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3. - Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW

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1. QUEER in <strong>NRW</strong> – Forschungsstand zu Lebenslagen <strong>und</strong> Sozialstruktur<br />

Regenbogenfamilien führt oft dazu, dass die Kinder ihre Familiensituation verheimlichen (Rupp 2009;<br />

Carapaccio2008). Zwischen den Kindern lesbischer <strong>und</strong> heterosexueller Mütter zeigen sich bezüglich<br />

ihrer familialen Bindungen kaum Unterschiede. Lediglich in Bezug auf ihr soziales Umfeld berichten<br />

die Kinder lesbischer Mütter von weniger Konflikten in der Fre<strong>und</strong>schaft zu ihrer besten Fre<strong>und</strong>in oder<br />

ihrem besten Fre<strong>und</strong>. Zudem fühlen sie sich tendenziell in ihre Peer-Group weniger integriert als die<br />

Kinder heterosexueller Mütter (Carapacchio 2008).<br />

86 % der von Rupp befragten Eltern legen Wert darauf, dass das Kind auch Bezugspersonen des<br />

anderen Geschlechts hat. Dies wird in der Öffentlichkeit weitgehend ignoriert, was wohl auf weit verbreitete<br />

Vorurteile zurückgeht. So zeigte Kläser in seiner 2011 erschienenen Interviewstudie, dass die<br />

Vorurteile gegenüber Regenbogenfamilien vor allem auf die „fehlende“ Vater- bzw. Mutterfigur gründen,<br />

die als Zeichen erzieherischer Inkompetenz gedeutet werde (Kläser 2011). Auch Rupp konnte<br />

belegen, dass knapp die Hälfte der befragten Eltern mindestens einmal auf Ablehnung gestoßen ist.<br />

Die selbst gelebte Familienform wird überwiegend als benachteiligt wahrgenommen, wobei 72 %<br />

der Befragten auf finanzielle <strong>und</strong> 67 % auf rechtliche Nachteile (z. B. im Steuerrecht) verweisen. Die<br />

Wahrnehmung der LP als „Ehe zweiter Klasse“ <strong>und</strong> Bezeichnungen wie „Verpartnerung“ <strong>und</strong> „Vertragsaufhebung“<br />

werden als diskriminierend wahrgenommen. Insgesamt fordern 93 % der Regenbogenfamilien<br />

eine Veränderung der rechtlichen Situation – vor allem, um die Familie besser absichern<br />

zu können. Die Rupp-Studie bestätigt schließlich die Ergebnisse internationaler Studien über Regenbogenfamilien,<br />

indem sie aufzeigt, dass für die Entwicklung der Kinder nicht die Familienstruktur, sondern<br />

die Qualität der innerfamiliären Beziehungen entscheidend ist (Gerlach 2010; Carapaccio 2008;<br />

Berger/Reisbeck/Schwer 2000; Allen 1997; Flaks 1995).<br />

Handlungsempfehlungen zu Regenbogenfamilien<br />

Die zentralen Handlungsempfehlungen der Studien betreffen vor allem zwei Bereiche: Zum einen die<br />

volle rechtliche Gleichstellung von Lebenspartnerschaften mit der Ehe <strong>und</strong> zum anderen den vollen<br />

Schutz der Familie durch den Staat. Dazu gehören<br />

• steuerrechtliche Gleichstellung, z. B. Kinderfreibetrag, Ehegattensplitting;<br />

• ein volles Adoptionsrecht, z. B. die Erleichterung der Stiefkindadoption in der Verwaltungspraxis<br />

<strong>und</strong> gemeinsame Fremdkindadoption sowie der Kindergeldanspruch der Lebenspartner_innen;<br />

• Sorgerecht (vgl. insgesamt „Rechtlicher Stand der Gleichstellung“).<br />

Außerdem wird kritisiert, dass nach Auflösung einer LP keine gesetzliche Verpflichtung für die<br />

Partner_innen zu Unterhaltszahlungen an das Kind besteht, sofern das Kind nicht adoptiert wurde<br />

(Kläser 2011; Herbertz-Floßdorf 2010; Rupp 2009). Herbertz-Floßdorf weist zudem auf die institutionalisierte<br />

Diskriminierung seitens der katholischen Kirche hin. Ferner sieht sie Handlungsbedarf hinsichtlich<br />

der städtischen Aufklärungsarbeit in Schulen <strong>und</strong> Betreuungseinrichtungen. Hier verortet<br />

auch Hertling (2011) dringenden Handlungsbedarf: Die Aufklärung heterosexueller Jungen <strong>und</strong> Mädchen<br />

über LSBTTI-Lebensentwürfe sollte in geschlechterpädagogische Konzepte einbezogen werden,<br />

um der alltäglichen Homophobie entgegenzuwirken. Als weitere wichtige Punkte werden zudem die<br />

Weiterbildung <strong>und</strong> Schulung von Mitarbeiter_innen der Behörden, die Umgestaltung heteronormativer<br />

Formulare <strong>und</strong> die Überarbeitung von Lehrbüchern angesehen. Insgesamt besteht der Wunsch nach<br />

mehr Sichtbarkeit von Regenbogenfamilien, welche durch spezifische Kampagnen erreicht werden<br />

könnte.<br />

Anerkennung von Vielfalt<br />

Neben diesen konkreten politischen Handlungsempfehlungen wird mehrfach der Wunsch nach der<br />

Anerkennung von Vielfalt geäußert. Seien es Hinweise auf die biographische Vielfalt der Regenbogenfamilien-Kinder<br />

(Rupp 2009), die vielfältigen Formen des Zusammenlebens der Familien (Gerlach<br />

2010) oder die Fülle an sexuellen Kategorien (Hertling 2011) – in allen aktuellen Publikationen wird<br />

der Begriff „Vielfalt“ als zentraler Bezugspunkt <strong>und</strong> politische Größe genannt. Die augenscheinliche<br />

Prominenz des Begriffs ist zu begrüßen. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der hier<br />

aufgearbeitete Forschungsstand des Bereichs „Familie, Partnerschaft <strong>und</strong> Kinder“ vor allem die Lebenslagen<br />

von weißen lesbischen <strong>und</strong> (wenigen) schwulen Deutschen der Mittelklasse widerspiegelt.<br />

Wünschenswert sind demzufolge Forschungsprojekte, die den Begriff „Vielfalt“ theoretisch konturieren<br />

<strong>und</strong> empirisch eruieren. Hierzu bieten sich aus Sicht der sozialwissenschaftlichen Lebenslagenfor-<br />

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