3. - Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW
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1. QUEER in <strong>NRW</strong> – Forschungsstand zu Lebenslagen <strong>und</strong> Sozialstruktur<br />
Verheimlichungen <strong>und</strong> Doppelleben (Bachmann/Peter 2009). Ältere lesbische <strong>Frauen</strong> sind häufiger<br />
als schwule Männer in einer finanziellen Problemlage, da sie in der Regel weniger Rente erhalten.<br />
Zudem diskriminieren kirchliche Institutionen teils offen gelebte Homosexualität. Bei alten lesbischen<br />
<strong>und</strong> schwulen Menschen besteht ein großes Misstrauen, oft auch eine Abneigung gegenüber Alten<strong>und</strong><br />
Pflegeheimen (Sudun 2009).<br />
Ferner wird Homosexualität in der Altenpflege (Ausbildung, Fort- <strong>und</strong> Weiterbildung) nicht genügend<br />
Aufmerksamkeit geschenkt. Kritisiert wird zudem, dass das Thema Homosexualität in den Lehrplänen<br />
nur unter „Sexualität im Alter“ benannt wird. Homosexuelle ältere Menschen wünschen sich<br />
insgesamt einen einfühlsameren <strong>und</strong> respektvolleren Umgang (Bachmann/Peter 2009).<br />
Hoher Forschungsbedarf zur Ges<strong>und</strong>heit von trans*- <strong>und</strong> inter*-Menschen<br />
Aufgr<strong>und</strong> des geringen Forschungsstandes (vgl. Schweizer/Richter-Appelt 2012) besteht ein besonders<br />
hoher Forschungsbedarf zur ges<strong>und</strong>heitlichen Situation von trans*- <strong>und</strong> inter*-Menschen. Gr<strong>und</strong> für<br />
deren bisherige Randständigkeit in der Wissenschaft ist die Dominanz <strong>und</strong> Wirkmächtigkeit des Zweigeschlechtermodells,<br />
das selbst in heteronormativ-kritischen Kreisen noch präsent ist. Zunächst ist<br />
festzustellen, dass trans*-Menschen eine gr<strong>und</strong>sätzliche Diskriminierung aufgr<strong>und</strong> der Zuordnung<br />
von Transsexualität als psychische Krankheit erleben (LSVD 2012). Diese Zuordnung ist Folge einer<br />
gesellschaftlichen Ordnung, die Geschlecht nicht nur als binär, sondern vor allem als eindeutig <strong>und</strong><br />
endgültig begreift. Wenn trans*-Menschen geschlechtsangleichende Maßnahmen wahrnehmen möchten,<br />
geht dies mit einer Pathologisierung einher: Therapeut_innen <strong>und</strong> Gutachter_innen entscheiden<br />
über den Eingriff, da die Kosten ansonsten nicht von den Krankenkassen getragen werden (Ankermann<br />
2010). Es entsteht eine Konfliktsituation für trans*-Menschen: Sie müssen sich als psychisch krank<br />
bezeichnen <strong>und</strong> behandeln lassen, um eine finanzielle Unterstützung der Krankenkasse zu erhalten.<br />
Eine mindestens einjährige Psychotherapie bzw. psychiatrische Behandlung ist neben dem Alltagstest<br />
zumeist Voraussetzung für eine Kostenübernahme (Franzen/Sauer 2010). Aufgr<strong>und</strong> dieser pathologisierenden<br />
Gr<strong>und</strong>haltung, die die Gesellschaft wie auch die Medizin weiterhin prägt, leiden trans*-<br />
Menschen häufig an reaktiven Störungen wie depressive Verstimmungen <strong>und</strong> Ängsten (Steger 2007).<br />
Vermehrte Suizidgedanken treten auf, wenn die medizinische Behandlung aufgr<strong>und</strong> der Bestimmungen<br />
der Krankenkassen verzögert wird (Staatsverwaltung für Bildung, Jugend <strong>und</strong> Sport Berlin 2006).<br />
Deutsche trans*-Organisationen fordern daher die Entpathologisierung von trans* (LSVD 2012; Franzen/Sauer<br />
2010).<br />
Intersexualität <strong>und</strong> Medizin<br />
Der medizinische Begriff „Intersexualität“ beschreibt eine Vielzahl von verschiedenen Diagnosen <strong>und</strong><br />
umfasst ein äußerst heterogenes Bild verschiedener Geschlechtsentwicklungen. Dies macht es erforderlich,<br />
die Lagen von inter*-Menschen innerhalb einer medizinischen oder psychotherapeutischen<br />
Behandlung differenziert zu betrachten (Prochnow/Schweizer/Richter-Appelt 2010; Schweizer/Richter-Appelt<br />
2009; Senatsverwaltung für Bildung, Jugend <strong>und</strong> Sport Berlin 2006). In einigen Studien<br />
wird die Ursache von Intersexualität als „Störung“ des pränatalen geschlechtlichen Differenzierungsprozesses<br />
definiert (Brinkmann 2007). Den verschiedenen intersexuellen Formen liegen demzufolge<br />
unterschiedliche biologische Ursachen zu Gr<strong>und</strong>e, die wiederum unterschiedliche Entwicklungsverläufe<br />
bedingen. Da sich die geschlechtliche Entwicklung des Menschen auf verschiedenen Ebenen <strong>und</strong> zu<br />
verschiedenen Zeitpunkten vollzieht, kann es auf jeder dieser Ebenen zu Besonderheiten in der Geschlechtsentwicklung<br />
kommen.<br />
Mit der Online-Umfrage „Zur Situation intersexueller Menschen“ des Deutschen Ethikrates (Bora<br />
2012) liegt eine erste Erhebung zu Lebenslagen von inter*-Menschen vor, die allerdings nicht repräsentativ<br />
ist (vgl. hierzu auch Lang 2006). Dennoch liefert sie wichtige Anhaltspunkte bezüglich ihrer<br />
ges<strong>und</strong>heitlichen Lage: Die Mehrzahl der 199 Befragten hat eine chirurgische <strong>und</strong>/oder hormonelle<br />
Behandlung erfahren, wobei bei knapp 70 % der Personen mit chirurgischer Behandlung der erste<br />
Eingriff im Vorschulalter erfolgte, <strong>und</strong> zwar in über der Hälfte der Fälle vor Vollendung des zweiten<br />
Lebensjahres. Der zweite operative Eingriff erfolgte bei einem Drittel der Befragten ebenfalls im Vorschulalter;<br />
in zwei Drittel der Fälle waren die Befragten in die Entscheidung über einen Eingriff nach<br />
eigenen Angaben involviert (Bora 2012). Im Jahr 2005 sprach sich die Chicago Consensus Conference<br />
dafür aus, dass die Geschlechtszuweisung von inter*-Neugeborenen durch eine Expert_innen-Evaluation<br />
begleitet werden soll; für die anschließende langfristige Betreuung wird ein multidisziplinäres<br />
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