RA 10/2016 - Entscheidung des Monats
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538 Öffentliches Recht <strong>RA</strong> <strong>10</strong>/<strong>2016</strong><br />
Problem: Rederecht für ausländisches Staatsoberhaupt<br />
auf einer Versammlung in Deutschland<br />
(„Erdogan-<strong>Entscheidung</strong>“)?<br />
Einordnung: Versammlungsrecht<br />
OVG Münster, Beschluss vom 29.07.<strong>2016</strong><br />
15 B 876/16<br />
LEITSATZ<br />
Das prinzipielle Selbstbestimmungsrecht<br />
<strong>des</strong> Veranstalters aus Art. 8<br />
Abs. 1 GG, die auf der Versammlung<br />
auftretenden Redner festzulegen, ist<br />
kein Instrument dafür, ausländischen<br />
Staatsoberhäuptern oder Regierungsmitgliedern<br />
ein Forum zu eröffnen,<br />
sich auf öffentlichen<br />
Versammlungen im Bun<strong>des</strong>gebiet in<br />
ihrer Eigenschaft als Hoheitsträger<br />
amtlich zu politischen Fragestellungen<br />
zu äußern. Darüber zu<br />
entscheiden ist allein Sache der Bun<strong>des</strong>republik<br />
Deutschland.<br />
EINLEITUNG<br />
Dass die Versammlungsfreiheit das Recht <strong>des</strong> Veranstalters umfasst, die Redner<br />
selber bestimmen zu dürfen, ist im Grunde unstrittig. Fraglich ist jedoch, ob es<br />
auch zum Gewährleistungsgehalt gehört, ausländischen Staatsoberhäuptern<br />
oder Regierungsmitgliedern per Liveschaltung zu ermöglichen, sich an die<br />
Versammlungsteilnehmer zu wenden.<br />
SACHVERHALT<br />
K ist deutscher Staatsangehöriger und meldete für den 31.07.<strong>2016</strong> eine<br />
Versammlung auf einer großen Freifläche in Köln unter dem Motto<br />
„Militärputsch in der Türkei“ an. Er möchte, dass die Versammlungsteilnehmer<br />
ihre Solidarität mit der türkischen Regierung zum Ausdruck bringen.<br />
K plant, eine große Videoleinwand neben der Rednerbühne aufzustellen,<br />
damit alle Veranstaltungsteilnehmer den jeweiligen Redner sehen<br />
können. Die Videoleinwand soll auch genutzt werden, um den türkischen<br />
Staatspräsidenten und/oder weitere Mitglieder der türkischen Regierung live<br />
als Redner zuzuschalten. Die zuständige Behörde untersagt jedoch formell<br />
ordnungsgemäß den Aufbau der Videoleinwand, weil die Gefahr bestehe,<br />
dass insbesondere bei der Liveschaltung <strong>des</strong> türkischen Staatspräsidenten<br />
die Teilnehmer sich emotionalisieren ließen und es dann zu Straftaten sowohl<br />
durch Versammlungsteilnehmer als auch durch Gegendemonstranten<br />
kommen könne. K hält diese Annahme für abwegig und meint zudem, die<br />
Videoleinwand müsse zumin<strong>des</strong>t für die vergrößerte Darstellung von anwesenden<br />
Rednern genutzt werden dürfen.<br />
Ist das behördliche Verbot rechtmäßig?<br />
[Anm.: In Nordrhein-Westfalen existiert kein Lan<strong>des</strong>versammlungsgesetz.]<br />
LÖSUNG<br />
Das behördliche Verbot ist rechtmäßig, wenn es auf einer wirksamen<br />
Ermächtigungsgrundlage beruht, die formell und materiell rechtmäßig angewandt<br />
wurde.<br />
Beachte: Da Versammlungen nicht<br />
genehmigt werden, handelt es<br />
sich um keine „echte“ Auflage i.S.v.<br />
§ 36 VwVfG.<br />
I. Ermächtigungsgrundlage für das Verbot<br />
Als Ermächtigungsgrundlage für das Verbot kommt § 15 I VersammlG (i.V.m.<br />
Art. 125a I GG) in Betracht. Die Norm ermöglicht auch den Erlass von „Auflagen“,<br />
also sonstiger Beschränkungen jenseits <strong>des</strong> Verbots einer Versammlung.<br />
II. Formelle Rechtmäßigkeit <strong>des</strong> Verbots<br />
Das Verbot ist von der zuständigen Behörde formell rechtmäßig erlassen<br />
worden.