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3. - Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW

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1. QUEER in <strong>NRW</strong> – Forschungsstand zu Lebenslagen <strong>und</strong> Sozialstruktur<br />

aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung,<br />

einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität“ (§ 1 AGG) in privatrechtlicher<br />

Hinsicht entgegen zu wirken (Frenzel 2010). Um das Verhältnis der Bürger_innen untereinander möglichst<br />

diskriminierungsfrei werden zu lassen, wurde dabei eine Einschränkung der Privatautonomie in<br />

Kauf genommen. Die Kategorie der „sexuellen Identität“ wird dabei im Sinne des Schutzes einer bestimmten<br />

sexuellen Orientierung verstanden – im Anschluss an Richtlinie 2000/78/EG –, jedoch nicht<br />

explizit genannt. Die sich daraus ergebende Spannung zwischen „sexueller/geschlechtlicher Identität“<br />

<strong>und</strong> „sexueller Ausrichtung/Orientierung“ bleibt ungelöst (Adamietz 2011; Fink-Jamann 2009;<br />

Hanau/Thüsing 2001).<br />

Auch wenn das AGG Diskriminierungen entlang der genannten Differenzen untersagt, bleiben<br />

spezifische Bereiche als Sphären sui generis ausgespart, wozu die arbeitsrechtlichen Ausnahmeregelungen<br />

für kirchliche Gemeinschaften <strong>und</strong> die spezifischen Bestimmungen für den Wohnungsmarkt<br />

zählen. Zwar gilt das AGG in seiner letzten Beschlussfassung für das Zivilrecht <strong>und</strong> das Arbeitsrecht.<br />

Die wesentlichen Abwägungsprozesse zwischen allgemeiner Vertragsfreiheit <strong>und</strong> dem Anspruch auf<br />

Gleichbehandlung kommen jedoch im Falle der Ausübung öffentlicher Gewalt von Behörden <strong>und</strong> Gerichten<br />

sowie im Falle eingetragener Religionsgemeinschaften an ihre Grenzen.<br />

Die katholische <strong>und</strong> evangelische Kirche in Deutschland (einschließlich ihrer Sozialeinrichtungen)<br />

gehören zu den größten Arbeitgeber_innen in der B<strong>und</strong>esrepublik. Dennoch sind sie als „Tendenzbetriebe“<br />

privilegiert <strong>und</strong> deswegen weiterhin berechtigt, u. a. homosexuelle Menschen trotz des<br />

AGG zu diskriminieren. Mit Verweis auf „schwerwiegende persönliche sittliche Verfehlungen“ bzw.<br />

dem damit verb<strong>und</strong>enen Verstoß gegen die Loyalitätsobliegenheiten kann beispielsweise die Kirche<br />

die Kündigung im Falle der Begründung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft oder des offenen<br />

Lebens einer homosexuellen Beziehung rechtfertigen. Auch genießt sie hier weiterhin ein Fragerecht<br />

bzgl. des Personenstands bzw. ob eine eingetragene Lebenspartnerschaft vorliegt (Fink-Jamann 2009;<br />

Hanau/Thüsing 2001). Der Kirche steht also frei, entsprechend ihrer religiösen Gr<strong>und</strong>sätze zu verfahren<br />

<strong>und</strong> Homosexuelle arbeitsrechtlich zu benachteiligen, wobei das konfessionelle Verständnis von Sitte,<br />

Anstand <strong>und</strong> Ehe als Bewertungsgr<strong>und</strong>lage dient (Bauer/Göpfert/Krieger 2011; Fink-Jamann 2009).<br />

Ein weiterer Bereich, wo das AGG nicht voll wirksam wird, ist der Wohnungsmarkt. Sofern der<br />

Mietbestand einer Vermieter_in einen Schwellenwert von 50 Wohnungen nicht übersteigt, diese_r<br />

bzw. ein_e Angehörige_r mit auf dem Mietgr<strong>und</strong>stück wohnt oder ein „besonderes Nähe- oder Vertrauensverhältnis“<br />

begründet wird, darf weiterhin diskriminiert, d. h. aufgr<strong>und</strong> bestimmter Persönlichkeitsmerkmale<br />

der Mietsuchenden ein Mietverhältnis verweigert werden. 18 Dies kann Menschen<br />

mit LSBTTI-Hintergr<strong>und</strong> schwer treffen.<br />

Trans*- oder inter*-Personen schließlich haben eine Sonderstellung im Rahmen der Auslegung<br />

des AGG. Generell unterliegen sie als Rechtsperson dem Diskriminierungsverbot aufgr<strong>und</strong> der Kategorie<br />

„Geschlecht“ sowie der Kategorie „sexuelle Identität“. Es fehlt jedoch an der Umsetzung dieser<br />

Richtlinien <strong>und</strong>/oder der rechtlichen Anerkennungsmöglichkeiten im Falle der Zwischengeschlechtlichkeit,<br />

insbesondere da fehlende Präzedenzfälle eine Rechtsunsicherheit bedingen (Adamietz 2011;<br />

Franzen/Sauer 2010; Koch-Rein 2006).<br />

Zwar weist das AGG verschiedene Probleme wie die eingeschränkte Reichweite der Gültigkeit<br />

(Arbeits- <strong>und</strong> Zivilrecht), die vorgenannten Sonderregelungen (§ 24 AGG) bzw. zulässigen Benachteiligungen<br />

(§ 8, 9, 10, 20, sowie indirekt § 18 AGG) auf. Dennoch wird durch dasselbe insgesamt eine<br />

rechtliche Gr<strong>und</strong>klärung <strong>und</strong> Versachlichung der Debatte um die Gleichstellung von LSBTTI-Menschen<br />

erreicht, die beispielsweise in der zunehmenden Etablierung von „Managing Diversity“ einen greifbaren<br />

Ausdruck findet (Köllen 2010).<br />

Lebenspartnerschaftsgesetz (LPartG) <strong>und</strong> Familie<br />

Das Lebenspartnerschaftsgesetz wurde 2001 verabschiedet (LPartG vom 01.08.2001) <strong>und</strong> 2005 erstmals<br />

gründlich überarbeitet (vgl. Lebenspartnerschaftsüberarbeitungsgesetz „LPartÜG“; Nemes<br />

2007). 19 In seiner letzten Fassung vom Juli 2009 ermöglicht es gleichgeschlechtlichen Paaren, „auf<br />

Lebenszeit“ im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft zu leben. 20 Diese rechtliche Einbettung<br />

der eingetragenen Lebenspartnerschaft garantiert Rechte <strong>und</strong> fordert Pflichten, die jenen der<br />

„Ehe“ ähnlich sind, <strong>und</strong> beendet damit eine lange Phase des gesetzlichen Ausschlusses stabiler homosexueller<br />

Lebensbündnisse. Einer faktischen Gleichstellung mit der Ehe stehen jedoch weiterhin<br />

mehrere Diskriminierungselemente entgegen. 21<br />

17 Richtlinie 2000/43/EG des<br />

Rates 29.06 2000 (ABl. EG Nr.<br />

L 180 S. 22); Richtlinie 2000/<br />

78/EG des Rates 27.11.2000<br />

(ABl. EG Nr. L 303 S. 16);<br />

Richtlinie 2002/73/EG des Europäischen<br />

Parlaments <strong>und</strong> des<br />

Rates 2<strong>3.</strong>09.2002 (ABl. EG Nr.<br />

L 269 S. 15); Richtlinie 2004/<br />

113/EG des Rates 1<strong>3.</strong>12.2004<br />

(ABl. Nr. L 373 vom<br />

21/12/2004 S. 37–43).<br />

18 Vgl. insbesondere § 19<br />

Abs. 5 AGG. Im Falle der Regelung<br />

bzgl. des Wohnungsbestandes<br />

sind lediglich die<br />

Diskriminierungen aufgr<strong>und</strong><br />

von „Rasse“ <strong>und</strong> „ethnischer<br />

Herkunft“ weiterhin verboten.<br />

19 Die Änderungen im Detail<br />

kontrastiert Muscheler (2010,<br />

S. 227ff.).<br />

20 Vgl. zu Form <strong>und</strong> Verfahren<br />

Stuber 2010 sowie Nemes<br />

2007; Pfizenmayer 2007.<br />

21 Die gr<strong>und</strong>sätzliche juristische<br />

Vergleichbarkeit der Institution<br />

„Ehe“ mit der eingetragenen<br />

Lebenspartnerschaft<br />

<strong>und</strong> im Zuge dessen die Gleichbehandlung<br />

beider gemäß dem<br />

allgemeinen Gleichheitsgr<strong>und</strong>satzes<br />

wurde vom B<strong>und</strong>esverfassungsgericht<br />

jüngst bestätigt<br />

(Urteil vom 07.07.2009).<br />

19

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