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VSAO JOURNAL Nr. 5 - Oktober 2016

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FOKUS ▶ SYMBOL<br />

Wie entstand der Code?<br />

Im Anschluss an die ältere Vorstellung von<br />

einer Entwicklung der Schrift «vom Bild<br />

zum Buchstaben» wurde eine Zeit lang<br />

behauptet, dass es sich bei der Hieroglyphenschrift<br />

um eine Erfindung gehandelt<br />

habe, da keine Vorstufen der ägyptischen<br />

Schrift greifbar seien. Das Schriftsystem<br />

sei in der Zeit kurz vor 3000 v. Chr. quasi<br />

fertig vorhanden gewesen und habe sich<br />

anschliessend zwar noch bezüglich des<br />

Zeicheninventars und der Orthographie<br />

gewandelt, jedoch prinzipiell nicht mehr<br />

verändert. Allerdings deuten neuere Funde<br />

und Untersuchungen darauf hin, dass<br />

die Entstehung der Schrift älter ist (ca.<br />

3400–3250 v. Chr.), als bisher angenommen<br />

wurde, und dass sich das Schriftsystem<br />

sehr wohl in Stufen entwickelt hat.<br />

Allgemein lässt sich mit Ludwig Morenz<br />

sagen: «Die Kompetenz zum Interpretieren<br />

und zum Generieren von Zeichen<br />

gehört zu den Grundbedingungen von<br />

menschlicher Kultur. Darauf ruht das<br />

mehr oder weniger freie humane Spiel mit<br />

Zeichen. Während bestimmte Tiere wie<br />

Hunde, Affen oder Bienen zwar teilweise<br />

sehr elaborierte Zeichensysteme benutzen,<br />

scheint gerade die Idee zur grundlegenden<br />

Unterscheidung zwischen dem bezeichneten<br />

Objekt und dem Medium der Bezeichnung<br />

doch spezifisch menschlich zu sein.<br />

Diese Fähigkeit zu fiktionalisieren und<br />

damit die Gegenwart zu transzendieren<br />

sowie über die Unterscheidung zwischen<br />

Subjekt und Objekt zu reflektieren, ist human<br />

– also der Mensch als Tier, das<br />

Sprache hat (Aristoteles), und das eben<br />

damit auch bewusst lügen kann!» (Morenz<br />

2013, 224). Am Anfang der Herausbildung<br />

eines Codes steht das Lesen natürlicher<br />

Zeichen wie Fussspuren bis hin<br />

zu von Menschen bewusst geschaffenen<br />

Symbolzeichen. Ein System von Zeichen<br />

noch ohne Hinweise auf die lautliche Realisierung<br />

in der jeweiligen Sprache ist für<br />

Ägypten früh anzusetzen, mindestens seit<br />

dem 5. Jt. v. Chr.<br />

Ein entscheidender Schritt erfolgte um<br />

3250 v. Chr. mit ersten Phonetisierungen<br />

von Bildzeichen. Dabei war das häufigste<br />

Prinzip wohl das des konsonantischen<br />

Rebus. Ein Beispiel auf Deutsch wäre das<br />

Bildzeichen einer Tür für die Konsonantenfolge<br />

t–r, womit dann auch die Wörter<br />

Tor, Teer und Tier geschrieben werden<br />

könnten oder ein Grasbüschel für Gras,<br />

Griess, gross und Gruss. Eine interessante<br />

Erklärung, die schon Sir Alan Gardiner<br />

im Jahr 1915 geäussert hatte – und die<br />

nicht nur für die ägyptische Schriftentstehung<br />

zutreffen dürfte –, ist die, dass die<br />

Notation von Eigennamen ein wichtiger<br />

Antrieb für die Phonetisierung gewesen<br />

sein muss. Denn Eigennamen sind von<br />

ihrem Referenzobjekt losgelöst und somit<br />

generell nicht einfach bildlich darstellbar.<br />

Das Rebus-Prinzip ermöglichte die phonetische<br />

Schreibung von Eigennamen wie<br />

auch von Abstrakta. Zu Beginn des 3. Jts<br />

v. Chr. erfolgte dann die Entwicklung des<br />

Schriftsystems durch Systematisierung<br />

und Standardisierung der Zeichen und<br />

ihrer Funktionen, später die Schreibung<br />

auch grammatikalischer Elemente, womit<br />

der Schritt von einzelnen Wörtern<br />

zum Satz vollzogen wurde und Texte generiert<br />

werden konnten.<br />

Als Impetus für die Entwicklung einer<br />

Schrift kann für Ägypten nach derzeitigem<br />

Wissensstand Zweierlei vermutet werden:<br />

Repräsentation und Ökonomie/Verwaltung.<br />

Beide sind wesentlich mit der<br />

Herausbildung einer protoägyptischen<br />

Elite- und Herrscherkultur verbunden. In<br />

stadtähnlichen Zentren suchten Häuptlinge<br />

die Führung der Elite und die Kontrolle<br />

über die Ressourcen. Mit bild-textlichen<br />

Zeichen erfolgte ihre Selbstdarstellung<br />

und damit die Kommunikation ihres<br />

Herrschaftsanspruchs. So sind mehrere<br />

Abb. 4: Prunk-Schminkpalette aus<br />

Hierakonpolis. Oxford, Ashmolean<br />

Museum, E 3924, Höhe 42,5 cm,<br />

aus Schist<br />

Abb. 5: Umzeichnung eines Etiketts<br />

(Anhängetäfelchens) aus einem<br />

prädynastischen Königsgrab bei<br />

Abydos, Höhe 2,8 cm, aus Elfenbein.<br />

G. Dreyer, Umm el-Qaab I, Mainz<br />

1998, 119, <strong>Nr</strong>. 59<br />

Stärke und Dominanz verkörpernde Tiere<br />

(z.B. Elefant, Giraffe, Löwe) in bild-textlichen<br />

Darstellungen als Herrscher-Symbole<br />

zu interpretieren, die im Gegensatz zu<br />

unterlegenen anderen Tierarten (z.B.<br />

Gazelle, Antilope, Ziege) erscheinen<br />

(Abb. 4). Die Siegel-, Etiketten- und Gefässinschriften<br />

zur Kennzeichnung von<br />

Warenlieferungen, die in Abydos gefunden<br />

wurden (Abb. 5), zeugen für die Nutzung<br />

der frühen Schrift zur Organisation in<br />

administrativer und wirtschaftlicher Hinsicht<br />

– auch sie in unmittelbarer Umgebung<br />

des Herrschers. Und: «[…] für das<br />

Alte Ägypten ist die enge Verbindung von<br />

Schrift und Herrschaft (sowohl in Form<br />

von Verwaltung als auch zeremonieller<br />

Präsentation) jedenfalls offensichtlich.»<br />

(Morenz 2004, 238). [2.] ■<br />

Literatur:<br />

1. Robinson, A., Wie der Hieroglyphen-Code<br />

geknackt wurde. Das revolutionäre Leben<br />

des Jean-François Champollion, Darmstadt<br />

2014 (= Cracking the Egyptian Code. The<br />

Revolutionary Life of Jean-François Champollion,<br />

Oxford 2012); Parkinson, R., The<br />

Rosetta Stone, London 2005.<br />

2. Morenz, L. D., Bild-Buchstaben und symbolische<br />

Zeichen. Die Herausbildung der<br />

Schrift in der hohen Kultur Altägyptens (Orbis<br />

Biblicus et Orientalis, Bd. 205), Fribourg/<br />

Göttingen 2004; Ders., Kultur- und mediengeschichtliche<br />

Essays zu einer Archäologie<br />

der Schrift. Von den frühneolithischen Zeichensystemen<br />

bis zu den frühen Schriftsystemen<br />

in Ägypten und dem Vorderen<br />

Orient (Thot. Beiträge zur historischen<br />

Epistemologie und Medienarchäologie,<br />

Bd. 4), Berlin 2013.<br />

<strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2016</strong><br />

<strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC<br />

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