3. - Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW
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8 Dies kennzeichnet die Homosexuellen-,<br />
Lesben- <strong>und</strong><br />
Schwulenbewegung seit den<br />
frühen 1970er Jahren, aber<br />
auch Gründungsdokumente<br />
wie das „Queer Nation Manifesto“,<br />
in dem forsch <strong>und</strong><br />
aggressiv gegen die heteronormative<br />
Gesellschaft aufbegehrt<br />
wurde<br />
(http://www.actupny.org/documents/QueersReadThis.pdf).<br />
9 Vgl. hierzu die erste f<strong>und</strong>ierte<br />
Auseinandersetzung mit<br />
Begrifflichkeiten um Homosexualitäten<br />
im Deutschen<br />
(Skinner 1998).<br />
10 Die Suche nach dem<br />
„Homo-Gen“ oder jener spezifischen<br />
Variable, die homosexuelles<br />
Begehren auszubilden<br />
vermag, scheint spätestens seit<br />
der letzten großen Zwillingsstudie<br />
hierzu beendet (Langström<br />
2010).<br />
11 Die medizinischen Aspekte<br />
werden im Kontext der Identitätsdebatte<br />
nicht einbezogen,<br />
da es um soziale Diskurse <strong>und</strong><br />
Verhandlungen geht; sie werden<br />
in späteren Kapiteln dieses<br />
Berichts aufgegriffen.<br />
12 Vgl. einschlägig hierzu<br />
Franzen/Sauer (2010) sowie<br />
Klöppel (2010), zudem diverse<br />
Stellungnahmen des Ethikrats<br />
sowie Statements insbesondere<br />
von inter*-Vereinigungen<br />
bzw. NROs.<br />
13 Vgl. hierzu Plett 2010 bzw.<br />
Adamietz 2011.<br />
16<br />
1. QUEER in <strong>NRW</strong> – Forschungsstand zu Lebenslagen <strong>und</strong> Sozialstruktur<br />
<strong>und</strong> Privilegierungen in ihrer Wechselwirkung. Die heteronormative Durchdringung der deutschen Mehrheitsgesellschaft<br />
bietet dabei das Kontrastpanel, um in der Auswertung des Forschungsstandes explizit<br />
auf die Dimensionen <strong>und</strong> den Grad des Ein-/Ausschlusses von Menschen mit normabweichendem sexuellen<br />
oder geschlechtlichen Lebensentwurf hinzuweisen. Doch ergibt sich keine einfache Kumulation<br />
von Ungleichheiten, sondern diese können widersprüchlich miteinander in Wechselwirkung treten.<br />
Auch homosexuelle Migrant_innen verfügen zum Beispiel überwiegend über gute Bildung (LSVD 2010),<br />
obwohl sie alltägliche <strong>und</strong> berufliche Diskriminierung nach sexueller Orientierung <strong>und</strong> Herkunft erfahren.<br />
GRUPPENIDENTITÄTEN UND SEXUALPOLITISCHE KATEGORIEN<br />
In weiten Teilen der Literatur wird eine bestimmte Konstellation sozialer Akteur_innen mittels identifizierbarer<br />
Selbst- oder Fremdbeschreibungen als soziale Gruppe aufgefasst. Unter LSBTTI werden<br />
also Menschen verstanden, die einen lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans*- oder inter*-Lebensentwurf<br />
verfolgen bzw. diese Form sexueller/geschlechtlicher Partizipation als angemessen empfinden,<br />
<strong>und</strong> sie werden tendenziell in eine Gruppe subsumiert. Eine solch analytische Konzeption <strong>und</strong> Fokussierung<br />
mag in politisch-strategischer Hinsicht Vorteile haben, bringt jedoch auch Probleme mit sich.<br />
Identitäten im Übergang von der Pathologie zur Selbstbehauptung<br />
Zunächst einmal erweisen sich Identitätskonstruktionen, die an sexualpolitische Kategorien angeb<strong>und</strong>en<br />
werden, zwar als machtvoll, aber oft auch als unzulänglich. So wurde der Begriff „homosexuell“ – unabhängig<br />
von seiner meist diskursiv männlichen Durchsetzung – in seinen Anfängen noch beinahe<br />
ausschließlich zur abwertenden Verhaltensbewertung gebraucht. Erst im Zuge radikaler sexualpolitischer<br />
Aufbrüche, in denen die dadurch Abgewerteten tendenziell vereinnahmt <strong>und</strong> vereinheitlicht wurden,<br />
verband sich damit ein selbstbewusst positives Image, das später mit einer identitären Auszeichnung<br />
als „Schwuler“ oder „Lesbe“ verb<strong>und</strong>en wurde. 8 Die Entwicklung ist komplex: 9 Im Fall von „Homosexualität“<br />
ist der Diskurs um Pathologie <strong>und</strong> Rehabilitation weitestgehend zum Erliegen gekommen. 10<br />
Doch spannt er sich im Falle von trans* bzw. inter* in beachtlicher Weise auf. Gegenwärtig entfaltet<br />
sich ein heftiger begrifflicher Kampf bei diesen Kategorisierungen <strong>und</strong> eine damit verb<strong>und</strong>ene Politik<br />
der Anrufung <strong>und</strong> Anerkennung. 11 So distanzieren sich Menschen mit LSBTTI-Hintergr<strong>und</strong> wie auch<br />
Teile der Wissenschaft von Begrifflichkeiten wie „Transsexualität“ <strong>und</strong> „Intersexualität“, um sich einer<br />
pathologischen Markierung im Rahmen eines Expert_innen-Diskurses klar zu entziehen. 12 Weiterhin<br />
stellt sich das Problem der Unschärfe, nämlich wie Teilbereiche im Rahmen der großen Aushandlungen<br />
um Identität <strong>und</strong> Anerkennung zu definieren sind. Konkret: Was meinen sexuelle Identität, sexuelle Orientierung<br />
<strong>und</strong> sexuelle Selbstbestimmung zum Beispiel im Rechtssystem? 13 Welche Unterscheidungen<br />
ergeben sich – wenn überhaupt – zwischen sexuellem Begehren <strong>und</strong> identitärem Bestreben <strong>und</strong> wie<br />
lassen sie sich beschreiben? Worin liegt die emanzipatorische Vereinbarkeit von sexualpolitischen Kategorien<br />
wie lesbisch/schwul oder distinkten Gruppenidentitäten wie „Lesben“ oder „Schwule“?<br />
Identitäten als Einschluss- <strong>und</strong> Ausschlussmechanismus<br />
Die Verknüpfung von Sexualpolitik <strong>und</strong> Gruppenidentität ist dabei keineswegs spannungsfrei, wie<br />
diskursanalytische Ansätze zur Kritik der Identitätspolitik dargelegt haben (Hark 2002; Gümen 1996).<br />
Nach ihnen unterliegt jede Form identitären Denkens – vereinfachend gesagt – einem markanten<br />
Prinzip: Sobald ich angebe, wer oder was ich bin, definiere ich ein anderes, dass nicht Teil meines<br />
identitären Konzeptes ist. Weil dieser Vorgang in sozialen Beziehungen stattfindet, wird das Selbst<br />
zwangsläufig einer Wechselseitigkeit ausgesetzt, in der es auch zum Objekt einer solchen Grenzziehung<br />
wird. Die Markierung des Selbst oder einer selbstständigen Gemeinschaft führt so notwendig<br />
zur diskursiven Abschließung als geschlossene Gruppe, die dann eine Position innerhalb des sozialstrukturellen<br />
Gefüges erhält oder erringt. In identitätspolitischen Strategien erscheint dies als Gewinn,<br />
ermöglicht es doch die Formulierung eines Gruppenziels oder eines emanzipatorischen Anspruchs.<br />
Jedoch eröffnet jene identitäts- oder gruppenorientierte Grenzziehung gleichzeitig die Flanke für<br />
erneute bzw. fortdauernde Diskriminierungsmechanismen, wie die diskursanalytische Kritik der Identitätspolitik<br />
aufgezeigt hat (Butler 1990). Denn die nennenswerten Angaben zum Selbst oder der<br />
Gruppe ermöglichen es anderen, wie schon erwähnt, über die Nennung <strong>und</strong> Umwertung dieser Merk-