Anatomie der Staatssicherheit - BStU
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unter Inspekteur Ottomar Pech, die für die operative Arbeit in den Grenzbereitschaften<br />
verantwortlich war. 238 Knapp ein Jahr später wurde diese Diensteinheit dann <strong>der</strong> Hauptabteilung<br />
I zugeschlagen. 239 Durch diese strukturelle Verän<strong>der</strong>ung verblieben <strong>der</strong> Abteilung<br />
VII des Ministeriums lediglich sechs Mitarbeiter. 240<br />
Während des Volksaufstands vom 17. Juni 1953 versuchte die Linie VII durch Vor-<br />
Ort-Einsätze (beispielsweise in <strong>der</strong> Stalinallee) das Vorgehen <strong>der</strong> Volkspolizei zu kontrollieren<br />
und nahm auch in eigener Regie Festnahmen vor. 241 Später stellte sie <strong>der</strong> Volkspolizei<br />
ein gutes Zeugnis aus und erklärte Unsicherheiten und Passivität zu Einzelfällen. 242<br />
Weil <strong>der</strong> »Neue Kurs« <strong>der</strong> SED und <strong>der</strong> Volksaufstand auch die Volkspolizisten verunsicherten<br />
und zu Fahnenfluchten und Entlassungsbegehren beitrugen, geriet nachfolgend die<br />
Linie VII abermals in die Kritik, wäre es doch ihre Aufgabe gewesen, weltanschauliche<br />
Aufweichung von vornherein zu verhin<strong>der</strong>n. So befand etwa die Bezirksverwaltung für<br />
<strong>Staatssicherheit</strong> Suhl, die dortige Abteilung VII habe »ihr bisheriges Aufgabengebiet<br />
mangelhaft erfüllt«. Politisch unzuverlässige sowie »kriminelle und korrupte Elemente«<br />
innerhalb <strong>der</strong> Volkspolizei müsse die Linie VII »entfernen«, an <strong>der</strong> Volkspolizei interessierte<br />
Agenten »rücksichtslos […] entlarven« und Desertionen verhin<strong>der</strong>n. 243<br />
Die Degradierung des Ministeriums für <strong>Staatssicherheit</strong> zum Staatssekretariat (auf Beschluss<br />
des Ministerrates vom 23.7.1953) än<strong>der</strong>te nichts an <strong>der</strong> Rivalität <strong>der</strong> beiden Apparate,<br />
die sich jetzt auch in <strong>der</strong> Verfolgung von Aufständischen manifestierte. 244 Grundsätzlich<br />
besaß die Geheimpolizei in dieser Zeit bereits die alleinige Zuständigkeit für die Untersuchung<br />
»feindlicher Tätigkeit« sowie aller politisch bedeutsamer Delikte (wie etwa<br />
Agententätigkeit, Vorkommnisse an <strong>der</strong> Staatsgrenze o<strong>der</strong> Waffenbesitz). In <strong>der</strong> Praxis<br />
freilich unterschied sich die Arbeit von Kriminal- und Geheimpolizei oftmals nur wenig –<br />
sowohl den Arbeitsgegenstand wie auch die konspirativen Arbeitsmethoden betreffend. 245<br />
Zwar hatte Wilhelm Zaisser <strong>der</strong> Volkspolizei untersagt, ihrerseits Zuträger anzuwerben,<br />
doch in <strong>der</strong> Praxis arbeitete etwa die Verwaltungspolizei in <strong>der</strong> HV DVP bereits 1950 sehr<br />
wohl mit »V-Männern«, und zwar durchaus mit Unterstützung <strong>der</strong> <strong>Staatssicherheit</strong>. 246<br />
Zaissers Nachfolger Ernst Wollweber gab <strong>der</strong> Volkspolizei dann im Herbst 1953 grünes<br />
Licht für die Werbung von Zuträgern, nicht zuletzt aufgrund entsprechen<strong>der</strong> Einflussnahme<br />
durch sowjetische Berater, und weil Verbrechensbekämpfung nun auch präventiv geschehen<br />
sollte. 247 Anfänglich »bremste« Volkspolizeichef Karl Maron den geheimpolizeilichen<br />
Ehrgeiz seiner Untergebenen, da er viele von ihnen für zu unerfahren zur Führung<br />
238 Befehl 39/52 des Ministers v. 7.4.1952; <strong>BStU</strong>, MfS, BdL/Dok. 57; siehe auch Tantzscher, Monika:<br />
Hauptabteilung VI. Grenzkontrollen, Reise- und Touristenverkehr. Hg. <strong>BStU</strong>. Berlin 2005, S. 44.<br />
239 Befehl 44/53 des Ministers v. 7.2.1953; <strong>BStU</strong>, MfS, BdL/Dok. 111.<br />
240 Vgl. Prämierungsvorschlag von [Wilhelm] Enke v. 11.10.1952; <strong>BStU</strong>, MfS, BV Schwerin, KS 85/72, S. 32.<br />
241 Vgl. Bericht v. 18.6.1953 <strong>der</strong> Abt. VII über den Einsatz am 16. u. 17.6.1953; <strong>BStU</strong>, MfS, SdM Nr. 249,<br />
S. 91–94.<br />
242 Vgl. Situationsbericht <strong>der</strong> Abt. VII v. 20.6.1953 über Zustand und Stimmung <strong>der</strong> Deutschen Volkspolizei<br />
seit dem 17.6.1953; ebenda, S. 84–90.<br />
243 DA 3/54 v. 7.1.1954 des Leiters <strong>der</strong> BV Suhl; <strong>BStU</strong>, MfS, BV Suhl, Abt. VII Bdl. 550, Bl. 1–8.<br />
244 Vgl. u. a. <strong>BStU</strong>, MfS, BV Gera, AOP 46/55, S. 139–141.<br />
245 Vgl. Herbstritt, Georg: Die Deutsche Volkspolizei als Geheimpolizei? In: Melis, Damian van (Hg.):<br />
Sozialismus auf dem platten Land. Tradition und Transformation in Mecklenburg-Vorpommern von<br />
1945 bis 1952. Schwerin 2002, S. 389–414.<br />
246 Vgl. [Vermerk] <strong>der</strong> Abt. VII betr. VP-Kommissar Werner Reuther v. 17.10.1950; <strong>BStU</strong>, MfS, AIM<br />
3980/57, S. 9. Spätestens seit 1952 wurden Zuträger durch die Volkspolizei schriftlich verpflichtet, z. B.<br />
als Gegenleistung für einen Verzicht auf Strafverfolgung. Vgl. Abschlussbericht <strong>der</strong> Abt. II/2 v.<br />
9.1.1960; <strong>BStU</strong>, MfS, BV Potsdam, AIM 113/60, Bd. I, S. 227–229.<br />
247 Vgl. Die Landesbeauftragten für die Unterlagen des <strong>Staatssicherheit</strong>sdienstes <strong>der</strong> ehemaligen DDR Berlin<br />
und Sachsen: Der Beitrag des Arbeitsgebietes I <strong>der</strong> DDR-Kriminalpolizei zur politischen Überwachung<br />
und Repression. Dresden 1996, S. 18–21.