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3. - Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW

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Deborah Reinert, Rechtsanwältin,<br />

Köln<br />

69 Hochgerechnet aus dem<br />

B<strong>und</strong>esdurchschnitt von max.<br />

0,01413 % der in Deutschland<br />

lebenden Menschen, die seit<br />

1995 ein Verfahren nach TSG<br />

(VÄ oder PÄ) durchgeführt<br />

haben (11.514 Verfahren nach<br />

TSG) <strong>und</strong> einer aktuellen Einwohnerzahl<br />

von <strong>NRW</strong> von<br />

17,844 Millionen, vgl. B<strong>und</strong>esamt<br />

für Justiz – Referat III 3<br />

3004/2c -B7 299/2011: Zusammenstellung<br />

der Geschäftsübersichten<br />

der Amtsgerichte<br />

für die Jahre 1995–<br />

2007, Stand 2<strong>3.</strong>09.2011.<br />

70 Im Rahmen dieser Studie<br />

wurden nur Menschen befragt,<br />

welche die Transition (VÄ/PÄ)<br />

durchlaufen haben, sich im<br />

Verfahren nach TSG befinden<br />

oder dieses in Kürze planen<br />

<strong>und</strong> diesbezüglich erste konkrete<br />

Schritte unternommen<br />

haben. Menschen, die den<br />

Weg der Transition noch nicht<br />

offiziell gegangen sind oder<br />

gehen, wurden nicht erfasst.<br />

90<br />

<strong>3.</strong> Wissenschaft <strong>und</strong> soziale Praxis: Perspektiven auf sexuelle <strong>und</strong> geschlechtliche Vielfalt<br />

<strong>3.</strong>6 Lebenssituation von Transsexuellen in Nordrhein-Westfalen –<br />

Zusammenfassung der Studienergebnisse<br />

Deborah Reinert<br />

Im Rahmen einer Erarbeitung von Empfehlungen für einen <strong>NRW</strong>-Aktionsplan gegen Homo- <strong>und</strong> Transphobie<br />

hat das Ministerium für Ges<strong>und</strong>heit, Emanzipation, Pflege <strong>und</strong> Alter (MGEPA) des Landes<br />

Nordrhein-Westfalen eine Studie zur Lebenssituation transsexueller Menschen in <strong>NRW</strong> gefördert, welche<br />

als erste empirische Studie einen Einblick in deren aktuelle Situation <strong>und</strong> Lebensvielfalt gibt. Für<br />

die Studie wurden 30 Interviews geführt <strong>und</strong> 68 Fragebögen mit insgesamt 89 Fragen zu 13 Themengebieten<br />

ausgewertet. Erfasst wurden insgesamt 98 Personen. Seit 1999 wurden in <strong>NRW</strong> ca. 2521<br />

Verfahren nach dem Transsexuellengesetz (TSG) (Vornamensänderung {VÄ} oder Personenstandsänderung<br />

{PÄ}) durchgeführt. 69 Die Stichprobe umfasst also mindestens 3 % aller transsexuellen Menschen<br />

in <strong>NRW</strong>.<br />

Wie die Ergebnisse der Studie zeigen, sind transsexuelle Menschen mit vielfältigen Belastungssituationen<br />

<strong>und</strong> Problemen in verschiedenen Lebensbereichen konfrontiert. Die Befragten berichteten<br />

von unterschiedlichen Erfahrungen in Bezug auf Akzeptanz <strong>und</strong> gefühlter Diskriminierung vor, während<br />

<strong>und</strong> nach der Phase der Transition <strong>und</strong> wählten unterschiedliche Strategien, um ihre Probleme zu bewältigen.<br />

Alle Interviewpartner_innen, 70 gleichgültig, ob sie noch am Beginn ihrer Transition stehen oder<br />

sie schon seit längerem abgeschlossen haben, gaben allerdings an, dass sie diesen Schritt nochmals<br />

gehen würden <strong>und</strong> dass sich ihre Lebensqualität nachhaltig verbessert habe, obwohl viele auf große<br />

Widerstände <strong>und</strong> Probleme gestoßen sind. Dies zeigt, wie zwingend es für sie war bzw. ist, ihre eigene<br />

Identität offen zu leben. Teilweise haben sie – auch wenn die Transition bereits länger zurückliegt –<br />

noch immer mit den gravierenden Folgen dieses Schrittes zu kämpfen wie z. B. mit Ausgrenzung im<br />

sozialen Umfeld <strong>und</strong> in der Familie sowie mit Arbeitsplatzverlust oder finanziellen <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitlichen<br />

Problemen usw.<br />

In allen 13 Themengebieten zeigen sich immer wieder ähnliche Problemdimensionen, die häufig<br />

miteinander verwoben sind, sodass die Probleme kumulieren <strong>und</strong>/oder sich potenzieren können.<br />

Transsexuelle treffen häufig auf Menschen, die ihnen verständnislos gegenüber stehen; entweder,<br />

weil sie zu wenig wissen über Transsexualität <strong>und</strong> die besonderen Probleme, die sich daraus im alltäglichen<br />

Leben für die Betroffenen ergeben, oder, in anderen Fällen, aus Transphobie, also einer generellen<br />

Ablehnung transsexueller Menschen.<br />

Der Mangel an Zugang zu verlässlichen Informationen, an Aufklärung <strong>und</strong> Sensibilisierung zu<br />

Fragen der Transsexualität zeigt sich in fast allen Bereichen, auch in der öffentlichen Verwaltung <strong>und</strong><br />

dem Ges<strong>und</strong>heitswesen. Oft fehlt es hier, neben der notwendigen Sensibilität <strong>und</strong> trotz entsprechender<br />

gesetzlicher Vorschriften, häufig am nötigen Wissen, vor allem aber auch am Willen, gesetzliche Regelungen<br />

<strong>und</strong> entsprechende gerichtliche Entscheidungen umzusetzen. So bereitet beispielsweise das<br />

für die berufliche Integration so wichtige Umschreiben von Papieren (Abschlüsse, Schul- oder Arbeitszeugnisse,<br />

Beurteilungen etc.) häufig Schwierigkeiten, obwohl die Rechtslage eindeutig ist: Immer<br />

wieder kommt es vor, dass Behörden, sogar Gerichte, nach einer Vornamensänderung die Anrede<br />

nicht entsprechend ändern <strong>und</strong> eine Lohnsteuerkarte oder Wahlbenachrichtigung an einen „Herrn<br />

Martina Schulze“ oder eine „Frau Martin Schulze“ adressieren. Durch eine solch unstimmige Anrede<br />

entsteht die Gefahr eines ungewollten Geoutet-Werdens im Beruf <strong>und</strong> Privatleben, was die Betroffenen<br />

unter einen nicht unerheblichen psychischen Druck stellen kann.<br />

Fehlende Kompetenz im sozialen Umfeld wie auch von Betroffenen, die entstehenden Konflikte<br />

zu lösen, führt oft zur Eskalation, was beispielsweise im beruflichen Umfeld zum Arbeitsplatzverlust<br />

<strong>und</strong> zu lang andauernder Arbeitslosigkeit führen kann. Folge davon sind oft finanzielle Probleme, Verarmung<br />

<strong>und</strong> ein sozialer Abstieg.<br />

Der Zugang zu Ressourcen (Geld, Bildung, Ansehen, stabiles soziales <strong>Netzwerk</strong>) kann viele Probleme<br />

der Transition abmildern, entsprechend kann ein Mangel an Ressourcen viele Probleme verschärfen.<br />

Finanziell schlechter gestellte Transsexuelle können beispielsweise Ablehnungen der<br />

Krankenkassen nicht durch eigene Mittel kompensieren, Behandlungen selbst zahlen <strong>und</strong> haben weniger<br />

Möglichkeiten, ihre Rechte durchzusetzen, etwa mit Hilfe eines Rechtsbeistandes. Durch den<br />

sozialen Wechsel ins weibliche Geschlecht sehen sich Transfrauen teilweise Diskriminierungen als<br />

<strong>Frauen</strong> ausgesetzt. Transmänner erfahren dagegen einen Statusgewinn als Männer.

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