Seit zweieinhalb Jahren lebe ich in einer offenen Beziehung, bin sehr glücklich <strong>und</strong> fühle mich kein bisschen eingeengt. 104 Verqueere Welten – Alternative Lebenswege junger Menschen Giovanna, 26 Jahre Meine erste Fre<strong>und</strong>in <strong>und</strong> ich haben immer aus Spaß darüber gesprochen, dass wir irgendwann nach Australien ziehen <strong>und</strong> ich mich in einen Mann umoperieren lasse, um ein „normales“ Leben führen zu können. Damals war ich 14 Jahre alt. Unsere Beziehung hielt ein halbes Jahr an <strong>und</strong> wurde von ihr beendet, weil sie dachte, sie sei doch nicht lesbisch. Meine Eltern trennten sich, als ich acht Jahre alt war. Die Trennung war nicht sehr schön für mich, da meine Mutter mir einredete, dass mein Vater an allem schuld sei. Er wohnt seit vielen Jahren mit seiner neuen Frau <strong>und</strong> meinen Brüdern in Italien. Unser Kontakt ist mittlerweile sehr gut, ich fahre sie jedes Jahr für mehrere Wochen besuchen. Meine Kindheit <strong>und</strong> Jugend verbrachte ich hauptsächlich im Münsterland. Die Gr<strong>und</strong>schule habe ich aufgr<strong>und</strong> von Umzügen drei Mal gewechselt <strong>und</strong> kam dann auf eine Hauptschule, auf der ich meinen Abschluss machte.
Verqueere Welten – Alternative Lebenswege junger Menschen Ich fing eine Ausbildung zur Malerin <strong>und</strong> Lackiererin in Dortm<strong>und</strong> an, blieb nach Ausbildungsende dort wohnen <strong>und</strong> arbeitete in diesem Beruf. Ich selbst habe mir ständig gewünscht, heterosexuell zu sein. Ich ging zwei Beziehungen mit Jungs ein. Meine Partner wussten nicht, dass ich vorher eine Fre<strong>und</strong>in hatte. Trotz der Beziehungen traf ich meine Exfre<strong>und</strong>in regelmäßig <strong>und</strong> es kam bei jedem Treffen zu körperlicher Nähe. Sie versicherte mir, dass sie nicht auf Mädchen stehe, knutschte aber ständig mit mir. Mittlerweile ist sie verheiratet <strong>und</strong> hat einen Sohn. Ich habe sie auch schon ewig nicht mehr gesehen, weil ich ihr nicht in ihr Leben pfuschen wollte. Bevor wir zusammenkamen, hat sie einen Satz zu mir gesagt, den ich stark in Erinnerung behalten habe <strong>und</strong> der mich sehr geprägt hat: „Es ist nicht wichtig, in welches Geschlecht man sich verliebt.“ Mit meiner Mutter habe ich schon früh über das Thema Homosexualität gesprochen, da eine entfernte Verwandte von uns offen lesbisch lebt <strong>und</strong> alle aus meiner Familie Bescheid wissen. Mein Bild von Homosexuellen war stark medial geprägt. Ich glaube, dass ich in einer Talkshow das erste Mal Lesben sah. Ich verband sie mit Holzfällerhemden <strong>und</strong> kurzen Haaren, <strong>und</strong> Schwule waren für mich damals alle Tunten. Mein Vater hat es erst von mir erfahren, als ich 19 war, wobei er mich vorher schon öfter gefragt hat, ob ich auf <strong>Frauen</strong> stehe, <strong>und</strong> im selben Atemzug immer sagte: „Wenn ja, reiß ich dir den Kopf ab.“ Letztendlich war meine Frage daraufhin: „Und wenn es so ist?“, <strong>und</strong> er meinte: „Ist mir auch egal, ich liebe dich trotzdem!“ Die Reaktion meiner Mutter war: „Das wusste ich eh schon.“ Sie hat sich für mich gefreut <strong>und</strong> es war kein Thema mehr. Ich habe meine Fre<strong>und</strong>innen immer mit nach Hause gebracht, verheimlichen musste ich nichts. Mit 16 wurde ich von einem Jungen aus meinem Fre<strong>und</strong>eskreis geoutet. Die Reaktionen waren alle positiv, bis auf zwei. Mein Exfre<strong>und</strong> war total beleidigt <strong>und</strong> der Fre<strong>und</strong> meiner besten Fre<strong>und</strong>in war eifersüchtig <strong>und</strong> mochte mich dann nicht mehr. Es ging so weit, dass er mich auf einer Party mit Bier überschüttet hat. Die erste „Szeneparty“, die ich besuchte, war im KCM in Münster. Dort bin ich mit einem schwulen Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> einer lesbischen Bekannten hingegangen. Alles war ganz schön aufregend. Ich war sehr nervös <strong>und</strong> bin dann auch angesprochen worden. Zu dieser Person hatte ich telefonischen Kontakt, aber sie war letztendlich nicht mein Typ <strong>und</strong> auch ein bisschen zu alt. Als ich geoutet war, hatte ich ein halbes Jahr später eine Fre<strong>und</strong>in. Wir kamen aus demselben Ort. Eigentlich stand sie nicht auf <strong>Frauen</strong>, hat sich dann aber doch glücklicherweise in mich verliebt. Nach acht Monaten trennte ich mich <strong>und</strong> schlitterte in neue Abenteuer. Als Neunzehnjährige hatte ich eine feste Beziehung mit einer Frau, die ein paar Jahre älter war als ich <strong>und</strong> auch schon einen Sohn hatte. Mit ihr lebte ich ein sehr heteronormatives Leben in Dortm<strong>und</strong>. Wir trennten uns, weil ich mich zu eingeengt fühlte. Kurze Zeit später ging ich die nächste Beziehung ein. Sie hielt drei Jahre <strong>und</strong> dann habe ich gemerkt, dass ich für eine monogame Beziehung nicht bereit bin. Erneut habe ich mich getrennt, weil ich mich zu eingeengt fühlte. Mit 22 beschloss ich, mein Abi in Dortm<strong>und</strong> nachzuholen, <strong>und</strong> ging danach nach Münster zum Studieren. Während meines Studiums beschloss ich, für ein Praxissemester nach Berlin zu gehen, <strong>und</strong> war so angetan von der Stadt, dass ich direkt dort blieb. Momentan wohne ich in einer <strong>Frauen</strong>-Lesben- Trans*-WG, in der ich nach mehreren Umzügen gelandet bin <strong>und</strong> mich wohlfühle. Seit zweieinhalb Jahren lebe ich in einer offenen Beziehung, bin sehr glücklich <strong>und</strong> fühle mich kein bisschen eingeengt. Dass wir eine Fernbeziehung zwischen Münster <strong>und</strong> Berlin führen, fordert uns manchmal schon heraus. Ich finde trotzdem, dass wir das gut hinbekommen, <strong>und</strong> hoffe, dass sie nach ihrem Studium in meine Nähe zieht. Den Sommer dieses Jahres verbrachte ich wie jedes Jahr in Italien bei meinem Vater <strong>und</strong> meinen Geschwistern. Für mich war der Aufenthalt dort dieses Mal etwas Besonders, da ich mich vor meinen Brüdern outete. Geplant war es nicht, aber als beide homophobe Äußerungen von sich gaben, sagte ich irgendwann, sie sollen damit aufhören, da mich das verletzt. Ganz verdutzt fragten sie, ob ich lesbisch wäre, <strong>und</strong> ich sagte: „Ja.“ Wir führten längere Gespräche <strong>und</strong> letztendlich sagten sie, dass es für sie keine Rolle spielt <strong>und</strong> ich mir nicht den Kopf darüber zerbrechen soll, was andere denken. Jetzt bleibt nur noch meine Oma, vielleicht erzähle ich es ihr im nächsten Jahr. 105