VSAO JOURNAL Nr. 5 - Oktober 2016

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FOKUS ▶ SYMBOL also etwa – wie es das Wort schon sagt – besonders hell zu sehen. Um die Sache zu komplizieren, wählten die Deuter und Erklärer eine zusätzliche Zeichensprache, die sich ganz bestimmt nur ihnen erschliessen konnte, denn eine für alle nachvollziehbare Semantik hätte das Geschäftsmodell untergraben und die Erwerbsquelle versiegen lassen. Die römischen Auguren lasen den Vogelflug, später legte man Karten oder las den Kaffeesatz und immer beliebt und von zeitlosem Charme ist die Sterndeuterei. Der Interpret übersetzt für den Wissensdurstigen die vorgefundenen oder selbst bewirkten Zeichen, erklärt den verborgenen Sinn dahinter und schafft damit eine Bedeutung in einer Welt, die sich uns teilweise verschliesst. Wir tun dem zugegebenermassen weiten Betätigungsfeld des Deuters unrecht, wenn wir der Tätigkeit an sich Unlauterkeit unterstellen. Der Börsenanalyst liest die konjunkturellen Zeichen und verknüpft sein Wissen über Trends und aktuelle Wirtschaftsvorgänge mit den Informationen, welche aus den Unternehmen an die Öffentlichkeit dringen, um daraus eine Prognose für die Weiterentwicklung des Aktienkurses zu machen. Diesem Vorgang liegt, neutral betrachtet, zuerst einmal dieselbe Vorstellung eines Ursache- Wirkung-Mechanismus zugrunde, wie ihn der Astrologe seiner Kundschaft auch als Basis seiner Prophezeiung darlegt. Die Interpretation der Zeichen ist stets nicht nur ein Übersetzungsvorgang, sondern gemäss dem Wortsinn auch ein Erklärungsvorgang. Denn mit dem Übersetzen allein könnte es ja vielleicht noch nicht gemacht sein, was nützt dem Unwissenden die reine Übersetzung, wenn der Sinn immer noch schleierhaft bleibt? Homo signorum aus den Très Riches Heures des Herzogs von Berry (1412–1416) schaftlicher Forschung wie es die Triebfeder für die morgendliche Lektüre eines Horoskops in der Pendlerzeitung ist. Hinter dem Verstehen-Wollen verbirgt sich mithin also auch die Vorstellung, dass die Welt voller Zeichen sei, die es zu entziffern gilt, und dass sich hinter allem auch ein Sinn verbirgt. Eine Vorstellung, die interessanterweise weltweit in allen Kulturen verbreitet ist. Diesen sinnerfüllten Zusammenhängen inne zu werden, war zu allen Zeiten ein Menschheitsbedürfnis und ist es immer noch. Unglücklicherweise offenbaren sich diese Zeichen aber eben nicht allen. Um den verborgenen Sinn enträtseln zu können, bedurfte es stets Menschen, die für sich in Anspruch nahmen, über eine besondere Gabe zu verfügen, Zeichen für Eingeweihte Der Umstand, dass unsere Welt der Interpretation bedarf, um sich einen wie auch immer gearteten Sinn zu erschliessen, und dass es nötig ist, die Bedeutung mancher Zeichen zu enträtseln, hat immer schon auch beflügelnd auf die Phantasie der Menschen gewirkt. Denn das Enträtseln verleitet zum Verbergen und zum Schaffen von neuen Geheimsprachen, die nur einem kleinen Kreis Eingeweihter zugänglich sind: Interessanterweise häuften sich diese Geheimzeichensprachen mit dem Aufkommen rational-aufklärerischer Bewegungen in Europa. So gab es seit dem 18. Jahrhundert in Europa die Blumensprache, mit welcher sich Verliebte signalisierten, wie es um ihre Gefühle bestellt ist, indem sie sich bestimmte Blumen zusandten oder Bilder davon, wenn es, jahreszeitlich bedingt, nicht anders ging. Im 20. Jahrhundert gab es für Verliebte die Möglichkeit, ihre Gefühle für einander mithilfe der Art und Weise, wie sie die Marken auf den Briefen platzierten, verschlüsselt mitzuteilen, eine auf der Seite liegende Marke forderte den Briefempfänger oder die Briefempfängerin zum Beispiel auf, den Absender nie zu vergessen. Die Zeichensprachen sterben nicht aus, sie müssen nicht immer geheim sein, man kann einen Code mit Abermillionen Menschen teilen und gleichwohl die Gewiss 20 VSAO JOURNAL ASMAC Nr. 5 Oktober 2016
FOKUS ▶ SYMBOL heit haben, dass man etwas Aussergewöhnliches macht, so entwickeln sich auch in der Gegenwart neue Zeichen, z.B. die Emojis. Die Medien berichteten im April 2015, dass der bekennende Emoji- Fan Roger Federer, welcher praktisch jeden seiner Tweets mit drei Emojis einleitet, auf Twitter die Frage gestellt hat: «Wo ist mein Popcorn-Emoji?», während er sich das Tennisturnier in Monaco im TV ansah. Der Symbole-Anbieter Emojipedia erhörte Federers Forderung und entwickelte ein Popcorn-Emoji, welches im Juni-Update in die Sammlung aufgenommen wurde. Das ist einerseits ein zuversichtlich stimmender Beleg für die Zukunftsfähigkeit der Zeichen in unserer Welt, andererseits kann man darin auch erkennen, dass die Verwendung von Zeichen immer eine Beziehung voraussetzt: Sender, Empfänger und eben auch die Gestalter müssen die Zeichen am Leben erhalten. Wer sich dem Austausch verweigert, bricht die Kommunikation ab und tilgt damit den Sinn des Zeichens, etwas zu bedeuten. Neue Zeichen gesucht Interessanterweise nimmt die Präsenz von Zeichen und Symbolen in unserem modernen Alltag eher zu. Beispielsweise finden sich als Versinnbildlichung für Programme oder auszuführende Tasks auf unseren Handydisplays und den Benutzeroberflächen unserer Computer sogenannte Icons. Diese Symbole sind jung und von absehbarer Vergänglichkeit. Man kann ihre transitorische Existenz nämlich leicht daran erkennen, dass sie bei anderen Symbolen Zuflucht suchen: Das Icon des Programms «Outlook» zum Beispiel zeigt ein zum Betrachtenden hin aufgeklapptes blaues Quadrat mit dem Buchstaben «O» für Outlook und dahinter schaut ein Teil eines Briefumschlags hervor. Das Symbol für das Versenden von elektronischer Post bedarf mithin also der Hilfe des Symbols für das frühere Versenden von Postsendungen, des veralteten Briefumschlags, weil sich für das Virtuelle der elektronischen Datenübermittlung bis anhin kein adäquates Zeichen hat durchsetzen können. Genauso steht es um das Zeichen für den Speicherungsbefehl: Hierbei handelt es sich um die längst aus unserem Computeralltag verschwundene Diskette. Gerade eine immer virtueller werdende Welt wird der Zeichen und Symbole bedürfen, sie schaffen die nötige Übersetzung für das immer schwerer Fassbare und abstrakt Gewordene. ■ Nr. 5 Oktober 2016 VSAO JOURNAL ASMAC 21
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