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3. - Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW

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Verqueere Welten – Alternative Lebenswege junger Menschen<br />

Ich fing eine Ausbildung zur Malerin <strong>und</strong> Lackiererin in Dortm<strong>und</strong> an, blieb nach Ausbildungsende<br />

dort wohnen <strong>und</strong> arbeitete in diesem Beruf. Ich selbst habe mir ständig gewünscht, heterosexuell zu<br />

sein. Ich ging zwei Beziehungen mit Jungs ein. Meine Partner wussten nicht, dass ich vorher eine<br />

Fre<strong>und</strong>in hatte. Trotz der Beziehungen traf ich meine Exfre<strong>und</strong>in regelmäßig <strong>und</strong> es kam bei jedem<br />

Treffen zu körperlicher Nähe. Sie versicherte mir, dass sie nicht auf Mädchen stehe, knutschte aber<br />

ständig mit mir. Mittlerweile ist sie verheiratet <strong>und</strong> hat einen Sohn. Ich habe sie auch schon ewig<br />

nicht mehr gesehen, weil ich ihr nicht in ihr Leben pfuschen wollte. Bevor wir zusammenkamen, hat<br />

sie einen Satz zu mir gesagt, den ich stark in Erinnerung behalten habe <strong>und</strong> der mich sehr geprägt<br />

hat: „Es ist nicht wichtig, in welches Geschlecht man sich verliebt.“<br />

Mit meiner Mutter habe ich schon früh über das Thema Homosexualität gesprochen, da eine entfernte<br />

Verwandte von uns offen lesbisch lebt <strong>und</strong> alle aus meiner Familie Bescheid wissen.<br />

Mein Bild von Homosexuellen war stark medial geprägt. Ich glaube, dass ich in einer Talkshow<br />

das erste Mal Lesben sah.<br />

Ich verband sie mit Holzfällerhemden <strong>und</strong> kurzen Haaren, <strong>und</strong> Schwule waren für mich damals<br />

alle Tunten.<br />

Mein Vater hat es erst von mir erfahren, als ich 19 war, wobei er mich vorher schon öfter gefragt<br />

hat, ob ich auf <strong>Frauen</strong> stehe, <strong>und</strong> im selben Atemzug immer sagte: „Wenn ja, reiß ich dir den Kopf<br />

ab.“ Letztendlich war meine Frage daraufhin: „Und wenn es so ist?“, <strong>und</strong> er meinte: „Ist mir auch<br />

egal, ich liebe dich trotzdem!“<br />

Die Reaktion meiner Mutter war: „Das wusste ich eh schon.“ Sie hat sich für mich gefreut <strong>und</strong><br />

es war kein Thema mehr. Ich habe meine Fre<strong>und</strong>innen immer mit nach Hause gebracht, verheimlichen<br />

musste ich nichts.<br />

Mit 16 wurde ich von einem Jungen aus meinem Fre<strong>und</strong>eskreis geoutet. Die Reaktionen waren<br />

alle positiv, bis auf zwei. Mein Exfre<strong>und</strong> war total beleidigt <strong>und</strong> der Fre<strong>und</strong> meiner besten Fre<strong>und</strong>in<br />

war eifersüchtig <strong>und</strong> mochte mich dann nicht mehr. Es ging so weit, dass er mich auf einer Party mit<br />

Bier überschüttet hat.<br />

Die erste „Szeneparty“, die ich besuchte, war im KCM in Münster. Dort bin ich mit einem schwulen<br />

Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> einer lesbischen Bekannten hingegangen. Alles war ganz schön aufregend. Ich war sehr<br />

nervös <strong>und</strong> bin dann auch angesprochen worden. Zu dieser Person hatte ich telefonischen Kontakt,<br />

aber sie war letztendlich nicht mein Typ <strong>und</strong> auch ein bisschen zu alt.<br />

Als ich geoutet war, hatte ich ein halbes Jahr später eine Fre<strong>und</strong>in. Wir kamen aus demselben<br />

Ort. Eigentlich stand sie nicht auf <strong>Frauen</strong>, hat sich dann aber doch glücklicherweise in mich verliebt.<br />

Nach acht Monaten trennte ich mich <strong>und</strong> schlitterte in neue Abenteuer.<br />

Als Neunzehnjährige hatte ich eine feste Beziehung mit einer Frau, die ein paar Jahre älter war als<br />

ich <strong>und</strong> auch schon einen Sohn hatte. Mit ihr lebte ich ein sehr heteronormatives Leben in Dortm<strong>und</strong>.<br />

Wir trennten uns, weil ich mich zu eingeengt fühlte. Kurze Zeit später ging ich die nächste Beziehung<br />

ein. Sie hielt drei Jahre <strong>und</strong> dann habe ich gemerkt, dass ich für eine monogame Beziehung<br />

nicht bereit bin. Erneut habe ich mich getrennt, weil ich mich zu eingeengt fühlte.<br />

Mit 22 beschloss ich, mein Abi in Dortm<strong>und</strong> nachzuholen, <strong>und</strong> ging danach nach Münster zum<br />

Studieren.<br />

Während meines Studiums beschloss ich, für ein Praxissemester nach Berlin zu gehen, <strong>und</strong> war<br />

so angetan von der Stadt, dass ich direkt dort blieb. Momentan wohne ich in einer <strong>Frauen</strong>-Lesben-<br />

Trans*-WG, in der ich nach mehreren Umzügen gelandet bin <strong>und</strong> mich wohlfühle.<br />

Seit zweieinhalb Jahren lebe ich in einer offenen Beziehung, bin sehr glücklich <strong>und</strong> fühle mich<br />

kein bisschen eingeengt. Dass wir eine Fernbeziehung zwischen Münster <strong>und</strong> Berlin führen, fordert<br />

uns manchmal schon heraus. Ich finde trotzdem, dass wir das gut hinbekommen, <strong>und</strong> hoffe, dass sie<br />

nach ihrem Studium in meine Nähe zieht.<br />

Den Sommer dieses Jahres verbrachte ich wie jedes Jahr in Italien bei meinem Vater <strong>und</strong> meinen<br />

Geschwistern. Für mich war der Aufenthalt dort dieses Mal etwas Besonders, da ich mich vor meinen<br />

Brüdern outete. Geplant war es nicht, aber als beide homophobe Äußerungen von sich gaben, sagte<br />

ich irgendwann, sie sollen damit aufhören, da mich das verletzt. Ganz verdutzt fragten sie, ob ich lesbisch<br />

wäre, <strong>und</strong> ich sagte: „Ja.“ Wir führten längere Gespräche <strong>und</strong> letztendlich sagten sie, dass es<br />

für sie keine Rolle spielt <strong>und</strong> ich mir nicht den Kopf darüber zerbrechen soll, was andere denken. Jetzt<br />

bleibt nur noch meine Oma, vielleicht erzähle ich es ihr im nächsten Jahr.<br />

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