3. - Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW
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1. QUEER in <strong>NRW</strong> – Forschungsstand zu Lebenslagen <strong>und</strong> Sozialstruktur<br />
Zuordnungsmöglichkeiten bisheriger Forschungsbestände<br />
Der Versorgungs- <strong>und</strong> Einkommensspielraum bestimmt als objektive Dimension den Zugang zu Ressourcen<br />
<strong>und</strong> den Umfang der Versorgung mit Gütern <strong>und</strong> Diensten. Dennoch wird er in den vorliegenden<br />
Untersuchungen kaum berücksichtigt. Demgegenüber wurde der Sozialbindungsspielraum<br />
eher erforscht. Er beschreibt die Möglichkeiten der Festlegung durch soziale Bindungen <strong>und</strong> Beziehungen<br />
<strong>und</strong> wird vor allem in Untersuchungen zu eingetragenen Partnerschaften, Regenbogenfamilien<br />
oder Elternschaft relevant. In diesem Zusammenhang spielt auch der sozialstaatliche Handlungsspielraum<br />
eine große Rolle, denn er ermöglicht den Zugang bzw. Ausschluss von staatlichen Leistungen.<br />
So ist etwa die eingetragene Lebenspartnerschaft der Ehe u. a. in steuerlicher Hinsicht nicht gleichgestellt.<br />
Der Kontakt- <strong>und</strong> Kooperationsspielraum eröffnet demgegenüber Möglichkeiten der Kommunikation<br />
<strong>und</strong> Interaktion sowie soziale Netze. Die Organisierung von homosexuellen Menschen<br />
wurde z. B. erst möglich, als diese öffentlich auftreten konnten <strong>und</strong> weder staatliche Verfolgung (wie<br />
bis 1969) noch unmittelbare Gewalt zu fürchten hatten. Untersuchungen von Lern- <strong>und</strong> Erfahrungsspielräumen<br />
liegen für Deutschland kaum vor; die Thematisierung von Jugend <strong>und</strong> Schule findet eher<br />
in Studien zur Politischen Bildung statt (Öffentlichkeits- <strong>und</strong> Aufklärungsarbeit). Quantitative <strong>und</strong> qualitative<br />
Erhebungen bezüglich des Schutz- <strong>und</strong> Selbstbestimmungsspielraums finden sich dagegen<br />
häufiger. Dieser individuelle Handlungsspielraum wird eingeschränkt durch homo- <strong>und</strong> transphobe<br />
Diskriminierungen, Beeinträchtigungen, Bedrohungen <strong>und</strong> Gewalt.<br />
Körper, Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Heteronormativität<br />
Der Handlungsspielraum hinsichtlich Körper <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit ist verflochten mit <strong>und</strong> wird eingeschränkt<br />
durch die Dominanz einer heteronormativen Geschlechterordnung. Deswegen erweitern wir die bisherigen<br />
Dimensionen um den Geschlechterspielraum, der auf die anderen Spielräume ausstrahlt. Er<br />
ist gekennzeichnet durch binäre (Rollen-)Zuschreibungen <strong>und</strong> einen Zwang zur Zweigeschlechtlichkeit,<br />
also der Klassifikation der Menschen in nur zwei Geschlechter, die zudem mit rigiden Männlichkeits<strong>und</strong><br />
Weiblichkeitsnormen unterlegt sind. Menschen, die trans* oder inter* leben, passen nicht in die<br />
Norm der Zweigeschlechtlichkeit, die durch biologische Vereindeutigungen zugespitzt wird. So wird<br />
im Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Rechtssystem immer noch die Eindeutigkeit des chromosomalen, gonadalen,<br />
hormonellen <strong>und</strong> anatomischen Geschlechts eingefordert. Das spezifische Zusammenwirken von unterschiedlichen<br />
sozialen Positionierungen wie Herkunft, sexuelle Orientierung oder Alter wirkt sich<br />
nicht zuletzt auf den Partizipationsspielraum des Individuums aus.<br />
LEBENSLAGEN UND DIMENSIONEN SOZIALER UNGLEICHHEIT<br />
Menschen mit LSBTTI-Hintergr<strong>und</strong> erfahren vielfältige soziale Ungleichheiten, die jeweils im gesamten<br />
sozialen Kontext betrachtet werden müssen. Ein katholisches Arbeitermädchen vom Land wird beim<br />
Coming-Out vor anderen Problemen stehen als ein Junge aus dem postmodernen Mittelschichtmilieu<br />
oder als ein deutschtürkischer Junge aus einem sozialen Brennpunkt. Denn die Strukturkategorien<br />
der LSBTTI wirken mit anderen Faktoren wie Klasse, Geschlecht, Migrationshintergr<strong>und</strong> oder einheimischem<br />
Mehrheitsstatus, religiösem Hintergr<strong>und</strong>, körperlicher Verfassung oder Alter zusammen. Solche<br />
Wechselwirkungen werden mit dem Ansatz der Intersektionalität erfasst (vgl. Lenz 2010; Lutz<br />
2010; Winker/Degele 2009). Allerdings ist die intersektionale Perspektive bisher vor allem im Kontext<br />
von Geschlecht <strong>und</strong> Migration oder Klasse angewandt worden. Es liegen erst einige wenige intersektionale<br />
Untersuchungen zu sexueller <strong>und</strong> geschlechtlicher Vielfalt vor, die vor allem Homosexualität<br />
<strong>und</strong> Migration behandeln.<br />
Komplexe Ungleichheiten bedürfen mehrdimensionaler Ansätze<br />
Angesichts dieser multiplen Ungleichheiten bedarf es entsprechender multidimensionaler Ansätze,<br />
die sich eignen, die vielfältigen <strong>und</strong> damit verb<strong>und</strong>enen Formen von Teilhabe <strong>und</strong> Ausschlüssen aufzuzeigen.<br />
Im vorigen Abschnitt wurde festgestellt, dass der Ansatz der Lebenslagen für verschiedenste<br />
Dimensionen der sozialen Ungleichheit offen ist. Im Folgenden sollen die möglichen wichtigen Dimensionen<br />
auf allgemeiner Ebene diskutiert werden.