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3. - Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW

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Verqueere Welten – Alternative Lebenswege junger Menschen<br />

Ich glaube, der Moment, in dem mir bewusst wurde, dass ich lesbisch sein könnte, hing nicht mit<br />

einem konkreten Verliebtsein zusammen. Der innere Prozess, vom ersten Anzeichen bis hin zum Deuten,<br />

Sortieren <strong>und</strong> Akzeptieren, hat insgesamt vier Jahre gedauert. Ich war 18 <strong>und</strong> denke, dass ich es<br />

schon früher gemerkt habe, es mir aber nicht eingestehen wollte. Natürlich hatte ich auch einen<br />

Fre<strong>und</strong>, weil ich erst mal allen anderen <strong>und</strong> mir selbst zeigen wollte, dass ich „normal“ bin. Das war<br />

blanker Hohn <strong>und</strong> hat nicht lange gehalten. Ich fühlte mich wie „the only gay in the village“ <strong>und</strong><br />

kannte niemanden, mit dem ich das hätte besprechen können.<br />

Dann kam die Zeit meiner ersten Beziehung <strong>und</strong> ich musste „raus“. Da ich mich nicht traute, mit<br />

meiner Mutter darüber zu sprechen, habe ich ihr einen Zettel zukommen lassen, auf dem geschrieben<br />

stand: „Ich bin jetzt mit [...] zusammen <strong>und</strong> die kommt mit auf den Abiball als meine Begleitung.“<br />

Dann sah ich zu, dass ich das Haus verließ, weil ich auch nicht wusste, wie ich mit irgendeiner Reaktion<br />

hätte umgehen sollen. An dem Tag des Abiballs machte ich mich auf den Weg, um meine Fre<strong>und</strong>in<br />

abzuholen, <strong>und</strong> meine Mutter fragte: „Wo willst du hin?“ Ich erwiderte: „Ich hole meine Begleitung<br />

ab.“ Und dann sagte sie: „Also mit dem Zettel ... ist das Problem ja auch nicht gelöst.“ Ansonsten<br />

wurde darüber nicht mehr gesprochen.<br />

An meinem Geburtstag kam das Thema dann doch noch einmal auf, denn meine Mutter schien<br />

sehr interessiert daran, wer denn alles kommen würde, <strong>und</strong> fragte direkt: „Aber deine Bekannte<br />

kommt ja wohl nicht, oder? Das wäre doch zu viel verlangt.“ Meine Schwester reagierte <strong>und</strong> sagte:<br />

„Natürlich kommt die, ich hab sie eingeladen.“ Als die Gäste kamen, hat meine Mutter das Haus verlassen.<br />

Die Menschen, zu denen ich ein gutes Verhältnis hatte, wussten, dass ich homosexuell bin, <strong>und</strong><br />

fanden es auch o.k. Ansonsten spricht man solche Dinge in dem Dorf nicht an.<br />

Nach zwei Jahren wurde die Beziehung beendet. Zu der Zeit wohnte ich bereits in Dortm<strong>und</strong> <strong>und</strong><br />

studierte. Seit meinem Auszug geht es mir persönlich besser. Meine WG ist wie eine kleine Familie, in<br />

der jeder wirklich so akzeptiert wird, wie er ist.<br />

Der Kontakt zu meinen Eltern ist weniger geworden <strong>und</strong> das ist ganz gut so. An meinem letzten<br />

Geburtstag habe ich meiner Mutter gesagt, dass ich nicht zum sonntäglichen Kaffeetrinken mit meiner<br />

Familie anlässlich des Geburtstags erscheine, da ich die Rolle, die ich jahrelang eingenommen habe,<br />

nicht weiter spielen will, <strong>und</strong> habe gesagt: „Mama, du weißt, ich bin homosexuell. Ich kann <strong>und</strong> will<br />

das nicht ändern <strong>und</strong> es tut mir weh, wenn ich da nicht offen drüber reden darf.“ Sie sagte daraufhin:<br />

„Spielen wir nicht alle eine Rolle?“ Da ist mir alles aus dem Gesicht gefallen.<br />

Ich habe in letzter Zeit den Kontakt zu meiner Mutter so gering wie möglich gehalten, weil es<br />

mir immer sehr nahegeht, wenn ich ihr begegne. Jedes Mal wenn ich sie sehe, sehe ich in ihr immer<br />

nur meine Mutter, die mich nicht akzeptiert. Das sitzt so tief <strong>und</strong> verletzt mich so sehr, dass ich diesen<br />

Gedanken auch nicht für einen Moment ausblenden kann.<br />

Mittlerweile ist auch meine Verwandtschaft eingeweiht. Sie wissen, dass ich lesbisch bin, <strong>und</strong><br />

wissen auch, dass genau das zu der sehr gestörten Beziehung zwischen meiner Mutter <strong>und</strong> mir geführt<br />

hat <strong>und</strong> auch weiterhin für meine Mutter inakzeptabel ist. Glücklicherweise waren die Reaktionen<br />

meiner Verwandten auf mein Outing sehr positiv. Meine Tanten <strong>und</strong> Onkel sind, genauso wie ich, sehr<br />

unzufrieden mit der gesamten Situation. Sie überlegen sich gerade zusammen mit mir, wie man das<br />

Verhältnis zwischen mir <strong>und</strong> meiner Mutter verbessern kann <strong>und</strong> wie man meine Mutter dazu bewegen<br />

könnte, auf mich zuzugehen. Ich selber habe mittlerweile weder Kraft noch Ideen, immer wieder<br />

auf sie zuzugehen, ihr immer wieder zu erklären, dass ich nichts an meiner sexuellen Orientierung<br />

ändern kann <strong>und</strong> das auch überhaupt nicht möchte. Ich finde, dass es ihre Aufgabe ist, einmal einen<br />

Schritt auf mich zuzugehen, auch wenn es nur ein kleiner ist, oder aber wenigstens auf meine Gesprächsangebote<br />

zu reagieren. Das wäre schon ein großer Erfolg <strong>und</strong> würde mich glücklich machen.<br />

Ich hoffe einfach, dass wir einen Weg finden, in einen Dialog zu treten. Ich bin jedenfalls sehr froh<br />

über die Unterstützung meiner Verwandten <strong>und</strong> zuversichtlich, dass wir etwas erreichen können.<br />

Der Gr<strong>und</strong> für meine Anonymität liegt darin, dass ich Gr<strong>und</strong>schullehrerin werde <strong>und</strong> ich weiß,<br />

dass nicht alle Eltern so denken, wie es vernünftige Menschen tun sollten. Meine Homosexualität<br />

nimmt keinen Einfluss auf meine Kompetenz als Lehrerin, aber ich kann nicht davon ausgehen, dass<br />

das alle so sehen. Ein weiterer Gr<strong>und</strong> ist, dass ich kein gutes Wort über meine Mutter verloren habe<br />

<strong>und</strong> unser Konflikt noch nicht beendet ist. Ich möchte sie nicht öffentlich angreifen, sondern das zuerst<br />

mit ihr geklärt haben. Ich finde es sehr schade, deshalb anonym bleiben zu müssen, da ich gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

finde, dass man sich wegen seiner Homosexualität nicht verstecken muss.<br />

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