3. - Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW
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die nicht repräsentativ für die jeweilige Gruppe sein müssen. Diesbezüglich zeigt sich also ein hoher<br />
Forschungsbedarf – nicht zuletzt, um gegenwärtige gesellschaftliche Einstellungen zu hinterfragen,<br />
die Migrant_innen stereotyp Homophobie zuschreiben <strong>und</strong> so den verbreiteten Rassismus zusätzlich<br />
legitimieren. Denn lesbische <strong>und</strong> schwule Personen mit Migrationshintergr<strong>und</strong> müssen sich mit homophoben<br />
<strong>und</strong> rassistischen Diskriminierungserfahrungen auseinandersetzen, die oft ineinandergreifen.<br />
Wegen ihrer Herkunft haben 18 % Beschimpfungen <strong>und</strong> Bedrohungen erfahren, 13 % wurden<br />
gemobbt <strong>und</strong> 14 % verloren einmal eine Stelle. 50<br />
Differenziertes Bild von intersektionalen Ungleichheiten<br />
Anstelle einer Dichotomie zwischen moderner Mehrheitsgesellschaft <strong>und</strong> traditionellen homophoben<br />
Migrant_innengemeinden entsteht also ein differenziertes Bild von intersektionalen Ungleichheiten,<br />
in der heteronormative <strong>und</strong> andere Faktoren in der Strukturierung der Gesamtgesellschaft sichtbar<br />
werden. Dies kann anhand einiger Hinweise aus der Literatur zu schwulen Männern türkischer Herkunft<br />
kurz angedeutet werden. Zunächst weist Öktem (2010) daraufhin, dass in der Türkei Homosexualität<br />
<strong>und</strong> Transsexualität strafrechtlich nicht sanktioniert werden (sondern nur indirekt über<br />
allgemeine Moralparagraphen) <strong>und</strong> dass homosexuelle <strong>und</strong> transsexuelle Personen in Kunst <strong>und</strong> Kultur<br />
sichtbar <strong>und</strong> anerkannt sind. Die homosexuelle Emanzipationsbewegung hat in den 1990er Jahren<br />
zur Organisierung <strong>und</strong> zur Entstehung von Beratungseinrichtungen beigetragen <strong>und</strong> einen wesentlichen<br />
kulturellen Wandel bewirkt. In der qualitativen Fallstudie von transnationalen homosexuellen<br />
Partner_innenschaften in Berlin berichtet ein schwuler türkischer Migrant von der Unterstützung<br />
seines Vaters, der vielfältige Geschlechternormen lebte <strong>und</strong> ihm als Jungen auch einen Rock schenkte.<br />
Ein anderer schwuler Mann aus der zweiten Generation hatte demgegenüber wiederholte Diskriminierungen<br />
durch seinen homophoben Vater <strong>und</strong> den Rassismus in Berlin erfahren (Çetin 2012). Diese<br />
Beispiele sollen für die Widersprüchlichkeit <strong>und</strong> Vielfalt der Lebenslagen von lesbischen <strong>und</strong> schwulen<br />
Menschen mit Migrationshintergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> die zusammenwirkenden Einflussfaktoren von Mehrheitsgesellschaft<br />
<strong>und</strong> Migrationsgemeinden stehen. Weitere Forschungen dazu sind dringend erforderlich.<br />
Ungleichheitskategorie „Behinderung“<br />
Eine intersektionale Sichtweise auf Menschen mit besonderen Bedürfnissen <strong>und</strong> LSBTTI-Hintergr<strong>und</strong><br />
bringt eine Tagungsdokumentation der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit <strong>und</strong> Soziales von<br />
2010 ein. Wie bereits erwähnt, steht die Forschung hier ganz am Anfang. Die ersten Ergebnisse zu<br />
homosexuellen Menschen mit Migrationshintergr<strong>und</strong> zeigen bereits die Bedeutung intersektionaler<br />
Studien, die für alle Gruppen mit LSBTTI-Hintergr<strong>und</strong> etwa im Zusammenhang von Klasse, Migration,<br />
Alter <strong>und</strong> Behinderung vordringlich sind.<br />
1.5 Zusammenfassung <strong>und</strong> Ausblick<br />
Zum Abschluss sollen zentrale Ergebnisse nach Sichtung des einschlägigen Forschungsstandes zu den<br />
einzelnen Gruppen der LSBTTI zusammengefasst <strong>und</strong> auf mögliche Konsequenzen für die Forschungspraxis<br />
verwiesen werden. Zudem werden auch die wichtigen Handlungsempfehlungen der aufgenommenen<br />
Studien dargestellt; sie sollen als Diskussionsangebot für nachfolgende Arbeit verstanden<br />
werden.<br />
MENSCHEN MIT HOMO-/BISEXUELLEM HINTERGRUND<br />
1. QUEER in <strong>NRW</strong> – Forschungsstand zu Lebenslagen <strong>und</strong> Sozialstruktur<br />
Rechtliche Situation<br />
Die rechtliche Situation homosexueller oder bisexueller Menschen ist durch eine weitgehende Gleichstellung<br />
gekennzeichnet. Im Zuge der Etablierung bzw. Nachbesserung des AGG <strong>und</strong> des LPartG wurden<br />
sowohl der allgemeine Gleichheitsgr<strong>und</strong>satz hinsichtlich der „sexuellen Identität“ aufgenommen<br />
wie auch die Verwirklichungsmöglichkeiten von eingetragenen Lebenspartner_innen signifikant verbessert.<br />
In diesen Bereichen ist die rechtliche Anerkennung homo- <strong>und</strong> bisexueller Lebensweisen<br />
weiter vorangeschritten.<br />
50 Wegen sexueller Orientierung<br />
haben 31 % Beschimpfungen<br />
<strong>und</strong> Bedrohungen<br />
erfahren, 16 % wurden gemobbt<br />
<strong>und</strong> 3 % verloren einmal<br />
eine Stelle; vgl. LSVD<br />
2010, S. 66.<br />
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