VSAO JOURNAL Nr. 5 - Oktober 2016
Symbol Gastroenterologie / Nephrologie Vaterschaftsinitiative IFAS
Symbol
Gastroenterologie / Nephrologie
Vaterschaftsinitiative
IFAS
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FOKUS ▶ SYMBOL<br />
Die Welt als Vorstellung<br />
Zeichen deuten zu können, ist für alle Wesen lebenswichtig. Menschen versuchen jedoch stets in<br />
den sichtbaren Zeichen einen verborgenen Sinn oder zumindest einen Mechanismus zu erkennen.<br />
Dieses Wissen-Wollen ist zeit- und kulturübergreifend und betrifft jeden Lebensbereich: Ob Sternenkonstellation,<br />
Börsenkurse oder die Funktionsweise des Gehirns – die Welt will enträtselt sein.<br />
Dr. Marc Aeschbacher, Dozent für Wirtschaftskommunikation Fachhochschule Nordwestschweiz Hochschule für Wirtschaft<br />
«Schläft ein Lied in allen Dingen,<br />
Die da träumen fort und fort,<br />
Und die Welt hebt an zu singen,<br />
Triffst du nur das Zauberwort.»<br />
Joseph Freiherr von Eichendorff<br />
Seit Anbeginn der Menschheit gehört es<br />
zu den Grundbedürfnissen, das, was uns<br />
umgibt, zu «lesen» und zu verstehen. Für<br />
unsere Urahnen war dieses Lesen ihrer<br />
Umwelt eine unabdingbare Voraussetzung<br />
für das Überleben. Einschätzen zu können,<br />
was eine Gefahr für das Leben bedeutet,<br />
half, die Risiken richtig abzuwägen:<br />
Ist das Mammut verwundet und geschwächt<br />
genug, um es wieder anzugreifen,<br />
oder ist Davonrennen die bessere Alternative?<br />
Diese Entscheidung erforderte<br />
bereits die Fähigkeit, die unterschiedlichsten<br />
Variablen situativ einzubeziehen, unter<br />
anderen etwa auch wie lange es dauern<br />
könnte, bis sich wieder eine solche Gelegenheit<br />
bieten wird.<br />
Zum Lesen und Interpretieren der existentiellen<br />
Herausforderungen im Überlebenskampf<br />
kam interessanterweise aber schon<br />
damals eine weitere, übernatürliche oder<br />
transzendentale Komponente dazu. Unsere<br />
Urahnen suchten den Zugang zu einer<br />
geistigen Sphäre, der sie beschwörende<br />
Zeichen widmeten, indem sie begannen,<br />
ihre Höhlen zu bemalen und Felsen zu<br />
ritzen. Das zeigt, wie unmittelbar verwandt<br />
seit Anbeginn das Bedürfnis des<br />
«Lesens» von Zeichen und das Schaffen<br />
von Zeichen (das Zeichnen) war und ist.<br />
Es gab und gibt kein Lesen ohne Zeichnen<br />
bzw. Schreiben.<br />
Das Leben im Griff<br />
Zeitgeschichtlich mag es ein grosser<br />
Sprung sein von den bannenden oder herbeiflehenden<br />
Beschwörungen in den Anfängen<br />
der Menschheitsgeschichte zu den<br />
frühen Versuchen der Erklärung von Naturphänomenen,<br />
z.B. dass die Ursache<br />
eines Blitzes der Zorn eines Gottes sei.<br />
Hinter Beschwörungen und Erklärungsversuchen<br />
steckt aber das gleiche Bedürfnis,<br />
nämlich dem, was uns widerfährt,<br />
etwas entgegenhalten zu können. Wenn<br />
wir es begreifen können, haben wir es im<br />
Griff und es verliert seine Macht über uns.<br />
Das zeigt exemplarisch auch das Märchen<br />
vom Rumpelstilzchen, dessen Macht über<br />
die Königstochter sogleich erlischt, als<br />
diese seinen Namen errät. Das Benennen<br />
bricht die fremde Macht, das richtige Zeichen,<br />
besser: Die richtige Bezeichnung<br />
kehrt also die Machtverhältnisse zu unseren<br />
Gunsten um.<br />
Suche nach dem Sinn<br />
Was liegt also näher, als alles verstehen zu<br />
wollen? Goethes «Faust» drückt das in<br />
dem ihn verzehrenden Wunsch aus zu<br />
erkennen, «was die Welt im Innersten<br />
zusammenhält». Dieses faustische Streben<br />
nach dem Allwissen ist immer noch<br />
gegenwärtig, der menschliche Forschergeist,<br />
der sich keine Grenze auferlegen<br />
mag, äussert sich in Albert Einsteins Versuch,<br />
eine Weltformel zu entdecken (im<br />
Englischen heisst das «A Theory of Everything»)<br />
genauso wie im Lausanner Human<br />
Brain Project, bei dem mittels computerbasierter<br />
Modelle und Simulationen<br />
eine Nachbildung des menschlichen Gehirns<br />
erschaffen werden soll.<br />
Ob es nun angenehm ist oder nicht, sich<br />
das einzugestehen, aber dieses hehre<br />
Verstehen-Wollen, diese conditio humana,<br />
bildet genauso den Antrieb zu wissen<br />
Höhlenmalerei aus Lascaux<br />
18 <strong>VSAO</strong> <strong>JOURNAL</strong> ASMAC <strong>Nr</strong>. 5 <strong>Oktober</strong> <strong>2016</strong>