3. - Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW
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54 Dieser Begriff „Sex“ leitet<br />
sich aus dem Sex-Gender-Modell<br />
der 1970er Jahre her, das<br />
vorschlug, zwischen einem sozialen<br />
Geschlecht (Gender) <strong>und</strong><br />
einem angenommenen biologischen<br />
Geschlecht (sex) zu unterscheiden.<br />
68<br />
<strong>3.</strong> Wissenschaft <strong>und</strong> soziale Praxis: Perspektiven auf sexuelle <strong>und</strong> geschlechtliche Vielfalt<br />
Ein weiterer Strang fokussiert auf die Heteronormativität: Wenn Heterosexualität unhinterfragte Norm<br />
bleibt, werden queere Formen des Begehrens ausgegrenzt <strong>und</strong> nicht anerkannt. Die Normalisierung<br />
von Heterosexualität bedeutet ihre Normierung, wie u. a. Judith Butler (1990) feststellte, <strong>und</strong> damit<br />
einen Ausschluss anderer Formen von Sexualität. Dementsprechend interessiert sich diese Richtung<br />
vor allem für Diskurse <strong>und</strong> Bilder von Sexualitäten <strong>und</strong> für die ihnen eingeschriebenen Machtverhältnisse.<br />
Die Heteronormativität erscheint als Hauptquelle der Ungleichheit <strong>und</strong> es bleibt unklar, wie sie<br />
mit der Ungleichheit zusammenhängt, die sich mit der Zweigeschlechtlichkeit <strong>und</strong> Ungleichheit von<br />
„Mann“ <strong>und</strong> „Frau“ im obigen Sinne verbindet.<br />
Eine dritte Debatte verfolgte, wie sich die Vorstellung eines biologisch begründeten zweigeschlechtlichen<br />
Geschlechtskörpers herausbildete. Häufig wird dafür auch der Begriff „Sex“ verwendet.<br />
54 Z. B. erscheint es heute als natürlich, dass alle Menschen einen Penis oder eine Vagina haben<br />
− <strong>und</strong> wer einen Penis hat, ist ein Mann. Wie aber etwa die Forschung zu Intersex oder Inter* zeigt,<br />
entspricht die Annahme eines eindeutigen Sex nicht den vielfältigen uneindeutigen Geschlechtskörpern<br />
vieler Menschen (vgl. Klöppel in diesem Band; Klöppel 2010). Vielmehr handelt es sich um eine Norm,<br />
die von der Wissenschaft des 19. <strong>und</strong> frühen 20. Jahrh<strong>und</strong>erts festgelegt wurde <strong>und</strong> heute Teil der<br />
Zweigeschlechtlichkeit im Alltagswissen geworden ist. Auch im Fall uneindeutiger Geschlechtskörper<br />
wird teils die Heteronormativität als Ursache von Abwertung <strong>und</strong> Ausgrenzung gesehen. Diese allgemeine<br />
Kritik der Heteronormativität kann aber auch diffus werden: Sie scheint die Gruppen entlang<br />
des Regenbogens der LSBTTI gleichermaßen zu betreffen. So werden ihre Positionen nicht mehr differenziert<br />
entschlüsselbar, sondern tendenziell homogenisiert. Diese Homogenisierung wirkt auch auf<br />
heterosexuelle Menschen zurück, die tendenziell alle gleich privilegiert erscheinen.<br />
Ich möchte vorschlagen, diese Ansätze zusammenzudenken. Deswegen möchte ich ein Verständnis<br />
von Geschlecht vorstellen, das diese Diskussionen zusammenführt <strong>und</strong> -fügt, also systematisch miteinander<br />
verstrebt: Ich verstehe Geschlecht als eine soziale Struktur, die im Wissen, den Normen, den<br />
Praktiken <strong>und</strong> dem Bewusstsein der Menschen in der Gesellschaft verankert ist. Das Geschlecht umfasst<br />
drei Dimensionen, die in Wechselwirkung stehen (vgl. nachfolgend Schaubild 1):<br />
Das Gender als soziale Struktur: Für unseren Zusammenhang ist besonders seine Bedeutung als<br />
Strukturkategorie von Differenzierung <strong>und</strong> Ungleichheit wesentlich. Wie oben schon angedeutet, werden<br />
Menschen verschiedenen Geschlechtern, mit denen sich unterschiedliche Lebenschancen <strong>und</strong><br />
Ressourcen verbinden, zugeordnet. Aufgr<strong>und</strong> dieser Zuordnungen <strong>und</strong> Klassifikationen werden auch<br />
heute noch viele Jungen mit blauen Stramplern <strong>und</strong> später mit Spielzeugautos beglückt, während<br />
Mädchen mit rosa Höschen <strong>und</strong> Puppen ausgestattet werden. Damit verbindet sich die Vorstellung<br />
einer gr<strong>und</strong>legenden Differenz zwischen blauen <strong>und</strong> rosa Stramplerträger_innen. Diese angenommene<br />
Differenz wiederum legitimierte lange eine geschlechtliche Arbeitsteilung nach dem Ernährer-/Hausfrauenmodell.<br />
Sie wird gegenwärtig umgestaltet, wie später erläutert wird.<br />
Die zweite wesentliche Dimension von Geschlecht ist die Sexualität oder das Begehren. In der<br />
europäischen Moderne wurde Heterosexualität zur herrschenden Norm <strong>und</strong> andere Formen des Begehrens<br />
ausgrenzt.<br />
Die dritte Dimension schließlich ist der „Sex“, das zugeschriebene Körpergeschlecht. Die Debatten<br />
toben weiterhin um die Frage, ob „Sex“ nun biologisch vorgegeben sei oder nicht. Aber auch dann<br />
wäre zu fragen, mit welcher Sprache <strong>und</strong> welchem Verständnis „biologische Tatsachen“ kulturell beschrieben<br />
werden. Menschen nehmen biologische Formen kulturell vermittelt auf <strong>und</strong> prägen sie so.<br />
Dieses Verständnis von Geschlecht ist zunächst allgemein auf anthropologischer Ebene formuliert.<br />
Es müsste also für bestimmte historische <strong>und</strong> kulturelle Kontexte spezifiziert werden. In Schaubild 1<br />
wird es skizziert. Die Dimensionen stehen in Wechselwirkung miteinander: Diese kann gleichgerichtet,<br />
also konkordant <strong>und</strong> homogenisierend, oder gegenläufig <strong>und</strong> plural verlaufen. Zum Beispiel gab es<br />
in einigen vormodernen Gesellschaften drei oder mehrere Geschlechter, die dann auch verschiedene<br />
Formen des Begehrens oder des „Sex“ zuließen. Allerdings waren sie meist um eine generelle Mann/<br />
Frau-Achse in einem gegengeschlechtlichen Haushalt verortet (vgl. Schröter 2002).