3. - Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW
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2. Interdisziplinäre Fachtagung „anders <strong>und</strong> gleich in <strong>NRW</strong>“ – Überblick <strong>und</strong> Ergebnisse<br />
kutiert. Ausgehend von der gegenwärtigen Pathologisierung, Diskriminierung <strong>und</strong> gesellschaftlichen<br />
Ausgrenzung von trans*- sowie inter*-Menschen wurden in der Arbeitsgruppe die aktuellen Problemlagen<br />
klar benannt.<br />
Die Medizinhistorikerin Dr. Ulrike Klöppel (Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien,<br />
Humboldt-Universität Berlin, vgl. Kapitel <strong>3.</strong>7) warb in ihrem Eingangsstatement für eine kritische<br />
Lesart von Dokumenten zum medizinischen Feld um „Intersexualität“. Auch neuste Positionierungen<br />
wie die „Stellungnahme“ des Deutschen Ethikrats (2012) gelte es hinsichtlich der zugr<strong>und</strong>e gelegten<br />
empirischen Standards zu hinterfragen bzw. auf eine erneute Essentialisierung hin zu prüfen. Die medizinische<br />
Kategorisierung <strong>und</strong> Diagnostik sei in den herkömmlichen medizinischen Untersuchungen<br />
stets der inhaltliche Einstieg. Somit würden solche Untersuchungen gezielt nur jene Menschen erfassen,<br />
die eine Diagnose präsentieren können <strong>und</strong> wollen. Die Gruppe der intersexuellen Menschen<br />
würde damit primär als pathologische Gruppe imaginiert. Klöppel plädierte insgesamt für eine Problematisierung<br />
der wissenschaftlichen Kriterien der Intersex-Forschung <strong>und</strong> trat für einen respektvollen<br />
Umgang mit den Menschen in diesem Zusammenhang ein.<br />
Lucie Veith (Neu-Wulmstorf, Vorsitz „Intersexuelle Menschen e.V.“, vgl. Kapitel <strong>3.</strong>8) betonte in<br />
ihrem Kommentar zum zweiten Arbeitsgruppenteil die persönlich biographische Seite von „Betroffen-Gemachten“:<br />
Der wissenschaftliche oder gesellschaftliche Diskurs, selbst in Bereichen des „Intermainstreamings“,<br />
müsse unter Einbezug von Selbsthilfegruppen <strong>und</strong> Engagierten im Feld<br />
stattfinden. Insbesondere die tatsächliche Vielfalt der Lebenslagen von inter*-Menschen gelte es zu<br />
erfassen; eine distanzierte, wenn auch wohlwollende Expert_innenperspektive verfehle das gr<strong>und</strong>sätzliche<br />
Ziel der Sichtbarmachung zwischengeschlechtlicher Menschen.<br />
Der im Zuge der Arbeitsgruppe zusammengestellte Forderungskatalog ist umfassend: Anreize zu<br />
einer öffentlichen Diskussion, weitreichende finanzielle Unterstützung für Selbsthilfegruppen, Ausbau<br />
<strong>und</strong> Vernetzung von Beratungsstellen sowie rechtliche, medizinische <strong>und</strong> psychologische Beratung/Aufklärung.<br />
Insbesondere Eltern von intersexuell geborenen Kindern sollten über die medizinische Behandlung<br />
<strong>und</strong> deren Risiken umfassend informiert werden. Inter*- <strong>und</strong> trans*-Menschen hätten ein<br />
Recht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit <strong>und</strong> Identität, auf Wahrung ihrer Ges<strong>und</strong>heit sowie auf<br />
eine menschenwürdige Behandlung. Es bestand weitgehender Konsens in der Arbeitsgruppe, dass im<br />
Falle von Diskriminierungen oder Verstößen Persönlichkeits- bzw. Menschenrechte zur Debatte stehen<br />
würden.<br />
Arbeitsgruppe „LSBTTI aus intersektionaler Sicht“ – Ungleichheit <strong>und</strong> Diskriminierung als Mehrebenenphänomen<br />
Dr. Lisa Mense (Gleichstellungsbüro, Universität Duisburg-Essen) moderierte schließlich die Arbeitsgruppe<br />
zu intersektionalen Ungleichheitsverhältnissen. Dort gerieten insbesondere Diskriminierungen<br />
<strong>und</strong> Benachteiligungen in den Blick, denen die Betroffenen aufgr<strong>und</strong> ihrer Position im Schnittfeld verschiedener<br />
sozialer Ungleichheitskategorien ausgesetzt waren.<br />
Den wissenschaftlichen Impuls setzte Prof. Dr. Ilse Lenz (vgl. Kapitel <strong>3.</strong>1). Sie merkte an, dass die<br />
sexuelle oder geschlechtliche Identität eines Menschen keineswegs ausschließlich für dessen strukturelle<br />
Benachteiligung oder soziale Ausgrenzung verantwortlich sei. Es seien vielmehr die Schnittmengen<br />
(Intersektionen) sozialer Ungleichheitskategorien wie Status, Ethnizität, Alter, Behinderung<br />
<strong>und</strong> Geschlechtlichkeit, die im Ringen um Gleichstellung <strong>und</strong> Anerkennung in den Blick genommen<br />
werden müssten. Insbesondere Fragen, wer von wo aus für/über wen spricht, sowie die damit verb<strong>und</strong>ene<br />
Frage nach Authentizität müssten eine größere Rolle spielen. Lenz sprach sich in diesem Zusammenhang<br />
mit Nachdruck für mehr biographische Lebenslagenforschung aus, in denen<br />
insbesondere die Faktoren „Migration“ <strong>und</strong> „Behinderung“ Beachtung finden sollten.<br />
Jacek Marjanski, Projektkoordinator von „baraka – a place for international lesbians, gays and<br />
friends” (RUBICON, Köln) ergänzte die theoretischen Ausführungen um Erfahrungsberichte aus der<br />
sozialen Praxis: Menschen mit Zuwanderungsgeschichte <strong>und</strong> LSBTTI-Hintergr<strong>und</strong> seien komplexen<br />
Benachteiligungen ausgesetzt, wie zahlreiche biographische Berichte zeigen würden51 . Klient_innen<br />
von „baraka“ würden zudem soziale Kategorisierungen oder Begriffe wie „Selbsthilfe“ oft ablehnen.<br />
Stattdessen würden Strategien des Empowerments gepflegt: Es gehe zentral um Hilfe bei der Selbstorganisation<br />
<strong>und</strong> -ermächtigung.<br />
Empfehlungen aus intersektionaler Perspektive zielen vor allem auf eine Anerkennung <strong>und</strong> Vereinbarkeit<br />
der Differenzen innerhalb einer kaum zu definierenden Menge an Menschen mit LSBTTI-<br />
51 vgl. Ruhrus, Vera; bararaka<br />
in Köln (2011): Weggehen <strong>und</strong><br />
Ankommen. Lesbische,<br />
schwule <strong>und</strong> transidentische<br />
Migrant_innen erzählen von<br />
ihrem Weg. RUBICON: Köln.<br />
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