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Heike Ellwanger<br />
<strong>Charity</strong><br />
einfach anders leben<br />
<strong>statt</strong> tt<br />
Südafrika<br />
<strong>Boyfriend</strong><br />
einfach anders lieben
2<br />
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:<br />
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;<br />
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.<br />
Für Fragen und Anregungen:<br />
info@heike-ellwanger.de<br />
2. Auflage 2016<br />
„<strong>Charity</strong> <strong>statt</strong> <strong>Boyfriend</strong> – einfach anders leben, einfach anders lieben“<br />
© Heike Ellwanger, Selbstverlag<br />
Rüderner Str. 37, 73733 Esslingen<br />
Das Werk einschließlich aller Inhalte ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten.<br />
Nachdruck oder Reproduktion (auch auszugsweise) in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie<br />
oder anderes Verfahren) sowie die Einspeicherung, Verarbeitung, Vervielfältigung und<br />
Verbreitung mit Hilfe elektronischer Systeme jeglicher Art, gesamt oder auszugsweise, ist<br />
ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung des Verlages untersagt. Alle Übersetzungsrechte<br />
vorbehalten. Die Namen der Protagonisten wurden teilweise verändert.<br />
Autor: Heike Ellwanger<br />
Co-Autor: Philipp Hagebölling<br />
Mitwirkende: Claudia Mohr, Jana Krecker, Marlene Schmitz<br />
Layout & Gestaltung: Scott Delitzsch<br />
Lektorat: Gerhard Schmitz<br />
Fotos: Heike Ellwanger, Philipp Hagebölling, Patrick Canny (Luftaufnahme),<br />
Ines Rehberger (Titelportait)<br />
Illustration: www.depositphots.com, www.colourbox.de<br />
Druck: WIRmachenDRUCK GmbH, Mühlbachstr. 7, 71522 Backnang,<br />
www.wir-machen-druck.de<br />
Printed in Germany<br />
ISBN 978–3-00–053804-9<br />
Weitere Informationen zur Autorin, der Organisation und dem Buch:<br />
www.heike-ellwanger.de<br />
www.caresharesmile.org<br />
www.ellwanger-foundation.com
4<br />
Heike Ellwanger<br />
Entwicklungshelferin<br />
Keynote Speaker<br />
Autor<br />
www.heike-ellwanger.de<br />
Zur Person:<br />
Heike Ellwanger, gelernte Diplomkauffrau, ist Gründerin der gemeinnützigen<br />
Organisation „Care&Share&Smile e.V.“ sowie der „Heike Ellwanger Stiftung“.<br />
Als Entwicklungshelferin und Initiatorin für effektive Gesundheits- und Ernährungsprojekte<br />
in den Townships Südafrikas fördert sie zudem neue und bestehende<br />
Projekte im Bereich Bildung, Talent, Sport und Musik.<br />
Sie war über 20 Jahre als leidenschaftliche, erfolgreiche Fotografin tätig und hält<br />
Vorträge über Change-Management und moderne Sabbaticals.
5<br />
Zum Inhalt<br />
Durch ein verlockendes Jobangebot, einem<br />
Schicksalsschlag und dem richtigen Timing zieht Heike<br />
Ellwanger nach 20 Jahren Ehe, Beruf und Alltag einen<br />
Schlussstrich und stürzt sich in ein unvorhersehbares<br />
und spannendes Abenteuer in<br />
Südafrika.<br />
Ehrlich, witzig und selbstironisch schildert sie<br />
ihren Lebensweg aus einem gehobenen Lifestyle zur<br />
Entwicklungshelferin in einem südafrikanischen<br />
Township.<br />
Dabei vermittelt sie einen dokumentarischen Einblick<br />
über eine Auszeit auf unbestimmte Dauer und die<br />
faszinierenden Begegnungen in einer<br />
kulturell bunten Community.<br />
Bei diesem Wagnis motiviert sie ihren Ziehsohn Philipp<br />
zu einem sinnerfüllteren Leben und berichtet<br />
über ein generationsübergreifendes Joint Venture<br />
der <strong>Charity</strong> und der Suche nach Glück und<br />
Herzlichkeit.<br />
Mit einem persönlichen Erzählstil, in kuriosen und<br />
berührenden wie auch nachdenklichen Geschichten<br />
erklärt sie das Erlebte zu einer motivierenden Botschaft<br />
– und wofür sich der Mut zur Veränderung lohnt. Denn:<br />
Glück verdoppelt sich, in dem man es teilt.<br />
Erleben Sie einen inspirierenden und mutigen Weg,<br />
anders zu leben – und anders zu lieben.
7<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Teil 1: Reise<br />
„un seul voyage va changer le cours d ‘une vie”<br />
(eine einfache Reise kann den Lauf des Lebens verändern)<br />
1. Kapitel Himmel und „Hölle“ in Afrika<br />
2. Kapitel „Aussichtslos“<br />
3. Kapitel „Back to the roots“<br />
4. Kapitel Himmel und „Höhe“ über Afrika<br />
Seite 9<br />
Seite 16<br />
Seite 29<br />
Seite 37<br />
Teil 2: <strong>Charity</strong><br />
„Wende dein Gesicht der Sonne zu, dann fallen<br />
die Schatten hinter dich “<br />
(südafrikanisches Sprichwort)<br />
5. Kapitel Heike „goes“ <strong>Charity</strong><br />
6.1 Kapitel Herz an Kopf<br />
„positives Arbeiten mit positiven Multiplikationseffekt“<br />
6.2 Kapitel All for <strong>Charity</strong><br />
„Mittendrin <strong>statt</strong> nur dabei“<br />
7.1 Kapitel „Wende dein Gesicht der Sonne zu,<br />
dann fallen die Schatten hinter dich“<br />
7.2 Kapitel My growing mission<br />
8. Kapitel Mission possible<br />
9. Kapitel Phil‘s Story<br />
10.1 Kapitel Wir ziehen das gemeinsam durch!<br />
10.2 Kapitel Das richtige Timing<br />
11. Kapitel „Proudly Southafrican“<br />
12. Kapitel Das Vor- und Danach-Wort<br />
„Making of“ & Danke & Ausblick<br />
Seite 60<br />
Seite 104<br />
Seite 130<br />
Seite 144<br />
Seite 149<br />
Seite 198<br />
Seite 204<br />
Seite 226<br />
Seite 234<br />
Seite 242<br />
Seite 292
8
18<br />
Ehrlich gesagt, hatte ich mir während meiner Ehe überhaupt keine Gedanken über<br />
irgendwelche neuen Ehe-Modelle gemacht. Es ist wie verhext. Heutzutage unterliegt<br />
alles einer 20-jährigen Verfallszeit. Wie nach dem bekannten Spruch: Verliebt, verlobt,<br />
verheiratet und geschieden. Das ist in unserer Gesellschaft normal geworden. Wir<br />
gewöhnen uns langsam daran, hören es nur zu oft aus unserem Bekanntenkreis.<br />
Alles was so schön begonnen hatte: Eine glückliche kleine Familie, die miteinander<br />
durch Dick und Dünn gegangen ist, und das mit einem Partner, den man besser kennt<br />
als irgendeinen anderen, unterliegt nun einer 20-jährigen Verfallszeit – oder ist das<br />
richtige Wort „Auszeit“? Könnte das ein neues Modell oder eine Chance für die<br />
Wiederaufnahme der Ehe sein? Wie eine Weiterführung nach einem Sabbatical? Firmen<br />
nutzen dies bereits und bieten Sabbaticals für ihre Arbeitnehmer an. Eine Auszeit<br />
vom Beruf, raus aus der täglichen Tretmühle, um neue Kraft zu tanken, den eigenen<br />
Horizont zu erweitern und erfrischt zurückzukehren.<br />
Passende Angebote für eine berufliche Auszeit findet man weltweit im Ehrenamt<br />
oder mit einem Travel & Work-Aufenthalt in einem Land mit neuer Kultur und neuer<br />
Lebensweise. Nur wer etwas Neues wagt, erkennt sein noch schlummerndes Potential.<br />
Hallo, wach auf!<br />
Auszeit von der Ehe – für diesen Fall gilt: Ist man erst einmal raus, dann sind in der<br />
heutigen Zeit die Verführungen bereits mit uns und den Jahren gewachsen.<br />
Die Auszeit-Ersatz-Liebe wird im Internet fündig. Klick und weg oder Klick, klick,<br />
klick, denn zehn Mal Bestätigung einheimsen ist besser als nur ein Mal. Quantität lässt<br />
dich zum unwiderstehlichen Subjekt der Begierde werden. Ich sehe diese Portale eher<br />
als Shopping-Portale für unerreichbare Wünsche und Begierden. Das Wagnis hält sich in<br />
Grenzen, denn wagt Mann/Frau den einfachen Klick in den Warenkorb, ist er/sie nach<br />
zwei Wochen noch in der Gewährleistung und kann sich einfach verstecken und das<br />
Objekt zurückgeben. Und so zieht das Dating-Roulette unendliche Kreise.<br />
Klick, klick!<br />
All diese neuen Möglichkeiten, die sich jedem bieten, schreien nach Stillstand im<br />
Alltagsroulette oder einem Ausbruch. „Ich will raus!“ Wenn alles in Bewegung ist,<br />
bewegt sich was und jeder muss es für sich nutzen. Als Fazit kann die Auszeit somit<br />
gesehen werden:<br />
als Chance für einen Neuanfang<br />
oder die Erkenntnis:<br />
Das Neue ist der Anfang.
19<br />
Jetzt war die Zeit gekommen, etwas in mir aufzuwecken. Mmmh, da war doch was.<br />
Eine Leidenschaft schlummerte schon jahrelang tief in mir, ich hatte sie nur vergessen.<br />
Sie kam immer dann zum Vorschein, wenn es auf einer gemeinsamen Reise in fremde<br />
Länder ging. Ich hatte daraus immer eine Fotoexpedition machen wollen. Dieses „andere<br />
Leben“ in den unterschiedlichsten Standards und Kulturen zu dokumentieren, mit dem<br />
Wunsch, für ein gesamtweltliches Verständnis zu sorgen. Tonnen an Bildmaterial und<br />
später GB-Dateien sind lebenslange Zeugen und erinnern an tolle Momente, die bei<br />
Ausstellungen dankbar darauf warten, entdeckt zu werden. Denn immerhin<br />
waren es zwei Jahrzehnte, die ich meinen Mann in „ärmere“ Länder<br />
gezerrt hatte, in deren Schulen, auf abgelegene, nicht touristische<br />
Pfade, in die Slums und auf die Märkte der Einheimischen, um<br />
diese Orte mit einer Fotoreportage zu dokumentieren. Auch<br />
40 Grad und gefühlte 100 Prozent Luftfeuchtigkeit waren kein<br />
Problem, wenn ich die Menschen zusammen mit meiner Kamera<br />
aus ihrem begrenzten Dasein befreien und sie bereichern konnte,<br />
denn sofort war der große Spaß für jeden garantiert. Glückliche Gesichter erwarteten<br />
mich auch, wenn ich wie ein Ball von Haus zu Haus sprang. Mein Strahlen und meine<br />
Offenheit wirkten magisch anziehend. Mit leuchtenden Augen folgten diese Menschen<br />
sogleich meinem Lachen, wo immer ich mich befand.<br />
„Hello, white lady“, klingt es noch heute in meinem Ohr. In Brasilien sah ich mich,<br />
wie in einem Kindheitstraum, als Winnetou vornewegreiten. Nicht ganz so majestätisch,<br />
ich glich eher einem Clown, der mit vollem Körpereinsatz kommunizierend durch die<br />
kleinen Dörfer balancierte, schwer bepackt mit meiner Kameraausrüstung. Dorthin kam<br />
ich ein halbes Jahr später wieder zurück, um die Fotos zu übergeben und zusammen<br />
mit Paolo, einem brasilianischen Arzt, etwas aufzubauen. In einem armen Fischerdorf<br />
weit außerhalb einer größeren Stadt wollten wir eine kleine Krankenstation aus<strong>statt</strong>en<br />
und Paolo für eine bessere medizinische Versorgung sorgen. In der Nähe von Olinda<br />
bin ich damals auf Umwegen mit einem Dorf in Kontakt getreten, das mich stark<br />
geprägt hat. Die Kinder liefen barfuß umher, hatten kaum was anzuziehen, und fast<br />
jeder, der mir begegnete, sah kränklich aus. Mein damaliger Guide war der medizinisch<br />
ausgebildete Paolo. Er erklärte mir, das habe offensichtlich damit zu tun, dass sie sich<br />
am Meer angesiedelt hatten und stolze Fischer waren. Gemüse wurde verachtet. Es gab<br />
Fisch zum Frühstück, Fisch zu Mittag und wieder Fisch zum Abendessen. Das führte zu<br />
Mangelerscheinungen.<br />
Beim Besuch des Dorfes begegneten wir einem Mädchen, an das ich mich noch besonders<br />
gut erinnere. Dieses Bild wird mir wahrscheinlich ewig in Erinnerung bleiben. Mit ihren<br />
knapp sieben Jahren lief sie allein herum und ich merkte, dass mit ihr etwas nicht<br />
stimmte. Was war das auf ihrem Kopf? Nein, konnte das sein?
20<br />
Sie lief mit einem offenen Kopf herum, wo sich die Maden schon von der großen Wunde<br />
ernährten! Waaaaas!!! Man erzählte mir wie nebenbei, dass ihr eine Kokosnuss auf den<br />
Kopf gefallen war. Das Ganze hatte sich so böse entzündet und keiner tat etwas! Mit<br />
offenem Kopf schlief sie abends weiter auf ihren Bananenblättern und ihr Schicksal<br />
wurde einfach so hingenommen. Doch nicht ich, so etwas kann ich nicht akzeptieren.<br />
Zwanzig Minuten später waren wir in einer sehr einfachen Krankenstation und sie<br />
bekam eine erste Notversorgung. Sehr notdürftig, da es an Desinfektion fehlte und<br />
so ziemlich alles an Medikamenten. Wir vergessen oft, wie glücklich wir uns schätzen<br />
dürfen. Es gibt jede Menge Menschen auf dieser Welt, die diesen Luxus nicht kennen.<br />
Schon damals pflanzte sich bei mir die Idee ein, die Menschen dort besser zu versorgen.<br />
Paolo und ich hatten sofort dieselbe Eingebung, eine Krankenstation dort aufzubauen.<br />
Für dieses Projekt bin ich dann auch dorthin zurückgeflogen, aber leider erwarteten<br />
mich vor Ort zu dieser Zeit projektverhindernde Umstände. Paolo fühlte sich bereits<br />
sehr schlecht und starb bald darauf an einer Kombination von Leukämie und HIV. Ich<br />
reiste wieder ab. Was blieb, war tiefe Traurigkeit und das ungute Gefühl, unter mit<br />
Kokosnüssen behangenen Palmen zu gehen.<br />
Man kann sich fragen, warum ich jedes mal auf unseren Reisen in fremde Länder immer<br />
die örtlichen Schulen besucht habe. Mich hat schon immer der Schulstandard in<br />
anderen Ländern interessiert. Ich wollte wissen, wie die Kinder dort lernen. Was ist der<br />
Unterschied zu Deutschland? Wie hoch ist das Bildungsniveau? Fragen, die mich dazu<br />
geführt haben, auf jeder meiner Reisen in die Welt Schulen zu besuchen. Trotz armer<br />
Umgebung sehe ich alle Kinder in Schulkleidung. Man könnte meinen, dass Bildung von<br />
der Kleidung abhängt. Dies sagt aber noch lange nichts aus über die bereitgestellten
21<br />
Lernmittel und das Ausbildungsniveau der Lehrer. Ich sehe immer wieder, mit wie viel<br />
Stolz die Kinder in der Schule sind und es lieben zu lernen. Diszipliniert und stolz<br />
zeigen sie ihre Hefte. Ich freue mich über dieses Potential, das einer armen Umgebung<br />
die Aussichtslosigkeit der Zukunft nimmt. Dieses Potential darf nie verpuffen, es<br />
sollte allen Kindern möglich sein, Bildung zu erwerben. Diese Garantie existiert in<br />
vielen Ländern nur auf dem Papier. Es bleibt ein Mangel an qualifizierten Lehrern<br />
und an Schulmaterialien. Die kurzen Besuche in den Schulen wurden immer gekrönt<br />
durch unsere mitgebrachten Geschenke, wie zum Beispiel Hefte, Stifte, Bücher. An ein<br />
besonders schönes Erlebnis erinnere ich mich gerne. Zum Dank für unseren Besuch in<br />
einer Schule auf Jamaica und die mitgebrachten Schulhefte und Stifte wurde mir von<br />
den Kindern ein Ständchen gesungen. Lauthals und dabei alles in Bewegung, glich<br />
es einer lustigen Performance. Die Kids streckten ihre Arme weit aus, flatterten wild<br />
drauflos. Mit diesem tollen Andenken wurde das Butterflylied zu meinem liebsten<br />
Lebenssymbol.<br />
Ich sah mich schon fliegen<br />
- in die bunte Welt –<br />
als Schmetterling<br />
– wie es mir gefällt.<br />
Danach wollten wir die Klasse zum Eisessen einladen. Auf diese spontane Idee brachte<br />
mich ein kleiner Eisstand vor der Schule, den ich aber etwas überschätzt hatte. Denn<br />
die Aktion verbreitete sich an der ganzen Schule wie ein Lauffeuer, und plötzlich<br />
standen alle Schüler Schlange. Nun mussten wir noch andere örtliche Eis-Anbieter<br />
suchen und anfragen, und dann hieß es: „Ice for everybody!“<br />
Es reizte mich, neue Pfade zu entdecken, wo nicht bereits ein Trampelpfad der<br />
Touristen vorhanden war. Ich hatte Durst, noch mehr über die Menschen, ihr Leben<br />
und ihre Kultur zu lernen. Wir besuchten Gebiete, die selbst die Taxifahrer, die mich<br />
fahren sollten, verweigerten. Sie waren der festen Überzeugung, man werde dort sofort<br />
erschossen. Ich schaffte es immer, vor Ort Verbündete zu finden, die für unseren Schutz<br />
sorgten. Nichts hielt mich auf, egal wie gefährlich, dreckig oder krankheitsbetroffen<br />
die Gegend war – für mich war– und ist – das wie eine Jagd nach der unverblümten<br />
Wahrheit. Irgendwie glich es dem Job eines Paparazzo. Tatsächlich füllte die Jagd nach<br />
Stars und Sternchen nur eine kurze Zeitspanne in meinem Fotografenleben aus, als<br />
ich für die Presse arbeitete. Oftmals gefährliche Situationen und unwegsames Gelände
43<br />
Zu früh beginnt mein nächster Arbeitstag und ich beginne<br />
mein offizielles Foto-Storyboard abzuarbeiten.<br />
Heute besuchen wir Krankenhäuser. Bereits in Weiß<br />
gekleidet, folge ich den mit weißen Ärztejacken ausge<strong>statt</strong>eten<br />
Gruppen durch sterile weiße Gänge. Alles<br />
wirkt sehr sauber und stellt wiederum einen starken<br />
Kontrast zu dem Lebensstandard draußen dar. Die vielen<br />
Eindrücke halten mich nach wie vor gefangen. Am<br />
späten Nachmittag gibt es ein weiteres überraschendes<br />
Ereignis, denn Daniel schlägt nach der Arbeit spontan<br />
eine Safari in einem privaten Game Reserve vor, als<br />
Selbstfahrer.<br />
(Safari = Das Wort Game Drive kommt aus dem Englischen, wobei der<br />
Begriff Game für Wildtiere steht und von der Pirschfahrt die Rede ist.)<br />
Unvorbereitet, immer noch Weiß gekleidet, lasse ich mir auch diese Erfahrung nicht<br />
entgehen. Fettnäpfchen! Wie kann ich auch ohne Safari-Kleidung nach Afrika reisen!<br />
Auf diesen Game-Park-Besuch, der mein allererster war, führt das sicher zur Belustigung.<br />
Daniel fährt uns in einen Park, bezahlt das „Alleinfahren“ und „Man(n)“ fühlt<br />
sich auch wie allein, denn wir fahren und fahren und fahren, holprig und irgendwie<br />
nach kurzer Zeit etwas öde. Ja, ich langweile mich wirklich. Daniel liebt es, auf der<br />
Pirsch zu sein. „Aber wo sind die Tiere?“ Achso, mein weißes Outfit vertreibt sie, denke<br />
ich mir irgendwann. Da taucht plötzlich eine Giraffenherde mit Jungtieren auf. Wir<br />
sind ganz dicht dran. Sie zupfen mit ihren großen Lippen das letzte Grün von einem<br />
Busch. Ein kleines Giraffenbaby versteckt sich darin. Schade, aber wir müssen weiter.<br />
Der Nachmittag verschwindet schnell in der Dunkelheit, und so wird meine Aufmerksamkeit<br />
auf die sich bereits verändernde Beleuchtung der Landschaft gezogen. Beim<br />
Sonnenuntergang färbt sich der Himmel über Afrika in ein wundervolles Licht. Ein<br />
leuchtendes Orange und alle Facetten von Rot faszinieren mich zutiefst. Jetzt kommt<br />
wieder meine fotografische Lust an die Oberfläche, um etwas Luft zu schnappen. Und<br />
schnell wird es dunkel. Der Himmel brennt kurz blutrot wie Feuer auf und legt sich<br />
danach schlafen! Eine Minute später ist es stockdunkel.
50<br />
Auf der fast 100 qkm großen Fläche wohnen offiziell rund eine Million, inoffiziell<br />
jedoch mehr als drei Millionen Menschen. Ein staatliches Wohnungsbauprogramm<br />
sorgte hier für Hunderttausende von einfachen 2-Zimmer-Häusern. Trotzdem<br />
breiten sich illegale ’Squatter-Quartiere‘ weiter drum herum aus. Aber Soweto ist<br />
heute kein mit Wellblechhütten vollgestopftes Elendsareal mehr. Nach der Wende<br />
in Südafrika wurde dieser Teil der Stadt weitgehend saniert und Soweto floriert<br />
mit modernen Krankenhäusern, Schulen und sogar Shopping-Zentren. Das einstige<br />
Haus von Nelson Mandela befindet sich auch in dieser Lage. Trotz drastischer Verbesserung<br />
ist in Soweto die große Armut in Südafrika zu spüren wie auch der mangelnde,<br />
menschenunwürdige Wohnraum. Viele der Wohnungssuchenden kommen<br />
von außerhalb der Grenzen Südafrikas, wie zum Beispiel Zimbabwe und Nigeria.<br />
www.suedafrika.net/reisefuehrer/reiseziel-suedafrika-nordost/johannesburg/soweto.html<br />
Mitten in dem Township bleibt mein Blick an einem Gebäude hängen, das im Vergleich<br />
zu den Blechhütten einen hohen baulichen Standard zeigt. Völlig überraschend stellt<br />
es sich als eine Schule heraus. Ich springe aus dem Taxi, die Kamera fest im Griff,<br />
und laufe juchzend an den Zaun. Eine Horde jubelnder Kinder hat meinen blonden Zopf<br />
schon längst entdeckt, und ich rufe ihnen entgegen: „Hello, hello, kiddis!“<br />
Sie rennen alle auf einmal zu mir an den Zaun, strecken ihre Hände durch,<br />
um mich zu erhaschen. Ihre unbändige Neugierde und ein Strahlen voller<br />
Power überwältigt mich und meine Kamera. Das muss verewigt werden...<br />
... Shot!
81<br />
2. Projekt: Community/Vorschule und Kindergarten<br />
„Wonderland“<br />
Bereits zwei Wochen wechselten wir zwischen den Projekten in der Knysna-Township<br />
und den Elefanten außerhalb von Knysna. Drei Vorschulen, die alle nicht unterschiedlicher<br />
sein konnten, kosteten uns Volontäre viel Schweiß und Energie, brachten uns<br />
aber auch viele glückliche Momente. Wie schon die eine Schule mit dem tollen Namen<br />
„Wonderland“ versprach, reizte es uns Volontäre täglich, über uns hinauszuwachsen,<br />
um den Kindern Freude und Wissen zu schenken.<br />
Thandiwe, eine kugelrunde, immer lachende Lehrerin vom Stamm der Xhosa, hatte diese<br />
Vorschule mit Kindergarten gegründet, ihr fleißiger Mann hatte sie gebaut, und sie<br />
hatte dann das Glück, von einer örtlichen Organisation (NGO) gefördert zu werden. Wir<br />
Volontäre waren nur da, um die Lehrer zu entlasten und neuen Input zu bringen. So<br />
auch das kreative Erlebnis mit Elefantenmasken. Unser Kombi-Volontariat mit Sozialund<br />
Wildlife-Programmen führte zu der Idee, den Kindern mehr über Naturschutz nahezubringen.<br />
Wir gestalteten eine spaßige Unterrichtsstunde, die Informationen über die<br />
sanften Riesen vermittelte. Ziel war es, die Kids präventiv zu belehren und gleichzeitig<br />
zu animieren, das Wissen mit anderen in der Community und daheim zu teilen.<br />
Es wäre schön, wenn wir dadurch vielleicht den schrecklichen Werdegang eines Kindes<br />
zum illegalen Elfenbein-Wilderer verhindern könnten. Volontäre haben sich<br />
schließlich für eine große Aufgabe entschieden – Belehrung, Aufklärung, Hilfe und die<br />
Förderung von Gemeinsinn.
104<br />
Kapitel<br />
6.1<br />
Herz an Kopf<br />
„Positives Arbeiten mit<br />
positivem Multiplikationseffekt“<br />
Meine bisherigen Erfahrungen in der Volontärsorganisation ebneten den Drang, eigene,<br />
effizientere Projekte zu verwirklichen. Ich vermutete, dass der Volontourismus<br />
auch nur ein Geschäft ist. Ohne dies großartig werten zu wollen, ging mir einfach nicht<br />
in den Kopf, was manche Pseudoprojekte von Volontärs-Organisationen mit Entwicklungshilfe<br />
zu tun haben. Auch aus pädagogischer Sicht bin ich hin- und hergerissen,<br />
den Wirkungsgrad der Unterrichtsstunden zu erkennen. Reicht es aus, bloß eine gewisse<br />
Motivation mitzubringen ohne jegliche Erfahrung? Hierfür nicht ausgebildete<br />
Volontäre Anfang zwanzig versuchen der großen Menge an Kindern auf Englisch etwas<br />
beizubringen. Leider können die Kinder in den Vorschulen nichts verstehen. Sie sprechen<br />
noch kein Englisch. Sie lernen es erst gegen Ende der Grundschulzeit. Die Kinder<br />
gehen sofort eine innige Beziehung mit den Volontären ein. Problematisch sind die<br />
meist zu kurzen Zeiträume des gebuchten Volontariats. Schrecklich ist es für sie, jedes<br />
Mal wieder verlassen zu werden. Irgendwie war der Entertainmentfaktor dem pädagogischen<br />
Wirken überlegen. Ich fragte mich, wem hiermit eigentlich geholfen wird. Ich<br />
hatte durchaus das Gefühl, dass einige Projekte nur dem Zeitvertreib der Volontäre<br />
dienten.<br />
Natürlich waren es nicht alle! Und ich bin auch voller Lob, was das Engagement der Volontäre,<br />
so wie ich sie erlebt habe, betrifft. Mich erfüllte das nur bedingt. Ich wünschte<br />
mir, nachhaltigere Ergebnisse für die Projekte erzielen zu können. Es fehlen wichtige<br />
Ressourcen, wie Essen, Lern- und Bastelmaterial, Möbel, Büroequipment etc. Wird eine
105<br />
Schule betrieben, fallen dauernde Kosten an für die Instandhaltung und Unterrichtsmaterial.<br />
Ich finde einige Sachen einfach nicht ausgereift und zu Ende gedacht. Den<br />
gleichen Eindruck hatte ich in den Wildlife-Projekten. Ehrlich gesagt, wollte ich obendrein<br />
Größeres bewegen als Elefantenmist.<br />
The kind of volunteering you do should depend on<br />
your skills and qualifications, not what just you’d<br />
like to do. Instead, offer to help local organizations<br />
with skills you actually have. If you have web skills,<br />
offer to build an NGO a website. If you’re a qualified<br />
bookkeeper, help a business with admin tasks. And then, for the work you’re unqualified<br />
for, donate money to employ local, skilled workers to complete what you<br />
can’t do yourself. This supports local business while ensuring that jobs are done<br />
correctly.<br />
www.matadornetwork.com<br />
So hielt ich stetig meine Augen und Ohren offen für neue interessante Projekte. Man<br />
konnte ja bestehende Projekte unterstützen, die die Community-Bewohner bereits<br />
ehrenamtlich anboten. Einzelne, überwiegend Frauen, engagieren sich für ihre Mitmenschen<br />
mit diversen Angeboten: Workshops, Altenpflege, Kinderbetreuung, oder<br />
Suppenküchen, Vorschulen, Freizeitkurse. Ich war fest entschlossen mitzuhelfen, bestehende<br />
Projekte wirkungsvoll und nachhaltig zu fördern. Ich wusste, dass ich das<br />
Rad nicht neu erfinden musste, und hörte bereits hier und da von bemerkenswerten<br />
Menschen, die, wie Maggi, seit langer Zeit aktiv sind und im Kleinen Großes erreichten.<br />
Diese wollte ich finden.<br />
Ebenso quälte mich unentwegt ein Gedanke: Ich wollte einfach wissen,<br />
was hinter diesem typischen South African Smile steckt.<br />
Täglich passieren hier für mich unverständliche, krasse und kuriose<br />
Geschichten. Wie soll ich diese einschätzen? Ich stecke hier in einer<br />
völlig anderen Wertewelt wie auch anderen Lebensweise und verarbeite<br />
stündlich neuen Stoff in meine deutsche Denkweise. Aber man darf sich von diesem<br />
Smile nicht irreleiten lassen. Mein ungeduldiges Ich wollte nicht kapieren, dass man<br />
eine Kultur und ein ganzes Land niemals innerhalb weniger Wochen verstehen kann.<br />
Selbstironisch zur ernannten Retterin gekürt, konnte auch ich mich nicht innerhalb<br />
der kurzen Zeit allein für eine bessere Welt einsetzen. Wie sollte ich allein auf mich<br />
gestellt die Situation von allen, denen ich begegne, verändern. Verrenne ich mich<br />
bereits gedanklich darin? Wie ein Pitbull biss ich mich daran fest, in der Community<br />
Fuß zu fassen.
168<br />
Maggi ist auf ihren Bildern ganz in ihrem Element – einmal als Lehrerin, dann wieder<br />
als Businessfrau, Community-Engel oder bei ihrem Fußballteam. Levy, Zebi und<br />
Bella bestaunen das Buch nicht nur mit den Augen, sondern mit dem ganzen Körper,<br />
und beinahe erdrücken sie Maggi, als sie sich über ihre Schulter lehnen. Es wird wild<br />
kommentiert, und schon holt Bella das Fotobuch, das ich Sista Kerry gestern Abend<br />
mitgebracht habe, aus dem Haus. Stolz zeigt sie Maggi die Bilder von sich am Strand.<br />
Ihre Brüder versuchen ihr das Fotobuch aus der Hand zu reißen, um auf ihre Bilder<br />
zu lenken. Sämtliche Finger verbiegen sich auf den jeweiligen Fotos. Ich habe Angst<br />
um das schöne Buch. Aber gleichzeitig ist es schön zu sehen, wie sich eine besondere<br />
Freude bemerkbar macht. Diese Menschen, die in ihrer großen Township oftmals nicht<br />
wahrgenommen werden, sind überwältigt von dem Erlebnis, in einem Buch abgebildet<br />
zu sein.<br />
Nun stehe ich auf dem Rasta-Festival inmitten von Dreadlocks,<br />
die bis auf den Boden reichen, und komme mir vor wie<br />
eine Schauspielerin im falschen Film. Ein komisches Gefühl<br />
überkommt mich, denn ich fühle mich hier nicht zugehörig. Ich<br />
schaue mich verwundert um und bin erst mal überwältigt von<br />
den vielen langen Haarprachten, die hier herumlaufen. Haarspülung<br />
hätte hier nicht mehr viel geholfen, denn manche Dreadlocks vereinigen sich zu<br />
einem verfilzten Strang, der bis zum Boden reicht. Hier ist vom Kleidungsstil her alles<br />
vertreten – der eine mit ganz normalem Pulli und ein anderer mit Pappe um sich herum<br />
bekleidet, um dem Erfrieren entgegenzuwirken. Ich sehe mich weiter um. Eine Reggae-<br />
Band sorgt für das nötige Ohrenvergnügen mit Bob Marley-Songs. Hihi, kurios. Ich<br />
entdecke auch Touristen und wundere mich. Alle suchen nach dem besten Marihuana,<br />
das sie in ihre geliebten Welten begleiten soll. Und welch eine riesige Auswahl es davon<br />
hier gibt! Die komplette Grundversorgung findet sich in Tütchen. Es ist schon ein<br />
lustiger Anblick: Der leicht süße Geruch von Joints liegt wie ein Schleier in der Luft.<br />
Eine entspannte Hülle bietet das Ganze hier. Meiner Meinung nach braucht man nur<br />
einmal tief Luft zu holen und schon packt einen das Gefühl der Schwerelosigkeit. Ich<br />
bin erleichtert, als wir endlich gehen, denn ich lehne jeglichen Konsum von Drogen ab.<br />
Man kann mich hier eine Spielverderberin nennen, aber natürlich akzeptiere ich ihren<br />
Brauch. Dass dieser Brauch hier außerhalb der Community ebenso eine große Tradition<br />
hat, werde ich noch in einigen Haushalten von Downtown Knysna feststellen müssen.<br />
Wir fahren zurück zu Kerry und setzen uns sofort ans Feuer: Aufwärmen, brrrrr, es ist<br />
soooo kalt. Ich wundere mich, wo die Kids bleiben. Just in diesem Moment kommen sie<br />
zu dritt um die Ecke. Sie tragen ein angeknabbertes Servierbrett und stellen es vor mir<br />
auf den Tisch. Und was sehen meine erstaunten Augen? Einen Willkommenskuchen!<br />
Ich glaube nicht, was ich sehe – kreisch, wie geil ist das denn?! –, und umarme sie
alle auf einmal. Insgesamt 24 Muffins schmücken die Umrandung des rechteckigen<br />
Kuchens, der liebevoll mit rosa und weißen Streuseln dekoriert wurde und „Welcome<br />
Sista Hieke” verkündet. Mit dem Aussprechen meines Namens haben sie immer noch<br />
etwas Mühe. Manchmal nimmt mein Name dann die Form von „Heineken“ oder „Heika“<br />
an. Alles kein Problem. Meine Finger sind so kalt, dass ich kein Selfie machen kann,<br />
also bitte ich Maggi darum, und es zeigt mich mit Anorak und Kapuze und den Kids,<br />
wie wir mit eiskalten Händen das Tablett hochhalten. Den ganzen Tag war ich nun<br />
draußen, und es ist lausig kalt und windig, und selbst das Feuer wärmt mich nicht auf.<br />
Ich muss zugeben, ich bin eine deutsche Sissi, oder ich sollte wie die anderen<br />
die herbals (Kräuter wie Marihuana) rauchen. No way! Egal, da muss ich wie<br />
Maggi ohne durch. Ich liebe meine Rasta-Family und freue mich auf eine<br />
tolle Zeit mit ihnen.<br />
169
176<br />
Endlich wieder zurück im Guesthouse, freue ich mich auf eine kreative Arbeit, die nur<br />
ich in der Hand habe. Am Abend bastele ich eine Township-Broschüre am Computer<br />
– schön bunt und mit einem Herz – „Get in touch with the heart of Africa – Township<br />
tours simply different.“ Mein Seelenfrieden ist wiederhergestellt. Kuscheln mit meinen<br />
zwei Wärmflaschen ... endlich wieder im Gästezimmer. Soeben kam noch eine SMS von<br />
Sista Kerry:<br />
„My bed is hot and it’s not a man.“<br />
Die Präsentation im Tourismus-Büro am nächsten Tag macht mich schon etwas<br />
aufgeregt, und ich gehe in Gedanken noch einmal alles durch. Maggi ist pünktlich vor<br />
Ort und wir starten durch. Lara, die uns bereits erwartet, ist von unseren Ideen sofort<br />
mitgerissen. Ich mache innerlich Purzelbäume vor Glück! Maggi hatte zuvor Seminare<br />
besucht, um ein registrierter Tourguide werden zu dürfen, und das machen wir sogleich<br />
offiziell. Leider gibt es in den nächsten Jahren einen Wildwuchs an Touren in die Community,<br />
die meisten sind ungenehmigt und größtenteils bereichern sich die Touranbieter,<br />
denn es ist für sie ein einträgliches Business geworden. Die Community sieht von<br />
diesem Geld nichts. Wir wollen das anders machen. Unsere Einnahmen kommen direkt<br />
den Projekten zugute. Es kann losgehen!<br />
Knysna ist schnell zum Schmelztiegel<br />
meiner Ideen-Verwirklichung<br />
geworden. Hier kann man an jeder<br />
Ecke noch etwas bewegen. Wir sind<br />
wohl die Ersten, die das so machen<br />
wollen. Glücklich verlassen wir Arm<br />
in Arm das Gebäude. Vor lauter Freude<br />
möchte ich am liebsten sofort jedem<br />
Tourist verkünden, dass er mit<br />
uns die ultimative Erfahrung macht.<br />
Das wirkliche Leben‘ findet nicht in<br />
Downtown Knysna <strong>statt</strong>, sondern bei<br />
uns, hoch oben in der Community.
178<br />
Mit derselben Sozialarbeiterin machte ich weitere Touren, um angesichts unserer Handlungen<br />
auch mal ein Erfolgserlebnis zu verspüren. Konnte denn dauerhaft etwas verbessert<br />
werden? Ich bezweifle, dass es für alles amtliche Unterstützung gibt. Wir gehen<br />
zusammen zu einem mir fremden Ort tief unten in der Township. Nähern uns einem<br />
windschiefen Shack. Beim Eintreten merke ich erst, wie winzig es wirklich da drin<br />
ist! Ein sehr alter Mann liegt im Dunkeln auf einer schäbigen Matratze. Er ist krank<br />
und besitzt nur einen Schlafanzug, den er auch tagsüber trägt. Wir übergeben ihm<br />
die warme Suppe, wie Fay es jeden Tag macht. Langsam setzt er sich zum Essen auf<br />
und schaut mich mit glasigen Augen an. Die Situation ruft die Erinnerung an meinen<br />
Besuch im Senegal in mir wach, als ich wohl für einen Engel gehalten worden war. Ich<br />
verspreche ihm gleich für morgen eine warme Decke. Da er keine Elektrizität hat, wäre<br />
eine Wärmflasche keine gute Idee.<br />
Für die nächsten Tage bietet Fay mir weitere Touren mit ihr zusammen an. Sie macht<br />
das ehrenamtlich, selbstlos und aus christlichem Glauben heraus, um Gutes zu tun.<br />
Maggi ist sehr bedrückt über die Situation in ihrer Nachbarschaft und fühlt sich von<br />
den Departments im Stich gelassen. Wie sollte ich mich erst fühlen. Auch ich stoße an<br />
Grenzen, denn die sprachlichen Barrieren sind groß. Und dazu gibt es bereits so viele<br />
Abteilungen in den jeweiligen Behörden, die ich alle abklapperte, um Informationen<br />
zu sammeln.<br />
Die Tage wurden voller, Einkäufe und Erledigungen in der Stadt, und nach jedem Morgen<br />
in Maggis Schule folgte ein Besuch in der Suppenküche und auf dem Rückweg ein Halt<br />
bei Kerry – oder in anderer Reihenfolge. Oft gab es Dringendes zu erledigen und mein<br />
Handy stand nicht still. Flexibilität kann man hier lernen, kurze Stopps eingeschlossen,<br />
denn irgendjemand winkte mir immer auf der Straße zu. Mein Bekanntheitsgrad<br />
wuchs und alle wollten Kontakt mit mir knüpfen. Oft hörte ich ein Dankeschön
204<br />
Kapitel 9:<br />
Phil’s Story<br />
Nächster Stopp: Johannesburg – Oliver-Tambo-Flughafen. Angekommen in Frankfurt,<br />
suchte ich auf der riesigen Anzeigetafel mein Gate. Jetzt trennten mich nur noch<br />
10.000 km und 12 Stunden Flug von Südafrika. Die Reise meines Lebens begann genau<br />
hier.<br />
Was verband ich nicht alles mit dem Wort Afrika. Mit den begeisterten Erzählungen<br />
von Heike im Ohr bahnte ich mir meinen Weg zum Gate. Sie war schrecklich fasziniert<br />
und hatte mir in den vergangenen Monaten fast täglich von etlichen spannenden Begegnungen<br />
und Ereignissen erzählt. Irgendwann hatteSie darauf bestanden, dass ich<br />
mir die Situation genauer anschaute, da ich ihr einfach nicht mehr folgen konnte. Die<br />
vielen Namen und Begrifflichkeiten sorgten schon nach kürzester Zeit für ordentliche<br />
Verwirrung bei mir. Zugegeben: Ich habe mich mit dem Land und seiner Geschichte<br />
eher weniger befasst. Wenn ich an Südafrika dachte, kamen mir einige verstörende<br />
Geschichten vor mein inneres Auge. Aber auch traumhafte Landschaften, spannende<br />
Kulturen und eine der größten Artenvielfalten der Erde. Es war nicht mehr lang hin bis<br />
zu meinem neunzehnten Geburtstag, und so ein Land zu bereisen war für mich eine<br />
Ehre. Dennoch waren meine Emotionen hin- und hergerissen.<br />
Heike hatte erzählt, dass sich ihr eigentlicher Alltag meist in einer Township<br />
an der Garden Route abspielte. Dorthin sollte es für mich nach meiner Ankunft in
214<br />
Der Weg zu Lesley und Maria war jedoch ein absoluter Albtraum. Diese 600 Meter bis zur<br />
ersten Kurve waren gespickt mit lauter instabilen und schiefen Wellblechhütten. Unser<br />
Gartenhüttchen in Deutschland war gigantisch dagegen. Ich wurde fast schon sauer!<br />
Was tut sie mir jetzt noch an? Bei jeder Hütte dachte ich mir: ‚Bitte bleib hier nicht<br />
stehen, bitte nicht dieses Haus, auch nicht dieses, da will ich nicht rein, nein, nein,<br />
nein, nein!‘ Am Ende dieser holprigen und mit Löchern gespickten Straße war eine<br />
Art Wendeplatz. Die Häuschen wurden zunehmend schöner, und am Ende der Straße<br />
überraschte mich ein einzelstehendes schönes Haus. Heike hupte auf den letzten 200<br />
Metern jedem Kind und jedem Erwachsenen zu. Die Kinder rannten neben dem Auto<br />
her, das auf Grund der Straßenlage, der Kinder, Hühner, Hunde, Schweine und Ziegen<br />
Schritttempo fahren musste. Alle schrien wie am Spieß „Heikiiii, Heikaaa, Heineken“.<br />
Heike strahlte vom einen Ohr zum anderen. Wir blieben auf dem Wendeplatz stehen,<br />
vor diesem kleinen, gemütlichen und liebevoll wirkenden Haus, und stiegen aus. Lesley<br />
und Maria standen auf ihrem eingezäunten Grundstück, im niedlichen Vorgarten am<br />
Törchen, und hielten ihre neugierigen Hunde in Schach.<br />
„Hey, Phil. We heard a lot about you! Come in, guys, we’re happy to see you.“ Heike<br />
und ich kämpften uns durch 100 Kinderärmchen, die uns anfassten und umarmten,<br />
und liefen auf das Törchen zu. Ohne Scheiß, ich glaube, es war Liebe auf den ersten<br />
Blick. Die beiden waren um die 70 Jahre alt, sahen 20 Jahre jünger aus und waren der<br />
Inbegriff von sympathisch. Heike wirkte wie ein Kind, das seine geliebten Großeltern<br />
traf. Lesley nahm mich direkt an die Hand, führte mich um das Haus herum und sagte<br />
mir, das wir hier in der Location Kanonkop seien. „Ich möchte dir unseren Garten vor<br />
dem Haus zeigen. Der Ausblick ist einzigartig.“ Er hatte nicht zu viel versprochen. Sein<br />
Garten, die Terrasse und der Ausblick waren unbeschreiblich. Der Hammer ist, dass er<br />
alles selber gebaut hat. Über zehn Jahre hatte er dafür gebraucht und optimierte noch<br />
jeden Tag weiter. Mitten in einem total heruntergekommenen Township-Bereich. Ich<br />
stand mit ihm im Garten, Maria brachte uns ein Bier und strahlte uns glücklich an.<br />
Heike sorgte seit einiger Zeit dafür, dass die beiden immer einen vollen Kühlschrank<br />
haben und es ihnen an nichts mangelt. Lesley erzählte mir dann, dass er nun 50 Jahre<br />
mit Maria verheiratet sei und sie über alles in der Welt liebt. Meine Freundin wäre dahingeschmolzen.<br />
Selbst ich war gerührt von so viel Romantik. Ich war wirklich von den<br />
Socken. Ein abgeschottetes, kaum zu beschreibendes kleines Paradies am Ende einer<br />
ziemlich heftigen Straße.<br />
Diese beiden Engel stellen für die Kinder aus der Straße ihr Haus und ihr Grundstück<br />
inklusive Essen viermal in der Woche zur Verfügung. Das war also die legendäre Suppenküche.<br />
Hier hätte ich als Kind auch von morgens bis abends abgehangen. Ich hoffte,<br />
mehr Zeit mit diesem liebenswürdigen Paar verbringen zu dürfen. Die Kinder wuselten<br />
währenddessen neugierig um uns herum. Es war wie Liebe auf den ersten Blick.
Mal zurück. Heike und die Rasta-Kids standen da und warteten, bis ich über das Rollfeld<br />
in die kleine Maschine durfte. So fest umklammert wie das Mandela-Buch war auch<br />
mein Entschluss, wiederzukommen. Mit der Durchsage, mich zum Flieger zu begeben,<br />
endete mein erstes Kapitel in Südafrika.<br />
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237<br />
Damit sich in der kurzen Zeit in Deutschland, meine Welt auch wieder in<br />
die richtige Richtung dreht, drehte ich auf als „neue Heike“. Ich<br />
mischte mich wieder unter die Leute. Stuttgart bietet ein Sammelsurium<br />
an tollen Locations und Events, die meinen ersten Besuch erwarteten.<br />
Mit Freunden von Jana und Phil zog ich bei jeder Gelegenheit<br />
durch die Veranstaltungen. Nebenbei sind wir zu einer gut gelaunten<br />
Partyclique geworden und feiern auch heute noch gemeinsam. Ab sofort<br />
wohnte die „Südafrika-Happiness“ in meinem Herzen. Ich strahlte, die Welt strahlte<br />
zurück und ich fühlte mich wie verzaubert. So wurde der große Altersunterschied<br />
zu einem Durchschnitt gemacht. Man lernt generationsübergreifend voneinander. Und<br />
dabei entsteht in der Regel ein äußerst spannender und interessanter Austausch. Jedoch<br />
war ich teilweise erschrocken, mit welchen Problemen sich die Generation Y<br />
rumschlägt. Es schien, als ob manche bereits ihre Bodenhaftung verloren hatten und<br />
im Partyleben untergingen. Die Welt ist so schnell, dynamisch und überflutet von Informationen,<br />
dass man sich darin verlieren kann.<br />
Ich bemerkte, dass viele Heranwachsende, ein Vorbild brauchen, ihr Leben, Beziehungsleben<br />
oder Berufsleben richtig zu gestalten. Dank der bisherigen Erfahrungen aus meiner<br />
Arbeit in Südafrika, kam ich inspiriert und voller Überenergie zurück. Ich wollte<br />
so gerne die Menschen dazu bewegen, ihr Leben positiver in Angriff zu nehmen. Vor<br />
lauter Enthusiasmus möchte man natürlich jeden begeistern. Ich bin da sowieso ein<br />
Härtefall.<br />
Wie wäre es denn wenn wir<br />
„ unsere Probleme einfach<br />
weglachen “<br />
Die Faszination darüber, wie ich mit dem neuen Leben, nach der Trennung, wieder<br />
durchstarte, war gerade auf Seiten der jungen Leute ein großes Thema. Es überraschte<br />
mich und ehrte mich zugleich, wie sich die neuen Bekanntschaften und Freunde für<br />
meine Geschichten interessierten: Südafrika, Townships, wilde Tiere. Das konnte Phil<br />
dann noch toppen mit seinen teils sehr abenteuerlichen Geschichten aus der Township<br />
oder seinen Erzählungen über die Nähe zu Wildkatzen. Trotz dem positiven Grundtenor<br />
über unser Engagement in Südafrika gab es etwas skeptisches Feedback. So nach dem<br />
Motto „viel zu gefährlich alleine als Frau; viel zu aufwändig; viel zu weit weg usw.“<br />
Letztendlich geht es um das Große und Ganze. Man muss nicht um den halben Globus<br />
fliegen. Man muss auch nicht in Townships arbeiten. Es reicht, etwas Gutes für sein<br />
Umfeld zu tun, für Mensch und Tier. Und für sich selber. Einfach mal wieder unter<br />
Leute gehen, Spass haben.
259<br />
Kaum ein Jahr später wurden die „Young Teenagers“ weiter gefördert. Die Gewinne und<br />
vielen Medaillen, die sie bis dahin ergattert hatten, führten dazu, dass die lokale Bank<br />
FNB auf sie aufmerksam wurde. Ich dachte, ich traue meinen Ohren nicht, als Monika<br />
mir stolz erzählte, dass zwanzig unserer Zöglinge zu einem Trainingscamp eingeladen<br />
worden waren. Inklusive Flug, Versorgung und Training in Johannesburg. Wow! Es<br />
bestärkte und motivierte mich in meiner Arbeit, Talente zu entdecken und ihnen die<br />
Chance zu geben, auf das „nächste Level“ zu kommen. Hier habe ich alles richtig gemacht.<br />
Und das macht mich unendlich stolz!!!<br />
Das Jahr 2012 hatte erst begonnen und es lief immer besser.<br />
Voller Energie packte mich der Übermut. Darüber konnten<br />
sich die Projekte freuen. Das Netz meiner Bekanntschaften<br />
in der Township wurde immer größer.
267<br />
Phils Abschied<br />
Phils Zeit neigte sich leider wieder dem Ende zu. Es hieß wieder Abschied nehmen. Deshalb<br />
ließ ich mir etwas Besonderes einfallen. Ich veranstaltete für ihn eine kleine Community-Party,<br />
bei welcher sich alle Bekannten von ihm verabschieden konnten. Alle<br />
kamen und keiner wollte es verpassen, sich von ihm zu verabschieden. Ich bin schwer<br />
beeindruckt, wie er diese ganzen brutalen Kontraste als junger Mensch verarbeitet.<br />
Mehr noch: Er wurde für die jungen Leute ein richtiges Vorbild und setzte großartige<br />
Impulse. Seine selbstlose Art bereichert die Menschen um ihn herum, und ich blickte<br />
in einige weinende Gesichter, als er verabschiedet wurde. Ich habe ihn quasi ins kalte<br />
Wasser gedrängt, und er wurde zu einem Rettungsschwimmer. In Südafrika wurde er<br />
richtig umgepolt. Erstaunlich bei einem Neunzehnjährigen. Selten war ich so stolz.<br />
Ihn hierfür zu begeistern war sicherlich eine der besten Ideen meines Lebens. Ich bin<br />
sehr dankbar, dass er nie aufgehört hat, begeistert mit mir an einem Strang zu ziehen.<br />
Lesley und Maria sagten uns, dass wir für sie mehr als nur eine Familie geworden sind.<br />
Jeden Tag wurden wir in unzählige Gebete integriert. „Der blaue Himmel über Knysna<br />
ist euer Segen und wird immer über euch wachen ...!“<br />
Zwei weitere Überraschungen sollten Phil erwarten. Ich ging mit<br />
ihm zu einem „magischen Ort“. Um Knysna herum gibt es viele<br />
außergewöhnliche Orte, aber dieser hier liegt besonders. Zwischen<br />
den Heads verneigte er sich demutsvoll vor der grandiosen Küstenkulisse.<br />
„Goodbye, Knysna-I will come back!“ total hin und weg von all<br />
den Eindrücken.
289<br />
vollen Sorge um ihn herangezogen. Benni, der sowieso jeden Tag bei Lesley und Maria<br />
verweilt, freute sich schon, sich um Rexy zu kümmern. Das würde seit langem seine<br />
positivste Lebensbereicherung sein.<br />
Rexy und ich schluckten unseren Kummer runter und voller guter Absicht, „drohte“ ich<br />
den anderen Hunden mit unserer symbiosenhaften Zweisamkeit. Ich setzte mich auf<br />
den Boden, meinen Hund auf dem Schoß und ließ die Hunde sich vorsichtig beschnuppern.<br />
Zack....und plötzlich kommt die 16 Jahre alte Hündin Sina und siehe da. Sie<br />
scheint Rexy als Welpen zu akzeptieren. Die Lage entspannte sich. Still sendete ich ein<br />
Gebet nach oben und Lesley und Maria und ich schauten uns voller Erleichterung an.<br />
„Kann ich mich darauf verlassen, dass der Hund wohlauf ist, wenn ich in ein paar Wochen<br />
wiederkomme?“ „It’s a promise!“, sagten Lesley und Maria freudig lachend.
„Inspirierend, spannend, herzlich, selbstironisch, generationsübergreifend“<br />
Reise<br />
Entwicklungshilfe<br />
coloured<br />
Garden Route<br />
Südafrika Liebe<br />
Klick<br />
Zufriedenheit<br />
Volontourimus<br />
Depression<br />
LebensglückKamera<br />
<strong>Charity</strong><br />
Crime<br />
Love Story<br />
„Der Ton des Buches<br />
verliert trotz seiner<br />
Leichtigkeit nicht an Tiefe.<br />
Es ist schon eine Kunst,<br />
geplatzte Träume und<br />
schmerzende Realität so<br />
wieder zu geben, dass es<br />
dem Leser Mut macht, das<br />
Leben mit offenen Augen<br />
und Herzen weiter zu<br />
begegnen.“<br />
Sabbatical<br />
Verein<br />
Mission<br />
Knysna<br />
traumatisch<br />
Township<br />
Tragödien<br />
Wahnsinn<br />
Gegensätze<br />
Motivation<br />
Spaß Inspiration<br />
Fliegen<br />
verrückt<br />
Single<br />
paradiesisch<br />
Löwen<br />
Lachen<br />
Big Five<br />
afrikaans<br />
Spannung<br />
Glück<br />
Rettung<br />
Kulturen<br />
Veränderung<br />
Herz<br />
Freude<br />
Mut<br />
C. Steen (Künstlerin)<br />
„Offenheit und Wissen<br />
lässt dich andere Kulturen<br />
verstehen.“<br />
Y. EL Harrouk (Schauspieler)<br />
ISBN 978-3-00-053804-9<br />
9 783000 538049<br />
www.heike-ellwanger.de