3. - Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW
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<strong>3.</strong> Wissenschaft <strong>und</strong> soziale Praxis: Perspektiven auf sexuelle <strong>und</strong> geschlechtliche Vielfalt<br />
Geringere personelle Ressourcen können sich sowohl auf die Erreichbarkeit des Angebots (z. B. Einschränkung<br />
der Telefonzeiten) als auch auf die Menge der Beratungstermine, die angeboten werden<br />
können, auswirken. Aber auch die oben genannte Spezialisierung muss gegebenenfalls bei geringeren<br />
personellen Ressourcen eingegrenzt werden. Umgekehrt hat die Anbindung eines gering besetzten<br />
ehrenamtlichen Angebotes an die hauptamtliche Struktur eines neuen Trägers langfristig wieder zu<br />
einem Anstieg der dokumentierten Diskriminierungs- <strong>und</strong> Gewaltfälle geführt. Insbesondere im Vergleich<br />
mit den spezialisierten <strong>und</strong> professionellen (hauptamtlichen) Strukturen zur Beratung von Mädchen<br />
<strong>und</strong> <strong>Frauen</strong> mit Gewalterfahrungen fällt auf, wie marginalisiert die Strukturen diesbezüglich für<br />
LSBT* sind.<br />
Wünschenswert ist aus Sicht der Landeskoordination, dass sich Beratungsstrukturen für gewaltbetroffene<br />
LSBT* trotz begrenzter Mittel im Landeshaushalt langfristig <strong>und</strong> stufenweise weiterentwickeln<br />
dürfen. Dieser Prozess könnte von Forschung begleitet werden, z. B. indem eine Expertise<br />
zum Beratungsbedarf in <strong>NRW</strong> erstellt wird <strong>und</strong> Versorgungslücken (geografisch, inhaltlich, zielgruppenspezifisch)<br />
identifiziert werden. Ein weiteres Forschungsprojekt könnte die Begleitung <strong>und</strong> Evaluation<br />
eines Modellprojektes sein, in dem neue Wege eines gemeinsamen, vernetzen Beratungs -<br />
angebotes der am <strong>NRW</strong>-<strong>Netzwerk</strong> beteiligten Institutionen entwickelt <strong>und</strong> erprobt werden. 67<br />
These 3:<br />
Vor der Dokumentation findet eine Selektion von Beratungsfällen statt<br />
Es gibt immer wieder Hinweise darauf, dass nur ein Teil der Fälle von Diskriminierung, Gewalt <strong>und</strong> häuslicher<br />
Gewalt, die in den Beratungsstellen von LSB(T*) thematisiert werden, auch Eingang in die Dokumentation<br />
der Landeskoordination finden. Nach meinem Eindruck werden hier zwei Faktoren wirksam:<br />
Der erste Faktor ist die Tatsache, dass für die Auswahl eines Falles zunächst die Bewertung erfolgen<br />
muss, dass es sich um eine Diskriminierungs- <strong>und</strong> Gewalterfahrung handelt. In Gesprächen mit den<br />
Berater_innen wird deutlich, dass häufig nur „herausragende, eindeutige“ Diskriminierungs- <strong>und</strong> Gewaltfälle<br />
dokumentiert werden. Bei einer Vielzahl von Beratungen wird „Gewalt“ jedoch nicht explizit<br />
als Gesprächsanlass genannt, ist aber in den Beratungsprozess eingebettet. In vielen Coming-out-<br />
Beratungen ist die Benennung einer Diskriminierungs- <strong>und</strong> Gewalterfahrung in mindestens einem der<br />
Lebensbereiche Schule/Arbeit, Fre<strong>und</strong>eskreis/Familie, öffentlicher Raum so selbstverständlicher Inhalt<br />
der Beratung, dass eine Differenzierung nur bei besonders schwerwiegenden Diskriminierungs- <strong>und</strong><br />
Gewalterfahrungen vorgenommen wird.<br />
Der zweite Faktor ist, dass das Ausfüllen eines Fragebogens mit 24 Fragen inklusive eines kleinen<br />
Fallberichts (nicht vorhandene) personelle Ressourcen bindet. Während der Nachweis von Beratungsfallzahlen<br />
für die Finanzierungsgeber die Pflicht ist, stellt die Dokumentation der Gewaltfälle die Kür<br />
da. In der Praxis führt dies dazu, dass trotz hoher Motivation immer wieder Diskriminierungs- <strong>und</strong><br />
Gewaltfälle nicht dokumentiert werden. Ein Kontingent an nicht dokumentierten Gewaltfällen findet<br />
sich auch in den Einrichtungen für LSBT*-Jugendliche. Nach Aussage von Mitarbeiter_innen der Jugendzentren<br />
werden in der pädagogischen Arbeit mit Jugendlichen täglich Fälle von Diskriminierung,<br />
Gewalt <strong>und</strong> häuslicher Gewalt thematisiert. Eine Falldokumentation ist unter den Rahmenbedingungen<br />
der offenen Jugendarbeit jedoch nicht möglich.<br />
Um sich solchen bisher nicht erfassten Daten zu Diskriminierung <strong>und</strong> Gewalt anzunähern, würde<br />
sich ein Monitoring von Beratungsprozessen in einzelnen Beratungseinrichtungen oder Jugendzentren<br />
anbieten. Auch die Protokolle von Online-Beratungen, so der Vorschlag eines Kollegen aus der Jugendarbeit,<br />
könnten auf Diskriminierungs- <strong>und</strong> Gewaltfälle hin untersucht werden.<br />
Schlussfolgerungen<br />
Die Datenerhebung der Landeskoordination war bereits Gegenstand von Forschung. Hier lag der<br />
Fokus darauf, was aus dieser <strong>und</strong> anderen Falldokumentationen für die geplante Einrichtung einer<br />
Datenerhebung durch die Antidiskriminierungsstelle des B<strong>und</strong>es gelernt werden kann. 68<br />
Motivation für den vorliegenden Beitrag ist es, sowohl Impulse für die Weiterentwicklung der Datenerhebung<br />
als auch der zugr<strong>und</strong>e liegenden Beratungsstrukturen in <strong>NRW</strong> zu geben, da sich beide<br />
gegenseitig bedingen. Ich würde mich deshalb freuen, wenn sich aus diesem Beitrag konkrete Ansätze<br />
für Forschungsprojekte im Themenfeld „Diskriminierung, Gewalt <strong>und</strong> häusliche Gewalt bezogen auf<br />
LSBT*“ ergeben. Als Kooperationspartnerin aus der Praxis stehe ich im Rahmen meiner Möglichkeiten<br />
für eine Zusammenarbeit gerne zur Verfügung.<br />
67 Im Rahmen der Erarbeitung<br />
von Vorschlägen für den<br />
Aktionsplan gegen Homo- <strong>und</strong><br />
Transphobie in <strong>NRW</strong> (2011)<br />
wurde die Einrichtung eines<br />
gemeinsamen Telefon- <strong>und</strong><br />
Online-Angebotes für LSBTI*-<br />
Opfer von Gewalt vorgeschlagen.<br />
68 Antidiskriminierungsstelle<br />
des B<strong>und</strong>es (Hg.) (2010):<br />
Machbarkeitsstudie „Standardisierte<br />
Datenerfassung zum<br />
Nachweis von Diskriminierung!?<br />
– Bestandsaufnahme<br />
<strong>und</strong> Ausblick“. Berlin.<br />
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