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3. - Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW

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1. QUEER in <strong>NRW</strong> – Forschungsstand zu Lebenslagen <strong>und</strong> Sozialstruktur<br />

Team empfohlen (z. B. pädiatrische Spezialist_innen der Endokrinologie, Chirurgie oder Urologie; Psycholog_innen;<br />

Gynäkolog_innen; Sozialarbeit_innen; Medizinethiker_innen). Außerdem sollen betroffene<br />

Menschen <strong>und</strong> Eltern in die Entscheidungen eingeb<strong>und</strong>en werden. Als zentral wird ebenfalls<br />

der Schutz der gefühlserhaltenden Funktionen der Genitalien erachtet, der Vorrang vor dem kosmetischen<br />

Erscheinungsbild haben soll (Brinkmann 2007). Zehnder (2010) spricht sich ebenfalls für ein<br />

interdisziplinäres Behandlungsteam aus, das die individuellen Lebensumstände <strong>und</strong> Lebensentwürfe<br />

der Patient_innen beachtet. Gefordert wird ein offener Umgang mit Diagnosen, medizinischen Hintergründen<br />

<strong>und</strong> möglichen Interventionsmaßnahmen. Die psychischen Auswirkungen der Behandlungen<br />

sollen stärker berücksichtigt <strong>und</strong> eine langfristige psychologische Betreuung von Patient_innen<br />

<strong>und</strong> Angehörigen gewährleistet werden (Zehnder 2010).<br />

Rein Ästhetische Genitaloperationen als Menschenrechtsverletzung<br />

Einige wenige Autor_innen führen an, dass die frühen Genitaloperationen bei inter*-Kindern stark<br />

belastend sein können (Schweizer/Richter-Appelt 2012; Schweizer/Richter-Appelt 2009; Brinkmann<br />

2007). Die Hamburger Studie (2007) zeigt, dass trotz phänotypischer Angleichung an das weibliche<br />

oder männliche Geschlecht große Unsicherheiten bezüglich der entsprechenden Geschlechtsidentität<br />

auftreten. Folgen sind hohe psychische Symptombelastungen <strong>und</strong> Probleme im Bereich der Sexualität<br />

wie Unsicherheit bei sozialen Kontakten <strong>und</strong> in der sexuellen Interaktion. Viele inter*-Menschen berichten<br />

über Diskriminierungen während des Krankenhausaufenthaltes. Sie kritisieren vor allem die<br />

Zurschaustellung ihrer Person, photographische Nacktaufnahmen <strong>und</strong> einen unangemessenen Sprachgebrauch<br />

(Zehnder/Streuli 2012; Klöppel 2010). Seit Mitte der 1990er Jahre formiert sich ein Widerstand<br />

von inter*-Menschen gegen die bisherige medizinische Behandlungspraxis. Sie stellen die<br />

kosmetischen Genitaloperationen im Kindes- <strong>und</strong> Jugendalter in Frage <strong>und</strong> benennen diese als Menschenrechtsverletzung,<br />

Genitalverstümmelung <strong>und</strong> geschlechtliche Zwangsnormierung. Folgen der<br />

Operationen sind nicht selten Sensibilitätsverlust, funktionelle Schäden, schmerzhafte Vernarbungen<br />

oder Verwachsungen der Genitalien. Außerdem ist zu vermuten, dass aufgr<strong>und</strong> von traumatischen<br />

Behandlungserfahrungen schwere psychische Belastungen (Schamgefühle, negative Körpergefühle)<br />

entstehen können. Diesbezüglich liegen jedoch kaum Studien vor. Inter*-Initiativen fordern eine sensible<br />

Aufklärung <strong>und</strong> den Ausbau von Selbsthilfegruppen, vor allem auch für Eltern <strong>und</strong> Angehörige<br />

(Zehnder/Streuli 2012; Klöppel 2008). Aufgr<strong>und</strong> der menschenrechtlichen Brisanz dieses Thema gibt<br />

es eine Vielzahl von Handlungsempfehlungen zum Bereich inter*-Menschen, die entweder von Engagierten<br />

im Rahmen einer (über-)regionalen NRO-Arbeit (Intersexuelle Menschen e.V. et al. 2011)<br />

oder von den relevanten Expert_innen (Schweizer/Richter-Appelt 2012; Deutscher Ethikrat 2012) bereitgestellt<br />

werden. Die Teilnehmer_innen der Online-Umfrage des Deutschen Ethikrates fordern vor<br />

allem mehr öffentliche Aufklärung <strong>und</strong> eine Enttabuisierung der Thematik Intersexualität – insbesondere<br />

in Schulen, an Universitäten, bei Mediziner_innen <strong>und</strong> Psycholog_innen (Bora 2012). Eine pointierte<br />

Aufstellung weitergehender Empfehlungen, auch im Sinne eines „good practice“ findet sich<br />

bei Groneberg (2012).<br />

1.4 Diskriminierung <strong>und</strong> Gewalt<br />

Heteronormative Diskriminierung <strong>und</strong> Gewalt spielen für alle angesprochenen Bereiche eine Rolle.<br />

Die folgende Darstellung konzentriert sich auf aktuelle Untersuchungen, die sich auf Diskriminierung<br />

<strong>und</strong> Gewalt, insbesondere im Arbeitsleben beziehen. Die folgenden Untersuchungen verweisen auf<br />

den Kontext von Diskriminierung <strong>und</strong> Gewalt gegenüber LSBTTI-Menschen. Diese wirken auf die<br />

Durchsetzung einer heteronormativen Gesellschaftsordnung hin, in der die soziale Norm des heterosexuellen<br />

Begehrens <strong>und</strong> der Zweigeschlechtlichkeit aufrechterhalten wird, indem queere Lebensentwürfe<br />

<strong>und</strong> Personen tendenziell marginalisiert, kriminalisiert, pathologisiert oder unsichtbar gemacht<br />

werden (Franzen/Sauer 2011; Kummer 2011). Eine Studie des Deutschen Ethikrates ergab, dass inter*-<br />

Personen neben Diskriminierungs- <strong>und</strong> Ausgrenzungserfahrungen vor allem die Tabuisierung des Themas<br />

Intersexualität problematisieren. Dies geht oft mit einer gr<strong>und</strong>sätzlichen Infragestellung der<br />

binären Geschlechtseinordnung einher (Bora 2012). Die repräsentative Studie der Antidiskriminierungsstelle<br />

des B<strong>und</strong>es „Diskriminierung im Alltag“ (2008) zeigt, dass homo- <strong>und</strong> transphobe Ein-

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