100 Verqueere Welten – Alternative Lebenswege junger Menschen Damian, 22 Jahre Im Kindergarten fing es schon an, dass ich lieber ein Junge sein wollte. Für mich war es der Horror, wenn ich irgendetwas Weibliches anziehen <strong>und</strong> mich wie ein Mädchen benehmen musste. Meine Kindheit habe ich daher eher als schlimm erlebt, da meine Eltern es nicht verstanden haben <strong>und</strong> versuchten, mich wie ein Mädchen großzuziehen. Ich wurde in eine Rolle gepresst, in der ich mich nicht wohlgefühlt habe. Mittlerweile definiere ich mich als männlich <strong>und</strong> hetero. Bis ich das konnte, ist eine ganze Menge passiert… Meine Eltern trennten sich, als ich zehn Jahre alt war. Ein Jahr später hat mein Vater eine neue Frau kennengelernt, mit der er bis heute zusammen ist <strong>und</strong> auch lebt. Wir haben eher selten Kontakt, was mich aber nicht sonderlich stört, da unser Verhältnis noch nie das beste war. Mit meiner Stiefmutter <strong>und</strong> den Kindern komme ich ganz gut zurecht. An meine Gr<strong>und</strong>schulzeit kann ich mich kaum noch erinnern. Es gibt ein paar Fotos von der Einschulung, auf denen ich im Kleidchen zu sehen bin, auf den Fotos sehe ich gar nicht begeistert aus. Meine Hauptschulzeit war richtig schlimm, ich wurde als „Zwitter“ bezeichnet, fertiggemacht, angespuckt <strong>und</strong> gemobbt. Geschlagen wurde ich auch öfter. Ich war damals auch die einzige, die noch keinen Fre<strong>und</strong> hatte, <strong>und</strong> mit 14 führte ich dann meine erste Beziehung <strong>und</strong> habe versucht, mich in die typische Rolle der Frau zu begeben. Ich probierte es immer wieder <strong>und</strong> wieder mit Jungs, aber irgendwann hatten die Typen dann auch keinen Bock mehr auf mich, weil ich sie nie rangelassen habe. Mit 18 hatte ich mein Coming-out als Lesbe <strong>und</strong> fing an, etwas mit <strong>Frauen</strong> zu haben. Vor meiner Mutter brauchte ich mich gar nicht zu outen, sie hat schon früh gemerkt, dass ich anders bin. Vor eineinhalb Jahren besuchte sie mich in meiner Wohnung <strong>und</strong> fragte: „Hör mal, wärst du nicht lieber als Junge auf die Welt gekommen?“ Das Erste, was ich gedacht <strong>und</strong> gesagt habe, war: „Nein, eigentlich nicht!“ Ich fing an, mir Gedanken zu machen, meine Kindheit Revue passieren zu lassen <strong>und</strong> habe gemerkt: „Jo, ich bin ein Junge <strong>und</strong> möchte auch so leben.“ Mir wurde bewusst, dass ich im falschen Körper lebe. Ich fing an, mir vorzustellen, wie schön es wäre, kräftiger zu sein <strong>und</strong> keine Brüste zu haben. Die erste Reportage, die ich zum Thema Trans* gesehen habe, war: „Endlich Ich.“ Ich habe gesehen, was alles mit OPs möglich ist, <strong>und</strong> gemerkt: „Das ist es! Damit ich endlich mal wirklich leben kann.“ Also begab ich mich in Therapie, die ja als „erster Schritt“ notwendig ist. Ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben das Gefühl, meine Identität gef<strong>und</strong>en zu haben. Mein Outing verlief ganz gut, meine Mutter meinte: „Mach das so! Wir stehen alle hinter dir!“ Vor einigen Monaten hat sie auch von sich aus angefangen, mich bei meinem „neuen“ Namen zu nennen. Meinem Vater habe ich es auch erzählt <strong>und</strong> er hat es ganz gut aufgenommen. Das Einzige, was er nicht macht, ist, meinen Namen auszusprechen. Das interessiert mich aber auch nicht. Als ich beschloss, mich umoperieren zu lassen, war ich auf der Berufsschule. Eine Klassenkameradin wusste es schon <strong>und</strong> hat es supergut aufgenommen. Irgendwann habe ich sie gefragt, ob ich es den anderen aus der Klasse erzählen soll. Sie sagte: „Wenn du das gerne möchtest!“ Dann habe ich mich vor der Klasse auf einen Tisch gesetzt <strong>und</strong> gesagt: „So, Leute, jetzt hört mir mal kurz zu, viele von euch sind mit mir bei mein VZ oder bei Facebook befre<strong>und</strong>et. W<strong>und</strong>ert euch nicht, denn mein Name wird bald geändert <strong>und</strong> ich lass mich umoperieren!“ Die ganze Klasse hat applaudiert. Nach der Schule waren wir dann alle gemeinsam noch etwas trinken <strong>und</strong> meine Klassenkameraden haben mir viele Fragen gestellt <strong>und</strong> gesagt, dass sie sehr viel Respekt vor mir haben <strong>und</strong> dass ich eine ganz schön harte Nuss zu knacken hätte. Mir ist schnell bewusst geworden, dass es kein einfacher Weg ist. Ich habe sehr oft geheult, wenn mir das Gericht ein Blatt fünfmal wieder zurückgesendet hat oder Rechnungen ankamen, die sehr hoch waren. Mittlerweile bin ich ruhiger geworden. Am Anfang war Angst mein ständiger Begleiter, ich wusste überhaupt nicht, wo ich anfangen sollte. Bekomme ich die Hormone direkt oder muss ich erst zum Psychologen? Wie ist das mit der Vornamensänderung <strong>und</strong> den Gutachten? Die Anfangszeit ist wirklich die schlimmste Zeit. Ich meldete mich in einem Forum an, in dem ich Geschichten las, bei denen ich fast wahnsinnig geworden wäre. Ich hatte Angst, vom Gutachter ein negatives Gutachten zu bekommen, denn wenn ich ein negatives Gutachten bekomme, kann ich auch keine OP beantragen <strong>und</strong> auch keine Vornamensänderung.
Verqueere Welten – Alternative Lebenswege junger Menschen Dazu kann ich nur sagen, dass es wichtig ist, sich im Vorfeld zu informieren, aber man sollte sich nicht in die Horrorstorys der anderen hineinsteigern. Geholfen haben mir vor allem Leute, die schon einen Schritt weiter waren. Sie haben mir die Angst genommen, mir alles Notwendige erklärt <strong>und</strong> seitdem läuft alles w<strong>und</strong>erbar. Seit April 2011 nehme ich nun Hormone, bei der ersten OP werden mir die Brüste abgenommen, Gebärmutter <strong>und</strong> Eierstöcke entfernt. Danach werde ich erst mal ein bisschen Pause machen, bis dann die große OP folgt … Momentan befinde ich mich noch in einer Zwischenphase, es kommt noch sehr viel auf mich zu. Ich bin sehr froh <strong>und</strong> stolz, dass meine Mutter hinter mir steht. Obwohl sie am Anfang Schwierigkeiten hatte, damit umzugehen, schafft sie es, mich als ihren Sohn vorzustellen, <strong>und</strong> mein Name kommt flüssiger rüber als früher. Ich wünsche mir, dass ich irgendwann mit mir zufrieden bin, normal leben kann <strong>und</strong> das Gefühl habe, ich wäre angekommen. Ich denke, wenn die OPs gelaufen sind, alles abgeheilt ist <strong>und</strong> so funktioniert, wie ich es gerne hätte, kann ich sagen: „Ich bin fertig.“ Und danach kommt das Alltägliche, Beruf, Frau, vielleicht auch noch Kinder, mal schauen … Für mich war es der Horror, wenn ich irgendetwas Weibliches anziehen <strong>und</strong> mich wie ein Mädchen benehmen musste. 101