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3. - Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW

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2. Interdisziplinäre Fachtagung „anders <strong>und</strong> gleich in <strong>NRW</strong>“ – Überblick <strong>und</strong> Ergebnisse<br />

Die Belange von intersexuell geborenen Menschen hob die Juristin Dr. Angela Kolbe (Frankfurt am<br />

Main) in ihrem Eingangsstatement hervor: Einer jahrzehntelangen Tabuisierung <strong>und</strong> Einstufung als<br />

„zu heilende Krankheit“ (Pathologisierungsdiskurs) folge nun allmählich eine gesellschaftliche Aufarbeitung.<br />

Zwar sei juristisch nach wie vor nur die Anerkennung als „männlich“ oder „weiblich“ möglich<br />

<strong>und</strong> die höchst fragwürdigen, geschlechtszuweisenden Operationen seien immer noch der<br />

Regelfall. Dennoch würden mittlerweile die Vereine <strong>und</strong> Selbsthilfegruppen, die sich zum Teil bereits<br />

in den 1990er Jahren gegründet haben, Gehör finden. Öffentlich gefordert würden nun mehr Zurückhaltung<br />

seitens der Medizin sowie entsprechende Interventionen der politischen Handlungsträger_<br />

innen. Mit Spannung seien die gesamtgesellschaftlichen Reaktionen auf die Stellungnahme <strong>und</strong> Empfehlungen<br />

des Deutschen Ethikrates bzw. einen Antrag von „Bündnis 90/Die Grünen“ im B<strong>und</strong>estag<br />

zu erwarten, so Kolbe abschließend.<br />

Mit juristischem Blick widmete sich die Rechtsanwältin Deborah Reinert anschließend den Lebenslagen<br />

von trans*-Personen. Überblicksartig stellte sie zentrale Problemlagen von Menschen mit<br />

transsexuellem Hintergr<strong>und</strong> heraus: große Informations- <strong>und</strong> Aufklärungsdefizite auf beiden „Seiten“,<br />

unklare Regelungen im Bereich des Rechts- bzw. Ges<strong>und</strong>heitswesens <strong>und</strong> transphobe Diskriminierungen<br />

allgemein. Reinert merkte in diesem Zusammenhang an, dass nur über eine umfassende Sensibilisierung<br />

der Mehrheitsgesellschaft für die Belange von trans*-Menschen sowie einen Ausbau der<br />

sozialen Beratungs- <strong>und</strong> Anlaufstellen für die Betroffenen den Ausschlüssen <strong>und</strong> Pathologisierungen<br />

entgegengewirkt werden könne. Ihre Studie (vgl. Kapitel <strong>3.</strong>6), so Reinert weiter, soll dabei als erster<br />

Versuch verstanden werden, Anknüpfungspunkte für eine umfassende empirische Lebenslagenforschung<br />

sowie Handlungsfelder für die soziale Praxis zu liefern.<br />

Prof. Dr. Beate Küpper (Hochschule Niederrhein, Fachbereich Sozialwesen) verwies unter Berücksichtigung<br />

ihrer Sonderauswertung „Homophobie in Nordrhein-Westfalen“ (vgl. Kapitel <strong>3.</strong>4) auf die<br />

Abwertung gegenüber homosexuellem Begehren, die sie mit dem Stigmatisierungsansatz erfasste.<br />

Im Rahmen homophober Äußerungen oder Übergriffe werde „der Andere“ zum Nicht-Normalen gemacht<br />

– ein Phänomen, das in Deutschland auch heute noch keine Randerscheinung sei, so Küpper.<br />

Sie <strong>und</strong> ihre Forschungsgruppe (Projekt „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“, Universität Bielefeld)<br />

verstehen Homophobie „als soziale Einstellung […], die ihre Dynamik über ausschließende<br />

Kategorisierung, Stereotypisierung <strong>und</strong> schließlich die negative Bewertung entfaltet“. Die Sonderauswertung<br />

zeige dabei, dass homophobe Einstellungen in <strong>NRW</strong> zwar rückläufig seien, ein Fünftel der<br />

Befragten aber nach wie vor gegen die Sichtbarkeit von Homosexualität in der Öffentlichkeit ist. Das<br />

Alter (je jünger, desto weniger homophob), der individuelle Bildungsgrad (je gebildeter, desto weniger<br />

homophob) <strong>und</strong> religiöse Ansichten (je enger religiös geb<strong>und</strong>en, desto homophober) würden die Ausprägung<br />

homophober Einstellungen dabei signifikant determinieren – wobei eine kleine Stichprobe<br />

darauf hinweise, dass gerade bei Jugendlichen ein leichter Anstieg der Homophobie zu verzeichnen<br />

ist. Homophobie insgesamt sei zudem verknüpft mit anderen Formen des diskriminierenden Ausschlusses<br />

wie Sexismus, Rassismus, Abwertung von Nicht-Erwerbstätigen etc. Einer solchen „Ideologie<br />

der Ungleichwertigkeit“ könne nur begegnet werden, indem das Konzept der Vielfalt im Hinblick auf<br />

den je individuellen Lebensentwurf allgemein Verbreitung finde.<br />

Der Sozialpsychologe Prof. Dr. Bernd Simon (Institut für Psychologie, Universität zu Kiel) betonte demgegenüber,<br />

wie weit die Gleichstellung <strong>und</strong> Anerkennung homosexueller Menschen dennoch vorangeschritten<br />

sei. Ein offen schwuler Außenminister ebenso wie die eingetragene Lebenspartnerschaft seien<br />

sichtbare Zeichen für den Wandel gesellschaftlicher Einstellungen. Waren <strong>und</strong> sahen sich Homosexuelle<br />

in den 1980ern vorwiegend noch als Opfer von Vorurteilen <strong>und</strong> Stereotypen, so seien sie in den letzten<br />

20 Jahren mehr <strong>und</strong> mehr zu selbstbewussten Akteur_innen sozialen Protests <strong>und</strong> Engagements geworden.<br />

In jüngster Zeit sei zudem eine Verschiebung des Anerkennungskampfes erkennbar. Nicht mehr die<br />

Gesellschaft als Ganzes würde als Hauptopponent im Ringen um Gleichstellung <strong>und</strong> Akzeptanz gesehen,<br />

die Forderung nach Anerkennung richte sich vielmehr verstärkt an einzelne gesellschaftliche Teilgruppen.<br />

Mit Blick auf aktuelle eigene Arbeiten verwies Simon in diesem Zusammenhang auf die Spannungen zwischen<br />

homosexueller Community <strong>und</strong> manchen migrantischen Milieus: Respekt sei mehr als Toleranz <strong>und</strong><br />

müsse wechselseitig eingefordert werden. Letztlich sei dann aber auch die Frage nach dem „Wir“ neu zu<br />

stellen. Sowohl die Schwulen- <strong>und</strong> Lesbenbewegung in ihren Anfängen wie auch die „Community“ in<br />

ihrer Weiterentwicklung gründeten zu Recht auf einer Zentrierungsbewegung um die homosexuelle Identität.<br />

Angesichts der neuen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen plädiert Simon jedoch für eine Dezentrierung:<br />

Die moderne, freiheitliche <strong>und</strong> plurale Gesellschaft verlange nach offenen Bündnispolitiken.

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