3. - Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW
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47 Dieses Ergebnis, dass verdeckt<br />
lebende Homosexuelle<br />
größere Probleme in Familie,<br />
Arbeitsplatz <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit<br />
haben, wiederholt sich, ohne<br />
dass bereits eine Untersuchung<br />
zu den Ursachen <strong>und</strong> Mechanismen<br />
dieses Unterschieds in<br />
den Lebenslagen vorliegt. Das<br />
Verstecken der Homosexualität<br />
kann Probleme verstärken,<br />
aber umgekehrt kann es evtl.<br />
durch eine insgesamt schlechtere<br />
Lebenslage mit weniger<br />
kulturellen, sozialen <strong>und</strong> ökonomischen<br />
Ressourcen begünstigt<br />
worden sein.<br />
32<br />
1. QUEER in <strong>NRW</strong> – Forschungsstand zu Lebenslagen <strong>und</strong> Sozialstruktur<br />
untersuchungen bei heterosexuellen <strong>und</strong> lesbischen <strong>Frauen</strong> ist gr<strong>und</strong>sätzlich gleich, verdeckt lebende<br />
homosexuelle <strong>Frauen</strong> nehmen allerdings weniger häufig an Vorsorgeuntersuchungen teil. 47<br />
Die Lebensweise von lesbischen <strong>Frauen</strong> weist Spezifika auf, die in der Psychotherapie berücksichtigt<br />
werden müssen (Frossard 2000). Besonders die Phase des Coming-Outs ist ein neuralgischer<br />
Punkt: Lesbische <strong>Frauen</strong>, die sich in ihrer Homosexualität nicht angenommen fühlten, beurteilten die<br />
Psychotherapie deutlich negativer. Themen, die im direkten Zusammenhang mit der lesbischen Orientierung<br />
<strong>und</strong> dem gesellschaftlichen Umgang damit stehen, wurden von den Therapeut_innen nach<br />
Meinung der lesbischen Klientinnen zu wenig beachtet (Frossard 2000). Auch hier wären neuere Forschungen<br />
dringend erwünscht.<br />
Verschiedene Gründe für hohe Suizidalität<br />
Bei homo- <strong>und</strong> bisexuellen Menschen sind im Vergleich zu heterosexuellen Menschen die Indikatoren<br />
für Suizidalität wie Ruhewünsche, Suizidgedanken ohne Absicht, ernsthafte Suizidgedanken, abgebrochene<br />
Suizidversuche <strong>und</strong> Suizidversuche ausgeprägter. Ebenso ist eine signifikant höhere Rate<br />
an Suizidversuchen festzustellen. Plöderl (2005) schließt daraus, dass sich bisexuelle Menschen in<br />
einer schlechteren psychischen Verfassung befinden als homosexuelle Menschen. Signifikante Zusammenhänge<br />
von Suizidalität, internalisierter Homophobie <strong>und</strong> familiärer Gewalt aufgr<strong>und</strong> der sexuellen<br />
Orientierung konnten herausgestellt werden. Personen mit Doppelstigma, z. B. homo- oder bisexuelle<br />
Menschen mit Migrationshintergr<strong>und</strong>, sind besonders von Suizidalität betroffen (Plöderl 2005). Auch<br />
aktuelle Studien aus den USA, Großbritannien <strong>und</strong> Niederlanden zeigen eine höhere Prävalenz von<br />
psychischen Störungen bei homo- <strong>und</strong> bisexuellen Menschen (Biechele 2006).<br />
Neue Wege der Ges<strong>und</strong>heitssicherung in der Gay-Community<br />
Homosexuelle Männer mit niedrigem Bildungsniveau <strong>und</strong> solche, die in Kleinstädten leben, profitieren<br />
weniger von Präventionsmaßnahmen <strong>und</strong> -kampagnen <strong>und</strong> verfügen über weniger Informationen<br />
bezüglich Ansteckungs- <strong>und</strong> Schutzmöglichkeiten vor einer HIV-Infektion. Gründe dafür könnten das<br />
Fehlen von <strong>Netzwerk</strong>en wie einer Gay Community <strong>und</strong>/oder Beratungsstellen sein. Depressionen <strong>und</strong><br />
Alkoholprobleme kommen überdurchschnittlich oft bei homosexuellen Männern aus prekären Lebensverhältnissen<br />
vor. Das Risiko von ungeschütztem Sex wird durch Alkohol- <strong>und</strong> Drogeneinnahme<br />
bei homosexuellen Männern verstärkt (Biechele 1996). Ein Leben mit einer HIV-Infektion zeichnet<br />
sich durch hohe Belastungen der Betroffenen in allen Lebensbereichen aus. Der Erfolg der medizinischen<br />
Behandlung unterliegt psychologischen <strong>und</strong> sozialen Einflüssen (Biechele 1996). Homosexuelle<br />
HIV-infizierte Männer haben signifikant höhere Werte bei psychischen Störungen. Diese zeigen sich<br />
in Anpassungsstörungen (19 %), Major Depressionen (16,9 %), affektiven Störungen (15,5 %) <strong>und</strong><br />
Angststörungen (19,7 %). Die höchste psychische Belastung hatten kürzlich infizierte homosexuelle<br />
Männer. Zudem sind bei ihnen die Lebensqualität <strong>und</strong> die Zufriedenheit mit der Ges<strong>und</strong>heit schlechter<br />
(Bock 2000). Positiv zu erwähnen bleibt ein achtsames Bewusstsein für die Gefahren von HIV/Aids<br />
bei Männern mit homo- oder bisexuellem Hintergr<strong>und</strong>. Einer Studie der BZgA von 2007 zufolge ist<br />
die Anzahl an HIV-Neuinfektionen zwar gestiegen, eine „zunehmende Sorglosigkeit“, „Präventionsoder<br />
Kondommüdigkeit“ kann in diesem Zusammenhang jedoch nicht festgestellt werden. Zudem<br />
besteht weiterhin eine deutliche Orientierung an Risikovermeidungsstrategien (Bochow/Schmidt/Grote<br />
2010; Bochow/Schmidt 2009). Auch für ein oftmals unterstellt signifikanteres HIV-bezogenes Risikoverhalten<br />
im Bereich von Online-Dating-Plattformen lassen sich in der Summe keine Hinweise finden.<br />
Vielmehr ist auf die Eignung des Internets als „Medium der Ges<strong>und</strong>heitsförderung“ für Menschen<br />
mit LSBTTI-Hintergr<strong>und</strong> hinzuweisen, z. B. durch die bessere mediale Erreichbarkeit von bildungsferneren,<br />
ungeouteten oder verdeckt lebenden Menschen mit entsprechendem Hintergr<strong>und</strong> (Bochow/<br />
Schmidt/Grote 2009).<br />
Spezifische Lebenslagen älterer <strong>und</strong> pflegebedürftiger Menschen mit LSBTTI-Hintergr<strong>und</strong><br />
Die spezifischen Lebensbedingungen <strong>und</strong> die vielfältigen Problemlagen älterer <strong>und</strong> pflegebedürftiger<br />
Menschen mit gleichgeschlechtlicher Orientierung sind bisher wenig erforscht <strong>und</strong> zeichnen sich durch<br />
eine defizitäre Datenlage aus. Homosexuelle ältere Menschen leben aus Angst vor Diskriminierung<br />
oft zurückgezogen. Die heute über 75-jährigen homo- oder bisexuellen Menschen haben massive<br />
Diskriminierung erlebt <strong>und</strong> ihre Jugend unter der Bedrohung des Verbots der männlichen Homosexualität<br />
durch § 175 verbracht. Ein offener Umgang mit dem Thema ist oft <strong>und</strong>enkbar <strong>und</strong> führt zu