Alte Rassen Ziegen u. Schafe o.T. - Arche Austria
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derten ein Abwandern. Im Frühjahr 2004 geschah nun etwas, das zwar vorhersehbar gewesen<br />
wäre, aber nicht bedacht worden war: Bei einer für die Jahreszeit viel zu kalten und zu nassen<br />
Witterung wurde die <strong>Ziegen</strong>herde wie üblich Mitte Mai ausgetrieben. Die Tiere hatten nicht<br />
nur keine Möglichkeit, sich langsam vom warmen Stall ans Freiland zu gewöhnen; sie fanden<br />
auf der Hochalm die Vegetation noch nicht ausreichend entfaltet und suchten deshalb ihren<br />
Futterbedarf am Gebüsch zu stillen. Mangels Unterholzlaubes gerieten sie so weit in den<br />
westlich angrenzenden Waldstreifen, dass sie das Ende des vertikalen Maschendrahtzaunes<br />
erreichten, diesen umliefen und in die unterhalb liegenden Mähwiesen anderer Grundbesitzer<br />
eindrangen. Selbst als die Alm- und Waldvegetation schon entwickelt waren, behielten sie<br />
den gelernten Weg durch den Wald, ganz entgegen ihrer sonstigen Abneigung vor geschlos-<br />
senen Wäldern, bei und holten sich vom saftigen Grün der gedüngten Flächen 9 . Dass die be-<br />
troffenen Grundbesitzer damit nicht einverstanden sein konnten, liegt auf der Hand, dass der<br />
<strong>Ziegen</strong>halter seine Herde auf die Hälfte reduzierte, um sie in den rasch errichteten Koppeln zu<br />
übersommern, war seine verzweifelte Konsequenz. Glücklicherweise ging die verkaufte Hälf-<br />
te just an den Hauptauftreiber der Grieswieser <strong>Ziegen</strong>, wo sie sich nun einer anderen, noch<br />
funktionierenden Weidetradition anschließen konnte.<br />
4.1.5. Ortsveränderungen von kleinen Wiederkäuern im freien Weidegang<br />
Die Tagesaktivität von gealpten Bergziegen aller drei Beispiele zeigt – trotz Wetterabhängig-<br />
keit – eine deutliche Talwärtsbewegung am Vormittag sowie abends in die entgegengesetzte<br />
Richtung. Zu analogen Ergebnissen kam die Beobachtung an lokalen <strong>Rassen</strong> von <strong>Ziegen</strong> in<br />
Nordtunesien, die anstatt horizontal über die Berge rund um einen Leuchtturm zu wandern,<br />
ihre täglichen Weidetouren vertikal zum Meer hinunter und wieder zurück nahmen (SCHEUR-<br />
MANN et al. 1980). Diesem Bedürfnis nach vertikaler Ortsveränderung sollten Verlauf und<br />
Ausmaß der Weidegebiete – ob mit oder ohne Zaun – womöglich Rechnung tragen. Die Ta-<br />
gesroute heimischer Bergziegen beträgt bei freiem Weidegang kaum über einen Kilometer,<br />
liegt aber meist darunter. Gealpte <strong>Ziegen</strong> sind grundsätzlich standorttreu, wenn ihr Lebens-<br />
raum über die nötige Infrastruktur verfügt. Hierzu gehört neben dem Zwergstrauchheiden,<br />
Laubgehölze und Almweidevegetation umfassenden Futterangebot vor allem ein geeigneter<br />
Schlafplatz, der Unterstand und Überblick in einem bietet. Mit einem künstlichen Attraktivi-<br />
9 Das Beibehalten einmal erlernter und sogar über viele Generationen tradierter Wanderrouten auch dann, wenn<br />
diese inzwischen vollständig bewaldet sind, ist auch an den sonst Wald meidenden Dickhornschafen (Ovis canadensis)<br />
in Nordamerika beobachtet worden (GEIST 1971).<br />
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