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Christine Schrijvers/Mele Brink: „Gestatten: Buddy, Kulturspatz!“

Buddy ist ein Kulturspatz, denn er wohnt in einer noblen Gegend von Paris, ganz anders als die verrufenen Bahnhofs-spatzen. Das bekommt er zumindest immer erzählt. Als die Kette von Mama-Spatz gestohlen wird, landet Buddy ungewollt in der verbotenen Zone. Dort will ihm das Spatzenmädchen Sari helfen, die Kette wiederzufinden. Doch alles am Bahnhof scheint so fremd. Soll er ihr wirklich trauen und warum trägt Sari drei goldene Federn in ihrem Federkleid? Ein Vorlesebuch für Kinder ab 5 Jahren, zum Selberlesen ab 8 Jahren.

Buddy ist ein Kulturspatz, denn er wohnt in einer noblen Gegend von Paris, ganz anders als die verrufenen Bahnhofs-spatzen. Das bekommt er zumindest immer erzählt. Als die Kette von Mama-Spatz gestohlen wird, landet Buddy ungewollt in der verbotenen Zone. Dort will ihm das Spatzenmädchen Sari helfen, die Kette wiederzufinden. Doch alles am Bahnhof scheint so fremd. Soll er ihr wirklich trauen und warum trägt Sari drei goldene Federn in ihrem Federkleid?

Ein Vorlesebuch für Kinder ab 5 Jahren, zum Selberlesen ab 8 Jahren.

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Gestatten:<br />

<strong>Buddy</strong>, <strong>Kulturspatz</strong>!<br />

<strong>Christine</strong> <strong>Schrijvers</strong><br />

EDITION PASTORPLATZ<br />

17<br />

Illustrationen: <strong>Mele</strong> <strong>Brink</strong>


Gestatten:


<strong>Buddy</strong>,<br />

<strong>Kulturspatz</strong>!


Für meine Eltern, Lene, David<br />

und meine große Liebe Giac.<br />

<strong>„Gestatten</strong>: <strong>Buddy</strong>, <strong>Kulturspatz</strong>!<strong>“</strong> wird herausgegeben von der Edition Pastorplatz<br />

(<strong>Mele</strong> <strong>Brink</strong> & Bernd Held GbR · Luisenstraße 52 · 52070 Aachen)<br />

www.editionpastorplatz.de<br />

www.facebook.com/edition.pastorplatz<br />

www.twitter.com/ed_pastorplatz<br />

Editionsnummer: 17 (Oktober 2016)<br />

ISBN 978-3-943833-17-1<br />

1. Auflage<br />

Idee + Text: <strong>Christine</strong> <strong>Schrijvers</strong><br />

Zeichnungen: <strong>Mele</strong> <strong>Brink</strong><br />

Layout + Umsetzung: Bernd Held<br />

Lektorat/Korrektorat: Angelika Lenz, Steinheim an der Murr<br />

Gedruckt auf 140-g-Offsetpapier (FSC®-zertifiziert).<br />

Umschlag auf 120-g-Offsetpapier (FSC®-zertifiziert).<br />

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt<br />

insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.<br />

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen<br />

Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.


Gestatten:<br />

<strong>Buddy</strong>, <strong>Kulturspatz</strong>!<br />

<strong>Christine</strong> <strong>Schrijvers</strong><br />

Illustrationen: <strong>Mele</strong> <strong>Brink</strong>


Wir sind nun mal<br />

<strong>Kulturspatz</strong>en.


<strong>Buddy</strong> - noch müde<br />

Die Sonne strahlte bereits mit voller Kraft auf den noch nahezu<br />

menschenleeren Platz vor Notre-Dame. <strong>Buddy</strong>, der Spatz,<br />

rieb sich die Augen und stieg aus dem Bett.<br />

„<strong>Buddy</strong>, beeil dich!<strong>“</strong>, schrie Mama-Spatz aus der Küche.<br />

„Ich komme ja!<strong>“</strong>, rief <strong>Buddy</strong> genervt Richtung Treppenhaus.<br />

Als er unten war, strich ihm Mama-Spatz unwirsch<br />

über die Federn und gab ihm dann einen zärtlichen Kuss<br />

auf die Stirn.<br />

Durch das kleine Fenster in der Küche konnte man über die ganze Stadt schauen.<br />

Es war ein schöner Tag, der Himmel war so blau wie schon lange nicht mehr<br />

und die ersten Weckvögel kamen bereits von der Frühschicht nach Hause.<br />

Weckvögel arbeiteten in Bezirken der Stadt Paris, die ihnen zugeteilt worden<br />

waren. Ihre Aufgabe war es, vor den Fenstern der Menschen zu sitzen und sie<br />

mit ihrem Vogelgesang aufzuwecken. Jeder Weckvogel hatte eine einzigartige<br />

Stimme, denn nur die besten Sänger schafften es, eine erfolgreiche<br />

Laufbahn als Weckvogel zu starten.<br />

Mama-Spatz<br />

Während <strong>Buddy</strong> seine Brotkrümelchen mit Milch<br />

schmatzend runterschlang, starrte er noch immer aus<br />

dem Fenster. Man konnte heute bis zum Bahnhof sehen,<br />

der durch seine dunkle, schwere Steinfassade zwischen den<br />

vielen weißen Häusern wie ein geheimnisvoller Ort emporstieg.<br />

3


Lenny<br />

„Mama, wieso darf ich nicht zum Bahnhof fliegen?<strong>“</strong>, fragte <strong>Buddy</strong> und spuckte<br />

dabei versehentlich etwas Milch auf Lenny, die kleine Stubenfliege.<br />

„Das geht nicht, <strong>Buddy</strong>! Das habe ich dir doch schon tausendmal erklärt<strong>“</strong>,<br />

versuchte Mama-Spatz die aufkommende Diskussion zu beenden. „Und pass<br />

auf Lenny auf, ich musste ihm diese Woche schon zweimal die Flügelchen<br />

föhnen, weil du deine Milch verschüttest hast.<strong>“</strong><br />

„Ich verstehe das aber einfach nicht! Wieso darf ich mir den Bahnhof nicht<br />

wenigstens mal ansehen, ich würde ja nicht da landen, nur mal schauen. Wir<br />

könnten doch mal einen Ausflug dahin machen. Du, Papa, Mindi, ich und<br />

Lenny natürlich<strong>“</strong>, schlug <strong>Buddy</strong> halb wütend, halb hoffend vor.<br />

„<strong>Buddy</strong>, wir sind nun mal <strong>Kulturspatz</strong>en!<strong>“</strong><br />

„Oh nein, Mama! Bitte fang nicht wieder damit an!<strong>“</strong> <strong>Buddy</strong> schlug verzweifelt<br />

die Flügel über die Ohren. Er wusste, was jetzt kommen würde. Ein ewiger,<br />

nicht enden wollender Vortrag darüber, dass <strong>Buddy</strong>, seine Eltern und seine<br />

kleine Schwester Mindi <strong>Kulturspatz</strong>en seien. Und dass <strong>Kulturspatz</strong>en ausschließlich<br />

an den bedeutenden Sehenswürdigkeiten der Stadt lebten und arbeiteten.<br />

Seine Mutter würde voller Stolz erklären, wie toll es sei, als<br />

<strong>Kulturspatz</strong> aufzuwachsen, sich zu einem kleinen Kreis wichtiger<br />

Spatzen zählen zu dürfen, wie dem Bürgermeister-Spatz<br />

und dem Kirchenoberhaupt-Spatz.<br />

Lenny, die kleine Stubenfliege, die es sich in <strong>Buddy</strong>s Federn bequem<br />

gemacht hatte, rollte mit ihren winzigen kugelrunden Augen, als<br />

Mama-Spatz lang und breit ausführte, wie toll Bürgermeister-Spatz Kuhnt sei.<br />

4


„Er kann ja kaum noch über die Baumkronen fliegen, so dick wie der ist<strong>“</strong>,<br />

brummelte <strong>Buddy</strong>, während Lenny im Halbschlaf zwischen <strong>Buddy</strong>s Federn<br />

vor sich hin brabbelte.<br />

„Wir müssen dankbar sein, dass wir als <strong>Kulturspatz</strong>en geboren wurden. Nicht<br />

viele haben es so einfach, andere müssen stehlen, um ihre Familien zu ernähren,<br />

wie die Bahnhofsspatzen. Wir dagegen bekommen Körner, die eigens für<br />

uns hergestellt werden. Gebildete, vornehme Menschen aus aller Welt kaufen<br />

unser Futter bei den Körnerverkäufern der Stadt. Diese Menschen haben viel<br />

Geld und Einfluss<strong>“</strong>, führte Mama-Spatz ihren Vortrag weiter aus.<br />

„Touristen nennt man die, Mama.<strong>“</strong> Eben kam Mindi zur Tür herein. „Die<br />

gebildeten, vornehmen Menschen nennt man Touristen!<strong>“</strong>, ermahnte sie ihre<br />

Mutter grinsend.<br />

Mindi war eine Brut jünger als ihr großer Bruder <strong>Buddy</strong>.<br />

Fleißig, wissbegierig, aber auch ein wenig schüchtern<br />

war die kleine Mindi, die stets einen roten Schal<br />

trug. Mindi himmelte ihren großen Bruder an, er war<br />

so viel abenteuerlustiger als sie, und das fand Mindi<br />

angsteinflößend und faszinierend zugleich.<br />

„<strong>Buddy</strong>, kannst du mich heute begleiten? Ich will nicht alleine fliegen. Es ist<br />

deutsche Woche und da ist das Ausweichhüpfen doppelt so schwer<strong>“</strong>, klagte<br />

Mindi, während sie ihr Buch Ameisen: Das Leben als Krabbeltier lautstark auf<br />

den Küchentisch knallen ließ und sich neben <strong>Buddy</strong> setzte.<br />

Mindi<br />

5


Papa-Spatz<br />

In den deutschen Wochen kamen unzählige Touristen aus Deutschland und<br />

verbrachten ihre Ferien in der französischen Hauptstadt Paris. Das allein<br />

war ja schön, aber anders als die heimischen Franzosen liefen die Touristen<br />

aus dem Nachbarland kreuz und quer durch die Straßen. Weit ausgebreitete<br />

Stadtpläne verdeckten ihnen dabei die Sicht auf kleine Spatzen wie Mindi. Außerdem<br />

kauften die deutschen Ausländer so gut wie nie die leckeren Körner<br />

für die <strong>Kulturspatz</strong>en.<br />

„Total geizig sind die, und ich verstehe auch nicht, warum die alle einen Regenschirm<br />

dabeihaben. Letzte Woche erst bin ich frontal gegen einen Schirm<br />

geflogen, der urplötzlich aufsprang. Davon hab ich immer noch einen blauen<br />

Fleck, guck, Mama!<strong>“</strong>, ärgerte sich Mindi. „Warum haben die immer diese<br />

Schirme dabei, selbst im Hochsommer, wenn mir die Sonne auf die Federn<br />

knallt!<strong>“</strong>, beklagte sie sich weiter.<br />

„Dann musst du schneller ausweichen oder gleich zu den Italienern gehen<strong>“</strong>,<br />

sagte Mama-Spatz. „Die Snacks von den hübschen Südländern sind sowieso<br />

viel schmackhafter. Oh, erst gestern habe ich diesen fabelhaften Biscotto<br />

von einem reizenden jungen Italiener bekommen!<strong>“</strong> Verträumt<br />

schaute sie auf einen Kekskrümel, der fast so groß<br />

war wie Mindi.<br />

„Kuckuck, alle zusammen!<strong>“</strong>, sagte Papa-Spatz in die Runde,<br />

als er die Küche betrat.<br />

„Schatz, mach doch nicht immer den Herrn Kuckuck nach. Der hört<br />

das noch und denkt, wir machen uns lustig über ihn<strong>“</strong>, ermahnte ihn seine<br />

6


Frau. Gerade in diesem Moment kam Post-Kuckuck<br />

Karl am Fenster der Familie vorbei.<br />

„Morgen, Karl! Schönes Wetter heute, oder?<strong>“</strong>, begrüßte<br />

Papa-Spatz den Post-Kuckuck.<br />

„Kuckuck, alle zusammen! Ja, der erste Arbeitstag<br />

ohne meine dicke Postjacke. Der Sommer<br />

kommt, Freunde!<strong>“</strong>, freute sich Kuckuck Karl,<br />

während er schon wieder in der Luft war<br />

und weiterflog.<br />

<strong>Buddy</strong> und seine Schwester mussten<br />

lachen. Jeden Morgen hatten ihre<br />

Eltern diese Unterhaltung, es war<br />

ihr kleiner Brauch und endete<br />

stets mit einem zärtlichen<br />

Spatzenkuss.<br />

7


Kuckuck Karl<br />

Papa-Spatz schaute gleich die vier weißen Briefe durch.<br />

Einer war von der Bank, einer von der Bahnhofsmission,<br />

die wieder für arme Straßenspatzen Spenden<br />

sammelte, und einer von der Polizei. Mit seinen<br />

großen, starken Federn öffnete Papa-Spatz den Umschlag<br />

des Ministeriums für Vogelsicherheit am Boden wie im Flugraum<br />

von Paris. „Oh nein, das habe ich ja gar nicht mitbekommen!<strong>“</strong>,<br />

schimpfte Papa-Spatz.<br />

„Was ist denn los?<strong>“</strong>, fragte Mama-Spatz und riss ihrem Ehemann den Briefbogen<br />

unwirsch aus der Hand. „10 Stundenkilometer zu schnell?! Schon wieder?<br />

Das ist das dritte Mal, dass du diesen Monat geblitzt wurdest, du fliegst<br />

einfach zu schnell und beachtest die Flughöhe nicht!<strong>“</strong>, ärgerte sie sich, wandte<br />

sich aber gleich wieder der Zubereitung des riesigen Kekskrümels zu.<br />

<strong>Buddy</strong> und Mindi kicherten, als sie das Blitzer-Bild ihres Vaters auf dem<br />

Schreiben des Polizeiministeriums betrachteten. Die Federn waren total zerzaust<br />

und durch den starken Gegenwind tränten seine Augen unter der schief<br />

sitzenden Fliegerbrille.<br />

„Ich musste die Schnellflugbahn nehmen, sonst hätte ich die russische Reisegruppe<br />

warten lassen müssen. Berühmte <strong>Kulturspatz</strong>en waren darunter<strong>“</strong>,<br />

erklärte Papa-Spatz sein Fehlverhalten.<br />

Wow, die Schnellflugbahn!, dachte <strong>Buddy</strong>. Ein Dutzend Mal hatte er schon<br />

versucht, dort fliegen zu dürfen, aber man brauchte einen Flugschein, um weit<br />

8


oben über den Baumkronen zu schweben. Diesen Schein erhielt man auch erst<br />

ab einem gewissen Alter und wenn man eine Prüfung bestanden hatte. War<br />

man jedoch im Besitz des Schnellfliegerscheins, durfte man bis zu 60 Stundenkilometer<br />

schnell fliegen. Nur in Notsituationen und unter Aufsicht von<br />

Spatzen mit Flugschein hätte <strong>Buddy</strong> auf die Schnellflugbahn fliegen dürfen.<br />

Papa-Spatz - Flitzer-Blitzer-Foto<br />

+10 km/h<br />

<strong>Buddy</strong>s Vater war eigentlich immer in Eile. Das lag jedoch nicht daran, dass<br />

er unpünktlich war – er hatte einfach zu viele Termine. Seit vielen, vielen Jahren<br />

arbeitete Papa-Spatz als Reiseleiter an unzähligen Sehenswürdigkeiten der<br />

Stadt. Er liebte die Geschichte, die sich hinter den alten Gebäuden, Brücken<br />

und Denkmälern verbarg, und verschlang unzählige dicke, staubige Bücher<br />

über die Stadt Paris.<br />

„Es ist acht Uhr, ihr müsst los!<strong>“</strong>, erinnerte Mama-Spatz ihre Kinder und gab<br />

ihnen einen dicken Kuss. <strong>Buddy</strong> ließ seine braune Lederfliegerbrille auf die<br />

Augen schnalzen und ging zum Haustür-Flugloch. Mindi stand bereits abflugbereit<br />

da, als <strong>Buddy</strong> noch schnell Lenny packte und mit sich in die Tiefe riss.<br />

9


10


Obwohl es noch früh am Morgen war, tummelten sich bereits Besucher aus dem<br />

fernen China, dem warmen Spanien und natürlich dem nahen Deutschland auf<br />

dem Platz vor der Kathedrale von Notre-Dame. „Juhuuuu!<strong>“</strong>, quietschte <strong>Buddy</strong><br />

vergnügt, während er die knapp 70 Meter bis zum Boden im Sturzflug hinabschoss.<br />

Die Wangen von Lenny, der kleinen Stubenfliege, flatterten im Wind und<br />

das hörte sich an, als ob <strong>Buddy</strong> einen kleinen Flugmotor bei sich hätte. Oma-<br />

Spatz besaß so einen Flugrollator, um die nötige Geschwindigkeit zu erreichen.<br />

Mindi musste lachen, ermahnte ihren Bruder aber gleich: „Nicht im Sturzflug,<br />

<strong>Buddy</strong>! Wir sollen doch langsam gleiten. Von links nach rechts und wieder<br />

von rechts nach links.<strong>“</strong> Früher war sie an Lennys Stelle gewesen, als sie selbst<br />

noch zu klein war, um alleine vom Flugloch abzufliegen. Aufregend war die<br />

Geschwindigkeit ja schon, aber einfach viel zu gefährlich.<br />

Die meisten Spatzen in <strong>Buddy</strong>s und Mindis Alter durften nicht aus so großer<br />

Höhe abfliegen. Die zwei aber hatten eine Sondergenehmigung, weil sich ihr<br />

Zuhause in einem der beiden Zwillingstürme der Kathedrale von Notre-Dame<br />

in einer Höhe von über 70 Metern befand.<br />

Als Mindi gerade dabei war, ihren roten Schal am Boden wieder zurechtzuziehen,<br />

kam <strong>Buddy</strong> mit einem riesigen Stück Crêpe angehüpft. „Hier, beiß ab, der<br />

ist sogar noch ein bisschen warm<strong>“</strong>, grinste er mit einem völlig verschmierten<br />

Schokoladenmund. Mindi schmunzelte und zupfte sorgfältig ein Stück von<br />

dem dünnen Pfannkuchen ab. Trotzdem fand sie noch Stunden später Schokoladenflecken<br />

auf ihrem Gefieder.<br />

11


Die deutschen Touristen machten an diesem Tag ihrem Ruf alle Ehre, weshalb<br />

Mindi sich am Rande der Kathedrale unter einem Baum im Gras aufhielt. Die<br />

saftige grüne Wiese war einer ihrer Lieblingsplätze. Hier dachte sie gerne nach<br />

oder las eines ihrer Wissenschaftsbücher. „Du nimmst mir die ganze Sonne<br />

weg, <strong>Buddy</strong>! Rutsch mal einen Hüpfer, bitte!<strong>“</strong><br />

<strong>Buddy</strong> ließ sich mit einem lauten Seufzer neben sie fallen und zerdrückte dabei<br />

ein kleines Gänseblümchen. „Ich muss da hin, Mindi! Ich will wissen, was<br />

sich hinter diesem riesigen Bahnhofsgebäude verbirgt!<strong>“</strong><br />

„Oh <strong>Buddy</strong>, du weißt doch, dass das nicht geht<strong>“</strong>, erwiderte<br />

Mindi. „Hast du denn vergessen, was der alte Rabe Ronte<br />

über das Gebäude mit den vielen Zügen und Schienen<br />

erzählt hat? Fiese Gestalten sollen sich dort herumtreiben,<br />

Diebe, die den Menschen ihren Schmuck klauen. Ja, und alle Spatzen<br />

ernähren sich dort von dreckigen Abfällen. Sogar Aas essen die, hat der alte<br />

Ronte erzählt!<strong>“</strong> Mindi verzog schon bei dem Gedanken daran das Gesicht.<br />

„So ein Quatsch, Spatzen essen doch keine toten Tiere! Der alte Ronte war<br />

doch selbst noch nie am Bahnhof<strong>“</strong>, ärgerte sich <strong>Buddy</strong>.<br />

„Bäh!<strong>“</strong> Mindi schüttelte sich. „Allein die Vorstellung, das zu essen. Igitt, wie<br />

widerlich das erst riechen muss!<strong>“</strong><br />

„Mindi, jetzt hör doch mal auf, ständig von Aas zu plappern! Willst du nicht<br />

auch wissen, wie das Leben außerhalb von Notre-Dame ist?<strong>“</strong><br />

„Wir waren doch mal am Eiffelturm!<strong>“</strong>, warf <strong>Buddy</strong>s kleine Schwester ein.<br />

„Ach, da leben doch auch nur <strong>Kulturspatz</strong>en wie hier<strong>“</strong>, entgegnete <strong>Buddy</strong>.<br />

„Die bekommen auch ihre Körner frisch gekauft und das Gelände wird von<br />

12


der Stadt gereinigt. Außerdem hat uns der Polizeichef Pelle und sein Lehrling<br />

Sirenen-Stu die ganze Flugstrecke lang begleitet. Der Sirenen-Stu ist sowieso<br />

ein bisschen blöd, wenn du mich fragst. Die einzige Aufgabe, die er hat, ist,<br />

mit dem Blaulicht neben dem Polizeichef herzufliegen. Die schrille blaue Sirene<br />

ist ja sogar mit einem langen Kabel an Pelles Uniform festgemacht, und<br />

trotzdem klappt das nicht. Die verheddern sich ständig. Erst letzte Woche ist<br />

Sirenen-Stu voll in den Polizeichef geflogen. Eine halbe Stunde hat es gedauert,<br />

die zwei wieder zu entwirren. Da waren die Körnerdiebe natürlich schon<br />

lange weg.<strong>“</strong><br />

Verträumt sah <strong>Buddy</strong> den dicken weißen<br />

Wolken beim Wandern zu. „Nein, ich<br />

will das wahre Paris sehen! Ich muss<br />

einfach!<strong>“</strong> Sein Entschluss stand fest.<br />

„Magst du unser Leben denn gar nicht?<strong>“</strong><br />

Etwas traurig blickte Mindi ihren<br />

Bruder an.<br />

„Natürlich mag ich es<strong>“</strong>, antwortete<br />

er. „Es ist toll, wir haben alles, was wir<br />

brauchen, und noch mehr. Aber was ist ein Vogel, wenn er nicht fliegen darf?<strong>“</strong><br />

B<br />

h<br />

n<br />

f<br />

a h<br />

h<br />

f<br />

a o<br />

o<br />

Der Satz hing noch in der Luft, als die Geschwister langsam eindösten.<br />

13


Schnell, sonst<br />

entwischt sie<br />

noch!


„Meine Kette! Aaaah! Die Elster klaut meine Kette!<strong>“</strong> Der spitze Schrei schallte<br />

über den ganzen Platz vor Notre-Dame. <strong>Buddy</strong>, Mindi und Lenny, die kleine<br />

Stubenfliege, wurden aus dem Schlaf gerissen und suchten nach der Spätzin,<br />

deren schriller Hilfeschrei die angenehme Ruhe des Sommertages durchbrochen<br />

hatte. „Oh, meine Kette, meine wunderschöne Kette<strong>“</strong>, klagte Mama-<br />

Spatz ununterbrochen, als ihre Spatzenkinder im Kurzflug zu ihr eilten.<br />

„Mama, geht es dir gut? Was ist denn passiert?<strong>“</strong>, erkundigte sich Mindi.<br />

„Ach, eine Elster hat mir meine Kette geklaut. Einfach geklaut! Diese diebischen<br />

Elstern!<strong>“</strong>, erklärte Mama-Spatz kreuzunglücklich.<br />

„Hast du die Kette etwa ausgezogen? Oder wie ist die Elster an die Perlenkette<br />

gekommen? Und wo ist sie hingeflogen? Vielleicht erreichen wir sie noch<strong>“</strong>,<br />

löcherte <strong>Buddy</strong> seine Mutter und dribbelte unruhig von einem Bein auf das<br />

andere. Ihm dauerte das alles viel zu lange. Wer weiß, vielleicht könnte man<br />

die Diebin noch erwischen, dachte er sich.<br />

„Ich hatte die Kette doch nur kurz abgenommen, weil sie sich am Verschluss<br />

in meinen Federn verheddert hatte. Ich habe sie neben mich gelegt und als ich<br />

sie wieder anlegen wollte, war sie weg<strong>“</strong>, seufzte Mama-Spatz, als sich aus der<br />

Ferne Polizeichef Pelle mit seiner lauten Trillerpfeife ankündigte.<br />

Gerade als der Polizeichef zum Landeanflug ansetzte, schoss Sirenen-Stu mit<br />

viel zu hoher Geschwindigkeit an Polizeichef Pelle vorbei. So weit, bis das Sirenenkabel<br />

Stu wieder zu Pelle zurückschleuderte und beide in einem Durcheinander<br />

von Sirenengeheul unsanft auf dem Boden aufkamen. Der Polizeichef<br />

15


klopfte sich schnell den Staub vom Gefieder, richtete seinen Polizeihelm, gab<br />

Sirenen-Stu einen Schubs und stolzierte zu Mama-Spatz und ihren Kindern.<br />

Bei Sirenen-Stu drehte sich noch immer alles und seine ohnehin zerzausten<br />

Federn standen durch den Aufprall in alle Richtungen ab. Dieses verflixte<br />

Gleichgewicht zu halten fiel ihm einfach unglaublich schwer.<br />

Pelle & Stu<br />

„Guten Morgen, Frau Mama-Spatz, bei Ihnen hat sich soeben<br />

ein Diebstahl ereignet, ist das richtig?<strong>“</strong>, begann der<br />

Polizeichef die Befragung wie immer nach Vorschrift.<br />

„Ja, meine teure Kette, ein Erbstück! Eine Elster hat<br />

sie mir geklaut und ist damit weggeflogen<strong>“</strong>, schluchzte<br />

Mama-Spatz, während sie den Himmel nach der Diebin<br />

absuchte.<br />

„Können Sie den Täter näher beschreiben?<strong>“</strong>, fragte Pelle. „Hatte er oder sie<br />

ein auffälliges Federkleid, einen ausgeprägten Schnabel und welche Flughöhe<br />

wurde als Flucht-Flugbahn gewählt?<strong>“</strong><br />

„Ähm, nun ja. Es war … der Täter war eine Sie, also weiblich, und ja, sie trug<br />

eine pinke Brille und na ja ...<strong>“</strong>, stammelte Mama-Spatz. „Da, da ist sie! Sie<br />

fliegt auf der Schnellflugbahn davon!<strong>“</strong>, fuchtelte Mama-Spatz plötzlich mit<br />

den Federn Richtung Norden. „Jetzt los! Was stehen Sie denn hier noch so<br />

rum? Fliegen Sie hinterher! Schnell, sonst entwischt sie noch!<strong>“</strong><br />

„Nun ja, also, das ist gegen die Vorschrift. Eine direkte Verfolgung eines Tatverdächtigen<br />

ist nur erlaubt, wenn mindestens zwei Beamte zur …<strong>“</strong><br />

16


„Pelle, jetzt mach, dass du da hochkommst, und hör auf mit dieser aufgesetzten<br />

Höflichkeit. Ich kenn dich, seit wir beide drei Monate alt waren!<strong>“</strong> Mama-<br />

Spatz verlor nun vollends die Fassung. Es ging schließlich um die Perlenkette<br />

ihrer verstorbenen Mutter. Sie war die einzige Erinnerung, die Mama-Spatz<br />

noch geblieben war, und sie glitzerte doch auch so schön in der Sonne.<br />

Gerade als der Polizeichef zu einem weiteren Vortrag über die Vorgaben des<br />

Polizeiministeriums für Flugsicherheit ausholen wollte, schrie Mindi dazwischen:<br />

„<strong>Buddy</strong>, nein, komm zurück! <strong>Buddy</strong>!<strong>“</strong><br />

Erschrocken sahen alle hinauf – und da war er tatsächlich. <strong>Buddy</strong> war bereits<br />

auf Höhe ihres Heims und flog weiter Richtung Schnellflugbahn. Weil die<br />

Sonne hoch stand und stark blendete, konnte Mama-Spatz nicht lange nach<br />

oben sehen. Verzweifelt versuchte sie trotzdem ihren kleinen Sohn zu erkennen.<br />

Immer und immer wieder suchte sie den Himmel nach einem kleinen<br />

braunen Punkt ab, der <strong>Buddy</strong> hätte sein können.<br />

Nichts – er war verschwunden. Der Polizeichef blies abermals in seine Trillerpfeife,<br />

damit <strong>Buddy</strong> kehrtmachte. Mindi und Lenny, die kleine Stubenfliege,<br />

liefen auf und ab, schockiert, dass <strong>Buddy</strong> einfach so davongeflogen war. Mama-Spatz<br />

liefen die Tränen über die Wangen, nicht weil die Sonne sie blendete,<br />

sondern aus Sorge um ihren <strong>Buddy</strong>, ihren kleinen Spatz.<br />

<strong>Buddy</strong> hatte von dem Moment an nicht mehr auf das Gespräch zwischen seiner<br />

Mutter und dem Polizeichef geachtet, als Mama-Spatz auf die Diebin ge-<br />

17


deutet hatte. Eigentlich hatte er nur auf Höhe des Turms fliegen wollen, aber<br />

dann war er doch noch ein Stückchen höher geflogen. Die schwarz-weiße Elster<br />

schien nur wenige Meter entfernt zu sein. Doch <strong>Buddy</strong> machte einen verhängnisvollen<br />

Fehler, er schaute nach unten. Er war viel höher, als er jemals<br />

zuvor geflogen war!<br />

<strong>Buddy</strong> erschrak fürchterlich. Die Sonne blendete<br />

ihn, der Wind war stärker dort oben und<br />

warf ihn von links nach rechts. So wurde es<br />

immer anstrengender, das Gleichgewicht zu<br />

18


halten. Zudem hatte er vollständig die Orientierung verloren und auch die<br />

Elster war längst verschwunden. Alles war irgendwie schiefgelaufen und jetzt<br />

hing <strong>Buddy</strong> völlig verängstigt irgendwo in der Luft.<br />

Da schoss auf einmal ein Spatz an ihm vorbei, dann ein zweiter, dritter und<br />

vierter. Alle waren sie unglaublich schnell, fast 60 Stundenkilometer, dachte<br />

<strong>Buddy</strong>. „60 Stundenkilometer? Natürlich, das muss die Schnellflugbahn<br />

sein!<strong>“</strong>, schrie <strong>Buddy</strong>. „Ich muss auf die Flugbahn, die benutzt Papa auch immer,<br />

und dann wird er mich finden.<strong>“</strong> Fest entschlossen rückte <strong>Buddy</strong> noch<br />

einmal seine lederne Fliegerbrille zurecht und begab sich dann mit heftigem<br />

Flügelschlag in den Luftstrom.<br />

Der Luftzug war stärker als gedacht und <strong>Buddy</strong> wurde mitgerissen. Immer<br />

wieder versuchte er seine Bewegungen der Geschwindigkeit anzupassen,<br />

19


schlug dabei mit den Flügeln, so heftig er konnte. Irgendwann war er fürchterlich<br />

erschöpft und wurde immer langsamer, bis er sich schließlich nur noch<br />

treiben ließ. Und das war wohl auch die Lösung – auf der Flugbahn musste<br />

man sich einfach nur dem Luftstrom anpassen und dahingleiten.<br />

Jetzt, da er den Dreh beim Fliegen<br />

raushatte, konnte er wieder mehr auf<br />

sein Umfeld achten. „Okay, okay, okay, sehr gut. Ich fliege auf der Schnellflugbahn.<br />

Oh ja, die Schnellflugbahn! Wenn ich das dem alten Rabe Ronte erzähle!<strong>“</strong><br />

<strong>Buddy</strong> musste bei dem Gedanken an die staunenden Gesichter zu Hause<br />

grinsen – niemals würden sie ihm glauben, was er erlebt hatte! Dass er ganz<br />

alleine auf dieser riesigen Schnellflugbahn unterwegs gewesen war. Während<br />

er sich ausmalte, wem er alles von seinem Abenteuer erzählen würde, stellte er<br />

mit Schrecken fest, wie riesig die Flugbahn eigentlich war. Jeweils vier Bahnen<br />

in beide Richtungen, in der Mitte durch rot leuchtende Lichter getrennt, und<br />

alle zwei Minuten eine Ausflugmöglichkeit. Papa-Spatz würde ihn hier nie<br />

finden, das wurde <strong>Buddy</strong> langsam immer klarer. Vielleicht war das mit der<br />

Flugbahn doch nicht die beste Idee gewesen? Vielleicht war er schon längst<br />

außerhalb des Bezirks oder der Stadt oder gar des Landes?<br />

20


<strong>Buddy</strong> brach der Angstschweiß aus. Weg! Er musste hier weg, und zwar<br />

schnell. Sein kleiner Körper bebte vor Angst und er spürte, wie eine Schweißperle<br />

nach der anderen über seine Stirn rann. Zum Glück hielt seine Brille den<br />

Schweiß davon ab, in seine Augen zu kullern. Hatte er es doch gewusst – die<br />

Fliegerbrille war notwendig, dachte <strong>Buddy</strong>. So<br />

oft wurde er wegen der viel zu großen Brille<br />

mit Lederband auf seinem Kopf ausgelacht.<br />

Unnötig sei sie und obendrein<br />

total lächerlich, hatten viele<br />

behauptet, diese Brille, die<br />

<strong>Buddy</strong> trug, seit er Alleinflüge<br />

machen durfte. Niemand hatte<br />

gewusst, wie wichtig diese Brille für ihn war.<br />

Der Gedanke an die blöden Bemerkungen machte<br />

<strong>Buddy</strong> unendlich wütend. „Nein, denen werde<br />

ich es zeigen, ich habe keine Angst!<strong>“</strong>, schrie er<br />

todesmutig ins Nichts und schoss beim nächsten<br />

Ausflug einfach raus. Das große eiserne Schild,<br />

das von einer Wolke getragen über der Abzweigung<br />

prangte, sah er nicht. Es trug die Aufschrift<br />

„Ausflug 8 Richtung Bahnhof<strong>“</strong>.<br />

21

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