<br />
Kommunikation untereinander<br />
leben – hier<br />
hat sich jede Abteilung<br />
so eingerichtet, wie es<br />
für sie am effizientesten<br />
ist.“ Vullinghs ist seit gut<br />
einem Jahr in Hamburg,<br />
zuvor leitete der Manager, der ein Philips-Eigengewächs ist,<br />
die russische Landesgesellschaft. Er kam, um den Umbau<br />
voranzutreiben, der von der Aufteilung des Unternehmens<br />
in den Medizintechnik- und den Konsumgüterbereich einerseits<br />
und die zum Börsenverkauf aufzustellende Philips<br />
Lighting geprägt war. Das hat offenbar geklappt. Vullinghs<br />
führt das auf offenes Miteinander zurück. „Kommunikation<br />
und Transparenz ist für mich am wichtigsten. Wir haben<br />
viele Monate der Umstrukturierung hinter uns. Unsere Mitarbeiter<br />
haben wir von Beginn an mit auf diese Reise genommen<br />
und in regelmäßigen gemeinsamen Terminen oder<br />
auf einer eigens aufgesetzten Intranet-Seite permanent auf<br />
dem Laufenden gehalten. Heute freuen wir uns sehr über die<br />
wenige Tage alte Aussage unseres CEOs Frans van Houten,<br />
dass für Philips der Markt in der D-A-CH-Region einer der<br />
ersten ist, der unsere neue Strategie verstanden hat, und wo<br />
erste Projekte implementiert werden.<br />
Dazu gehört auch eine Kooperation mit dem Startupbootcamp<br />
Digital Health Berlin. Dieses ist eines von inzwischen<br />
weltweit 13 „Beschleuniger“-Programmen der Initiative Startupbootcamp,<br />
der es darum geht, schnell Ideen und Investoren<br />
zusammenzubringen. Für Philips ist die angekündigte Zusammenarbeit<br />
nur folgerichtig. „Wir suchen uns Partner, mit<br />
44<br />
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<strong>03</strong>/16<br />
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SCHWERPUNKT<br />
SCHWERPUNKT<br />
Vorher - nachher: In einem Projekt mit der Charité steuert Philips seine Kompetenzen bei der Licht- und Medizintechnik bei, um Intensivstationen<br />
angenehmer zu machen – das hilft nachweislich auch diesen Patienten, wie Studien zeigen.<br />
Magnetresonanztomographen sind bei Nutzern weniger präsent als<br />
Fernseher, die gar nicht mehr zum Philips-Konzern gehören.<br />
CareSage: Mit vernetzten Krankendaten soll das Philips-System in der<br />
Lage sein, Krankheitsverläufe vorherzusagen.<br />
denen wir die digitale Reise im Gesundheitsmarkt beschreiten<br />
und mit denen wir gemeinsam im Sinne des Menschen<br />
neue Lösungen entwickeln“, erläutert Vullinghs: „Das hat ein<br />
komplettes Umdenken als Voraussetzung.“<br />
Die Berliner Start-up-Kooperation ist laut Vullinghs einer<br />
der Instrumente, um zu vermeiden, dass man als erfahrener<br />
Player auf seinem eigenen Marktsegment von disruptiven<br />
Newcomern so überholt wird, wie das den Zimmervermietern<br />
mit Airbnb ergangen ist. Allerdings legt der Chef von<br />
Philips Deutschland auch Wert darauf, nicht einfach irgendwelche<br />
Health Apps oder hippe Wearables zu verkaufen.<br />
Nutzer als alleiniger<br />
Herr über Daten<br />
Der bestehenden Konkurrenz wie der Fitnessarmbänder<br />
habe man tiefe Einblicke in den Medizinmarkt voraus:<br />
„Erstens sind unsere Produkte, die Körperwerte aufzeichnen,<br />
offiziell anerkannt und geprüfte Medizinprodukte<br />
– das ist ein großer Unterschied. Zum zweiten sind diese<br />
Produkte in Zukunft alle vernetzt – die Werte werden in<br />
unsere ,Health Suite Digital’-Plattform eingespeist. Wichtig<br />
ist, dass der Nutzer alleiniger Herr über diese Daten ist<br />
und selbst entscheiden kann, wer diese einsehen und weiter<br />
auswerten darf.<br />
Wie konkret diese Vernetzungsideen schon sind, lässt sich<br />
an der Anfang Juni ins Leben gerufenen Kooperation mit<br />
der Rostocker Universitätsmedizin erkennen. Vullinghs:<br />
„Stellen Sie sich vor, Sie leiden unter einer chronischen<br />
Krankheit, wohnen in einem kleinen Dorf auf dem Lande<br />
und müssen bei einem akuten Problem immer wieder viele<br />
Kilometer ins Krankenhaus oder zum Arzt fahren.<br />
Heute werden Sie immer wieder von vorne durchgecheckt.<br />
Eine permanente Kontrolle erkennt frühzeitig, wenn eine<br />
medizinische Behandlung ansteht. So sparen Sie Zeit,<br />
Nerven und Geld. Das gilt auch für die Arztseite. Die<br />
Zukunft sieht so aus, dass diese Möglichkeiten für viele<br />
Krankheiten bestehen und das gesamte Bundesgebiet abdecken<br />
– eine komplett integrierte Versorgung, die sämtliche<br />
Gesundheitsdienstleister miteinander vernetzt. Krankheiten<br />
werden in Zukunft nicht mehr nur bei akuten Symptomen<br />
behandelt. Statt also auf den Trend zu individueller,<br />
gesundheitlicher Selbstoptimierung durch Smartwatches<br />
und Wearables zu setzen, kümmert sich Philips mit seiner<br />
Medizintechnik-Kompetenz lieber darum, Lösungen<br />
für die strukturellen Probleme im Gesundheitsmarkt anzubieten.<br />
Von diesen Problemen gibt es reichlich. Gleich<br />
mehrere Studien konstatierten kürzlich Nachholbedarf in<br />
der deutschen Krankenhaus-Landschaft. Sie stellten finanzielle<br />
Schieflagen in vielen Häusern fest und kommen zum<br />
Schluss, dass die deutsche Krankenhauslandschaft noch<br />
längst nicht über den Berg ist. Zu wenige Investitionen, zu<br />
ineffizient, zu wenig digital, heißt es unisono in der „Krankenhausstudie<br />
<strong>2016</strong>“ von Roland Berger und dem „Krankenhaus<br />
Rating Report <strong>2016</strong>“ des Rheinisch Westfälischen<br />
Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI), die Anfang Juni<br />
vorgestellt wurde. Mitträger dieser Untersuchung war Philips<br />
– insofern darf das Resümee natürlich nicht überraschen.<br />
Immerhin kommen die Berater von Roland Berger<br />
aber nahezu zeitgleich auf ähnliche Ergebnisse.<br />
Konsequent stellt Philips sein Engagement im Gesundheitssektor<br />
auf diese strukturellen Probleme ab. Vullinghs<br />
schildert, wie das gehen soll: „In Zukunft verkaufen wir<br />
als Philips nicht mehr nur Geräte an die Krankenhäuser,<br />
sondern fungieren als Berater – wir schauen uns gemeinsam<br />
mit den Klinikbetreibern den Gesamtkomplex Krankenhaus<br />
an und erarbeiten Komplettlösungen, wie sich das<br />
Krankenhaus oder einzelne Abteilungen effizienter aufstellen<br />
sollten. Das startet mit einem Business-Plan, geht über<br />
die Analyse der Infrastruktur von Gebäude und Ausstattung<br />
bis hin zu IT, Service, Coaching der Mitarbeiter und<br />
der Finanzierung.“<br />
Philips in Konkurrenz zu<br />
Toshiba und Siemens<br />
Damit wird Philips kaum allein bleiben, große Medizintechnik-Konkurrenten<br />
mit ähnlich guten Verbindungen<br />
in die deutsche Gesundheitslandschaft wie Toshiba und –<br />
noch verwurzelter – Siemens dürften ähnliche Pläne in der<br />
Schublade haben. Philips sieht sich näher am Endnutzer<br />
und seine Vorteile im Kampf um den Gesundheitsmarkt der<br />
Zukunft vor allem darin, die Potenziale der Datenschätze<br />
zu heben, über die das Unternehmen verfügt. Allein über<br />
die Magnetresonanztomographen seien inzwischen rund<br />
15 Petabytes an Diagnosedaten zusammengekommen,<br />
schätzt man bei Philips.<br />
In den USA analysiert Philips schon seit längerem die Notrufdaten<br />
seiner dort eingesetzten Geräte. Das erlaubt dem<br />
Unternehmen inzwischen schon abzuschätzen, wann demnächst<br />
bei einem Patienten mit einem Sturz zu rechnen ist.<br />
Vullinghs will das fortschreiben: „Alle chronischen Krankheiten,<br />
von Bluthochdruck über Cholesterin bis hin zu<br />
Asthma können permanent überwacht werden. Aber selbstverständlich<br />
auch Krankheitsdaten zu Herz-Kreislauf- oder<br />
auch Krebserkrankungen. Aus all diesen Daten und mit<br />
Hilfe sinnvoller Algorithmen können Diagnosen gestellt<br />
werden, die schon bei der Früherkennung helfen.<br />
Ein sehr gutes Beispiel aus unserem Hause ist CareSage.<br />
Dieser smarte Algorithmus basiert auf unserem Hausnotruf.<br />
Das lernende System kann einen sich verschlechternden<br />
Gesundheitszustand vorhergesagen. CareSage wird<br />
in den USA bereits länger genutzt. Studien belegen, dass<br />
dadurch Kosten eingespart werden, da Krankentransporte<br />
und Krankenhausaufenthalte reduziert werden.“ Dass sich<br />
die Aktivitäten in den USA nicht einfach aufs datensensible<br />
Deutschland übertragen lassen, ist dem Neu-Hamburger<br />
Vullinghs natürlich klar. Auch wenn Philips in allen Fällen<br />
„die höchstmögliche Sicherheit der Daten der Anwender“<br />
gewährleiste, stelle Deutschland bei diesem Thema Philips<br />
„vor größere Herausforderungen als zum Beispiel Amerika.“<br />
Zudem bedeutet die Ausgliederung der Lichtsparte nicht,<br />
dass Philips seine Lichtkompetenz für seine Ausrichtung<br />
auf Medizintechnik und Gesundheit außen vorlässt. So bietet<br />
Philips spezielle Geräte an, die zu Hause mit blauem<br />
LED-Licht Rückenschmerzen lindern. Auch im klinischen<br />
Umfeld spielt Licht eine Rolle. In einem Projekt mit der<br />
Berliner Charité geht es laut Vullinghs um die „fundamentale<br />
Umgestaltung von Intensivzimmern“, Lichttechnik von<br />
Philips sowie großformatige LED-Screens sorgen für variable,<br />
angenehme Lichtatmosphäre.<br />
Angenehm sieht inzwischen auch die wirtschaftliche Zukunft<br />
von Philips Deutschland aus (siehe Kasten) – der Weg<br />
ins digitalisierte Gesundheitswesen scheint also auch fürs<br />
Unternehmen heilende Wirkung zu haben. ~<br />
Analysten noch unsicher,<br />
Philips aber zuversichtlich<br />
Konkrete Zahlen zu einzelnen Märkten gebe man<br />
nicht heraus, verweist Philips-Deutschlandchef Peter<br />
Vullinghs (im Bild) auf Konzerngepflogenheiten. Man<br />
sei aber in Deutschland auf einem guten Weg. „Trotz der<br />
Umstrukturierungsmaßnahmen<br />
verbuchten wir 2015 ein gutes<br />
einstelliges Wachstum. Auch in<br />
diesem Jahr beschäftigen wir uns<br />
neben dem so wichtigen Kerngeschäft<br />
mit unserer neuen strategischen<br />
Ausrichtung. Ich blicke<br />
erneut positiv auf den Abschluss<br />
dieses Geschäftsjahres. Für eine<br />
definitive Aussage ist es selbstverständlich<br />
noch viel zu früh.“ Die Analysten sind sich<br />
uneins, wie sie den Weg von Philips bewerten sollen.<br />
Während Ian Douglas-Pennant von der UBS Mitte Juni<br />
sein Kursziel für die Philips-Aktie leicht reduzierte, weil<br />
er die Börsenverkäufe der Lighting Sparte für zu gering<br />
hielt, sieht das Kollege Gael De Bray von der Deutschen<br />
Bank anders. Schon im März betonte er, dass Philips ja<br />
eigentlich schon kein Industriewert mehr sei, sondern<br />
als Medizintechnikwert beurteilt werden müsse, der<br />
von der Erholung des Markts profitiere. Das daraus resultierende<br />
höhere Kursziel behielt die Deutsche Bank<br />
bei. In der Tat sieht der Medizinmarkt in Deutschland<br />
recht passabel aus. Im aktuellen Branchenbericht des<br />
Bundesverbands Medizintechnologie ist zwar zu lesen,<br />
dass man den Heimatmarkt Deutschland stärken müsse.<br />
Im Bericht steht aber auch, dass der Inlandsumsatz<br />
um 13 Prozent auf über 9 Milliarden Euro gestiegen<br />
sei. Die größten Veränderungen erwartet der Verband<br />
im Bereich der Digitalisierung. Philips hat also offenbar<br />
seine Hausaufgaben gemacht. Statista zufolge geht es<br />
nach der Ausgliederung der TV-Sparte 2011 jedenfalls<br />
mit den Gesamtumsätzen in Deutschland langsam, aber<br />
stetig nach oben. Der Dienst weist für 2015 1,357 Milliarden<br />
Euro aus, etwas mehr als im Vorjahr.<br />
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SCHWERPUNKT<br />
SCHWERPUNKT<br />
Reine Zukunftsmusik<br />
China: Vorausschau nur in erlaubten Szenarien<br />
Text: Finn Mayer-Kuckuk, Peking<br />
Innovator auf Überschallreisen<br />
USA: Dirk Ahlborn schafft mit Hyperloop neue Mobilität<br />
Text: Kerstin Zilm, Los Angeles<br />
Chinas Manager verfolgen bisher mehrheitlich einen<br />
praktischen Ansatz: Was heute funktioniert, wird heute<br />
gemacht. Der Gegenwartsbezug ist zum Teil eine Lehre<br />
aus der jüngeren Geschichte: Die staatliche Ideologie und<br />
damit die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft haben<br />
sich im Zickzack zwischen totaler Kollektivierung und<br />
hemmungsloser Marktwirtschaft bewegt. „Ich sehe in China<br />
nach dem amerikanischen Experiment einen neuen Managementstil<br />
heranwachsen“, sagt Charles-Édouard Bouée,<br />
Vorstandsvorsitzender der Strategieberatung Roland Berger<br />
und Autor des Buches „China‘s Management Revolution“.<br />
Wichtiger als eine ausgefeilte Strategie seien in China „Visionen<br />
und Taktik“.<br />
Für die Suchmaschine Baidu entsteht in China eine eigene Abteilung für<br />
Futurologie unter dem klangvollen Namen „Verne-Projekt“.<br />
Doch was in den Boom-Jahrzehnten gut funktioniert hat,<br />
weicht langsam einer langfristigeren Perspektive. Die Wirtschaftslenker<br />
gewöhnen sich an den Gedanken, dass es ihre<br />
Firmen auch in der nächsten Generation noch geben wird.<br />
Die Frage nach der Zukunft rückt daher langsam in den<br />
Vordergrund. „Immer mehr Firmen beschäftigen sich mit<br />
diesem Thema, obwohl Futurologie in China meist noch ein<br />
Fremdwort ist“, sagt Qin Linzheng, Chefberater der Chinesischen<br />
Gesellschaft für Zukunftsstudien und Professor an<br />
der Chinese Academy of Social Sciences (CASS).<br />
Qin ist ein Veteran der chinesischen Zukunftsforschung.<br />
Schon in den 60er-Jahren hat die Kommunistische Partei<br />
ihn beauftragt, sich dazu international zu vernetzen. Sie<br />
erhoffte sich davon wertvolle Erkenntnisse für den Aufbau<br />
des Sozialismus. Sein Projekt kam jedoch wegen politischer<br />
Wirren immer wieder unter die Räder. In den vergangenen<br />
Jahren blühte die Disziplin aber auf. „Selbst im Militär gab<br />
es eine Einheit für Zukunftsstudien, doch sie wurde wegen<br />
der heiklen Natur ihrer Erkenntnisse wieder geschlossen“,<br />
erzählt Qin. In den meisten Firmen geht es bisher nicht<br />
um eine große Vision, wie Gesellschaft und Lebensweise<br />
in mehreren Jahrzehnten aussehen. „Oft stehen einfach<br />
Marktprojektionen am Anfang der Beschäftigung mit der<br />
Zukunft“, sagt Qin. Doch gerade Technikunternehmen wird<br />
dabei schnell klar, dass der künftige Markt einerseits vom<br />
Lebensumfeld abhängt, andererseits vom technischen Fortschritt.<br />
Ergebnis: Langfristplanung ist nicht ohne Erkenntnisse<br />
zu den künftigen Rahmenbedingungen möglich.<br />
Doch dieser Ansatz stößt heute – wie schon damals in den<br />
Pioniertagen von Professor Qin – auf ideologische Probleme.<br />
Denn aus Sicht der Partei in Peking ist nur eine Variante von<br />
Zukunftsszenarien erlaubt: Solche, in denen die allein regierende<br />
Partei das Volk in eine wohlhabende und glückliche<br />
Zukunft führt. Ein Machtverlust der Kommunisten oder ein<br />
zwischenzeitlicher Zusammenbruch sind Themen, die Forscher<br />
oder Journalisten ins Gefängnis bringen können.<br />
Großer Markt für<br />
Profi-Vorausschau<br />
Unter chinesischen Science-Fiction-Autoren kursiert daher<br />
ein Witz: Das größte Problem für chinesische Zukunftsromane<br />
ist die Zukunft. Im Idealfall handeln ihre Storys von<br />
Szenarien, in denen China weltweit enorme Bedeutung<br />
erlangt hat, während die Partei international großen Respekt<br />
genießt. Auch Qin kennt die Grenzen seiner Arbeit<br />
genau: „Unsere Zukunftsstudien beschäftigen sich nicht mit<br />
Ideologie.“ Am einfachsten seien Projektionen im Bereich<br />
Technik oder Konsumentenverhalten. Die Gesellschaft für<br />
Zukunftsstudien ist staatlich finanziert, doch in fünf Jahren<br />
soll sie unabhängig werden und sich durch Auftragsarbeiten<br />
und Dienstleistungen selbst tragen. Bis dahin, hofft Qin, ist<br />
ein ausreichend großer Markt für professionelle Vorausschau<br />
entstanden.<br />
Die Suchmaschine Baidu geht derweil mit dem Aufbau einer<br />
eigenen Abteilung für Futurologie voran, auch wenn diese<br />
bisher dem Vernehmen nach nur aus einem Mitarbeiter<br />
besteht. Einen klangvollen Namen hat sie jedoch schon: Das<br />
„Verne-Projekt“ soll einmal künstliche Intelligenz nutzen,<br />
um ähnlich visionäre Voraussagen zu liefern wie der französische<br />
Schriftsteller Jules Verne im 19. Jahrhundert. ~<br />
Dirk Ahlborn lehnt entspannt im Stuhl, Hände hinter<br />
dem Kopf verschränkt, während Mitglieder seines<br />
Teams Zitate und Sprüche an die fast weiße Bürowand<br />
schreiben. „Wird die Geschichte deinen Namen kennen?“,<br />
lautet das Motto für die Bonmots<br />
zur Motivation in der neuen<br />
Hyperloop-Zentrale von Los<br />
Angeles. Die Magnetbahn soll<br />
Passagiere wie Rohrpost transportieren.<br />
Der Plan ist, dass sie<br />
in Kapseln durch ein Rohr jagen<br />
und zwar mit einer Geschwindigkeit<br />
von mehr als tausend<br />
Stundenkilometern. „Ich will<br />
große Probleme lösen“, erklärt<br />
der Chef von Hyperloop Transportation<br />
Technologies (HTT):<br />
„Effektive Transportmöglichkeiten zu schaffen, mit denen<br />
Reisende eine gute Erfahrung verbinden, ist eine der größten<br />
Herausforderungen unserer Zeit.“ Der 49 Jahre alte Berliner<br />
stellt sich dieser Herausforderung mit einer leidenschaftlichen<br />
Crew, dessen Mitglieder bisher kein Geld bekommen,<br />
sondern die Option auf Aktienanteile. Sie wollen alle vor allem<br />
dabei sein, bei der Überschallreise in die Zukunft.<br />
Für Ahlborn ist der Hyperloop auch ein Test seiner Vision<br />
von moderner Unternehmensbildung. Er will via Crowdsourcing<br />
größte Talente aus aller Welt zu einer Bewegung<br />
zusammenbringen, die die Welt verändert. Dafür gründete<br />
er 2012 die Plattform „JumpStartFund“. Wenig später<br />
brachte Tesla-Gründer Elon Musk die Idee einer Art Überschall-Rohrpost<br />
für die Strecke zwischen San Francisco und<br />
Los Angeles ins Gespräch. Ahlborn ging ein Licht auf: „Das<br />
war das ideale Projekt, um unsere Plattform zu testen.“<br />
Keine Musk-Millionen<br />
für revolutionäre Ideen<br />
Musk selber sei an HTT nicht beteiligt, betont Ahlborn<br />
mehrfach. Das ist so wichtig, weil es dem Sohn eines Tischlers<br />
und einer Bäckereiverkäuferin auch darum geht zu beweisen,<br />
dass man keine Millionen braucht, um revolutionäre<br />
Ideen umzusetzen: „Wenn dir jemand sagt, etwas ist nicht<br />
machbar, heißt das ja nur, dass er nicht weiß, wie es geht. Du<br />
kannst es herausfinden.“ Kaum hatte Ahlborn seine Hyperloop-Plattform<br />
ins Netz gestellt, bekam er 200 Bewerbungen.<br />
Mit rund 100 Mitstreitern aus aller Welt entwickelte er<br />
das Projekt bis zur Machbarkeitsstudie. Investorenangebote<br />
lehnte er in dieser ersten Phase ab. Er jobbte als „Uber“-<br />
Fahrer und vermietete seine Wohnung in Strandnähe bis<br />
er rausflog und auf Sofas von<br />
Freunden schlafen musste. Das<br />
Fazit des Unternehmers: „Wenn<br />
du ein Team von Menschen zusammenstellst,<br />
die mit Leidenschaft<br />
an dasselbe Ziel glauben<br />
wie du, macht es Spaß und du<br />
schaffst es.“<br />
Früh hatte er herausgefunden,<br />
dass er nicht zum Angestellten<br />
taugt. „Ich wollte schon immer<br />
Dirk Ahlborn „will große Probleme lösen“ mit dem Transportsystem<br />
Hyperloop.<br />
etwas Eigenes machen, arbeite<br />
viel, bin eher rebellisch, stelle<br />
alles infrage und kann mich schlecht an Regeln halten.“ Die<br />
ersten Start-ups gründete er in Italien, 2009 folgte er einer<br />
Freundin nach Kalifornien. Sie heirateten und bekamen<br />
zwei Kinder. Seine Ersparnisse waren schnell verbraucht, er<br />
kellnerte, half als Buchhalter in einem Start-up und hatte<br />
zweitweise drei Jobs. Nebenher entwickelte Ahlborn eigene<br />
Geschäftsideen. „Ich glaube, selbst wenn ich alleine auf einer<br />
einsamen Insel mit nur einer Kokospalme wäre, würde<br />
ich überlegen, wie man damit Geld verdienen kann.“ Die<br />
Ehe zerbrach, doch Ahlborn blieb in Kalifornien, auch um<br />
in der Nähe seiner zwei Söhne zu sein. Dann kam die Idee<br />
mit dem Hyperloop.<br />
Inzwischen arbeiten mehr als 550 Mitarbeiter aus über 40<br />
Firmen in aller Welt an dem Konzept. Die Machbarkeitsstudie<br />
ist abgeschlossen und ergab: Mit der Vakuum-Magnetbahn<br />
können Passagiere die 570 Kilometer in gut einer<br />
halben Stunde zurücklegen. HTT akzeptiert nun Investorengelder<br />
und entwickelt erste Strecken.<br />
Ahlborn arbeitet mit der slowakischen Regierung an einer<br />
Acht-Minuten-Verbindung zwischen Bratislava und Wien.<br />
Außerdem soll noch diesen Sommer der Bau des ersten Hyperloops<br />
im kalifornischen Quay Valley beginnen. Dieser<br />
Ort existiert nur auf dem Reißbrett als Vision eines anderen<br />
Innovators, der dort eine energieautarke Stadt bauen will.<br />
„Impossible enough to be possible“, hat Dirk Ahlborn an<br />
seine Bürowand geschrieben. Unmöglich genug, um möglich<br />
zu sein. Für ihn bedeute das: Es ist leichter, die Welt zu<br />
verändern, als das zigste WhatsApp zu bauen. ~<br />
Foto: Hyperloop Transportation Technologies<br />
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SCHWERPUNKT<br />
SCHWERPUNKT<br />
Fahrerlose Zukunft<br />
Singapur: Autonome Autos als nationale Mission<br />
Text: Mathias Peer, Bangkok<br />
„Anderes Risiko“<br />
Südafrika: Dieter Ammer sieht Chancen<br />
Text: Claudia Bröll, Kapstadt<br />
Wenn Karl Iagnemma in Singapur die Fortbewegungsmittel<br />
der Zukunft testet, ist das eine emotionale Angelegenheit.<br />
„Zu Beginn herrscht die totale Angst“, sagt der<br />
Unternehmer über den Gefühlszustand<br />
der Passagiere, die er<br />
erstmals mit fahrerlosen Autos<br />
auf die Straßen des südostasiatischen<br />
Stadtstaates schickt. Das<br />
Erlebnis ist gewöhnungsbedürftig:<br />
Das Lenkrad des umgerüsteten<br />
Mitsubishi bewegt sich automatisch,<br />
eine Software steuert<br />
den Wagen im Alleingang durch<br />
den Verkehr.<br />
Nach dem anfänglichen Schrecken<br />
legen die meisten Tester<br />
ihre Berührungsängste laut Iagnemma<br />
aber schnell ab. Die Passagiere<br />
spielten sogar aus Neugier am Lenkrad herum – nur<br />
um zu sehen, was passiert, erzählt der Gründer des Start-ups<br />
„nuTonomy“. Dass Singapurs Einwohner schnell Vertrauen<br />
in die Technologie gewinnen, ist für ihn von großer Bedeutung:<br />
Schon 2018 soll „nuTonomy“ in der Lage sein, den Regelbetrieb<br />
einer fahrerlosen Taxi-Flotte zu starten.<br />
Pilotprojekte zentral<br />
koordiniert und gefördert<br />
Die schnellen Fortschritte des erst drei Jahre alten Unternehmens,<br />
das Investoren als einen der wichtigsten Pioniere des<br />
autonomen Fahrens neben Konzernen wie General Motors<br />
und der Google-Mutter Alphabet beschreiben, verdankt das<br />
Start-up auch einem Standortvorteil: Während die Tech-<br />
Firmen in Europa und den USA weitgehend isoliert voneinander<br />
an ihren selbstfahrenden Autos arbeiten, hat sich<br />
Singapurs Regierung vorgenommen, eine Vielzahl von Pilotprojekten<br />
zentral zu koordinieren und zu fördern.<br />
Pang Kin Keong, Staatssekretär in Singapurs Transportministerium,<br />
tritt bei dem Thema als oberster Innovationsmanager<br />
seiner Heimat auf. „Wir laden Firmen und Forschungseinrichtungen<br />
ein, ihre Technologien in realen Verkehrsverhältnissen<br />
zu testen“, sagt er und preist die Möglichkeiten der<br />
zentralistischen Regierung: „Wir stellen finanzielle Ressourcen<br />
bereit und sind in der Lage, Genehmigungsverfahren<br />
zu beschleunigen, damit die Tests mit minimalem Aufwand<br />
schnell auf die Straße kommen.“ Damit möchte Singapur sein<br />
Ziel erreichen, selbstfahrende Autos innerhalb der nächsten<br />
Dekade als festen Bestandteil des Verkehrssystems zu etablieren.<br />
Das Land will so mehrere<br />
Probleme auf einen Schlag<br />
lösen: die überfüllten Straßen<br />
entlasten, den Fachkräftemangel<br />
im Transportgewerbe bekämpfen<br />
und durch die effizientere<br />
Fahrzeugnutzung mehr Platz<br />
für Grünflächen schaffen. Ende<br />
2015 stellte Pang den Fahrplan<br />
Singapurs zur Etablierung der<br />
autonomen Mobilität vor. Inzwischen<br />
sind Pilotprojekte bereits<br />
in vielen Teilen der Stadt<br />
Das Team des Start-ups „nuTonomy“ testet auf Singapurs Straßen<br />
seine Selbstfahrerautos – gefördert durch die Regierung. ein Thema.<br />
In der Parkanlage „Gardens by<br />
the Bay“ kutschierte ein selbstfahrender Bus schon Touristen<br />
über das 100 Hektar große Gelände. Der Service soll in<br />
diesem Jahr den regulären Betrieb starten. Zudem will das<br />
halbstaatliche Transportunternehmen SMRT gemeinsam<br />
mit der niederländischen Technologiefirma „2getthere“ bis<br />
zum Jahresende fahrerlose Minibusse etablieren – etwa für<br />
den Einsatz auf großen Firmengeländen. Auch in der Logistikbranche<br />
gibt es Experimente: Entlang einer Autobahn<br />
will die Regierung den Einsatz fahrerloser Lastwagen testen<br />
lassen. „nuTonomy“ ist die erste private Firma mit der Erlaubnis,<br />
ihr System auf Singapurs öffentlichen Straßen zu<br />
testen. Dass die Regierung auch mit anderen Partnern auf<br />
dem Gebiet zusammenarbeitet, sieht das Unternehmen als<br />
Vorteil. Die staatliche Koordinierung ermögliche es, mehr<br />
Tests abzuschließen, als es eine Firma alleine leisten könnte,<br />
sagt Doug Parker, der bei dem Start-up für das operative<br />
Geschäft zuständig ist. Das ermögliche eine schnellere Weiterentwicklung.<br />
Zudem schätzt der Manager, dass der Stadtstaat auch Pilotversuche<br />
unter realen Bedingungen unbürokratisch ermöglicht.<br />
„Dadurch können wir zeigen, dass die Technik wirklich<br />
funktioniert“, sagt Parker. Zumindest Singapurs Behörden<br />
scheinen davon fest überzeugt zu sein: Neben Risikokapitalgebern<br />
beteiligte sich bei der jüngsten Finanzierungsrunde<br />
auch eine staatliche Investmentgesellschaft an „nuTonomy“.<br />
Wenn die selbstfahrenden Taxis bald Erfolg haben, ist das für<br />
Singapur dann auch finanziell ein Gewinn. ~<br />
Foto: nuTonomy<br />
Der Ex-Tchibo-Chef ist ein Afrika-Kenner. Seit 15 Jahren ist er als<br />
Unternehmer dort tätig. Seine Private-Equity-Gesellschaft TriVest<br />
investiert in Pharma, erneuerbare Energien und Financial Services.<br />
Herr Ammer, McKinsey hat Afrikas Volkswirtschaften<br />
2010 als „Lions on the move“ bezeichnet. Sind die Löwen<br />
noch in Bewegung?<br />
Dieter Ammer: Aktuell ist die Lage wegen der niedrigen<br />
Rohstoffpreise nicht gut. Ich glaube dennoch, dass sich der<br />
Kontinent auf gutem Wege befindet. Die politische Lage ist<br />
stabiler als früher, es gibt bessere Infrastruktur,<br />
die Mittelschicht wächst. Auf<br />
der „Ease of Doing Business“-Rangliste<br />
der Weltbank liegen acht Länder aus<br />
dem südlichen Afrika vor Brasilien. Das<br />
bedeutet gute Geschäftschancen, aber<br />
man muss anders vorgehen als in Deutschland.<br />
Und zwar wie?<br />
In Deutschland konzentrieren sich Unternehmer auf ein<br />
spezielles Geschäft. In Afrika ändern sich die Dinge zu<br />
schnell. Dort braucht man ein anderes, an Afrika angepasstes<br />
Risikomanagement.<br />
Also eine breite Diversifizierung?<br />
Ja, man kann entweder in verschiedenen Ländern oder Branchen<br />
aktiv sein. Erfolgreiche afrikanische Unternehmer bauen<br />
Konglomerate auf, die beispielsweise von Telekommunikation<br />
über Zement bis zu Dienstleistungen reichen. Das<br />
kann man auch im Kleinen nachahmen.<br />
Welche Branchen haben Zukunftspotenzial?<br />
Hoch interessante Bereiche sind Bildung, Sicherheit, Erneuerbare<br />
Energien und Infrastruktur. Auch Konsumgüter sind<br />
spannend, allerdings tritt man gegen eine starke Konkurrenz<br />
internationaler Konzerne an.<br />
„Erfolgreiche afrikanische<br />
Unternehmer bauen<br />
Konglomerate auf.“<br />
Egal, wo man in Afrika hinkommt, die Chinesen sind immer<br />
schon da. Haben deutsche Unternehmen eine Chance?<br />
China ist ein großer Wettbewerber und ein großes Problem.<br />
Aber China stabilisiert auch Afrika. Das ist ein wichtiger<br />
positiver Nebeneffekt. Die Chinesen kommen mit dem<br />
schwierigen, manchmal korrupten Wirtschaftsleben in Afrika<br />
besser zurecht als wir. Sie gehen härter vor. Das macht sie<br />
nicht beliebt, aber oft sind sie die Sieger.<br />
Ist Korruption aus dem Wirtschaftsleben wirklich nicht<br />
wegzudenken?<br />
Das Verständnis von Demokratie ist ein anderes als in Europa.<br />
In Afrika wird die Wahl in eine politische Position als<br />
Berechtigung verstanden, sich Wohlstand zu verschaffen.<br />
Man versucht deshalb, lange an der Macht zu bleiben und<br />
ein dichtes Beziehungsnetz in der Wirtschaft zu spannen.<br />
Gilt das auch in Südafrika?<br />
Die Korruption hat sehr zugenommen. Sie reicht heute bis<br />
zur obersten Regierungsebene. Auch die<br />
Politik des Black Economic Empowerment<br />
trägt dazu bei. Leider ist daraus<br />
ein Bereicherungsprogramm für eine<br />
kleine schwarze Elite geworden.<br />
Was bedeutet das für den deutschen Mittelständler?<br />
Fast jedes Unternehmen braucht schwarze Lieferanten und<br />
Geschäftspartner, um die BEE-Vorgaben zu erfüllen. Das<br />
stellt vor allem für ausländische Betriebe eine Herausforderung<br />
dar. Man muss sorgfältig prüfen, ob diese Partner wirklich<br />
existieren, ob sie Steuern bezahlen, welche Beziehungen<br />
zur Regierung bestehen. Wir haben daher eine Wirtschaftsauskunftei<br />
aufgebaut. Compliance, die Einhaltung unternehmerischer<br />
Regeln, ist ein schwieriges Thema in ganz<br />
Afrika, aber lösbar.<br />
Die Flüchtlingsströme aus Afrika nach Europa reißen<br />
nicht ab. Hat dies Auswirkung auf die dortigen Geschäfte?<br />
Aus deutscher Sicht sind die vielen Flüchtlinge Besorgnis<br />
erregend, aber nicht aus afrikanischer Sicht. Nicht die hoch<br />
qualifizierten Kräfte flüchten. Die Bevölkerung wächst stark.<br />
Die deutsche Regierung muss jedoch in der Entwicklungspolitik<br />
umdenken. Deutsche Mittelständler, die dort Arbeitsplätze<br />
schaffen und ausbilden, wo die Flüchtlinge herkommen,<br />
sollten Unterstützung bekommen. ~<br />
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SCHWERPUNKT<br />
SCHWERPUNKT<br />
Vision possible<br />
Fantasien aus Film oder Buch – heute Realität<br />
Text: Rahel Willhardt<br />
Foto: Leia Display<br />
Foto: Daimler AG<br />
Stufen vorm Beamen<br />
Träume vom Transit<br />
Im Raumschiff Enterprise hieß es: „Auf den Schirm!“ –<br />
bar jeder räumlichen Distanz half dann die große Leinwand,<br />
mit Abwesenden zu kommunizieren. Captain Kirk<br />
ist zweifellos der prominenteste Vorreiter – aber mitnichten<br />
der erste.<br />
Schon 1911 erzählt Hugo Gernsback in der Zukunftsnovelle<br />
„Ralph 124C 41“ von einem „Telephot“, einer Videoleinwand,<br />
die per Knopfdruck mit anderen verbindet.<br />
Im Stummfilmklassiker „Metropolis“ (1927) werden Befehle<br />
übers Bildtelefon erteilt. Keine sechs Jahre später nimmt<br />
die Deutsche Reichspost eine „Gegenseh-Fernsprechanlage“<br />
in ausgesuchten Ämtern in Betrieb. Heimtaugliche Modelle<br />
kündigt Amerikas Telefontechnikgesellschaft Western<br />
Electric ab 1958 an. Trotz jahrelanger Forschung blieben die<br />
Apparate zu teuer, zu klobig und lieferten zu wenig Bild.<br />
Heute gelten sie als eine der kostspieligsten Entwicklungsflops<br />
in der Telekommunikation.<br />
Was die visuelle Fernkommunikation doch noch im Massenmarkt<br />
ankommen ließ, war die Computertechnik. Genau<br />
genommen machten kostenlose Auslandsgespräche von<br />
„Sky peer-to-peer“, kurz: Skype, die Bildtelefonie populär.<br />
Das Unternehmen war vor zehn Jahren Ebay 2,6 Milliarden<br />
US-Dollar wert, fünf Jahre drauf übernahm Microsoft für<br />
8,5 Milliarden.<br />
Bildschirme sind nur ein Zwischenbehelf. Das lassen „Microsoft<br />
Holoportation“ oder das von Leia Display angekündigte<br />
Hologramm-Telefon erahnen. Über 3-D-Screens (im<br />
Bild) kommuniziert man mit Gesprächspartnern: lebensgroß<br />
und interaktiv. Schon gesehen? Genau: In „Star Wars“<br />
nimmt Ki-Adi-Mundis Konterfei am Jedi-Meeting teil. ~<br />
Lachende Gesichter im futuristischen Fahrzeug-Rund.<br />
Als Comic ist der Traum vom unfallfreien und genussvollen<br />
Transport gezeichnet. Was nach einer aktuellen<br />
Kampagne für fahrerlose Autos klingt, war vor 60 Jahren<br />
im Zukunfts-Advertorial des US-Magazins „A Boys Life“<br />
zu sehen. In einem Punkt lag die Vision jedoch falsch: Sie<br />
verortete Lenktechnik in der Straße – das erste, von Google<br />
vor drei Jahren vorgestellte, autonome Auto, koordiniert<br />
eine selbstleitende Kamera, Algorithmen und Daten.<br />
Filmvisionen folgend steht die Autointelligenz erst am<br />
Anfang: 1968 schuf Disney mit dem tollen Käfer Herbie<br />
eine menschliche Persönlichkeit. Ab 1982 bekämpft der<br />
sprechende Sportwagen „K.I.T.T.“ mit David Hasselhoff<br />
in „Knight Rider“ das Übel der Welt. Und in „Total Recall“<br />
treibt ein sprachgesteuerter E-Chauffeur fast Arnold<br />
Schwarzenegger zum Wahnsinn – der erste seiner Art war<br />
1911 im Kurzfilm „The Automatic Motorist“ zu sehen. Allen<br />
Blechvisionen gemein ist die emphatische Weitsicht,<br />
mit der sie Unwägbares meistern. Eben das beschäftigt die<br />
Googles und die Teslas dieser Welt.<br />
Behält „IHS Automotiv“ recht, sind 2025 bereits 4,5 Millionen<br />
computergesteuerte Autos in China unterwegs. Ob<br />
das Land dann das Innovationslead übernimmt, ist offen.<br />
Sicher ist: Konzerne wie Changan machen dem Silicon<br />
Valley ernsthaft Konkurrenz. Auch deutsche Hersteller<br />
rüsten mit Modellen wie dem Mercedes F 015 Luxury (im<br />
Bild) allmählich auf – und kehren damit gewissermaßen<br />
zurück zu den Wurzeln. Denn vor 125 Jahren prognostizierte<br />
Gottlieb Daimler den Autobedarf auf maximal eine<br />
Million Stück – weil es an Chauffeuren mangele. ~<br />
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SCHWERPUNKT<br />
SCHWERPUNKT<br />
Foto: Italian Co-op‘s Press office<br />
Foto: Henn-na Hotel<br />
Verständnis von Kunden<br />
Empfehlung von Maschinen<br />
Werbung flimmert entlang der Gänge des Shopping<br />
Centers. Zu sehen bekommen Passanten aber nur,<br />
was ihren Interessen, Gemütslagen oder Gewohnheiten entspricht.<br />
Die Iris-Erkennung macht’s möglich – zumindest<br />
im Film „Minority Report“, den Steven Spielberg 2002 nach<br />
Philip K. Dicks Geschichte von 1956 drehte.<br />
Automatische Identifizierung verbietet der deutsche Datenschutz,<br />
aber die Vision vom gläsernen Konsumenten hält<br />
das nicht auf. Digitale Warenhausriesen wie Amazon zeigen,<br />
welche Absatzmacht in Individualdaten über Such- und<br />
Kaufverhalten steckt. Nun ersinnt der Flächenhandel Wege,<br />
Einkäufer zu verstehen. Im Herbst stellte Coop ihren Supermarkt<br />
der Zukunft auf der Expo in Mailand vor (im Bild).<br />
Per Handwink verraten hier Displays überm Obststand Eigenschaften<br />
wie etwa Herkunftsland, Chemikalien oder den<br />
ökologischen Früchte-Foodprint. Zeitgleich erfasst Technik<br />
die Interaktion und zieht konsumrelevante Rückschlüsse.<br />
Und bei „Westfield“ in Australien kennt der Shoppingmall-<br />
Betreiber zumindest jene Kunden gut, die Einkäufe in der<br />
„Searchable Mall“ online vorbereiten. Vorselektiert im Netz<br />
führt die App vor Ort direkt zum Wunschprodukt – und<br />
zeigt Alternativen und Cross-Selling-Angebote auf. Ergebnis:<br />
Bons und Besuchshäufigkeit stiegen.<br />
Scanner-Kassen waren der erste Meilenstein zum bedarfsorientierten<br />
Einkauf: Strichcodes machten jedes Produkt unverwechselbar.<br />
Und die Kassentechnik tagesaktuell klar, wann<br />
und wie oft was gekauft wurde. Das leitet seither Einkaufsund<br />
Sortimentspolitik. Bis Händler, Hersteller und Kassenhersteller<br />
vom Strichcode überzeugt waren, dauerte es indes:<br />
1948 erfunden, verständigte man sich in Deutschland erst<br />
1977 auf einen einheitlichen Strichcode, und bis weit in die<br />
80er-Jahre hinein zauderten Hersteller und große Ketten. ~<br />
Der Rezeptionist begrüßt den Gast des „Henn-na Hotel“<br />
auf Hario Island: „Kann ich Ihnen helfen?“. In der<br />
weltweit ersten Roboter-Herberge stellt die Frage allerdings<br />
ein menschartiger Blechkollege oder ein Dino (im Bild). Im<br />
Vorreiterland Japan ist das nur ein Beispiel für Maschinen,<br />
die „geistige“ Arbeit verrichten. In der „Soft Bank“ beraten<br />
die ersten Andoiden, die Emotionen lesen können. Bei Hitachi<br />
optimieren beflissene „Big Data“-Verwerter die Prozesse<br />
und weisen Mitarbeiter ein. Das sparte acht Prozent Kosten.<br />
Die Wissenschaft meint, im Jahr 2<strong>03</strong>0 sind Mensch und<br />
Maschine gleich klug. Ein Quantensprung gelang der künstlichen<br />
Intelligenz 2011, als der IBM-Supercomputer „Watson“<br />
die humanen Champions in der US-Quizshow „Jeopardy!“<br />
schlug. Das bewies: E-Hirne verstehen unbekannte<br />
Fragen und speisen die richtige Antwort schneller aus ihren<br />
Daten als topfitte Homo sapiens. Heute arbeitet Watson als<br />
E-Doktor: Gefüttert mit zigtausenden Falldaten, diagnostiziert<br />
er Krebs und unterbreitet Therapien. Dabei gelingt ihm<br />
in wenigen Minuten, wozu Ärzteteams Tage brauchen. Aber<br />
fehlt da nicht Einfühlungsvermögen? Im Massachusetts Institute<br />
of Technology ist man da optimistisch. In einem Versuch<br />
unterwiesen Manager die eine und Roboter die andere<br />
Gruppe. Anschließend befragt, fühlten sich Mitarbeiter vom<br />
E-Chef besser verstanden.<br />
Erdacht wurden die menschgleichen Maschinen vor fast 100<br />
Jahren: 1921 lässt Karel Capek im Drama „R.U.R.“ die zu<br />
stumpfsinniger Arbeit gezwungenen Roboter rebellieren.<br />
Gut 60 Jahre später ist der Auftritt des Wissenschaftsoffiziers<br />
„Ash“ im Horrorfilm „Alien“ derart menschlich, dass<br />
es sein Cyborg-Wesen verschleiert. Enterprise-Bordoffizier<br />
„Lt. Commander Data“ statuiert ab 1987 gar neue Führungsexempel:<br />
Er empfiehlt statt zu befehlen. ~<br />
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SCHWERPUNKT<br />
SCHWERPUNKT<br />
Zukunft managen<br />
Qualität entscheidet über unternehmerischen Erfolg<br />
Text: Pero Mićić<br />
Den Blick gezielt auf Menschen wie die eigenen Führungskräfte richten, in deren Köpfen schon jetzt Zukunftsbilder bestehen, sollten Unternehmen.<br />
Foto: eternalcreative<br />
Die Zukunft managen? Was für ein Unsinn, könnte man<br />
denken. Wie naiv, ein Unternehmen über fünf oder gar<br />
zehn Jahre vorauszuplanen. Zudem: Was man nicht greifen,<br />
messen, zählen und wiegen kann, das kann man auch nicht<br />
managen. Heutzutage muss man doch auf Sicht segeln, da<br />
im Nebel einer schnellen komplexen Umwelt in allen Richtungen<br />
Überraschungen auftauchen können. Oder? Meine<br />
Antwort ist ein entschiedenes Nein. Denn je schneller sich<br />
das geschäftliche Umfeld ändert, je komplexer es wird, umso<br />
größer wird der Bedarf an und<br />
die Sehnsucht nach Orientierung,<br />
Sicherheit, Chancen und Vision.<br />
Aber womöglich irren gestandene<br />
Führungskräfte in ihrer Einschätzung,<br />
was die Bedeutung eines<br />
systematischen Zukunftsmanagements<br />
angeht.<br />
Ein zentrales Problem im Umgang<br />
mit der Zukunft sind Begriffsverwirrungen. Denn es<br />
gilt festzulegen, was „die Zukunft“ aus unternehmerischer<br />
Perspektive ist. Zukunft wird im Wesentlichen so verstanden,<br />
dass es darum ginge, sie vorauszusagen oder darum, sehr<br />
langfristige Pläne zu machen. Dabei ist beides vergleichsweise<br />
sinnlos. Denn es geht weder um das Eine, noch um das<br />
Andere – weder um Vorhersage noch um Langfristplanung.<br />
Im Gegenteil: Zukunftsmanagement hat für das menschliche<br />
Gehirn vor allem dann einen Wert, wenn es im Hier und<br />
Jetzt eine Wirkung hat. Deshalb ist Zukunftsmanagement<br />
nichts anderes als der zielgerichtete Umgang mit den Zukunftsbildern<br />
in den Köpfen von Menschen im Hier und<br />
Jetzt. Jede Einschätzung, jede Entscheidung und jede Tat<br />
wird bestimmt vom Bild der Zukunft, das der Handelnde<br />
im Kopf hat. Nicht nur die Wahrnehmung der Gegenwart<br />
bestimmt unser Denken und Handeln, sondern auch die<br />
Wahrnehmung der Zukunft.<br />
Beobachtet und befragt man Menschen danach, was sie an der<br />
Zukunft interessiert, treten regelmäßig genau fünf verschiedene<br />
Bedürfnisse zutage. Diese fünf Sehnsüchte sind tief emotional<br />
verankert. Wer die Zukunft denken, Strategie entwickeln<br />
und vor allem Menschen für die Zukunft interessieren und sie<br />
mitnehmen will, kann an diesen fünf „Zukunftsbrillen“, wie<br />
wir sie nennen, nicht vorbei. Genau diese fünf Bedürfnisse<br />
zählen auch bei Unternehmern und Führungskräften. Sie lassen<br />
sich in fünf Kernfragen zusammenfassen:<br />
„Zukunftsmanagement hat für<br />
das menschliche Gehirn dann<br />
einen Wert, wenn es im Hier<br />
und Jetzt eine Wirkung hat.“<br />
Was kommt auf uns zu? Die gesamte europäische Solarzellen-Industrie<br />
hatte offenbar die Zukunftsannahme, dass<br />
die asiatischen Konkurrenten nicht schnell genug und nicht<br />
gut genug bleiben werden. Ex-Microsoft-Chef Steve Ballmer<br />
lachte laut, als er von Apples Plan erfuhr, ein Telefon<br />
ohne Tastatur für über 500 Dollar auf den Markt zu bringen.<br />
Bei Loewe dominierte die Zukunftsannahme, dass Röhrenfernseher<br />
noch sehr lange die von Konsumenten gegenüber<br />
Flachbildschirmen bevorzugte Fernsehtechnik sein werden.<br />
Unternehmen scheitern primär<br />
wegen falscher Zukunftsannahmen<br />
über den Kundenbedarf, die<br />
Marktentwicklung, Technologien<br />
oder politisch-gesellschaftliche<br />
Rahmenbedingungen. Unternehmer<br />
können wunderbar ohne<br />
Zukunftsforschung auskommen.<br />
Aber niemand kommt ohne Annahmen<br />
über die Zukunft aus. Unternehmerische Entscheidungen<br />
sind zwangsläufig mehr oder minder starke Festlegungen<br />
für die Zukunft. Stellt man Mitarbeiter ein oder<br />
entlässt sie, investiert man in eine Niederlassung oder macht<br />
es nicht, erschließt man ein neues Geschäftsfeld oder nicht<br />
– diese Entscheidungen basieren immer auf Zukunftsannahmen.<br />
Jedes Führungsteam hat meist unausgesprochene, nicht aufgeschriebene<br />
und oft sogar unbewusste Annahmen darüber,<br />
was kommt, was bleibt und was geht. Zukunftsannahmen, im<br />
Unterschied zu Prognosen, sind in erster Linie Werkzeuge<br />
der Frühwarnung. Ihr Zweck ist, sie gegen die heute wahrnehmbaren<br />
Umfeld-Veränderungen zu spiegeln und damit so<br />
früh wie möglich zu erkennen, wann und dass Strategie geändert<br />
werden muss. Das ist nicht Prognostik, sondern auf gezielter<br />
Aufmerksamkeit basierende Diagnostik. Verwunderlich,<br />
dass die meisten Unternehmen den Zukunftsannahmen<br />
ihrer Führungskräfte so wenig Aufmerksamkeit widmen.<br />
Was könnte uns überraschen? Wenig ist der menschlichen<br />
Natur wichtiger als das Gefühl von Sicherheit. Die Angst vor<br />
dem Ungewissen lässt sich lindern, indem man sich bewusst<br />
den potenziellen Überraschungen und Bedrohungen stellt.<br />
Nur so kann eine Ausrichtung, Vision und Strategie nach<br />
bestem Wissen zukunftsrobust gemacht werden.<br />
Kaum ein Produkt, kaum eine Dienstleistung und kaum ein<br />
Geschäftsmodell ist vor plötzlicher Substitution und Disruption<br />
geschützt. Das Mobil-Telefon hat unzählige Produkte<br />
ersetzt wie Kameras, Taschenrechner oder Navigationsgeräte.<br />
Plattform-Geschäfte wie Uber und AirBnB zerstören traditionelle<br />
Branchen wie Taxis und Hotels. Und wenn Blockchain<br />
erst in der Breite genutzt wird, werden Notare, Buchhalter,<br />
Banker und Dutzende anderer Berufe ihrer Grundlage beraubt.<br />
Gerade weil es immer mehr Überraschungen gibt,<br />
müssen verantwortungsbewusste Entscheider existenziell bedrohliche<br />
Überraschungen auf den Schirm holen.<br />
Welche Chancen haben wir, unsere Zukunft zu gestalten?<br />
Hierzulande drängt sich besonderes die Frage auf, wie die<br />
nahezu vollständig auf Verbrennungsmotoren ausgerichteten<br />
Automobil-Zulieferer die nächsten Jahrzehnte mit zunehmender<br />
Elektrifizierung des Antriebs überstehen. Das dritte<br />
menschliche Bedürfnis in Sachen Zukunft gilt den Chancen<br />
und Optionen, den Gestaltungsmöglichkeiten einer besseren<br />
Zukunft. Die Grenzen der Vorstellungskraft sind die Grenzen<br />
des Erfolges. Antworten sind gefragt, wovon das Unternehmen<br />
und seine Mitarbeiter morgen leben wird, was man<br />
aus dem Unternehmen entwickeln kann und was mit Geschäftsbereichen<br />
und Produkten geschehen soll.<br />
Wer Chancen sucht, muss erkennen, wofür Kunden heute<br />
wirklich zahlen. Und man muss Gestaltungspielraum dafür<br />
schaffen, wofür sie morgen zahlen. Dann ist besser zu kalkulieren,<br />
mit welchen Technologien, Lösungen, Produkten,<br />
Leistungen und Geschäftsmodellen die erwünschten Wirkungen<br />
zu erzielen sind. Es gilt konkret zu begreifen, welche<br />
Kundenprobleme durch 3D-Druck, Kurzpuls-Laser, Datenbrillen,<br />
preiswerte Gentests, die Blockchain und andere Technologien<br />
preiswerter oder überhaupt erst lösbar sein werden.<br />
Die ganze Welt der Kreativität und der Innovation ist dieser<br />
schöpferischen Zukunftsperspektive anzusiedeln.<br />
Wo führen wir hin? Mehr als jemals zuvor sehnen sich Menschen<br />
heute nach Orientierung. Die Warema AG sagt, dass<br />
sie nicht mehr Sonnenschutz-Spezialist, sondern Sonnenlicht-Manager<br />
sind. Das ist eine klare und besondere Mission<br />
und Positionierung. Der führende Sonnenlicht-Manager zu<br />
sein und das Beste aus Sonnenlicht zu machen – dies ist ein<br />
faszinierendes und langfristig sinnstiftendes Zukunftsbild.<br />
Wer Menschen führt, muss viele Fragen beantworten können:<br />
Wo er sie hinführen will, auf welches gemeinsame Zu-<br />
kunftsbild alle Projekte und Initiativen zulaufen, zu welchem<br />
Zweck alle Ressourcen eingesetzt werden, welches anziehende<br />
Zukunftsbild die Führungskräfte ihren Mitarbeitern anzubieten<br />
haben, und wofür sie sich engagieren und begeistern<br />
sollen. Es geht um den Sinn – heute und auf absehbare Zukunft.<br />
Und darum, wie motivierend und robust die Ausrichtung,<br />
Mission, Vision und Strategie ist. Die ferne Zukunft<br />
ist dabei weniger wichtig als die Vision in Sichtweite, aber<br />
noch außer Reichweite. Die Ausrichtung und Vision ist der<br />
Kern jeder Unternehmensstrategie. Ohne Vision verzetteln<br />
sich Leidenschaften, Energien und Ressourcen. Deshalb geht<br />
eine schwache Vision auf Kosten der Ertragskraft.<br />
Was tun wir als nächstes? Die Zeit des Langfristplans, groß<br />
und durchgerechnet, ist vorbei. Agilität gilt als Maxime der<br />
Gegenwart. Agil ist die Strategie, die in kurzen Intervallen<br />
– Sprints genannt – ein langfristiges Zukunftsbild verfolgt.<br />
Nach jedem Sprint wird die Situation neu analysiert und der<br />
nächste Sprint geplant. So wird Zukunft ganz pragmatisch<br />
gemacht.<br />
Zukunftsmanagement<br />
ist nicht delegierbar<br />
Es sind die fünf menschlichen Bedürfnisse, die den Kern<br />
dessen ausmachen, was wir Zukunftsmanagement nennen.<br />
Das Zukunftsbild der Führungskräfte ist die Grundlage aller<br />
Entscheidungen. Zukunftsmanagement kann und muss man<br />
als zentrale unternehmerische Aufgabe sehen. Als Aufgabe,<br />
die nicht delegierbar ist. Denn das eigene, tief in der Psyche<br />
verankerte Zukunftsbild kann man sich nicht einkaufen.<br />
Man kann es nur in sich entstehen lassen. Deshalb bestimmt<br />
die Qualität des Zukunftsmanagements den unternehmerischen<br />
Erfolg. ~<br />
Der Autor ist Gründer und Vorstand der FutureManagementGroup<br />
AG, gegründet im<br />
Jahr 1991 und damit Pionier für Zukunftsmanagement<br />
im deutschen Sprachraum.<br />
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SCHWERPUNKT<br />
Ihr Spezialist für die neuen Möglichkeiten<br />
der Sanierung unter Insolvenzschutz<br />
Guru oder Wissenschaftler<br />
Gastkommentar: Zukunftsforschung statt Trendsuche<br />
Text: Reinhold Popp, Salzburg<br />
hww wienberg wilhelm Insolvenzverwalter<br />
• Mehr als 350 Mitarbeiter an über 20 Standorten in Deutschland.<br />
• Weltweites Netzwerk durch hww wienberg wilhelm insolvency<br />
cooperation partner.<br />
„ Ihr Unternehmen<br />
ist mein Unternehmen<br />
und am Erfolg der Sanierung<br />
lasse ich mich messen.“<br />
Jan H. Wilhelm<br />
Sanierungsberater - Insolvenzverwalter<br />
Gründungspartner Jan H. Wilhelm<br />
Albert-Einstein-Ring 11<br />
22761 Hamburg<br />
Tel.: 040-85 399 78 – 0<br />
E-Mail: wilhelm@hww.eu<br />
Die heutige öffentliche Kommunikation über die Zukunft<br />
wird leider weniger von der Zukunftswissenschaft,<br />
sondern vor allem von Trend-Gurus geprägt. Seit<br />
der US-amerikanische Autor<br />
John Naisbitt im Jahr 1982 den<br />
scheinwissenschaftlichen Bestseller<br />
„Megatrends“ publizierte,<br />
steht dieser Begriff für einen<br />
simplifizierenden Zukunftsdiskurs.<br />
Dabei wird die Komplexität<br />
und Dynamik zukunftsrelevanter<br />
Entwicklungsprozesse<br />
auf eine kleine Zahl von unausweichlich<br />
wirkenden und alles<br />
bestimmenden Trends reduziert.<br />
Gegentrends werden nicht berücksichtigt<br />
und die Zukunft<br />
erscheint als eine von wenigen<br />
Megatrends erzwungene Entwicklung.<br />
In dieser simplen Logik ist die Entwicklung der<br />
Zukunft quasi alternativlos und deshalb recht einfach vorherzusagen.<br />
Dazu passen auch die religionsähnlich anmutenden posthumanistischen<br />
Zukunftsvisionen des Direktors der Entwicklungsabteilung<br />
von Google, Raymond Kurzweil, der im Silicon<br />
Valley von einer künstlichen Super-Intelligenz träumt<br />
und den Menschen als Auslaufmodell betrachtet.<br />
Auch im Bereich der strategischen Frühaufklärung stellt sich<br />
das schon vom Trend-Diskurs bekannte leidige Problem ein,<br />
dass seriöse Konzepte wie das vom Management-Theoretiker<br />
Igor Ansoff entwickelte Konzept der „weak signals“<br />
letztlich von manchen selbsternannten Zukunftsexperten<br />
bis zur Unkenntlichkeit verkürzt werden. So wird mithilfe<br />
des Begriffs „schwache Signale“ der Mythos kultiviert, dass<br />
die mit einem hellseherischen Sensorium ausgestatteten<br />
Prognose-Profis schon in der Gegenwart die zukünftigen<br />
Entwicklungen erspüren und so die Chancen und Gefahren<br />
für Wirtschaft und Politik frühzeitig erkennen könnten. Von<br />
manchen Zukunfts-Beratern wird der fragwürdige Begriff<br />
„Zukunftsradar“ verwendet. Dieser Begriff soll die Fähigkeit<br />
zum Anpeilen von Objekten in der Zukunft und zum Empfang<br />
von Signalen aus der Zukunft suggerieren.<br />
Einige dieser Zukunfts-Gurus bezeichnen sich übrigens<br />
selbst gerne als „Zukunftsforscher“. Da die benutzte Berufsbezeichnung<br />
der Forscher nicht rechtlich geschützt ist, bleibt<br />
der seriösen Zukunftswissenschaft gar nichts anderes übrig,<br />
als möglichst viele Menschen von der qualitätssichernden<br />
Forderung zu überzeugen: „Wo Forschung draufsteht, muss<br />
auch Forschung drin sein!“<br />
Die Zukunftswissenschaft bzw.<br />
Zukunftsforschung ist eine junge<br />
Disziplin, die sich seit rund sieben<br />
Jahrzehnten von den USA<br />
aus global verbreitet hat und eng<br />
verwandt ist mit Ansätzen wie<br />
der Innovationsforschung, der<br />
strategischen Planung, der Technikvorausschau,<br />
der Technikfolgenforschung<br />
und der Risikoforschung.<br />
Forschungsprojekte<br />
und Lehrangebote zum weiten<br />
Man muss kein Einstein sein, um die Zukunft zu erforschen,<br />
Themenspektrum gibt es heute<br />
sollte das Morgen aber wissenschaftlich erkunden.<br />
weltweit. An 23 Universitäten in<br />
18 Ländern gibt es auch entsprechende<br />
Studiengänge, in Deutschland am Institut Futur der<br />
Freien Universität Berlin. Außerdem existieren 13 zukunftswissenschaftliche<br />
Zeitschriften und eine wissenschaftliche<br />
Fachgesellschaft zur internationalen Vernetzung der Zukunftsforscherinnen<br />
und -forscher, die „World Futures Studies<br />
Federation“.<br />
Zukunftsforschung kann für die Vorausschau und Planung in<br />
wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Institutionen<br />
wichtige Beiträge leisten, indem sie wissenschaftlich<br />
fundiertes plausibles Wissen über Entwicklungsmöglichkeiten<br />
und Handlungsoptionen produziert, Chancen, Risiken<br />
und Gefahren herausarbeitet, Handlungsspielräume aufzeigt<br />
und erste Innovationsschritte wissenschaftlich begleitet. Genau<br />
das – nicht mehr und nicht weniger – kann Zukunftsforschung<br />
leisten. Nicht leisten kann sie dagegen die von<br />
den Zeitgeistmedien so sehnsüchtig nachgefragte und von<br />
wissenschaftsfernen Foresight-Beratern so bereitwillig angebotene<br />
Vorhersage, wie die Zukunft wirklich wird. ~<br />
Foto: istock.com/Antoniooo<br />
Der Autor erforscht als Hochschullehrer systematisch<br />
Zukunftswissenschaft, vor allem in<br />
Salzburg, Wien und Innsbruck. Derzeit<br />
lehrt er am Institut Futur der Freien Universität<br />
Berlin und an der „Sigmund Freud<br />
PrivatUniversität Wien“.<br />
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SCHWERPUNKT<br />
SCHWERPUNKT<br />
Richtig erarbeitete Szenarien lassen für Unternehmen „echte Landkarten künftiger Möglichkeiten“ entstehen.<br />
Unangenehme Erwartungen zählen auch dazu, um daraus realistische Strategien abzuleiten.<br />
Landkarten der Zukunft<br />
Wie Neues überrascht, ohne zu überrumpeln<br />
Viele Unternehmen versuchen, ihre langfristige Zukunftsplanung<br />
auf Prognosen aufzubauen, die mehr<br />
oder weniger aus Erfahrungen und vergangenheitsorientiertem<br />
Datenmaterial gespeist werden. „Big Data“ und „Predictive<br />
Analytics“ gelten als Heilsbringer auf dem Weg zur<br />
perfekten Vorhersage. Das mag in eng umgrenzten Themenfeldern<br />
und bei kurzfristigen Fragestellungen genau der richtige<br />
Weg sein – bei der mittel- und langfristigen Ausrichtung<br />
von Unternehmen gleicht der Einsatz von Prognosen nur zu<br />
oft der Fahrt auf einer kurvenreichen Bergstraße. Allerdings<br />
mit verklebter Frontscheibe und angestrengtem Blick in den<br />
Rückspiegel.<br />
Dies zeigt sich deutlich an Fehlurteilen renommierter Experten.<br />
So prognostizierte eine große Beratungsgesellschaft für<br />
das Jahr 2000 einen weltweiten Bedarf an Mobiltelefonen von<br />
900.000 Stück – der Produktion von drei Tagen. Microsoft-<br />
Gründer Bill Gates hielt 1995 das Internet für „just a hype“.<br />
Ben Bernanke, später US-Notenbankchef, glaubte noch 2004<br />
daran, die Politik könne die Konjunktur so weit im Griff haben,<br />
„dass sie keine schweren Krisen mehr verursachen kann.“<br />
Die Zunahme von Vielfalt und Dynamik in Märkten, Branchen<br />
und unternehmerischen Umfeldern lässt selbst verbesserte<br />
Prognose-Instrumente scheitern. Daher kommt einem<br />
zweiten Instrument große Bedeutung zu – den Zukunftsszenarien.<br />
Sie bilden nicht mehr ab, was sein wird, sondern was<br />
sein könnte. Dabei ist es das Ziel, alternative Möglichkeiten<br />
vorauszudenken, um auf diese Weise bessere Entscheidungen<br />
treffen zu können. Szenarien sind keine Strategien. Sie<br />
stellen mögliche Rahmenbedingungen fest, auf die ein Un-<br />
Text: Alexander Fink<br />
ternehmen künftig stoßen könnte. Etwa wie der Branchenwettbewerb<br />
sich entwickelt, wie Kundenanforderungen und<br />
Marktstrukturen sich verändern, oder wie die Wertschöpfung<br />
aussieht. Für sie betrachtet man zudem, wie sich generelle<br />
Einflussfaktoren auf Unternehmen auswirken – Demografie,<br />
Regulierung, Digitalisierung oder globale Sicherheit.<br />
Wie ein Wetterbericht<br />
für künftiges Geschäft<br />
Szenarien sind also so etwas wie ein Wetterbericht für künftiges<br />
Geschäft. Im Unterschied zu Trends und Prognosen, die<br />
häufig von Beratern und Trendforschern erstellt und geliefert<br />
werden, entstehen Szenarien in einem offenen Dialogprozess<br />
im Unternehmen. Dazu wird ein Szenarioteam zusammengestellt,<br />
dem Personen aus unterschiedlichen Geschäfts- und<br />
Funktionsbereichen angehören – nach Möglichkeit auch<br />
Personen mit unterschiedlichen Hintergründen, Perspektiven<br />
und Meinungen. In dem Szenarioprozess wird somit<br />
das Zukunftswissen der Organisationen strukturiert und zusammengeführt.<br />
Das Szenarioteam kann um Kunden, Lieferanten,<br />
Netzwerkpartner oder andere externe Innovatoren<br />
erweitert werden, um zusätzliche Impulse zu berücksichtigen.<br />
Zur Entwicklung von Szenarien ist es wichtig, sich vom klassischen<br />
Prognose-Denken zu verabschieden: Wahrscheinlichkeiten<br />
spielen keine Rolle. Stattdessen müssen die Teilnehmer<br />
lernen, in Szenarien zu denken. Die Szenarien selbst<br />
sind dann wie Bildbände aus der Zukunft. Sie vermitteln<br />
eine Vorstellung davon, wie ein Unternehmen in der Zukunft<br />
Foto: ktsimage<br />
agieren muss. Mit Szenarien ist es möglich, sich in eine bestimmte<br />
Zukunft hineinzuversetzen, um deren Dynamik zu<br />
verstehen. Sie helfen, Chancen und Gefahren besser zu erkennen<br />
und auf Veränderungen<br />
zu reagieren.<br />
Aus einzelnen Szenarien lassen<br />
sich strategische Entscheidungen<br />
schwierig ableiten. Unwägbarkeiten<br />
greifen, ob ein Szenario<br />
so eintreten wird oder ob es<br />
doch anders kommt. Daher ist es für Unternehmer und Planer<br />
wichtig, neben den einzelnen Szenarien auch den kompletten<br />
Raum im Blick zu haben. Dazu zählen Weggabelungen,<br />
Marktumfeld-Entwicklungen oder Pfad-Erkennungen.<br />
Wenn Szenarien richtig erarbeitet werden, dann entstehen<br />
nicht nur spannende Bildbände, sondern auch echte Landkarten<br />
künftiger Möglichkeiten. Dazu ist es notwendig,<br />
unterschiedliche Szenarien zu entwickeln – auch mit unangenehmen<br />
oder weniger wahrscheinlichen Zukünften. Die<br />
Erfahrung in vielen Szenario-Prozessen zeigt, dass die Visualisierung<br />
von großer Bedeutung ist.<br />
Szenarien – Jahre nutzen,<br />
aber stets neu bewerten<br />
Szenarien werden so entwickelt, dass sie mehrere Jahre genutzt<br />
werden können. Um aber die vielfach schnellen Veränderungen<br />
erfassen zu können, werden die Szenarien in regelmäßigen<br />
Abständen bewertet – nach jeweils heutigem Stand<br />
und/oder geänderten Zukunftserwartungen. Dieser Abgleich<br />
zur Bewertung ähnelt dem Finger auf der Landkarte.<br />
Szenarien sind Denk-Werkzeuge, aus denen Chancen, Gefahren<br />
und Handlungsoptionen abgeleitet werden können.<br />
Im Strategieprozess wird aber auch die Frage gestellt, auf<br />
Basis welcher Szenarien die eigenen Entscheidungen zu treffen<br />
sind. Dabei kommt abermals die Szenario-Bewertung<br />
ins Spiel. Denn sie beeinflusst maßgeblich die Entscheidung<br />
zwischen der fokussierten Planung, die auf einzelne Szenarien<br />
gestützt ist, und zukunftsrobuster Planung, die mehreren<br />
Umfeld-Entwicklungen gerecht wird.<br />
Je flexibler ein Unternehmen ist, desto eher kann es fokussiert<br />
agieren. Je ungewisser das Umfeld ist, desto stärker ist<br />
der Druck, sich zukunftsrobust aufzustellen. Szenarien sind<br />
also ein Werkzeug, mit dem Komplexität und Ungewissheit<br />
handhabbar gemacht werden.<br />
Zusätzlich zu den beschriebenen Umfeld-Szenarien können<br />
zwei weitere Formen von Szenarien genutzt werden: So lassen<br />
sich die eigenen Handlungsmöglichkeiten in Form von<br />
konsistenten Zukünften entwickeln und aufbereiten. Solche<br />
Strategieszenarien verdeutlichen den eigenen Strategieraum<br />
und erleichtern die Loslösung von tradierten Strategiekonzepten.<br />
Kann ein Unternehmen seine Branchen- und<br />
Rahmenbedingungen aktiv beeinflussen, können zudem<br />
Systemszenarien entworfen werden, mit denen neue Wertschöpfungsarchitekturen<br />
oder zukünftige Ökosysteme dargestellt<br />
werden. Nicht alle Ergebnisse eines Szenario prozesses<br />
müssen umgehend zu Entscheidungen führen. Es geht ums<br />
„Denken auf Vorrat ist wertvoll,<br />
um für die Zukunft schnelle und<br />
flexible Entscheidungen zu treffen.“<br />
Generieren von Orientierungswissen. Das Denken auf Vorrat<br />
ist ebenfalls wertvoll, um für die Zukunft schnelle und<br />
flexible Entscheidungen zu treffen. Die Zeit, die Unternehmen<br />
in eine gemeinsame Diskussion<br />
von zukunftsrelevanten<br />
Themen investieren, ist meist<br />
zu gering. Das liegt daran, dass<br />
negative Erfahrungen mit nicht<br />
zielgerichteten Diskussionen gesammelt<br />
wurden. Der systematische<br />
Prozess der Szenario-Entwicklung enthält verschiedene<br />
Foren, führt zu einem gemeinsamen Ergebnis und schafft<br />
zielführende Zukunftsdiskussionen. Bekannte Instrumente<br />
der Unternehmensführung wie Prognosemodelle, Simulationen<br />
oder einfache Trendbetrachtungen scheitern, wenn es um<br />
komplexe Fragestellungen wie die Zukunft der Mobilität, des<br />
Gesundheitswesens oder der Digitalisierung geht. Da in Szenarien<br />
qualitative Entwicklungen einzelner Schlüsselfaktoren<br />
betrachtet und verknüpft werden, eignet sich dieses Instrument<br />
für komplexe Fragestellungen.<br />
Viele Veränderungsprozesse scheitern nicht an der Einsicht,<br />
sondern an der inneren Vorstellung. Doch im Umgang mit<br />
der Zukunft ist es notwendig, sich von Erfahrungen zu lösen.<br />
Es gilt, offen für neue Sichtweisen zu sein. Szenarien können<br />
diesen Prozess nachhaltig unterstützen.<br />
Unternehmensstrategie<br />
kein Monopol der Spitze<br />
Strategische Unternehmensentwicklung darf nicht ein Monopol<br />
von Vorständen und Geschäftsführungen sein. Mit<br />
Szenarien lässt sich das Wissen weiterer Führungskräfte auf<br />
eine inspirierende Weise in den Prozess integrieren. Das bedeutet<br />
nicht, dass die oberste Führungsebene die finale Entscheidung<br />
aus der Hand gibt. Aber die Umsetzungsebene<br />
muss heute integriert sein. Szenarien sind dazu da, dass Unternehmen<br />
ihre Zukunftsbilder besser verstehen und damit<br />
ihre Möglichkeit erkennen, mit Kunden, Partnern, Politikern<br />
oder der breiten Öffentlichkeit in einen Dialog zu treten. Sie<br />
verstehen sich insofern als Kartografen der Zukunft und öffnen<br />
damit das Unternehmen. ~<br />
Weitere Informationen:<br />
Alexander Fink / Andreas Siebe:<br />
Szenario-Management – Von strategischem<br />
Vorausdenken zu zukunftsrobusten Entscheidungen,<br />
Campus, Frankfurt, <strong>2016</strong><br />
Der Autor ist Gründungsinitiator und Mitglied<br />
des Vorstands der Scenario Management International<br />
AG, eine der führenden Dienstleister<br />
für die Entwicklung und Anwendung von Zukunftsszenarien.<br />
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SCHWERPUNKT<br />
SCHWERPUNKT<br />
Agil führen<br />
Neues Leadership für veränderungsfähige Organisationen<br />
Text: Moritz von Campenhausen<br />
Nudge Management<br />
Moderne Führung steuert Verhalten mit sanften Stupsern<br />
Text: Wolfgang Freibichler<br />
Die Vorstellung, was gute Führung bedeutet und wie<br />
das Ideal einer guten Führungskraft aussieht, ändert<br />
sich so schnell wie die Anforderungen der Umwelt an die<br />
Entscheider. War in den 80er-Jahren eher der stringente,<br />
durchsetzungsstarke, auf Prozess und Effizienz getrimmte<br />
Manager gefordert, wünschte man sich in den 90ern und<br />
2000ern den unternehmerischen Typ, der als Visionär neue<br />
Wege beschreiten sollte.<br />
Frühere Führungskonzepte basierten auf relativ klaren und<br />
stabilen Rahmenbedingungen. Wenn Ziele festgelegt und<br />
die Situation analysiert waren, griffen bestimmte Maßnahmen<br />
aus einem definierten Methodenbaukasten. Das funktioniert<br />
heute nicht mehr. Angesichts der extremen Veränderungsgeschwindigkeit<br />
und der Tiefe der Umwälzungen<br />
der neuen Welt aus Volatility, Uncertainty, Complexity and<br />
Ambiguity (VUCA) stoßen herkömmliche Führungsrezepte<br />
an ihre Grenzen.<br />
Einer allein kann es nicht schaffen: Die Vorstellung vom charismatischen<br />
Führer, der alle Probleme bewältigen kann, ist überholt.<br />
Die Unsicherheit bleibt als einzige Konstante. Damit ändert<br />
sich der Blick auf die Führungskraft. Beurteilte man sie<br />
früher allein anhand ihrer Kompetenzen und damit an gezeigten<br />
Fähigkeiten, tritt jetzt als entscheidende Größe das<br />
Potenzial in den Fokus – also das, was noch werden kann:<br />
Wie groß ist ihre Fähigkeit, sich auf Neues, bisher nicht Bekanntes<br />
einzulassen und mit unvorhergesehenen Situationen<br />
fertigzuwerden?<br />
Dazu braucht es Neugier und Mobilisierungskraft, den Willen<br />
zur Selbstreflexion und Offenheit, eine hohe Frustrationstoleranz<br />
und die notwendige Entschlossenheit. Klar ist<br />
auch: Einer alleine kann es nicht schaffen. Die Vorstellung<br />
eines charismatischen Führers, der eine Organisation komplett<br />
hinter sich bringt und so alle Probleme bewältigen kann,<br />
Foto: Jakub Jirsak<br />
ist überholt. Entscheidend ist vielmehr die Fähigkeit, Teams<br />
zusammenzustellen, zu orchestrieren und das Beste aus ihnen<br />
herauszuholen. Während 1980 nur ein Fünftel aller Arbeiten<br />
im Team erfolgten, waren es 2010 bereits vier Fünftel. Tendenz<br />
stark steigend. Die hochkomplexen und undurchsichtigen<br />
Situationen der Zukunft verlangen nach ungewöhnlichen<br />
Teams. Das kann so weit gehen, dass diese Teams keine<br />
Führungskräfte im traditionellen Sinne mehr haben, sondern<br />
diese zurücktreten, um denjenigen den Vortritt zu lassen, die<br />
für die jeweilige Aufgabe am geeignetsten sind.<br />
Das Neue aufbauen,<br />
aber das Alte erhalten<br />
Für das Unternehmen bedeutet die Gründung solcher Teams<br />
doppelten Stress. Denn diese thematisch motivierten Gruppen<br />
stehen in der Regel quer zu bestehenden organisatorischen<br />
Strukturen. Aber egal, wie wichtig das Ausprobieren<br />
des neuen Terrains sein mag: Die alte, effiziente Unternehmenswelt<br />
muss weiter funktionieren. Das Neue aufbauen,<br />
aber das Alte erhalten, wo es angemessen ist und es behutsam<br />
weiterentwickeln – diese Spannbreite auszuhalten, ist<br />
die vielleicht größte Herausforderung für Organisationen<br />
und ihre Führungskräfte. Ein Patentrezept für das richtige<br />
Maß gibt es nicht. Hier helfen nur individuelle Lösungen.<br />
Ein radikaler Bruch über Nacht ist weder möglich noch<br />
wünschenswert, denn er bedingt einen Kulturwandel, den<br />
man nicht einfach verordnen kann und der auch nicht für<br />
jeden Bereich gleich angemessen erscheint. Wenn aber alle<br />
zusammen – allen voran die Führungspersönlichkeiten –<br />
verstanden haben, dass Hierarchien und organisierte Strukturen<br />
geringere Bedeutung haben als Fähigkeiten, Einsatzwille<br />
und eine gewisse Fehlertoleranz, dann spricht man von<br />
einem „agilen“ Unternehmen. Darin trägt jeder Einzelne auf<br />
jeder Ebene mehr Verantwortung als früher. Ein Unternehmen<br />
kann sich so flexibler und aktiver in einem stets unvorhersehbaren<br />
Umfeld bewegen. ~<br />
Der Autor leitet die Praxisgruppe „Leadership<br />
Services“ bei Egon Zehnder, der internationalen<br />
Personalberatung für Top-Führungskräfte.<br />
Ein Blick auf die Uhr. Die letzte Stunde ist wie im Flug<br />
vergangen. Das Gehirn hat auf Hochtouren gearbeitet,<br />
die Ideen sprudelten geradezu und jetzt ist der Lösungsweg<br />
glasklar vorgezeichnet: Psychologen sprechen dann vom<br />
„Flow-Zustand“, einer Phase<br />
höchster Konzentration und<br />
Produktivität. Diesen Arbeitsmodus<br />
gezielt anzuregen und<br />
so das Beste aus den Wissensarbeitern<br />
herauszuholen,<br />
avanciert zum wichtigen Management-Ziel<br />
in der digitalisierten<br />
Arbeitswelt. Schließlich<br />
erwarten Kunden eine weitere<br />
Individualisierung und Flexibilisierung<br />
von Produkten und<br />
Dienstleistungen. In Branchen,<br />
in denen die Produktion weitgehend<br />
optimiert wurde, sind<br />
indirekte Bereiche schon heute<br />
ausschlaggebend im Wettbewerb. Als Managementberater<br />
haben meine Kollegen und ich Einblicke in die unterschiedlichsten<br />
Firmen weltweit. Dabei sehen wir, dass der digitale<br />
Wandel vor allem eines auslöst: Verunsicherung. Doch wer<br />
zu lange zögert, riskiert unter Umständen, dass branchenfremde<br />
Firmen das eigene Geschäftsmodell durch ein anderes<br />
ersetzen. Um mit der neuen Geschwindigkeit Schritt<br />
halten zu können, müssen Wertschöpfungsketten vom Lieferanten<br />
bis zum Kunden rationalisiert und automatisiert<br />
werden.<br />
Mitreisende in die richtige Richtung zu lenken, gelingt fähigen<br />
Führungskräften heute auch behutsam.<br />
Agilität bei Google<br />
und Samsung<br />
Diese Aufgabe bereitet so manchem Manager schlaflose<br />
Nächte. Doch es gibt auch Unternehmenslenker, die sich<br />
über die dramatischen Veränderungen freuen. Technologiegrößen<br />
wie Samsung und Google verfügen über einen<br />
entscheidenden Vorteil in unruhigen Zeiten: Agilität. Auf<br />
Veränderungen können sie schnell reagieren und dadurch<br />
profitabel wachsen.<br />
Wie gelingt es diesen Unternehmen, dass ihre Wissensarbeiter<br />
um ein vielfaches produktiver arbeiten, als der durchschnittliche<br />
Ingenieur oder Kaufmann? Klassische Ansätze<br />
zur Produktivitätssteigerung stoßen hier an ihre Grenzen.<br />
Statt Abläufe immer weiter zu standardisieren, werden Freiräume<br />
gezielt geschaffen. Also eher freier Jazz statt strenge<br />
Klassik. Google macht sich beispielsweise die Erkenntnisse<br />
von Vernon L. Smith und Daniel Kahneman, Wirtschaftsnobelpreisträger<br />
des Jahres 2002,<br />
zunutze: Die Tatsache, dass<br />
ein Großteil des menschlichen<br />
Verhaltens auf Instinkten basiert,<br />
wird gezielt eingesetzt,<br />
um Verhalten zu steuern.<br />
Auch einige deutsche Konzerne<br />
und Mittelständler sind dabei,<br />
Erkenntnisse der Verhaltensökonomie<br />
zu nutzen, um<br />
ihre Mitarbeiter sanft in die<br />
Foto: Porsche<br />
richtige Richtung zu lenken.<br />
Der gesunde Salat ist in der<br />
Kantine einfacher zu erreichen<br />
als das fettige Fleisch – denn<br />
auch am Nachmittag wird das<br />
Blut im Kopf benötigt. Wird es in Meetings zu laut, leuchtet<br />
eine rote Lampe – hitzige Debatten beruhigen sich dadurch<br />
schneller. Vor Sitzungen von Arbeitsgruppen werden<br />
kurze Satirefilme gezeigt, bei denen alle über die „ewigen<br />
Bewahrer“ lachen. Die Botschaft kommt an: Bitte Neuland<br />
betreten.<br />
Im angloamerikanischen Raum wird diese Form der Verhaltensbeeinflussung<br />
als „Nudging“, also „Stupsen“, bezeichnet.<br />
Die Politik hat dies bereits aufgegriffen. Im Weißen Haus<br />
gibt es Nudge Units. Und auch die Bundesregierung ist dabei,<br />
Erkenntnisse der Verhaltensökonomie systematisch zu<br />
nutzen. Für Unternehmen bietet Nudging große Chancen,<br />
denn ein Großteil der Lösungen erfordert keine Investitionen.<br />
Zudem sind die „Stupser“ gut skalierbar, können also<br />
schnell im Unternehmen ausgerollt werden. Und da niemand<br />
zu einem bestimmten Verhalten gezwungen wird, ist<br />
mit guter Akzeptanz zu rechnen. ~<br />
Der Autor ist Partner in der Managementberatung<br />
Porsche Consulting mit den Branchenschwerpunkten<br />
Industriegüter und Private<br />
Equity.<br />
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SCHWERPUNKT<br />
SCHWERPUNKT<br />
Ulf Pillkahn,<br />
Professor für Innovationsmanagement und<br />
ehemaliger Leiter Trend-Monitoring Siemens AG:<br />
„Wenn man die Zukunftsforschung abgeschlossen hat,<br />
geht die Arbeit erst richtig los. Das vergessen die meisten.<br />
Handlungsdruck ist erst da, wenn es ein Problem gibt.<br />
Deshalb ist Lernen vor der Krise viel schwieriger<br />
als nach der Krise.“<br />
Reinhold Popp,<br />
Zukunftswissenschaftler aus Salzburg:<br />
„Zukunftsforschung kann wichtige Beiträge<br />
leisten, indem sie plausibles Wissen über<br />
Entwicklungsmöglichkeiten und Handlungsoptionen<br />
produziert, Chancen, Risiken und<br />
Gefahren herausarbeitet, Handlungsspielräume<br />
aufzeigt und erste Innovationsschritte<br />
wissenschaftlich begleitet.“<br />
Mathias Peer,<br />
„<strong>return</strong>“-Korrespondent, Bangkok:<br />
„Während die Tech-Firmen in Europa und<br />
den USA weitgehend isoliert voneinander<br />
an ihren selbstfahrenden Autos arbeiten, hat<br />
sich Singapurs Regierung vorgenommen,<br />
eine Vielzahl von Pilotprojekten zentral<br />
zu koordinieren und zu fördern.“<br />
Statements:<br />
Zukunft<br />
managen<br />
Wie Unternehmen mit Agilität und mit Systematik<br />
im Zukunfts- und Innovationsmanagement rechtzeitig<br />
richtig auf Entwicklungen reagieren und<br />
damit frühzeitig Bedürfnisse erkennen –<br />
dafür liefern unsere Interviewpartner und<br />
Autoren im Heft-Schwerpunkt<br />
zahlreiche Beispiele.<br />
Kerstin Zilm,<br />
„<strong>return</strong>“-Korrespondentin, Los Angeles,<br />
in ihrem Porträt über Hyperloop-Chef Dirk Ahlborn:<br />
„Die Magnetbahn soll Passagiere wie Rohrpost<br />
transportieren. Der Plan ist, dass sie in Kapseln durch<br />
ein Rohr jagen und zwar mit einer Geschwindigkeit<br />
von mehr als tausend Stundenkilometern.“<br />
Joerg Dederichs,<br />
Geschäftsführer 3M Deutschland:<br />
„Wir gehen rechtzeitig rein,<br />
wenn die Profitabilität nicht mehr stimmt.<br />
Anders gesagt: Wir reparieren das Dach,<br />
solange die Sonne noch scheint.“<br />
Peter Vullinghs,<br />
Vorsitzender der Geschäftsleitung<br />
von Philips Deutschland:<br />
„Wir suchen uns Partner, mit denen wir<br />
die digitale Reise im Gesundheitsmarkt<br />
beschreiten und mit denen wir gemeinsam<br />
im Sinne des Menschen neue Lösungen<br />
entwickeln. Das hat ein komplettes<br />
Umdenken als Voraussetzung.“<br />
Wolfgang Freibichler,<br />
Partner in der Managementberatung<br />
Porsche Consulting:<br />
„Technologiegrößen wie Samsung und Google<br />
verfügen über einen entscheidenden Vorteil in unruhigen<br />
Zeiten: Agilität. Auf Veränderungen können sie schnell<br />
reagieren und dadurch profitabel wachsen.“<br />
64<br />
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<strong>03</strong>/16<br />
65
HINTERGRUND & WISSEN<br />
HINTERGRUND & WISSEN<br />
„In die Wertschöpfung<br />
des Kunden einbinden“<br />
Digital getriebenen Wandel in der Wirtschaft und passende Dienste für Unternehmen<br />
betont Dr. Ulrich Hermann, scheidender Chef von Wolters Kluwer Deutschland.<br />
Text: Thorsten Garber<br />
66<br />
<strong>03</strong>/16<br />
Dr. Ulrich Hermann suchte seit seinem Antritt im Jahr 2005 für Kunden nach Expertenwissen<br />
für die Entscheidungsfindung, um mit Inhalten zur Wertschöpfung beizutragen. Der scheidende<br />
Vorsitzende der Geschäftsführung von Wolters Kluwer Deutschland und Mitglied des<br />
europäischen Konzern-Spartenvorstandes war zuvor bei Bertelsmann und im Süddeutschen<br />
Verlag tätig, studierte Ingenieurwissenschaft an der RWTH Aachen und promovierte in Wirtschaftswissenschaften<br />
an der Universität St. Gallen.<br />
Fotos: Wolters Kluwer<br />
Herr Dr. Hermann, nach mehr als zehn Jahren verlassen<br />
Sie Wolters Kluwer. Wie fällt Ihre Bilanz aus?<br />
Ulrich Hermann: Wolters Kluwer Deutschland hat sich unter<br />
meiner Führung vollständig verändert. Als ich 2005 begann,<br />
waren wir ein reines Printhaus,<br />
mit neun starken Verlagsmarken<br />
über elf Standorte verteilt. Das<br />
Geschäft war rückläufig. Heute<br />
wird in Summe über 70 Prozent<br />
des Umsatzes in Deutschland<br />
mit digitalen Lösungen erzielt.<br />
Die Anzahl der Standorte ist<br />
halbiert, gleichzeitig die Belegschaft und der Umsatz verdoppelt<br />
sowie das Ergebnis verdreifacht. Wolters Kluwer<br />
Deutschland operiert konsistent unter einer globalen Marke<br />
und nutzt die Kompetenzen der skalierten Organisation im<br />
internationalen Technologiekonzern.<br />
Was war besonders schwierig zu managen, was erachten<br />
Sie als besonders gelungen?<br />
Die Herausforderung bestand für Wolters Kluwer unter anderem<br />
darin, in ihrem historisch angestammten Geschäftsfeld<br />
im Bereich Recht und Öffentliche Verwaltung eine digitale<br />
Kundenbasis aufzubauen. Die Kunden hier sind immer<br />
noch mehrheitlich traditionelle Printnutzer. Als Nummer<br />
drei in diesem spezifischen Markt gelingt es uns erst seit etwa<br />
zwei Jahren, mit digitalen Lösungen wie Jurion, Smart Law<br />
oder Anwalt 24 eine neue Generation von digitalen Kunden<br />
aufzubauen. Besonders gelungen ist der Aufbau von neuen<br />
Märkten, etwa in Steuerberatersoftware oder im Großkundengeschäft<br />
mit der AOK und seit Neuestem der DGUV.<br />
All dies wäre ohne einen fundamentalen Werte- und Kulturwandel<br />
hin zu einer auf den Kunden ausgerichteten Belegschaft<br />
nicht möglich gewesen. Die Kundenorientierung<br />
kombiniert mit digitaler Kompetenz ist das Fundament der<br />
Zukunft von Wolters Kluwer Deutschland.<br />
Welchen Aufgaben widmen Sie sich künftig?<br />
Nach dem Medienbereich hat die digitale Transformation<br />
„Unternehmensführer müssen<br />
mehr Risikobereitschaft in ihrer<br />
Belegschaft zulassen und lernen,<br />
besser mit Risiken umzugehen.“<br />
heute verschiedene Industrien erfasst. Als nächstes trifft<br />
der Wandel vor allem solche produzierende Unternehmen,<br />
die nicht nur Equipment, sondern ein Service-Geschäft<br />
betreiben. Als Maschinenbau-Ingenieur mit verschiedenen<br />
Mandaten an der RWTH Aachen<br />
beobachte ich die Industrie<br />
4.0 bereits länger. Die digitale<br />
Transformation eines serviceorientierten<br />
Unternehmens wird<br />
meine nächste Aufgabe.<br />
Warum halten Sie die digitale<br />
Transformation in Unternehmen für das Megathema?<br />
Mit der digitalen Transformation können Unternehmen<br />
etwa Kundendaten besser nutzen, weil technische Barrieren<br />
überwunden sind. Zum zweiten erlaubt sie in der Industrie<br />
4.0, Teile der Wertschöpfung zu verbinden, was Abläufe<br />
effizienter gestaltet. Drittens sind damit für Unternehmen<br />
eigene Leistungen besser in die Wertschöpfung des<br />
Kunden einzubinden, was diesen einen höheren Nutzen<br />
bringt und den Anbietern klare Wettbewerbsvorteile. Denn<br />
daraus resultiert vor allem mehr Kundenloyalität, die sich<br />
letztlich als Preisvorteil abbildet. Die digitale Transformation<br />
verändert also ganze Produktionssysteme, Leistungen<br />
und Organisationen.<br />
Maschinenproduzenten kooperieren künftig mit Softwarefirmen,<br />
um Kundenbeziehungen im digitalen Kontext<br />
zu gestalten. Was setzt dies bei Käufern voraus?<br />
Sie selbst treiben doch diese Entwicklung. Denn sie wiederum<br />
sind von drei Megatrends getrieben: Erstens mehr<br />
mit weniger Mitteleinsatz flexibler zu produzieren. Zweitens<br />
auf neuen Wettbewerb durch digitale Anbieter zu reagieren.<br />
Drittens „Disruption“ in ihren Märkten zu antizipieren,<br />
weil etwa alte Regulierungen fallen. Jede Firma ist<br />
diesen Entwicklungen ausgesetzt, die mehr Transparenz,<br />
neue Logik und innovative Geschäftsmodelle hervorbringen.<br />
Ein Teile-Zulieferer wird dann nicht mehr pro Teil<br />
bezahlt, sondern partizipiert an der Vermeidung von Still-<br />
<strong>03</strong>/16<br />
67
HINTERGRUND & WISSEN<br />
HINTERGRUND & WISSEN<br />
Nancy McKinstry gelang als CEO die Transformation von Wolters Kluwer.<br />
standzeiten seines Kunden. Gemeinsam mehr Produktivität<br />
bei höherem Kundennutzen zu schaffen, verspricht für alle<br />
Beteiligten große Chancen.<br />
Industrie 4.0 vernetzt nicht nur Produktion, sondern<br />
schafft Geschäftsmodelle und prägt Organisationen.<br />
Welche Anforderungen stellt dies an die Unternehmensführung?<br />
Die Abkehr von Durchführungs- und Durchsetzungsorganisationen<br />
zählt zu den großen Herausforderungen der neuen<br />
Unternehmensführung. Es geht nicht mehr darum, allein<br />
zu liefern wie bestellt. In heutigen Industriebetrieben klappt<br />
die Arbeitsteilung nach vorgedachten Prozessen – stets weiter<br />
optimiert in Qualität, Zeit, Kosten. Häufig hierarchische<br />
Strukturen mit klaren Zuständigkeiten zählen in diesen<br />
Leistungsorganisationen. Nach der digitalen Transformation<br />
funktionieren Organisationen aber anders. Nicht die eigene<br />
Produktproduktion sondern der Produkteinsatz beim<br />
Kunden ist maßgeblich. Der Unternehmer hat mit Blick auf<br />
Kundenprozesse das Unternehmen zu optimieren. Entwicklungen<br />
finden nicht mehr linear, sondern exponentiell statt.<br />
Planungen werden kurzfristiger, die Organisation flexibler,<br />
die Dynamik stärker, die Lernfähigkeit ausgeprägter, die<br />
Fehlertoleranz höher.<br />
Steigt damit auch die Risikobereitschaft?<br />
Ja. Unternehmensführer müssen mehr Risikobereitschaft in<br />
ihrer Belegschaft zulassen und lernen, anders mit Risiken<br />
umzugehen. Lange Kommunikationswege und starre Hierarchien<br />
sind dann hinderlich. Denn für Neuentwicklungen<br />
steht weniger Zeit zur Verfügung. Verhalten und Kultur<br />
müssen sich ändern. Im Kern wird man Wertvorstellungen<br />
erkennen, analysieren und anpassen müssen. Das wird elementar.<br />
Oder wie Management-Vordenker Peter Drucker<br />
formulierte: „Culture eats strategy for breakfast.“<br />
Sinnvoll in Arbeitsprozessen integriert sind Anwendungen bei Addison.<br />
Komplexität sei der Hauptgrund für die wachsende Zahl<br />
von Krisen, warnt Management-Experte Fredmund<br />
Malik, aber das Wissen um Komplexität und wie man sie<br />
meistert, sei die wichtigste Ressource für funktionierende<br />
Organisationen. Stimmen Sie ihm zu?<br />
Absolut. Mit Internettechnologien ist uns der echte Produktivitätssprung<br />
doch noch gar nicht gelungen. Komplexität<br />
scheint erst Fehlfunktionen zu verursachen, bevor wir sie<br />
richtig zu nutzen wissen.<br />
Wie empfehlen Sie, sinnvoll mit Komplexität als Rohstoff<br />
für Intelligenz, Innovation und Evolution umzugehen?<br />
Komplexität gilt es zu beherrschen. Dazu muss man in der<br />
Wertschöpfung den Nutzen verstehen. Priorisieren lernen,<br />
Relevanz schaffen, Standards setzen. Oder Fertigungen modularisieren.<br />
Fahrzeug-Plattformen in der Automobilindustrie<br />
sind bewährte Beispiele für Wiederverwertbarkeit. Aus<br />
Big Data die relevanten Führungsinformationen zur Verfügung<br />
zu stellen, schafft ebenfalls Lösungen aus Komplexität.<br />
Im Vorteil ist, wer nicht in Komplexität versinkt. Man kann<br />
übrigens auch in kleinen Etappen zum Ziel kommen.<br />
„Data Analytics“ beschreibt den nächsten Schritt für<br />
Wolters Kluwer. Worin wird dafür verstärkt investiert?<br />
Heute arbeiten die Mitarbeiter von Wolters Kluwer mehrheitlich<br />
als Softwareingenieure, im Produktmanagement, im<br />
Vertrieb und im Marketing. Ein Merkmal früher war, dass<br />
der Kundenkontakt vollständig fehlte. Der lag beim Handel.<br />
Heute ist der Kunde allgegenwärtig. Jetzt wird in der dritten<br />
Phase unserer Transformation geschaut, was der Nutzer<br />
mit WK-Anwendungen erarbeitet. Die Daten, die daraus zu<br />
ziehen sind, werden in neue Anwendungen übersetzt. Aus<br />
der WK-Produktwelt eignet sich ein Beispiel in den USA,<br />
um den nächsten Schritt zu zeigen: Tymetrix und Passport<br />
sind Plattformen für Rechtsabteilungen. Eine Anwendung<br />
ermöglicht, Rechnungen von Anwaltskanzleien auszuwerten<br />
hinsichtlich der aufgeführten Arbeitsstunden und Vergütungen.<br />
Nach einem Auftrag ist jede Transaktion, die etwa in<br />
New York angefallen ist, USA-weit nach Stundensätzen zu<br />
vergleichen. Mit diesem Datenstamm sind Ausschreibungen<br />
zu steuern. Kurzum: Hier entstehen neue Lösungen.<br />
Statt Verfügbarkeit ist Produktivität entscheidend. Gibt<br />
es hierfür modellhaft ein Beispiel?<br />
Nehmen wir das ehemalige Inhalte-Angebot in klassischen<br />
Loseblatt-Sammlungen zu aktuellen Rechtsprechungen.<br />
Das Geschäftsmodell adressierte den Wert der Verfügbarkeit<br />
solcher Inhalte. Der Kunde zahlt nicht für Inhalte, sondern<br />
für einen produktiven Arbeitsvorgang, in dem solche Inhalte<br />
verarbeitet werden. Zum Arbeitsvorgang gehören zudem die<br />
Einbindung von Mitarbeitern, Dokumentations- und Freigabeprozesse.<br />
Neu für die Wertschöpfung ist die Unterstützung<br />
über die gesteigerte Produktivität, indem jetzt etwa für<br />
einen Fall Informationen direkt im Schriftsatz eingebunden<br />
werden können – inklusive Kommentierungen durch geöffnete<br />
Fenster am Rand. Anwender sparen Zeit und gewinnen<br />
an Effektivität.<br />
Für die Klientel aus Wirtschaft, Recht und Steuern – worin<br />
wandeln sich Arbeitswelten wesentlich?<br />
Die Möglichkeiten des Workflows erlauben, über neue IT-<br />
Lösungen für weniger Geld etwa Cloud-Dienste zu nutzen.<br />
Zweitens gibt es hohe Anforderungen an diese Berufe nach<br />
der Devise „More for less“, also mehr mit weniger Aufwand<br />
zu liefern, wodurch etwa jede Anwaltsstunde spitz kalkuliert<br />
sein muss, um die Wertschöpfung aufrechtzuerhalten. Drittens<br />
hält die Liberalisierung auch in Recht und Steuern verstärkt<br />
Einzug, wie das von neuen digitalen Lösungsanbietern<br />
etwa aus der Mobilität oder in der Hotellerie bekannt ist.<br />
Neue Player ohne Lizenz kommen auf, die ihre Rechtsdienste<br />
im Internet am Anwalt vorbei anbieten. Bewertungsportale<br />
übernehmen verstärkt die Qualitätssicherung, was sie zu<br />
einem attraktiven Vertriebskanal macht.<br />
Brauchen wir grundsätzlich mehr Gründergeist?<br />
Ja, da kann ich nur zustimmen. Allerdings sehe ich den<br />
Wunsch nach Selbstständigkeit in der neuen Generation<br />
stark ausgeprägt. Die Hochschulabsolventen sind förmlich<br />
angefixt, ihr eigenes Geschäftsmodell zu entwickeln und<br />
auszuprobieren. Ganze Gründerszenen entwickeln sich<br />
hierfür und stehen bereit mit Finanzierung und Know-how.<br />
Eine Maschinenbau-Fabrik ist bekanntlich schwieriger zu<br />
gründen als ein Internet-Start-up im E-Commerce oder<br />
Dienstleistungsbereich. Ehemalige Existenzgründer in traditionellen<br />
Industriebetrieben aufzunehmen, kann übrigens<br />
ein Segen sein. Engpässe für neues Unternehmertum sehe<br />
ich in puncto Führung und Kommunikation. Reine Spezialisten<br />
sind damit überfordert, weil das in den allermeisten<br />
Ausbildungen noch ausgebaut gehört.<br />
Ist eine neue Haltung nötig, die ein Scheitern und eine<br />
zweite Chance zulässt?<br />
Ja, aber ich unterscheide zwei Seiten. Zum einen Familienunternehmen,<br />
die über Generationen hinweg auch für<br />
Sicherheit in einer sozialen Marktwirtschaft stehen. Mit<br />
dieser Kultur dürfen Inhaber nicht leichtfertig umgehen.<br />
Zum anderen von Spezialisten gegründete Start-ups, denen<br />
diese Sozialisation fremd ist und denen Führungsfähigkeiten<br />
häufig noch fehlen. Sie investieren Risiko-Kapital und<br />
sehen Scheitern als Teil ihres Geschäftsmodells. Ich persönlich<br />
schätze vor allem aber die Familienunternehmer,<br />
die Risiken vor dem Hintergrund ihrer Unternehmenstradition<br />
und der damit verbundenen sozialen Verantwortung<br />
eingehen; sie sollten wir weiter unterstützen – und der<br />
Staat sie nicht melken.<br />
Welche Unternehmer inspirieren Sie?<br />
Ich sympathisiere mit einem konservativen Unternehmerbild<br />
im Mittelstand, denn sie übernehmen Verantwortung<br />
und stehen für eine wichtige Säule unserer Gesellschaft.<br />
Dieser Typ führt seine Firma glaubwürdig meist als Inhaber<br />
erfolgreich fort. Letztlich sind daraus über Generationen<br />
auch große Konzerne entstanden wie unsere Top-Autobauer<br />
Mercedes, Porsche, BMW und VW, die alle auch in Zukunft<br />
ihre Position verteidigen werden. An amerikanischen Unternehmern<br />
schätze ich diejenigen, die es gegen jeden Widerstand<br />
schaffen, Neues zu etablieren. Wie Elon Musk mit<br />
PayPal, SpaceX und Tesla Motors.<br />
Was genau finden Sie an ihm faszinierend?<br />
Musk zeigt mit Tesla vor allem, dass es heute nicht alleine<br />
ausreicht, fachlich oder technisch gut zu sein, um als Unternehmen<br />
Bestand zu haben. Unternehmen müssen beantworten<br />
können, warum sie handeln. Musk will nicht nur<br />
Elektroautos bauen, er will die Welt retten. Deshalb hat er so<br />
einen Zulauf auf sein unausgereiftes Produkt.<br />
Gute Unternehmer sind diejenigen, die nicht nur erklären,<br />
was sie tun und wie sie es tun, sondern warum sie es tun.<br />
Musk kann Letzteres überzeugend. (lächelnd). Ich halte übrigens<br />
auch die CEO des globalen Konzerns Wolters Kluwer,<br />
Nancy McKinstry, für vorbildlich. Sie hat früh klargemacht,<br />
dass wir angetreten sind, um die digitale Transformation<br />
für unsere Kunden umzusetzen. Ohne sie an der Spitze mit<br />
den von ihr gewährten Freiräumen wäre mir als Unternehmer<br />
zum Teil gegen das Establishment diese tiefgreifende<br />
digitale Transformation eines juristischen Verlagshauses in<br />
Deutschland kaum gelungen. ~<br />
u Mehr unter www.<strong>return</strong>-online.de<br />
Wissen weltweit<br />
an Profis vermitteln<br />
Der Multimediakonzern Wolters Kluwer mit Hauptsitz<br />
in den Niederlanden erzielte zuletzt mit weltweit rund<br />
19.000 Mitarbeitern 4,2 Milliarden Euro Jahresumsatz<br />
in 170 Ländern. Inhalte und Services in den vier Sparten<br />
„Legal & Regulatory“, „Governance, Risk & Compliance“,<br />
„Tax & Accounting“ und „Health“ unterstützen<br />
Anwender wie Ärzte, Anwälte, Steuerberater oder Unternehmensführer;<br />
davon 70 Prozent als digitale Lösung. In<br />
Deutschland steht das Unternehmen für Marken wie Addison,<br />
Carl Heymanns, Jurion oder Luchterhand.<br />
www.wolterskluwer.de<br />
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HINTERGRUND & WISSEN<br />
HINTERGRUND & WISSEN<br />
Mentalitätswandel notwendig<br />
Studien zu Insolvenz und Scheitern: Experten fordern neue Fehlerkultur<br />
Wie ein Puzzleteil fehlt Deutschen zum ganzheitlichen Verständnis<br />
von Unternehmertum die Akzeptanz fürs Scheitern.<br />
Eine Zeit, in der die Zahl der Unternehmensinsolvenzen<br />
in Deutschland stetig abnimmt, bedeutet eigentlich<br />
Grund zur Freude. Doch Zweifel bleiben, ob dieses Glücksgefühl<br />
von Dauer sein kann. Denn in Wirtschaft und in Gesellschaft<br />
scheint man jede Pleite zu ächten, statt eine zweite<br />
Chance einzuräumen. Das negative Image des Scheiterns<br />
könnte sogar zu einem permanenten Wettbewerbsnachteil<br />
für deutsche Unternehmen werden. In Deutschland wurden<br />
seit Einführung der Insolvenzordnung (InsO) im Jahr 1999<br />
noch nie so wenige Unternehmensinsolvenzen gezählt wie<br />
Text: Ingo Reich<br />
im vergangenen Jahr. Insgesamt 23.230<br />
Unternehmen gingen nach Erhebungen<br />
der Neusser Creditreform Wirtschaftsforschung<br />
im vergangenen Jahr pleite, nachdem<br />
2014 noch 24.<strong>03</strong>0 Fälle registriert<br />
worden waren. Gegenüber dem Höchststand<br />
im Jahr 20<strong>03</strong> hat sich die Zahl der<br />
Unternehmensinsolvenzen fast halbiert.<br />
Die Schäden für die Insolvenzgläubiger<br />
summierten sich aber immerhin auf 19,6<br />
Milliarden Euro. Im Vorjahr betrug das<br />
Schadensvolumen sogar noch 26,1 Milliarden<br />
Euro. Infolge der rückläufigen Insolvenzen<br />
waren auch weniger Arbeitsplatzverluste<br />
zu beklagen. Insgesamt 225.000<br />
Arbeitnehmer waren 2015 von der Insolvenz<br />
des Arbeitgebers betroffen. Im Vorjahr<br />
waren es noch 264.000. Das entspricht<br />
einem Minus von 14,8 Prozent.<br />
Imtech, Strauss, Kettler<br />
als prominente Opfer<br />
Zu den größten Unternehmensinsolvenzen<br />
des Jahres 2015 zählte die Hamburger<br />
Imtech Deutschland GmbH & Co.<br />
KG: Gut 3.500 Mitarbeiter des Anbieters<br />
technischer Gebäudeausstattungen waren<br />
davon berührt. Die rheinische Handelskette<br />
Strauss Innovation sowie der Traditionshersteller<br />
Kettler („Kettcar“) gehören<br />
ebenfalls zu den prominenten Opfern des<br />
Wirtschaftsgeschehens.<br />
Der Sauerländer Hersteller von Fahrrädern<br />
sowie Sport- und Freizeitgeräten Heinz Kettler GmbH &<br />
Co. KG entschied sich für ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung.<br />
Aus der Heinz Kettler GmbH &. Co. KG wurde<br />
mit Wirkung vom 1. April <strong>2016</strong> die Kettler GmbH. Inhaberin<br />
Karin Kettler hat sich in diesem Zusammenhang ganz<br />
aus dem operativen Geschäft zurückgezogen. Die Alleinerbin<br />
hatte mit Geld aus dem Privatvermögen mitgeholfen,<br />
den zwischenzeitlich ernsthaft befürchteten Ausverkauf des<br />
Traditionsunternehmens an Investoren zu vermeiden. Den<br />
Schlusspunkt unter das Insolvenzverfahren wird aber wohl<br />
Foto: digitalista<br />
erst das Landgericht Arnsberg setzen, vor dem noch Klagen<br />
auf eine rückwirkende Erhöhung der Insolvenzmasse und<br />
eine Schadensersatzforderung gegenüber der Familienunternehmerin<br />
verhandelt werden sollen. Nach Beobachtungen<br />
von Creditreform nutzen immer häufiger in die Krise geratene<br />
Unternehmen die neuen Sanierungsinstrumente (ESUG)<br />
der geltenden Insolvenzordnung wie die „Eigenverwaltung<br />
unter Aufsicht eines Sachwalters“. Die Akzeptanz hat rund<br />
vier Jahre nach Einführung der Regelung zwar zugenommen.<br />
Dennoch ist die Eigenverwaltung nicht etabliert und<br />
scheint für betroffene Unternehmen in einer drohenden<br />
Zahlungsunfähigkeit bisher nur selten eine Wahl zu sein.<br />
Nach wie vor gehen viele deutsche Unternehmer den Gang<br />
„Scheitern gehört<br />
zum Start-up-Leben<br />
wie das Gegentor zum Fußball.<br />
Aber wenn man daraus lernt,<br />
bringt es langfristig weiter.“<br />
in die Insolvenz erst dann, wenn nichts mehr zu retten ist.<br />
Denn hierzulande existiert eine ganz grundsätzliche Angst<br />
vor dem Scheitern, resümiert eine Studie der Universität<br />
Hohenheim in Zusammenarbeit mit der Karl-Schlecht-<br />
Stiftung. Dagegen helfe auch nicht, dass die Deutschen in<br />
den letzten Jahrzehnten ein durchaus positives Bild von Unternehmern<br />
und ihrer Bedeutung für den wirtschaftlichen<br />
Erfolg Deutschlands gewonnen hätten, so das Stuttgarter<br />
Forscherteam unter Leitung von Prof. Dr. Andreas Kuckertz<br />
vom Lehrstuhl für Unternehmensgründungen am Institut<br />
für Marketing und Management.<br />
Deutsche scheuen<br />
Risiko der Gründung<br />
Es sei ernüchternd, dass sich in internationalen Vergleichsstudien<br />
immer wieder herausstelle, dass viele Deutsche trotz<br />
Idee, Kompetenz und grundsätzlichem Interesse am Unternehmertum<br />
aufgrund des mit einer Unternehmensgründung<br />
einhergehenden Risikos auf die Umsetzung ihres Traums<br />
verzichten würden, erklären die Wissenschaftler.<br />
Eine neue Unternehmerkultur, die das Scheitern als Möglichkeit<br />
zum Lernen betrachte statt sie zu stigmatisieren,<br />
benötige deshalb als allererstes ein besseres Verständnis darüber,<br />
wie in der deutschen Gesellschaft unternehmerische<br />
Fehlschläge überhaupt bewertet werden, stellen die Wirtschaftswissenschaftler<br />
ihrer repräsentativen Untersuchung<br />
voran. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass die Einstellung<br />
der Deutschen zum Scheitern gar nicht so übel ist,<br />
wie dies oftmals gerne propagiert wird. Trotzdem gibt es erheblichen<br />
Verbesserungsbedarf. Zwar geben die Deutschen<br />
generell an, Fehlschlägen positiv gegenüberzustehen, und<br />
sie erkennen auch an, wie wertvoll diese als Lernerfahrung<br />
sind. Gleichzeitig decken die Ergebnisse jedoch eine große<br />
Skepsis auf, mit gescheiterten Unternehmern Geschäfte zu<br />
machen. Besonders junge Menschen zeigen dabei eine vergleichsweise<br />
tolerante Haltung Auch lässt sich erkennen,<br />
dass diejenigen, die gewagt haben und gescheitert sind, dieses<br />
Erlebnis als durchaus wertvoll empfinden, beschreibt die<br />
Untersuchung.<br />
Was muss also nach Ansicht der Hohenheimer Wirtschaftsforscher<br />
konkret geschehen?<br />
XXDas Thema tolerante und fehlerfreundliche Unternehmerkultur<br />
muss allgemein eine erhöhte Aufmerksamkeit<br />
in Politik, Wirtschaft und Medien erhalten und durch<br />
flächendeckende und fortlaufende Kampagnen in der<br />
Öffentlichkeit verankert werden.<br />
XXEs müssen erfahrene und weniger erfolgreiche Personen<br />
den Mut aufbringen, sich mehr in die Öffentlichkeit<br />
einzuschalten, um ihre Geschichte zu erzählen.<br />
XXEs muss ein freiwilliges und gefördertes Gründerjahr für<br />
Schüler, Studierende oder Hochschulabsolventen in einer<br />
risikoreduzierten und experimentierfreudigen Umgebung<br />
geschaffen werden, um einen vereinfachten Einstieg<br />
in das Unternehmertum zu ermöglichen und positives<br />
Scheitern zu lernen.<br />
Gescheiterten vertrauen<br />
IT-Profis sogar mehr<br />
„Scheitern gehört zum Start-up-Leben wie das Gegentor<br />
zum Fußball. Keiner mag es, keiner will es, aber wenn man<br />
daraus lernt, dann bringt es einen langfristig weiter auf<br />
dem Weg zum besseren Saisonziel“, sagt Tobias Kollmann,<br />
Professor am Lehrstuhl für E-Business und E-Entrepreneurship<br />
der Universität Duisburg-Essen und Vorsitzender<br />
des Beirates „Junge Digitale Wirtschaft“ beim Bundeswirtschaftsministerium<br />
(BMWi).<br />
Obwohl das Wort „Scheitern“ in Deutschland im Gegensatz<br />
zum amerikanischen Sprachgebrauch negativ besetzt<br />
ist, haben deutsche IT-Professionals inzwischen sogar mehr<br />
Vertrauen zu Personen, die schon einmal gescheitert sind.<br />
Mehr als 80 Prozent der Befragten einer aktuellen Studie<br />
der Nürnberger „Developer Week“, eine der größten Konferenzen<br />
für Softwareentwicklung in Europa, gaben an, gescheiterten<br />
Kollegen oder Vorgesetzten eher zu vertrauen<br />
als solchen, bei denen bisher immer alles glatt lief.<br />
Viele Experten sehen im negativen Image des Scheiterns<br />
auch einen dauerhaften Wettbewerbsnachteil für deutsche<br />
Unternehmer und eine der Ursachen dafür, warum<br />
Deutschland bei den Unternehmensgründungen mit rund<br />
elf Prozent deutlich unter dem EU-Durchschnitt von etwa<br />
15 Prozent liegt. Laut Deutschland-Bericht des letzten<br />
Global Entrepreneurship Monitor (GEM) fürchtet sich<br />
in den USA nur etwa ein Drittel der Gründer vor einer<br />
Pleite, in Deutschland ist es fast die Hälfte. Ein genereller<br />
Mentalitätswandel nach US-Vorbild sei daher dringend<br />
notwendig. ~<br />
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HINTERGRUND & WISSEN<br />
HINTERGRUND & WISSEN<br />
Stakeholder als Könige<br />
Reputation von Unternehmen beeinflusst Geschäftserfolg<br />
Schachmatt setzen sich Unternehmen, die ihre Reputation allein<br />
am König Kunde ausrichten statt an allen wichtigen Stakeholdern.<br />
Text: Markus Renner, Basel<br />
Foto: ChristianChan<br />
Positive Einstellungen gegenüber Unternehmen wirken<br />
positiv auf die Beurteilung der von diesen Unternehmen<br />
angebotenen Produkte und Dienstleistungen. Die Gesamtheit<br />
der Einstellungen, die Stakeholder – also wichtige<br />
Anspruchsgruppen wie Kunden, Geschäftspartner oder Investoren<br />
– bewusst oder unbewusst gegenüber einer Firma<br />
beeinflussen, ist die Unternehmensreputation. Allgemein<br />
auch als guter Ruf, als Ansehen oder als Renommee verstanden.<br />
Wichtig für die Unternehmensführung ist die Erkenntnis,<br />
dass der gute Ruf und die damit verbundenen positiven Einstellungen<br />
gegenüber dem Unternehmen nicht nur eitler<br />
Selbstzweck sind, sondern einen konkreten Beitrag leisten<br />
zum Geschäftsergebnis. Weil eine positive Unternehmensreputation<br />
beispielsweise das Empfehlungs- oder Kaufverhalten<br />
von Kunden oder Aktionären der jeweiligen Firma messbar<br />
steigert. Darüber hinaus ist die Reputation ein wichtiger<br />
Faktor, um das Vertrauen der Stakeholder in die jeweilige<br />
Firma, seine Führungsmannschaft, seine Mitarbeiter und<br />
letztendlich seine Produkte und Dienstleistungen aufzubauen<br />
oder zu stärken.<br />
Dieser durch empirische Studien belegte Kausalzusammenhang<br />
zwischen Unternehmensreputation, Vertrauen und<br />
Geschäftsergebnis funktioniert aber nicht nur in die positive<br />
Richtung, sondern auch umgekehrt: Das finanzielle Ergebnis<br />
leidet messbar unter einer negativen Unternehmensreputation,<br />
wie sich anhand zahlreicher Beispiele immer wieder<br />
zeigt. So nähern sich etwa die Absatzzahlen von Volkswagen-Dieselautos<br />
in den USA seit der in breiter Öffentlichkeit<br />
ausgetragenen – und von Volkswagen unprofessionell<br />
gemanagten – „Dieselgate“-Krise der Nullprozentmarke.<br />
Firmen, die sich systematisch um ihre Reputation kümmern,<br />
wissen das und handeln entsprechend, um ihren guten<br />
Ruf kontinuierlich auf- und auszubauen. Dabei muss dieses<br />
Kümmern nicht zwangsläufig mit großen Investments betrieben<br />
werden. Entscheidend ist, sich regelmäßig ehrliches<br />
Feedback der wichtigsten Stakeholder einzuholen – und dieses<br />
Feedback systematisch und unvoreingenommen zu analysieren<br />
sowie die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen.<br />
Ein häufiger Fehler ist, dass ausschließlich die bestehenden<br />
Kunden befragt werden. Natürlich ist deren Feedback<br />
sehr wichtig. Für Hinweise zur Verbesserung des Geschäfts<br />
aufschlussreicher ist jedoch, auch die potenziellen Kunden<br />
zu befragen, welche aktuell noch die Produkte oder Dienstleistungen<br />
der Wettbewerber nutzen – um dann mit zeitgemäßen<br />
Analysemethoden herauszufinden, wie sich diese<br />
Gruppe zum Wechsel von der Konkurrenz hin zur eigenen<br />
Firma bewegen lassen.<br />
Geschäftsergebnis nicht<br />
nur von Kunden bestimmt<br />
Ein anderer weit verbreiteter Fehler bei Befragungen ist die<br />
generelle Beschränkung auf die Kunden oder Konsumenten<br />
– gemäß dem althergebrachten Motto: „Der Kunde ist<br />
König“. Diese Verengung der Perspektive lässt jedoch völlig<br />
außer Acht, dass die Unternehmensreputation und damit das<br />
Geschäftsergebnis nicht alleine von dieser Gruppe bestimmt<br />
wird, sondern auch von anderen wichtigen Stakeholdern wie<br />
Geschäftspartnern, Regulatoren, Wettbewerbern, Lieferanten,<br />
Mitarbeitern oder Investoren.<br />
Auch potenzielle Firmenkäufer wissen, dass ein Unternehmen<br />
nur nachhaltig erfolgreich ist, wenn die zentralen Stakeholder-Gruppen<br />
dem Unternehmen vertrauen und wenn<br />
es über eine gute Reputation verfügt. Im Rahmen der Unternehmensbewertung<br />
ist es daher sinnvoll, sich ein möglichst<br />
präzises Bild über die Reputation der Firma und das Vertrauen<br />
der Kunden in eine Firma zu machen.<br />
Kann der Verkäufer aufgrund eines systematischen Reputationsmanagements<br />
entsprechende Messdaten vorlegen, so<br />
kann er die Glaubwürdigkeit in seine künftigen Geschäftserwartungen<br />
damit untermauern.<br />
Findet der Käufer<br />
stattdessen Anhaltspunkte<br />
für das Unternehmen, dass<br />
es um Reputation und<br />
Vertrauen bei zentralen<br />
Bezugsgruppen nicht gut<br />
bestellt ist, sollte er sich bewusst sein, dass die angestrebte<br />
Geschäftsentwicklung mehr Zeit braucht. Zeit, in der<br />
das Unternehmen sich nicht mit der Geschwindigkeit des<br />
Marktes und damit der Wettbewerber entwickeln wird. Hier<br />
ist ein Abschlag beim Kaufpreis gerechtfertigt.<br />
Ein weiterer wichtiger Aspekt, insbesondere beim Kauf und<br />
Verkauf von kleinen und mittelständischen Unternehmen,<br />
ist die Rolle der Führungspersönlichkeiten oder bei privaten<br />
und inhabergeführten Familienunternehmen der sogenannten<br />
„Patrons“. Insbesondere im B-to-B-Geschäft beruhen<br />
viele Stakeholder-Beziehungen und somit auch ein Teil der<br />
Gesamtreputation auch auf der Persönlichkeit des Unternehmers<br />
selbst.<br />
Eigenbeschreibung<br />
und Außensicht<br />
In diesem Zusammenhang kommt der Unternehmensmarke<br />
eine zentrale Rolle zu, in welcher die Grundwerte, das<br />
Selbstverständnis sowie Ziele und Mission der Firma und<br />
seiner Führungsriege fest verankert und allen Mitarbeitern<br />
vertraut und verpflichtend sein sollten. Während die Unternehmensmarke<br />
das Leistungsversprechen darstellt, ist die<br />
Unternehmensreputation das messbare Feedback, inwiefern<br />
Unternehmen ihre eigenen Versprechen in den Augen der<br />
Stakeholder tatsächlich erfüllen oder welche Erwartungen<br />
und Einstellungen diese gegenüber diesem Unternehmen<br />
haben. Marke und Reputation von Unternehmen sind in<br />
diesem Sinne zwei Seiten einer Medaille: die Marke als Eigenbeschreibung<br />
und gewünschte Positionierung der Unternehmen,<br />
die Reputation als tatsächliche Außensicht der<br />
Stakeholder auf die Firma.<br />
Doch wie lässt sich glaubhaft aufzeigen, dass Unternehmensreputation<br />
nicht nur „nice to have“ ist, sondern ein<br />
handfester strategischer Faktor, der professionell zu managen<br />
ist und damit angemessene Aufmerksamkeit sowie<br />
Ressourcen rechtfertigt. Die Skepsis ist aufgrund mangelnder<br />
empirischer Belege verständlich; doch das Thema rückt<br />
„Es geht im Kern darum,<br />
Erwartungen präzise zu kennen –<br />
und passgenau zu entsprechen.“<br />
nun im Zuge der „predictive analytics“ in den Fokus der<br />
praxisorientierten Reputationsforschung. Besonders vielversprechend<br />
sind dabei die sogenannten kausalanalytischen<br />
Ansätze, welche die Ursachen und Wirkungen von Unternehmensreputation<br />
evidenzbasiert berechnen. Anhand von<br />
Stakeholder-Befragungen werden mithilfe dieser Methode<br />
die wesentliche Erfolgsfaktoren der Reputation einzelner<br />
Firmen für deren Geschäftserfolg identifiziert.<br />
Vereinfacht gesagt, wird in einem ersten Schritt berechnet,<br />
welche Teilaspekte der Unternehmensreputation – beispielsweise<br />
„Servicequalität“, „Produktqualität“, „Innovationskraft“,<br />
„gesellschaftliche Verantwortung“, „Nachhaltigkeit“<br />
oder „Managementqualität“<br />
– zentral sind für das<br />
Vertrauen der Stakeholder<br />
gegenüber dem jeweiligen<br />
Unternehmen sowie für ihr<br />
künftiges Handeln gegenüber<br />
der Firma. In einem<br />
zweiten Schritt werden dann mit einem entsprechenden<br />
Algorithmus die einzelnen konkreten Faktoren identifiziert,<br />
welche für die positive Wahrnehmung der im ersten Schritt<br />
berechneten wichtigen Teilaspekte – beispielsweise „Servicequalität“<br />
– maßgeblich sind.<br />
Auf diese Weise erhält die Unternehmensführung verlässliche<br />
Informationen, wie ihre Firma von den wichtigsten Stakeholder-Gruppen<br />
wahrgenommen wird und welche Elemente<br />
der Unternehmensreputation geschäftsrelevant sind.<br />
Und zusätzlich: Was konkret getan werden muss, um diese<br />
entscheidenden Wahrnehmungen positiv(er) zu gestalten.<br />
Dadurch können die Ressourcen zielgenau und fokussiert<br />
eingesetzt werden – ohne die üblichen Streuverluste. Durch<br />
die kausalanalytische Methodik lassen sich – anders als bei<br />
herkömmlichen rein deskriptiven oder nur auf Korrelationen<br />
basierenden Verfahren – zuverlässig konkrete Handlungsempfehlungen<br />
ableiten, die das Vertrauen und Verhalten der<br />
Stakeholder positiv beeinflussen und damit messbar zum<br />
Geschäftserfolg beitragen.<br />
Wichtig hierbei zu betonen ist, dass dieses Vorgehen keine<br />
Schönfärberei ist, denn die abgeleiteten Maßnahmen basieren<br />
ja auf dem ehrlichen Feedback und den konkreten Erwartungshaltungen<br />
der Stakeholder gegenüber den jeweiligen<br />
Firmen. Es geht also im Kern darum, die Erwartungen der<br />
Stakeholder möglichst präzise zu kennen – und diesen dann<br />
passgenau zu entsprechen. Konsequent angewandt ist dieses<br />
Vorgehen eine wissenschaftlich basierte Weiterentwicklung<br />
der etwas verstaubten Parole „Der Kunde ist König“. Künftig<br />
sollte es heißen: „Der Stakeholder ist König“. ~<br />
Der Autor ist Miteigner der Branding-Institute<br />
AG und berät Unternehmen im Marken- und<br />
Reputationsmanagement, strategischer Kommunikation<br />
und Marketing. Zudem ist er<br />
Gastprofessor für Marketing und Reputation<br />
an der Henley Business School in England.<br />
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HINTERGRUND & WISSEN<br />
HINTERGRUND & WISSEN<br />
Legal Tech<br />
Gastkommentar: Gewinn für effiziente Rechtsberatung<br />
Text: Holger Zscheyge, Moskau<br />
Lernen aus Krisen<br />
Forscher erkunden Entscheidungen unter Druck<br />
Text: Oliver Ibert<br />
Die Waage halten sich Juristen in der Bewertung neuer Technologien: eine<br />
Hälfte sieht darin den Untergang, eine Hälfte meint, überlegen zu sein.<br />
Juristen sind eine konservative Bruderschaft, auch wenn<br />
es um zukunftsgewandte Technologien geht. Das ist bekannt.<br />
Das Ergebnis unserer Umfrage im November 2015<br />
in Moskau während eines Forums für Unternehmensjuristen<br />
hat uns aber doch erstaunt. Wir wollten wissen, mit welchen<br />
Softwarelösungen russische Rechtabteilungen ihre Prozesse<br />
managen. 70 Prozent der Abteilungen verlassen sich<br />
auf Outlook, Word und Excel. Anwaltskanzleien arbeiten<br />
nicht fortschrittlicher. Legal Tech – also Technologien, die<br />
Rechtsdienstleistungen effizienter machen – wird in Russland,<br />
ähnlich wie in Deutschland, allmählich zu einem vieldiskutierten<br />
Thema. Nachdem anfangs vor allem Fachmedien<br />
den Begriff aufgenommen haben, ist er jetzt auch im<br />
Medien-Mainstream angelangt.<br />
Vor dem Festpreis<br />
graust’s dem Anwalt<br />
Legal Tech ist sowohl für Anbieter als auch für Nutzer von<br />
Rechtsberatung von erheblicher Bedeutung. Den Kanzleien<br />
helfen Technologien, ihr unter Druck geratenes Geschäftsmodell<br />
der „billable hours“ anzupassen und somit zumindest<br />
teilweise zu retten. Die Alternative wäre Rechtsberatung<br />
zum Festpreis, ein Gedanke, vor dem es dem Anwalt graust.<br />
Wenn Prozesse durch Automatisierung erheblich beschleunigt<br />
werden, dann werden auch weniger Stunden in Rechnung<br />
gestellt. Ein nicht zu unterschätzender Nebeneffekt ist<br />
die Entlastung von jüngeren Anwälten, die bisher vor allem<br />
mit endloser juristischer Routinearbeit beschäftigt waren.<br />
Die wird mehr und mehr von Software übernommen, was<br />
es vielen Junior Associates ermöglicht, ihre Kinder auch mal<br />
persönlich ins Bett zu bringen. Auch wenn man es angesichts<br />
der vielen Anwaltsserien im TV nicht glaubt – Work-Life-<br />
Foto: enzozo<br />
Balance wird auch in Kanzleien zum Thema. Nutznießer der<br />
Kosteneinsparung bei Kanzleien sind die Rechtsabteilungen<br />
von Unternehmen. Diese stehen unter Druck seitens des<br />
Managements und der Eigentümer, mehr Leistungen für<br />
weniger Geld zu erbringen – sowohl inhouse als auch bei<br />
den Vertragskanzleien. Für viele Rechtsabteilungen bietet<br />
eine spezielle Management-Software auch die Möglichkeit<br />
zu beweisen, dass die Unternehmensjuristen nicht nur ein<br />
Kostenfaktor sind, sondern auch Geld verdienen können. So<br />
hat DuPont durch Analyse bestehender Verträge und deren<br />
Erfüllung durch seine Rechtsabteilung innerhalb eines Jahres<br />
offene Posten in Höhe von drei Milliarden US-Dollar für das<br />
Unternehmen eingetrieben.<br />
Die Juristen sind in ihrer Position gegenüber neuen Technologien<br />
gespalten. Während die eine Hälfte Legal Tech als<br />
Vorboten des Untergangs der Anwaltszunft sieht, hält sich<br />
die andere Hälfte für intellektuell überlegen gegenüber allen<br />
Technologien. Die Wahrheit liegt, wie meist, in der Mitte.<br />
Natürlich werden noch einige Jahre vergehen, bevor Roboter<br />
und künstliche Intelligenz den Anwalt auch nur ansatzweise<br />
ersetzen können. Die Presse liebt es zwar, von „Robo-Anwälten“<br />
zu schreiben; eine amerikanische Kanzlei hat sogar<br />
schon einen auf der Watson-Technologie von IBM basierenden<br />
künstlichen Anwalt „eingestellt“. Aber für die meisten<br />
Kanzleien wäre schon eine funktionierende Kanzleimanagement-Software<br />
ein großer Schritt in die Zukunft.<br />
Andererseits sind nach Einschätzung von McKinsey & Co.<br />
bereits heute verfügbare Technologien in der Lage, 30 bis 40<br />
Prozent der Arbeit von Anwaltskanzleien effizienter zu erledigen<br />
als Menschen. In einem gemeinsamen Bericht haben<br />
das Hamburger „Bucerius Center on the Legal Profession“<br />
und „The Boston Consulting Group“ aufgezeigt, wie Legal<br />
Tech das Geschäft mit Rechtsdienstleistungen verändern<br />
wird. Danach werden Technologien das Geschäftsmodell<br />
substanziell beeinflussen, Rechtsberatung erschwinglicher<br />
machen und Anwälten neue Erwerbsmodelle eröffnen. Ein<br />
Gewinn für alle Beteiligten. ~<br />
Der Anwalt schreibt als „<strong>return</strong>“-Korrespondent<br />
aus Russland und ist Managing Director<br />
von Infotropic Media.<br />
Entscheidungsträger reiben sich auf im anhaltenden Krisenmanagement.<br />
Kaum haben sie eine Krise überwunden,<br />
dräut schon die nächste am Horizont. Entscheidungen,<br />
so scheint es, fallen immer häufiger<br />
unter krisenhaften Vorzeichen<br />
auf Krisengipfeln oder in Interventionsstäben.<br />
Zudem sind oft in<br />
den Krisenlösungen von heute die<br />
Ursachen für die Krisen von morgen<br />
angelegt.<br />
So hat die Milderung der drohenden<br />
Wirtschaftskrise im Nachgang<br />
an die Finanzkrise von 2008<br />
direkt in eine staatliche Verschuldungskrise<br />
geführt. Die „Entspannung“<br />
in der aktuellen Flüchtlingskrise<br />
deutet ihr Potenzial an,<br />
neue außenpolitische Krisen auszulösen. Krisen sind nicht<br />
mehr isoliert zu fassen, sondern als vielfältig und im globalen<br />
Maßstab vernetzt zu begreifen.<br />
Lehren ziehen<br />
aus Ähnlichkeiten<br />
Vor diesem Hintergrund hat sich in der Leibniz Gemeinschaft<br />
ein interdisziplinärer Forschungsverbund „Krisen<br />
einer globalisierten Welt“ gegründet. Unter der Leitung<br />
der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung<br />
(HSFK) beteiligen sich 20 Forschungseinrichtungen aus den<br />
Sozial-, Wirtschafts-, Politik- und Raumwissenschaften,<br />
den Natur-, Umwelt- sowie Geschichtswissenschaften. Sie<br />
wollen das Phänomen „Krise“ in verschiedenen Sektoren,<br />
im historischen Vergleich und räumlich differenziert, besser<br />
verstehen. Die gemeinsame Forschung ist von der Idee geleitet,<br />
dass es strukturelle Ähnlichkeiten zwischen Krisen gibt.<br />
Unabhängig von konkreten Krisensituationen lassen sich<br />
übergreifende Lehren ziehen.<br />
Krisen können als existenziell bedrohliche Situationen, in<br />
denen unter hoher Unsicherheit, unter großem Zeitdruck<br />
und kritischer öffentlicher Beobachtung Lösungen jenseits<br />
von bestehenden Routinen gefunden werden müssen. Unabhängig<br />
ob es um Wirtschafts- oder Umweltkrisen geht, ihr<br />
Verlauf folgt oft einer typischen Dramaturgie. Während die<br />
zugrundeliegenden problematischen Prozesse, wie der Klimawandel<br />
oder anwachsende Spekulationsblasen sich lang-<br />
Krisenmanagement war bei der Reaktorkatastrophe in<br />
Fukushima übergreifend für viele Lebensbereiche gefragt.<br />
sam entfalten, geschieht die krisenhafte Eskalation meist<br />
sehr schnell und für die Beteiligten überraschend. Auslöser<br />
sind oft eher zufällige Anlässe, wie ein Pressebericht, eine<br />
Klage, eine Havarie oder das Überschreiten<br />
eines Grenzwerts. Auch<br />
lassen sich in Krisen typische wiederkehrende<br />
Rollen identifizieren.<br />
Im Zentrum einer Krise stehen<br />
meist Entscheidungsträger. Sie<br />
sehen sich konfrontiert mit Akteuren,<br />
die an einer krisenhaften<br />
Zuspitzung ein Interesse haben.<br />
Foto: picture alliance / AP Images<br />
So können Umweltverbände ein<br />
Interesse haben, die krisenhafte Situation<br />
von Energiekonzernen zu<br />
eskalieren. Ebenso können Krisen<br />
von Entscheidungsträgern oder<br />
deren Agenten heraufbeschworen werden. Ist das nicht oft<br />
die Rolle von Unternehmensberatungen? Sie kreieren doch<br />
Situationen, in denen effektiv, unkonventionell und durchaus<br />
konfliktträchtig entschieden werden kann, ja muss. Krisendiagnosen<br />
sind daher grundsätzlich umstritten.<br />
Die Projektgruppe „Experten in Krisen“ interessiert sich<br />
besonders für die Rolle von wissenschaftlicher Beratung in<br />
Krisen. Berater sind fachliche Experten, die Entscheidungsträgern<br />
und anderen Krisenbeteiligten guten Rat geben, aber<br />
selber nicht unmittelbar beteiligt sind. Sie bringen wichtiges<br />
Fachwissen für Entscheidungen mit, tragen aber keine<br />
direkte Verantwortung für die Folgen von Entscheidungen.<br />
Wie verändert sich die Beziehung zwischen Entscheidungsträgern<br />
und Beratern im Krisenkontext? Welche Rolle spielen<br />
Berater bei Krisendiagnosen? Wie verschieben sich im<br />
Krisenfall die Kräfteverhältnisse zwischen etablierten und<br />
neuen Beratern? Zu diesen und ähnlichen Fragestellungen<br />
wird die Projektgruppe in den kommenden vier Jahren<br />
Ergebnisse erarbeiten und in wissenschaftliche ebenso wie<br />
praktische Kontexte hereintragen. ~<br />
Der Autor ist Professor für Wirtschaftsgeographie<br />
an der FU Berlin, Leiter der Abteilung<br />
Dynamiken von Wirtschaftsräumen am<br />
Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung<br />
und Sprecher der Projektgruppe<br />
„Experten in Krisen“.<br />
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HINTERGRUND & WISSEN<br />
HINTERGRUND & WISSEN<br />
Zahlungen anfechtbar<br />
Teil 11: Umgang mit säumigen Schuldnern<br />
Was haben<br />
säumige Schuldner<br />
mit Insolvenz<br />
zu tun?<br />
Was bedeutet<br />
das konkret?<br />
Sehr viel, denn oftmals folgt der Säumnis einige Zeit später die Insolvenz und damit<br />
stellt sich immer die Frage, welche vor Eintritt der Insolvenz vorgenommenen Zahlungen<br />
möglicherweise insolvenzrechtlich anfechtbar sind. Ist das der Fall, können<br />
die empfangenen Leistungen vom Insolvenzverwalter im Wege der Insolvenzanfechtung<br />
zurückgefordert werden. Die Frist für solche Anfechtungen reicht bis zu zehn<br />
Jahren zurück. Sie ist für viele Unternehmen bitterer Alltag – mit teilweise gravierenden<br />
Folgen für die eigene Liquidität.<br />
Der Grundsatz der Insolvenzanfechtung nach den Paragraphen 129ff. der Insolvenzordnung:<br />
Wer als Gläubiger wissentlich von einem zahlungsunfähigen Schuldner<br />
Zahlungen entgegennimmt, weiß damit auch, dass bei einem gewerblichen Schuldner<br />
die Zahlung an ihn die Befriedigungsmöglichkeiten anderer Gläubiger vereiteln,<br />
erschweren oder verzögern kann.<br />
Woher soll ein<br />
Gläubiger die<br />
Zahlungsunfähigkeit<br />
kennen?<br />
Auf das „Kennen“ im Sinne von Wissen kommt es nicht wirklich an. Vielmehr reicht<br />
es auch, dass der Gläubiger „Umstände kennt“, aus denen ein umsichtiger Gläubiger<br />
auf eine Zahlungsunfähigkeit schließen muss. Dabei kann es sich um einzelne, aber<br />
auch um mehrere Umstände handeln, sogenannte Indizien.<br />
Was sind<br />
wichtige<br />
Indizien oder<br />
Umstände?<br />
Im Grundsatz: Wichtige Indizien sind alle Tatsachen, die einen Rückschluss auf ein<br />
Operieren des Unternehmens des Schuldners am Rande des finanzwirtschaftlichen<br />
Abgrunds erlauben. Dies gilt natürlich immer dann, wenn der Schuldner selbst einräumt,<br />
nicht oder nicht mehr zahlen zu können. Die Entgegennahme jeder Zahlung<br />
nach einer solchen Erklärung führt im Insolvenzfall immer zur Rückforderung, auch<br />
Jahre später.<br />
Wie können<br />
solche Erklärungen<br />
in der Praxis<br />
aussehen?<br />
Etwa ein Gesuch um Ratenzahlung oder Stundung verbunden mit der Erklärung,<br />
anders die fälligen Verbindlichkeiten nicht begleichen zu können. Oder ein monatelanges<br />
Schweigen des Schuldners auf Rechnungen und Mahnungen. Dies deutet<br />
nämlich nicht auf eine andauernde Forderungsprüfung hin, sondern auf schwerwiegende<br />
Liquiditätsprobleme. Auch die Inkaufnahme eines aussichtslosen Rechtsstreits<br />
lässt den Schluss zu, dass der Schuldner mangels flüssiger Mittel sich lieber verklagen<br />
lässt, um Zeit zu gewinnen.<br />
Was folgt aus<br />
der Gläubigerkenntnis?<br />
Weiß ein Gläubiger von einem oder mehreren dieser Umstände, so wird vermutet,<br />
dass er die Gläubigerbenachteiligungsabsicht des Schuldners kennt und damit die<br />
Voraussetzungen einer Anfechtung gegeben sind, auch wenn er einen Anspruch auf<br />
die Zahlung hatte.<br />
Das Insolvenzrecht gehört zu den komplexen Gebieten im deutschen Wirtschaftsrecht.<br />
Es zählt zugleich zu den wichtigsten Normierungen, die mit darüber<br />
bestimmen, inwieweit ein Unternehmen am Wettbewerb teilnehmen<br />
darf. In dieser Serie vermittelt „<strong>return</strong>“ solides Basiswissen, praktische Tipps<br />
zur Umsetzung und sachdienliche Hinweise zum Umgang.<br />
Foto: Inked Pixels<br />
Welche Gegenmaßnahmen<br />
helfen?<br />
Was gilt im<br />
Sanierungsvergleich?<br />
Es ist angesichts einer sich verschärfenden Rechtsprechung dazu angeraten, mit der<br />
gerichtlichen Beitreibung einer „überfälligen“ Forderung nicht zu lange zu warten.<br />
Ein Forderungsmanagement mit straffen Reaktionszeiten und die zügige Einleitung<br />
gerichtlicher Schritte bei Nichtzahlung ist wohl die einzige Möglichkeit. Denn<br />
es geht darum, den Vorwurf zu entkräften, man habe die Zahlungsunfähigkeit des<br />
Schuldners gekannt und mit der Entgegennahme der Zahlung auch gewusst, dass<br />
dadurch andere Gläubiger geschädigt werden. Jede Form der Gewährung von Ratenzahlungen<br />
oder Stundungen steht daher unter hohen Anfechtungsrisiken.<br />
Bietet ein Schuldner in einer außergerichtlichen Sanierung gegen Verzicht auf einen<br />
Teil der Forderungen vergleichsweise Zahlungen an, so ist die Annahme einer<br />
solchen Zahlung nur bei bestimmten Voraussetzungen anfechtungsgeschützt. Dazu<br />
zählt ein schlüssiges Sanierungskonzept von einem versierten fachlichen Berater,<br />
aus dem nicht von vornherein ein voraussichtliches Scheitern zu entnehmen ist.<br />
Mehr dazu in der Entscheidung des BGH vom 12.05.<strong>2016</strong> – IX ZR 65/14 (siehe in<br />
dieser „<strong>return</strong>“-<strong>Ausgabe</strong> auf Seite 87).<br />
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<strong>03</strong>/16<br />
77
MUSTERTEXT<br />
HINTERGRUND & WISSEN<br />
HINTERGRUND & WISSEN<br />
Wissensquiz für Entscheider<br />
Sachgebiet: Haftung<br />
Text: Jasper Stahlschmidt, Olaf Hiebert<br />
Gewusst wie …<br />
Die Lösungen finden Sie im Internet:<br />
www.<strong>return</strong>-online.de<br />
Der Sanierungsgeschäftsführer (CRO) erhält<br />
den Bericht, dass eine Filteranlage im Produktionsteil<br />
A defekt ist. Der unverzügliche Austausch<br />
des Filters wird vom zuständigen Ingenieur dringend<br />
empfohlen, weil andernfalls mit einer Luftverschmutzung zu<br />
rechnen ist und der Betrieb mit defektem Filter einen erheblichen<br />
Verstoß gegen Umweltvorschriften darstellt. Der Austausch<br />
der Filteranlage würde bei dem mittelständischen Betrieb<br />
mit 70.000 Euro zu Buche schlagen und die Liquidität<br />
erheblich belasten. Der CRO lehnt den Austausch des Filters<br />
mit der Begründung ab, nach Stellung des Insolvenzantrages<br />
sei die Schuldnerin im Rahmen der vorläufigen Eigenverwaltung<br />
zuallererst verpflichtet, die Masse im Interesse der<br />
Insolvenzgläubiger „zusammenzuhalten“. Eine Strafbarkeit<br />
der Geschäftsführung bei Missachtung der umweltrechtlichen<br />
Vorschriften scheide aus und Schadenersatzforderungen<br />
seien als bloße Insolvenzforderungen zu behandeln.<br />
Hat der CRO Recht?<br />
a) Ja, die Masseerhaltungspflicht und der Gläubigergleichbehandlungsgrundsatz<br />
sind unumstößliche Grundsätze<br />
der Insolvenzordnung, die anderweitige Erwägungen und<br />
Rechtsvorschriften nach Stellung eines Insolvenzantrages<br />
ersetzen.<br />
b) Nein, ungeachtet dieser Grundsätze ist das Insolvenzrecht<br />
nicht in der Lage und auch nicht dafür konzipiert,<br />
umweltrechtliche Normen und entsprechende Strafvorschriften<br />
außer Kraft zu setzen.<br />
Der CEO der Schuldnerin, eine GmbH, und<br />
der seit längerem mit der Sanierung befasste<br />
Berater B kommen zu dem Ergebnis, dass eine<br />
außergerichtliche Sanierung nicht mehr möglich ist. Sie<br />
planen, für die GmbH einen Insolvenzantrag zu stellen.<br />
Um die schwierige Phase nach dem Insolvenzantrag besser<br />
„überstehen“ zu können, beschließen Sie, noch einmal<br />
zahlreiche Bestellungen auszubringen. Insbesondere bestellen<br />
sie bei der W-GmbH Schrauben mit einem Wert<br />
von 100.000 Euro. Dies entspricht dem Monatsverbrauch<br />
des Unternehmens. Der CEO und B wissen, dass die<br />
Schuldnerin die bestellten Schrauben bei Fälligkeit nicht<br />
wird bezahlen können. Die Ware wird geliefert und in den<br />
Lagerräumen der GmbH deponiert. Zwischen den Parteien<br />
sind die AGB der Lieferantin vereinbart, die einen verlängerten<br />
Eigentumsvorbehalt vorsehen. Eine Abwehrklausel<br />
enthalten die AGB der Schuldnerin nicht. Nach Eingang<br />
der Ware stellen die Geschäftsführer zufrieden den Insolvenzantrag,<br />
um eine Erfolg versprechende Sanierung einzuleiten.<br />
Die zwei Wochen später eingehende Rechnung<br />
bezahlen sie nicht.<br />
Frage 1: Muss die gelieferte Ware bezahlt werden?<br />
a) Ja. Verträge sind bindend.<br />
b) Nein. Es handelt sich um eine bloße Insolvenzforderung.<br />
Frage 2: Die Lieferantin ist erzürnt, aber heilfroh, dass<br />
die Ware zumindest noch vollständig vorhanden ist. Was<br />
kann die Lieferantin machen, um ihren Schaden möglichst<br />
gering zu halten, und welche Aussagen sind zutreffend?<br />
a) Sie kann die Verarbeitung der Ware untersagen und ihr<br />
Eigentum herausverlangen. Sollte das Insolvenzverfahren<br />
eröffnet sein, hat sie ein Aussonderungsrecht.<br />
b) Das Insolvenzrecht schützt hier die Schuldnerin. Sie<br />
kann die Ware behalten und verwenden. Die Lieferantin<br />
wird nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens lediglich<br />
vor allen anderen Gläubigern bevorrechtigt befriedigt.<br />
c) Die Lieferantin kann die Ware nicht herausverlangen,<br />
hat nach Eröffnung aber ein Absonderungsrecht.<br />
d) Die Schuldnerin kann die Ware verwenden, muss diese<br />
aber auch bezahlen. Die Lieferantin kann dies hinnehmen,<br />
ohne dass der Sachwalter die Bezahlung der<br />
Ware nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens anfechten<br />
(§§ 129 ff. InsO) kann.<br />
Frage 3: Ändert sich etwas, wenn die Ware bereits zur<br />
Hälfte verbraucht ist?<br />
a) Ja, soweit die Ware verbraucht ist, ist das Sicherungsrecht<br />
Eigentumsvorbehalt untergegangen.<br />
b) Nein, die Lieferantin hat die gleichen Rechte.<br />
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HINTERGRUND & WISSEN<br />
HINTERGRUND & WISSEN<br />
Krisenstadien<br />
Bilanz-Check: Planungsstandards<br />
Kennzahlen von Unternehmen liefern wichtige<br />
Erkenntnisse und nützliche Dienste, um<br />
Krisen frühzeitig zu erkennen und rechtzeitig<br />
zu bewältigen. Für diese „<strong>return</strong>“-Reihe<br />
unterzieht Wirtschaftsprüfer, Steuerberater<br />
und Diplom-Kaufmann Christoph Hillebrand<br />
das Wertewerk an Beispielen brauchbaren<br />
Bilanz-Checks.<br />
Text: Christoph Hillebrand<br />
Foto: bigstockphoto/Ksander<br />
In der vergangenen <strong>Ausgabe</strong> „<strong>return</strong> 02/<strong>2016</strong>“ sind an dieser<br />
Stelle vor allem Fragen danach beantwortet worden,<br />
welche absoluten und relativen Kennzahlen zur Bewertung<br />
welches Krisenstadiums geeignet sind. Eine Feststellung lautete:<br />
Sogenannte Kennzahlensysteme wie das Depotschema<br />
haben ausgehend von Return und Investment (RUI) die beste<br />
Aussagekraft.<br />
Das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland (IDW)<br />
e.V. hat in seinem „Standard S6“ festgehalten, dass die Überwindung<br />
einer Krise erfordert, das konkrete Krisenstadium<br />
festzustellen. Weiterhin regelt der Standard, dass die Feststellung<br />
der Sanierungsfähigkeit anhand einer konkreten<br />
integrierten Unternehmensplanung zu erfolgen hat. Eine<br />
solche integrierte Unternehmensplanung besteht aus einer<br />
Rentabilitäts-, einer Liquiditäts- und einer Bilanzplanung,<br />
die im Sinne eines integrierten Ansatzes ineinandergreifen.<br />
Das heißt, es werden nicht drei separierte Planungen erstellt,<br />
sondern es existiert eine Gesamtplanung mit entsprechenden<br />
Teilplänen, die aufeinander aufbauen.<br />
Eine solche integrierte Unternehmensplanung wird insbesondere<br />
zur Plausibilisierung mit Kennzahlen ergänzt. Die<br />
Kennzahlen dienen zur Verdeutlichung und Kommentierung<br />
des geplanten Sanierungsverlaufs. Sie werden zur Beurteilung<br />
der Fortführungs- und Sanierungsfähigkeit herangezogen<br />
und sind Kontrollgrößen für den Grad der Zielerreichung<br />
des Sanierungskonzeptes. Gleichzeitig dienen sie als Eckpunkte<br />
für die Beurteilung des Sanierungskonzeptes durch<br />
Dritte. Wesentlicher Gegenstand der integrierten Unternehmensplanung<br />
sind die Finanzlage inklusive der Liquidität,<br />
die Vermögenslage, die Ertragslage inklusive der Rentabilität<br />
als auch die Covenants.<br />
Die verschiedenen Kennzahlen haben bezüglich ihrer Aussagefähigkeit<br />
einen unterschiedlichen Darstellungsgrad bzw.<br />
eine unterschiedliche Eignung. In Bezug auf die unterschiedlichen<br />
Lagen empfiehlt der Standard S6 die Differenzierung<br />
nach Kennzahlen in der nachfolgend dargestellten Grafik.<br />
In der nächsten <strong>Ausgabe</strong> „<strong>return</strong> 4/<strong>2016</strong>“ widmet sich der<br />
Autor dann der Frage, welche Probleme bei der Herleitung<br />
der einzelnen Kennzahlen auftreten können und welche gegebenenfalls<br />
eingeschränkte Aussagekraft solche Kennzahlen<br />
in einem Sanierungskonzept haben können. ~<br />
Kennzahlen verschiedener Krisenstadien<br />
Verschiedene Krisenstadien nach Gefahrenlage<br />
Liquiditätskennzahlen<br />
Ertragskennzahlen<br />
Vermögenskennzahlen<br />
Ertragskennzahlen<br />
Stakeholderkrise<br />
XXLiquiditätsgrade<br />
I-III<br />
XXCashflow in Prozent<br />
vom Umsatz<br />
XXSchuldentilgungs-<br />
dauer in Jahren<br />
XXKapitaldeckungs-<br />
fähigkeit<br />
XXGesamtkapitalren-<br />
tabilität<br />
XXEK-Rentabilität<br />
XXUmsatzrentabilität<br />
XXMaterial-/Fremd-<br />
leistungsquote<br />
XXPersonalaufwands-<br />
quote<br />
XXEBITDA in Prozent<br />
vom Umsatz<br />
XXEigenmittelquote<br />
XXVerschuldungsgrad<br />
XXAnlagendeckung<br />
XXWorking Capital<br />
XXLaufzeit der Debitoren<br />
und Kreditoren<br />
in Tagen<br />
XXVorratsreichweite<br />
in Tagen<br />
XXVertraglich<br />
vereinbarte<br />
Kennzahlen im<br />
Rahmen der<br />
Covenants<br />
Handlungsspielraum<br />
Strategiekrise<br />
Marktanteilsverlust<br />
Gefährdung der<br />
Erfolgspotenziale<br />
Produkt- und<br />
Absatzkrise<br />
Umsatzrückgang<br />
Ergebnisverschlechterung<br />
Kapazitätsunterauslastung<br />
Ertragskrise<br />
Operativer Verlust<br />
Nachfragerückgang<br />
Preisverfall<br />
Kostensteigerungen<br />
Liquiditätskrise<br />
Gefährdung der<br />
Zahlungsfähigkeit<br />
Insolvenz<br />
potenzielle Gefahr<br />
latente Gefahr aktue Gefahr aktue Gefahr Zahlungsunfähigkeit<br />
oder Überschuldung<br />
Sanierung ohne Kapitalzufuhr kaum möglich<br />
Bestandsgefährdung<br />
80 81<br />
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HINTERGRUND & WISSEN<br />
HINTERGRUND & WISSEN<br />
Zentrale Zahnräder<br />
der additiven Fertigung<br />
Eintritt für einen: Jedes Unternehmen sollte<br />
sich für additive Fertigungen den Zugang zur<br />
Druckvorlage sichern.<br />
Was Mittelständler beim 3D-Druck beachten müssen<br />
Text: Andreas Leupold<br />
Foto: www.colourbox.de<br />
Industrie 4.0 und Smart Manufacturing werden die Herstellung<br />
und den Vertrieb von Erzeugnissen tiefgreifend<br />
verändern. Kaum ein Unternehmen wird davon nicht betroffen<br />
sein. Inmitten dieser Entwicklung steht der industrielle<br />
3D-Druck, der Produkte ohne Fräsmaschinen und Gussformen<br />
aus Metall, Kunststoff und weiteren Werkstoffen „additiv“<br />
Schicht um Schicht aufbaut.<br />
Dieses Verfahren hat gegenüber herkömmlichen, „subtraktiven“<br />
Fertigungsverfahren viele Vorteile. Zu denen gehört<br />
neben der Materialeinsparung, dass damit völlig neue Konstruktionen<br />
und Leichtbauteile möglich sind. 3D-Druckverfahren<br />
werden inzwischen auch zur Herstellung von Endprodukten<br />
eingesetzt und sind aus der Luftfahrtindustrie<br />
ebenso nicht mehr wegzudenken wie aus der Herstellung<br />
von Medizinprodukten. Die technische Entwicklung ist<br />
sprunghaft und das Tempo rasant, mit dem der Markteintritt<br />
neuer Verfahren und Anlagen zur additiven Fertigung<br />
gelingt. Kleine und mittlere Unternehmen können davon<br />
besonders profitieren. Wer noch nicht geprüft hat, ob sich<br />
eine additive Fertigung seiner Produkte lohnen könnte, sollte<br />
dies bald tun und unabhängig vom Ausgang dieser Prüfung<br />
die weitere Entwicklung im Auge behalten. Dabei dürfen<br />
rechtliche Überlegungen nicht zu kurz kommen, denn<br />
eine Vernachlässigung kann gravierende Folgen bis hin zum<br />
Produktionsstopp haben.<br />
Verarbeitung von<br />
Informationen<br />
Ist die Entscheidung für die Nutzung additiver Herstellungsverfahren<br />
gefallen, muss neben technischen Fragen zu<br />
deren Integration in die Produktion berücksichtigt werden:<br />
Der industrielle 3D-Druck beruht auf der Verarbeitung von<br />
Informationen. Die dafür genutzten Anlagen erzeugen selbst<br />
eine Vielzahl von Informationen, die nicht in falsche Hände<br />
geraten sollten. Dazu zählen vor allem das 3D-Modell,<br />
und die STL-Datei, in der es gespeichert wird. Wer darüber<br />
verfügt, kann auch das darin verkörperte Produkt herstellen.<br />
Die Absicherung der additiven Fertigung vor einem ungewollten<br />
Informationsabfluss mit technischen Mitteln ist<br />
unverzichtbar. Sie wird aber nicht immer verhindern, dass<br />
Produktionsdaten unbefugt kopiert und dann zum Nachbau<br />
vom Original nicht mehr unterscheidbarer Produkte benutzt<br />
werden. Sind die Nachbauten von minderer Qualität, und<br />
kommt dadurch der Erwerber eines fehlerhaften Nachbaus<br />
zu Schaden, so kann dies zur Folge haben, dass gegen den<br />
Originalhersteller zu Unrecht Ansprüche geltend gemacht<br />
werden, deren Abwehr sich als zeit- und kostenintensiv erweisen<br />
kann. Verfügt der Hersteller des Originalprodukts<br />
nicht über die ausschließlichen Rechte am 3D-Modell, kann<br />
er dessen Nutzung anderen nicht untersagen und seinerseits<br />
zur Einstellung der Produktion gezwungen werden, wenn<br />
Dritte diese Rechte erfolgreich für sich beanspruchen.<br />
Dass letztlich Verträge in der digitalen Produktion darüber<br />
entscheiden, wer was herstellen darf, hat verschiedene Gründe.<br />
Zum einen gibt es derzeit (noch) kein dem Eigentum an<br />
Sachen vergleichbares Eigentum an Daten, sondern lediglich<br />
ein Eigentum an Datenträgern, also der Festplatte oder<br />
CD-ROM/DVD, auf der sie gespeichert sind. Angesichts<br />
der Tatsache, dass Produktionsdaten heute kaum mehr dauerhaft<br />
auf Datenträgern, sondern in der Cloud gespeichert<br />
und rund um den Erdball versandt werden, genügt ein an<br />
Datenträger gebundener Eigentumsbegriff aber nicht mehr<br />
den Anforderungen einer modernen Industriegesellschaft.<br />
Unternehmen müssen deshalb umso mehr darauf achten,<br />
sich die Rechte an den Druckvorlagen und den darin enthaltenen<br />
3D-Modellen zu sichern. 3D-Modelle können<br />
urheberrechtlich geschützt sein. Ist dies der Fall, stehen die<br />
Nutzungsrechte daran aber nicht etwa automatisch dem<br />
Auftraggeber, sondern dem freien Mitarbeiter oder externen<br />
Dienstleister zu, der sie mit einem CAD-Programm<br />
geschaffen hat. Will der Auftraggeber ausschließlich zur Benutzung<br />
des 3D-Modells berechtigt sein, so muss er dazu<br />
mit (dem) Urheber(n) einen Lizenzvertrag schließen, der<br />
dies sicherstellt.<br />
Rechte an der<br />
Druckvorlage sichern<br />
Das ist insbesondere dann ratsam, wenn – wie nicht selten –<br />
in der additiven Auftragsfertigung bewährte Produkte vom<br />
Dienstleister oder Zulieferer neu konstruiert oder verbessert<br />
werden. Denn dann erwirbt der Auftraggeber ohne vertragliche<br />
Absicherung regelmäßig keine Rechte an den neuen<br />
Konstruktionsdetails. Aber auch wenn das 3D-Modell keinen<br />
Urheberrechtsschutz genießt: In der digitalen Wertschöpfungskette<br />
muss durch vertragliche Absprachen mit allen<br />
Geschäftspartnern, Dienstleistern und Auftragnehmern<br />
mit Zugriff auf die Druckvorlage sichergestellt werden, dass<br />
sie nur mit Zustimmung des beauftragenden Unternehmens<br />
zur Herstellung von Produkten benutzt wird. Dazu gehört<br />
die Regelung der Frage, wer Zugang zur Druckvorlage erhält<br />
und wem Lese- und Schreibrechte gewährt werden. Solche<br />
Regelungen gehen weit über das hinaus, was in üblichen<br />
Vertraulichkeitsvereinbarungen, sogenannten „Non-Disclosure<br />
Agreements“, festgehalten wird.<br />
Mit der Sicherung der ausschließlichen Rechte am 3D-Modell<br />
ist es aber nicht getan. Während des Fertigungsprozesses<br />
fällt eine Vielzahl von Daten an, die vertrauliche Informationen<br />
enthalten und vor einer Ausspähung geschützt werden<br />
müssen. So erzeugen industrielle 3D-Drucker Geräuschemissionen,<br />
die mit einem Smartphone aufgezeichnet und<br />
im Wege des „Reverse Engineering“ für den Nachbau additiv<br />
gefertigter Originalprodukte verwendet werden können.<br />
Forschern der University of California, Irvine, gelang damit<br />
kürzlich die Herstellung von Kopien eines Objekts mit einer<br />
Genauigkeit von fast 90 Prozent.<br />
Der Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen etwa<br />
durch unzufriedene oder gekündigte Mitarbeiter ist zwar<br />
strafbar, Unternehmen die ihren Arbeitnehmern die Nutzung<br />
privater Endgeräte in der Firma gestatten, sollten aber<br />
ihre „Bring Your Own Device“-Richtlinien überdenken und<br />
Vorsorge gegen eine solche Betriebsspionage treffen. Es<br />
versteht sich von selbst, dass das Erstellen von Kopien der<br />
Druckvorlage nur einem eingeschränkten Personenkreis gestattet<br />
und die Bearbeitung von 3D-Modellen auf privaten<br />
Rechnern untersagt werden sollte.<br />
Vorgehen gegen<br />
Trittbrettfahrer<br />
Auch eine vorausschauende vertragliche Absicherung<br />
der digitalen Produktion kann sich nur dann als scharfes<br />
Schwert gegen Produktpiraten erweisen, wenn die daraus<br />
fließenden Rechte im Ernstfall auch durchgesetzt werden.<br />
Bevor auf dem Rechtsweg gegen Trittbrettfahrer vorgegangen<br />
wird, müssen Firmen allerdings sorgfältig prüfen, ob<br />
ein Verstoß gegen vertragliche Vereinbarungen und/oder<br />
eine Verletzung von gesetzlichen Schutzrechten nachgewiesen<br />
werden kann. Ist dies der Fall, empfiehlt es sich, den<br />
Betreffenden vorgerichtlich abzumahnen und ihn zur Unterlassung,<br />
Auskunftserteilung über den Umfang der Verletzungshandlungen<br />
und Schadensersatzleistung aufzufordern.<br />
Kann damit keine Abhilfe geschaffen werden, sollte<br />
nicht gezögert werden, gerichtliche Hilfe zur Durchsetzung<br />
aller Forderungen in Anspruch zu nehmen, um größere<br />
Schäden zu vermeiden und Dritten zu signalisieren,<br />
dass sich Übergriffe nicht lohnen. ~<br />
Buchtipp: Den Praxisratgeber über „3D-<br />
Druck, Additive Fertigung und Rapid Manufacturing“<br />
veröffentlichte Dr. Leupold<br />
kürzlich mit Silke Glossner im Verlag Franz<br />
Vahlen, München <strong>2016</strong>, 79 Euro.<br />
Als Industrieanwalt vertritt der Autor Unternehmen<br />
im 3D-Druck & Recht, bei Lizenzverträgen,<br />
im IT-Recht und im Medienrecht.<br />
Er schreibt mit mehr als 20-jähriger Erfahrung<br />
zahlreiche Fachbeiträge, darunter auf <strong>return</strong>online.de<br />
in unserer Rubrik „Expertenwissen“<br />
eine dreiteilige Serie.<br />
82 <strong>03</strong>/16<br />
<strong>03</strong>/16<br />
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HINTERGRUND & WISSEN<br />
HINTERGRUND & WISSEN<br />
Führung im Wandel<br />
Verantwortung auf allen Unternehmensebenen<br />
Text: Jeffrey Beeson<br />
Anne’s Corner<br />
Unternehmen auf Trab halten<br />
Text: Anne Koark<br />
Die aktuellen Herausforderungen der digitalen Revolution<br />
zwingen Unternehmensverantwortliche dazu, ihr<br />
Verständnis dessen, was eine gute Führung ausmacht, neu<br />
zu überdenken. Vor noch nicht allzu langer Zeit gehörte es<br />
zu den Kernaufgaben eines Managers<br />
der mittleren Führungsebene,<br />
Informationen im Unternehmen<br />
weiterzugeben. Die meisten dieser<br />
Informationen kamen von der<br />
obersten Führungsebene. Heutzutage<br />
sind viele dieser Informationen<br />
überall in einem Unternehmen<br />
jederzeit per Mausklick verfügbar.<br />
Nach wie vor müssen sich<br />
Führungskräfte auf Kernaufgaben<br />
konzentrieren: Die Richtung vorgeben,<br />
den Weg zeigen und klarstellen,<br />
wohin die Reise geht.<br />
Schwierigste Rolle<br />
einer Führungskraft<br />
Das „Alignment“, also die Anpassung, zu schaffen, zählt vermutlich<br />
zur schwierigsten Rolle einer Führungskraft − und<br />
ist doch absolut unerlässlich für den Erfolg. Dieser Prozess<br />
der gemeinsamen Ausrichtung erfordert hohe kommunikative<br />
Kompetenz und Klarheit sowie große Beharrlichkeit. Zu<br />
Engagement zu inspirieren ist bedeutend: Außergewöhnliche<br />
Ergebnisse werden nur dann erzielt, wenn sich die Beteiligten<br />
eigenverantwortlich für ein Vorhaben engagieren<br />
und es gewissermaßen zu ihrer eigenen Sache machen. Der<br />
zentrale Wandel besteht in einer Neuverteilung der Führung<br />
innerhalb des Unternehmens. Heutzutage ist Führung nicht<br />
mehr die Domäne einiger weniger Auserwählter − sie findet<br />
auf allen Unternehmensebenen statt.<br />
Dieser Führungswandel und seine Auswirkung lassen sich<br />
anhand von zwei Unternehmen veranschaulichen, die in der<br />
gleichen Branche tätig sind beziehungsweise waren: dm und<br />
Schlecker. Bei Schlecker herrschte ein traditionell autoritärer<br />
Führungsstil. Sämtliche Entscheidungen wurden von wenigen<br />
Vorstandsmitgliedern getroffen. Das Unternehmen dm<br />
dagegen setzt auf eine dialogische Führungskultur. So werden<br />
die Mitarbeiter ermutigt, sich an Entscheidungsprozessen<br />
auf Ladenebene zu beteiligen − und übernehmen damit<br />
Führungsrollen innerhalb des Unternehmens.<br />
Führung ist nicht mehr die Domäne einiger weniger Auserwählter<br />
− sie findet auf allen Unternehmensebenen statt.<br />
Für dm-Gründer Götz Werner ist die Qualität der Arbeitsumgebung<br />
nach eigenen Worten wichtiger als der Profit.<br />
Ein von kooperativer Führung geprägtes Arbeitsumfeld<br />
ist deshalb so erfolgreich, weil es etwas anspricht, das uns<br />
als Menschen zutiefst motiviert.<br />
Neueste Forschungsergebnisse<br />
Foto: portishead1<br />
haben bestätigt, dass unsere Motivation<br />
aus drei Triebfedern entspringt:<br />
Selbstbestimmung, Perfektionierung<br />
und Sinnerfüllung.<br />
Alle drei Motivationstreiber werden<br />
durch die kooperative Führungspraxis<br />
begünstigt, denn sie<br />
bietet den Mitarbeitern Gelegenheit<br />
zu eigenständigem Handeln<br />
und Mitdenken. Der Erwerb von<br />
Führungskompetenzen trägt zur<br />
Selbst-Perfektionierung der Mitarbeiter bei. Die Teilhabe an<br />
den Entscheidungsprozessen fördert die Sinnerfüllung. Top-<br />
Manager brauchen daher neue Instrumentarien, mit denen<br />
Organisationsleiter den Kurs vorgeben können. Eines dieser<br />
unverzichtbaren Instrumente ist die Rahmengebung.<br />
Organisationsleiter müssen imstande sein, Rahmen zu<br />
schaffen, in denen Selbstbestimmung, Perfektionierung und<br />
Sinnerfüllung gedeihen können. Ebenso wichtig sind die Instrumente<br />
der Inklusion. Traditionelle Führung arbeitet in<br />
erster Linie auf der Basis von Teams und größeren Gruppen.<br />
Auch wenn diese weiterhin im Fokus bleiben, muss sich<br />
die Aufmerksamkeit einer kooperativen Führung verstärkt<br />
auf die Art und Dimension der Netzwerke innerhalb eines<br />
Unternehmens richten. Die Verknüpfung einer großen Zahl<br />
von Menschen auf sinnvolle Weise vermittelt ein Gefühl der<br />
Gemeinschaft und für das Ganze. Diese sind die ersten und<br />
wichtigsten Schritte, um den Wandel hin zu diesem neuen<br />
Führungsansatz anzustoßen, der besonders gut geeignet ist<br />
− wenn nicht unverzichtbar −, um mit unserer zunehmend<br />
digitalisierten Welt Schritt zu halten. ~<br />
Foto: Ingrid Theis<br />
Der Autor ist „Chief Alignment Enabler“ der<br />
Unternehmensberatung „Ensemble Enabler“<br />
aus München.<br />
Die Zukunft ist die noch unbekannte Zeit,<br />
die der bekannten Gegenwart nachfolgt.<br />
Innovation stammt aus dem Lateinischen<br />
„innovare“, was so viel wie Neuerung<br />
oder Erneuerung heißt. Demnach wäre<br />
Zukunftsmanagement das Management<br />
des Unbekannten aus Sicht des Bekannten.<br />
Innovationsmanagement wäre dann die<br />
Steuerung von dem, was es noch nicht gibt. So<br />
betrachtet, könnte man meinen, dass die anspruchsvollen<br />
Aufgaben des Zukunfts- und Innovationsmanagements<br />
hellseherischer Fähigkeiten bedürfen. Und doch sind<br />
diese Steuerungsinstrumente bedeutende strategische Werkzeuge,<br />
die äußerst wichtig für den Fortbestand eines jeden<br />
Unternehmens sind.<br />
Innovationen sind der Motor des Fortschritts. Ohne Fortschritt<br />
gibt es faktische und passive Rückschritte. Sie entstehen<br />
dadurch, dass man stehen<br />
bleibt, während die Konkurrenz<br />
sich weiterentwickelt. Der<br />
Fortschritt lebt von Mut, von<br />
Weitsicht und von fundierter<br />
strategischer Planung. In einer<br />
Arbeitsumgebung, in der bislang<br />
unbekannte Ideen sich entwickeln<br />
können, entstehen Erneuerungen, die Unternehmen<br />
erfolgreich Zukunft bescheren.<br />
Wie jedoch erreicht man am besten das Management des<br />
noch nicht Bekannten? Und ruft das Unbekannte eher Ängste<br />
hervor? Dafür hatte der chinesische Philosoph Konfuzius<br />
eine vielversprechende Lösung: „Wer das Ziel kennt, kann<br />
entscheiden. Wer entscheidet, der ist sicher. Wer sicher ist,<br />
kann überlegen. Wer überlegt, kann verbessern.“ Um eine<br />
managebare Zukunft zu sichern, müssen die richtigen Ziele<br />
identifiziert und gesetzt werden. Noch wichtiger: Es sollten<br />
mutige Entscheidungen getroffen werden, um diese Ziele zu<br />
erreichen. Die ständige Suche nach Verbesserungen befeuert<br />
Innovationen, die für die Weiterentwicklung eines Unternehmens<br />
lebensnotwendig sind.<br />
Der Nobelpreisträger Albert von Szent-Györgyi Nagyrápolt<br />
sagte sinngemäß: Die Entdeckung sei „das Treffen eines Unfalls<br />
auf einen vorbereiteten Geist“. Das ist die darwinsche<br />
Weiterentwicklung eines Unternehmens, in der eine Organisation<br />
sich ständig an die sich verändernde Wirtschaftswelt<br />
anpasst. Das ist ein wichtiger Teil der Evolutionsökonomik,<br />
„Der Fortschritt lebt von Mut,<br />
von Weitsicht und von fundierter<br />
strategischer Planung.“<br />
die Joseph Schumpeter im Zusammenhang mit<br />
Innovation als Begriff prägte. Zukunfts- und<br />
Innovationsmanagement bedarf des Mutes<br />
zur Veränderung gepaart mit der strategischen<br />
Planung der entstehenden Ideen. Quasi eine<br />
geplante Bewegung aus der Komfortzone des<br />
„business as usual“ ins strategische Management<br />
des ideenzündenden Unbekannten.<br />
Für „Zukunftsknüller“ reicht kein „Wir haben<br />
es immer so gemacht”. Die Atmosphäre muss so<br />
beschaffen sein, dass Angst vor Unbekanntem erst gar nicht<br />
entsteht. Kalkulierte Risiken müssen mit Erneuerungen<br />
eingegangen werden, um Fähigkeiten zu entwickeln, die in<br />
die richtigen Innovationsprozesse münden. Dies sichert die<br />
Tragfähigkeit von Neuem. Dies fordert eine offene und lebendige<br />
Kommunikation in interdisziplinärer Zusammenarbeit.<br />
Es gilt das Noch-Nicht-Gedachte denkbar und das<br />
Noch-Nicht-Gemachte machbar<br />
zu machen – und zwar koordiniert.<br />
Auf seinen Lorbeeren sich<br />
auszuruhen, passt dazu nicht. Autobauer<br />
Henry Ford schreibt man<br />
das Zitat zu: „Wenn ich die Leute<br />
gefragt hätte, was sie brauchen,<br />
hätten sie geantwortet, ,bessere<br />
Pferde’.“ Er verlangte stattdessen: „Besorgt mir Ingenieure,<br />
die noch nicht gelernt haben, was nicht geht.“ Das Verbinden<br />
von Erfahrungen aus bekannten und unbekannten<br />
Pfaden zählt zu den zentralen Maßgaben von Erfolg. Unternehmen<br />
sollten mit gemanagten Querdenkern auf Trab<br />
gehalten werden, die den Raum für bahnbrechende Neuerungen<br />
durch ständige Grenzschiebung eröffnen. In diesem<br />
Raum entstehen nicht nur Produktneuheiten, sondern auch<br />
die nötigen strategisch auswertbaren und kontrollierbaren<br />
Prozessfortentwicklungen.<br />
Den Unternehmenslenkern sollten die Pferde dabei nicht<br />
durchbrennen, sie sollten ganz gezielt auf Trab gehalten werden.<br />
Gefragt sind Wirtschaftsentdecker, die bereit sind, wie<br />
beim Ei des Kolumbus dazwischen unterscheiden zu können<br />
– „es getan zu haben“ oder „es hätten tun können“. So setzt<br />
man strategisches Können zum wirtschaftlichen Vorteil ein. ~<br />
Die Autorin schrieb nach eigener Insolvenz Bücher wie „Zurück auf<br />
Start“ und arbeitet heute als Unternehmensberaterin und Übersetzerin.<br />
84 85<br />
<strong>03</strong>/16 <strong>03</strong>/16
Luchterhand Verlag<br />
Ohne ihn geht es nicht!<br />
NEU<br />
Rechtsprechung<br />
Aus der Praxis richterlicher Entscheidungen<br />
SERVICE<br />
Auch die Neuauflage zeichnet sich in<br />
besonderem Maße durch die Fokussierung<br />
auf die höchstrichterliche<br />
Rechtsprechung, die praxisorientierte<br />
Auseinandersetzung mit der InsO sowie<br />
einer aktuellen Kommentierung samt<br />
Nebengesetze aus. Durch den erlesenen<br />
Herausgeber- und Autorenkreis<br />
von anerkannten Experten aus Wissenschaft,<br />
Richter- und Anwaltschaft<br />
gewährleistet sie höchste Kompetenz.<br />
Der transparente Aufbau der Kommentierungen<br />
und der lösungsorientierte<br />
Stil mit vielen Beispielen verschaffen<br />
dem Nutzer einen schnellen Zugang<br />
zur gesuchten Information.<br />
Jetzt neu: Für die dritte Auflage des<br />
Kommentars wird erstmals das Sanierungsrecht<br />
kompakt als Anhang umfassend<br />
systematisch dargestellt. Sanierungs-<br />
und Finanzierungsmaßnahmen,<br />
Sanierungsarbeits- und Sanierungssteuerrecht<br />
werden ebenso dargestellt<br />
wie der Sachstand zum vorinsolvenzlichen<br />
Sanierungsverfahren.<br />
Die neue EuInsVO, die ab dem<br />
26.06.2017 gilt und einige interessante<br />
Neuerungen insbesondere für die<br />
Konzerninsolvenz enthält, ist ebenso<br />
kommentiert.<br />
Neben der Insolvenzordnung (InsO)<br />
werden kommentiert und bearbeitet:<br />
■ EuInsVO mit Art. 102-110 EGInsO<br />
■ InsVV ■ AnfG ■ §§ 66a, 67c GenG<br />
■ Insolvenzstrafrecht (§§ 283-283d<br />
StGB) ■ Vorschriften über das Insolvenzgeld<br />
(§§ 165-172, 358-362 SGB III)<br />
■ §§ 1 – 23 KredReorgG ■ systematische<br />
Darstellung der gesellschaftsrechtlichen<br />
Haftung der Gesellschafter und<br />
Geschäftsführer in der GmbH-Insolvenz.<br />
Herausgeber:<br />
Prof. Dr. Martin Ahrens, Universität Göttingen;<br />
Prof. Dr. Markus Gehrlein, RiBGH,<br />
Karlsruhe; Dr. Andreas Ringstmeier, RA/<br />
FA für Insolvenzrecht und für Arbeitsrecht,<br />
Köln.<br />
Wolters Kluwer Deutschland GmbH • Kundenservice • Heddesdorfer Str. 31 a • 56564 Neuwied<br />
Telefon 02631 8012222 • Fax 02631 8012223 • info-wkd@wolterskluwer.com • www.wolterskluwer.de<br />
Mit Ausblick auf die Reform<br />
zum Insolvenzanfechtungsund<br />
Konzerninsolvenzrecht<br />
Bereits berücksichtigt:<br />
die neue EuInsVO<br />
Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier (Hrsg.)<br />
Insolvenzrecht<br />
Kommentar<br />
3. Auflage 2017, ca. 2.900 Seiten,<br />
gebunden, ca. € 189,–<br />
ISBN 978-3-472-08669-7<br />
Vorauflagen erschienen unter<br />
»Fachanwalts-Kommentar<br />
Insolvenzrecht«<br />
In Vorbereitung für Oktober <strong>2016</strong><br />
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<br />
Anforderungen an ein schlüssiges Sanierungskonzept<br />
für ein Unternehmen in der<br />
Krise aus Sicht eines Gläubigers<br />
BGH, Urt. v. 12. 05.<strong>2016</strong> – IX ZR 65/14, ZInsO <strong>2016</strong>,<br />
1251ff.<br />
Leitsätze des Gerichts:<br />
1. Den Gläubiger, der die (drohende) Zahlungsunfähigkeit<br />
des Schuldners und die Benachteiligung der Gläubiger<br />
kennt, trifft die Darlegungs- und Beweislast, dass er<br />
spätere Zahlungen auf der Grundlage eines schlüssigen<br />
Sanierungskonzeptes erlangt hat.<br />
2. Der Gläubiger kann nur dann von einem schlüssigen<br />
Sanierungskonzept des Schuldners ausgehen, wenn er<br />
in Grundzügen über die wesentlichen Grundlagen des<br />
Konzeptes informiert ist; dazu gehören die Ursachen der<br />
Insolvenz, die Maßnahmen zu deren Beseitigung und<br />
eine positive Fortführungsprognose.<br />
3. Der Gläubiger, der im Rahmen eines Sanierungsvergleichs<br />
quotal auf seine Forderungen verzichtet in der<br />
Annahme, andere Gläubiger verzichteten in ähnlicher<br />
Weise, kann von einer Sanierung des Schuldnerunternehmens<br />
allein durch diese Maßnahme nur ausgehen,<br />
wenn nach seiner Kenntnis die Krise allein auf Finanzierungsproblemen<br />
beruht, etwa dem Ausfall berechtigter<br />
Forderungen des Schuldners.<br />
4. Der Gläubiger ist nicht verpflichtet, das Sanierungskonzept<br />
des Schuldners fachmännisch zu prüfen oder prüfen<br />
zu lassen; er darf sich auf die Angaben des Schuldners<br />
oder dessen Berater zu den Erfolgsaussichten des Konzeptes<br />
verlassen, solange er keine Anhaltspunkte dafür<br />
hat, dass er getäuscht werden soll oder dass der Plan keine<br />
Chancen auf dauerhaften Erfolg bietet.<br />
5. Der Sanierungsplan des Schuldners muss nicht den formalen<br />
Erfordernissen entsprechen, wie sie das Institut<br />
für Wirtschaftsprüfer e.V. in dem IDW Standard S6<br />
(IDWS6) oder das Institut für die Standardisierung von<br />
Unternehmenssanierungen (ISU) als Mindestanforderungen<br />
an Sanierungskonzepte (MaS) aufgestellt haben.<br />
Auszug aus der Begründung:<br />
a) Der Gläubiger ist hinsichtlich eines ernsthaften Sanierungsversuchs<br />
in der Regel auf die Informationen angewiesen,<br />
die ihm der Schuldner zur Verfügung stellt. Auf<br />
die Erteilung der erforderlichen Informationen muss der<br />
Gläubiger im Vorfeld einer Sanierungsvereinbarung im eigenen<br />
Interesse bestehen. Verzichtet er hierauf, handelt er<br />
mit Anfechtungsrisiko.<br />
aa) Der Gläubiger, dem ein Teilverzicht auf seine Forderung<br />
abverlangt wird, hat zum Inhalt des Sanierungsplans<br />
allerdings kein Auskunftsrecht gegen seinen Schuldner, insbesondere<br />
auch nicht zu dem wesentlichen Inhalt des Plans<br />
und zu der Frage, welche anderen Gläubiger mit welcher<br />
Quote bedient werden sollen und ob sie diesem Vorgehen<br />
zugestimmt haben. Der Schuldner muss einem Gläubiger<br />
auch keine entsprechende Prüfung ermöglichen (BGH,<br />
Urteil vom 24. Mai 2007 – IX ZR 97/06, WM 2007, 1579<br />
Rn. 9). Andererseits ist ein Gläubiger nicht verpflichtet,<br />
auf seine Forderung ganz oder teilweise zu verzichten und<br />
sich mit einer Quote zu begnügen (gegebenenfalls teilweise<br />
gegen Besserungsschein). Lässt er sich auf einen Vergleich<br />
ein, mit dem er deutlich besser gestellt werden soll, muss<br />
er zumindest so viele Informationen verlangen, dass er die<br />
Frage der möglichen Benachteiligung anderer Gläubiger<br />
nach dem Konzept des Schuldners einschätzen kann.<br />
Das Sanierungskonzept des Schuldners muss der Gläubiger<br />
allerdings nicht selbst fachmännisch überprüfen oder<br />
durch Sachverständige überprüfen lassen. Er darf vielmehr<br />
den Angaben des Schuldners oder seines beauftragten Sanierungsberaters<br />
vertrauen, solange er keine (erheblichen)<br />
Anhaltspunkte dafür hat, dass er getäuscht werden soll oder<br />
dass der Sanierungsplan keine Aussicht auf Erfolg hat.<br />
b) Eine Gläubigerbenachteiligung ist jedoch mit einem<br />
Sanierungskonzept nur dann nicht verbunden, wenn das<br />
Schuldnerunternehmen auf der Grundlage der gegenwärtigen<br />
Erkenntnisse dauerhaft saniert wird. Arbeitet das Unternehmen<br />
ständig mit Verlust, ist eine Sanierungsvereinbarung,<br />
mit der lediglich der gegenwärtige Schuldenstand<br />
reduziert wird, von vornherein nicht tragfähig, weil dann<br />
der erneute Anstieg der Schulden unausweichlich und der<br />
erneute Eintritt der Insolvenzreife absehbar ist.<br />
Anmerkung:<br />
Die Entscheidung des BGH ist eine der wichtigsten Weichenstellungen<br />
für Gläubiger, die von einem Unternehmen<br />
in der Krise außergerichtlich mit einem Vergleichsvorschlag<br />
konfrontiert werden, um eine Insolvenz abzuwenden und/<br />
oder das Unternehmen nachhaltig zu sanieren. Werden<br />
die darin niederlegten Grundsätze nicht beachtet, droht in<br />
einem nachfolgenden Insolvenzverfahren die Anfechtung<br />
geleisteter Zahlungen durch den Insolvenzverwalter. ~<br />
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Im Buchhandel erhältlich.
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Bücher und Zeitschriften<br />
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Veranstaltungen und Onlinequellen<br />
Svenja Hofert<br />
Agiler führen<br />
„Das Teamklima für Leistung und Innovation<br />
entscheidend verbessern“ möchte<br />
die Geschäftsführerin einer Karriereberatung<br />
mit ihrem Buch. Leser sollen Instrumente<br />
kennen- und nutzen lernen.<br />
Zusätzlich hilft ein „Wertecheck“ bei<br />
der Einschätzung, welche Methode für ein Unternehmen<br />
passt. Agile Ideen und Maßnahmen lassen, verspricht die<br />
Verlagsankündigung, in kleinen Schritten und großen Experimenten<br />
„ausprobieren und einführen“ – und zwar unabhängig<br />
von der Branche und Firmengröße.<br />
272 Seiten, 29,99 Euro, seit Juni <strong>2016</strong>,<br />
ISBN 978-3-658-12756-5, Springer Gabler<br />
––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />
Kathrin Niewiarra/Dorette Segschneider<br />
Balanceakt Compliance<br />
Abgas-Affäre, Panama Papers, Fifa-<br />
Korruptionsskandal – Anlässe gab es<br />
zuletzt zuhauf, die zeigten: „Recht und<br />
Gesetz sind nicht genug“, wie der Untertitel<br />
dieses „interdisziplinären Leitfadens<br />
für Entscheider“ warnt. Die<br />
erstgenannte Rechtsanwältin und die<br />
diplomierte Betriebswirtin und Kommunikationsberaterin<br />
als ihre Mitautorin wollen ihren ganzheitlichen Ansatz als<br />
Teil der Unternehmensstrategie und -kultur verankert wissen.<br />
Sie vermitteln Lösungen, um den „täglichen Seiltanz für<br />
Manager“ zum Gelingen zu bringen und zum Wettbewerbsvorteil<br />
auszubauen.<br />
245 Seiten, 24,90 Euro, seit Juli <strong>2016</strong>,<br />
ISBN 978-3-95601-154-2, Frankfurter Allgemeine Buch<br />
––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />
Thorsten Petry<br />
Digital Leadership<br />
„Bausteine“ für den Erfolg in der digitalen<br />
Transformation von Unternehmen hat der<br />
Professor für Organisation und Personalmanagement<br />
zusammengetragen. Als Herausgeber<br />
hat er dafür Beiträge von Peter<br />
Borchers über Thomas Jenewein bis Sacha<br />
Wolff zusammengetragen. Darin geht es vor allem um Fallbeispiele<br />
mit neuen Ansätzen in Strategie und Führung aus Großunternehmen<br />
und Start-ups. Antworten aus Theorie und Praxis<br />
beziehen sich auf agiles und partizipatives Management oder<br />
auf Herausforderungen der Digitalisierung. Zusätzlich gibt es<br />
„Konzepte und Tools“.<br />
472 Seiten, 49,95 Euro, seit April <strong>2016</strong>,<br />
ISBN 978-3-648-08057-3, Haufe Lexware<br />
––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />
Alexander J. Wurzer/Theo Grünewald/<br />
Wolfgang Berres<br />
360° IP-Strategie<br />
„So sichern Sie Ihren Innovationserfolg<br />
langfristig“, verspricht das Autorentrio<br />
im Untertitel des Buches, das in der Reihe<br />
„Management Competence“ erschienen<br />
ist. IP steht für Intellectual Property,<br />
also geistiges Eigentum insbesondere<br />
unter Patentschutz. Dessen systematische Integration in den<br />
Innovationsprozess garantiere auch Mittelständlern, für ihre<br />
Produkte den Kundennutzen zu schützen und damit dauerhaft<br />
Zahlungsbereitschaft abzuschöpfen. Methoden und<br />
Werkzeuge gehören hier zum Inhalt.<br />
320 Seiten, 78,00 Euro, seit Juli <strong>2016</strong>,<br />
ISBN 978-3-8006-5157-3, Vahlen<br />
––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />
Alexander Wahlers<br />
Vorinsolvenzliches<br />
Sanierungsverfahren<br />
Muss Deutschland einen zusätzlichen<br />
gesetzlichen Rahmen schaffen, um<br />
Krisen in Unternehmen frühzeitig entgegenwirken<br />
zu können? Mit dieser<br />
strittigen Frage setzt sich der Autor auf<br />
der Grundlage einer Untersuchung von<br />
rechtlich verbrieften Pflichten der Geschäftsführer und der<br />
Gesellschafter einer GmbH auseinander. Denn sie dienen<br />
der Vermeidung und Bewältigung von Krisen.<br />
247 Seiten, 64,00 Euro, seit Juni <strong>2016</strong>,<br />
ISBN 978-3-8487-3097-1, Nomos<br />
–––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />
Peter Kranzusch<br />
Das eigenverwaltete Insolvenzverfahren<br />
als Sanierungsweg<br />
Der Verfasser präsentiert die höchst instruktiven Ergebnisse<br />
einer Erhebung des Instituts für Mittelstandsforschung<br />
(IfM) in Bonn zur deutlich veränderten Nutzung der Eigenverwaltung<br />
und einer Sanierung unter Insolvenzschutz seit<br />
dem Jahr 2012.<br />
Original erschienen in ZInsO <strong>2016</strong>, 1077<br />
Gipfel<br />
Restrukturierung<br />
Zum 25. Mal treffen sich Führungskräfte aus Unternehmen,<br />
Krisen- und Restrukturierungsmanager, Insolvenzrechtler<br />
und Wissenschaftler zum „Restrukturierungsgipfel“ des<br />
Kieler Instituts für Krisenforschung, das bei der Frankfurt<br />
School of Finance & Management zu Gast ist. Das Tagungsprogramm<br />
ist unterteilt in Themen rund um Trends im Unternehmens-<br />
und Bankenumfeld sowie im Insolvenzrecht.<br />
Termin: 12. September <strong>2016</strong><br />
Ort: Frankfurt a.M.<br />
www.restrukturierungsgipfel.de<br />
––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />
Konferenz<br />
Sanierungspraxis<br />
Die SRH Hochschule Heidelberg lädt in Kooperation mit<br />
dem Institut für Unternehmenssanierung und -entwicklung<br />
(IfUS) wieder zur Jahreskonferenz, die aktuelle Entwicklungen<br />
beleuchtet. Das Referenten-Spektrum reicht von Repräsentanten<br />
der Unternehmensberatung Roland Berger, der<br />
Commerzbank und betroffener Unternehmen.<br />
Termin: 16. September <strong>2016</strong><br />
Ort: Heidelberg<br />
www.hochschule-heidelberg.de<br />
––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />
Tagung<br />
Kanzleimanagement<br />
Disruptive Entwicklungen im Anwaltsmarkt, „Legal Tech“<br />
und Unternehmertum gehören zu den Tagungsthemen der<br />
Universität St. Gallen.<br />
Termin: : 5. Oktober <strong>2016</strong><br />
Ort: Zürich<br />
www.lam.unisg.ch<br />
––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />
Symposium<br />
Restrukturierung<br />
Die diesmal 5. internationale Jahrestagung der Fachhochschule<br />
Kufstein war im vergangenen Jahr ausgebucht und<br />
zog aus Österreich, Deutschland und der Schweiz rund<br />
400 Teilnehmer. Ein Zeichen für die Akzeptanz des grenzüberschreitenden<br />
und interdisziplinären Dialog. Themenrahmen<br />
„heuer“: Restrukturieren als permanente Managementaufgabe.<br />
Termin: 7. Oktober <strong>2016</strong><br />
Ort: Kufstein<br />
www.fh-kufstein.ac.at<br />
ZIP<br />
Insolvenzrecht<br />
Ob europäische Perspektive, ob Eigenverwaltung in der<br />
BGH-Rechtsprechung oder ob Insolvenzverwalter-Haftung<br />
– der Themenmix der Veranstaltung ist so vielfältig wie die<br />
Zielgruppe von Anwälten über Banker und Berater bis Krisenmanager.<br />
Termin: 25. November <strong>2016</strong> <br />
Ort: Frankfurt a.M.<br />
www.rws-seminare.de<br />
––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />
KMU-Förderung<br />
Das bundesweite Förderprogramm für mittelständische Unternehmen<br />
wird hier präsentiert. Dort finden sich Projektträger<br />
und Beratungsstellen. Darüber hinaus gibt es noch<br />
eine Förderberatung des Bundes für Forschung und Innovation<br />
(siehe hierzu www.foerderinfo.bund.de).<br />
www.zim-bmwi.de<br />
––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />
GTAI-Analysen<br />
Die Wirtschaftsförderungsgesellschaft der Bundesrepublik<br />
Deutschland heißt „Germany Trade & Invest“, unterhält weltweit<br />
50 Standorte, unterstützt deutsche Firmen beim Gang<br />
ins Ausland und wirbt umgekehrt bei ausländischen Unternehmen<br />
für den hiesigen Standort. Dazu liefert die Website<br />
interessantes Datenmaterial zu Unternehmen und Märkten.<br />
www.gtai.de<br />
––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />
BMBF-Datenportal<br />
Zahlen, Daten, Fakten auch zu Forschung, Entwicklung und<br />
Innovation bietet das Bundesministerium für Bildung und<br />
Forschung (BMBF) auf einem eigenen Datenportal: internationale<br />
Vergleiche, Statistiken, Suchmaschinen, Glossar.<br />
www.datenportal.bmbf.de<br />
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MUSTERTEXT<br />
RETURN BIS Z<br />
RETURN BIS Z<br />
Faulenzer oder Führungskraft?<br />
Viele Leistungsträger wünschen sich die Möglichkeit, zu Hause zu arbeiten.<br />
Deutsche Unternehmen gewähren dies, bislang ist der Umfang aber noch gering.<br />
Text: Geraldine Friedrich<br />
Arbeiten in angenehmer Atmosphäre: Was zählt ist das Ergebnis produktiver<br />
Leistung, nicht die Anwesenheit im Unternehmen an Tagen<br />
und in Stunden.<br />
Foto: vitaliymateha<br />
Rainer Stoll, Inhaber dreier Reiseveranstalter in Südbaden,<br />
die sich unter anderem auf Costa Rica und Familienfernreisen<br />
spezialisieren, sieht Heimarbeit kritisch: „Wenn<br />
ich keine andere Möglichkeit habe, dann ja, aber die interne<br />
Kommunikation wird dadurch schwieriger“, erklärt der<br />
54-jährige Diplom-Betriebswirt aus Ballrechten-Dottingen.<br />
Konkret arbeiten derzeit zwei seiner Führungskräfte von<br />
insgesamt 27 Mitarbeitern im Home-Office, beides Frauen,<br />
beide mit Marketingaufgaben<br />
betraut und beide mit kleinen Kindern.<br />
Stoll: „Ich mach’s, auch weil<br />
wir uns als Anbieter von Familienreisen<br />
natürlich auch als familienfreundliches<br />
Unternehmen präsentieren<br />
wollen. Als Zwischenlösung<br />
ist Heimarbeit super, aber der Koordinationsaufwand<br />
per E-Mail,<br />
Telefon und Skype ist erheblich.“<br />
Dennoch zeigt sich der Unternehmer<br />
flexibel: Da die Marketingleiterin<br />
für sein Unternehmen „For<br />
Family“-Reisen in Köln sitzt und<br />
zwei kleine Kinder hat, führte dies<br />
letztlich sogar dazu, dass das Unternehmen<br />
ganz nach Köln zog. „Das<br />
ist ein sehr junges Team und wir<br />
haben jedem schon beim Vorstellungsgespräch<br />
gesagt, dass ein Umzug<br />
von Südbaden nach Köln anstehen könnte“, erklärt Stoll.<br />
Der Wunsch, seine Mitarbeiter zu kontrollieren, oder gar der<br />
Verdacht, dass diese nicht genügend arbeiten, sei für ihn kein<br />
Hindernisgrund: „Wir sind ein Unternehmen mit praktisch<br />
null Hierarchien, und ich lasse meinen Mitarbeitern total<br />
freie Hand. Die Leute schreiben ihre Stunden und Urlaubstage<br />
selbst auf. Da habe ich keinen Bock drauf.“<br />
Damit ist Stoll kein Prototyp des deutschen Chefs. „Viele<br />
Vorgesetzte legitimieren sich dadurch, dass sie ihre Mitarbeiter<br />
um sich herum scharen. Sie empfinden Heimarbeit als<br />
Kontrollverlust“, erklärt Karl Brenke, Mitarbeiter des Deutschen<br />
Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin<br />
Rainer Stoll, Touristikunternehmer<br />
„Wir sind ein Unternehmen<br />
mit praktisch null Hierarchien,<br />
und ich lasse meinen Mitarbeitern<br />
total freie Hand. Die Leute<br />
schreiben ihre Stunden und<br />
Urlaubstage selbst auf.“<br />
und Autor der Studie „Home Office: Möglichkeiten werden<br />
bei weitem nicht ausgeschöpft“. Der Einsatz von Heimarbeit<br />
erfordere ein Umdenken und das Verlassen „alter Pfade“.<br />
Brenke: „Die Unternehmen müssen weg von der zeitorientierten<br />
Leistungsbewertung hin zur sachorientierten Bewertung<br />
der Leistung.“ Konkret: Was zählt ist der Output eines<br />
Mitarbeiters, und nicht die Anwesenheit in Stunden und Minuten<br />
im Unternehmen.<br />
Rainer Stoll bevorzugt als Arbeitgeber<br />
denn auch, mit seinen Führungskräften<br />
konkrete Ziele zu<br />
vereinbaren. So bekommt eine der<br />
Home-Office-Marketingleiterinnen<br />
ein Budget von 100.000 Euro und<br />
muss damit unter anderem erreichen,<br />
dass der Name „travel-to-nature“,<br />
Stolls erstes Reiseunternehmen, bei<br />
dem Suchbegriff „Costa Rica“ auf<br />
Platz eins der Google-Suchtreffer<br />
lande. Stoll: „Wie und vor allem von<br />
wo sie das schafft, ist mir vollkommen<br />
egal.“<br />
Für DIW-Experte Brenke steht<br />
Deutschland im europäischen Vergleich<br />
nur in der unteren Hälfte der<br />
Rangliste, was Heimarbeit angeht.<br />
Der Anteil von Angestellten, die<br />
manchmal zu Hause arbeiten, ist in<br />
Island, Schweden und Luxemburg am höchsten. Bei den<br />
Arbeitnehmern, die regulär zu Hause arbeiten, führen Luxemburg<br />
und Niederlande die Liste an. In den Niederlande<br />
existiert seit 1. Juli 2015 sogar das Recht auf Homeoffice,<br />
wenn das Arbeitsverhältnis bestimmte Bedingungen erfüllt.<br />
Erstens, wenn der Betrieb mindestens zehn Mitarbeiter hat.<br />
Zweitens, wenn durch Heimarbeit keine Sicherheitsrisiken<br />
entstehen. Drittens, wenn betrieblichen Gründe nicht<br />
zwingend dagegensprechen. Die Betreuerin eines Betriebskindergartens<br />
könnte ihre Arbeit beispielsweise nicht von<br />
zu Hause leisten. Für weltweit über 1.500 Mitarbeiter mit<br />
rund gut 1.100 Beschäftigten in der Stuttgarter Zentrale hat<br />
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MUSTERTEXT<br />
RETURN BIS Z<br />
RETURN BIS Z<br />
Fotos: Netflix<br />
Foto: Brandon Clark ©ABImages<br />
Foto: MSL<br />
Warum nicht mal die Beine hochlegen, um gute Ideen kreativ zu verarbeiten?<br />
Gute Einfälle gelingen auch beim Duschen.<br />
Wohnzimmer oder Büro - Arbeitsplatz im Hauptsitz des Streamingdienstes<br />
Netflix in Los Gatos. Das perfekte Büro ist fast so gemütlich wie zu Hause.<br />
Clevere Unternehmer statten die Büros so lässig schick aus, dass die Angestellten<br />
gar nicht mehr nach Hause möchten.<br />
Birgit Söllner vom Managementteam bei MSL Deutschland findet variables<br />
Arbeiten auch geeignet, um Staus zu umgehen.<br />
das Softwareunternehmen Vector Informatik vor eineinhalb<br />
Jahren eine für deutsche Verhältnisse großzügige Regelung<br />
für Heimarbeit eingeführt. Unter dem Namen „Flex ao“ (=<br />
flexibler Arbeitsort) dürfen alle Mitarbeiter, auch Führungskräfte,<br />
20 Prozent ihrer Arbeitszeit zu Hause arbeiten, ohne<br />
dies jedes Mal mit ihrem Vorgesetzten abstimmen zu müssen.<br />
Einschränkungen gelten logischerweise für Jobs, die eine<br />
Präsenz voraussetzen, dazu gehören Mitarbeiter am Empfang<br />
oder in der Kantine. Zudem haben Vector-Mitarbeiter<br />
nicht den Anspruch an jeweils demselben Wochentag von zu<br />
Hause aus zu arbeiten. „Die Arbeitserfordernisse stehen über<br />
dem Wunsch nach dem flexiblen Arbeitsort“, betont Thomas<br />
Riegraf, Geschäftsführer der Vector Informatik GmbH. Passt<br />
alles, muss der Vorgesetzte jedoch die souveräne Entscheidung<br />
des Mitarbeiters pro Heimarbeit akzeptieren.<br />
Pro und Kontra zur Heimarbeit<br />
Vorteile<br />
XXBessere Chancen im Kampf um Talente, etwa in den<br />
mit Fach- und Führungskräften rar gesäten Segmenten<br />
wie Softwareentwicklern.<br />
XXMehr motivierte und leistungswillige Mitarbeiter<br />
durch mehr Freiheiten, die zum Teil freiwillig unbezahlte<br />
Mehrarbeit verrichten; zeitliche Autonomie<br />
wünschen sich Singles, Väter und Mütter.<br />
XXGrößere Produktivität bei Kreativarbeitern wie Designern<br />
oder Programmierern, die gerne zu ungewöhnlichen<br />
Uhrzeiten arbeiten<br />
Was wie ein Zugeständnis an die Mitarbeiter klingt, hat<br />
aber auch handfeste Vorteile für das Unternehmen. So zahlt<br />
sich die flexible Arbeitszeitregelung gerade im Bereich Softwareentwicklung<br />
aus. „Wir beschäftigen dort sehr viele Kreativarbeiter,<br />
die neue Produktkonzepte entwickeln. Diese anspruchsvolle<br />
Arbeit geht nicht auf Knopfdruck. Viele unserer<br />
Softwareentwickler arbeiten gerne abends oder samstags von<br />
zu Hause aus, wenn sie Ruhe haben. Damit können unsere<br />
Mitarbeiter ihre Produktivitätsphasen viel besser ausschöpfen“,<br />
erläutert Riegraf. Auch in Vorstellungsgesprächen sei<br />
Home-Office ein gefragtes Thema. Riegraf: „Gute Softwareentwickler<br />
sind gesucht. Mit dieser Arbeitsortregelung<br />
sind wir als Arbeitgeber attraktiver als andere Unternehmen,<br />
die das nicht bieten.“ Zusätzlich bietet Vector eine Regelung<br />
„Flex ao plus“, die für Mitarbeiter in „besonderen Lebenssituationen“<br />
greift. „Wir haben Mitarbeiter, die ihre Eltern pflegen<br />
oder kleine Kinder haben, in solchen Fällen können bis<br />
zu 60 Prozent der Arbeitszeit zu Hause gearbeitet werden“,<br />
erklärt Riegraf. Diese ausgeweitete Form des Arbeitens von<br />
zu Hause ist allerdings zeitlich limitiert und sollte drei bis<br />
vier Jahre nicht überschreiten.<br />
Die Kommunikationsberatung MSL Deutschland beschäftigt<br />
65 Mitarbeiter und hat vor gut einem Jahr eine Arbeitsregelung<br />
geschaffen, die neben flexiblen Arbeitszeiten, Regelungen<br />
für Kinder- und Elternpflege auch gelegentliche<br />
Heimarbeit vorsieht. So dürfen Führungskräfte und Mitarbeiter<br />
nach Rücksprache mehrere Tage pro Monat von zu<br />
Hause aus arbeiten. Sei es, weil ein Arztbesuch ansteht, sei<br />
es, weil sich der Handwerker angekündigt hat oder einfach,<br />
weil ein Mitarbeiter eine komplexe Aufgabe hat, bei der er<br />
nicht ständig unterbrochen werden möchte.<br />
„Wir arbeiten hier in einem Großraumbüro. Unsere Mitarbeiter<br />
nutzen das Homeoffice vor allem dann, wenn sie Texte<br />
in Ruhe schreiben wollen oder an einer strategischen Aufgabe<br />
arbeiten“ erklärt Birgit Söllner, Mitglied des Managementteams<br />
bei MSL Deutschland. Bei Führungskräften ab<br />
der Teamleiterebene gehe es insgesamt weniger um Homeoffice<br />
als um ein Mobiloffice.<br />
Nachteile<br />
XXWenig sich überschneidende Arbeitszeiten von Mitarbeitern,<br />
je höher der Anteil von Heimarbeit, sodass ein<br />
Zeitfenster für geplante oder zufällige Gespräche zum<br />
Informationsaustausch (auch „Flurfunk“) kleiner wird.<br />
XXSteigender Koordinationsaufwand, wenn Heimarbeiter<br />
und Officeworker an einem Projekt arbeiten.<br />
XXStörende Diskussionen zwischen Heim- und Nichtheim-Arbeitern<br />
vor allem dann, wenn ein Vorgesetzter<br />
einen Heimarbeiter als Leistungsträger ansieht<br />
und diesen mit einer Beförderung belohnt.<br />
Söllner verantwortet innerhalb des Managements die Standorte<br />
Frankfurt und München und fährt zudem als Beraterin<br />
auch zu Kunden. Das bedeutet für sie praktisch zwei bis drei<br />
Reisetage pro Woche. Söllner reist stets per Zug und nutzt<br />
die Fahrtzeiten, um zu arbeiten. „Dort erledige ich auch<br />
meine Korrespondenz,<br />
vorzugsweise<br />
per E-Mail und<br />
nicht telefonisch.<br />
Mein Laptop hat<br />
eine Sichtschutzfolie.<br />
Das diskrete<br />
mobile Arbeiten<br />
funktioniert im Zug<br />
übrigens viel einfacher<br />
als im Flugzeug“,<br />
findet die<br />
39-Jährige. Söllner<br />
ist zudem Mutter<br />
von zwei kleinen<br />
Kindern, die sie,<br />
wenn es die Arbeit<br />
erlaubt, auch mal<br />
um 15 Uhr abholt<br />
um mit ihnen den<br />
Nachmittag zu verbringen.<br />
Allerdings<br />
sei sie auch dann<br />
Heimarbeit erhöht Zufriedenheit<br />
telefonisch immer<br />
für ihre Kollegen<br />
erreichbar. Ob und<br />
wie viel Homeoffice<br />
der einzelne Kollegen nehmen kann, hängt von der Kunden-<br />
und der Teamstruktur ab. Söllner: „Tatsächlich ist es<br />
aber so, dass die Mitarbeiter das Angebot gar nicht so nutzen<br />
wie man es erwarten würde. Viele Kollegen arbeiten gerne<br />
im Büro und schätzen auch die Trennung von Arbeit und<br />
Freizeit.“<br />
Letztendlich geht es darum, dass jeder seine Arbeit schafft.<br />
Häufig seien es auch einfach Kleinigkeiten, die das Arbeitsleben<br />
des einzelnen angenehmer machen.<br />
So wohnt eine Frankfurter Teamleiterin relativ weit außerhalb<br />
und pendelt täglich ins Büro. Söllner: „Die Kollegin<br />
kann ihre Arbeitszeiten so variieren, dass sie nicht täglich<br />
zweimal im Stau steht.“ Wenn jeder nun aber, wenn auch nur<br />
eingeschränkt, seine Arbeits- und Präsenzzeiten seinen individuellen<br />
Lebensbedürfnissen anpasst: Wird die Schnittmenge,<br />
bei denen alle Kollegen da sind, logischerweise kleiner?<br />
Das zufällige<br />
informelle Schwätzchen<br />
auf dem Flur<br />
entfällt, das schnelle<br />
Klären eines Problems<br />
beim Kaffeeholen<br />
wird seltener.<br />
„Das stimmt natürlich.<br />
Aber ich greife<br />
deswegen auch zwischendurch<br />
bewusst<br />
zum Telefon, um mit<br />
den Mitarbeitern<br />
Kontakt zu halten.<br />
Auch wenn konkret<br />
nichts anliegt“, erklärt<br />
Söllner.<br />
Technisch betrachtet<br />
sind Argumente<br />
gegen Heimarbeit<br />
heute kaum noch<br />
berechtigt. Sämtliche<br />
erwähnten<br />
Unternehmen setzen<br />
auf sogenannte<br />
VPN-Tunnel, also<br />
in sich geschlossene,<br />
private Netzwerke, auf die Mitarbeiter überall Zugriff haben.<br />
Vielmehr gehe es darum, mehr Akzeptanz bei den Vorgesetzten<br />
und Unternehmenschefs zu schaffen.<br />
Wirtschaftsforscher Brenke: „Es geht nicht nur um die Vereinbarkeit<br />
von Beruf und Familie. Zunehmend wünschen<br />
sich auch Singles mehr zeitliche Autonomie.“ Allerdings sei<br />
nicht jeder für Heimarbeit geeignet: „Heimarbeit erfordert<br />
Selbstdisziplin und die Fähigkeit, sich nicht leicht ablenken<br />
zu lassen. Nicht jeder kann das und nicht jeder will das. Es<br />
gibt auch Angestellte und Führungskräfte, die sehr viel Wert<br />
auf die Trennung von Arbeit und Wohnort legen.“ ~<br />
Arbeitnehmer mit und ohne Homeoffice-Möglichkeit befragte das Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung<br />
(DIW) um ihre Beurteilungen - mit eindeutigem Ergebnis.<br />
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RETURN BIS Z<br />
RETURN BIS Z<br />
Teure Flügel zum Singen bringen<br />
Für Weltstar-Pianisten hat Manfred Kalina ein offenes Ohr. Der geschätzte Klavierkenner<br />
erlebte trotzdem beruflich Dissonanzen, war aber nur kurz verstimmt.<br />
Text: Wilhelm Klaas Lünstroth<br />
Sommerferien im Konzerthaus Dortmund. Zeit und Gelegenheit<br />
für Manfred Kalina, seine beiden „Schützlinge“<br />
wieder in Topform zu bringen: den vier und den 14 Jahre<br />
alten D-Flügel. Pedalen, Mechanik, Tastatur – in den Wochen<br />
bis zum Saisonauftakt Anfang September nimmt Kalina<br />
jedes winzige Teilchen der Steinways in die Hand. Prüft,<br />
repariert, wo nötig, fügt alles<br />
wieder an seinen Platz – quasi<br />
ein Trainingslager für die<br />
beiden schwarz-glänzenden<br />
Musikinstrumente.<br />
Die beiden jeweils mehr als<br />
100.000 Euro teuren Instrumente<br />
müssen fit sein, wenn<br />
die Saison wieder startet.<br />
Schließlich ist das für seine<br />
Akustik gerühmte Konzerthaus<br />
längst eine der angesagten Adressen für die Top-Pianisten<br />
dieser Welt. In den vergangenen Jahren waren sie fast<br />
alle da: die Grand Dame Elisabeth Leonskaja, Wunderkind<br />
Daniil Trifonov, Grigory Sokolov, der chinesische Weltstar<br />
Lang Lang, Beethoven-Spezialist Rudolf Buchbinder oder<br />
die in Caracas geborene Gabriela Montero.<br />
Die meisten Künstler kennt Manfred Kalina seit vielen Jahren.<br />
Martin Stadtfeld, der ehemals „junge Wilde“ des Konzerthauses<br />
habe sich zum Beispiel auf „alte“ Klangfarben<br />
spezialisiert, erklärt der Klavierstimmer: „Stadtfeld liebt einen<br />
unserer Flügel ganz besonders, hat sogar schon CDs bei<br />
uns aufgenommen“. Natürlich erst, nachdem er das Spielgerät<br />
nach den Vorgaben des mittlerweile 35-jährigen Künstlers<br />
in Bachs Stimmwelten zurückversetzt hat.<br />
Beim Einsatz zählt immer nur eines: Den Flügel exakt nach<br />
den Vorstellungen des Künstlers vorzubereiten. Manche von<br />
ihnen kommen deshalb schon Stunden vor dem eigentlichen<br />
Konzertbeginn zusammen mit ihm auf die Bühne. Ohne<br />
Frack, dafür aber mit genauen Vorstellungen über Klangfarben<br />
und Anschlagsstärke des Instruments.<br />
Grigory Sokolov ist einer dieser anspruchsvollen Tasten-<br />
Virtuosen: Der 66-Jährige aus St. Petersburg arbeitet mehr<br />
als 20 Jahre mit Kalina zusammen. Wer die beiden auf der<br />
Bühne sieht, spürt enges Vertrauen und tiefen Respekt. Für<br />
„Ich war im ersten Moment sprachlos,<br />
völlig durch den Wind. Das war<br />
erschreckend.“ – „Man muss sich<br />
auch selbst etwas zutrauen.“<br />
Sokolov, den stillen Feingeist, genügen fünf Worte, um Kalina<br />
in den Klavierstimmer-Himmel zu heben: „Er hat das<br />
andere Gehör.“ Dann formuliert er lächelnd, aber energisch<br />
eine Bitte: „Bitte bleiben Sie während meines gesamten<br />
Konzertes erreichbar – am besten bis morgen früh.“<br />
Egal mit wem Manfred Kalina arbeitet, ohne Vertrauen<br />
ins gegenseitige Können<br />
würde das Teamwork zwischen<br />
Klavierstimmer und<br />
Künstler nicht funktionieren.<br />
Wenn alles passt, gibt<br />
es sogar von anspruchsvollen<br />
Weltstars großes Lob: Lang<br />
Lang bescheinigte ihm ein<br />
„wonderful, great piano“.<br />
Mitunter gerät Kalina selbst<br />
ins Schwärmen. Etwa über<br />
Arcadi Volodos: Der 44-Jährige Russe habe seinen Flügel<br />
zum Singen gebracht.<br />
Zuerst schien nichts darauf hinzudeuten, dass Kalinas berufliche<br />
Virtuosität einmal auf 88 Tasten spielen würde.<br />
Geboren im Dortmunder Norden – mit Fördertürmen und<br />
Kohlenhalden malochen Nachbarn für Zeche, Kokerei oder<br />
Stahlwerk. Was also liegt näher, als eine Ausbildung zum<br />
Bergmann, Kfz-Mechaniker oder Elektriker in Erwägung<br />
zu ziehen?<br />
Treffen des<br />
guten Tons<br />
Wenn da nicht die Musik gewesen wäre. Kalinas Vater ist<br />
sehr musikalisch, bringt dem Sohn schon in der Volksschulzeit<br />
das Klavierspielen bei. Sein Filius ist Feuer und Flamme<br />
– und wird vom Schulleiter in die richtige Bahn gelenkt.<br />
„Er hat mir geraten, mich beim Dortmunder Klavierbauer<br />
Reinelt zu bewerben.“ Kalina wird angenommen, ist mit 14<br />
Jahren der jüngste Klavierbau-Lehrling der Stadt.<br />
Kalina kniet sich in die dreieinhalbjährige Ausbildung. Auch<br />
nach Ludwigsburg schickt ihn der Meister, in die Fachschule<br />
für Instrumentenbau. Später kommt das Intonieren dazu, die<br />
Kunst, das Instrument auf den perfekten Ton einzustimmen.<br />
In Topform bringt Klavierstimmer Manfred Kalina zur Konzertsaison die ihm<br />
anvertrauten Instrumente wie diesen Steinway.<br />
Darin zeigt sich Kalina talentiert wie wenige. Das Treffen<br />
des guten Tons – bei der Bundeswehr ist das weniger gefragt,<br />
erfährt Kalina, als er zum Grundwehrdienst eingezogen<br />
wird. Als er nach fast zwei Jahren zurückkommt, steht<br />
er vor geschlossenen Türen. Der Ausbildungsbetrieb musste<br />
den Geschäftsbetrieb aufgeben. Die erste kleine Krise. Doch<br />
Glück im Unglück: Der Obermeister der Dortmunder Klavierbauer-Innung<br />
empfiehlt ihn an einen Traditionsbetrieb<br />
mit gutem Ruf weit über die Stadtgrenzen hinaus: das Pianohaus<br />
van Bremen.<br />
Im August 1972 betritt er die große Werkstatt des Familienbetriebs.<br />
Dort sieht er seine Chance. Kalina hat ausgezeichnete<br />
Lehrmeister. Doch aus seiner Sicht wichtig: „Man muss<br />
sich auch selbst etwas zutrauen.“ Insgesamt 33 Jahre bleibt<br />
er dem Traditionshaus treu – bis ihn die Hiobsbotschaft erreicht:<br />
Van Bremen entlässt aus wirtschaftlichen Gründen<br />
alle Klavierstimmer. „Ich war im ersten Moment sprachlos,<br />
völlig durch den Wind.“ Plötzlich plagen ihn Existenz-<br />
Ängste. Wie soll es weitergehen? Im Juni 2005 verlässt er die<br />
Werkstatt, zum ersten Mal in seinem Leben ist er arbeitslos.<br />
„Das war erschreckend“, erinnert er sich.<br />
Aber Kalina denkt positiv. Ehefrau Rosemarie und die Familie<br />
geben ihm den nötigen Rückhalt. Nach wenigen Tagen<br />
macht er einen Termin beim Dortmunder Arbeitsamt. Dort<br />
fragt man ihn, in welchem räumlichen Einzugsgebiet er mit<br />
seinen speziellen Qualifikationen vermittelt werden dürfe.<br />
Manfred Kalinas Antwort verblüfft den Berater: „Von mir<br />
aus weltweit.“<br />
Rückblickend war genau dies die Initialzündung für seinen<br />
beruflichen Neustart, sagt er. Ihm wird schlagartig klar, dass<br />
er mit seinen speziellen Fähigkeiten, seinen Kontakten und<br />
der Bereitschaft, sich auf die zeitlichen Anforderungen seiner<br />
Kunden flexibel einzustellen zu können, gute Chancen<br />
für den Start in eine Selbstständigkeit hat. Das betriebswirtschaftliche<br />
Know-how dafür holt sich Kalina in Gesprächen<br />
mit einem Steuerberater. Der Business-Plan ist schnell skizziert:<br />
Kalina gibt sich sechs Monate, um von den Einnahmen<br />
leben zu können.<br />
Bei Künstlern bekannt<br />
fürs Händchen<br />
Ein Ziel, das er mit Punktlandung erreicht. Was sicher auch<br />
an der seit 2002 bestehenden intensiven Verbindung zum<br />
Dortmunder Konzerthaus liegt. Die Fachleute dort wissen,<br />
was sie an ihm haben: „Falls erforderlich ist Manfred Kalina<br />
von morgens bis abends im Saal, um unsere Flügel – seine<br />
‚Kinder‘ – zu pflegen. Bei den Künstlern ist er für sein<br />
Händchen bekannt“, sagt Kommunikationschef Dr. Jan Boecker.<br />
Wertvolle Unterstützung ist ihm auch die im Laufe der<br />
Jahre immer engere Zusammenarbeit mit dem Klavierhaus<br />
Maiwald, der Steinway-Vertretung in Nordrhein-Westfalen.<br />
Sein Kundenstamm wird kontinuierlich größer. Viele private<br />
Musikfreunde im Ruhrgebiet, Münster- und Sauerland<br />
schätzen ihn. Zahlreiche Konzertveranstalter engagieren<br />
ihn. Pro Jahr ist er mehr als 35.000 Kilometer unterwegs.<br />
Überraschungen inklusive. So mochte er in Münster seinen<br />
Ohren nicht trauen. Sein Auftrag: Nachstimmen eines Flügels.<br />
Doch das Instrument, das er vorfindet, klingt so außergewöhnlich<br />
brillant, dass Kalina nachfragt, wer der Stimmer<br />
vor ihm gewesen sei – und erfährt: Es war ein bekannter<br />
Kollege, der noch mit dem legendären Virtuosen Arthur<br />
Rubinstein unterwegs war. „Diesen Flügel zu hören, das war<br />
eine Offenbarung“, schwärmt Kalina. Und man spürt, das<br />
„Chapeau“ an den Kollegen kommt aus vollster Seele. ~<br />
Foto: Bernd Hegert<br />
94 95<br />
<strong>03</strong>/16 <strong>03</strong>/16
RETURN BIS Z<br />
RETURN BIS Z<br />
Vorschau 04/16<br />
Die nächste <strong>Ausgabe</strong> von „<strong>return</strong> – Magazin für<br />
Unternehmensführung und Sanierung“ erscheint am<br />
10. November <strong>2016</strong>.<br />
Schwerpunkt:<br />
Allein durchboxen? –<br />
Wie starke Selbstständige in freien<br />
Berufen siegen<br />
XXMarkt: Angebot und Nachfrage freiberuflicher Dienste<br />
XXErfolgsforschung: Gewinner unter Architekten, Ingenieuren,<br />
Ärzten, Anwälten, Steuerberatern, Künstlern<br />
XXVorbilder: Benchmark-Storys für andere Selbstständige<br />
XXGeschäftsideen: Mit mehr Leistungen begeistern<br />
XXAnalyse: Wie Qualitäten zu entwickeln sind<br />
XXStatus: Lage, Meinungsbilder, Alleinstellungsmerkmale<br />
XXOrganisation: Im Kleinen das Große ordnen<br />
XXKooperation: Besser Arbeiten in Netzwerken<br />
XXRisiken: Wie gefährlich wird die Liberalisierung?<br />
Foto: Volodymyr Krasyuk<br />
<strong>return</strong>-online.de<br />
XX<br />
Neue Rubrik: Expertenwissen versierter Autoren<br />
XX<br />
Digitalisierung: Mark Lambertz über Wachstum<br />
XX<br />
Krisenregie: Peter Brandl über Pilotenvorbilder<br />
XX<br />
News: Täglich frische Nachrichten für Firmenchefs<br />
XX<br />
Newsletter: Wochen-„Best of“ mit Exklusiv-Interview<br />
–––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />
Beilagenhinweis<br />
Mit dieser <strong>Ausgabe</strong> verteilen wir eine Beilage der Schultz GmbH & Co.KG.<br />
Wir bitten um freundliche Beachtung.<br />
–––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />
Werbekundenversteher<br />
Unsere Rubrik über<br />
„<strong>return</strong>“-Interna richtet sich<br />
diesmal insbesondere an die<br />
Werbebudget-Verantwortlichen<br />
in der Leserschaft.<br />
Denn das Geld, das Verlag<br />
und Redaktion für Qualitätsjournalismus<br />
aufwenden,<br />
muss schließlich auch über<br />
Anzeigen refinanziert werden. Wo, wenn nicht hier<br />
investieren? Entscheider der Wirtschaft stellen unsere<br />
interessante Zielgruppe, welche aufmerksamkeitsstark<br />
im attraktiven Umfeld erreicht wird.<br />
Mit Christian Derix (im Bild) als neuer Media Sales<br />
Manager steht nun konkret der Ansprechpartner für<br />
„<strong>return</strong>“ zur Verfügung, um an Inseraten interessierte<br />
Werbekunden zu beraten. „Individuell und passgenau“<br />
möchte er nach eigenem Bekunden potenzielle Auftraggeber<br />
begleiten, denn „jeder bringt auch ganz eigene<br />
Strategien und USP mit“. Dafür eigne sich „<strong>return</strong>“<br />
als hochwertiges Magazin und Dank der Praxisrelevanz<br />
zur vorbildlichen Unternehmensführung hervorragend<br />
„als Trägermedium“ unter anderem für Werbebotschaften.<br />
Christian Derix muss es wissen, denn schon<br />
zuvor zeichnete er als Leiter Marketing und Vertrieb<br />
für Medien verantwortlich, die sich an Chefs von Unternehmen<br />
im Mittelstand richten. Und dass er guten<br />
Geschmack hat, belegt nicht nur sein Studium an der<br />
Sorbonne, jener namhaften Universität von Paris.<br />
http://<strong>return</strong>-online.de/magazin/werbung-schalten<br />
Leserservice<br />
„<strong>return</strong> – Magazin für Unternehmensführung und<br />
Sanierung“ erscheint vier Mal pro Jahr und ist im<br />
Abonnement zu beziehen. Verbände, Vereinigungen<br />
und Organisationen erhalten ab einer gewissen<br />
Größenordnung für Mitglieder auch Heftkontingente<br />
zu Sonderkonditionen.<br />
Jahresabonnement (Print-Preis)<br />
80 Euro zzgl. Versandkosten<br />
Für weitere Informationen wenden Sie sich<br />
bitte direkt an den Verlag:<br />
Wolters Kluwer Deutschland GmbH<br />
Angela Bühs (angela.buehs@wolterskluwer.com)<br />
Luxemburger Str. 449, 50939 Köln<br />
Telefon: (02 21) 9 43 73-71 26<br />
Fax: (02 21) 9 43 73-1 71 26<br />
Detaillierte Informationen zu den Abonnements<br />
finden Sie im Internet:<br />
www.<strong>return</strong>-online.de<br />
Partner<br />
Impressum<br />
„<strong>return</strong> – Magazin für Unternehmensführung und<br />
Sanierung“ erscheint im Carl Heymanns Verlag in<br />
Zusammenarbeit mit dem Deutschen Institut für<br />
angewandtes Insolvenzrecht e.V. (DIAI).<br />
Geschäftsführende Herausgeber<br />
Prof. Dr. Hans Haarmeyer<br />
RA / StB / FAStR Oliver Holzinger<br />
Chefredakteur<br />
Thorsten Garber<br />
Redaktion und ständige Mitarbeit<br />
Claudia Bröll (Kapstadt), Alexander Busch (São<br />
Paulo), Geraldine Friedrich (Basel), Dr. Andreas<br />
Fröhlich, Peter Hanser, Michael Henning, Vera<br />
Hermes, Christoph Hillebrand, Armin Hingst,<br />
Julica Jungehülsing (Sydney), Norbert Kuls, (New<br />
York), Christiane Kühl (Peking), Wilhelm Klaas<br />
Lünstroth, Christine Mattauch, Philipp Mattheis<br />
(Istanbul), Hilja Müller (Peking), Mathias Peer<br />
(Bangkok), Ingo Reich, Thomas Roser (Belgrad),<br />
Jürgen Spreemann, Frederic Spohr (Bangkok),<br />
Peter Stäuber (London), Rahel Willhardt, Kerstin<br />
Zilm (Los Angeles), Holger Zscheyge (Moskau)<br />
Kolumnisten<br />
Ralf-Dieter Brunowsky, Anne Koark<br />
Cartoons<br />
Stephan Rürup<br />
Grafik<br />
Carina Harbarth, www.designplus.de<br />
Coverfoto<br />
Montage, Foto: Eugene Sergeev<br />
Artikel-Nr.: 585656<strong>03</strong> ISSN: 2199-8841<br />
Lektorat<br />
Katrin Holzinger<br />
Verlag und Redaktionsanschrift<br />
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vier Mal pro Jahr<br />
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Christian Derix<br />
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Beiträge ohne Autorennennung stammen<br />
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Freier Journalist<br />
Thomas Roser, S. 24<br />
Freier Journalist<br />
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Helmut Ahr, S. 31<br />
Mitglied des Vorstands der Horváth AG<br />
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Wettbewerb<br />
Prof. Nikolaus Franke, S. 33<br />
Vorstand am Institut für Entrepreneurship & Innovation<br />
der Wirtschaftsuniversität Wien<br />
Christine Mattauch, S. 38<br />
Freie Journalistin<br />
Prof. Ulf Pillkahn, S. 38<br />
Professor für Innovations- und Technologiemanagement<br />
an der FOM Hochschule für Ökonomie &<br />
Management in München<br />
Finn Mayer-Kuckuk, S. 48<br />
China-Korrespondent, Peking<br />
Kerstin Zilm, S. 49<br />
USA-Korrespondentin, Los Angeles<br />
Mathias Peer, S. 50<br />
Südostasien-Korrespondent, Bangkok<br />
Claudia Bröll, S. 51<br />
Südafrika-Korrespondentin, Kapstadt<br />
Rahel Willhardt, S. 52<br />
Freie Journalistin<br />
Dr. Pero Mićić, S. 56<br />
Vorstand der FutureManagementGroup AG<br />
Prof. Reinhold Popp, S. 59<br />
Zukunftsforscher Salzburg, Wien, Berlin<br />
Dr. Alexander Fink, S. 60<br />
Vorstand der ScMI AG<br />
Moritz von Campenhausen, S. 62<br />
Leiter „Leadership Services“ der Personalberatung<br />
Egon Zehnder<br />
Wolfgang Freibichler, S. 63<br />
Partner Industrial Goods & Private Equity bei<br />
Porsche Consultiing<br />
Ingo Reich, S. 70<br />
Freier Journalist<br />
Dr. Markus Renner, S. 72<br />
Managing Partner der Branding-Institute CMR AG<br />
Holger Zscheyge, S. 74<br />
Russland-Korrespondent, Moskau<br />
Prof. Oliver Ibert, S. 75<br />
Professor für Wirtschaftsgeographie an der FU Berlin<br />
Prof. Hans Haarmeyer, S. 76, 87, 88<br />
Herausgeber<br />
Dr. Jasper Stahlschmidt, S. 78<br />
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht<br />
Buchalik Brömmekamp<br />
Dr. Olaf Hiebert, S. 78<br />
Steuerberater, Spezialist für Insolvenzanfechtung<br />
Buchalik Brömmekamp<br />
Christoph Hillebrand, S. 80<br />
Steuerberater und Wirtschaftsprüfer<br />
Dr. Andreas Leupold, S. 82<br />
Industrieanwalt spezialisiert auf Rechtsfragen zu<br />
3D-Druck, Lizenzen, IT und Medien<br />
Jeffrey Beeson, S. 84<br />
„Chief Alignment Enabler“ der Unternehmensberatung<br />
„Ensemble Enabler“<br />
Anne Koark, S. 85<br />
Buchautorin und Unternehmensberaterin<br />
Geraldine Friedrich, S. 90<br />
Freie Journalistin<br />
Wilhelm Klaas Lünstroth, S. 94<br />
Freier Journalist<br />
96 <strong>03</strong>/16<br />
<strong>03</strong>/16<br />
97
RETURN BIS Z<br />
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