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3. - Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW

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72 Inter* fungiert seit ein<br />

paar Jahren als Sammelbegriff<br />

für die verschiedenen Selbstbezeichnungen<br />

wie Intersex, intersexuelle,intergeschlechtliche<br />

oder zwischengeschlechtliche<br />

Menschen, Zwitter, Hermaphroditen<br />

oder Herms. Das<br />

Sternchen signalisiert Offenheit<br />

für weitere Selbstbezeichnungen.<br />

Ich werde im Folgenden<br />

diesen wie auch die von inter*-<br />

Aktivist_Innen derzeit bevorzugt<br />

verwendeten Begriffe Intersex<br />

oder intergeschlechtliche<br />

Menschen verwenden.<br />

73 Ausführlich zum Folgenden:<br />

Klöppel, Ulrike (2010):<br />

XX0XY ungelöst: Hermaphroditismus,<br />

Sex <strong>und</strong> Gender in der<br />

deutschen Medizin. Eine historische<br />

Studie zur Intersexualität.<br />

Bielefeld: transcript Verlag.<br />

74 Intersex Initiative Portland<br />

(2003): Teaching Intersex Issues<br />

(The Second Edition). Ein<br />

Aufsatz aus der Broschüre ist<br />

auch in deutscher Sprache publiziert<br />

worden: Koyama, Emi;<br />

Weasel, Lisa: Von der sozialen<br />

Konstruktion zu sozialer Gerechtigkeit.<br />

Wie wir unsere<br />

Lehre zu Intersex ver- ändern.<br />

In: Die Philosophin, 14 (28).<br />

S. 79-89. Vgl. des Weiteren<br />

auch: seMbessakwini, Eli<br />

(2005): Born Queer: dear doctors.<br />

In: Neue Gesellschaft für<br />

Bildende Kunst e.V. (Hg.):<br />

1-0-1 [one ’o one] intersex.<br />

Das Zwei-Geschlechter-System<br />

als Menschenrechtsverletzung.<br />

Berlin, S. 40-4<strong>3.</strong><br />

75 Janssen, Joke (2009):<br />

Theoretisch intersexuell – Wie<br />

intersexuelle Menschen zwischen<br />

den Zeilen bleiben. In:<br />

AG Queer Studies (Hg.): Verqueerte<br />

Verhältnisse. Intersektionale,<br />

ökonomiekritische <strong>und</strong><br />

strategische Interventionen.<br />

Hamburg: Männerschwarm Verlag,<br />

S. 165-184. Vgl. auch bereits<br />

Engel, Antke (1997): Ene<br />

mene meck <strong>und</strong> du bist weg.<br />

Über die gewaltsame Herstellung<br />

der Zweigeschlechtlichkeit.<br />

In: Hamburger <strong>Frauen</strong>zeitung<br />

53, S. 26-28.<br />

76 Vgl. z.B. Zehnder, Kathrin<br />

(2010): Zwitter beim Namen<br />

nennen. Intersexualität zwischen<br />

Pathologie, Selbstbestimmung<br />

<strong>und</strong> leiblicher Erfahrung.<br />

Bielefeld: transcript Verlag,<br />

11-20.<br />

77 Haraway, Donna J. (1997):<br />

Second_Millenium. Female-<br />

Man@_Meets_OncoMouseTM.<br />

Feminism and Technoscience.<br />

New York, London:<br />

Routledge, 23-39.<br />

92<br />

<strong>3.</strong> Wissenschaft <strong>und</strong> soziale Praxis: Perspektiven auf sexuelle <strong>und</strong> geschlechtliche Vielfalt<br />

<strong>3.</strong>7 Intersex im Fokus der Wissenschaft – Anregungen für eine respektvolle<br />

Forschung<br />

Ulrike Klöppel<br />

Aktuell lässt sich eine regelrechte Konjunktur von Forschungsarbeiten zu Intersex bzw. Inter* 72 beobachten:<br />

Allein seit 2010 sind mindestens zehn neue Bücher in deutscher Sprache veröffentlicht<br />

worden, international sind es weitaus mehr, von Aufsätzen in Fachzeitschriften ganz zu schweigen.<br />

Die Frage drängt sich auf: Haben intergeschlechtliche Menschen etwas davon? Eine Auseinandersetzung<br />

über ethisch-politische Probleme bisheriger Studien, <strong>und</strong> daraus abzuleitende Kriterien einer<br />

respektvollen Forschung, findet bislang kaum statt. In diesem Beitrag möchte ich ein paar Anregungen<br />

dazu geben.<br />

Die Forschung zu Inter* floriert in vielen wissenschaftlichen Disziplinen, <strong>und</strong> das nicht erst seit<br />

gestern. 73 Zwischen „uneindeutigem“ <strong>und</strong> „eindeutigem“ Geschlecht zu differenzieren, dient in der<br />

Medizin seit Jahrh<strong>und</strong>erten dazu, Geschlechter- <strong>und</strong> Sexualitätsnormen <strong>und</strong> demgegenüber „Hermaphroditismus“<br />

bzw. „Intersexualität“ als „Fehlbildung“ zu definieren. Die mit Beginn des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

aufgenommenen anthropologischen/ethnologischen Studien zum „uneindeutigen“<br />

Geschlecht in nicht-westlichen Kulturen profilierten die Geschlechter- <strong>und</strong> Sexualitätsnormen zugleich<br />

als „Rasse“-Differenzen; später verkehrte sich ein Teil der ethnologischen Studien allerdings in eine<br />

(implizite) Kritik der Begrenzungen des westlichen Geschlechtermodells. Ab den 1920er <strong>und</strong> verstärkt<br />

seit den 1950er Jahren entdeckten zudem Psycholog_Innen Inter* als Objekt der Gr<strong>und</strong>lagenforschung<br />

zur psychosexuellen Entwicklung. In Reaktion auf die von intergeschlechtlichen Menschen<br />

seit 1993 in die Öffentlichkeit getragene Kritik am bisherigen Behandlungsmodell kosmetischer Genitaloperationen<br />

im Kindesalter hat sich die medizinische <strong>und</strong> psychologische Forschung im letzten<br />

Jahrzehnt erneut belebt. Die Kritik am Behandlungsvorgehen spiegelt sich auch in den Gender <strong>und</strong><br />

Queer Studies wider, die sich seit Beginn der 1990er Jahre mit Inter* beschäftigen. Außerdem sind<br />

eine Reihe juristischer, sozialwissenschaftlicher, politikwissenschaftlicher u. a. Studien entstanden,<br />

welche die Erfahrungen von Inter*, ihre kollektiven Identitätsbildungs- <strong>und</strong> Organisierungsprozessen<br />

sowie ihre menschenrechtliche Situation beleuchten.<br />

Dieser „Forschungsboom“, der auch bei Arbeiten mit kritischem Anliegen zu beobachten ist, führt<br />

natürlich zu Red<strong>und</strong>anzen, zumal neue Studien häufig eine tiefergehende Auseinandersetzung mit<br />

der bereits existierenden Forschungsliteratur vermeiden. Das hat zur Konsequenz, dass eine Diskussion<br />

über problematische Tendenzen der Forschung kaum geführt wird. Weitestgehend ignoriert werden<br />

damit auch die Forderungen von inter*-Aktivist_Innen nach einer kritischen <strong>und</strong> respektvollen Forschung.<br />

Ein schriftlicher Niederschlag dieser Forderungen findet sich in einem „Guide“, den Emi<br />

Koyama von der Intersex Initiative Portland für nicht-intersexuelle Lehrende <strong>und</strong> Autor_Innen verfasst<br />

hat. 74 Aus den Gender <strong>und</strong> Queer Studies heraus hat Joke Janssen zu einer kritischen Auseinandersetzung<br />

mit der Theorieproduktion zu Inter* angeregt. 75 Meine Diskussion in diesem Beitrag greift<br />

diese beiden Interventionen auf <strong>und</strong> ergänzt sie mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen.<br />

Der Mythos einer objektiven, von außerwissenschaftlichen Interessen <strong>und</strong> Vorannahmen freien<br />

Forschung umweht nach wie vor einen Großteil der Studien zu Intersex. Doch die Einsprüche von<br />

inter*-Aktivist_Innen gegen bestimmte, insbesondere medizinische Studien machen deutlich, wie<br />

standortgeb<strong>und</strong>en die Forschung ist. Bisher reflektieren allenfalls Wissenschaftler_Innen mit einem<br />

queer-feministischen Hintergr<strong>und</strong> den Einfluss der eigenen, notwendig beschränkten Perspektive <strong>und</strong><br />

Interessenlage auf den gewählten Forschungsansatz. 76 Das ist auf die von der feministischen Wissenschaftskritik<br />

angeregte Debatte über die soziale Situiertheit von Wissen <strong>und</strong> Wissenschaft zurückzuführen.<br />

Eine Erkenntnis dieser Debatte ist, dass Forschung gesellschaftlich eingeb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> politisch<br />

nicht neutral ist, weshalb sie immer nur eine partiale Perspektive bieten kann, die offen für (selbst-)<br />

kritische Interventionen bleiben muss. Der sozialen <strong>und</strong> politischen Einbindung Rechnung zu tragen,<br />

bedeutet für eine engagierte Forschung, kritisch gegenüber hegemonialen Standpunkten zu sein. Es<br />

bedeutet ferner, sich mit den Prozessen der Marginalisierung bzw. der (Re-)Produktion von Herrschaftsverhältnissen<br />

<strong>und</strong> den minoritären Positionen – unter Reflexion der eigenen Erfahrungshintergründe<br />

sowie persönlichen <strong>und</strong> politischen Forschungsinteressen – auseinanderzusetzen <strong>und</strong> auf<br />

diese Weise das Forschungsvorhaben zu verorten. 77 Hierzu gehört auch die Suche nach einer respektvollen<br />

Sprache <strong>und</strong> Methodik, die sich der hegemonialen Definitionsmacht sowie sprachlichen Abwertungen<br />

<strong>und</strong> Entnennungen entgegenstellt. Mit Bezug auf die Forschung zu Inter* sollte es daher

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