3. - Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW
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<strong>3.</strong> Wissenschaft <strong>und</strong> soziale Praxis: Perspektiven auf sexuelle <strong>und</strong> geschlechtliche Vielfalt<br />
Zweigeschlechtlichkeit <strong>und</strong><br />
Pluralisierung von Geschlecht<br />
Heteronormativität<br />
& Vielfalt<br />
➟<br />
➟<br />
Zweigeschl. „Sex“<br />
Ausgrenzung<br />
Intersexualität<br />
Transgender<br />
des Geschlechts <strong>und</strong> des Begehrens. Verschiedene geschlechtliche Stilisierungen werden zumindest<br />
in postmodernen Milieus möglich. Homosexualität wird als private Lebensform weithin anerkannt.<br />
Dennoch wirken die Zweigeschlechtlichkeit <strong>und</strong> die mit ihr verb<strong>und</strong>ene Heteronormativität weiterhin<br />
hegemonial, wenn auch relativiert.<br />
Ferner stellen sich hinter dem „Anschein“ der individuellen Wahl neue Normierungen <strong>und</strong> Zwänge<br />
heraus: Ist frau (zunehmend auch mann) wettbewerbsfähig in Bildung, Arbeitsmarkt <strong>und</strong> Body-Styling?<br />
Denn im flexibilisierten globalen Kapitalismus können vor allem die neuen hegemonialen Manager (Connell<br />
2012) <strong>und</strong> die „top-girls“ (McRobbie 2010) auf dem Karriereweg mithalten. Der flexibilisierte postfordistische<br />
Kapitalismus sucht nach individuellen Humankapitalträgern <strong>und</strong> mobilisiert auch <strong>Frauen</strong> <strong>und</strong><br />
Mütter für den Arbeitsmarkt. Das Ernährer-/Hausfrauenmodell erodiert allmählich. Die Einschlüsse erfolgen<br />
nicht mehr allein entlang der Grenzen der Zweigeschlechtlichkeit, sondern in einem Mischmodell<br />
von Ökonomisierung der Arbeitskraft <strong>und</strong> Diversity. Homosexuelle Mitarbeiter_innen wie auch<br />
Migrant_innen werden unter dem Leitwort „die Vielfalt nutzen“ als Leistungsträger_innen geschätzt.<br />
Doch wirkt die Heteronormativität weiter fort (vgl. Literaturbericht) <strong>und</strong> es zeichnen sich auch<br />
neue Ausschlüsse ab: Unbezahlte Versorgungsarbeit für Kinder, Alte oder Kranke wird weiterhin überwiegend<br />
von <strong>Frauen</strong> geleistet, doch die Anerkennung dafür bleibt weiter aus oder geht unter neoliberalen<br />
Vorzeichen sogar zurück. Vielmehr erscheint sie teils erneut als Störfaktor einer unbegrenzten<br />
Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt. Menschen in flexibilisierter, niedrigbezahlter Beschäftigung <strong>und</strong><br />
Hartz IV Empfänger werden ökonomisch <strong>und</strong> sozial tendenziell ausgeschlossen, wie sich an der Unterschicht-Debatte<br />
zeigte. Dies gilt verstärkt für Migrant_innen. Die Einstellung zu Migrant_innen ist<br />
komplex: Während sich die gesellschaftliche Mitte langsam öffnet, werden vor allem männliche Migranten<br />
teils stereotyp als emanzipationsfeindlich <strong>und</strong> homophob etikettiert, obwohl dies weder für<br />
die Mehrheit der Deutschen noch der Migrant_innen zutrifft (vgl. Küpper in diesem Band). Lesben<br />
<strong>und</strong> Schwule mit Migrationshintergr<strong>und</strong> werden kaum wahrgenommen oder ihre Problemlagen entsprechend<br />
politisch diskutiert (vgl. Les Migras in diesem Band). Die Debatte um neue sexualpolitische<br />
Kategorien muss deswegen eine intersektionale Querschnittsperspektive entwickeln.<br />
Die Pluralisierung des Geschlechts bleibt einstweilen vor Inter* stehen, wo die Zweigeschlechtlichkeit<br />
weiterhin hegemoniale Macht hat. So argumentieren Mediziner_innen, dass operative Geschlechtszuweisungen<br />
zum Besten des Kindes <strong>und</strong> der Eltern seien. Inter*-Menschen können evtl.<br />
nicht heiraten, weil die Norm der heterosexuellen Ehe fortbesteht. Die Selbstorganisation <strong>und</strong> die eigene<br />
Stimme von inter*-Menschen haben diesen Ausschluss hinter die Mauer der Zweigeschlechtlichkeit<br />
durchbrochen. Sie fordern nun die Politik, Verbände <strong>und</strong> Wissenschaft auf, gleiche Menschenrechte<br />
für sie zu verankern.<br />
Schaubild 4: Die drei<br />
Dimensionen von Geschlecht<br />
in der flexibilisiertenGeschlechterordnung<br />
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