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3. - Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW

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1. QUEER in <strong>NRW</strong> – Forschungsstand zu Lebenslagen <strong>und</strong> Sozialstruktur<br />

Hoher Bildungsgrad homosexueller Menschen mit Migrationshintergr<strong>und</strong><br />

Die Studie des Lesben- <strong>und</strong> Schwulenverbands Deutschland (LSVD) von 2010 betrachtete die Lebenssituation<br />

sowie die Stress- <strong>und</strong> Unterstützungsfaktoren von lesbischen <strong>und</strong> schwulen Menschen mit<br />

Migrationshintergr<strong>und</strong>. Sie beruht auf einem Sample von 360 befragten homosexuellen <strong>Frauen</strong> <strong>und</strong><br />

Männern mit <strong>und</strong> ohne Migrationshintergr<strong>und</strong>; es konnten 243 bereinigte Datensätze genutzt werden<br />

(ebd., S. 16 ff.). Angesichts des begrenzten Samples sind die folgenden Angaben eher als Aussagen<br />

über gr<strong>und</strong>sätzlich vorhandene Trends zu sehen:<br />

Etwa die Hälfte der lesbischen <strong>und</strong> schwulen Menschen mit Migrationshintergr<strong>und</strong> war zugewandert<br />

(58 %), wobei die Ursachen vor allem in familialen Gründen <strong>und</strong> Bildungsmigration lagen.<br />

10 % wanderten wegen des/der Partner_in <strong>und</strong> 5 % wegen der besseren Bedingungen für homosexuelle<br />

Personen nach Deutschland ein. Ein Drittel kam aus Osteuropa, ein Viertel aus Westeuropa <strong>und</strong><br />

den USA <strong>und</strong> ein Fünftel aus der Türkei <strong>und</strong> dem Nahen Osten (LSVD 2010, S. 17, 24, 25). Die anderen<br />

gehören der zweiten Generation an, die in Deutschland geboren <strong>und</strong> bei der mindestens ein Elternteil<br />

zugewandert ist. Die größte Gruppe lebt in Großstädten oder Metropolen. Etwa 30 % von ihnen wohnen<br />

alleine, 28 % in Wohngemeinschaften, 8 % bei den Eltern <strong>und</strong> 30 % mit einer/einem gleichgeschlechtlichen<br />

Partner_in. Bei lesbischen <strong>und</strong> schwulen Deutschen ist der Anteil der Alleinlebenden<br />

mit 39 % etwas höher <strong>und</strong> der mit Partner_innen (26 %) oder in einer Wohngemeinschaft lebenden<br />

(24 %) etwas geringer (LSVD 2010, S. 18f.).<br />

Der Bildungsgrad ist überdurchschnittlich hoch: 53 % ohne <strong>und</strong> 60 % der homosexuellen Menschen<br />

mit Migrationshintergr<strong>und</strong> absolvieren ein Studium oder haben es abgeschlossen. Dieses Ergebnis<br />

kann damit zusammenhängen, dass die Entscheidung für ein homosexuelles Leben durch<br />

Bildung <strong>und</strong> die dadurch vermittelte hohe Eigenständigkeit weiter unterstützt werden kann.<br />

Coming-Out (auch hier) als neuralgischer Punkt<br />

Die große Mehrheit der lesbischen <strong>und</strong> schwulen Personen mit Migrationshintergr<strong>und</strong> hat ein Coming-Out<br />

zumindest gegenüber einer Person vollzogen. Die meisten wussten bereits als Jugendliche,<br />

dass sie sich von Menschen des gleichen Geschlechts angezogen fühlen. Unterstützt bei ihrem Coming-Out<br />

wurden sie vor allem von Fre<strong>und</strong>_innen (lesb.: 74 %, schwul: 66 %), der lesbisch-schwulen<br />

Community (lesb.: 38 %, schwul: 31 %), Büchern/Zeitschriften (lesb.: 74 %, schwul: 66 %), Geschwistern<br />

(lesb.: 26 %, schwul: 29 %), Eltern (lesb.: 16 %, schwul: 12 %) <strong>und</strong> Beratungsstellen (lesb.: 9 %,<br />

schwul: 5 %) (LSVD 2010, S. 41). Diese Ergebnisse unterscheiden sich nur graduell von denen der<br />

deutschen Befragten. Bemerkenswert sind aber die große Bedeutung der Fre<strong>und</strong>_innen <strong>und</strong> der Community<br />

<strong>und</strong> der geringe Stellenwert der Eltern, der bei der deutschen Gruppe etwas höher ist. Interessant<br />

wäre eine geschlechtliche Aufschlüsselung der Einstellungen der Eltern gewesen, denn laut<br />

einer qualitativen Studie verhalten sich Mütter eher offen bis unterstützend <strong>und</strong> Väter eher ablehnend<br />

(Çetin 2012). Weiterhin besteht offensichtlich die Notwendigkeit, die Beratungsstellen für homosexuelle<br />

Menschen mit Migrationshintergr<strong>und</strong> auszubauen.<br />

Dies gilt insbesondere angesichts der schweren Belastungen eines Coming-Outs: Als Hindernisse<br />

wurden die Angst vor sozialer Isolierung, vor Bedrohung, vor körperlicher Gewalt, Minderwertigkeitsgefühle<br />

<strong>und</strong> immerhin bei einem Viertel der homosexuellen Männer Selbstmordgedanken aufgeführt<br />

(LSVD 2010: 40). Die Unterschiede nach Geschlecht zwischen schwulen Männern <strong>und</strong> lesbischen<br />

<strong>Frauen</strong> sind größer als nach Migration oder Einheimischenstatus.<br />

Forschungsdefizit zum Umgang mit Diskriminierung<br />

Dennoch sind die Werte bei schwulen deutschen Männern bezüglich der Angst vor sozialer Isolierung,<br />

vor körperlicher Gewalt <strong>und</strong> Minderwertigkeitsgefühle höher als bei denen mit Migrationshintergr<strong>und</strong>.<br />

Warum das so ist, bleibt unklar, da Studien zu Bewusstsein, Diskriminierung <strong>und</strong> Unterstützung von<br />

homosexuellen Menschen mit Migrationshintergr<strong>und</strong> noch weitgehend fehlen. Auch bei den Ergebnissen<br />

zu Diskriminierungen traten bei allgemeiner Diskriminierung <strong>und</strong> am Arbeitsplatz keine Unterschiede<br />

nach der ethnischen Herkunft auf. In der Familie waren lesbische <strong>und</strong> schwule Personen mit<br />

Migrationshintergr<strong>und</strong> allerdings häufiger Diskriminierung <strong>und</strong> Gewalt ausgesetzt. Die pauschale<br />

These einer höheren Homophobie in Migrationsgemeinden kann allerdings nicht bestätigt werden.<br />

Demgegenüber hat die Simon-Studie (2008) eine deutlich höhere Ablehnung vor allem von männlicher<br />

Homosexualität bei männlichen Jugendlichen aus der ehemaligen UdSSR <strong>und</strong> der Türkei als bei deutschen<br />

festgestellt. Dazu ist anzumerken, dass es sich um Einstellungen von Jugendlichen handelte,

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