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Anstifter 1, 2014 der Stiftung Liebenau

Der Anstifter ist die Hauszeitschrift der Stiftung Liebenau mit Themen aus den Bereichen Altenhilfe, Behindertenhilfe, Bildung, Gesundheit, Familie und Dienstleistungen.

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Deportiert – ermordet – verbrannt – verschickt – begraben<br />

„Nutzlos ist ein Würmlein nicht, denn <strong>der</strong> Herr hat es erdacht. Wenn es<br />

auch im Staube kriecht, es lobt ihn und seine Macht. So hat jedes Menschenherz<br />

seine Aufgab zu erfüllen. Immer vor - und höherwärts führet<br />

uns des Höchsten Willen. Deshalb stell auch ich mich ein, in das Rä<strong>der</strong>werk<br />

<strong>der</strong> Welt. Ist mein Schaffen noch so klein, Gott es nicht entbehrlich<br />

hält.“<br />

Wilhelm Klingenstein, ehemaliger Bewohner,<br />

<strong>der</strong> <strong>der</strong> Ermordung knapp entgangen ist. Foto: privat<br />

Geliebt – Brief an <strong>Liebenau</strong><br />

antwortlichen <strong>der</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Liebenau</strong>. 512 Menschen<br />

aus <strong>der</strong> <strong>Stiftung</strong> <strong>Liebenau</strong> wurden deportiert. Den<br />

NS-Behörden genügten die Diagnosen Epilepsie,<br />

Down-Syndrom, Taubheit, Taubstummheit. Mitarbeiterin<br />

Susanne Droste-Gräff zitiert zu Beginn <strong>der</strong> Veranstaltung<br />

kommentarlos aus zeitgeschichtlichen<br />

Dokumenten. Eine nachdenkliche Schwere legt sich<br />

auf die Zuhörer. Wie ein kalter Schauer rücken die<br />

Schicksale <strong>der</strong> Euthanasieopfer in unmittelbare Nähe.<br />

Spürbare Betroffenheit macht sich im Raum breit. Die<br />

Lebensgeschichten <strong>der</strong> <strong>Liebenau</strong>er Zeitzeugen ermutigten<br />

den Diakon zur Spurensuche. Die <strong>Liebenau</strong>er<br />

Deportierten wurden in Grafeneck (Baden-Württemberg)<br />

und in Hadamar (Hessen) ermordet. Die offiziellen<br />

Todesnachrichten weisen an<strong>der</strong>e Sterbeorte<br />

aus. „Dies war Teil <strong>der</strong> amtlichen Verschleierungstaktik“,<br />

erklärt Diakon Josef H. Friedel.<br />

Sterbenachrichten über die Angehörigen erreichten<br />

die <strong>Stiftung</strong> nur lückenhaft. Dies erschwerte die<br />

Recherche von Josef H. Friedel. In jahrelanger akribischer<br />

Kleinarbeit hat er die amtlichen Sterbefallmeldungen<br />

und die Elternbriefe gesammelt und<br />

Sehr geehrte Verwaltung,<br />

wir haben gehört, dass unser lieber Bru<strong>der</strong> Konrad,<br />

<strong>der</strong> seit Jahren bei Ihnen in liebevoller Pflege ist, sich nicht<br />

mehr bei Ihnen befinden soll. Wir sind deshalb sehr in Sorge<br />

um ihn. Wir möchten Sie höflichst um Auskunft ersuchen, wo<br />

sich unser lieber Bru<strong>der</strong> befindet. Briefmarke liegt bei.<br />

Um baldige Nachricht bittet hochachtungsvoll<br />

Familie H.<br />

gesichtet. In zwei Büchern hat er die Lebensdaten<br />

<strong>der</strong> 512 Opfer dokumentiert. „Er hat den Menschen<br />

ihren Namen und ihre Würde zurückgegeben“,<br />

bekräftigt Dr. Berthold Broll, Vorstand <strong>der</strong> <strong>Stiftung</strong><br />

<strong>Liebenau</strong>. Bürgermeister Andreas Schmid schätzt<br />

Friedels Engagement: „Es ist wichtig, dass wir die<br />

Menschen, die von <strong>der</strong> <strong>Stiftung</strong> begleitet werden,<br />

wahrnehmen, dass wir nicht vergessen und Verantwortung<br />

übernehmen.“ Am Ende blättern Familienangehörige<br />

in den Büchern, suchen die Namen von<br />

Verwandten. Noch heute sind einzelne Schicksale<br />

ungeklärt.<br />

Gelogen – Brief aus Grafeneck<br />

Sehr geehrte Frau B.,<br />

es tut uns aufrichtig leid, Ihnen mitteilen<br />

zu müssen, dass Ihr Sohn Kaspar B. am<br />

5. August 1940 in unserer Anstalt plötzlich<br />

und unerwartet an einer Gallenblasenentzündung<br />

und einer anschließenden<br />

Bauchfellentzündung verstorben ist. Ihr<br />

Sohn wurde am 25. Juli 1940 auf ministerielle<br />

Anordnung gemäss Weisung des<br />

Reichsverteidigungskommissars in die<br />

hiesige Anstalt verlegt. Bei <strong>der</strong> schweren<br />

geistigen Erkrankung bedeutete für den<br />

Verstorbenen das Leben eine Qual. So<br />

müssen Sie seinen Tod als eine Erlösung<br />

auffassen. Da in <strong>der</strong> hiesigen Anstalt z. Zt.<br />

Seuchengefahr herrscht, ordnete die Polizeibehörde<br />

die sofortige Einäscherung des<br />

Leichnams an.<br />

<strong>Stiftung</strong> <strong>Liebenau</strong><br />

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