3. - Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW
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Prof. Dr. Beate Küpper,<br />
Hochschule Niederrhein<br />
59 Der Begriff Homophobie<br />
kann irreführend sein, wenn er<br />
die Abwertung von Homosexuellen<br />
zur Pathologie Einzelner<br />
verklärt <strong>und</strong> dabei die sozial<br />
weit geteilten politischen Meinungen<br />
von der Devianz von<br />
Homosexualität in den Bereich<br />
individueller, subjektiver Emotionen<br />
verdrängt. Dass der Begriff<br />
„Homophobie“ hier dennoch<br />
weiter verwendet wird,<br />
ist dem Umstand zu schulden,<br />
dass er sich im Sinne einer<br />
Menschenfeindlichkeit gegenüber<br />
Personen mit einer homosexuellen<br />
Orientierung im<br />
öffentlichen Diskurs durchgesetzt<br />
hat <strong>und</strong> weitgehend auch<br />
als das verstanden wird, was<br />
er ist: ein sexuelles Vorurteil im<br />
Sinne einer menschenfeindlichen<br />
Einstellung <strong>und</strong> Diskriminierungsabsicht.<br />
84<br />
<strong>3.</strong> Wissenschaft <strong>und</strong> soziale Praxis: Perspektiven auf sexuelle <strong>und</strong> geschlechtliche Vielfalt<br />
Die Items, die explizit Mehrfachdiskriminierung erfassen, werden zurzeit noch genauer bearbeitet.<br />
Bereits jetzt kann gesagt werden, dass etwa die Hälfte der Studienteilnehmer_innen angibt, von<br />
„Mehrfachdiskriminierung“ betroffen zu sein. Von denjenigen Teilnehmer_innen, die mehrfachzugehörig<br />
sind, geben 78,2 % an, aufgr<strong>und</strong> von Mehrfachzugehörigkeiten in der Öffentlichkeit mindestens<br />
einmal diskriminiert worden zu sein. Mehr als die Hälfte von ihnen empfindet es als schwer, sich zu<br />
wehren, weil oft unklar ist, um welche Art der Diskriminierung es sich jeweils handelt (Bsp.: „Sprich<br />
gefälligst Deutsch, du scheiß Lesbe!“).<br />
Die vorliegenden Daten der Studie wurden durch Ergebnissen einer qualitativen Untersuchung<br />
ergänzt <strong>und</strong> im September 2012 veröffentlicht. Im Anschluss daran werden umfangreiche Empfehlungen<br />
an Politik, Öffentlichkeit <strong>und</strong> Beratungsstellungen formuliert.<br />
<strong>3.</strong>4 Homophobie in Nordrhein-Westfalen – Ergebnisse einer Sonderauswertung<br />
aus dem Projekt Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit<br />
Beate Küpper<br />
Bunte Happenings mit vielen hetero Besucher_innen beim Christopher Street Day, ein schwuler Hauptstadt-Bürgermeister<br />
<strong>und</strong> Außenminister, lesbische TV-Moderatorinnen … Menschen, die gleichgeschlechtlich<br />
lieben, scheinen als „gleich <strong>und</strong> anders“ in einer vielfältigen Gesellschaft anerkannt <strong>und</strong><br />
respektiert zu sein, die rechtliche Situation hat sich gebessert. Doch auch wenn sich in den vergangenen<br />
Jahren <strong>und</strong> Jahrzehnten vieles zum Besseren gewendet hat, ist die Abwertung von Menschen<br />
mit gleichgeschlechtlicher sexueller Orientierung – kurz: Homophobie – auch heute noch in Deutschland<br />
keine Randerscheinung. Im Gegenteil, „schwul“ scheint als Schimpfwort auf deutschen Schulhöfen,<br />
in Fußballstadien <strong>und</strong> in der Alltagssprache derzeit geradezu eine Konjunktur zu erleben. Oft<br />
geschieht das so, dass es harmlos wirkt, aber dabei wird ausgeblendet, dass dahinter massive Stigmatisierungs-<br />
<strong>und</strong> Abwertungsprozesse stecken, die Andere nicht nur als andersartig, sondern auch<br />
als ungleichwertig markieren sollen.<br />
Bei solchen Abwertungsprozessen wird Homosexualität zum Stigma. Damit wird sie zu einem<br />
Merkmal gemacht, das die Aufmerksamkeit auf sich zieht <strong>und</strong> Mitmenschen dazu bringt, sich abzuwenden.<br />
Der andere ist, wie Irving Goffman es treffend beschrieben hat, unerwünscht anders. Aus<br />
dem Stigma, das von Stereotypen geprägt ist, leiten wir weitere Eigenschaften ab <strong>und</strong> erzeugen Emotionen<br />
von Antipathie, Furcht, Ekel <strong>und</strong> eventuell auch Ansteckung. Homosexualität wird, ähnlich wie<br />
die Behinderung verwendet, um „den Anderen“ einen Makel zu verpassen, der sie von den „Normalen“<br />
unterscheidet. Der Makel wird ideologisch überhöht <strong>und</strong> das Stigma legitimiert, indem Homosexualität<br />
Normalität <strong>und</strong> Funktionsfähigkeit für die Gemeinschaft abgesprochen wird. Der<br />
populistische Diskurs über homosexuelle Ehen ist in Deutschland auch zehn Jahre nach der Legitimierung<br />
der Lebenspartnerschaften virulent.<br />
Die Studie Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, die von 2002-2011 vom Institut für interdisziplinäre<br />
Konflikt- <strong>und</strong> Gewaltforschung der Universität Bielefeld durchgeführt wurde, belegt in Zahlen,<br />
wie verbreitet Homophobie nach wie vor ist. Zehn Jahre lang wurde jährlich eine repräsentative Auswahl<br />
der deutschen Bevölkerung zu ihren Einstellungen gegenüber einer Vielzahl von sozialen Gruppen<br />
befragt, die Adressaten von Vorurteilen <strong>und</strong> Diskriminierung sind, darunter auch die Einstellungen<br />
gegenüber Homosexualität <strong>und</strong> homosexuellen Menschen, hier als Homophobie bezeichnet. 59 Homophobie<br />
wird hier als soziale Einstellung verstanden, die ihre Dynamik über ausschließende Kategorisierung,<br />
Stereotypisierung <strong>und</strong> schließlich die negative Bewertung entfaltet. Wie auch bei<br />
Vorurteilen z. B. gegenüber ethnisch, kulturell oder religiös definierten Gruppen, geht es hier um die<br />
Abwertung von Menschen aufgr<strong>und</strong> ihrer zugewiesenen Gruppenzugehörigkeit, wobei es unerheblich<br />
ist, inwieweit sich eine Person selbst mit dieser Gruppe identifiziert.<br />
Im Auftrag der Landesregierung Nordrhein-Westfalen wurde eine Sonderauswertung auf der Datengr<strong>und</strong>lage<br />
der Studie zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit über Ausmaß <strong>und</strong> Hintergründe<br />
homophober Einstellungen in Nordrhein-Westfalen erstellt, die auf der Tagung vorgestellt<br />
wurde. Deutlich wird: Homophobie ist in Nordrhein-Westfalen ebenso wie im übrigen Deutschland in<br />
den vergangenen zehn Jahren kontinuierlich rückläufig. Dennoch äußert nach wie vor r<strong>und</strong> ein Fünftel<br />
der Befragten in Nordrhein-Westfalen in 2011 seine Zustimmung zu homophoben Einstellungen. Das