3. - Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW
3. - Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW
3. - Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
40<br />
1. QUEER in <strong>NRW</strong> – Forschungsstand zu Lebenslagen <strong>und</strong> Sozialstruktur<br />
Das steht noch aus<br />
Rechtlicher Handlungsbedarf besteht insbesondere in folgenden Bereichen: In Bezug auf die europäischen<br />
Richtlinien sind eine Erweiterung des AGG auf die Kirche als Arbeitgeber_in, Bereiche der öffentlichen<br />
Gewalt sowie einzelne privatrechtliche Aspekte (z. B. Ausnahmeregelungen beim Zustandekommen von<br />
Mietverhältnissen) wünschenswert. Steuerrechtlich, insbesondere im Hinblick auf die Eingriffe im Zuge<br />
der letzten Änderung des LPartG (z. B. Ehegattensplitting), wird die Gleichstellung mit der Ehe eine der<br />
zentralen Aufgaben sein. Dafür liegen alternative Konzepte vor; denkbar ist eine generelle Individualbesteuerung<br />
oder ein Familiensplittung (s. o.). Speziell die Realisierung eines Kinderwunsches (gemeinschaftliche<br />
Adoption, assistierte Reproduktion, „Co-Mutterschaft“) stellt gleichgeschlechtliche Lebenspartner_innen<br />
vor rechtliche Herausforderungen <strong>und</strong> Hindernisse, die weder mit dem Gleichheitsgedanken<br />
noch mit dem Kindswohl vereinbar sind. Nicht zuletzt fordern verschiedene Organisationen <strong>und</strong> Verbände<br />
eine generelle Ausweitung der Asylgründe um das Merkmal „sexuelle Identität“ bzw. „sexuelle<br />
Orientierung“ sowie ein Ende jener Rechtsprechung, die Menschen ein Ausleben ihrer menschenrechtlich<br />
geschützten Identität im Verborgenen zumutet. Zudem wurde vielfach die Forderung laut, den Schutz sexueller/geschlechtlicher<br />
Identität in Artikel 3 GG zu verankern. Vor dem Lichte der bisherigen Erfahrungen<br />
wie auch der EU-Richtlinien sollte im Gr<strong>und</strong>gesetz die Gleichheit aller Menschen voll verankert werden.<br />
Heterogene Lebenslagen<br />
Die Lebenslagen von Menschen mit homo- <strong>und</strong> bisexuellem Hintergr<strong>und</strong> sind heterogen. So sind z. B.<br />
die spezifischen Lebensbedingungen <strong>und</strong> die vielfältigen Problemlagen älterer <strong>und</strong> pflegebedürftiger<br />
Menschen mit gleichgeschlechtlicher Orientierung bisher wenig erforscht <strong>und</strong> die Datenlage höchst<br />
defizitär. Bezüglich homo- <strong>und</strong> bisexueller Menschen mit Migrationshintergr<strong>und</strong> existieren erste Studien,<br />
die jedoch dringend einer Ergänzung bedürfen. So besteht ein hoher Forschungsbedarf hinsichtlich<br />
der Vielfalt migrantischer Milieus, auch um gegenwärtige gesellschaftliche Einstellungen zu<br />
hinterfragen, die Migrant_innen pauschal Traditionalismus <strong>und</strong> Homophobie zuschreiben.<br />
Zentrale Forderung: Anerkennung der Vielfalt<br />
Der Wunsch nach Anerkennung von Vielfalt ist eine zentrale Forderung aller vorliegenden Studien.<br />
Um vielfältige Lebens- <strong>und</strong> Familienformen sichtbar <strong>und</strong> damit akzeptierter zu machen, wird eine<br />
breite Aufklärungsarbeit in Schulen, Betreuungseinrichtungen <strong>und</strong> staatlichen Behörden vorgeschlagen.<br />
Eine geschlechtersensible Pädagogik, konkrete Anti-Homophobie-Projekte in Schulen, eine Umarbeitung<br />
der Lehrbücher wie auch die Abänderung heteronormativer Amtsformulare werden dabei<br />
als Ansatzpunkte genannt, die die Sichtbarkeit <strong>und</strong> Akzeptanz von nicht-heteronormativen Lebensweisen<br />
erhöhen können.<br />
Forschungsprojekte für die Wissenschaft<br />
Aus einer wissenschaftlichen Perspektive sollten demzufolge Forschungsprojekte entworfen werden,<br />
die den Begriff Vielfalt theoretisch konturieren <strong>und</strong> empirisch eruieren. Hierzu bieten sich aus Sicht<br />
der sozialwissenschaftlichen Lebenslagenforschung zwei Vorgehensweisen an: Zum einen sollte eine<br />
Sek<strong>und</strong>äranalyse der pairfam-Daten vorgenommen werden, um die sozioökonomische Vielfalt von<br />
Regenbogenfamilien abbilden zu können; zum anderen könnten kontrastierende Fallstudien vorgenommen<br />
werden, um die individuelle Vielfalt sexualpolitischer Kategorien empirisch zu untermauern.<br />
Komplexe Diskriminierungen<br />
Die Notwendigkeit der rechtlichen Regulierung <strong>und</strong> Anerkennung lebensweltlicher Vielfalt wird durch<br />
die immer noch zahlreichen Diskriminierungserfahrungen von Menschen mit homo- <strong>und</strong> bisexuellem<br />
Hintergr<strong>und</strong> belegt. Sie sind überdurchschnittlich oft von Gewalt betroffen. Zudem wird darauf hingewiesen,<br />
dass Homophobie in Schulen oftmals erst thematisiert wird, wenn es bereits zu Ausgrenzung,<br />
Diskriminierung oder Gewalt gekommen ist. Diesbezüglich sind strukturelle <strong>und</strong> curriculare<br />
Rahmenbedingungen zu schaffen, die die Lehrenden <strong>und</strong> Schüler_innen frühzeitig über sexuelle <strong>und</strong><br />
geschlechtliche Vielfalt aufklären <strong>und</strong> so Homophobie entgegenwirken, auch im Hinblick auf einen<br />
etwaigen Migrationshintergr<strong>und</strong> der Betroffenen. In beruflichen Kontexten scheint der Faktor Diskriminierung<br />
bis auf wenige Ausnahmen gering erforscht. Die Europäische Kommission für Beschäftigung,<br />
Soziales <strong>und</strong> Chancengleichheit fordert vor diesem Hintergr<strong>und</strong>, die gewerkschaftliche<br />
Antidiskriminierungsarbeit um die Perspektive von LSBT-Menschen zu erweitern.