08.12.2012 Aufrufe

3. - Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW

3. - Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW

3. - Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

14<br />

1. QUEER in <strong>NRW</strong> – Forschungsstand zu Lebenslagen <strong>und</strong> Sozialstruktur<br />

Zuordnungsmöglichkeiten bisheriger Forschungsbestände<br />

Der Versorgungs- <strong>und</strong> Einkommensspielraum bestimmt als objektive Dimension den Zugang zu Ressourcen<br />

<strong>und</strong> den Umfang der Versorgung mit Gütern <strong>und</strong> Diensten. Dennoch wird er in den vorliegenden<br />

Untersuchungen kaum berücksichtigt. Demgegenüber wurde der Sozialbindungsspielraum<br />

eher erforscht. Er beschreibt die Möglichkeiten der Festlegung durch soziale Bindungen <strong>und</strong> Beziehungen<br />

<strong>und</strong> wird vor allem in Untersuchungen zu eingetragenen Partnerschaften, Regenbogenfamilien<br />

oder Elternschaft relevant. In diesem Zusammenhang spielt auch der sozialstaatliche Handlungsspielraum<br />

eine große Rolle, denn er ermöglicht den Zugang bzw. Ausschluss von staatlichen Leistungen.<br />

So ist etwa die eingetragene Lebenspartnerschaft der Ehe u. a. in steuerlicher Hinsicht nicht gleichgestellt.<br />

Der Kontakt- <strong>und</strong> Kooperationsspielraum eröffnet demgegenüber Möglichkeiten der Kommunikation<br />

<strong>und</strong> Interaktion sowie soziale Netze. Die Organisierung von homosexuellen Menschen<br />

wurde z. B. erst möglich, als diese öffentlich auftreten konnten <strong>und</strong> weder staatliche Verfolgung (wie<br />

bis 1969) noch unmittelbare Gewalt zu fürchten hatten. Untersuchungen von Lern- <strong>und</strong> Erfahrungsspielräumen<br />

liegen für Deutschland kaum vor; die Thematisierung von Jugend <strong>und</strong> Schule findet eher<br />

in Studien zur Politischen Bildung statt (Öffentlichkeits- <strong>und</strong> Aufklärungsarbeit). Quantitative <strong>und</strong> qualitative<br />

Erhebungen bezüglich des Schutz- <strong>und</strong> Selbstbestimmungsspielraums finden sich dagegen<br />

häufiger. Dieser individuelle Handlungsspielraum wird eingeschränkt durch homo- <strong>und</strong> transphobe<br />

Diskriminierungen, Beeinträchtigungen, Bedrohungen <strong>und</strong> Gewalt.<br />

Körper, Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Heteronormativität<br />

Der Handlungsspielraum hinsichtlich Körper <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit ist verflochten mit <strong>und</strong> wird eingeschränkt<br />

durch die Dominanz einer heteronormativen Geschlechterordnung. Deswegen erweitern wir die bisherigen<br />

Dimensionen um den Geschlechterspielraum, der auf die anderen Spielräume ausstrahlt. Er<br />

ist gekennzeichnet durch binäre (Rollen-)Zuschreibungen <strong>und</strong> einen Zwang zur Zweigeschlechtlichkeit,<br />

also der Klassifikation der Menschen in nur zwei Geschlechter, die zudem mit rigiden Männlichkeits<strong>und</strong><br />

Weiblichkeitsnormen unterlegt sind. Menschen, die trans* oder inter* leben, passen nicht in die<br />

Norm der Zweigeschlechtlichkeit, die durch biologische Vereindeutigungen zugespitzt wird. So wird<br />

im Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Rechtssystem immer noch die Eindeutigkeit des chromosomalen, gonadalen,<br />

hormonellen <strong>und</strong> anatomischen Geschlechts eingefordert. Das spezifische Zusammenwirken von unterschiedlichen<br />

sozialen Positionierungen wie Herkunft, sexuelle Orientierung oder Alter wirkt sich<br />

nicht zuletzt auf den Partizipationsspielraum des Individuums aus.<br />

LEBENSLAGEN UND DIMENSIONEN SOZIALER UNGLEICHHEIT<br />

Menschen mit LSBTTI-Hintergr<strong>und</strong> erfahren vielfältige soziale Ungleichheiten, die jeweils im gesamten<br />

sozialen Kontext betrachtet werden müssen. Ein katholisches Arbeitermädchen vom Land wird beim<br />

Coming-Out vor anderen Problemen stehen als ein Junge aus dem postmodernen Mittelschichtmilieu<br />

oder als ein deutschtürkischer Junge aus einem sozialen Brennpunkt. Denn die Strukturkategorien<br />

der LSBTTI wirken mit anderen Faktoren wie Klasse, Geschlecht, Migrationshintergr<strong>und</strong> oder einheimischem<br />

Mehrheitsstatus, religiösem Hintergr<strong>und</strong>, körperlicher Verfassung oder Alter zusammen. Solche<br />

Wechselwirkungen werden mit dem Ansatz der Intersektionalität erfasst (vgl. Lenz 2010; Lutz<br />

2010; Winker/Degele 2009). Allerdings ist die intersektionale Perspektive bisher vor allem im Kontext<br />

von Geschlecht <strong>und</strong> Migration oder Klasse angewandt worden. Es liegen erst einige wenige intersektionale<br />

Untersuchungen zu sexueller <strong>und</strong> geschlechtlicher Vielfalt vor, die vor allem Homosexualität<br />

<strong>und</strong> Migration behandeln.<br />

Komplexe Ungleichheiten bedürfen mehrdimensionaler Ansätze<br />

Angesichts dieser multiplen Ungleichheiten bedarf es entsprechender multidimensionaler Ansätze,<br />

die sich eignen, die vielfältigen <strong>und</strong> damit verb<strong>und</strong>enen Formen von Teilhabe <strong>und</strong> Ausschlüssen aufzuzeigen.<br />

Im vorigen Abschnitt wurde festgestellt, dass der Ansatz der Lebenslagen für verschiedenste<br />

Dimensionen der sozialen Ungleichheit offen ist. Im Folgenden sollen die möglichen wichtigen Dimensionen<br />

auf allgemeiner Ebene diskutiert werden.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!