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zfm Zeitschrift für Forderungsmanagement 05/2015

Jetzt Miniabo sichern: https://www.zap-verlag.de/zfm Die Zeitschrift für das Forderungsmanagement (zfm) berichtet ab sofort alle zwei Monate über aktuelle Entwicklungen rund um das Thema Forderungsmanagement in Gesetzgebung, Rechtsprechung und wissenschaftlicher Diskussion. Die zfm soll vom Start weg ein unerlässliches Handwerkzeug für die Informationsbeschaffung und die Meinungsbildung sein. Die zfm betrachtet Gesetzgebung und Rechtsprechung bewusst aus dem Blickwinkel der wirtschaftenden Unternehmen, der Gläubiger - ohne deren Kunden aus den Augen zu verlieren. Die zfm strebt die Druchdringung des Themas aus dem Blickwinkel sowohl des materiellen Rechts als auch des Prozess-, Berufs- und Kostenrechts an, aber auch etwa hinsichtlich des Datenschutzes und der Erfordernisse eines modernen elektronischen Rechtsverkehrs mit all seinen Möglichkeiten, aber auch Risiken. Mit dem früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes, Prof. Papier, und seinem Beitrag zur Verfassungsmäßigkeit der möglichen Regelung über die Erstattung von Rechtsverfolgungskosten des Gläubigers durch eine Rechtsverordnung, dem renommierten Datenschützer Prof. Dr. Abel, der sich mit dem Thema der Zulässigkeit von Einmeldungen bei Auskunfteien auseinandersetzt, und dem anerkannten Experten für Inkassokosten, RiOLG Frank-Michael Goebel, der in die Diskussion um die vorgerichtliche Vergütung von Inkassountermnehmen eingreift, positioniert sich die zfm inmitten akuteller Diskussionen. Nehmen Sie ihre Argumente auf und diskutieren Sie mit!

Jetzt Miniabo sichern: https://www.zap-verlag.de/zfm Die Zeitschrift für das Forderungsmanagement (zfm) berichtet ab sofort alle zwei Monate über aktuelle Entwicklungen rund um das Thema Forderungsmanagement in Gesetzgebung, Rechtsprechung und wissenschaftlicher Diskussion.

Die zfm soll vom Start weg ein unerlässliches Handwerkzeug für die Informationsbeschaffung und die Meinungsbildung sein.
Die zfm betrachtet Gesetzgebung und Rechtsprechung bewusst aus dem Blickwinkel der wirtschaftenden Unternehmen, der Gläubiger - ohne deren Kunden aus den Augen zu verlieren.
Die zfm strebt die Druchdringung des Themas aus dem Blickwinkel sowohl des materiellen Rechts als auch des Prozess-, Berufs- und Kostenrechts an, aber auch etwa hinsichtlich des Datenschutzes und der Erfordernisse eines modernen elektronischen Rechtsverkehrs mit all seinen Möglichkeiten, aber auch Risiken.
Mit dem früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes, Prof. Papier, und seinem Beitrag zur Verfassungsmäßigkeit der möglichen Regelung über die Erstattung von Rechtsverfolgungskosten des Gläubigers durch eine Rechtsverordnung, dem renommierten Datenschützer Prof. Dr. Abel, der sich mit dem Thema der Zulässigkeit von Einmeldungen bei Auskunfteien auseinandersetzt, und dem anerkannten Experten für Inkassokosten, RiOLG Frank-Michael Goebel, der in die Diskussion um die vorgerichtliche Vergütung von Inkassountermnehmen eingreift, positioniert sich die zfm inmitten akuteller Diskussionen. Nehmen Sie ihre Argumente auf und diskutieren Sie mit!

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<strong>zfm</strong><br />

ISSN<br />

<strong>Zeitschrift</strong> <strong>für</strong> das<br />

<strong>Forderungsmanagement</strong><br />

2364-2688 • 5 | <strong>2015</strong><br />

Herausgeberbeirat<br />

Kay Uwe Berg, Rechtsanwalt,<br />

Vorsitzender des<br />

Herausgeberbeirats<br />

Prof. Dr. Ralf B. Abel,<br />

Rechtsanwalt<br />

Dr. Andreas Bücker,<br />

Politicomm<br />

Dr. Oliver Fawzy,<br />

Rechtsanwalt, BKS e.V.<br />

Frank-Michael Goebel,<br />

Vorsitzender Richter am<br />

Oberlandesgericht<br />

Rita Hornung, Marianne von<br />

Weizsäcker Stiftung<br />

Thomas Hutter, vsi<br />

Ulrich Jäger, Ass. jur.<br />

Walter Koch, IVÖ<br />

Alexander Kolodzik,<br />

Rechtsanwalt, BGA e.V.<br />

Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier,<br />

Präsident des Bundesverfassungsgerichts<br />

a.D.<br />

Dr. Stefan Saager,<br />

Rechtsanwalt, BVR e.V.<br />

Wolfgang Spitz, Ass. jur.,<br />

BDIU e.V.<br />

Aus dem Inhalt<br />

■ Aufsätze<br />

Niering/Bergner: Der Regierungsentwurf zur Reform der Insolvenzanfechtung<br />

– viele Verlierer und wenig Gewinner ................179<br />

Brückner: Die Gerichtsvollzieherformular‐Verordnung als Bestandteil<br />

des elektronischen Rechtsverkehrs . ............................185<br />

Schmuck: Eine Sprach‐Wissenschaft <strong>für</strong> sich . ....................191<br />

■ Kurz bemerkt<br />

Fawzy: Die Freizügigkeit von Urteilen . . . ........................193<br />

Pedd/Jäger: Die Stephan‐Kommission – ein Formular eröffnet<br />

Chancen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195<br />

■ Interview<br />

Dreimal nachgefragt bei Dr. Stephan Harbarth, MdB . . . . . .........197<br />

■ Entscheidungen<br />

AG Daun: Sonderaufwendungen erhöhen Freibetrag auf dem<br />

P‐Konto . . . ...............................................198<br />

BVerfG: Arbeitseinkommen auf dem Konto eines Dritten . . .........199<br />

FG Münster: Pfändung einer Internet‐Domain ...................203<br />

BGH: Einfaches Schreiben oder volle Geschäftsgebühr? . . . ........206<br />

OLG Koblenz: Keine Einigungsgebühr bei (auch bedingt)<br />

kombinierten Anträgen . . ................................... 210<br />

LG Hamburg: Ersparte Aufwendungen nach Vertragskündigung . .....212<br />

■ Literaturhinweise<br />

Ein Blick in die Bücherwelt . . . ................................216


<strong>zfm</strong><br />

Editorial<br />

Editorial<br />

Liebe Leserinnen,<br />

liebe Leser,<br />

eigentlich sind Sie von uns ja gewohnt, dass täglich das<br />

Murmeltier grüßt, beziehungsweise, in die Welt der <strong>zfm</strong><br />

übersetzt, in jeder Ausgabe ein Artikel über die EU-<br />

Datenschutz-Grundverordnung steht. Im Augenblick ist<br />

die Gemengelage beim Trilog in Brüssel aber derart<br />

unübersichtlich und chaotisch, dass wir Ihnen außer den<br />

ständig wechselnden Tagesgerichten aus der aktuellen<br />

Gerüchteküche und europäischen Stammtischparolen<br />

kaum etwas Verlässliches bieten könnten. Das aber<br />

wäre unter dem Niveau der <strong>zfm</strong> und deshalb lassen wir<br />

es besser bleiben. Anfang 2016 werden wir hoffentlich<br />

klarer sehen.<br />

Der bisherige Verlauf des Trilogs macht mich allerdings<br />

nicht besonders optimistisch, was den Ausgang im Sinne<br />

eines auch künftig effektiven <strong>Forderungsmanagement</strong>s in<br />

Europa anbelangt: Die informelle Große Koalition zwischen<br />

der Europäischen Volkspartei und den Sozialdemokraten/<br />

Sozialisten, die normalerweise im Europaparlament <strong>für</strong><br />

einigermaßen ausgewogene Ergebnisse sorgt, funktioniert<br />

bei diesem Thema leider überhaupt nicht.<br />

Hinzu kommt, dass wir die aktuellen Gerüchte aus Europa<br />

wahrscheinlich noch nicht einmal in einem Deutsch präsentieren<br />

könnten, das unter den kritischen Augen von Schmuck<br />

Bestand hätte, der unter dem Titel „Eine Sprach-Wissenschaft<br />

<strong>für</strong> sich“ in dieser Ausgabe die bereits im Sommer<br />

angekündigte Kolumne „Deutsch – Jura, Jura – Deutsch“<br />

startet.<br />

Ob wir es mit den anderen Beiträgen der Jahresendausgabe<br />

geschafft haben, nicht nur Jura, sondern Deutsch zu schreiben?<br />

Ihre Meinung dazu würde mich sehr interessieren. Ich<br />

bin aber jetzt schon sehr zuversichtlich, dass wir inhaltlich<br />

wieder eine gute Mischung hinbekommen haben:<br />

Niering und Bergner behandeln den Regierungsentwurf zur<br />

Reform des Insolvenzanfechtungsrechts. Ihr Fazit, nicht nur<br />

aus Sicht der Insolvenzverwalter, ist wenig optimistisch.<br />

Brückner beleuchtet dagegen<br />

mit der neuen<br />

Gerichtsvollzieherformularverordnung<br />

als Bestandteil<br />

des elektronischen Rechtsverkehrs<br />

ein sehr gutes<br />

Beispiel da<strong>für</strong>, dass die Zusammenarbeit<br />

von Theorie<br />

Kay Uwe Berg<br />

und Praxis beim Zustandekommen<br />

eines neuen Tools <strong>für</strong> die alltägliche Arbeit im<br />

<strong>Forderungsmanagement</strong> auch sehr gut laufen kann.<br />

Auch bei den Formularen <strong>für</strong> den außergerichtlichen<br />

Einigungsversuch wurde ein Dialog aller Beteiligten aus<br />

freien Stücken begonnen. Pedd und Jäger schildern das<br />

wahrscheinliche Ergebnis des Dialogs: eine <strong>für</strong> alle Seiten<br />

verbesserte vorgerichtliche Verhandlung im Bereich des<br />

Privatinsolvenzrechts.<br />

Fawzy skizziert mit der Abschaffung des Exequaturverfahrens,<br />

dem Europäischen Vollstreckungstitel, dem Europäischen<br />

Zahlungsbefehl, dem Small-Claims-Verfahren<br />

und dem Europäischen Arrestbeschluss Instrumente, die<br />

zwar sehr sperrige Namen tragen und unserem Autor<br />

Schmuck (siehe oben) vielleicht die Zornesröte ins Gesicht<br />

treiben würden. Jeder, der sich in Deutschland und Europa<br />

mit professioneller Forderungswirtschaft beschäftigt, sollte<br />

sich aber dringend damit vertraut machen. Das Thema<br />

spielte übrigens auch beim zurückliegenden Kongress der<br />

FENCA, des europäischen Dachverbandes der Forderungsmanager,<br />

eine wichtige Rolle.<br />

Wenn Ihnen das alles zu viel wird: Schließen Sie <strong>für</strong> einen<br />

Moment die Augen und freuen Sie sich auf schöne<br />

Weihnachten und einen guten und ruhigen Jahreswechsel<br />

in ein tolles Jahr 2016. All dies wünscht Ihnen das Team der<br />

<strong>zfm</strong> ebenso wie ich selbst.<br />

Herzlichst, Ihr<br />

Kay Uwe Berg, Rechtsanwalt und Leiter des wissenschaftlichen<br />

Beirats der <strong>zfm</strong> ■<br />

Nr. 5/<strong>2015</strong> 177


Inhalt<br />

<strong>zfm</strong><br />

Inhalt<br />

177 Editorial<br />

Aufsätze<br />

Insolvenzrecht<br />

179 Niering/Bergner: Der Regierungsentwurf zur Reform der Insolvenzanfechtung – viele Verlierer und<br />

wenig Gewinner<br />

Zwangsvollstreckungsrecht<br />

185 Brückner: Die Gerichtsvollzieherformular‐Verordnung als Bestandteil des elektronischen Rechtsverkehrs<br />

Deutsch – Jura, Jura – Deutsch<br />

191 Schmuck: Eine Sprach‐Wissenschaft <strong>für</strong> sich<br />

Kurz bemerkt<br />

193 Fawzy: Die Freizügigkeit von Urteilen<br />

195 Pedd/Jäger: Die Stephan‐Kommission – ein Formular eröffnet Chancen<br />

Interview<br />

197 Dreimal nachgefragt bei Dr. Stephan Harbarth, MdB<br />

Entscheidungen<br />

Vollstreckungsrecht<br />

198 AG Daun: Sonderaufwendungen erhöhen Freibetrag auf dem P‐Konto<br />

199 BVerfG: Arbeitseinkommen auf dem Konto eines Dritten<br />

203 FG Münster: Pfändung einer Internet‐Domain<br />

Kostenrecht<br />

206 BGH: Einfaches Schreiben oder volle Geschäftsgebühr?<br />

210 OLG Koblenz: Keine Einigungsgebühr bei (auch bedingt) kombinierten Anträgen<br />

Telekommunikationsrecht<br />

212 LG Hamburg: Ersparte Aufwendungen nach Vertragskündigung<br />

Literaturhinweise<br />

216 Ein Blick in die Bücherwelt<br />

218 Autoren dieser Ausgabe<br />

220 Impressum<br />

178 Nr. 5/<strong>2015</strong>


<strong>zfm</strong><br />

Aufsätze<br />

Aufsätze<br />

Insolvenzrecht<br />

Rechtsanwalt Dr. Christoph Niering/Rechtsanwalt Dr. Daniel Bergner<br />

Der Regierungsentwurf zur Reform der<br />

Insolvenzanfechtung – viele Verlierer<br />

und wenig Gewinner<br />

Mit dem Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung<br />

der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der<br />

Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz (im<br />

Folgenden: RegE), den die Bundesregierung unter dem Stand<br />

vom 29.9.<strong>2015</strong> veröffentlicht hat, geht ein kontrovers diskutiertes<br />

Reformvorhaben in die parlamentarischen Beratungen.<br />

Es geht zurück auf den Koalitionsvertrag der laufenden<br />

Legislaturperiode, in dem die Koalitionsparteien eine<br />

Prüfung des Insolvenzanfechtungsrechts mit folgender Formulierung<br />

vereinbart hatten:<br />

„Zudem werden wir das Insolvenzanfechtungsrecht im<br />

Interesse der Planungssicherheit des Geschäftsverkehrs<br />

sowie des Vertrauens der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer<br />

in ausgezahlte Löhne auf den Prüfstand<br />

stellen.“<br />

Der nun vorliegende Entwurf darf an diesen rechtspolitischen<br />

Zielen gemessen werden. In einem ersten Schritt soll<br />

deshalb hier seine Wirkung auf die Planungssicherheit des<br />

Geschäftsverkehrs untersucht werden. In einem zweiten<br />

Schritt schließt sich die Frage nach dem Vertrauensschutz<br />

<strong>für</strong> Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an. In einem<br />

dritten und letzten Schritt wird dieser Beitrag die Frage<br />

behandeln, wer durch den vorliegenden Entwurf tatsächlich<br />

Vorteile erhoffen darf.<br />

I. Planungssicherheit des<br />

Geschäftsverkehrs<br />

Die Planungssicherheit des Geschäftsverkehrs soll im vorliegenden<br />

Entwurf vor allem durch Veränderungen an drei<br />

Punkten des Insolvenzanfechtungsrechts (§§ 131, 133 und<br />

142 InsO) verbessert werden. Die Diskussion konzentriert<br />

sich bisher in erster Linie auf § 133 InsO.<br />

1. Vorgesehene Änderungen des § 133 InsO<br />

Im Vergleich mit dem an dieser Stelle noch wesentlich<br />

umfangreicheren Textvorschlag des Referentenentwurfs<br />

fällt zunächst auf, dass der nun vorgelegte Regierungsentwurf<br />

wieder wortkarger ausgefallen ist. Dies bedeutet<br />

nicht, dass er damit auch beim Eingriff in das sorgfältig<br />

austarierte System der Insolvenzanfechtung zurückhaltender<br />

geworden wäre.<br />

a) Begrenzung der Anfechtungsfrist<br />

Eine erste, bereits aus dem Referentenentwurf bekannte<br />

Änderung ist die Fristverkürzung des neuen § 133 Abs. 2<br />

RegE auf vier Jahre, wenn die Rechtshandlung dem anderen<br />

Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt hat.<br />

Diese Verkürzung war im Vorfeld vielfach gefordert<br />

worden. Sie trägt aus Gläubigersicht tatsächlich zu mehr<br />

Rechtssicherheit bei, weil ihre Formulierung eindeutig ist<br />

und den Risikozeitraum von bisher pauschal zehn Jahren<br />

<strong>für</strong> Insolvenzanfechtungen deutlich einschränkt.<br />

b) Zahlungsunfähigkeit als Kriterium<br />

Eine zweite Veränderung mag auf den ersten Blick demgegenüber<br />

marginal erscheinen. Sie ist es aber nicht. Die<br />

Rede ist von der Beschränkung des § 133 Abs. 3 Satz 1 RegE,<br />

der im Fall der bereits angesprochenen Sicherung oder<br />

Befriedigung bei einer späteren Anfechtung die Kenntnis<br />

des Zahlungsempfängers vom Benachteiligungsvorsatz des<br />

Schuldners nur noch dann vermutet, wenn er von dessen<br />

Zahlungsunfähigkeit (bisher: drohenden Zahlungsunfähigkeit)<br />

wusste. Diese Einschränkung bringt zunächst wieder<br />

mehr Rechtssicherheit. Zahlungsunfähigkeit und drohende<br />

Zahlungsunfähigkeit sind in der Rechtsprechung des BGH<br />

ausdifferenziert worden und heute in ihren Umrissen<br />

hinreichend klar definiert. Die drohende Zahlungsunfähigkeit<br />

greift deutlich weiter aus als die Zahlungsunfähigkeit.<br />

Nr. 5/<strong>2015</strong> 179


Aufsätze<br />

<strong>zfm</strong><br />

Sie ist damit im Zusammenhang der Anfechtung ein zeitlich<br />

betrachtet längeres Schwert, das nun deutlich verkürzt<br />

wird.<br />

c) Vermutungsregelung bei Zahlungsvereinbarungen<br />

Ein erstes Zwischenergebnis fällt an dieser Stelle aus der<br />

Perspektive der Gläubiger positiv aus. Die Planungssicherheit<br />

des Geschäftsverkehrs wird im Rahmen der Insolvenzanfechtung<br />

vor allem durch mögliche Anfechtungsrisiken<br />

beeinträchtigt. Eine gesetzliche Beschränkung von Anfechtungsfristen<br />

und von gesetzlichen Vermutungen zu Lasten<br />

der Gläubiger verringert diese Risiken. Es bleibt nun die<br />

Frage, ob auch die in § 133 Abs. 3 Satz 2 RegE vorgeschlagene<br />

gesetzliche Vermutung zugunsten der Gläubiger positiv<br />

wirken wird. Auf den ersten Blick scheint nichts gegen eine<br />

solche Wirkung zu sprechen. Im Fall einer Zahlungsvereinbarung<br />

oder sonstigen Zahlungserleichterung soll zugunsten<br />

des Zahlungsempfängers vermutet werden, dass<br />

er im Zeitpunkt der Handlung (Zahlung) die Zahlungsunfähigkeit<br />

des Schuldners nicht kannte. Diese neue gesetzliche<br />

Vermutung wendet sich erkennbar gegen eine BGH-<br />

Rechtsprechung, die bereits seit langem neben der Zahlung<br />

<strong>für</strong> die Ausräumung der im Einzelfall schädlichen Kenntnis<br />

auch den Nachweis der Wiederaufnahme von Zahlungen an<br />

alle Gläubiger verlangte. Dieser Rechtsprechung war immer<br />

wieder vorgehalten worden, dass der einzelne Gläubiger<br />

einen solchen Nachweis praktisch nicht erbringen könne.<br />

Schließlich habe er keinen Zugriff auf die Buchhaltung des<br />

Schuldners, mit deren Hilfe allein ein solcher Nachweis zu<br />

führen sei.<br />

So vernünftig dieser Einwand klingt, so klar ist andererseits<br />

auch, dass § 133 InsO seine Funktion als Instrument der<br />

Missbrauchskontrolle nur dann wirksam erfüllen kann, wenn<br />

die einmal erlangte Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit<br />

des Schuldners nicht durch jede noch so kleine Zahlungserleichterung<br />

beseitigt werden kann. Sonst wäre die Umgehung<br />

der Kontrolle einfach. Es würde reichen, eine minimale<br />

Zahlungserleichterung z.B. in Form eines kleinen Teilverzichts<br />

auf die eigene Forderung zu vereinbaren, um die bestehende<br />

Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners und<br />

damit eine spätere Anfechtung nach § 133 InsO im Zeitpunkt<br />

der später erfolgenden Zahlung auszuschließen.<br />

Interessanterweise versucht nun der Regierungsentwurf,<br />

genau diese Konsequenz durch eine gesetzliche Vermutung<br />

herbeizuführen. Als gesetzliche Vermutung steht dieser<br />

Versuch allerdings auf vergleichsweise schwachen Füßen.<br />

Gesetzliche Vermutungen können durch den Vortrag gegenteiliger<br />

Tatsachen erschüttert werden. Diese Tatsachen<br />

herauszuarbeiten ist Aufgabe der Rechtsprechung.<br />

Man kann bereits jetzt annehmen, dass die Rechtsprechung<br />

eine Aushöhlung der Missbrauchskontrolle des § 133 InsO<br />

nicht zulassen wird. Dies wird besonders <strong>für</strong> Fälle gelten, bei<br />

denen zur vermeintlichen Mitnahme der gesetzlichen Vermutungswirkung<br />

nur minimale Zahlungserleichterungen <strong>für</strong><br />

den Schuldner vereinbart werden, die ohne das Hinzutreten<br />

weiterer Umstände eine Beseitigung der eingetretenen<br />

Zahlungsunfähigkeit nicht wahrscheinlich machen.<br />

Hier stellt sich bereits die Frage nach der Eignung solcher<br />

Vereinbarungen zur Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit<br />

des Schuldners. Eine solche Eignung wird man schon<br />

deshalb fordern müssen, um die angesprochenen Umgehungsversuche<br />

durch minimale Zahlungserleichterungen<br />

auszuschließen. Es kann im Einzelfall also nur um substantielle<br />

Zugeständnisse des jeweiligen Gläubigers gehen,<br />

die zudem geeignet sind, eine zum Zeitpunkt ihrer Verabredung<br />

bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit des<br />

Schuldners zu beseitigen. Dort, wo dies durch eine Vereinbarung<br />

mit einem einzelnen Gläubiger nicht geleistet<br />

werden kann, braucht es die weitergehende Gewissheit,<br />

dass die getroffene Vereinbarung zumindest im Zusammenwirken<br />

mit anderen, ähnlichen Vereinbarungen diese<br />

Wirkung herbeiführt. Der Gläubiger wäre dann bei der<br />

Berufung auf die neue gesetzliche Vermutung des § 133<br />

Abs. 3 Satz 2 RegE wahrscheinlich aufgefordert, auch zu<br />

diesem Punkt vorzutragen. Kann er dies nicht in hinreichender<br />

Weise leisten, wird man der vereinbarten Zahlungserleichterung<br />

eine Eignung zur Begründung der neuen<br />

gesetzlichen Vermutung des § 133 Abs. 3 Satz 2 RegE von<br />

vornherein absprechen müssen.<br />

Soweit dann Beweisanzeichen auf eine fortbestehende<br />

Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners<br />

hindeuten, wird es auch in Zukunft Sache des Anfechtungsgegners<br />

sein, seine Unkenntnis durch eigenen individuellen<br />

Tatsachenvortrag glaubwürdig zu machen. Der<br />

Insolvenzverwalter wäre gehalten, diesem Vortrag durch<br />

eigenen Gegenvortrag zu begegnen.<br />

d) Bleibender Unsicherheitsfaktor <strong>für</strong> Gläubiger<br />

Im letztgenannten Fall erhöht die Neuregelung die Vortragslast<br />

des anfechtenden Insolvenzverwalters, schließt<br />

bei entsprechendem Vortrag aber eine Anfechtung nach<br />

§ 133 InsO nicht aus. Die in der Diskussion immer wieder<br />

beklagten Textbausteine der Insolvenzverwalter mögen<br />

hierdurch teilweise verdrängt werden. Am Ergebnis wird<br />

sich wenig ändern. In der Praxis zeigt sich nämlich, dass sich<br />

in vielen Anfechtungsfällen durch entsprechenden – oftmals<br />

elektronischen – Schriftverkehr die entscheidenden Nachweise<br />

führen lassen. Da eine solche Nachweisführung durch<br />

den Insolvenzverwalter selten mit letzter Sicherheit ausgeschlossen<br />

werden kann, bleibt ein erheblicher Unsicherheitsfaktor<br />

<strong>für</strong> die Gläubiger. Dies gilt insbesondere bei<br />

größeren Zahlungserleichterungen, die in den wenigsten<br />

Fällen ohne entsprechenden Schriftwechsel ablaufen. Eine<br />

180 Nr. 5/<strong>2015</strong>


<strong>zfm</strong><br />

Aufsätze<br />

interne Abrede zur Vermeidung solcher schriftlichen Spuren<br />

wird dabei wenig Hilfe bringen. Sie wird gerade bei<br />

bedeutsameren Zugeständnissen an den Schuldner oftmals<br />

von internen oder externen Dokumentationspflichten des<br />

gewährenden Gläubigers überlagert.<br />

e) Zwischenfazit<br />

Mit einigem Recht wird man deshalb festhalten können,<br />

dass die vorgeschlagene Regelung des § 133 Abs. 3 Satz 2<br />

RegE die beklagte Rechtsunsicherheit nicht nachhaltig beseitigen<br />

wird.<br />

2. Vorgesehene Änderungen des § 142 InsO<br />

Dies hat wohl auch die Bundesregierung so gesehen. Mit<br />

der Neuformulierung des § 142 Abs. 1 RegE ist deshalb eine<br />

wesentliche Veränderung verbunden, die zunächst auch<br />

die regulierende Wirkung der Missbrauchsvorschrift des<br />

§ 133 InsO zu verdrängen scheint.<br />

a) Erweiterung des Bargeschäfts<br />

Das Bargeschäft soll in seinem Anwendungsbereich stark<br />

erweitert und gegenüber Anfechtungen nach § 133 InsO<br />

widerstandsfähiger gemacht werden.<br />

Die dazu – im Vergleich zur bisherigen Rechtsprechung –<br />

offenbar beabsichtigte Erweiterung der Unmittelbarkeit<br />

des Leistungsaustausches wird durch den RegE unter den<br />

Vorbehalt der „Art der ausgetauschten Leistungen“ und „der<br />

Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs“ gestellt. Ein enger<br />

zeitlicher Zusammenhang kann demnach zukünftig je nach<br />

Art der Leistung und Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs<br />

zwischen vier Wochen (bisherige BGH-Rechtsprechung)<br />

und drei Monaten (§ 142 Abs. 2 Satz 2 RegE) liegen.<br />

Die genaue Bestimmung bleibt den Gerichten überlassen.<br />

Schon diese Erweiterung, die aus guten Gründen 1994 nicht<br />

in die Gesetzesfassung der Insolvenzordnung übernommen<br />

wurde (obwohl sie im damaligen Regierungsentwurf<br />

noch enthalten war), könnte eine Ausweitung der Ausnahmereglung<br />

des § 142 InsO mit sich bringen.<br />

Mit Blick auf die bisherige Rechtsprechung kann man aber<br />

durchaus gespannt sein, ob dieses Kalkül des Gesetzgebers<br />

aufgeht. Insbesondere die Art der Leistung (typischerweise<br />

eine Geldleistung des Schuldners) wird regelmäßig noch<br />

keinen Anlass zu einer Änderung dieser Rechtsprechung<br />

geben. Die im Einzelfall abweichenden Gepflogenheiten des<br />

Geschäftsverkehrs können zwar behauptet, müssen dann<br />

aber auch bewiesen werden. Sie sind als Maßstab jedenfalls<br />

dort nicht geeignet, wo sie zur Begründung missbräuchlicher<br />

Gestaltungen dienen sollen. Schließlich wird man nicht<br />

annehmen dürfen, dass der Gesetzgeber auch solche Gestaltungen<br />

mit dem Bargeschäftsprivileg schützen will.<br />

b) Einführung des Qualifizierungskriteriums<br />

der Lauterkeit<br />

Im Zusammenwirken mit dem zusätzlichen, bisher unbekannten<br />

Kriterium einer notwendigen Kenntnis des Dritten<br />

(Anfechtungsgegner) von der Unlauterkeit des schuldnerischen<br />

Handelns wäre das Bargeschäftsprivileg in seiner<br />

neuen Form ansonsten gleichbedeutend mit einer weitgehenden<br />

Entwertung des § 133 InsO als Missbrauchskontrollvorschrift.<br />

Anders als bisher soll ein Bargeschäft<br />

nämlich nur noch dann den Missbrauchsregeln des § 133<br />

InsO unterfallen, wenn „der andere Teil erkannt hat, dass<br />

der Schuldner unlauter handelte.“ (§ 142 Abs. 1 RegE).<br />

Eine solche Einschränkung lädt geradezu dazu ein, die<br />

Missbrauchskontrolle des § 133 InsO künftig durch Bargeschäfte<br />

zu umgehen. Entscheidend <strong>für</strong> diese Umgehung<br />

wäre dabei die Frage, in welchen Fällen die offenbar<br />

notwendige positive Kenntnis des anderen Teils von der<br />

Unlauterkeit des Schuldners anzunehmen wäre. Nur wenn<br />

diese Kenntnis in allen Missbrauchsfällen des § 133 InsO<br />

anzunehmen sein sollte, wäre die Gefahr einer Entwertung<br />

dieser Vorschrift ausgeschlossen. Dies entspricht allerdings<br />

nicht der Intention des RegE. Dort liest man (S. 18):<br />

„Ein unlauteres Verhalten des Schuldners setzt mehr voraus als die<br />

Vornahme der Rechtshandlung in dem Bewusstsein, nicht mehr in<br />

der Lage zu sein, alle Gläubiger befriedigen zu können. Unter den<br />

Bedingungen eines Bargeschäfts, bei dem der Abfluss des Leistungsgegenstands<br />

aus dem schuldnerischen Vermögen zeitnah<br />

durch den Zufluss der Gegenleistung kompensiert wird, müssen<br />

hinreichend gewichtige Umstände hinzutreten, um in dem vollzogenen<br />

Austausch einen besonderen Unwert zu erkennen.“<br />

Damit wird zusätzlich zu den Voraussetzungen des § 133<br />

Abs. 1 InsO ein weitergehender Unwertgehalt des schuldnerischen<br />

Handelns (quasi ein „Missbrauch+“) zur Voraussetzung<br />

einer Vorsatzanfechtung gemacht. Nur wenn das<br />

Bargeschäft auch diesen zusätzlichen Unwertgehalt aufweist,<br />

soll es in Zukunft noch der Missbrauchskontrolle des<br />

§ 133 InsO zugänglich sein. Worin dieser zusätzliche Unwertgehalt<br />

liegen soll, bleibt allerdings offen. Der RegE schreibt<br />

dazu in seiner Begründung (S. 18):<br />

„Ein unlauteres Handeln liegt bei gezielter Benachteiligung von<br />

Gläubigern vor, wie sie etwa gegeben ist, wenn es dem Schuldner in<br />

erster Linie darauf ankommt, durch die Befriedigung des Leistungsempfängers<br />

andere Gläubiger zu schädigen. Unlauter handelt ein<br />

Schuldner bei Kenntnis der eigenen Zahlungsunfähigkeit auch,<br />

wenn er Vermögen <strong>für</strong> Leistungen verschleudert, die den Gläubigern<br />

unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt nutzen können, wie dies<br />

etwa bei Ausgaben <strong>für</strong> flüchtige Luxusgüter der Fall ist. Auch das<br />

Abstoßen von Betriebsvermögen, das zur Aufrechterhaltung des<br />

Betriebs unverzichtbar ist, kann unlauter sein, wenn der Schuldner<br />

den vereinnahmten Gegenwert seinen Gläubigern entziehen will.“<br />

Nr. 5/<strong>2015</strong> 181


Aufsätze<br />

<strong>zfm</strong><br />

Die genannten Fälle werden überwiegend bereits heute<br />

von der Missbrauchskontrolle des § 133 InsO erfasst. Sie<br />

sind damit ungeeignet <strong>für</strong> die Definition eines zusätzlichen<br />

Unwertgehalts. Zudem sind sie regelmäßig <strong>für</strong> den<br />

Dritten (Anfechtungsgegner) nicht erkennbar. Wie soll<br />

etwa ein Käufer von Betriebsvermögen beurteilen, ob das<br />

Betriebsvermögen <strong>für</strong> das Unternehmen des Verkäufers<br />

unverzichtbar ist? Auch wird die Intention des Schuldners<br />

bei solchen Geschäften regelmäßig <strong>für</strong> den Käufer nicht<br />

erkennbar sein.<br />

c) Folgen<br />

Es deutet sich damit scheinbar an, dass die Missbrauchskontrolle<br />

des § 133 InsO zukünftig nach dem Konzept des<br />

RegE durch Bargeschäfte ohne weitere Schwierigkeit<br />

umgangen werden könnte. Notfalls könnte es die sehr<br />

großzügige Formulierung des § 142 RegE sogar erlauben,<br />

mit dem Verweis auf die Art der Leistung und die<br />

Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs auch solche Geschäfte<br />

als Bargeschäft zu deklarieren, die nach den bisher<br />

ausgebildeten Kriterien der höchstrichterlichen Rechtsprechung<br />

nie unter diese Ausnahmeregelung gefallen<br />

wären. Im Bestreitensfalle würden langwierige gerichtliche<br />

Auseinandersetzungen folgen, in denen insbesondere<br />

die Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs nur<br />

durch gutachterliche Untersuchungen geklärt werden<br />

könnten. Schließlich würde sich der Anfechtungsgegner<br />

immer darauf berufen, dass er die Unlauterkeit des<br />

Schuldners nicht gekannt habe und auch nicht kennen<br />

konnte.<br />

Gerade wegen dieser möglichen Gefahr wird man damit<br />

zu rechnen haben, dass der BGH einer solchen Umgehungsmöglichkeit<br />

der Missbrauchskontrolle nach § 133<br />

InsO enge Grenzen setzen wird. Als Ausnahmevorschrift<br />

ist das Bargeschäft schon methodisch kein Ort <strong>für</strong> erweiternde<br />

Auslegungsversuche. Das neue Qualifizierungskriterium<br />

der Lauterkeit ist, einmal abgesehen von seiner<br />

rechtlichen Unschärfe, auch als Erweiterungsinstrument<br />

ungeeignet. Weil die Kenntnis von der Unlauterkeit des<br />

Schuldners regelmäßig vom empfangenden Gläubiger abgestritten<br />

werden wird, darf man auch hier mit Beweisanzeichen<br />

rechnen, mit denen die Rechtsprechung offensichtlich<br />

missbräuchlichen Gestaltungen begegnen wird,<br />

wenn nicht schon ihre fortgesetzt einschränkende Definition<br />

der Unmittelbarkeit solchen Gestaltungen Grenzen<br />

setzt.<br />

II. Vertrauensschutz <strong>für</strong><br />

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer<br />

Dort, wo die Formulierung des § 142 RegE gerichtliche<br />

Auseinandersetzungen durch eindeutige Formulierung<br />

noch nachhaltiger verhindern will, schafft sie gleichzeitig<br />

einen Bruch mit dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung.<br />

§ 142 Abs. 2 Satz 2 RegE übernimmt dazu die<br />

Rechtsprechung des BAG, der ausschließlich Arbeitnehmer<br />

und diese nur insoweit vor Insolvenzanfechtungen<br />

schützen wollte, als diese Anfechtungen nicht als Missbrauchskontrolle<br />

gem. § 133 InsO notwendig werden. Er<br />

geht aber noch weit über diesen Schutz hinaus: In der<br />

durch den RegE vorgeschlagenen Formulierung erstreckt<br />

sich dieser Schutz nun auch auf das dem Arbeitnehmer<br />

gewährte Arbeitsentgelt. Die Begründung des RegE führt<br />

hierzu aus: „Der Begriff ‚Arbeitsentgelt‘ ist im sozialversicherungsrechtlichen<br />

Sinn zu verstehen (vgl. § 14<br />

Absatz 1 Satz 1 SGB IV).“ § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV definiert<br />

das Arbeitsentgelt wie folgt:<br />

(1) Arbeitsentgelt sind alle laufenden oder einmaligen<br />

Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein<br />

Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher<br />

Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet<br />

werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung<br />

oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden.<br />

Mit dieser Definition sind im Regelfall auch die Lohnsteuer<br />

und die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung<br />

vom Schutzbereich des neuen Bargeschäftsprivilegs<br />

umfasst. Es findet damit nicht lediglich eine Privilegierung<br />

der Arbeitnehmer statt, vielmehr werden auch Fiskus und<br />

Sozialversicherungsträger in diese Privilegierung mit einbezogen.<br />

Dieser Ansatz geht weit über die vom BAG erwogene<br />

Grenze des Existenzminimums hinaus und versucht –<br />

wieder einmal gleichsam durch die Hintertür – eine Privilegierung<br />

herzustellen, die bereits früher mit anderen<br />

Mitteln angestrebt und zu Recht vom Deutschen Bundestag<br />

immer wieder abgelehnt wurde.<br />

Im Ergebnis enthält § 142 RegE damit eine ganze Reihe von<br />

drastischen Eingriffen in das Insolvenzanfechtungsrecht. In<br />

ihrer Summe würden diese Eingriffe vor allem zu einer<br />

erheblichen Verringerung von Insolvenzanfechtungen insbesondere<br />

gegenüber Fiskus und Sozialversicherungsträgern<br />

führen. In einer sehr unausgewogenen Gegenbewegung<br />

würden zudem mit Ausnahme der Arbeitnehmer alle<br />

anderen Gläubiger auf die Ergebnisse eines langjährigen<br />

Klärungsprozesses der Gerichte verwiesen, an dessen Ende<br />

voraussichtlich keine wesentliche Besserstellung <strong>für</strong> sie<br />

stünde. Begriffe wie „Lauterkeit“ oder die Frage nach einer<br />

Gepflogenheit des Geschäftsverkehrs lassen jedenfalls erhebliche<br />

Beurteilungsspielräume.<br />

Eines lässt sich freilich an dieser Stelle festhalten: Der<br />

Vertrauensschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-<br />

182 Nr. 5/<strong>2015</strong>


<strong>zfm</strong><br />

Aufsätze<br />

mer ist im RegE sehr weitgehend verwirklicht. Im Rahmen<br />

des <strong>für</strong> sie erweiterten Bargeschäftsprivilegs wird ihr<br />

Schutz deutlich ausgeweitet. Auch eine Anfechtung von<br />

Lohnzahlungen, die innerhalb dieses erweiterten Rahmens<br />

erfolgen, werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer<br />

voraussichtlich nicht mehr zu <strong>für</strong>chten haben. Die Annahme<br />

der Kenntnis von der Unlauterkeit des Arbeitgebers<br />

ist beim Empfang von regulär geschuldeten Lohnzahlungen<br />

wohl ausgeschlossen.<br />

III. Gewinner und Verlierer der<br />

Neuregelung des Insolvenzanfechtungsrechts<br />

Nach den bisherigen Ergebnissen zeichnet sich bereits eine<br />

sehr deutliche Bevorzugung der öffentlichen Gläubiger gegenüber<br />

den privaten Gläubigern ab.<br />

1. Fiskus als eigentlicher Gewinner<br />

der Reform<br />

Die Beantwortung der Frage nach Gewinnern und Verlierern<br />

der Neuregelung ist aber nicht vollständig ohne eine<br />

Betrachtung des § 131 RegE. Dieser soll in Absatz 1 Satz 2<br />

nun folgende Fassung bekommen:<br />

„Eine Rechtshandlung wird nicht allein dadurch zu einer<br />

solchen nach Satz 1, dass die Sicherung oder Befriedigung<br />

durch Zwangsvollstreckung erwirkt oder zu deren Abwendung<br />

bewirkt worden ist.“<br />

Mit der hier vorgeschlagenen Fassung des § 131 fällt der<br />

RegE deutlich hinter die Diskussion des § 133 InsO und<br />

den Referentenentwurf des BMJV vom 16.3.<strong>2015</strong> zurück.<br />

Man gewinnt den Eindruck, dass dieser Rückfall nunmehr<br />

ungeschminkt die öffentlichen Kassen als eigentliche<br />

Gewinner dieser Reform sichtbar macht.<br />

Wie bereits beim Referentenentwurf überrascht die Aufnahme<br />

dieser Regelung auch im Regierungsentwurf. Sie<br />

entspricht nämlich nicht unbedingt dem Prüfauftrag des<br />

Koalitionsvertrages (s.o.). Die dort genannten Fallgestaltungen<br />

(Planungssicherheit und Arbeitnehmerschutz) sind<br />

erkennbar auf eine Prüfung des § 133 InsO und nicht auf<br />

§ 131 InsO gerichtet.<br />

Die Planungssicherheit des Geschäftsverkehrs wird durch<br />

§ 131 InsO nur mittelbar berührt, weil diese Regelung auf<br />

bereits durch Vollstreckungsmaßnahmen erlangte Deckungen<br />

zielt. Der weitere Einbehalt dieser Deckungen ist<br />

nicht mehr von einem künftigen Verhalten des Gläubigers<br />

abhängig. Eine Änderung des § 131 InsO kann deshalb<br />

auch nicht zur gesetzlichen Steuerung dieses Verhaltens<br />

dienen, sondern lediglich eine Privilegierung früheren<br />

Verhaltens festschreiben. Für künftiges Verhalten schafft<br />

diese Änderung nur dort Planungssicherheit, wo die<br />

Vollstreckung als Option offen steht und trotz der<br />

oftmals bereits eingetretenen Zahlungsschwierigkeiten<br />

des Schuldners und der regelmäßig früheren Vollstreckungsbemühungen<br />

der öffentlichen Gläubiger noch erfolgreich<br />

ist.<br />

Auch bereits ausgezahlte Löhne werden durch § 131 InsO<br />

nicht erfasst. Das Vertrauen von Arbeitnehmerinnen und<br />

Arbeitnehmern auf den Einbehalt von Löhnen wird durch<br />

§ 131 InsO nur in den insgesamt sehr seltenen Fällen<br />

berührt, in denen Arbeitnehmer gegen ihren Arbeitgeber<br />

wegen ausgebliebener Lohnzahlungen vollstrecken und<br />

diese Vollstreckungen im Zeitraum von drei Monaten vor<br />

Antragstellung erfolgreich waren. Eine Auszahlung hat in<br />

diesen Fällen aber gerade nicht stattgefunden, weil es<br />

sonst nicht zur Vollstreckung gekommen wäre.<br />

Im starken Gegensatz zu dieser Ausgangslage stehen die<br />

tatsächlichen Wirkungen, die mit der nun vorgeschlagenen<br />

Ergänzung von § 131 InsO verbunden wären. Diese<br />

Ergänzung erinnert an einen früheren Versuch zur Änderung<br />

der Insolvenzanfechtung, der mit dem Entwurf<br />

eines „Gesetzes zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge<br />

und zur Anpassung des Rechts der Insolvenzanfechtung“<br />

bereits 2006 im Deutschen Bundestag gescheitert war<br />

(näher dazu Huber, ZIP 2007, 501).<br />

Im Rahmen des § 131 InsO war damals folgende Änderung<br />

vorgesehen: „Eine Rechtshandlung wird nicht dadurch<br />

zu einer solchen nach Satz 1, dass der Gläubiger die Sicherung<br />

oder Befriedigung durch Zwangsvollstreckung<br />

erlangt.“<br />

Die noch im Referentenentwurf vorgeschlagene Ergänzung<br />

des § 131 InsO wandelte diesen früheren Vorschlag<br />

ab, indem sie nur solche Deckungen einbezog, die auf<br />

der Basis eines in einem gerichtlichen Verfahren erlangten<br />

Titels erlangt werden. Damit sollten erkennbar Fiskus<br />

und Sozialversicherungsträger ausgeschlossen werden,<br />

die überwiegend auf der Basis selbst geschaffener Titel<br />

vollstrecken. Auch gegen diese noch eingeschränkte Art<br />

der Privilegierung zwangsvollstreckender Gläubiger in<br />

der Insolvenz wurden schon starke Bedenken formuliert<br />

(ausführlich hierzu Huber, ZinsO <strong>2015</strong>, 715). Finanzbehörden<br />

und Sozialversicherungsträger sind sogenannte<br />

Selbsttitulierer, diese können ohne ein langwieriges gerichtliches<br />

Verfahren eigene Vollstreckungstitel schaffen,<br />

welche sie zudem noch mit eigenen Vollstreckungsbeamten<br />

zwangsweise durchsetzen können – ein zeitlicher<br />

Vorteil, welcher von keiner anderen Gläubigergruppe<br />

jemals eingeholt werden kann.<br />

Nr. 5/<strong>2015</strong> 183


Aufsätze<br />

<strong>zfm</strong><br />

2. Aufgabe des Grundsatzes der<br />

Gläubigergleichbehandlung<br />

Die nun durch den RegE wieder hervorgeholte Idee einer<br />

umfassenden Privilegierung von Zwangsvollstreckungen<br />

wäre aus Sicht der Insolvenzpraxis gleichzusetzen mit der<br />

Aufgabe des Grundsatzes der Gläubigergleichbehandlung<br />

im Insolvenzverfahren. Gleichzeitig wäre diese Entwicklung<br />

geeignet, die seit Inkrafttreten der Insolvenzordnung<br />

deutlich gestiegenen Eröffnungsquoten signifikant zu<br />

reduzieren und damit in Zustände zurückzuführen, die<br />

vor 1999 allgemein als „Konkurs des Konkurses“ beklagt<br />

wurden.<br />

Mit dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung hat die<br />

Insolvenzordnung eine zentrale Ratio moderner Insolvenzverfahren<br />

auch im deutschen Insolvenzrecht verankert.<br />

Der Verzicht auf die Privilegierung einzelner Gläubiger oder<br />

Gläubigergruppen wäre allerdings unvollkommen, würde<br />

er nicht durch ein Insolvenzanfechtungsrecht unterstützt,<br />

das den Ausgleich von erlangten Sondervorteilen einzelner<br />

Gläubiger auch auf die Zeit vor Antragstellung erstreckt.<br />

Solche Sondervorteile werden auch durch Zwangsvollstreckung<br />

erlangt und so kann es nicht verwundern, dass diese<br />

durch Zwangsvollstreckung erhaltenen Deckungen auch<br />

schon zu Zeiten der Konkursordnung seit 1877 der Insolvenzanfechtung<br />

unterfielen.<br />

Wird dieser Grundsatz <strong>für</strong> bestimmte Formen der Zwangsvollstreckung<br />

durchbrochen, dann führt dies zu einer<br />

massiven Umsteuerung des Gläubigerverhaltens durch den<br />

Gesetzgeber. Jeder Gläubiger, der von einer Zahlungskrise<br />

seines Schuldners Kenntnis erlangt oder eine solche Krise<br />

vermutet, wird künftig aus wohl verstandenem Eigeninteresse<br />

sofort den Weg der Zwangsvollstreckung einschlagen,<br />

um seine Außenstände anfechtungsfest beizutreiben.<br />

Die zuletzt mit dem ESUG verfolgte Intention<br />

eines sanierungsfreundlichen Insolvenzrechts wird dadurch<br />

in ihr Gegenteil verkehrt. Außergerichtliche Verhandlungen<br />

und Stundungen werden nur noch solche Gläubiger<br />

gewähren, die be<strong>für</strong>chten müssen, durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen<br />

einen Kunden zu verlieren. Damit sind<br />

typischerweise die großen Lieferanten im Vorteil, die ohne<br />

solche Rücksichten agieren können, weil sie genügend<br />

Kunden haben. Kleine Unternehmen und Handwerker<br />

werden dagegen benachteiligt, weil sie solche Rücksichten<br />

nehmen müssen.<br />

Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen verfügen<br />

heute bei Antragstellung oft nicht mehr über ausreichende<br />

Mittel, um die Verfahrenseröffnung sicherzustellen. Zentrale<br />

Vermögensgegenstände sind regelmäßig wertausschöpfend<br />

mit Sicherungsrechten belastet und die verbliebenen<br />

liquiden Mittel sind in der Krise dramatisch<br />

verringert worden. In sehr vielen Fällen bleibt festzustellen,<br />

dass diese Unternehmen, die die absolute Mehrzahl<br />

der Unternehmensinsolvenzfälle in Deutschland bilden,<br />

bereits seit Monaten oder sogar Jahren insolvenzreif<br />

waren, bevor sie einen Insolvenzantrag stellen oder durch<br />

Fremdanträge in die Insolvenz geschickt werden. Haftungsansprüche<br />

gegen die Verantwortlichen <strong>für</strong> solche<br />

Insolvenzverschleppungen gehen dennoch oftmals ins<br />

Leere, weil auch dort alle Vermögensgegenstände bis<br />

zuletzt als Sicherung <strong>für</strong> Unternehmenskredite hingegeben<br />

wurden. Es bleiben damit heute in vielen Fällen nur die<br />

Insolvenzanfechtungsansprüche, um genügend Masse <strong>für</strong><br />

eine Verfahrenseröffnung zu generieren.<br />

3. Voraussetzung: Verfahrenseröffnung<br />

Diese Verfahrenseröffnung ist die Voraussetzung einer<br />

geordneten Abwicklung und Aufarbeitung des Insolvenzfalles.<br />

Kommt es nicht zu einer Eröffnung, bleiben alle<br />

Gläubiger darauf verwiesen, selbst ihre Befriedigung in<br />

Einzelzwangsvollstreckungen, meistens ohne ausreichende<br />

Informationen oder Erfolgsaussichten, zu versuchen.<br />

Arbeitnehmer erhalten regelmäßig nur über den<br />

Weg der Verfahrenseröffnung eine angemessene Abwicklung<br />

ihrer Arbeitsverhältnisse einschließlich der wichtigen<br />

Fragen zu Rentenversicherung, Lohnbescheinigungen und<br />

Zeugnissen. Effektive strafrechtliche Ermittlungen gegen<br />

die handelnden Personen setzen regelmäßig die ermittelnde<br />

Vorarbeit eines Insolvenzverwalters voraus. Aber<br />

auch die übrigen Vertragspartner des insolventen Unternehmens<br />

profitieren von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens.<br />

Leasinggeber sind auf die geordnete Herausgabe<br />

des Leasinggutes, Handwerker auf die kurzfristige<br />

Herausgabe von Gewährleistungs- und Vertragserfüllungsbürgschaften<br />

durch den Insolvenzverwalter angewiesen.<br />

Auch die ansonsten gut gesicherten Banken<br />

werden häufig nur über einen Insolvenzverwalter eine<br />

freihändige Veräußerung ihres Sicherungsgutes erreichen<br />

können. Selbst öffentliche Stellen wie Staatsanwaltschaften,<br />

Finanzbehörden und Sozialversicherungsträger sind<br />

bei der Aufarbeitung von haftungsrelevanten Sachverhalten<br />

in der Regel auf die Unterstützung des Insolvenzverwalters<br />

angewiesen. Auf eine solche Unterstützung<br />

werden sie zukünftig in vielen Fällen verzichten müssen,<br />

wenn es aufgrund der gesetzlichen Änderung zu deutlich<br />

weniger eröffneten Insolvenzverfahren kommen sollte.<br />

Die Anhebung der Eröffnungsquote war deshalb ein<br />

zentrales Anliegen der Insolvenzreform von 1999. Sie ist<br />

gelungen, und die aktuelle Eröffnungsquote hat mit<br />

derzeit ca. 66 % die nur 36 %-ige Eröffnungsquote aus<br />

dem letzten Jahr der Konkursordnung (1998) nahezu<br />

verdoppelt.<br />

184 Nr. 5/<strong>2015</strong>


<strong>zfm</strong><br />

Aufsätze<br />

Mit dem vorliegenden Regierungsentwurf zur Insolvenzanfechtung<br />

ist ein wesentlicher Rückschritt ausgerechnet<br />

<strong>für</strong> diejenigen Gläubiger verbunden, die im Vorfeld eine Änderung<br />

besonders eingefordert haben. Öffentliche Gläubiger<br />

werden demgegenüber massiv bessergestellt. Der Entwurf<br />

entspricht nun sehr offensichtlich den seit vielen Jahren<br />

beobachteten Bestrebungen, die öffentlichen Gläubiger notfalls<br />

auf verdeckten Umwegen wieder in ihre alten Privilegien<br />

einzusetzen. Die Last der im öffentlichen Interesse geforderten<br />

hohen Eröffnungsquoten wird in Zukunft sehr<br />

einseitig auf dem Rücken der privaten Gläubiger landen. Es<br />

ist abzusehen, dass sie dort nicht allein getragen werden<br />

kann. Dies wird zu einem dramatischen Einbruch der<br />

Eröffnungsquoten und in der Folge zu großen gesamtwirtschaftlichen<br />

Schäden führen, die in keinem Verhältnis zu den<br />

Einspareffekten der öffentlichen Gläubiger stehen.<br />

Quelle: Statistisches Bundesamt „Wirtschaft und Statistik“<br />

4/2008 sowie aktuelle Auskunft vom 21.10.<strong>2015</strong> unter dem<br />

Geschäftszeichen: 368275 / 508649 (E 1<strong>05</strong>/35241100).<br />

IV. Fazit<br />

Gibt es nach aller Kritik auch positive Ansätze in diesem<br />

Regierungsentwurf? Man kann dazu auf die Erweiterung des<br />

§ 14 Abs. 1 Satz 2 InsO verweisen. Dort wird die Möglichkeit<br />

insbesondere der öffentlichen Gläubiger verbessert, durch<br />

eine frühe Antragstellung die eigenen Anfechtungsrisiken<br />

(und damit gleichzeitig auch die Anfechtungsrisiken aller<br />

anderen Gläubiger) deutlich zu reduzieren. Hier wird die<br />

Hand endlich an die Wurzel des Problems gelegt. Massenhafte<br />

Insolvenzverschleppung begünstigt Insolvenzanfechtungen<br />

und führt vor allem über § 133 InsO zu hohen<br />

Anfechtungsrisiken. Öffentlichen Gläubigern fällt in diesem<br />

Zusammenhang durch ihre bereits heute existierenden<br />

besonderen Eingriffs- und Vollstreckungsmöglichkeiten eine<br />

besondere Verantwortung zu. Es wird Zeit, dass sie diese<br />

Verantwortung auch wahrnehmen. Dazu darf aber nicht<br />

wieder die Hintertür ihrer Privilegierung geöffnet werden.<br />

Zwangsvollstreckungsrecht<br />

Dipl.-Betriebswirt (FH) Udo Brückner<br />

Die Gerichtsvollzieherformular-Verordnung<br />

als Bestandteil des elektronischen<br />

Rechtsverkehrs<br />

I. Inkrementelle Entwicklung der GVFV<br />

1<br />

BGBl I Nr. 62 v. 16.10.2013, S. 3786 ff.<br />

Mit der Verkündung des Gesetzes zur Förderung des elektronischen<br />

Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10.10.2013 1<br />

hat der Gesetzgeber ein festes Zeitfenster <strong>für</strong> die Digitalisierung<br />

des Rechtsverkehrs vorgegeben. In einem Zeitkorridor<br />

zwischen dem 1.1.2017 und dem 1.1.2022 müssen neben der<br />

Justizverwaltung auch Rechtsanwälte und sogenannte „professionelle<br />

Einreicher“ 2 die Voraussetzungen <strong>für</strong> die Teilnahme<br />

am elektronischen Rechtsverkehr mit den Gerichten<br />

schaffen. So ist es nur konsequent, dass an verschiedenen<br />

Stellen der Zivilprozessordnung 3 Verordnungsermächtigun-<br />

2<br />

Der Begriff des „professionellen Einreichers“ wird in der Begründung zum<br />

Gesetzesentwurf der Bundesregierung (BT-Drucks 17/12634) mehrfach verwendet,<br />

ohne dass er genau definiert würde. Aus dem Sinnzusammenhang<br />

und Einzelbegründungen (z.B. zu § 690 ZPO) lässt sich jedoch unzweifelhaft<br />

ableiten, dass zumindest die nach § 10 Abs. 1 Satz Nr. 1 RDG registrierten<br />

Inkassounternehmen unter diesen Begriff subsummiert werden können.<br />

3<br />

U.a. § 117 ZPO, § 130c ZPO, § 190 ZPO, § 703b ZPO, § 753 ZPO.<br />

Nr. 5/<strong>2015</strong> 185


Aufsätze<br />

<strong>zfm</strong><br />

gen <strong>für</strong> die Einführung einheitlicher Formulare eingefügt<br />

wurden. Die Strukturierung von Informationen und Anträgen<br />

ist ein wesentlicher Schritt zur elektronischen Speicherung<br />

und Weiterverarbeitung. Mit der „Verordnung über das<br />

Formular <strong>für</strong> den Vollstreckungsauftrag an den Gerichtsvollzieher<br />

(GVFV)“ 4 vollzieht das Bundesministerium der Justiz<br />

und <strong>für</strong> Verbraucherschutz (BMJV) einen weiteren wichtigen<br />

Schritt, um den Zwangsvollstreckungsprozess effizienter zu<br />

gestalten. Auch bei rückläufiger Tendenz von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen<br />

zeigen rd. 3,6 Mio. Vollstreckungen<br />

über den Gerichtsvollzieher sowie 3,7 Mio. Aufträge zur<br />

Abnahme der Vermögensauskunft, 5 dass gerade im Zwangsvollstreckungsprozess<br />

ein nicht zu unterschätzender Effizienzhebel<br />

steckt. Dass dieser zur Aufrechterhaltung eines<br />

funktionierenden Vollstreckungswesens und auch im wirtschaftlichen<br />

Eigeninteresse der Bundesländer zwingend genutzt<br />

werden muss, zeigt die Tatsache, dass im Rahmen<br />

von Personalreduzierungen 6 und durch den Anstieg der<br />

strukturelle Überschuldung 7 die Zahl der Schuldner mit hoher<br />

Überschuldungsintensität 8 je Gerichtsvollzieher seit 2006 von<br />

7<strong>05</strong> Personen um 32 % auf rund 930 in 2014 gestiegen ist. 9<br />

Die Einführung einheitlicher Formulare <strong>für</strong> die Anträge auf<br />

Erlass eines richterlichen Durchsuchungsbeschlusses und<br />

auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses<br />

wegen gewöhnlicher Geldforderungen bzw. wegen Unterhaltsforderungen<br />

im Jahr 2012 10 war ein erster Versuch,<br />

Zwangsvollstreckungsaufträge in Formblätter zu strukturieren<br />

und den Erlassprozess zu beschleunigen. Die Erstfassung<br />

der Zwangsvollstreckungsformular-Verordnung<br />

(ZVFV) erwies sich als zu eng und gab schon kurz nach<br />

der Einführung Anlass zu Rechtsstreitigkeiten zwischen<br />

Antragsteller und dem jeweils zuständigen Gericht. Neben<br />

Abweichungen des äußeren Erscheinungsbildes der eingereichten<br />

Formulare von der im Bundesgesetzblatt veröffentlichten<br />

Vorlage 11 waren es Fragen zur obligatorischen<br />

Nutzung von Formularbestandteilen, insbesondere<br />

bezüglich der Forderungsaufstellung 12 und der Zulässigkeit<br />

von Anlagen, 13 die die Gerichte zu teils widersprüchlichen<br />

Entscheidungen veranlasste und den in Art. 2 Abs. 1, Art. 20<br />

Abs. 3 GG grundgesetzlich verankerten Anspruch des<br />

Rechtsuchenden nach Rechtsschutz in Frage stellte. Mit<br />

seiner Entscheidung vom 13.2.2014 hob der Bundesgerichtshof<br />

14 den Formularzwang auf, soweit sich das<br />

Formular als „unvollständig, unzutreffend, fehlerhaft oder<br />

missverständlich“ 15 erweist.<br />

Infolge des BGH-Beschlusses wurden die engen Vorgaben<br />

der ZVFV geöffnet. 16 Seitdem sind unwesentliche Änderung<br />

der Schriftgröße, unwesentliche Änderungen sonstiger<br />

Formularelemente sowie der Schwarz-Weiß-Druck 17 zulässig.<br />

Ferner dürfen im Bedarfsfall, das heißt sofern keine<br />

zweckmäßige Eintragungsmöglichkeit im Formular besteht,<br />

Freitextfelder und Anlagen verwendet werden. 18<br />

Die ZVFV bleibt jedoch primär auf gedruckte Formulare<br />

im DIN-A4-Format ausgerichtet, was in expliziter Weise in<br />

§ 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 ZVFV zum Ausdruck kommt.<br />

Die Reform der ZVFV ebnete jedoch auch den Weg in die<br />

Digitalisierung der bis dahin nur zur Nutzung in Papierform<br />

konzipierten Formulare. § 4 ZVFV ermöglicht den Ländern,<br />

elektronisch ausfüllbare Formulare zu gestalten und den<br />

Auftrag als XML-Datensatz den Gerichten zur Verfügung<br />

zu stellen. Im Februar <strong>2015</strong> finalisierte eine Arbeitsgruppe<br />

unter der Bund-Länder-Kommission <strong>für</strong> Informationstechnik<br />

in der Justiz (BLK) die Definition der erforderlichen<br />

XML-Datensatzstrukturen <strong>für</strong> die in der ZVFV vorgegebenen<br />

Formulare. 19 .<br />

II. Modularer Formularaufbau als<br />

konsequenter Evolutionsschritt<br />

Bei der Entwicklung des Formulars <strong>für</strong> den Gerichtsvollzieherauftrag<br />

nahm das BMJV frühzeitig die Anforderungen<br />

aus der Praxis auf, was das Ergebnis in positiver Weise<br />

beeinflusst hat. 20<br />

4<br />

BGBl I Nr. 30 v. 30.9.<strong>2015</strong>, S. 1586 ff.<br />

5<br />

Deutsche Gerichtsvollzieher-Zeitung, Ausgabe 12/<strong>2015</strong> v. 15.12.<strong>2015</strong>.<br />

6<br />

Ebd. sowie Bundesamt <strong>für</strong> Justiz, Personalbestand der Amtsgerichte v.<br />

7.8.2014 (https://www.bundesjustizamt.de/DE/SharedDocs/Publikationen/<br />

Justizstatistik/Personalbestand_AG.pdf?__blob=publicationFile).<br />

7<br />

Schuldneratlas <strong>2015</strong> der Creditreform-Gruppe, S. 48.<br />

8<br />

Als hohe Überschuldungsintensität definiert Creditreform im Schuldneratlas<br />

den Sachverhalt, dass (mindestens) ein schuldnerregisterlicher Eintrag<br />

und/oder ein Insolvenzverfahren gegen den Schuldner vorliegt.<br />

9<br />

Eigene Berechnungen auf Basis der vorgenannten Quellen.<br />

10<br />

BGBl I Nr. 40 v. 31.8.2012, S. 1822 ff.<br />

11<br />

Z. B. Schwarz-Weiß-Druck (u.a. LG München I [16 T 6241/13 v. 22.3.2013]),<br />

abweichende Breite von Rändern und Feldgrößen (u.a. LG Bremen [2 T 265/<br />

13]) sowie weitere Entscheidungen zum Grünton, Schriftart u.ä.<br />

12<br />

Positiv u.a. LG Essen (7 T 145/13 v. 7.5.2013), BGH v. 4.11.<strong>2015</strong> (VII ZB 22/15),<br />

negativ u.a. LG Mainz (3 T 54/13 v. 14.5.2013).<br />

13<br />

Positiv LG Bamberg (3 T 81/13 v. 8.7.2013).<br />

14<br />

BGH v. 13.2.2014 (VII ZB 39/13).<br />

15<br />

Ebd., Leitsatz.<br />

16<br />

Verordnung zur Änderung der Zwangsvollstreckungsformular-Verordnung,<br />

BGBl I Nr. 26 v. 24.6.2014, S. 754 ff.<br />

17<br />

§ 3 Abs. 2 ZVFV.<br />

18<br />

§ 3 Abs. 3 ZVFV.<br />

19<br />

Siehe www.xjustiz.de, Version 1.19.0 vom 30.10.<strong>2015</strong>.<br />

20<br />

Sowohl der Bundesverband Deutscher Inkasso-Unternehmen e.V. (BDIU)<br />

als auch der Deutsche Gerichtsvollzieherbund e.V. (DGVB) gaben bereits<br />

2012 Anregungen zur Formulargestaltung und zur erforderlichen Umsetzung<br />

als elektronisches Formular. Im weiteren Verlauf hat das BMJV in<br />

einem iterativen Prozess nicht nur die Ländervertreter kontinuierlich<br />

eingebunden, sondern auch eine Rückkopplung mit den vorgenannten<br />

Verbänden gesucht.<br />

186 Nr. 5/<strong>2015</strong>


<strong>zfm</strong><br />

Aufsätze<br />

Die GVFV löst sich daher noch einen Schritt weiter vom<br />

klassischen Papierformat und einer vorgegebenen Seitenaufteilung,<br />

indem als neuer Rechtsbegriff das Formularmodul<br />

eingeführt wird. Nach § 2 Abs. 5 S. 1 GVFV ist ein<br />

Modul „jeder Teil des Formulars, der Angaben des Antragstellers<br />

enthält, die in einem inhaltlichen und formalen<br />

Zusammenhang stehen“. Eine explizite Kennzeichnung der<br />

unter diese Definition fallenden Formularbestandteile als<br />

Modul sieht die Verordnung nicht vor. So fallen neben den<br />

Angaben zu den Verfahrensbeteiligten (Module A bis A8),<br />

zum formellen Umfang des Gerichtsvollzieherauftrags<br />

(Module B und C), zu den Detailaufträgen und Weisungen<br />

beziehungswiese Hinweisen (Module D bis P8) und der<br />

Kostenaufstellung <strong>für</strong> Rechtsanwälte (Modul Q) auch die<br />

im Formularkopf aufgeführten Formularfelder <strong>für</strong> die<br />

Kontaktdaten des Gläubigers beziehungsweise des Gläubigervertreters<br />

und die als Anlage 1 zum Formular gehörige<br />

Forderungsaufstellung unter die vorgenannte Definition.<br />

Die dort aufgeführten Daten stehen auch ohne besondere<br />

Kennzeichnung sowohl in einem sachlichen als auch<br />

förmlichen Zusammenhang zueinander.<br />

Verständlichkeit <strong>für</strong> einen verständigen Gerichtsvollzieher in<br />

unzulässiger Weise eingeschränkt ist. 22<br />

Anders als bei den gedruckten Seiten zu den Antragsformularen<br />

der ZVFV können Module gemäß § 2 Abs. 4 S. 1<br />

GVFV bei Bedarf mehrfach verwendet werden. Dies wird in<br />

der Praxis primär bei den Angaben zu den gesetzlichen<br />

Vertretern des Gläubigers (Modul A2) und des Schuldners<br />

(Modul A6) und bei der Ausführung von mehreren<br />

Vorpfändungen (Modul J) zum Tragen kommen.<br />

Bei der Definition der formellen Vollständigkeit des Vollstreckungsauftrags<br />

zeigt sich der signifikanteste Unterschied<br />

zwischen ZVFV und GVFV. Losgelöst von der Seitenzahl<br />

reicht es nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 GVFV aus, wenn der<br />

Antragsteller nur die Module einreicht, in die er Angaben<br />

zum Antrag eingefügt hat. Der Antragsteller trägt die<br />

Verantwortung <strong>für</strong> die Vollständigkeit des Auftrags, denn<br />

nach § 2 Abs. 3 S. 3 GVFV gelten auch die nicht eingereichten<br />

beziehungsweise nicht übermittelten Seiten und Module als<br />

Teil des Gerichtsvollzieherauftrags.<br />

Folgt man dem Modularprinzip mit der konsequenten<br />

Zielstellung, den Gerichtsvollzieherauftrag auf das <strong>für</strong> die<br />

Ausführung des Vollstreckungsauftrags Wesentliche zu<br />

reduzieren, beschränkt sich das Weglassen von Modulen<br />

nicht nur auf die Teilaufträge, Weisungen und Hinweise<br />

(Module D bis P8), sondern auch auf die Angaben zu den<br />

Verfahrensbeteiligten (Module A bis A8). Sofern nicht die<br />

Angabe eines spezifischen gesetzlichen Vertreters von<br />

Gläubiger und/oder Schuldner <strong>für</strong> die Vollstreckung zwingend<br />

erforderlich ist, ergibt beispielsweise der allgemeine<br />

Hinweis auf die Vertretungsbefugnis durch Geschäftsführer<br />

oder Vorstand bei einer verfahrensbeteiligten Kapitalgesellschaft<br />

21 keinen die Vollstreckung beschleunigenden oder<br />

konkretisierenden Mehrwert und kann daher auch entfallen,<br />

ohne dass die nach § 2 Abs. 4 S. 3 GVFV erforderliche<br />

Abbildung 1<br />

Das Ausweichen auf Freitextfelder und Anlagen, sofern das<br />

Formular keine zweckmäßige Möglichkeit zur Eintragung<br />

vorhält, wurde bereits mit der Modifizierung der ZVFV <strong>für</strong><br />

die dort definierten Formulare eingeführt. 23 Inhalts- und<br />

nahezu wortgleich wurde diese Öffnungsklausel in § 2<br />

Abs. 2 GVFV übernommen. Neben den Freitextfeldern zu<br />

den spezifischen Teilaufträgen 24 enthält das Auftragsformular<br />

in den Modulen O und P8 darüber hinausgehende<br />

Möglichkeiten <strong>für</strong> den Auftraggeber, seine Weisungen und<br />

Hinweise in zweckmäßiger Weise einzutragen oder Anlagen<br />

beizufügen; der Gerichstvollzieherauftrag hält mehr<br />

diesbezügliche Freitextfelder vor als die Formulare zur<br />

Forderungspfändung. Der Freiraum zur detailreichen Formulierung<br />

des Gerichtsvollzieherauftrags ist ausreichend<br />

genug, um nach den ersten Praxiserfahrungen 25 nahezu<br />

alle über den Gerichtsvollzieher ausführbaren Vollstreckungsmöglichkeiten<br />

verständlich darzulegen. Im Umkehrschluss<br />

bedeutet dies jedoch auch, dass eine automatisierte<br />

Bearbeitung der Zwangsvollstreckungsaufträge<br />

22<br />

Zum Erfordernis der Verständlichkeit siehe auch Begründung zu § 2 Abs. 4<br />

GVFV (Seite 18).<br />

23<br />

§ 3 Abs. 3 ZVFV.<br />

24<br />

U. a. in den Modulen C, E4, G4 und K4.<br />

21<br />

Beim Antrag auf Erlass des Mahnbescheides hat der BGH in einer Entscheidung<br />

v. 29.6.1993 (RPfleger 1993, S. 499) die Zulässigkeit allgemeiner<br />

Angaben zur Vertretungsbefugnis bejaht.<br />

25<br />

Mehrere Inkassodienstleister, u.a. Creditreform und die EOS-Gruppe haben<br />

im manuellen Parallelbetrieb die Praxistauglichkeit des Formulars mit<br />

positivem Resultat untersucht.<br />

Nr. 5/<strong>2015</strong> 187


Aufsätze<br />

<strong>zfm</strong><br />

<strong>für</strong> eine Vielzahl von Verfahren ausgeschlossen ist, was<br />

den Effizienzgewinn in diesen Fällen auf die Vereinfachung<br />

der Datenerfassung und gegebenenfalls einer schnelleren<br />

Sortierung der Aufträge einschränkt. 26<br />

III. Freiheitsgrade im Layout<br />

des Formulars<br />

In der schlüssigen Weiterentwicklung der ZVFV, die sich in<br />

§ 3 Abs. 2 ZVFV dezidiert mit Abweichungen vom Schriftbild<br />

und anderen Gestaltungselementen befasst, entfällt diese<br />

Einschränkung in der GVFV. Diese lässt – wie auch die ZVFV<br />

– inhaltliche Abweichungen im Formular und den dazugehörigen<br />

Anlagen nicht zu. 27 Einschränkungen hinsichtlich der<br />

optischen Gestaltung des Gerichtsvollzieherauftrags regelt<br />

die GVFV nur insoweit, als sie neben der Einhaltung der<br />

Modulreihenfolge 28 in § 2 Abs. 4 S. 3 GVFV eine conditio<br />

generalis vorgibt. Demnach muss ein modular aufgebauter<br />

Gerichtsvollzieherauftrag unter Einschluss mehrfach verwendeter<br />

oder Weglassen von Modulen <strong>für</strong> den Gerichtsvollzieher<br />

verständlich bleiben. Verständlich heißt in diesem<br />

Zusammenhang, dass der Auftrag <strong>für</strong> den ausführenden<br />

Gerichtsvollzieher klar, schlüssig und inhaltlich nachvollziehbar<br />

sein muss. Das heißt aber auch, dass die Zulässigkeit von<br />

Layout-Änderungen sehr weit ausgelegt werden kann und<br />

aus Gläubigersicht auch darf. Insofern wird es in der praktischen<br />

Anwendung nicht „das“ Auftragsformular geben, sondern<br />

viele Varianten mit gleichem strukturellem Aufbau.<br />

Der Verzicht auf eine dezidierte Regelung des äußeren<br />

Erscheinungsbilds des Gerichtsvollzieherauftrags verdeutlicht,<br />

dass der Gesetzgeber die Strukturierung von Inhalten<br />

in den Vordergrund stellt. Ein Eingriff erfolgt nur dort, wo<br />

die ordnungsgemäße Ausführung des Gerichtsvollzieherauftrags<br />

durch zu große Abweichungen von der vorgegebenen<br />

Struktur und dem intendierten Wiedererkennungseffekt<br />

von Formularen beeinträchtigt werden könnte. Schon die<br />

Definition der XML-Datenstruktur <strong>für</strong> die elektronische<br />

Übertragung von Anträgen nach der ZVFV 29 reduziert den<br />

Auftrag auf Strukturen und Inhalte; die optische Gestaltung<br />

spielt in der elektronischen Datenübermittlung keine Rolle.<br />

Die Verwendung der als Anlage 1 zum Formular gehörigen<br />

Forderungsaufstellung ist insofern obligatorisch, als alle<br />

geldlichen Ansprüche des Gläubigers in den vorgegebenen<br />

Formularfeldern zweckmäßig aufgeführt werden können. 30<br />

Nicht widerspruchsfrei stellt sich der Sachverhalt dar, wenn<br />

nicht alle Forderungsbestandteile in der Anlage 1 abbildbar<br />

sind. Auf der einen Seite eröffnet der Verordnungsgeber in<br />

Modul C die Beifügung einer eigenen Forderungsaufstellung.<br />

Auf der anderen Seite verpflichtet § 2 Abs. 2 GVFV den<br />

Auftraggeber zur Nutzung der vorgegebenen Felder in der<br />

Anlage 1, soweit sie <strong>für</strong> die Eintragungen zweckmäßig sind.<br />

Nur <strong>für</strong> die übrigen Forderungsbestandteile wäre demnach<br />

eine weitere Anlage zulässig. In der Begründung zur GVFV<br />

stellt der Verordnungsgeber jedoch klar, dass der Auftraggeber<br />

anstelle der formularmäßig vorgegebenen Forderungsaufstellung<br />

eine eigene, frei gestaltbare Forderungsaufstellung<br />

beifügen kann, wenn „die erforderlichen Angaben<br />

nicht oder nicht vollständig in die amtliche Forderungsaufstellung<br />

eingetragen werden können. 31 Diese weite Auslegung<br />

kommt der Praxis zwar deutlich entgegen, schützt<br />

aber in der IT-unterstützten Forderungsbearbeitung durch<br />

Großkanzleien und registrierte Inkassodienstleister nicht vor<br />

der technisch komplexen Fallunterscheidung zwischen Forderungssachverhalten<br />

mit Formularbindung und denen ohne<br />

dieses Erfordernis.<br />

IV. Nahziel: Elektronische<br />

Gerichtsvollzieherbeauftragung<br />

Abbildung 2<br />

In § 3 GVFV eröffnet der Verordnungsgeber den Bundesländern<br />

die Möglichkeit, das Formular elektronisch zu<br />

befüllen und elektronisch zu übermitteln. Hierbei ist<br />

zwischen der elektronischen Befüllung des Formulars<br />

und dessen elektronischer Übertragung zu unterscheiden.<br />

Die Eingabe der erforderlichen Daten kann sowohl<br />

26<br />

Der BDIU bezweifelte in seinen Stellungnahmen vom 16.4.2012 und<br />

24.2.2014 vom Grundsatz her, dass die Zwangsvollstreckung über den<br />

Gerichtsvollzieher ein geeignetes Rechtsgebiet <strong>für</strong> die Verwendung eines<br />

strukturierten Formulars ist.<br />

27<br />

§ 2 Abs. 1 GVFV sowie nahezu wortgleich § 3 Abs. 1 ZVFV.<br />

28<br />

§ 2 Abs. 3 S. 3 GVFV.<br />

29<br />

Spezifikation xJustiz, Version 1.19, Seite 853 ff.<br />

30<br />

Ergibt sich aus der Umkehrung von § 2 Abs. 2 GVFV.<br />

31<br />

Begründung zu § 2 Abs. 2 GVFV, S. 18.<br />

188 Nr. 5/<strong>2015</strong>


<strong>zfm</strong><br />

Aufsätze<br />

manuell erfolgen 32 als auch in elektronischer Form, wobei<br />

im Anschluss immer noch ein gedrucktes Formular zur<br />

Übermittlung erstellt werden muss. Das manuelle Ausfüllen<br />

des Formulars eignet sich jedoch nur <strong>für</strong> den<br />

gelegentlichen, nicht den professionellen Nutzer.<br />

Ein deutlicher Effizienzgewinn entsteht erst mit der<br />

elektronischen Übermittlung strukturierter Daten an den<br />

Gerichtsvollzieher. Eine wesentliche technische Voraussetzung<br />

hier<strong>für</strong> ist die Definition einer über alle Bundesländer<br />

hinweg einheitlichen XML-Datensatzstruktur. Die<br />

Zulässigkeit und erforderlichen Voraussetzungen schafft<br />

der Verordnungsgeber in § 4 GVFV. Für den strukturierten<br />

Datensatz gelten die gleichen inhaltlichen Vorgaben wie<br />

<strong>für</strong> das papiergebundene Formular. 33 Erste vorbereitende<br />

Ansätze finden sich bereits in der Spezifikation zu<br />

xJustiz. 34 Auf dem Weg zur rein digitalen Beauftragung<br />

ist ein entsprechender Rechtsrahmen erforderlich, der<br />

es dem Auftraggeber ermöglicht, seinen Auftrag elektronisch<br />

ohne Beifügung von Originaldokumenten zu erteilen.<br />

Nach Vorbild von § 829a ZPO <strong>für</strong> den Antrag auf Erlass<br />

eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses beabsichtigt<br />

das BMJV, unter analoger Anwendung der in<br />

§ 829a ZPO definierten Rahmenbedingungen in einem<br />

neu zu schaffenden § 754a ZPO 35 die elektronische<br />

Übermittlung des Gerichtsvollzieherauftrags zu ermöglichen.<br />

Dieser Schritt wird vom BDIU 36 und dem DGVB 37<br />

ausdrücklich begrüßt.<br />

Eine infrastrukturelle Herausforderung stellt nach derzeitigem<br />

Kenntnisstand noch die flächendeckende elektronische<br />

Erreichbarkeit der Verteilerstellen bei den Amtsgerichten<br />

und die Erreichbarkeit aller Gerichtsvollzieher<br />

über einen sicheren Übertragungsweg dar. Es bleibt zu<br />

hoffen, dass der Anschluss aller Verfahrensbeteiligten an<br />

einem gesicherten elektronischen Kommunikationsnetz<br />

deutlich schneller voranschreitet als die elektronische<br />

Anbindung der Gerichtsvollzieher an die Auskunftsquellen<br />

im Rahmen der Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung,<br />

bei der zwischen Gesetzesbeschluss und<br />

tatsächlicher Umsetzung nahezu fünf Jahre gelegen haben.<br />

Ähnlich schleppend und aus Sicht von Gläubigern und<br />

Gläubigervertretern unbefriedigend verlief die Schaffung<br />

der infrastrukturellen Voraussetzungen nach Einführung<br />

von § 829a ZPO.<br />

Die Entscheidung der BLK, im Rahmen der Einführung des<br />

besonderen Anwaltspostfachs bzw. des besonderen Notarpostfachs<br />

die „Bürger“-Variante des Elektronischen<br />

Gerichts- und Verwaltungspostfachs (EGVP) zum 1.1.2016<br />

aufzukündigen, 38 hat aufgrund einer fehlenden offensiven<br />

Informationspolitik der Landesjustizbehörden und über<br />

längere Zeit unklaren Situation hinsichtlich einer Nachfolgelösung<br />

bei den professionellen Einreichern zu Irritationen<br />

geführt. Wenig vertrauensfördernd ist zudem die<br />

Tatsache, dass in Baden-Württemberg noch keine flächendeckende<br />

Lizenzvereinbarung zur Nutzung von Governikus<br />

Communicator Justiz Edition als Alternativlösung vorliegt. 39<br />

Als Zwischenfazit bleibt festzuhalten, dass den Bundesländern<br />

auf dem Weg zur elektronischen Zwangsvollstreckung<br />

eine entscheidende Rolle zukommt, die sie bislang<br />

aus Sicht der professionellen Nutzer nur eingeschränkt<br />

wahrnehmen.<br />

V. Rahmenbedingungen <strong>für</strong> die Vervollständigung<br />

der digitalen Prozesskette<br />

in der Zwangsvollstreckung<br />

Die Einführung des Formulars <strong>für</strong> den Gerichtsvollzieherauftrag<br />

sowie die Schaffung einer Möglichkeit zur elektronischen<br />

Beauftragung des Gerichtsvollziehers sind ein<br />

wichtiger Baustein auf dem Weg zu einer durchgehend papierlosen<br />

Prozesskette von der Titulierung einer Forderung<br />

bis hin zur Zustellung von vollstreckungsrelevanten Dokumenten<br />

und Erlass von Beschlüssen. Solange jährlich noch<br />

fast 7 Mio. Forderungstitel 40 <strong>für</strong> die Zustellung gedruckt<br />

werden müssen und 4,5 Mio. Zustellungen postalisch oder<br />

über den Gerichtsvollzieher 41 vorgenommen werden, bleibt<br />

der mögliche Effizienzgewinn in der Zwangsvollstreckung<br />

weit hinter dem Optimum an Verfahrensvereinfachung und<br />

-beschleunigung zurück. Der Gerichtsvollzieherauftrag ist<br />

nur ein Mittelstück in der Prozesskette zwischen Titulierung<br />

und Ausführung der Zwangsvollstreckung.<br />

32<br />

Eine analoge Vorgehensweise ist bereits <strong>für</strong> den Antrag auf den Erlass<br />

eines Mahnbescheides in den Bundesländern implementiert. Siehe: www.<br />

online-mahnantrag.de.<br />

33<br />

§ 4 Abs. 2 GVFV.<br />

Der Gesetzgeber ist unter anderem gefordert, die Hürden der<br />

Vergangenheit aus den vollstreckungsrelevanten Rechtsvorschriften<br />

zu eliminieren und die professionellen Einreicher<br />

34<br />

Spezifikation xJustiz (www.xjustiz.de), Version 1,19, S. 830 ff.<br />

35<br />

Im Rahmen eines Referentenentwurfs zum KoPfVODG an die betroffenen<br />

Interessenverbände publiziert am 22.12.2014.<br />

36<br />

Siehe Stellungnahme vom 12.2.<strong>2015</strong>, S. 2 (http://inkasso.de/sites/default/<br />

files/downloads/<strong>2015</strong>_02_12 %20BDIU%20Stellungnahme%20GesetzE%<br />

20EUKoPfVODG.pdf).<br />

37<br />

Siehe Stellungnahme vom 10.2.<strong>2015</strong>, S. 1 (http://www.dgvb.de/stellungnahmen/25.4.<strong>2015</strong>0210StNzurEuKoPfVODGEndfassung.pdf).<br />

38<br />

Siehe http://www.governikus.com/de/justizloesungen/6885885.<br />

39<br />

Ebd.<br />

40<br />

Darunter 1,1 Mio. Urteile und 5,7 Mio. Vollstreckungsbescheide; Quelle:<br />

Statistisches Bundesamt, Fachserie 10 Reihe 2.1 Rechtspflege – Zivilgerichte<br />

(2013), S. 13.<br />

41<br />

DGVZ a.a.O.<br />

Nr. 5/<strong>2015</strong> 189


Aufsätze<br />

<strong>zfm</strong><br />

sowohl bei der Schaffung der erforderlichen rechtlichen Rahmenbedingungen<br />

und in der adäquaten technisch-organisatorischen<br />

Umsetzung zu berücksichtigen. 42 Hierunter fallen<br />

insbesondere:<br />

• Verzicht auf Originalunterlagen (u.a. Ausweitung von<br />

§ 88 ZPO auf nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 RDG registrierte<br />

Inkassodienstleister, Modifikation von § 757 ZPO [Aushändigung<br />

des Originaltitels]),<br />

• Verzicht auf die Führung von beleghaften Akten (u.a.<br />

§§ 38 ff. GVO),<br />

• Einführung eines elektronischen Titelverzeichnisses,<br />

• Schaffung der Möglichkeit zur Erteilung von Sammelaufträgen<br />

(in Analogie zum gerichtlichen Mahnverfahren<br />

nach §§ 699 ff. ZPO),<br />

• Anpassung des Kostenrechts (Schaffung von finanziellen<br />

Anreizen zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs),<br />

• Einführung eines „elektronischen Briefkastens“ <strong>für</strong> alle<br />

rechtsfähigen natürlichen und juristischen Personen mit<br />

(Wohn-) Sitz oder dauerhaftem Aufenthalt im Inland,<br />

• Einführung einer obligatorischen elektronischen Signaturmöglichkeit<br />

<strong>für</strong> „jedermann“, d.h. <strong>für</strong> alle voll geschäftsfähigen<br />

natürlichen Personen.<br />

Die beiden letztgenannten Punkte stellen nicht nur im<br />

Hinblick auf Datenschutz und Datensicherheit, Schutz vor<br />

Missbrauch, technischer Ausstattung und Akzeptanz in der<br />

Bevölkerung die größten Herausforderungen auf dem Weg<br />

in den elektronischen Rechtsverkehr mit Breitenwirkung dar.<br />

Sie bieten zudem auch potenziell den größten Effizienzgewinn<br />

bei der Verschlankung administrativer Prozesse – und<br />

das über das reine Vollstreckungsrecht hinaus.<br />

Nicht ausgeblendet werden darf in diesem Zusammenhang<br />

der europäische Kontext. So eröffnet beispielsweise die<br />

Verordnung (EU) 655/2014 zur Einführung der vorläufigen<br />

Kontopfändung unter anderem in Art. 8 Abs. 4 und Art. 25<br />

Abs. 2 die Möglichkeit zur elektronischen Übermittlung von<br />

Dokumenten. Auch wenn die nationalen Herausforderungen<br />

in einem ersten Schritt schwerer wiegen und in den<br />

nächsten Jahren erhebliche Anstrengungen von Gesetzgeber,<br />

Justizverwaltung und auch von den betroffenen<br />

Verfahrensparteien in der Zwangsvollstreckung erfordern,<br />

sollte bei jedem Schritt die Kompatibilität zu den europäischen<br />

Zielsetzungen beachtet werden.<br />

VI. Fazit<br />

Die GVFV ist ein wichtiger und richtiger Schritt im Hinblick<br />

auf einen Effizienzgewinn im Vollstreckungsprozess und<br />

schafft – bei konsequenter Umsetzung – eine Entlastung<br />

der Gerichtsvollzieher von einem Teil ihrer administrativen<br />

Aufgaben. Sowohl die Formularverordnung als auch das<br />

Formular selbst erfüllen weitgehend die Anforderung an<br />

einen in Struktur gefassten und dennoch flexiblen Vollstreckungsprozess.<br />

Die erste rechtlich verbindliche Vorlage<br />

<strong>für</strong> den Gerichtsvollzieherauftrag erhebt keinen Anspruch<br />

auf Perfektion. Insofern sind Detailverbesserungen sicherlich<br />

sinnvoll, wobei die ersten Praxiserfahrungen abzuwarten<br />

bleiben. Besonders positiv ist herauszustellen, dass das<br />

BMJV sehr frühzeitig die Erfahrungen und Anforderungen<br />

von Praktikern einbezogen hat. Dieses erfolgreiche Konzept<br />

darf und sollte bei künftigen Vorhaben gerne fortgesetzt<br />

werden.<br />

Es bleiben erhebliche Herausforderungen bei der Schaffung<br />

der geeigneten Infrastruktur und der Verringerung rechtlicher<br />

Hürden bis zur digitalen „Zwangsvollstreckung 2.0“<br />

zu bewältigen. In Bezug auf die Technik bedarf es einer<br />

Intensivierung der Bemühungen auf Länderebene. Parallel<br />

dazu müssen weitere rechtliche Rahmenbedingungen<br />

optimiert werden. Die GVFV ist dabei ein erster Schritt,<br />

aber längst noch nicht das Ziel.<br />

Sicherlich ist es notwendig und in der Zielstellung schlüssig,<br />

im wirtschaftlich sinnvollen Rahmen die Zwangsvollstreckungsprozesse<br />

zu automatisieren und vom administrativen<br />

Ballast zu befreien. Der Gerichtsvollzieher ist und<br />

bleibt jedoch auch bei Umsetzung aller oben dargestellten<br />

Optimierungsschritte ein wichtiger Ansprechpartner <strong>für</strong><br />

den Schuldner und der verlängerte Arm des Gläubigers mit<br />

staatlicher Vollstreckungsbefugnis. Seine Menschenkenntnis,<br />

Beharrlichkeit und Empathie lassen sich nicht in Bits<br />

und Bytes fassen. Die Entlastung von reiner Verwaltungstätigkeit<br />

im Rahmen des elektronischen Rechtsverkehrs<br />

schafft Freiräume und Chancen, das Berufsbild des Gerichtsvollziehers<br />

zum engagierten und kompetenten „Vollstreckungsmanager“<br />

weiterzuentwickeln.<br />

42<br />

Nach Schätzungen des BDIU werden mehr als 50 % aller Titulierungen<br />

und Zwangsvollstreckungsaufträge von registrierten Inkassodienstleistern<br />

initiiert.<br />

190 Nr. 5/<strong>2015</strong>


<strong>zfm</strong><br />

Aufsätze<br />

Deutsch – Jura, Jura – Deutsch<br />

Michael Schmuck<br />

Eine Sprach-Wissenschaft <strong>für</strong> sich<br />

Sie verstehen Gesetze und Urteile nicht? Sie verzweifeln an einem Formular? Dann quälen Sie sich also mit Juristendeutsch herum.<br />

Unsere neue Serie „Deutsch – Jura, Jura – Deutsch“ zeigt Ihnen informativ und unterhaltsam, wie verschroben unsere Rechtssprache<br />

ist – und wie es einfacher ginge, wenn Juristen das wollten. In den folgenden sechs Ausgaben wird Michael Schmuck abschreckende<br />

Beispiele zeigen und Ihnen die Tipps <strong>für</strong> klares Juristendeutsch näherbringen. In dieser Ausgabe lesen Sie die Einführung – ein Plädoyer<br />

<strong>für</strong> klare Sprache.<br />

I. Klare Sprache versus „Juristen-<br />

Deutsch“<br />

Juristen und klare Sprache, Recht und reibungslose Kommunikation<br />

– <strong>für</strong> Nicht-Rechtsgelehrte sind das krasse<br />

Widersprüche. Recht mit seinem Juristendeutsch steht<br />

bei den meisten Menschen <strong>für</strong> grauenvolle Sprache und<br />

miserable Kommunikation: umständlich, verworren, distanziert.<br />

– Bitte, wie? Bitte, was? Viele Menschen lachen<br />

verstohlen oder ekeln sich nach dem ersten Satz mit den<br />

typisch verschwurbelten Formulierungen.<br />

Juristen und Juristinnen selbst haben damit angeblich<br />

kaum Probleme. Ja, manche gestehen ein, dass das nicht<br />

so einfach ist mit den Formulierungen. Aber das, so erklären<br />

sie eher stolz, sei nun mal die Fachsprache ihrer<br />

Zunft. Das sei nun mal eine hohe Wissenschaft, unser gutes<br />

Recht. Doch ist unser gutes Recht nicht auch <strong>für</strong> uns<br />

Menschen gemacht?<br />

Nehmen wir eine Pressemitteilung des BGH vom 18. Juni<br />

<strong>2015</strong> zum epochalen Problem der Hintergrundmusik in<br />

Zahnarztpraxen. Schon das Thema allein sorgt <strong>für</strong> Stirnrunzeln<br />

beim Laien, aber die verquaste Sprache macht alles<br />

richtig kompliziert:<br />

„Dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom<br />

15.3.2012 ist zu entnehmen, dass eine öffentliche Wiedergabe im<br />

Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung<br />

bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten<br />

Schutzrechte in der Informationsgesellschaft und Art. 8 Abs. 2<br />

Satz 1 der Richtlinie 2006/115/EG zum Vermietrecht und Verleihrecht<br />

sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten<br />

Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums jedenfalls voraussetzt,<br />

dass die Wiedergabe gegenüber einer unbestimmten Zahl<br />

potentieller Adressaten und recht vielen Personen erfolgt.“<br />

Lange, unübersichtliche Nebensatzkonstruktionen, Nominalstil<br />

und Abstraktes – das ist schwer zu lesen. Nun ist<br />

das sogar eine Pressemitteilung, also <strong>für</strong> die Öffentlichkeit<br />

gedacht und müsste verständlich sein. Wie schrecklich ist<br />

das, wenn es Urteile oder Gesetze sind? Etwa § 756 Abs. 1<br />

ZPO:<br />

„Hängt die Vollstreckung von einer Zug um Zug zu bewirkenden<br />

Leistung des Gläubigers an den Schuldner ab, so darf der<br />

Gerichtsvollzieher die Zwangsvollstreckung nicht beginnen, bevor<br />

er dem Schuldner die diesem gebührende Leistung in einer den<br />

Verzug der Annahme begründenden Weise angeboten hat, sofern<br />

nicht der Beweis, dass der Schuldner befriedigt oder im Verzug<br />

der Annahme ist, durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte<br />

Urkunden geführt wird und eine Abschrift dieser Urkunden<br />

bereits zugestellt ist oder gleichzeitig zugestellt wird.“<br />

Ja, schwer zu konsumieren. Viele Rechtsprobleme beruhen<br />

nur auf Missverständnissen, weil Gesetze und Urteile<br />

verworren formuliert sind. Gesetze folgen oft schon dem<br />

Grunde nach einer anderen Logik, als sie im Alltag oder in<br />

anderen Fachbereichen üblich ist. Oft gibt es verschlungene<br />

Verweise auf andere Vorschriften – geheime Botschaften,<br />

die der Normalleser nicht einmal erahnen kann.<br />

Dabei soll das Recht <strong>für</strong> den Menschen gemacht sein.<br />

Wenn er es befolgen soll, muss er es verstehen können.<br />

II. Der Nominalstil als Hürde<br />

Doch bei dem mutigen Versuch scheitert er an vielen<br />

Hürden: Da ist vor allem der verflixte Nominalstil, der allen<br />

Gesetzen, Urteilen und Formularen eigen ist, also substantivierte<br />

Verben wie Klageerhebung, Vollstreckung und<br />

Pfändung. Solche Konstruktionen sind normalen Menschen<br />

fremd, sie gehören nicht zu ihrer alltäglichen Sprache. Auch<br />

Nr. 5/<strong>2015</strong> 191


Aufsätze<br />

<strong>zfm</strong><br />

in bestem Deutsch „führt“ man nicht „eine Vollstreckung<br />

durch“, sondern „vollstreckt“ vielleicht nur. „Im Falle der<br />

Einlegung eine Beschwerde durch den Kläger“ heißt<br />

schlicht: „Wenn der Kläger Beschwerde einlegt“. Nominalstil<br />

empfinden Menschen als distanziert, kompliziert und<br />

hochnäsig. Doch die hohen Gerichte geben die Hochnäsigkeit<br />

vor:<br />

„Die Verpfändung des Anspruchs auf Auflassung eines Grundstücks,<br />

das in einem förmlich festgelegten Sanierungsgebiet liegt,<br />

bedarf … der Genehmigung der Sanierungsbehörde.“ (BGH) Auf<br />

Deutsch: „Der Anspruch auf Auflassung eines Grundstücks, das in<br />

einem förmlich festgelegten Sanierungsgebiet liegt, darf nur verpfändet<br />

werden, wenn die Sanierungsbehörde dies genehmigt.“<br />

Hat Ihnen schon mal jemand erzählt, dass eine Eheschließung<br />

durchgeführt wurde? Ich denke, nicht. Es gab eine<br />

Hochzeit, oder zwei haben geheiratet.<br />

III. „Nein“ zu doppelten Verneinungen<br />

und Schachtelsätzen<br />

Weitere große Hürden auf dem Parcours des Rechts sind<br />

doppelte Verneinungen und Schachtelsätze. Kein normaler<br />

Mensch sagt „nicht unzulässig“, wenn er „zulässig“ oder<br />

„erlaubt“ meint, keiner „darf nicht ohne Zustimmung“,<br />

sondern „nur mit Zustimmung“. Wenn es bei einzelnen<br />

Hürden bliebe, wäre das noch verzeihbar, aber eine<br />

Parade von Verneinungen ist zu viel, wie sie zum Beispiel<br />

der BGH präsentiert:<br />

„Ein grob undankbares Verhalten kann sowohl mangels Umständen,<br />

die objektiv die gebotene Rücksichtnahme auf die<br />

Belange des Schenkers vermissen lassen, als auch deshalb zu<br />

verneinen sein, weil sich das Verhalten des Beschenkten jedenfalls<br />

subjektiv nicht als Ausdruck einer undankbaren Einstellung<br />

gegenüber dem Schenker darstellt.“<br />

Und dann die Schachtelsätze. Sie zertrümmern jegliches<br />

Verständnis, indem sie auf vielen Zeilen mit vielen Kommata<br />

eine Aussage schnetzeln und aus den Einzelteilen ein<br />

Wort-Labyrinth basteln: noch eine Ausnahme, eine Variante,<br />

eine Bedingung. Der Hang, alles im Detail zu regeln,<br />

führt zu nebulösen Sätzen. Dann finden die Verfasser<br />

selbst nicht mehr aus Nebel und sagen zur Verteidigung, es<br />

müsse so sein.<br />

Wie wäre es mit einer weiteren Kostprobe aus einem<br />

BGH-Urteil:<br />

„Bei der objektiven Gesamtwürdigung der Umstände kann<br />

insbesondere zu berücksichtigen sein, dass ein Schenker, der<br />

dem Beschenkten durch eine umfassende Vollmacht die Möglichkeit<br />

gegeben hat, in seinem Namen in allen ihn betreffenden<br />

Angelegenheiten tätig zu werden und erforderlichenfalls auch tief<br />

in seine Lebensführung eingreifende Entscheidungen zu treffen,<br />

zu denen er selbst nicht mehr in der Lage sein sollte, einen<br />

schonenden Gebrauch von den sich hieraus ergebenden rechtlichen<br />

Befugnissen unter bestmöglicher Wahrung seiner personellen<br />

Autonomie erwarten darf.“<br />

Sechzig Wörter zwischen Subjekt und Prädikat. Eine stolze,<br />

aber abstoßende Leistung.<br />

Noch ein Leckerbissen vom BGH?<br />

„Anteiliges Lotsgeld, das ein Hafenlotse in Bremen aufgrund der<br />

jeweils geschlossenen Verträge zwischen ihm und den Reedern<br />

der zu lotsenden Schiffe beanspruchen kann und das von dem<br />

zuständigen Hafenamt oder einem beauftragten Dritten eingezogen<br />

und das auf einem Lotsgeldverteilungskonto einer als<br />

Körperschaft des öffentlichen Rechts organisierten Selbstverwaltungseinrichtung<br />

(Hafenlotsengesellschaft) verwahrt und<br />

nach Abzug bestimmter Kosten regelmäßig zu gleichen Teilen<br />

monatlich sowie ein etwaiger Überschuss zum Ablauf des<br />

Kalenderjahres an die Hafenlotsen ausgezahlt wird, kann<br />

Gegenstand eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses<br />

gemäß §§ 829, 835 ZPO sein.“<br />

IV. Faustregel: Bei komplizierter<br />

Botschaft transparente Formulierung<br />

Juristen glauben sogar, dass sie ganz besonders gut<br />

Deutsch können, weil sie differenziert und mikroskopisch<br />

genau formulieren. Das mag vielleicht sein. Doch dabei<br />

verlieren sie den Überblick, das Sprachgefühl und ein<br />

weiteres wichtiges Element: das Einfühlungsvermögen in<br />

den Leser. Sie sehen alles nur aus ihrer Perspektive und<br />

werden zu Kommunikations-Egozentrikern.<br />

Sie können nicht unterscheiden zwischen dem komplizierten<br />

Inhalt, den sie regeln, und der Formulierung, mit<br />

dem sie das Komplexe in Worte fassen. Die meisten sind<br />

überzeugt, dass ein komplizierter Inhalt eine komplizierte<br />

Sprache erfordere. Das Gegenteil ist richtig: Je komplizierter<br />

die Botschaft, umso transparenter sollte die<br />

Sprache sein.<br />

Da Paragrafen und Urteile eben oft missverständlich<br />

formuliert sind, grübeln natürlich auch Juristen darüber.<br />

Sie nennen es aber nicht Grübeln, sondern Auslegung –<br />

und legen das nach wissenschaftlichen Kriterien aus, was<br />

wir oft schlicht gequirlten Quark nennen: teleologische,<br />

historische, grammatische oder systematische Auslegung.<br />

Um fair zu bleiben: Selbstverständlich haben diese Methoden<br />

ihre Berechtigung und werden auch in vielen<br />

192 Nr. 5/<strong>2015</strong>


<strong>zfm</strong><br />

Kurz bemerkt<br />

Fällen sinnvoll angewendet, aber in Fällen von sprachlichen<br />

Fehlern ist das beinah ungewollte Satire.<br />

Da vier Juristen bekanntermaßen acht Meinungen haben<br />

und sich mit Vorliebe darüber auseinandersetzen, nutzen<br />

sie sprachliche Missverständnisse liebend gern <strong>für</strong> einen<br />

akademischen Disput – statt das Missverständnis aus<br />

dem Text zu entfernen und durch eine eindeutige<br />

Aussage zu ersetzen. Kommen die Disputanten einmal<br />

zum einstimmigen Ergebnis, dass eine Aussage zwar<br />

eindeutig mehrdeutig ist, sie aber nur in einer einzigen<br />

Weise richtig zu verstehen ist, so sind sie zufrieden. Dass<br />

Laien, dass Gesetzesanwender, dass Bürgerinnen und<br />

Bürger die Aussage aber immer noch so oder so oder so<br />

verstehen können, ist ihnen egal. Die Juristen wissen, was<br />

es heißt, und das genügt.<br />

„Mobile Geschäftsstelle mit regelmäßig angefahrenen<br />

Einsatzorten“. Hä? – Klingt umständlich. Ist es auch. Das<br />

ist der Sparkassen-Bus, der Dörfer anfährt, in denen es<br />

keine Filiale gibt. So etwas kann nur ein Jurist erfinden –<br />

und glauben, dass das gut ist.<br />

Kurz bemerkt<br />

Europarecht<br />

Rechtsanwalt Dr. Oliver Fawzy<br />

Die Freizügigkeit von Urteilen<br />

Die Vollstreckung von Geldforderungen im Ausland ist seit jeher ein schwieriges Terrain. In der Europäischen Union können<br />

Gläubiger jedoch auf eine Reihe von Instrumenten zurückgreifen, welche die grenzüberschreitende Forderungsbeitreibung erleichtern<br />

und der professionellen Forderungswirtschaft neue Möglichkeiten bieten. 1 Der European Collection Congress 2 gab Gelegenheit,<br />

die wesentlichen Maßnahmen des europäischen Gesetzgebers in zwei gut besuchten Workshops mit Teilnehmern aus über<br />

15 Mitgliedstaaten zu diskutieren.<br />

I. Abschaffung des<br />

Exequaturverfahrens<br />

Im Zentrum stand die am 10.1.<strong>2015</strong> in Kraft getretene<br />

Neufassung der sog. Brüssel-I-Verordnung, 3 die <strong>für</strong> die<br />

Anerkennung und Vollstreckbarkeit ausländischer Urteile<br />

eine wesentliche Neuerung mit sich brachte: Künftig sind<br />

Entscheidungen, die von Gerichten eines Mitgliedstaats in<br />

Zivil- und Handelssachen ergehen, automatisch in allen<br />

Mitgliedstaaten vollstreckbar. Das sog. Exequaturverfahren,<br />

wonach ein nationaler Titel zunächst von einem<br />

Gericht des Zielstaats <strong>für</strong> vollstreckbar erklärt werden<br />

musste, entfällt.<br />

Anlass <strong>für</strong> diese gläubigerfreundliche Zäsur gibt der<br />

Europäische Binnenmarkt, das wichtigste und wohl<br />

auch erfolgreichste Politikfeld der EU. Mithilfe der vier<br />

Grundfreiheiten – dem freien Waren-, Dienstleistungs-,<br />

Kapital- und Personenverkehr – hat sich der europäische<br />

Binnenmarkt zu dem bedeutendsten Absatzmarkt der<br />

Mitgliedstaaten entwickelt. Im Jahr 2014 belief sich allein<br />

der Warenhandel innerhalb der EU auf knapp 3 Billionen<br />

EUR. Demgegenüber betrugen die gesamten Exporte<br />

in die USA, dem nach wie vor wichtigsten Handelspartner,<br />

mit rund 310 Mrd. nur etwas mehr als ein Zehntel. Ziel ist<br />

es daher, die Funktionsfähigkeit des Binnenmarkts zu<br />

sichern und Hürden bei der grenzüberschreitenden<br />

Rechtsdurchsetzung abzubauen. Hierzu sind die bisherigen<br />

Grundfreiheiten um eine fünfte ergänzt worden: Die<br />

Freizügigkeit von Urteilen.<br />

1<br />

Vgl. hierzu ausführlich Fawzy, Forderungsdurchsetzung in der EU – Das<br />

Ende der Exequatur, in: DGVZ 01/15, S. 1 ff.<br />

2<br />

Jahrestagung des Europäischen Inkassoverbands (Fenca) vom 15.–<br />

17.10.<strong>2015</strong> in Stockholm.<br />

3<br />

Verordnung (EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und<br />

Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen.<br />

Der europäische Gesetzgeber beruft sich dabei auf das<br />

gegenseitige Vertrauen in die Justiz der Mitgliedstaaten,<br />

das eine automatische gegenseitige Anerkennung von<br />

Entscheidungen rechtfertige. Das Konzept ist nicht neu. In<br />

den vergangenen Jahren sind bereits verschiedene EU-<br />

Nr. 5/<strong>2015</strong> 193


Kurz bemerkt<br />

<strong>zfm</strong><br />

Instrumente eingeführt worden, die ein Exequaturverfahren<br />

im Vollstreckungsstaat in bestimmten Bereichen<br />

entbehrlich machen.<br />

II. Vorstellung der EU-Instrumente<br />

1. Europäischer Vollstreckungstitel<br />

In Konstellationen, in denen sich der Schuldner nicht<br />

gegen die Forderung verteidigt, steht Gläubigern seit<br />

20<strong>05</strong> der Europäische Vollstreckungstitel zur Verfügung. 4<br />

Ergeht eine nationale Entscheidung ohne Widerspruch<br />

des Schuldners, kann diese auf Antrag des Gläubigers und<br />

mittels eines Formblatts als Europäischer Vollstreckungstitel<br />

ausgestellt werden, der in den Mitgliedstaaten ohne<br />

Weiteres vollstreckbar ist. Um zu gewährleisten, dass der<br />

Schuldner ausreichend Gelegenheit zur Verteidigung<br />

hatte, werden dem Verzicht auf die Exequatur prozessuale<br />

Mindeststandards gegenübergestellt, die das Ausgangsgericht<br />

einzuhalten hat. Da auch öffentliche Urkunden<br />

als Europäischer Vollstreckungstitel ausgestellt<br />

werden können, findet das Instrument etwa bei gekündigten<br />

Kreditforderungen, bei denen sich der Schuldner<br />

mittels notarieller Urkunde der sofortigen Zwangsvollstreckung<br />

unterworfen hat, einen nützlichen Anwendungsbereich.<br />

2. Europäischer Zahlungsbefehl<br />

Für die massenhafte Forderungsbearbeitung bietet der<br />

Europäische Zahlungsbefehl das größte Potenzial. 5 Das<br />

Instrument zielt auf zahlungsunwillige Schuldner, die<br />

darauf hoffen, dass die Gläubiger von einer Beitreibung<br />

der Forderung im Ausland absehen. Um Gläubigern eine<br />

in allen Mitgliedstaaten einheitliche Handhabe zu ermöglichen,<br />

greift der Europäische Zahlungsbefehl auf Formblätter<br />

zurück, die bei der Einleitung, der Durchführung<br />

und bei Abschluss des Verfahrens zu verwenden sind.<br />

Die in Deutschland beim Amtsgericht Wedding gemachten<br />

Erfahrungen sind durchaus positiv. Anders fällt der<br />

Befund bislang noch in anderen Mitgliedstaaten aus, die<br />

keine zentrale Zuständigkeit geschaffen haben. Zahlreiche<br />

Sensibilisierungsmaßnahmen der Europäischen Kommission<br />

tragen jedoch bereits Früchte, so dass zumindest<br />

größere Forderungsbearbeiter und deren Cross-Border-<br />

Abteilungen zunehmend auf das Instrument aufmerksam<br />

werden.<br />

4<br />

Verordnung zur Einführung eines Europäischen Vollstreckungstitels <strong>für</strong><br />

unbestrittene Forderungen vom 21.4.2004 (EG) Nr. 8<strong>05</strong>/2004.<br />

5<br />

Verordnung zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens vom<br />

12.12.2006 (EG) Nr. 1896/2006.<br />

3. Small-Claims-Verfahren<br />

Das sog. Small-Claims-Verfahren, dessen Ziel es ist, den<br />

Zugang zur Justiz bei Forderungen bis zu einem Betrag von<br />

2.000 EUR zu erleichtern, ist dagegen weitgehend nutzlos.<br />

Zwar sind bestimmte Erleichterungen vorgesehen, die von<br />

den Gerichten aller Mitgliedstaaten zu beachten sind, etwa<br />

Formulare <strong>für</strong> die Einleitung des Verfahrens und Fristen<br />

<strong>für</strong> dessen Durchführung. Gleichwohl handelt es sich um<br />

ein streitiges Klageverfahren, das sich subsidiär nach den<br />

Vorschriften des jeweiligen Mitgliedstaats richtet und daher<br />

mit Unsicherheiten über Zeitaufwand, Kosten und Erfolgsaussichten<br />

verbunden ist – Hürden, die gerade bei Bagatellforderungen<br />

gemieden werden. Dementsprechend werden<br />

pro Mitgliedstaat im Jahresdurchschnitt nur etwa 100<br />

Anträge nach dem Small-Claims-Verfahren gestellt. Eine<br />

Anhebung der zulässigen Streitwertgrenze auf 5.000 EUR,<br />

die das EU-Parlament jüngst verabschiedet hat, dürfte<br />

hieran nicht viel ändern.<br />

4. Europäischer Arrestbeschluss<br />

Eine deutlich interessantere Maßnahme ist der europäische<br />

Arrestbeschluss, mit dem ein einheitliches Instrument<br />

zur vorläufigen Kontenpfändung im Ausland eingeführt<br />

wird. Zugleich sieht die Verordnung einen neuen<br />

Mechanismus zur Einholung von Kontoinformationen des<br />

Schuldners in anderen Mitgliedstaaten vor. 6 Damit ist ein<br />

Aspekt angesprochen, der bereits seit 1998 im Fokus der<br />

Europäischen Kommission steht: die Transparenz des<br />

Schuldnervermögens“. 7 Erste Projekte wie das vernetzte<br />

Insolvenzregister 8 oder das europäische Portal zur Grundbuchrecherche<br />

9 weisen in die richtige Richtung. Äußerst<br />

praxisrelevant sind schließlich auch weitere Erleichterungen<br />

bei grenzüberschreitenden Zustellungen. 10<br />

III. Fazit<br />

Insgesamt gilt, dass sich die professionelle Forderungswirtschaft<br />

mit den bestehenden EU-Instrumenten vertraut<br />

machen und die Scheu vor einer Auslandsvollstreckung<br />

ablegen sollte. Spätestens die mit der Neufassung<br />

der Brüssel-I-Verordnung verwirklichte Freizügigkeit von<br />

Urteilen in Zivil- und Handelssachen bietet hier<strong>für</strong> ausreichend<br />

Anlass.<br />

6<br />

Verordnung zur Einführung eines europäischen Beschlusses zur vorläufigen<br />

Kontenpfändung vom 15.5.2014 (EG) Nr. 655/2014; hierzu ausführlich<br />

Fawzy, DGVZ 07/15, S. 1 ff.<br />

7<br />

Grünbuch, „Effizientere Vollstreckung von Urteilen in der EU“, ABl C 33<br />

vom 31.1.1998.<br />

8<br />

Abrufbar unter www.e-justice.eu.<br />

9<br />

European Land Information System, www.service.eulis.eu.<br />

10<br />

Vgl. hierzu Bericht der Kommission vom 4.12.2013 über die Anwendung<br />

der Zustellungsverordnung (EG) Nr. 1393/2007, KOM (2013) 858.<br />

194 Nr. 5/<strong>2015</strong>


<strong>zfm</strong><br />

Kurz bemerkt<br />

Insolvenzrecht<br />

Rechtsanwältin Kirsten Pedd/Ass. jur. Ulrich Jäger<br />

Die Stephan-Kommission – ein Formular<br />

eröffnet Chancen<br />

Vor einigen Jahren nahmen Vertreter der so genannten<br />

Gläubigerseite und der so genannten Schuldner- oder<br />

Verbraucherseite eine Diskussion über eine Strukturierung<br />

des außergerichtlichen Einigungsversuchs im Rahmen der<br />

InsO auf.<br />

Das Sensationelle daran war, dass dieser Dialog aus freien<br />

Stücken, ohne gesetzlichen oder behördlichen Zwang,<br />

zustande kam und einzig eine Verbesserung der Bearbeitung<br />

vorgerichtlicher Verhandlungen in einem Privatinsolvenzverfahren<br />

1 zum Ziel hatte – als Win-win-win-<br />

Situation.<br />

Win-win-win? Ist da nicht ein Gewinner zu viel? Nein! Denn<br />

nicht nur die oben benannten Beteiligten eines Insolvenzverfahrens<br />

wollten partizipieren. Letztlich könnte derjenige,<br />

den das Insolvenzverfahren unmittelbar betrifft, ganz erhebliche<br />

Vorteile haben. Könnte …<br />

Doch zurück zum Anfang: Die sogenannte Stephan-Kommission<br />

2 wurde anlässlich des 8. Deutschen Insolvenzrechtstags<br />

im April 2011 in Berlin ins Leben gerufen, nachdem über<br />

mögliche Reformen der Insolvenzordnung (InsO) diskutiert<br />

worden war. Sie setzte sich unter anderem zum Ziel, den<br />

außergerichtlichen Einigungsversuch praktikabler zu gestalten,<br />

um so im Ergebnis die Anzahl der eröffneten und damit<br />

kostenträchtigen Verbraucherinsolvenzverfahren zu reduzieren,<br />

idealerweise also diverse Gerichtsverfahren zu vermeiden.<br />

Auch der Bundesverband Deutscher Inkasso-Unternehmen<br />

e.V. (BDIU) 3 hat sich intensiv in die Kommission<br />

1<br />

Wenn hier Insolvenzverfahren erwähnt werden, handelt es sich in diesem<br />

Artikel stets um Privatinsolvenzverfahren nach §§ 304 ff. InsO.<br />

2<br />

Aktuelle Mitglieder der Stephan-Kommission sind: RiAG a.D. Guido<br />

Stephan, Marianne von Weizsäcker Stiftung, Bundesarbeitsgemeinschaft<br />

Schuldnerberatung e.V., DILAB e.V., Arbeitskreis <strong>für</strong> Jugendhilfe e.V./<br />

Drogenhilfezentrum Hamm, Finanzamt Witten in Absprache mit dem<br />

Bundesministerium der Finanzen und der Oberfinanzdirektion NRW,<br />

Bundesagentur <strong>für</strong> Arbeit – Agentur <strong>für</strong> Arbeit Recklinghausen – Inkasso-<br />

Service, Bundesverband Deutscher Inkasso-Unternehmen e.V., EOS<br />

Holding GmbH, Seghorn Inkasso GmbH, Lindorff Deutschland GmbH,<br />

Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e.V.,<br />

Commerzbank AG.<br />

3<br />

www.inkasso.de.<br />

eingebracht, letztendlich, um auch die Interessen der<br />

Mandanten, die von seinen Mitgliedsunternehmen vertreten<br />

werden – neben den bereits in der Kommission<br />

befindlichen Gläubigervertretern – wahrzunehmen. Maßgeblich<br />

war somit stets auch der wirtschaftliche Gesichtspunkt,<br />

nämlich die Ausfälle durch Insolvenzverfahren<br />

bzw. den vorgeschalteten außergerichtlichen Einigungsversuch<br />

gering zu halten, sowie die Bearbeitung dieser sehr<br />

defizitären Fälle rationeller und damit kostensparender zu<br />

gestalten.<br />

Dazu sollte man die nicht unerhebliche wirtschaftliche<br />

Bedeutung des Themas beachten: Betreibt ein Schuldner<br />

aufgrund seiner Zahlungsunfähigkeit das Verbraucherinsolvenzverfahren,<br />

muss der Gläubiger stets die Entwicklung<br />

der Verfahrenskosten berücksichtigen, welche selbst<br />

bei masselosen Verfahren ohne Weiteres 2.000 EUR<br />

erreichen. Da zunächst stets die Verfahrenskosten bedient<br />

werden, wird ein Gläubiger erst mit Auszahlungen<br />

rechnen dürfen, wenn eine Summe, die deutlich über den<br />

Verfahrenskosten liegt, durch den Verwalter eingezogen<br />

werden kann. Dieses Geld kann folglich zur Befriedigung<br />

entstandener Verbindlichkeiten nicht mehr genutzt werden,<br />

es dient ausschließlich dazu, ein formales Verfahren<br />

zu betreiben, an dessen Ende häufig ohnehin wenig<br />

bis gar kein Geld den Gläubigern zurückgeführt werden<br />

kann.<br />

Im Rahmen einer außergerichtlichen Einigung fallen diese<br />

Verfahrenskosten nicht an. Es ist daher offensichtlich, dass<br />

das damit eigentlich frei werdende Kapital zur Tilgung der<br />

Forderungen zur Verfügung stehen kann. Schon unter<br />

diesem Aspekt scheint daher eine außergerichtliche Einigung<br />

wirtschaftlich sinnvoller zu sein als ein Verfahren mit<br />

anschließender mehrjähriger Wohlverhaltensperiode, das<br />

kein anderes Ergebnis bringt – jedenfalls nicht mehr zur<br />

Verteilung frei werdendes Kapital – und noch dazu<br />

erhebliche Kosten verursacht.<br />

Die Kostenersparnismodell der Stephan-Kommission fand<br />

ihre Basis in einem einfachen wie klugen Schritt, indem<br />

man sich einvernehmlich darüber verständigte, die Bearbeitung<br />

der vorgerichtlichen Einigung <strong>für</strong> beide Seiten –<br />

Gläubiger- als auch Schuldnervertreter – maximal zu<br />

Nr. 5/<strong>2015</strong> 195


Kurz bemerkt<br />

<strong>zfm</strong><br />

vereinfachen und einen Weg zu finden, der damit <strong>für</strong><br />

beide akzeptabel war. Man erarbeitete einen Formular-<br />

Satz, 4 der das vorgerichtliche Insolvenzverfahren <strong>für</strong> beide<br />

Seiten auf ein bürokratisches Minimum reduziert, so dass<br />

der betroffene Schuldner möglichst schnell und ohne<br />

weiteres kostenträchtiges Verfahren mit dem Gläubiger<br />

eine Einigung erreichen kann. Das Formular fragt ausschließlich<br />

die wesentlichen Fakten ab, die der Gläubiger<br />

bzw. der Gläubigervertreter benötigt, um seinerseits<br />

gegenüber dem durch ihn vertretenen Mandanten zu<br />

votieren und den Vorgang schnellstmöglich abzuschließen.<br />

Langwieriger Schriftwechsel soll möglichst vermieden<br />

werden. Die Schuldnerberaterseite, 5 die mittels<br />

Formular den Schuldner in diesem Verfahren begleitet,<br />

verpflichtet sich zu umfassenden und richtigen Angaben<br />

sowie maximaler Offenheit, der Gläubiger wiederum<br />

verpflichtet sich, den verabredeten Verhandlungsweg<br />

nicht zu verlassen – also beispielsweise keine vermeintlich<br />

einseitig <strong>für</strong> ihn günstigen Maßnahmen aus (freiwillig)<br />

offengelegten Tatsachen herzuleiten, z.B. Pfändungen<br />

auszubringen.<br />

Die Grundlage <strong>für</strong> das Gelingen dieser Zusammenarbeit<br />

ist gegenseitiges Vertrauen, in dem Wissen zwar, dass<br />

hier unterschiedliche Rollen eingenommen werden,<br />

die aber dennoch nicht zwangsläufig als Gegnerschaft<br />

empfunden werden, sondern das gemeinsame Ziel der<br />

Effektivität verfolgen: Der Gläubiger hat nicht nur den<br />

wirtschaftlichen Aspekt möglichen zur Verteilung anstehenden<br />

Kapitals zu berücksichtigen, er kann auch frei<br />

werdende Ressourcen in der Bearbeitung der meist<br />

aussichtslosen Insolvenzverfahren effektiver einsetzen.<br />

Die Schuldnerberater schaffen sich durch das Minimieren<br />

bürokratischer Hürden den Freiraum, der gesellschaftlich<br />

als „Beratung“ den Niederschlag findet, der<br />

langfristig gesehen mehr Erfolg verspricht als mit viel<br />

Aufwand und Mühe „durchgedrückte“ Insolvenzverfahren,<br />

die weder ökonomisch noch gesellschaftlich einen<br />

Mehrwert bieten.<br />

Schon dieser Aspekt könnte <strong>für</strong> Gläubiger das Schlüsselargument<br />

sein, sich mittels des Formulars und eines sehr<br />

verschlankten Verfahrens daran interessiert zu zeigen,<br />

eine wirtschaftlich sinnvolle Einigung anzustreben. Der<br />

Rolle der Inkassounternehmen – Mittler zwischen Gläubiger<br />

und Schuldner zu sein – entspricht diese Vorgehensweise<br />

allemal. 6<br />

Überdies sollte die außergerichtliche Einigung auch im<br />

Zusammenhang mit dem Risiko einer Insolvenzanfechtung<br />

betrachtet werden. Insolvenzanfechtungen sind nur möglich<br />

innerhalb eines eröffneten Insolvenzverfahrens. Einigt<br />

man sich außergerichtlich, wird die Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />

gar nicht erst beantragt.<br />

Die ersten Einigungen auf der Basis dieses Formulars<br />

liefen – vielleicht zum Erstaunen der Kritiker –, ohne dass<br />

sich gegenseitige Vorurteile verwirklichten. „Es gibt bisher<br />

nicht einen einzigen Fall, in dem das Vertrauen missbraucht<br />

wurde“, sagen diejenigen, die es wissen müssen,<br />

nämlich Rita Hornung – Geschäftsführerin der Marianne<br />

von Weizsäcker Stiftung – und Alexandra Jaenecke –<br />

Geschäftsführerin Dilab e.V. 7 –, die beide sehr engagiert<br />

da<strong>für</strong> warben und werben, den Nutzen des Formulars<br />

deutlich zu machen. Da<strong>für</strong> werben auch alle Mitglieder<br />

der Kommission, die Gläubiger- und Schuldnervertreter<br />

umfasst. Es ist eine freiwillige Allianz derer, die erkannt<br />

haben, dass ideologisch getragenes Misstrauen der<br />

falsche Weg ist. Weder die eine noch die andere Seite<br />

will dabei als weltfremder Idealist verstanden werden.<br />

Gläubiger wollen immer noch das Geld, das ihnen zusteht,<br />

Schuldnerberater noch immer den Schuldner bestmöglich<br />

betreuen. Das eine schließt das andere nicht aus. Doch es<br />

gibt viele Zweifler – auf beiden Seiten. Schuldnerberater<br />

misstrauen Gläubigern und be<strong>für</strong>chten abredewidrige<br />

Zwangsvollstreckungen, sobald ihnen Kenntnisse vom<br />

Bankkonten oder Arbeitgebern der Schuldner vorliegen,<br />

Gläubiger vermuten, dass Schuldnerberater bestimmt<br />

werthaltiges Vermögen der Schuldner nicht angeben<br />

werden, um ihnen bestmöglich dabei zu helfen, ihre<br />

Verpflichtungen nicht zu erfüllen.<br />

Die Verfasser teilen die Meinung der Zweifler nicht.<br />

Sicherlich wird es Einzelfälle geben, in denen das gegenseitige<br />

Vertrauen erschüttert wird. Dies sollte aber nicht<br />

zum Anlass genommen werden, ein gutes Konzept als<br />

Ganzes in Frage zu stellen. Die Inkassounternehmen<br />

sollten, im eigenen Interesse, den verwandten Formularen<br />

äußerst offen gegenüberstehen und deren Verwendung<br />

fördern.<br />

6<br />

So das Commitment des BDIU auf seiner Homepage (www.inkasso.de/<br />

4<br />

Abzurufen unter: www.dilab.de/SiteAssets/fachthemen/stephan/<br />

Stephan_Vorlagen%20Fassung%2017.06.15.pdf.<br />

5<br />

Gesetzlich anerkannte Stellen.<br />

verband/haltung).<br />

7<br />

Marianne von Weizsäcker Stiftung, Grünstraße 99, 59063 Hamm (www.<br />

weizsaecker-stiftung.de); DILAB e.V., Rigaer Straße 103, 10247 Berlin (www.<br />

dilab.de).<br />

196 Nr. 5/<strong>2015</strong>


<strong>zfm</strong><br />

Interview<br />

Interview<br />

Dreimal nachgefragt …<br />

… bei Dr. Stephan Harbarth, MdB<br />

<strong>zfm</strong>: Welche Rolle spielt der Verbraucherschutz, d.h. einerseits<br />

der Schutz des Schuldners, andererseits aber auch aller<br />

treu ihre Forderungen ausgleichenden Verbraucher, bei dem<br />

Verlangen des Gläubigers auf Ausgleich seiner berechtigten<br />

Forderung?<br />

Dr. Stephan Harbarth: Wir vertreten ein differenziertes<br />

Verbraucherbild. Nach unserer Auffassung ist das immer<br />

mehr vertretene Leitbild des überforderten Verbrauchers ein<br />

falsches. Denn eine Verbraucherpolitik, die den stets überforderten<br />

Verbraucher zum Leitbild hat, lässt die vorhandenen<br />

Fähigkeiten des Einzelnen zur selbstbestimmten Konsumentscheidung<br />

weiter verkümmern und nähme jeden<br />

Grund und Anreiz zu reflektiertem, selbstverantwortlichem<br />

Entscheidungsverhalten. Der Bürger muss als Verbraucher<br />

in seiner Fähigkeit zur selbstbestimmten und mündigen<br />

Entscheidung unterstützt werden. Dies rührt im Übrigen<br />

aus dem Menschenbild des Grundgesetzes, das die Würde<br />

der freien menschlichen Persönlichkeit schützt. Der Verbraucher<br />

ist nicht grundsätzlich und überall überfordert.<br />

Wer Verbindlichkeiten aufnimmt, muss diese auch bedienen.<br />

<strong>zfm</strong>: Mit der Beitreibung von weitgehend unstreitigen<br />

Forderungen dürfen Rechtsanwälte ebenso wie Inkassounternehmen<br />

beauftragt werden. Sehen Sie die Rechtsdienstleister<br />

im Bereich der Forderungsbeitreibung als gleichwertig<br />

an oder beobachten Sie strukturelle Unterschiede?<br />

Dr. Stephan Harbarth: Tatsache ist, dass die Einschaltung<br />

von Inkassounternehmen heute gängige Praxis ist. Hier<br />

kann nur die Frage sein, <strong>für</strong> welchen Auftraggeber das<br />

Inkassounternehmen oder der Rechtsanwalt die richtige<br />

Wahl ist. Soweit es um tatsächlich unstreitige Forderungen<br />

geht, die in einem Unternehmen von einer gewissen Größe<br />

immer wieder aufkommen, arbeiten spezialisierte Inkassounternehmen<br />

auf Augenhöhe mit Rechtsanwälten. In<br />

Fällen, in denen die Forderungen nicht unstreitig oder mit<br />

rechtlichen Problemstellungen behaftet sind, dürfte eine<br />

kompetente anwaltliche Beratung und Betreuung zu<br />

bevorzugen sein.<br />

Inkassobüros befassen sich<br />

zumeist ausschließlich mit<br />

der Verwaltung von Forderungen<br />

– eine umfassende<br />

rechtliche Beratung und<br />

Vertretung können sie im<br />

Gegensatz zu professionellen<br />

Kanzleien und Rechtsanwälten<br />

in den meisten<br />

Dr. Stephan Harbarth, MdB<br />

Fällen wohl nicht erbringen.<br />

Es kann, wenn das Unternehmen<br />

das <strong>Forderungsmanagement</strong> von Kanzleien durchführen<br />

lässt, ein entscheidender Vorteil sein, dass diese<br />

befugt sind, das Verfahren sowohl außergerichtlich als auch<br />

gerichtlich zu betreiben.<br />

<strong>zfm</strong>: Mit dem Ansatz, über eine Kostenregulierung und<br />

Informationspflichten Forderungsbeitreibungsmethoden im<br />

Rahmen des Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken<br />

beizukommen, ist der Gesetzgeber wohl gescheitert. Andere<br />

schlagen schon länger eine tatsächlich existente Berufsaufsicht<br />

durch handlungsfähige Behörden, etwa die Datenschutzbeauftragten<br />

der Länder, vor. Wo sehen Sie den<br />

richtigen Ansatz, um gegen unseriöses Inkasso vorzugehen?<br />

Dr. Stephan Harbarth: Zunächst sollte eine effektive<br />

Selbstkontrolle eingreifen, bevor man über eine staatliche<br />

Berufsaufsicht spricht. Im Falle der Inkassounternehmen<br />

bin ich da<strong>für</strong>, dass zunächst einmal die bestehenden<br />

Mechanismen, die vom Bundesverband Deutscher Inkasso-Unternehmen<br />

e.V. (BDIU) etabliert wurden, ausgebaut<br />

werden. Eine freiwillige Selbstkontrolle ist bereits <strong>für</strong> viele<br />

Inkasso-Unternehmen mit der freiwilligen beruflichen<br />

Aufsicht durch den Bundesverband Deutscher Inkasso-<br />

Unternehmen e.V. (BDIU) Realität. Derzeit kann auch eine<br />

gültige Inkassoregistrierung nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz<br />

entzogen werden, wenn ein Inkassounternehmen<br />

„dauerhaft unqualifizierte Rechtsdienstleistungen<br />

zum Nachteil des Rechtsuchenden oder des Rechtsverkehrs“<br />

erbringt. Sollte sich jedoch zeigen, dass dieser<br />

Nr. 5/<strong>2015</strong> 197


Entscheidungen<br />

<strong>zfm</strong><br />

Ansatz der Selbstkontrolle nicht funktioniert, würde ich<br />

eine staatliche Berufsaufsicht be<strong>für</strong>worten, welche es auch<br />

bei anderen beratenden Berufen gibt.<br />

Im Interview: Dr. Stephan Harbarth, MdB<br />

Dr. Stephan Harbarth ist seit 2000 Partner der<br />

Rechtsanwaltssozietät Schilling, Zutt & Anschütz in<br />

Mannheim. Neben seiner Anwaltstätigkeit ist er seit<br />

2004 ehrenamtlicher Lehrbeauftragter an der Ruprecht-Karls-Universität<br />

Heidelberg. Als Abgeordneter<br />

<strong>für</strong> den Wahlkreis Rhein-Neckar ist er seit 2009 im<br />

Bundestag und seit 2014 als Obmann der CDU/CSU-<br />

Bundestagsfraktion im Ausschuss <strong>für</strong> Recht und Verbraucherschutz<br />

tätig.<br />

Entscheidungen<br />

Vollstreckungsrecht<br />

Sonderaufwendungen erhöhen<br />

Freibetrag auf dem P-Konto<br />

ZPO §§ 850k, 850a<br />

Auf dem Konto eingehende Verpflegungskostenzuschüsse<br />

können den Pfändungsfreibetrag erhöhen, soweit sie den<br />

Rahmen des Üblichen nicht übersteigen.<br />

AG Daun, Beschl. v. 6.11.<strong>2015</strong> – 7 M 506/13<br />

Sachverhalt<br />

Durch Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des AG<br />

vom 10.6.2013 wurde der Anspruch des Schuldners gegen<br />

den Drittschuldner, ein Kreditinstitut, auf Zahlung und<br />

Leistungen jeglicher Art aus der gesamten Geschäftsverbindung,<br />

insbesondere der Anspruch auf Auszahlung<br />

gegenwärtiger und zukünftiger Guthaben aus dem<br />

zugunsten des Schuldners bestehenden P-Kontos, gepfändet<br />

und dem Gläubiger zur Einsetzung überwiesen.<br />

Der Schuldner beantragt, zusätzlich zu dem Grundfreibetrag<br />

des § 850k Abs. 1 ZPO weitere Beträge pfandfrei zu<br />

stellen. Unter Berücksichtigung unterhaltsberechtigter<br />

Personen beträgt der Grundfreibetrag des Schuldners<br />

1.876,58 EUR.<br />

Im Oktober <strong>2015</strong> hat er ein Nettoeinkommen von<br />

2.354,50 EUR erzielt. In der Lohnabrechnung ist ein<br />

Verpflegungskostenzuschuss in Höhe von 668 EUR ausgewiesen.<br />

Der Schuldner möchte sein gesamtes Nettoeinkommen<br />

<strong>für</strong> Oktober <strong>2015</strong> pfändungsfrei gestellt<br />

sehen.<br />

Entscheidungsgründe<br />

Gemäß § 850a ZPO sind Aufwandsentschädigungen<br />

unpfändbar. Bei dem Verpflegungskostenzuschuss handelt<br />

es sich um eine unpfändbare Aufwandsentschädigung.<br />

Es ist nicht erkennbar, dass die Zahlungen den<br />

Rahmen des Üblichen übersteigen. Nach Abzug dieser<br />

Aufwandsentschädigung vom ausgezahlten Arbeitseinkommen<br />

verbleibt ein pfändungsrelevanter Betrag von<br />

1.686,50 EUR.<br />

Nach der Tabelle zu § 850 C ZPO verbleibt bei drei<br />

Unterhaltspflichten des Schuldners kein pfändbarer Betrag<br />

seines Einkommens, so dass als zusätzlicher pfandfreier<br />

Betrag der Differenzbetrag zwischen dem Grundfreibetrag<br />

und dem Gutschriftsbetrag festzusetzen war.<br />

Die Kosten des Verfahrens waren gemäß §§ 788, 91 ZPO<br />

dem Schuldner aufzuerlegen.<br />

Anmerkung<br />

Das Vollstreckungsgericht kann auf Antrag des Gläubigers<br />

oder des Schuldners beim P-Konto einen abweichenden<br />

pfändungsfreien Betrag festsetzen, wobei die §§ 850a,<br />

850b, 850c, 850d Abs. 1 und 2, die §§ 850e, 850f, 850g<br />

und 850i sowie die §§ 851c und 851d ZPO sowie § 54<br />

Abs. 2, Abs. 3 Nr. 1, 2 und 3, Abs. 4 und 5 SGB I, § 17 Abs. 1<br />

Satz 2 SGB XII und § 76 EStG entsprechend anzuwenden<br />

sind.<br />

Insoweit ist nicht infrage zu stellen, dass der Schuldner eine<br />

Erhöhung seines pfändungsfreien Betrages auf dem<br />

P Konto erreichen konnte und in diesem Zusammenhang<br />

§ 850a ZPO zur Anwendung zu bringen war. Nach dessen<br />

Nr. 3 sind Aufwandsentschädigungen, soweit diese Bezüge<br />

den Rahmen des Üblichen nicht übersteigen, unpfändbar.<br />

198 Nr. 5/<strong>2015</strong>


<strong>zfm</strong><br />

Entscheidungen<br />

Die tatsächliche Berechnung und die Annahme, dass ein<br />

Verpflegungskostenzuschuss in Höhe von 668 EUR den<br />

Rahmen des Üblichen nicht übersteigt, überzeugen jedoch<br />

nicht.<br />

Was üblich ist, wird auch durch die steuerliche Anerkennung<br />

bestimmt. §§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5, 9 Abs. 5 EStG setzt<br />

insoweit Pauschalbeträge fest, und zwar bei einer<br />

Abwesenheit von mindestens 8 Stunden 6 EUR, von<br />

mindestens 14 Stunden 12 EUR und bei mindestens<br />

24 Stunden 24 EUR. Höhere Pauschalbeträge kommen<br />

nur bei Auslandsaufenthalten in Betracht. Die konkreten<br />

Verpflegungsaufwendungen können nur dann abgesetzt<br />

werden, wenn keine feste Arbeitsstätte besteht, etwa bei<br />

Leiharbeitern (BFH v. 17.6.2010 – VI ZR 35/08). In diesen<br />

Fällen können die Verpflegungskosten als Werbungskosten<br />

berücksichtigt werden.<br />

Angesichts des Umstandes, dass sich bei durchschnittlich 20<br />

Arbeitstagen und der maximalen Abwesenheit ein Verpflegungskostenzuschuss<br />

von nur 480 EUR rechtfertigen lässt,<br />

hätte es weitergehender Darlegungen bedurft, wie sich der<br />

Betrag von 668 EUR errechnet. Hierzu fehlt es an Angaben<br />

im Sachverhalt wie in den Entscheidungsgründen. Darlegungs-<br />

und nachweispflichtig ist insoweit jedoch der<br />

Schuldner. Allerdings lag im konkreten Fall der Fehler des<br />

Gläubigers darin, dass er trotz der Anhörungspflicht hierauf<br />

nicht hingewiesen hatte.<br />

VRiOLG Frank-Michael Goebel<br />

Arbeitseinkommen auf dem<br />

Konto eines Dritten<br />

BGB §§ 667, 826; ZPO §§ 765a, 850k<br />

1. Lässt ein Schuldner sein Arbeitseinkommen auf das<br />

Konto eines Dritten überweisen und unterlässt er es, ein<br />

(eigenes) Pfändungsschutzkonto (P-Konto – § 850k Abs. 1<br />

ZPO) zu unterhalten, so greifen die Schuldnerschutzvorschriften<br />

der §§ 850 ff. ZPO nicht ein, wenn ein<br />

Gläubiger Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen den<br />

Dritten ergreift. Insbesondere ist § 850k ZPO weder<br />

direkt noch entsprechend anwendbar.<br />

2. In einem solchen Fall kann die Pfändung des Gläubigers<br />

beim Drittschuldner nicht als vorsätzliche sittenwidrige<br />

Schädigung i.S.d. § 826 BGB angesehen werden.<br />

3. § 765a ZPO ist im Erkenntnisverfahren im Verhältnis<br />

zwischen Gläubiger und Drittschuldner nicht anwendbar;<br />

Dritte können sich nicht auf § 765a ZPO berufen. Über<br />

einen Antrag nach § 765a ZPO hat allein das Vollstreckungsgericht<br />

zu befinden.<br />

4. Eine Zwangsvollstreckungsmaßnahme gegen einen<br />

Drittschuldner kann jedenfalls dann nicht unter Rückgriff<br />

auf die Wertung des § 765a ZPO als vorsätzliche<br />

sittenwidrige Schädigung i.S.d. § 826 BGB angesehen<br />

werden, wenn die Voraussetzungen des § 765a ZPO<br />

tatsächlich nicht vorliegen. Hierbei ist zu berücksichtigen,<br />

dass § 765a ZPO eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift<br />

darstellt.<br />

BVerfG, Kammerbeschl. v. 29.5.<strong>2015</strong> – 1 BvR 163/15<br />

Sachverhalt<br />

Die Beschwerdeführerin, Klägerin des Ausgangsverfahrens,<br />

erwirkte im Jahr 1996 einen rechtskräftigen Vollstreckungsbescheid<br />

gegen den Ehemann der Beklagten, den<br />

Schuldner. Aus diesem Titel ist mittlerweile ein Betrag von<br />

17.500 EUR vollstreckbar. Der Schuldner verfügt über kein<br />

eigenes Girokonto. Er wickelt seinen gesamten Zahlungsverkehr<br />

über das Girokonto der Beklagten ab.<br />

PfÜB wegen Konto-Nutzung Dritter<br />

Die Beschwerdeführerin beantragte den Erlass eines<br />

Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses (PfÜB) gegen<br />

die Beklagte als Drittschuldnerin, mit dem Inhalt, dass die<br />

auf dem Konto der Drittschuldnerin eingehenden und <strong>für</strong><br />

den Schuldner bestimmten Geldbeträge solange gepfändet<br />

werden, bis der Anspruch der Beschwerdeführerin gedeckt<br />

ist. Der PfÜB wurde der Beklagten am 5.9.2012 zugestellt.<br />

§ 765a ZPO zurückgewiesen<br />

Zugleich pfändete die Beschwerdeführerin den Arbeitslohn<br />

des Schuldners bei dessen Arbeitgeber und ließ ihn<br />

sich überweisen, soweit dieser nach den gesetzlichen<br />

Vorgaben der Pfändung unterliegt. Den gegen diese<br />

Pfändungen gerichteten Pfändungsschutzantrag gemäß<br />

§ 765a ZPO des Schuldners wies das LG als Vollstreckungsgericht<br />

in zweiter Instanz rechtskräftig zurück.<br />

Über das Vermögen des Schuldners wurde auf dessen<br />

Antrag hin am 8.4.2013 das Insolvenzverfahren eröffnet<br />

und ein Insolvenzverwalter bestellt.<br />

Drittschuldnerklage<br />

Die Beschwerdeführerin begehrte mit ihrer Klage von der<br />

Beklagten als Drittschuldnerin einen Teilbetrag in Höhe<br />

von 2.000 EUR der auf ihrem Konto seit der Wirksamkeit<br />

des PfÜB eingegangenen pfändungsfreien Lohnzahlungen<br />

des Arbeitgebers des Schuldners <strong>für</strong> die Monate September<br />

und Oktober 2012, die sie mit monatlich 1.029,99 EUR<br />

bezifferte.<br />

Nr. 5/<strong>2015</strong> 199


Entscheidungen<br />

<strong>zfm</strong><br />

Kein Erfolg in den Instanzen<br />

Das AG wies die Klage ab. Der Einziehungsprozess<br />

verstoße gegen die guten Sitten und könne nach dem<br />

Rechtsgedanken des § 826 BGB nicht zum Erfolg führen.<br />

Der Beschwerdeführerin gehe es allein um die Abschöpfung<br />

von Beträgen, bei denen es sich um pfändungsfreies<br />

Einkommen des Schuldners nach den §§ 850 ff. ZPO<br />

handele. Auch wenn die direkte Anwendung dieser Vorschriften<br />

auf den Auszahlungsanspruch des Schuldners<br />

gegen die Beklagte ausgeschlossen sei, könnten diese<br />

gesetzlichen Wertungen nicht unbeachtet bleiben. Lasse<br />

ein Arbeitnehmer seinen Lohn in Ermangelung eines P-<br />

Kontos auf das Konto seiner Ehefrau einzahlen, stelle ein<br />

genau gezielter Zugriff auf diese Beträge eine unlautere<br />

Vollstreckungshandlung dar. Wäre der Einziehungsprozess<br />

erfolgreich, würden dem Schuldner die Mittel entzogen, die<br />

ihm aufgrund seiner Berufstätigkeit zum Leben belassen<br />

werden sollten.<br />

LG sieht § 765a ZPO analog<br />

Die dagegen gerichtete Berufung der Beschwerdeführerin<br />

wies das LG nach erteiltem Hinweis und einer Stellungnahme<br />

der Beschwerdeführerin dazu durch Beschluss<br />

gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurück. Pfände der Gläubiger den<br />

einem Schuldner zustehenden Auszahlungsanspruch aus<br />

dem Girokontovertrag gegen seinen Ehepartner als Drittschuldner,<br />

könne der Schuldner nach der Rechtsprechung<br />

des BGH unter den Voraussetzungen des § 765a ZPO<br />

Vollstreckungsschutz beanspruchen, soweit das Guthaben<br />

auf dem Girokonto aus der Überweisung von unpfändbarem<br />

Arbeitseinkommen des Schuldners oder diesem zustehenden<br />

Sozialleistungen herrühre (vgl. BGH NJW 2008, 1678;<br />

BGH NJW 2007, 2703). Entscheidend sei, dass nur Beträge<br />

des Schuldners auf das Konto der Beklagten gelangt seien,<br />

die als Arbeitseinkommen dem Pfändungsschutz nach<br />

§ 850c ZPO unterlägen und bei Überweisung auf ein vom<br />

Schuldner geführtes Konto pfändungsfrei wären. Der Pfändungsschutz<br />

greife nur deshalb nicht ein, weil das Arbeitseinkommen<br />

des Schuldners auf ein sogenanntes Drittkonto<br />

überwiesen wurde, nämlich das Konto der Beklagten. Das<br />

Ausnutzen dieser besonderen Situation durch die Beschwerdeführerin<br />

stelle eine sittenwidrige Härte im Sinne<br />

des § 765a ZPO dar. Der Umstand, dass der Schuldner über<br />

kein eigenes Konto verfüge, dürfe nicht zu einer Erweiterung<br />

der Vollstreckungsmöglichkeiten der Beschwerdeführerin<br />

führen. Der vom Schuldner gestellte Vollstreckungsschutzantrag<br />

nach § 765a ZPO gegen die Pfändung und<br />

Überweisung der <strong>für</strong> ihn auf dem Konto der Beklagten<br />

eingehenden Geldbeträge sei zwar von der Einzelrichterin<br />

als Vollstreckungsgericht zurückgewiesen worden; über die<br />

Berufung entscheide aber nun die 5. Zivilkammer als<br />

Prozessgericht, mithin nicht dasselbe Gericht. Im Übrigen<br />

sei das Gericht auch nicht an seine frühere eigene Rechtsprechung<br />

gebunden.<br />

Anhörungsrüge<br />

Die dagegen erhobene Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin<br />

wies das LG zurück. Die Kammer habe keine<br />

Entscheidung zum Pfändungsschutz gemäß § 765a ZPO<br />

getroffen. Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 765a<br />

ZPO führe dazu, dass die von der Beschwerdeführerin<br />

beabsichtigte Vollstreckung rechtsmissbräuchlich sei. Lägen<br />

die Voraussetzungen der im Vollstreckungsrecht<br />

spezielleren Regelung des § 765a ZPO vor, so seien im<br />

Einziehungsprozess in der Regel auch die Voraussetzungen<br />

des § 826 BGB erfüllt.<br />

Verletzte Verfassungsrechte<br />

Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin<br />

gegen das Urteil des AG und die<br />

Beschlüsse des LG. Sie rügt eine Verletzung des Willkürverbots<br />

aus Art. 3 Abs. 1 GG und des Rechtsstaatsprinzips<br />

aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3<br />

GG sowie ihrer Ansprüche auf den gesetzlichen Richter<br />

gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und auf rechtliches Gehör<br />

gemäß Art. 103 Abs. 1 GG und führt dies näher aus.<br />

Entscheidungsgründe<br />

Die Kammer nimmt die zulässige Verfassungsbeschwerde<br />

zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur<br />

Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin<br />

aus Art. 3 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b<br />

BVerfGG; vgl. BVerfGE 90, 22). Auch die weiteren Voraussetzungen<br />

des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Das<br />

BVerfG hat die hier maßgeblichen verfassungsrechtlichen<br />

Fragen bereits entschieden. Die Verfassungsbeschwerde<br />

ist danach offensichtlich begründet.<br />

Willkürverbot<br />

Ein Richterspruch verstößt nach ständiger Rechtsprechung<br />

des BVerfG dann gegen den allgemeinen Gleichheitssatz<br />

in seiner Ausprägung als Verbot objektiver Willkür (Art. 3<br />

Abs. 1 GG), wenn er unter keinem denkbaren Aspekt<br />

rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt,<br />

dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Das<br />

ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. Schuldhaftes<br />

Handeln des Richters ist nicht erforderlich. Fehlerhafte<br />

Rechtsanwendung allein macht eine Gerichtsentscheidung<br />

nicht objektiv willkürlich. Schlechterdings unhaltbar ist eine<br />

fachgerichtliche Entscheidung vielmehr erst dann, wenn<br />

eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt,<br />

der Inhalt einer Norm in krasser Weise missverstanden<br />

oder sonst in nicht mehr nachvollziehbarer Weise angewendet<br />

wird (vgl. BVerfGE 89, 1; 96, 189).<br />

Ansicht zu § 826 BGB nicht vertretbar<br />

Nach diesen Maßstäben verletzt der die Berufung zurückweisende<br />

Beschluss des LG die Beschwerdeführerin in ihrem<br />

200 Nr. 5/<strong>2015</strong>


<strong>zfm</strong><br />

Entscheidungen<br />

Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG. Die Annahme einer<br />

sittenwidrigen Schädigung der Beklagten im Sinne des § 826<br />

BGB durch die Beschwerdeführerin im Ausgangsverfahren ist<br />

unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar.<br />

§ 826 BGB gewährt Schutz bei vorsätzlicher sittenwidriger<br />

Schädigung. Die Weite der haftungsbegründenden<br />

Verhaltensweisen wird durch das Vorsatzerfordernis und<br />

die Notwendigkeit eines Sittenverstoßes begrenzt. Allerdings<br />

ermöglicht gerade das Merkmal der Sittenwidrigkeit<br />

eine flexible Anpassung des Haftungsrechts an veränderte<br />

faktische Situationen oder soziale Umstände (vgl. Schaub,<br />

in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 9. Aufl., § 826 Rn 1).<br />

§ 826 BGB ist durch Richterrecht konkretisiert worden,<br />

das sich in Fallgruppen zusammenfassen lässt. Diese<br />

Fallgruppen ermöglichen eine Orientierung bei der Anwendung<br />

des § 826 BGB, entbinden jedoch weder von der<br />

Prüfung der Umstände jedes Einzelfalls, noch sind sie<br />

abschließend, insbesondere sind die subjektiven Tatbestandsmerkmale<br />

jeweils konkret festzustellen (vgl.<br />

Schaub, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 9. Aufl.,<br />

§ 826 Rn 13). Im Rahmen eines Prozesses kann eine<br />

Prozesspartei sich nicht nur durch Erschleichung oder<br />

Ausnutzung materiell-rechtlich unrichtiger Titel sittenwidrig<br />

verhalten und dem Gegner nach § 826 BGB haftbar<br />

werden, sondern unter Umständen auch in anderer<br />

Weise, so etwa durch Anbringung unberechtigter Insolvenzanträge,<br />

durch Erstattung von Strafanzeigen wegen<br />

fiktiver Delikte oder durch Erhebung unbegründeter<br />

Zivilklagen, wenn etwa unlautere Mittel eingesetzt werden.<br />

Die Haftungsfrage darf dabei allerdings nicht ohne<br />

Rücksicht auf das Verfahren selbst und die mit seiner<br />

Durchführung gewährleisteten Garantien gewürdigt werden.<br />

Denn nach ständiger Rechtsprechung werden die<br />

Folgen bestimmter Verhaltensweisen in gerichtlichen<br />

Verfahren durch die jeweilige Verfahrensordnung geregelt<br />

(vgl. BVerfGE 74, 257; BGHZ 36, 18; BGHZ 74, 9;<br />

BGHZ 95, 10; Wagner, in: MüKoBGB, 6. Aufl. 2013, § 826<br />

Rn 190; Schaub, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB,<br />

9. Aufl., § 826 Rn 46).<br />

Der die Berufung zurückweisende Beschluss des LG verhält<br />

sich nicht zu einer konkreten, vorsätzlich sittenwidrigen<br />

Schädigung der Beklagten als Drittschuldnerin durch die<br />

Beschwerdeführerin.<br />

Die Gläubigerin macht (nur) ihre Rechte geltend<br />

Die Beschwerdeführerin bedient sich vorliegend zur Durchsetzung<br />

ihres titulierten Anspruchs im Rahmen der Zwangsvollstreckung<br />

eines gesetzlich geregelten Verfahrens und<br />

macht lediglich die ihr zustehenden Rechte aus einem<br />

wirksamen PfÜB gegen die Beklagte als Drittschuldnerin<br />

geltend. Ab der Zustellung des PfÜB durfte die Beklagte<br />

gemäß § 829 Abs. 1 ZPO nicht über die <strong>für</strong> den Schuldner auf<br />

ihrem Konto eingehenden Beträge verfügen. Im Gegensatz<br />

zu der rechtstreuen, sich im Rahmen der Verfahrensordnung<br />

bewegenden Beschwerdeführerin hat die Beklagte<br />

nach dem unstreitigen Vortrag der Beschwerdeführerin<br />

unter Missachtung der ausgebrachten Pfändung und des<br />

damit verbundenen wirksamen Arrestatoriums die Beträge<br />

an den Schuldner ausgekehrt.<br />

§ 850k ZPO gilt<br />

Der Schuldner hat nach dem Willen des Gesetzgebers<br />

selbst <strong>für</strong> den Schutz seines Gehalts Sorge zu tragen,<br />

indem er alles dahin veranlasst, dass seine Zahlungen auf<br />

einem eigenen P-Konto statt auf dem Konto eines Dritten<br />

eingehen. Kommt er dem nicht nach, so kann die Pfändung<br />

der betreffenden Beträge bei einem Dritten auch keine<br />

vorsätzlich sittenwidrige Schädigung im Sinne des § 826<br />

BGB begründen.<br />

Die Beschwerdeführerin hat mit dem gegen die Beklagte<br />

gerichteten PfÜB nicht das Arbeitseinkommen des<br />

Schuldners, sondern nur dessen Auszahlungsanspruch<br />

gemäß § 667 BGB gegenüber der Beklagten gepfändet.<br />

Ohnehin sind die Schuldnerschutzvorschriften der §§ 850<br />

ff. ZPO im Verhältnis zwischen der Beschwerdeführerin<br />

und der Beklagten als Drittschuldnerin nicht einschlägig,<br />

ist mithin in ihrem Prozessverhältnis § 850c ZPO nicht<br />

anwendbar. Dies verkennt das LG, indem es zur Begründung<br />

der Sittenwidrigkeit – im Verhältnis der Beschwerdeführerin<br />

zur Drittschuldnerin – darauf abstellt, dass die<br />

auf dem Konto der Beklagten (als Drittschuldnerin)<br />

eingehenden Beträge im Ergebnis dem Pfändungsschutz<br />

gemäß § 850c ZPO unterlägen. Des Weiteren wäre selbst<br />

im Verhältnis der Beschwerdeführerin zum Schuldner, der<br />

jedoch nicht Partei des Ausgangserkenntnisverfahrens ist,<br />

vorliegend § 850k ZPO nicht anwendbar, da der Schuldner<br />

gerade kein eigenes Girokonto und somit auch kein<br />

Pfändungsschutzkonto unterhält. § 850k ZPO ist auch<br />

nicht entsprechend anwendbar, wenn das Arbeitseinkommen<br />

des Schuldners – wie hier – auf dessen Weisung<br />

auf ein Konto eines Dritten (hier der Beklagten) überwiesen<br />

wird, und der Gläubiger (die Beschwerdeführerin)<br />

entweder den Anspruch des Berechtigten (des Schuldners)<br />

gegen den Kontoinhaber (die Beklagte) auf Auskehrung<br />

des betreffenden Betrages oder den Auszahlungsanspruch<br />

des Dritten (der Beklagten) gegen<br />

die kontoführende Bank pfändet (vgl. BGH NJW 2008,<br />

1678 m.w.N.; BGH NJW 2007, 2703 m.w.N.).<br />

Handlungspflicht des Schuldners<br />

Dem Schuldner steht in dieser Konstellation der Weg über<br />

ein (eigenes) P-Konto offen, wenn er Gelder auf Konten<br />

vor Pfändung schützen will. Denn seit dem 1.1.2012 wird<br />

Kontopfändungsschutz <strong>für</strong> den Schuldner – abgesehen<br />

von der Generalklausel des § 765a ZPO – durch ein<br />

Nr. 5/<strong>2015</strong> 201


Entscheidungen<br />

<strong>zfm</strong><br />

P-Konto gewährt (vgl. BTDrucks 16/12714, S. 16; Becker, in:<br />

Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl. <strong>2015</strong>, § 850k Rn 1b; Riedel, in:<br />

Beck'scher Online-Kommentar ZPO, Stand: 1.3.<strong>2015</strong>, vor<br />

§ 850k). Diesem Schutz entzieht sich der Schuldner selbst,<br />

indem er es unterlässt, da<strong>für</strong> Sorge zu tragen, dass die<br />

Zahlungen auf seinem Pfändungsschutzkonto eingehen,<br />

und er allein aufgrund des fehlenden P-Kontos den Fall<br />

einer besonderen Härte im Sinne des § 765a ZPO herbeizuführen<br />

sucht, mit welcher vorliegend das LG die<br />

vorsätzlich sittenwidrige Schädigung der Beklagten durch<br />

die Beschwerdeführerin begründet hat. Der Schuldner hat<br />

nach dem Willen des Gesetzgebers selbst <strong>für</strong> den Schutz<br />

seines Gehalts Sorge zu tragen, indem er alles dahin<br />

veranlasst, dass seine Zahlungen auf einem eigenen P-<br />

Konto statt auf dem Konto eines Dritten eingehen.<br />

Kommt er dem nicht nach, so kann die Pfändung der<br />

betreffenden Beträge bei einem Dritten auch keine<br />

vorsätzlich sittenwidrige Schädigung im Sinne des § 826<br />

BGB begründen.<br />

Kein Rückgriff auf § 765a ZPO möglich<br />

Entgegen der Ansicht des LG als Prozessgericht kann eine<br />

vorsätzlich sittenwidrige Schädigung der Beklagten durch<br />

die Beschwerdeführerin im Erkenntnisverfahren nicht<br />

durch einen Rückgriff auf das Verhältnis der Beschwerdeführerin<br />

zu dem Schuldner unter Verweis auf das Vorliegen<br />

der Voraussetzungen des § 765a ZPO begründet<br />

werden. Dieses Verhältnis ist <strong>für</strong> den Rechtsstreit gegen<br />

die Beklagte unerheblich. § 765a ZPO ist im Erkenntnisverfahren<br />

bereits nicht anwendbar. Der Schuldner, und<br />

nur dieser, konnte ausschließlich Vollstreckungsschutz<br />

unter den Voraussetzungen des § 765a ZPO vor dem<br />

Vollstreckungsgericht beanspruchen. Dieser Schutz wurde<br />

dem Schuldner jedoch durch die im Ausgangsverfahren<br />

erkennende 5. Zivilkammer des LG, die in dem Vollstreckungsschutzverfahren<br />

als Vollstreckungsgericht zur Entscheidung<br />

berufen war, nicht gewährt.<br />

§ 765a ZPO schützt den Drittschuldner nicht<br />

Die Zivilkammer des LG hat – unter Verweis auf eine<br />

Kommentierung ihres Vorsitzenden – im Erkenntnisverfahren<br />

in dem die Berufung zurückweisenden Beschluss eine<br />

sittenwidrige Härte im Sinne des § 765a ZPO <strong>für</strong> den<br />

Schuldner durch die von der Beschwerdeführerin ausgebrachte<br />

Pfändung bejaht, da nur Beträge des Schuldners<br />

auf das Konto der Beklagten gelangen würden, die als<br />

Arbeitseinkommen dem Pfändungsschutz nach § 850c<br />

ZPO unterlägen (Hinweis auf Bendtsen, in: Kindl/Meller-<br />

Hannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung,<br />

2. Aufl. 2013, § 765a Rn 46). Danach seien in der Regel die<br />

Voraussetzungen des § 826 BGB erfüllt, wenn die Voraussetzungen<br />

der spezielleren Regelung des § 765a ZPO<br />

vorlägen. Die beabsichtigte Vollstreckung in das Konto der<br />

Beklagten sei deshalb rechtsmissbräuchlich. Das LG als<br />

Prozessgericht hat dabei verkannt, dass zum einen der<br />

Schuldner nicht Partei des Erkenntnisverfahrens zwischen<br />

der Beschwerdeführerin und der Beklagten und zum anderen<br />

§ 765a ZPO vor dem Prozessgericht im Erkenntnisverfahren<br />

nicht anwendbar ist. So heißt es auch in der<br />

vom LG zitierten Kommentierung an anderer Stelle, im<br />

Einklang mit der Rechtsprechung, dass nur der Schuldner<br />

antragsberechtigt sei, Dritte sich nicht auf § 765a ZPO<br />

berufen könnten und über einen Antrag nach § 765a ZPO<br />

allein das Vollstreckungsgericht zu befinden habe (vgl.<br />

Bendtsen, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht<br />

der Zwangsvollstreckung, 2. Aufl. 2013, § 765a Rn 24, 60, 69).<br />

Keine Analogie<br />

Auch die Übertragung der in § 765a ZPO zum Ausdruck<br />

kommenden Wertung auf die Beurteilung der Frage einer<br />

sittenwidrigen Schädigung (nach § 826 BGB) ist nicht<br />

haltbar. Denn die Voraussetzungen des § 765a ZPO liegen<br />

im Verhältnis der Beschwerdeführerin zum Schuldner<br />

gerade nicht vor, wie die 5. Zivilkammer des LG als<br />

Vollstreckungsgericht festgestellt hat. Zwar kann nach<br />

der Rechtsprechung des BGH die Anwendung des § 765a<br />

ZPO in Betracht kommen, wenn sich der Schuldner<br />

Sozialleistungen auf das Konto eines Dritten überweisen<br />

lässt und der Gläubiger seinen Anspruch aus § 667 BGB<br />

pfändet (BGH NJW 2007, 2703). Gleiches gilt entsprechend<br />

bei der Pfändung des Kontos eines Ehegatten<br />

hinsichtlich des unpfändbaren Teils des auf dieses Konto<br />

überwiesenen Arbeitseinkommens des nicht schuldenden<br />

Ehegatten (BGH NJW 2008, 1678). Bei § 765a ZPO handelt<br />

es sich aber um eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift.<br />

Der Schuldner muss sich deshalb mit den Härten,<br />

die jede Zwangsvollstreckungsmaßnahme mit sich bringt,<br />

abfinden. Anzuwenden ist § 765a ZPO daher nur in ganz<br />

besonders gelagerten Fällen, nämlich dann, wenn im<br />

Einzelfall das Vorgehen des Gläubigers zu einem ganz<br />

untragbaren Ergebnis führen würde (BGH NJW 2004,<br />

3635 m.w.N.). Der vom Schuldner nach Zustellung des<br />

PfÜB an die Beklagte als Drittschuldnerin gemäß § 765a<br />

ZPO gestellte Pfändungsschutzantrag wurde von der<br />

(selben) 5. Zivilkammer des LG als zuständiges Vollstreckungsgericht<br />

in zweiter Instanz durch die Einzelrichterin<br />

rechtskräftig zurückgewiesen (5 T 2/13). Das LG – Vollstreckungsgericht<br />

– erblickte in der Pfändung keine<br />

Härte, die mit den guten Sitten nicht vereinbar sei. Dass<br />

auch die Beklagte als Ehefrau des Schuldners durch die<br />

gegen den Schuldner gerichteten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen<br />

betroffen sei, sei eine normale Folge der<br />

Zwangsvollstreckung und könne eine besondere Härte im<br />

Sinne des § 765a ZPO nicht begründen.<br />

Sittenwidrigkeit ist unvertretbar<br />

Aus den vorstehenden Gründen erweist sich die Annahme<br />

einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung der Beklag-<br />

202 Nr. 5/<strong>2015</strong>


<strong>zfm</strong><br />

Entscheidungen<br />

ten durch die Beschwerdeführerin im Sinne des § 826 BGB<br />

als schlechterdings unvertretbar. Sie ist unter keinem<br />

rechtlichen Gesichtspunkt tragfähig. Andere als die angeführten<br />

Gründe, die die Entscheidung rechtfertigen<br />

könnten, sind nicht erkennbar.<br />

Weitere Rechtsverletzungen offen<br />

Danach kann offenbleiben, ob bezüglich der von der<br />

Beschwerdeführerin als verletzt gerügten Rechte aus Art. 2<br />

Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG (Rechtsstaatsprinzip),<br />

Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 103 Abs. 1 GG die<br />

Annahmevoraussetzungen vorliegen.<br />

Anmerkung<br />

Das BVerfG musste sich auf eine Verfassungsbeschwerde in<br />

die Tiefen des Vollstreckungsrechtes begeben. Dies ist nur<br />

möglich, wenn der Rechtsweg erschöpft ist. Deshalb musste<br />

einerseits das Berufungsverfahren durchlaufen werden,<br />

andererseits auch nach dem Abschluss des Berufungsverfahrens<br />

noch die Anhörungsrüge erhoben werden. Die<br />

Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde schieden vorliegend<br />

aus, weil der Revisionswert von 20.000 EUR nach § 26<br />

Nr. 8 EGZPO nicht erreicht wurde und die Revision auch<br />

nicht vom LG zugelassen worden war.<br />

Anhörungsrüge und Verfassungsbeschwerde müssen in<br />

prozessualer Hinsicht parallel erhoben werden, weil die<br />

Verfassungsbeschwerde nach § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG<br />

nur binnen eines Monates ab der Zustellung der gerichtlichen<br />

Entscheidung eingelegt werden kann. Die Anhörungsrüge<br />

nach § 321a ZPO ist dagegen binnen einer<br />

Notfrist von 2 Wochen einzulegen, wird regelmäßig aber<br />

nicht vor Ablauf der Frist <strong>für</strong> die Verfassungsbeschwerde<br />

beschieden.<br />

In inhaltlicher Hinsicht darf nicht übersehen werden, dass<br />

dem Gläubiger hier zur Hilfe kam, dass der Schuldner sich<br />

gegen die Pfändung erfolglos und rechtskräftig abschlägig<br />

nach § 765a ZPO entschieden gewehrt hatte. Ob diese<br />

Entscheidung der Einzelrichterin beim LG richtig war,<br />

wurde vom BVerfG nicht geprüft, weil dem die Rechtskraft<br />

entgegenstand.<br />

Der BGH hat in der Vergangenheit sowohl Sozialleistungen<br />

(BGH 2007, 2703) als auch – wie hier – Arbeitseinkommen<br />

(BGH NJW 2008, 1678), welche auf dem Konto des<br />

Ehegatten eingingen, nach § 765a ZPO freigestellt.<br />

Insoweit ist allerdings zu sehen, dass es sich bei § 765a ZPO<br />

um eine Ausnahmevorschrift handelt, wie auch das BVerfG<br />

betont. Es ist deshalb erforderlich, dass eine besondere<br />

Härte der Zwangsvollstreckung, die gegen die guten Sitten<br />

verstößt, im Verfahren nach § 765a ZPO positiv festgestellt<br />

wird. Das BVerfG hebt insoweit die Verantwortlichkeit des<br />

Schuldners hervor, selbst <strong>für</strong> den Schutz seines Gehalts<br />

Sorge zu tragen, indem er alles dahin veranlasst, dass seine<br />

Zahlungen auf einem eigenen P-Konto statt auf dem<br />

Konto eines Dritten eingehen. Kommt er dem nicht nach,<br />

so kann die Pfändung der betreffenden Beträge bei einem<br />

Dritten nach Ansicht des BVerfG keine vorsätzlich sittenwidrige<br />

Schädigung im Sinne des § 826 BGB begründen.<br />

Dann scheidet aber auch eine besondere Härte der<br />

Zwangsvollstreckung im Sinne des § 765a ZPO, die gegen<br />

die guten Sitten verstößt, aus.<br />

Zu den notwendigen Eigenbemühungen des Schuldners<br />

gehört es, seinerseits alles Erforderliche zu tun, um im<br />

System des <strong>für</strong> ihn geschaffenen Vollstreckungsschutzes<br />

zu bleiben. Deshalb ist es erforderlich, dass der Schuldner<br />

darlegt, dass er zumindest versucht hat, ein eigenes P-<br />

Konto zu erhalten oder sachlich begründen kann, weshalb<br />

er über kein eigenes P-Konto verfügt. Letzteres kann etwa<br />

dann der Fall sein, wenn dem Schuldner ein P-Konto<br />

gekündigt wurde und seine Bemühungen, hiergegen<br />

vorzugehen, gescheitert sind oder wenn es dem Schuldner<br />

schon überhaupt nicht gelungen ist, ein P-Konto zu<br />

erhalten. Von Relevanz dürfte auch sein, ob sich der<br />

Schuldner in der Vergangenheit gegenüber dem Gläubiger<br />

redlich und kooperativ verhalten hat. Hierzu gehört auch<br />

die Antwort auf die Frage, ob die Nutzung des Kontos eines<br />

Dritten von dem Schuldner gegenüber dem Gläubiger,<br />

etwa im Rahmen einer Vermögensauskunft, offen gelegt<br />

wurde oder ob der Gläubiger diesen Umstand erst<br />

mühevoll ermitteln musste, weil der Schuldner seinen<br />

Informationspflichten nicht nachgekommen ist. Zu diesen<br />

Aspekten sollte der Gläubiger schon in der Erwiderung auf<br />

den Antrag nach § 765a ZPO vortragen.<br />

Das BVerfG offenbart den von der Alltagsarbeit befreiten<br />

Blick: Der Schuldner ist in der Handlungspflicht, die offene<br />

Forderung zu begleichen und sich im Übrigen im Rahmen<br />

des staatlichen Pfändungsschutzes zu bewegen, der die<br />

Ausnahme von der Ausgleichspflicht darstellt, um dem<br />

Gläubiger zu seinem (Verfassungs-)Recht aus Art. 14 GG<br />

zu verhelfen. Die Erweiterung und die Analogien haben<br />

deshalb im Pfändungsschutz wenig Raum.<br />

VRiOLG Frank-Michael Goebel<br />

Pfändung einer Internet-Domain<br />

AO §§ 309, 316, 321; ZPO §§ 829, 835, 857<br />

1. Die Inhaberschaft einer Internet-Domain gründet sich<br />

auf die Gesamtheit der schuldrechtlichen Ansprüche, die<br />

Nr. 5/<strong>2015</strong> 203


Entscheidungen<br />

<strong>zfm</strong><br />

dem Inhaber der Domain gegenüber der Vergabestelle<br />

aus dem Registrierungsvertrag zustehen.<br />

2. Eine Genossenschaft, die als Registrierungsstelle Internet-Domains<br />

verwaltet und betreibt, kann insofern<br />

als Drittschuldnerin in Anspruch genommen werden,<br />

als sie Schuldnerin der Ansprüche aus dem Domainvertrag<br />

ist.<br />

FG Münster, Beschl. v. 16.9.<strong>2015</strong> – 7 K 781-14 AO<br />

Sachverhalt<br />

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer<br />

Pfändungsverfügung und hier insbesondere um die Frage,<br />

ob und ggfs. wie eine Internet-Domain gepfändet werden<br />

kann. Die Klägerin – eine Genossenschaft – verwaltet und<br />

betreibt als Registrierungsstelle Internet-Domains, insbesondere<br />

unterhalb der X-Domain.de, und nimmt alle<br />

damit zusammenhängenden Aufgaben wahr. Dazu gehören<br />

beispielsweise die Unterhaltung der entsprechenden<br />

Anlagen, die Beratung und Schulung der Mitglieder,<br />

die Betreuung und Information der Inhaber registrierter<br />

Domains und die Wahrnehmung der genossenschaftlichen<br />

wie der Interessen der gesamten deutschen Internetgemeinschaft,<br />

§ 2 Abs. 1 des Statutes der Klägerin.<br />

Pfändung der Domain<br />

Aufgrund rückständiger Steuern und steuerlicher Nebenleistungen<br />

des Schuldners, der einen Online-Shop mit<br />

Unterhaltungselektronik betreibt, in Höhe von insgesamt<br />

89.079,10 EUR erließ der Beklagte unter dem 15.5.2013 eine<br />

Pfändungsverfügung gegenüber der Klägerin als Drittschuldnerin.<br />

Darin pfändete der Beklagte den Anspruch<br />

des Vollstreckungsschuldners auf Aufrechterhaltung der<br />

Registrierung „P.de“ als Hauptanspruch aus dem mit der<br />

Klägerin geschlossenen Registrierungsvertrag und alle<br />

weiteren sich aus dem Vertragsverhältnis ergebenden<br />

Nebenansprüche.<br />

Wer ist Drittschuldner?<br />

Die Klägerin wendet sich dagegen mit der Behauptung, sie<br />

sei nicht Drittschuldnerin. Im Übrigen sei die Pfändungsverfügung<br />

nicht hinreichend bestimmt.<br />

Entscheidungsgründe<br />

Der Senat geht zunächst im Einklang mit dem Grundsatzbeschluss<br />

des BGH vom 5.7.20<strong>05</strong> (VII ZB 5/<strong>05</strong>, NJW<br />

20<strong>05</strong>, 3353) davon aus, dass Gegenstand zulässiger<br />

Pfändung nach § 857 Abs. 1 ZPO, der der Regelung<br />

des § 321 AO entspricht, in eine „Internet-Domain“ die<br />

Gesamtheit der schuldrechtlichen Ansprüche ist, die dem<br />

Inhaber der Domain gegenüber der Vergabestelle aus<br />

dem der Domainregistrierung zugrunde liegenden Vertragsverhältnis<br />

zustehen. Die Pfändung betrifft deshalb<br />

die Vollstreckung in Forderungen, die dem Vollstreckungsschuldner<br />

aus dem mit der Klägerin abgeschlossenen<br />

Domainvertrag zustehen.<br />

Domainansprüche als Vermögensrecht<br />

Die schuldrechtlichen Ansprüche, die dem Inhaber einer<br />

Internet-Domain gegenüber der Klägerin oder einer anderen<br />

Vergabestelle zustehen, stellen ein Vermögensrecht<br />

i.S.v. § 857 Abs. 1 ZPO dar (vgl. z.B. LG Mönchengladbach<br />

Rpfleger 20<strong>05</strong>, 38; AG Langenfeld CR 2001, 477;<br />

Welzel, MMR 2001, 131, 132; Berger, Rpfleger 2002, 181,<br />

182 f.; Hanloser, CR 2001, 456, 458; Musielak/Becker, ZPO,<br />

4. Aufl., § 857 Rn 13a; Stein/Jonas-Brehm, ZPO, 22. Aufl.,<br />

§ 857 Rn 80).<br />

Zwischen Domain und Vertragsansprüchen<br />

Eine Internet-Domain als solche ist kein „anderes Vermögensrecht“<br />

i.S.v. § 857 Abs. 1 ZPO. Der Domain kommt<br />

keine etwa mit einem Patent-, Marken- oder Urheberrecht<br />

vergleichbare ausschließliche Stellung zu. Diese<br />

Rechte zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihrem Inhaber<br />

einen Absolutheitsanspruch gewähren, der vom Gesetzgeber<br />

begründet worden ist und nicht durch Parteivereinbarung<br />

geschaffen werden kann. Eine Internet-Domain<br />

ist lediglich eine technische Adresse im Internet. Die<br />

ausschließliche Stellung, die darauf beruht, dass von der<br />

Klägerin eine Internet-Domain nur einmal vergeben wird,<br />

ist allein technisch bedingt. Eine derartige, rein faktische<br />

Ausschließlichkeit begründet kein absolutes Recht i.S.v.<br />

§ 857 Abs. 1 ZPO (vgl. BVerfG NJW 20<strong>05</strong>, 589; BGHZ 149,<br />

191; Kleespies, GRUR 2002, 764; Berger, Rpfleger 2002, 181,<br />

182; a.A.: Koos, MMR 2004, 359, 360 f.; Fezer, Markenrecht,<br />

3. Aufl., § 3 MarkenG Rn 301). Die Inhaberschaft an<br />

einer „Internet-Domain“ gründet sich deshalb auf die<br />

Gesamtheit der schuldrechtlichen Ansprüche, die dem<br />

Inhaber der Domain gegenüber der Vergabestelle aus<br />

dem Registrierungsvertrag zustehen (BVerfG NJW 20<strong>05</strong>,<br />

589). Diese Ansprüche – und nicht die „Internet-Domain“<br />

selbst – sind Gegenstand der Pfändung nach § 857<br />

Abs. 1 ZPO.<br />

Bestimmtes Leistungsverbot<br />

Das von der Klägerin im Hinblick auf eine angeblich<br />

fehlende hinreichende Bestimmtheit monierte Leistungsverbot<br />

lautet wie folgt: „Sie dürfen, soweit die Ansprüche,<br />

Forderungen und Rechte gepfändet sind, nicht mehr an<br />

den Vollstreckungsschuldner leisten. Der Vollstreckungsschuldner<br />

hat sich jeder Verfügung über die Ansprüche,<br />

Forderungen und Rechte, soweit sie gepfändet sind,<br />

insbesondere ihrer Einziehung zu enthalten.“ Die Beklagte<br />

hatte die Bedeutung des Arrestatoriums dahingehend<br />

204 Nr. 5/<strong>2015</strong>


<strong>zfm</strong><br />

Entscheidungen<br />

näher erläutert, dass das Verbot nicht bedeute, dass eine<br />

Dekonnektierung zu erfolgen hätte. Der Drittschuldner<br />

solle nur die Leistung nicht mehr an den Vollstreckungsschuldner<br />

erbringen. Seinen Verfügungen – wie Änderungen<br />

der Kontaktdaten, etc. – dürfe seitens der Klägerin<br />

nicht mehr entsprochen werden. Auf diese Weise behalte<br />

die Internet-Domain den Zustand, den sie im Zeitpunkt<br />

der Pfändung hatte. Das Arrestatorium solle eine Übertragung<br />

der Domain, und damit letztendlich eine Veränderung,<br />

Verringerung oder ein Erlöschen der Ansprüche<br />

des Schuldners verhindern. Entgegen der Ansicht der<br />

Klägerin ist damit der Inhalt des Leistungsverbotes vom<br />

Beklagten hinreichend bestimmt erläutert worden.<br />

Keine vollstreckungsfremden Zwecke<br />

Nicht zu überzeugen vermag den Senat auch der Vortrag<br />

der Klägerin, wonach der Beklagte sich rechtsmissbräuchlich<br />

verhalte, indem er pfändungsfremde Ziele und insbesondere<br />

kein fiskalisches Vollstreckungsinteresse verfolge.<br />

Die Pfändungsverfügung des Beklagten pfändet<br />

im Einklang mit der höchstrichterlichen zivilrechtlichen<br />

Rechtsprechung des BGH den Anspruch auf Aufrechterhaltung<br />

einer konkreten Registrierung als Hauptanspruch<br />

des Vollstreckungsschuldners aus dem mit der<br />

Klägerin geschlossenen Registrierungsvertrag und alle<br />

weiteren sich aus dem Vertragsverhältnis ergebenden<br />

Nebenansprüche. Hierin liegt weder ein unzulässiges<br />

„Einfrieren“ des Vertrages noch eine unzulässige Leistungsforderung<br />

an den Vollstreckungsgläubiger noch eine<br />

Vernichtung des wirtschaftlichen Wertes der Domain<br />

durch das Leistungsverbot. Der Beklagte hat sich durch<br />

die angefochtene Pfändungsverfügung nicht mehr und<br />

nicht weniger als das Zugriffsrecht auf die Ansprüche des<br />

Vollstreckungsschuldners aus dem Domainvertrag mit<br />

der Klägerin gesichert.<br />

Der Beklagte hat ferner vorgetragen, dass über die Art und<br />

Weise der Verwertung dieser Ansprüche zu einem<br />

späteren Zeitpunkt entschieden werde und es ihm beim<br />

Erlass der Pfändungsverfügung um die Befriedigung der<br />

gegen den Vollstreckungsschuldner gerichteten Geldforderungen<br />

gehe. Objektive Anhaltspunkte da<strong>für</strong>, dass der<br />

Beklagte vollstreckungsfremde Ziele verfolgt und es ihm<br />

darum geht, dem Schuldner Unbequemlichkeiten wie hier<br />

in Gestalt der Unterbindung der Domainnutzung zuzufügen,<br />

um ihn auf diese Weise zur Zahlung zu bewegen,<br />

bestehen nicht.<br />

Richtiger Drittschuldner<br />

Der Beklagte hat auch zu Recht die Eigenschaft der<br />

Klägerin als Drittschuldnerin bejaht. Der Begriff des<br />

Drittschuldners ist weit zu fassen. Drittschuldner ist<br />

derjenige, der dem Schuldner die Forderung (den Anspruch,<br />

das Recht) zu leisten hat, die im Wege der<br />

Zwangsvollstreckung der Befriedigung oder Sicherung des<br />

Gläubigers zugeführt werden soll. Drittschuldner ist jeder<br />

Dritte, dessen Leistung zur Ausübung einer gepfändeten<br />

Forderung oder eines gepfändeten Rechts erforderlich ist<br />

oder dessen Rechtsstellung von der Pfändung sonstwie<br />

berührt wird. Daher ist jede Person Drittschuldner, die an<br />

einem zu pfändenden Recht außer dem Schuldner –<br />

irgendwie – beteiligt ist (Stöber, Forderungspfändung,<br />

16. Aufl. 2013, Rn 8 m.w.N.).<br />

Der BGH (v. 5.7.20<strong>05</strong> – VII ZB 5/<strong>05</strong>) hat klargestellt, dass<br />

bei der Domainpfändung die schuldrechtlichen Ansprüche<br />

des Domaininhabers gegenüber der Registrierungsstelle<br />

gepfändet werden. Die Klägerin ist nach der Rechtsprechung<br />

des BGH Schuldnerin der gepfändeten Ansprüche,<br />

mithin also Drittschuldnerin. Dies deckt sich auch mit<br />

dem vorherrschenden weiten Drittschuldnerbegriff, der<br />

jeden umfasst, dessen Rechtsstellung von der Pfändung<br />

berührt wird. Der Umstand, dass durch eine zunehmende<br />

Zahl solcher Pfändungen zukünftig <strong>für</strong> die Klägerin ein<br />

nicht unerheblicher Arbeits- und Verwaltungsaufwand<br />

ausgelöst werden könnte, ist in diesem Zusammenhang<br />

unerheblich. Bei den den Drittschuldner treffenden Pflichten,<br />

wie etwa der Erklärungspflicht, handelt es sich um<br />

gesetzliche Pflichten, die jeden Drittschuldner (beispielsweise<br />

auch Banken) treffen.<br />

Anmerkung<br />

Die Entscheidung ist zwar in einem finanzgerichtlichen<br />

Verfahren ergangen, wirft aber keine anderen Fragen als<br />

solche nach der ZPO auf. Sachverhalt und Entscheidungsgründe<br />

wurden ihrem wesentlichen Inhalt nach zusammengefasst.<br />

Entscheidend <strong>für</strong> den Gläubiger ist der Umstand, dass er<br />

nicht die Internet-Domain als solche, sondern die aus<br />

dem Registrierungsvertrag folgenden Ansprüche pfändet.<br />

Formulierungshilfe<br />

Im verbindlich vorgesehenen Formular <strong>für</strong> die Pfändung<br />

und Überweisung von Forderungen und sonstigen Vermögensrechten<br />

ist die Forderungsart „G“ auf S. 3 auszuwählen<br />

und dann auf S. 6 zu ergänzen:<br />

„Gepfändet wird der Anspruch auf Aufrechterhaltung<br />

der Registrierung … als Hauptanspruch aus dem mit<br />

der Drittschuldnerin geschlossenen Registrierungsvertrag<br />

und alle weiteren sich aus dem Vertragsverhältnis<br />

ergebenden Nebenansprüche.“<br />

Wie die Registrierungsstelle richtig sieht, führt die Pfändung<br />

der bezeichneten Ansprüche zunächst <strong>für</strong> den<br />

Nr. 5/<strong>2015</strong> 2<strong>05</strong>


Entscheidungen<br />

<strong>zfm</strong><br />

Schuldner zu Schwierigkeiten. Sie können gerade bei einem<br />

gewerblichen oder freiberuflichen Schuldner geeignet sein,<br />

diesen zu einer gütlichen Einigung zu bewegen oder<br />

überhaupt nur einmal eine Kommunikation zustande zu<br />

bringen.<br />

Ist hier eine <strong>für</strong> den Gläubiger befriedigende Lösung nicht<br />

zu finden, kann eine Verwertung dergestalt erfolgen, dass<br />

die Domain in anderer Art verwertet wird, § 825 ZPO,<br />

nämlich frei versteigert wird. Hierzu steht eine Reihe von<br />

Auktionsplattformen im Internet zur Verfügung.<br />

VRiOLG Frank-Michael Goebel<br />

Kostenrecht<br />

Einfaches Schreiben oder volle<br />

Geschäftsgebühr?<br />

BGB §§ 280, 286; VV RVG Nr. 2300, 2301<br />

Gerät der Schuldner in Zahlungsverzug, ist auch in<br />

rechtlich einfach gelagerten Fällen die Beauftragung<br />

eines Rechtsanwalts zweckmäßig und erforderlich; ein<br />

Mandat zur außergerichtlichen Vertretung muss im<br />

Regelfall nicht auf ein Schreiben einfacher Art beschränkt<br />

werden.<br />

BGH, Urt. v. 17.9.<strong>2015</strong> – IX ZR 280/14<br />

Sachverhalt<br />

Der Kläger verlangt von dem Beklagten aus abgetretenem<br />

Recht seiner Mandantin (Zedentin) die Erstattung von<br />

Rechtsanwaltskosten unter dem Gesichtspunkt des Verzugsschadensersatzes.<br />

Zahlung HF nach RA-Beauftragung<br />

Nachdem der Beklagte der Zedentin die Bezahlung von<br />

Restbeträgen zweier Rechnungen <strong>für</strong> die Reparatur eines<br />

Kraftfahrzeugs vom 7. und 11.3.2011 schuldig geblieben und<br />

auf eine Zahlungsaufforderung sowie eine Mahnung nicht<br />

reagiert hatte, beauftragte die Zedentin den Kläger mit der<br />

außergerichtlichen Wahrnehmung ihrer Interessen. Mit<br />

anwaltlichem Mahnschreiben vom 20.7.2011 forderte der<br />

Kläger den Beklagten zunächst zum Ausgleich der einen<br />

Rechnung nebst einer 1,3-Geschäftsgebühr nach Nr. 2300<br />

VV RVG zuzüglich Auslagenpauschale und Umsatzsteuer<br />

auf. Mit anwaltlichem Mahnschreiben vom 30.8.2011 verlangte<br />

der Kläger Entsprechendes mit Blick auf die andere<br />

Rechnung. Im September 2011 beglich der Beklagte die<br />

Rechnungen der Zedentin, die eingeforderten Rechtsanwaltskosten<br />

zahlte er nicht.<br />

Streit um Rechtsverfolgungskosten<br />

Aus abgetretenem Recht der Zedentin verfolgt der Kläger<br />

die Erstattung der Rechtsanwaltskosten. Das AG hat ihm<br />

zwei 0,3-Geschäftsgebühren nach Nr. 2302 VV RVG a.F.<br />

(= Nr. 2301 VV RVG) nebst Auslagenpauschalen und<br />

Umsatzsteuer <strong>für</strong> jeweils ein Schreiben einfacher Art<br />

zugesprochen und die weitergehende Klage abgewiesen.<br />

Die vom AG zugelassene und auf die Differenz zu zwei 0,8-<br />

Geschäftsgebühren gemäß Nr. 2300 VV RVG zuzüglich<br />

Auslagenpauschalen und Umsatzsteuer beschränkte Berufung<br />

des Klägers hatte keinen Erfolg. Mit seiner vom LG<br />

zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein vorinstanzliches<br />

Begehren weiter.<br />

Entscheidungsgründe<br />

Der aus abgetretenem Recht der Zedentin geltend gemachte<br />

materielle Kostenerstattungsanspruch aus §§ 280<br />

Abs. 2, 286 BGB ist nicht auf die 0,3-Geschäftsgebühr nach<br />

Nr. 2302 VV RVG a.F. (= Nr. 2301 VV RVG) beschränkt.<br />

Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit<br />

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH hat der Schädiger<br />

nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis<br />

adäquat verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen,<br />

sondern nur solche, die aus Sicht des Geschädigten zur<br />

Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig<br />

waren (BGHZ 127, 348; BGH NJW 2004, 444; BGH<br />

NJW 20<strong>05</strong>, 1112; BGH WuM 2010, 740; BGHZ 200, 20).<br />

Maßgeblich ist die Ex-ante-Sicht einer vernünftigen,<br />

wirtschaftlich denkenden Person (BGH NZM 2012, 607).<br />

Dabei sind keine überzogenen Anforderungen zu stellen.<br />

Es kommt darauf an, wie sich die voraussichtliche<br />

Abwicklung des Schadensfalls aus der Sicht des Geschädigten<br />

darstellt.<br />

Verzug als Anspruchsgrundlage<br />

Ein Schadensfall in diesem Sinne liegt auch vor, wenn der<br />

Schuldner einer Entgeltforderung (vgl. BGH NJW 2010,<br />

3226; BGH NJW 2014, 1171) in Zahlungsverzug gerät. Zur<br />

Beitreibung einer solchen Forderung ist dann regelmäßig<br />

selbst in einfach gelagerten Fällen die Beauftragung eines<br />

Rechtsanwalts erforderlich und zweckmäßig. Das seinerseits<br />

Erforderliche tut der Gläubiger dadurch, dass er den<br />

Schuldner in Verzug setzt. Eine weitere Verzögerung der<br />

Erfüllung seiner Forderung muss er nicht hinnehmen.<br />

Vielmehr kann er seinem Erfüllungsverlangen durch Einschaltung<br />

eines Rechtsanwalts Nachdruck verleihen.<br />

Umfassender Auftrag darf erteilt werden<br />

Darf der Gläubiger einer Entgeltforderung die Einschaltung<br />

eines Rechtsanwalts <strong>für</strong> erforderlich und zweckmäßig<br />

206 Nr. 5/<strong>2015</strong>


<strong>zfm</strong><br />

Entscheidungen<br />

halten, muss er einen Auftrag zur außergerichtlichen<br />

Vertretung in der Regel nicht auf ein Schreiben einfacher<br />

Art nach Nr. 2302 VV RVG a.F. (= Nr. 2301 VV RVG)<br />

beschränken.<br />

Insbesondere, wenn der Schuldner nicht reagiert<br />

Gerät der Schuldner in Verzug, ist er zur Zahlung<br />

regelmäßig entweder nicht willens oder nicht in der Lage.<br />

Dies kann <strong>für</strong> den Gläubiger offen zutage treten, wenn<br />

der Schuldner Einwendungen gegen die geltend gemachte<br />

Forderung erhebt oder auf seine Zahlungsunfähigkeit<br />

hinweist. Hingegen bleibt der Grund <strong>für</strong> die<br />

Nichtzahlung <strong>für</strong> den Gläubiger im Dunkeln, wenn der<br />

Schuldner auch auf eine Mahnung nicht reagiert. In jedem<br />

Fall darf der Gläubiger eine rechtliche Beratung <strong>für</strong><br />

erforderlich und zweckmäßig halten, die sich zunächst<br />

mit dem weiteren Vorgehen zu befassen hat. Ist der<br />

Schuldner zahlungsunfähig oder liegt eine ernsthafte und<br />

endgültige Erfüllungsverweigerung vor, können außergerichtliche<br />

Zahlungsaufforderungen durch den Rechtsanwalt<br />

als nicht erfolgversprechend und daher als nicht<br />

zweckmäßig anzusehen sein (BGH VersR 1974, 639, 641 f;<br />

MüKo-BGB/Ernst, 6. Aufl., § 286 Rn 156; Palandt/Grüneberg,<br />

BGB, 74. Aufl., § 286 Rn 45). Dann kommt eine<br />

sofortige Titulierung der Forderung in Betracht. Anders ist<br />

dies, wenn der Schuldner weitere Verhandlungsbereitschaft<br />

zu erkennen gegeben oder bislang gar nicht<br />

reagiert hat. Hier kann sich der Versuch einer außergerichtlichen<br />

Erledigung unter Zuhilfenahme des Rechtsanwalts<br />

anbieten.<br />

Gläubiger ist auf Beratung angewiesen<br />

All dies weiß der Gläubiger grundsätzlich nicht, denn er ist<br />

in der Regel nicht rechtskundig. Die Konsequenzen der<br />

Zahlungsunfähigkeit oder der ernsthaften und endgültigen<br />

Erfüllungsverweigerung kennt er nicht. Er vermag allenfalls<br />

laienhaft zu erkennen, dass der Schuldner nicht zahlen<br />

kann oder will. Konsequenzen <strong>für</strong> Art und Umfang des zu<br />

erteilenden Mandats ließen sich von ihm daraus allenfalls<br />

ziehen, wenn er näheres Wissen über das anwaltliche<br />

Gebührenrecht hätte. Daran fehlt es dem Gläubiger in der<br />

Regel. Er weiß regelmäßig nicht, dass ein Auftrag zur<br />

außergerichtlichen Vertretung auf ein Schreiben einfacher<br />

Art beschränkt werden oder ein Klageauftrag unbedingt<br />

oder bedingt <strong>für</strong> den Fall des Scheiterns der außergerichtlichen<br />

Bemühungen erteilt werden kann (BGH NJW 1968,<br />

2334; OLG Celle JurBüro 2008, 319). Regelmäßig ist der<br />

Gläubiger auf eine Beratung über die Möglichkeiten des<br />

weiteren Vorgehens angewiesen.<br />

Beratung als Gebührenbestandteil<br />

Einen gesonderten Gebührentatbestand <strong>für</strong> eine solche<br />

Zweckmäßigkeitsberatung kennt das RVG nicht. Es setzt<br />

den bereits informierten Mandanten voraus, der sich von<br />

vornherein mit einem bestimmten Auftrag, etwa zur<br />

isolierten Beratung, zur außergerichtlichen oder gerichtlichen<br />

Vertretung an den Rechtsanwalt wendet. Aus dem<br />

Fehlen eines gesonderten Gebührentatbestands darf aber<br />

nicht geschlossen werden, der Rechtsanwalt habe die<br />

Zweckmäßigkeitsberatung kostenlos zu erbringen. Sie ist<br />

Bestandteil sowohl eines unbeschränkten Auftrags zur<br />

außergerichtlichen Vertretung im Sinne der Nr. 2300<br />

VV RVG als auch eines solchen zur gerichtlichen Vertretung,<br />

der die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG<br />

auslöst. Beide Gebühren entstehen <strong>für</strong> das Betreiben des<br />

(jeweiligen) Geschäfts einschließlich der Information<br />

(Vorbemerkung 2.3 Abs. 3 und 3 Abs. 2 VV RVG). Mit<br />

Blick auf die Beratung über die Möglichkeiten eines<br />

weiteren Vorgehens sind sie deckungsgleich. Bis zu deren<br />

Abschluss kann der dem Anwalt erteilte Auftrag ohne<br />

Gebührennachteile <strong>für</strong> den Mandanten geändert werden.<br />

Erfolgt etwa die Zweckmäßigkeitsberatung zunächst<br />

unter dem Gesichtspunkt einer außergerichtlichen Vertretung,<br />

stellt sich dabei aber heraus, dass eine ernsthafte<br />

und endgültige Erfüllungsverweigerung vorliegt und eine<br />

außergerichtliche Geltendmachung durch den Rechtsanwalt<br />

nicht zweckmäßig erscheint, kann der Rechtsanwalt<br />

von dem Gläubiger neben den Gebühren <strong>für</strong> das<br />

ratsame gerichtliche Vorgehen nicht auch eine solche <strong>für</strong><br />

die außergerichtliche Vertretung verlangen.<br />

Verzug als Anspruchsgrundlage<br />

Ist der Auftrag gemäß Nr. 2302 VV RVG a.F. (= Nr. 2301<br />

VV RVG) auf ein Schreiben einfacher Art beschränkt,<br />

umfasst er keine Zweckmäßigkeitsberatung. Aus der Regelungssystematik<br />

der Nr. 2300 ff. VV RVG ergibt sich<br />

allerdings, dass es sich bei der Nr. 2302 VV RVG a.F. nicht<br />

um eine eigenständige Gebühr, sondern um einen Ermäßigungstatbestand<br />

<strong>für</strong> die Geschäftsgebühr nach der<br />

Nr. 2300 VV RVG handelt („Die Gebühr 2300 beträgt …“).<br />

Auch die im Sinne der Nr. 2301 VV RVG ermäßigte Gebühr<br />

entsteht daher <strong>für</strong> das Betreiben des Geschäfts einschließlich<br />

der Information (Vorbemerkung 2.3 Abs. 3 VV RVG).<br />

Dies zeigt, dass der Rechtsanwalt auch das Schreiben<br />

einfacher Art nicht ungeprüft versenden darf. Er muss<br />

vielmehr prüfen, ob nach der ihm geschilderten Sachlage<br />

ein solches Schreiben rechtlich in Betracht kommt (BGH<br />

NJW 1983, 2451). Wegen der niedrigen Gebühr in Höhe von<br />

0,3 hat es damit aber sein Bewenden. Der Rechtsanwalt<br />

muss nicht beurteilen, ob ein Schreiben einfacher Art zur<br />

Wahrnehmung der Rechte des Gläubigers ausreichend und<br />

zweckmäßig ist. Will der Mandant in der Angelegenheit<br />

umfassend vertreten werden, geht die Verantwortung des<br />

Anwalts und damit auch der Umfang der von ihm zu<br />

entfaltenden Tätigkeit weiter, mag es nach außen auch bei<br />

einem einfachen Schreiben sein Bewenden haben. Dann<br />

kommt Nr. 2302 VV RVG a.F. (= Nr. 2301 VV RVG) nicht zur<br />

Anwendung (BT-Drucks 15/1971, S. 207 zu Nr. 2402-E).<br />

Nr. 5/<strong>2015</strong> 207


Entscheidungen<br />

<strong>zfm</strong><br />

Erstreckung auf erfahrenen Gläubiger<br />

Auch wenn der Gläubiger ausnahmsweise nicht auf eine<br />

Beratung über die Möglichkeiten des weiteren Vorgehens<br />

angewiesen ist, weil er selbst über entsprechende Kenntnisse<br />

verfügt und diese auf den konkreten Fall anzuwenden<br />

weiß, ist die Erstattungsfähigkeit der Kosten <strong>für</strong> eine<br />

außergerichtliche Vertretung durch einen Rechtsanwalt<br />

regelmäßig nicht auf eine Gebühr nach Nr. 2302 VV RVG a.<br />

F. (= Nr. 2301 VV RVG) beschränkt.<br />

Erstreckung auf den Massengläubiger<br />

Die nunmehr in Nr. 2300 VV RVG geregelte einheitliche<br />

Geschäftsgebühr ist an die Stelle des § 118 BRAGO<br />

getreten, soweit dieser <strong>für</strong> die außergerichtliche Vertretung<br />

anwendbar war (BT-Drucks 15/1971, S. 206 zu<br />

Nr. 2400-E). Der weite Gebührenrahmen von 0,5 bis<br />

2,5 soll das Betreiben des Geschäfts einschließlich der<br />

Information und der Teilnahme an Besprechungen sowie<br />

das Mitwirken bei der Gestaltung eines Vertrags abgelten<br />

und dadurch die außergerichtliche Erledigung einer<br />

Angelegenheit fördern (BT-Drucks 15/1971, S. 207). Die<br />

Beauftragung eines Rechtsanwalts zur außergerichtlichen<br />

Vertretung im Sinne der Nr. 2300 VV RVG soll schnelle<br />

und einverständliche Regelungen ohne Einschaltung der<br />

Gerichte ermöglichen. Sie ist daher zweckmäßig, wenn<br />

der Versuch einer außergerichtlichen Beitreibung nicht<br />

schon von vornherein ausscheidet, wie etwa im Falle<br />

einer ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung<br />

(BGH VersR 1974, 639, 641 f.; MüKo-BGB/Ernst,<br />

6. Aufl., § 286 Rn 156; Palandt/Grüneberg, BGB, 74. Aufl.,<br />

§ 286 Rn 45).<br />

Dann ist die Beauftragung zur außergerichtlichen Vertretung<br />

aus der maßgeblichen Ex-ante-Sicht einer vernünftigen,<br />

wirtschaftlich denkenden Person regelmäßig<br />

auch erforderlich, weil der Gläubiger bei Auftragserteilung<br />

nicht absehen kann, wie sich der Schuldner verhalten wird.<br />

Dies gilt insbesondere dann, wenn dieser auf Mahnungen<br />

des Gläubigers nicht reagiert hat. Der Gläubiger ist deshalb<br />

grundsätzlich nicht gehalten, seinen Auftrag zunächst auf<br />

ein Schreiben einfacher Art zu beschränken und diesen im<br />

Bedarfsfall zu erweitern. Der Schuldner ist über den<br />

weiten Gebührenrahmen der Nr. 2300 VV RVG, der am<br />

unteren Ende nah an die 0,3-Gebühr der Nr. 2302 VV RVG<br />

a.F. heranreicht, ausreichend geschützt. Er allein hat es in<br />

der Hand, sich vertragstreu zu verhalten und auf diese<br />

Weise den materiellen Kostenerstattungsanspruch des<br />

Gläubigers gar nicht erst zur Entstehung gelangen zu<br />

lassen.<br />

Gütliche Einigung im Fokus<br />

Nach diesen Grundsätzen kommt eine Beschränkung des<br />

aus abgetretenem Recht geltend gemachten materiellen<br />

Kostenerstattungsanspruchs nicht in Betracht. Der Beklagte<br />

hatte auf mehrere Zahlungsaufforderungen nicht<br />

reagiert und befand sich mit der Begleichung zweier<br />

Rechnungen <strong>für</strong> die Reparatur eines Kraftfahrzeugs im<br />

Zahlungsverzug, als die Zedentin den Kläger mit der<br />

außergerichtlichen Wahrnehmung ihrer Interessen beauftragte.<br />

Dass sie hierbei auf eine Beratung über sinnvolle<br />

Möglichkeiten des weiteren Vorgehens nicht angewiesen<br />

und nur ein im Sinne der Nr. 2302 VV RVG a.F.<br />

beschränkter Auftrag zweckmäßig und erforderlich war,<br />

ist weder festgestellt noch sonst ersichtlich.<br />

BGH verweist die Sache zurück<br />

Das angefochtene Urteil kann folglich keinen Bestand<br />

haben, soweit die Berufung des Klägers zurückgewiesen<br />

worden ist. In diesem Umfang ist es aufzuheben (§ 562<br />

Abs. 1 ZPO) und die Sache an das Berufungsgericht<br />

zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Für das<br />

weitere Verfahren weist der Senat auf folgende Gesichtspunkte<br />

hin:<br />

Welcher Auftrag wurde wirklich erteilt?<br />

Dass die Zedentin eine unbeschränkte Beauftragung des<br />

Klägers zu ihrer außergerichtlichen Vertretung <strong>für</strong> zweckmäßig<br />

und erforderlich halten durfte, begründet den<br />

materiellen Kostenerstattungsanspruch noch nicht. Ein<br />

solcher Auftrag müsste auch erteilt worden sein. Hierzu<br />

fehlt es bislang an Feststellungen. Der Inhalt des Auftrags<br />

bestimmt auch, ob der Kläger von der Zedentin zwei<br />

Geschäftsgebühren gemäß Nr. 2300 VV RVG verlangen<br />

konnte. Dies wäre der Fall, wenn es sich um zwei<br />

Angelegenheiten im gebührenrechtlichen Sinne handelte<br />

(BGH NJW 1995, 1431; BGH WM 2004, 1792).<br />

Zusammenrechnung war geboten!<br />

Sollte aus dem Innenverhältnis zwischen dem Kläger und<br />

der Zedentin auf zwei Angelegenheiten im Sinne des § 15<br />

RVG zu schließen sein, stellte sich im Verhältnis zum<br />

Beklagten die Frage der Erstattungsfähigkeit. Die beiden<br />

Rechnungen, mit deren Ausgleich sich der Beklagte im<br />

Verzug befand, betrafen Reparaturarbeiten <strong>für</strong> ein und<br />

dasselbe Kraftfahrzeug, die im Abstand von nur vier Tagen<br />

erstellt wurden. Die Forderungen, die der Kläger außergerichtlich<br />

geltend gemacht hat, könnten daher aus einem<br />

einheitlichen Lebensvorgang erwachsen sein. Gegebenenfalls<br />

hätte die Zedentin die Aufspaltung der Forderungen<br />

in zwei Angelegenheiten im gebührenrechtlichen<br />

Sinne ohne einen sachlichen Grund kaum <strong>für</strong> zweckmäßig<br />

und erforderlich halten dürfen. Hätte sie die Forderungen<br />

in getrennten Prozessen verfolgt, wäre ein Antrag<br />

auf Festsetzung dadurch entstandener Mehrkosten als<br />

rechtsmissbräuchlich anzusehen (BGH MDR 2012, 1314;<br />

BGH MDR 2013, 247).<br />

208 Nr. 5/<strong>2015</strong>


<strong>zfm</strong><br />

Entscheidungen<br />

Rahmengebühr und Ermessensausübung<br />

Die Höhe der Gebühr nach der Nr. 2300 VV RVG bemisst<br />

sich nach § 14 Abs. 1 RVG. Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG<br />

bestimmt bei Rahmengebühren der Rechtsanwalt die<br />

Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände<br />

nach billigem Ermessen. Mit Blick auf die Rahmengebühr<br />

nach Nr. 2300 VV RVG besteht das aus § 14<br />

Abs. 1 RVG folgende Bestimmungsrecht des Rechtsanwalts<br />

nicht unbeschränkt. Eine Gebühr von mehr als<br />

1,3 kann er nur fordern, wenn die Tätigkeit umfangreich<br />

oder schwierig war. Dies ist von dem Rechtsanwalt<br />

darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen. Erst<br />

dann besteht das Bestimmungsrecht unter Ausschöpfung<br />

des ganzen Gebührenrahmens, dessen Ausübung einer<br />

vollen gerichtlichen Nachprüfung entzogen ist (vgl. BGH<br />

NJW 2012, 2813). Ist die Gebühr von einem Dritten zu<br />

ersetzen, trägt die Darlegungs- und Beweislast <strong>für</strong> die<br />

Unbilligkeit der getroffenen Bestimmung gemäß § 14<br />

Abs. 1 Satz 4 RVG der ersatzpflichtige Dritte (BGH ASR<br />

2011, 211).<br />

Bestimmungsrecht beim Rechtsanwalt<br />

Die Regelung entspricht § 12 Abs. 1 Satz 2 BRAGO.<br />

Ursprünglich sah § 12 BRAGO ein Bestimmungsrecht des<br />

Rechtsanwalts nicht ausdrücklich vor. Daraus wurde<br />

geschlossen, die Gebühr entstehe kraft Gesetzes, ohne<br />

dass es dazu einer Bestimmungshandlung bedürfe, und<br />

sei gerichtlich voll nachprüfbar (Riedel/Sußbauer/Fraunholz,<br />

BRAGO, 7. Aufl., § 12 Rn 2). Mit Gesetz zur Änderung<br />

des GKG, des GVKostG, der BRAGO und anderer Vorschriften<br />

vom 20.8.1975 (BGBl I, S. 2189) wurde klargestellt,<br />

dass bei Rahmengebühren die im Einzelfall<br />

geschuldete Gebühr vom Rechtsanwalt zu bestimmen<br />

ist. Dies sollte bewirken, dass zahlreiche Meinungsverschiedenheiten<br />

über oft nur geringfügige Beträge nicht<br />

entstehen können (BT-Drucks 7/3243, S. 8). Im Verhältnis<br />

zum Mandanten war eine gerichtliche Überprüfung der<br />

von dem Rechtsanwalt vorgenommenen Bestimmung<br />

der Gebühr nunmehr im Sinne des § 315 Abs. 3 BGB<br />

beschränkt. Mit der Erwähnung des ersatzpflichtigen<br />

Dritten in § 12 Abs. 1 Satz 2 BRAGO wurde hervorgehoben,<br />

dass dieser ein selbstständiges Rügerecht gegenüber<br />

unbilligen Gebührenbestimmungen hat (Riedel/Sußbauer/Fraunholz,<br />

BRAGO, 7. Aufl., § 12 Rn 6).<br />

Sekundäre Darlegungslast<br />

Der auf Ersatz in Anspruch genommene Dritte muss auch<br />

im Anwendungsbereich des RVG die Unbilligkeit der Gebührenhöhe<br />

geltend machen. Dass er die Tatsachen, aus<br />

denen die Unbilligkeit folgt, darlegen und beweisen muss,<br />

ergibt sich nunmehr aus der Formulierung von § 14 Abs. 1<br />

Satz 4 RVG („ …nicht verbindlich, wenn …“). Dabei ist<br />

allerdings zu berücksichtigen, dass dem Dritten die <strong>für</strong> die<br />

Bestimmung der Gebühr maßgeblichen Umstände häufig<br />

nicht vollständig zur Kenntnis gelangen. Selbst der Umfang<br />

der anwaltlichen Tätigkeit wird ihm regelmäßig nur<br />

insoweit bekannt, als diese nach außen gerichtet ist.<br />

Seinen Gegner trifft daher eine sekundäre Darlegungslast.<br />

Diese entsteht allerdings erst dann, wenn der Dritte die<br />

Unbilligkeit der getroffenen Bestimmung geltend gemacht<br />

und den ihm möglichen Tatsachenvortrag gehalten hat.<br />

Übertragung auf Verzugsansprüche<br />

Diese Grundsätze gelten auch <strong>für</strong> den materiellen Kostenerstattungsanspruch.<br />

Der Wortlaut des § 14 Abs. 1 Satz 4<br />

RVG unterscheidet nicht zwischen dem prozessualen und<br />

einem materiellen Kostenerstattungsanspruch. Insbesondere<br />

setzt er keine gerichtliche Kostengrundentscheidung<br />

voraus. Für eine Differenzierung ist auch sonst kein Grund<br />

ersichtlich. Das mit dem anwaltlichen Bestimmungsrecht<br />

und der aus diesem – auch gegenüber ersatzpflichtigen<br />

Dritten – folgenden eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung<br />

verfolgte Ziel der Vermeidung von Streitigkeiten<br />

über geringfügige Beträge ist auch im Rechtsstreit über<br />

einen materiellen Kostenerstattungsanspruch beachtenswert<br />

(BGH NJW 2011, 1603 Rn 15, 18; Jungbauer, in: Bischof/<br />

Jungbauer/Bräuer/Curkovic/Klipstein/Klüsener/Uher, RVG,<br />

6. Aufl., § 14 Rn 126). Aus dem Umstand, dass der V.<br />

Zivilsenat die Regelung auf den prozessualen Kostenerstattungsanspruch<br />

angewandt hat (ASR 2011, 211), lässt sich<br />

kein Gegenschluss <strong>für</strong> materielle Kostenerstattungsansprüche<br />

ziehen. Der X. Zivilsenat hat mitgeteilt, dass er<br />

an seiner gegenteiligen Ansicht mit Urt. v. 13.11.2013 (X ZR<br />

171/12, GRUR 2014, 206) nicht festhält.<br />

Anmerkung<br />

Der BGH hebt mit seinem Urteil eine Entscheidung des LG<br />

Hamburg (v. 12.11.14 – 332 S 11/14) auf, welche gleichwohl in<br />

der Praxis noch vielfach von Schuldnern und ihren Bevollmächtigten<br />

sowie Schuldnerberatungen zitiert wird. Der<br />

Gläubiger und sein Rechtsdienstleister müssen sich hierauf<br />

nicht einlassen. Der Gläubiger – Verbraucher wie Unternehmer<br />

– darf grundsätzlich vorbehaltlich von Ausnahmekonstellationen<br />

nach der unbeantworteten Gläubigermahnung<br />

umfassend einen Rechtsdienstleister beauftragen.<br />

Die Ausführungen des BGH betreffen unmittelbar das<br />

anwaltliche Gebührenrecht, finden über § 4 Abs. 5 RDGEG<br />

aber auch bei der Beurteilung der Erstattungsfähigkeit von<br />

Inkassokosten Anwendung. Gerade hier wird immer<br />

wieder eingewandt, dass Inkassounternehmen jedenfalls<br />

vorgerichtlich nur einfache Schreiben versenden. Das<br />

verkennt, dass nicht auf den Inhalt des Schreibens abgestellt<br />

werden darf, sondern auf die ihm vorausgehende<br />

Tätigkeit (hierzu umfassend: Goebel, 0,3- oder 1,3-Geschäftsgebühr<br />

<strong>für</strong> Inkassounternehmen bei der Erstmahnung?<br />

Ein Beitrag zur Irrtumsvermeidung, <strong>zfm</strong> <strong>2015</strong>, 22).<br />

Nr. 5/<strong>2015</strong> 209


Entscheidungen<br />

<strong>zfm</strong><br />

Die Entscheidung des BGH ist kein Freibrief, um stets<br />

in Forderungsbeitreibungsmandaten von der Geschäftsgebühr<br />

zumindest in Höhe der Schwellengebühr auszugehen.<br />

Entscheidend ist, welche Tätigkeit tatsächlich dem Mahnschreiben<br />

zugrunde lag. Die Entscheidung des BGH geht in<br />

Bezug auf den Auftraggeber und Mandant des Rechtsdienstleisters<br />

nämlich von dem einfachen Bürger oder dem<br />

nicht rechtlich gebildeten und beratenen Unternehmer<br />

aus. Die Entscheidung kann also durchaus anders ausfallen,<br />

wenn der Gläubiger in der Lage ist zu beurteilen, ob und<br />

wann ein einfaches Mahnschreiben ausreichend ist. Auch<br />

in diesen Fällen wird allerdings im Sinne einer Vermutung<br />

davon auszugehen sein, dass ein umfassender Auftrag<br />

erteilt werden darf, weil dem kurz gefassten Mahnschreiben<br />

weitere Tätigkeiten vorauszugehen haben.<br />

So wird regelmäßig in Konstellationen – wie hier –, in<br />

denen der Schuldner keinerlei Reaktion auf die Gläubigermahnung<br />

zeigt, eine Adressverifizierung durchzuführen<br />

sein. Auch kann die fehlende Reaktion darauf zurückzuführen<br />

sein, dass der Schuldner sich bereits in der<br />

Insolvenz befindet, was gleichfalls zu prüfen ist. Daran<br />

schließt sich regelmäßig eine Bonitätsprüfung, je nach<br />

Forderungshöhe auch eine Einkommens- und Vermögensermittlung<br />

an. All dies begründet, dass es sich<br />

auch bei einem kurz gefassten Mahnschreiben eines<br />

Rechtsdienstleisters nicht um ein einfaches Schreiben im<br />

Sinne der Nr. 2301 VV RVG handelt.<br />

Keine Einigungsgebühr bei (auch<br />

bedingt) kombinierten Anträgen<br />

ZPO § 802b; KVGvKostG Nr. 207<br />

Aus dem Sinn und Zweck der Regelung wie der Gesetzeshistorie<br />

ergibt sich, dass die Beauftragung der Abnahme<br />

der Vermögensauskunft oder der Sachpfändung genügt,<br />

um den selbstständigen Gebührenanspruch <strong>für</strong> die<br />

gütliche Einigung nach § 802b ZPO im Sinne der Anm.<br />

zu Nr. 207 KVGvKostG entfallen zu lassen. Der Wortlaut<br />

der Norm steht dem nicht entgegen.<br />

OLG Koblenz, Beschl. v. 16.11.<strong>2015</strong> – 14 W 701/15<br />

Sachverhalt<br />

Die Gläubigerin betreibt gegen den Schuldner die<br />

Zwangsvollstreckung und beantragte die Abnahme der<br />

Vermögensauskunft wegen der zu diesem Zeitpunkt in<br />

Höhe von 429,07 EUR begründeten Gesamtforderung<br />

nach § 802c ZPO. Sie beantragte zugleich, alle Zustellung<br />

durch die Post vorzunehmen, und erklärte sich mit einer<br />

Zahlungsvereinbarung einverstanden, sofern die Tilgung<br />

binnen zwölf Monaten abgeschlossen sein sollte. Die<br />

Protokollierung und Übersendung des Zahlungsplans<br />

wurde erbeten.<br />

Die Entscheidung hat eine über den Streitgegenstand<br />

hinausgehende Bedeutung, die einer gläubigerabgewandten<br />

Rechtsprechung ebenfalls die Grundlage entzieht. Der BGH<br />

ist nämlich nicht der vertretenen Auffassung gefolgt, dass<br />

die vorgerichtliche Beauftragung schon deshalb unzulässig<br />

ist, weil der Schuldner überhaupt nicht reagiert hat und<br />

deshalb – vermeintlich – sofort eine Titulierung erfolgen<br />

müsse. Der BGH begründet gut, dass allein die Einschaltung<br />

eines Rechtsdienstleisters dazu führen kann, dass vorgerichtlich<br />

(noch) eine gütliche Einigung erreicht werden<br />

kann. Die Praxis zeigt jeden Tag, dass der Übergang vom<br />

Gläubiger auf den Rechtsdienstleister ein Kommunikationsund<br />

Zahlungsverhalten auslösen kann (siehe auch hier den<br />

konkreten Fall), das dann eine gerichtliche Auseinandersetzung<br />

vermeidet. Allein diese Möglichkeit fordert es, den<br />

Versuch der vorgerichtlichen Einigung in jedem Fall zu<br />

suchen, in dem er nicht sicher ausgeschlossen ist.<br />

Es ist dem BGH da<strong>für</strong> zu danken, dass er dies in aller<br />

Deutlichkeit und einer <strong>für</strong> die Instanzgerichte grundsätzlich<br />

bindenden Form feststellt.<br />

VRiOLG Frank-Michael Goebel<br />

Vermögensauskunft mit gütlicher Erledigung<br />

abgerechnet<br />

Die gütliche Einigung misslang, die Vermögensauskunft<br />

wurde abgenommen. Der Gerichtsvollzieher hat neben<br />

der Gebühr <strong>für</strong> die Abnahme der Vermögensauskunft<br />

(Nr. 260 KVGvKostG) und einer Gebühr <strong>für</strong> die persönliche<br />

Zustellung (Nr. 100 KVGvKostG) nebst Wegegeld von<br />

3,25 EUR (Nr. 711 KVGvKostG) und Auslagenpauschale<br />

(Nr. 716 KVGvKostG) auch die Gebühr <strong>für</strong> den Versuch<br />

einer gütlichen Einigung nach Nr. 207 KVGvKostG nebst<br />

Auslagen erhoben.<br />

Rechtsmittel gegen Einigungsgebühr<br />

Die Gläubigerin wendet sich gegen den Ansatz der<br />

Einigungsgebühr nach Nr. 207 KVGvKostG mit einer so<br />

bezeichneten Erinnerung nach § 766 Abs. 2 ZPO, beantragte<br />

aber gleichwohl die Zulassung der Beschwerde.<br />

Während das Amtsgericht die Erinnerung zurückwies, gab<br />

das Landgericht ihr auf die Beschwerde nach Anhörung<br />

des Bezirksrevisors als Vertreter der Staatskasse statt. Die<br />

Möglichkeit der zugelassenen weiteren Beschwerde<br />

nutzte der Bezirksrevisor.<br />

210 Nr. 5/<strong>2015</strong>


<strong>zfm</strong><br />

Entscheidungen<br />

Entscheidungsgründe<br />

Die nach § 5 Abs. 2 Satz 2 GvKostG i.V.m. § 66 Abs. 4 Satz 1<br />

GKG zulässige weitere Beschwerde ist unbegründet. Das<br />

Landgericht hat jedenfalls im Ergebnis zu Recht entschieden,<br />

dass dem Gerichtsvollzieher die Gebühr nach Nr. 207<br />

KVGvKostG nebst den hierauf bezogenen Auslagen nicht<br />

zusteht. Darüber hinaus stehen dem Gerichtsvollzieher<br />

auch die Gebühren und hierauf bezogenen Auslagen <strong>für</strong> die<br />

persönliche Zustellung nicht zu, soweit sie die Vergütung<br />

<strong>für</strong> die postalische Zustellung überschreiten (Senat v.<br />

20.10.<strong>2015</strong> – 14 W 675/15), was von Amts wegen zu<br />

berücksichtigen war.<br />

Rechtsanwalt wählt falsches Rechtsmittel<br />

Das Rechtsmittel der Gläubigerin war – wie es das<br />

Amtsgericht und Landgericht zutreffend, jedoch ohne<br />

nähere Ausführungen getan haben – als Kostenansatzerinnerung<br />

nach § 5 Abs. 2 GvKostG i.V.m. § 66 GKG<br />

auszulegen. Die Bezeichnung als Erinnerung nach § 766<br />

ZPO ist insoweit unschädlich. Ziel der Gläubigerin, die eine<br />

Vielzahl von Vollstreckungsverfahren betreibt, war es<br />

erkennbar, eine rechtsgrundsätzliche Entscheidung herbeizuführen.<br />

Insoweit wurde auch die Zulassung der Beschwerde,<br />

nicht aber der sofortigen Beschwerde beantragt.<br />

Gegen eine Erinnerung nach § 766 ZPO wäre eine<br />

sofortige Beschwerde wegen der Rechtsmittelsperre des<br />

§ 567 Abs. 2 ZPO nicht möglich gewesen. Ein Rechtsschutzbegehren<br />

ist jedoch stets so auszulegen, dass der<br />

Rechtsmittelführer sein Ziel auf zulässigem Wege erreichen<br />

kann (BVerfG 1993, 1380).<br />

Kostenansatz unberechtigt<br />

Der Kostenansatz des Gerichtsvollziehers rechtfertigt sich<br />

weder aus Nr. 207 KVGvKostG i.V.m. der Anmerkung, dass<br />

die Gläubigerin lediglich die Abnahme der Vermögensauskunft<br />

und nicht zugleich auch die Sachpfändung beauftragt<br />

hat, noch daraus, dass die Gläubigerin einen – wie der<br />

Gerichtsvollzieher meint – (verdeckten) isolierten Auftrag<br />

zum Versuch der gütlichen Erledigung gestellt hatte.<br />

Der Gerichtsvollzieher hat den Versuch einer gütlichen<br />

Erledigung nach seiner Stellungnahme unternommen, was<br />

grundsätzlich die Gebühr nach Nr. 207 KVGvKostG auslösen<br />

kann, wenn nicht die gütliche Erledigung gleichzeitig „mit<br />

einer auf eine Maßnahme nach § 802a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und<br />

Nr. 4 ZPO gerichteten Amtshandlung beauftragt“ worden ist.<br />

Kombinierter Auftrag privilegiert<br />

Der Senat schließt sich der Auffassung der Oberlandesgerichte<br />

Köln (v. 11.6.2014 – 17 W 66/14, 17 W 66/14, JurBüro<br />

2014, 549), Stuttgart (v. 4.2.<strong>2015</strong> – 8 W 458/14, JurBüro<br />

<strong>2015</strong>, 326) und Karlsruhe (25.8.<strong>2015</strong> – 11 W 3/15, DGVZ <strong>2015</strong>,<br />

208) an, wonach sich aus dem Sinn und Zweck der<br />

Regelung wie der Gesetzeshistorie ergibt, dass die Beauftragung<br />

der Abnahme der Vermögensauskunft oder der<br />

Sachpfändung genügt, um den selbstständigen Gebührenanspruch<br />

entfallen zu lassen.<br />

Wortlaut ist nicht eindeutig<br />

Dem steht der Wortlaut der Vorschrift („und“) nicht entgegen,<br />

da er im Gesamtkontext zu lesen und zu verstehen<br />

ist. Die sprachliche Fassung der Anmerkungen ist nicht<br />

eindeutig. Einerseits werden die Abnahme der Vermögensauskunft<br />

und die Sachpfändung kumulativ durch den Begriff<br />

„und“ verbunden. Andererseits wird aber auch von einer<br />

„Maßnahme“ bzw. „Amtshandlung“ gesprochen, mit der der<br />

Gerichtsvollzieher beauftragt ist. Der verwendete Singular<br />

löst die durch das „und“ hergestellte Verknüpfung (so im<br />

Ergebnis auch OLG Stuttgart a.a.O.). Das begründet in der<br />

Auslegung der Norm die Notwendigkeit, neben dem systematischen<br />

Zusammenhang nach der Intention des Gesetzgebers<br />

<strong>für</strong> die Regelung zu fragen.<br />

Historie: Gesetzgeber wollte nichts ändern<br />

Sie ist vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung zu<br />

betrachten, wie sie dann in dem vom Gesetzgeber verfolgten<br />

Zweck ihren Niederschlag gefunden hat. Vor der<br />

Reform der Sachaufklärung war der Versuch der gütlichen<br />

Erledigung nicht selbstständig zu beauftragen. Vielmehr war<br />

er über die §§ 806b, 813a und b ZPO a.F. untrennbar mit der<br />

Sachpfändung bzw. über § 900 Abs. 3 ZPO a.F. mit dem<br />

Offenbarungsverfahren verbunden. In diesen Fällen erhielt<br />

der Gerichtsvollzieher bei einer gütlichen Erledigung der<br />

Vollstreckungssache keine eigenständige Gebühr, sondern<br />

rechnete nach dem Regime der primär beauftragten Sachpfändung<br />

und/oder Abnahme der eidesstattlichen Versicherung<br />

im Offenbarungsverfahren ab. Vor dem 1.1.2013 war<br />

darüber hinaus die fruchtlose Sachpfändung zwingende<br />

Voraussetzung <strong>für</strong> die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung<br />

nach §§ 807, 899 ff. ZPO a.F. Der Standardantrag<br />

der Gläubiger lautete deshalb auf die Beauftragung der<br />

Sachpfändung und anschließende Abnahme der Vermögensauskunft.<br />

Dieses Verhältnis der Aufträge untereinander<br />

hat der Gesetzgeber erst mit der Herstellung der<br />

Selbstständigkeit jeder Regelbefugnis des Gerichtsvollziehers<br />

in § 802a Abs. 2 ZPO aufgelöst. Das legt nahe, dass der<br />

Gesetzgeber bei seinen missverständlichen Formulierungen<br />

noch diesen kombinierten Antrag vor Augen hatte, ohne ihn<br />

kostenprivilegierend <strong>für</strong> die Zukunft festschreiben zu wollen.<br />

Ziel des Gesetzgebers<br />

Vor diesem Hintergrund der früheren gesetzlichen Regelung<br />

ist die Aussage des Gesetzgebers zu lesen (BT-Drucks<br />

10/10069, S. 48), dass er keinen neuen Gebührentatbestand<br />

schaffen wollte, sondern es lediglich zu vermeiden galt,<br />

dass der Gerichtsvollzieher bei einer – nunmehr nach<br />

§ 802a Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 802b ZPO möglichen – isolierten<br />

Nr. 5/<strong>2015</strong> 211


Entscheidungen<br />

<strong>zfm</strong><br />

Beauftragung der gütlichen Erledigung ohne Gebühren<br />

bleibt. Es darf als mangelnde gesetzgeberische Präzision<br />

angesehen werden, dass die Formulierung „und“ wegen<br />

der früheren zwingenden Verknüpfung von Sachpfändung<br />

und Offenbarungsverfahren verwandt wurde. Der Gerichtsvollzieher<br />

erhält seinen Gesamtaufwand vergütet,<br />

wenn er entweder mit der Abnahme der Vermögensauskunft<br />

oder mit der Vornahme der Sachpfändung<br />

beauftragt wird. In diesen Konstellationen sollte an der<br />

früheren Rechtslage nichts geändert werden, dass nämlich<br />

der Versuch der gütlichen Erledigung im Zusammenhang<br />

mit einer anderen gebührenpflichtigen Tätigkeit ohne<br />

gesonderte Vergütung des Gerichtsvollziehers bleibt.<br />

Art der Auftragserteilung unerheblich<br />

Anders als das Landgericht meint, kommt es <strong>für</strong> die Frage<br />

der Vergütungspflicht des Versuchs der gütlichen Erledigung<br />

deshalb auch nicht darauf an, ob die gütliche<br />

Erledigung ausdrücklich beauftragt oder ihr nur nicht<br />

widersprochen wurde. Allein maßgebend ist, ob sie isoliert<br />

beauftragt wurde. Dabei hat das OLG Köln (v. 11.6.2014 – 17<br />

W 66/14, DGVZ 2014, 199) schon festgestellt, dass selbst ein<br />

bedingter Auftrag, zunächst die gütliche Erledigung zu<br />

versuchen und erst bei deren Scheitern die Sachpfändung<br />

oder die Abnahme der Vermögensauskunft anzuschließen,<br />

keinen isolierten Auftrag begründet. Die Bedingtheit ergibt<br />

sich nach Ansicht des erkennenden Senates nämlich schon<br />

aus § 802b Abs. 1 ZPO, wonach der Gerichtsvollzieher in<br />

jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Einigung<br />

bedacht sein soll, und dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz,<br />

der zunächst die Vornahme der<br />

milderen Handlung vor dem stärkeren Eingriff verlangt.<br />

Auch aus § 3 Abs. 2 GvKostG i.V.m. Nr. 2 Abs. 2 der DB-<br />

GvKostG kann nichts anderes hergeleitet werden. Hieraus<br />

ergibt sich lediglich, dass die Bedingung dazu führt, dass<br />

ein (weiterer) Auftrag erst zur Ausführung kommen darf,<br />

wenn die Bedingung eingetreten ist. Das sagt nichts darüber<br />

aus, welche Kostenfolgen daran anknüpfen und stellt schon<br />

im Hinblick auf § 802b Abs. 1 ZPO die Gleichzeitigkeit der<br />

Beauftragung nicht in Frage (OLG Köln a.a.O.). Im vorliegenden<br />

Fall wurde aber nicht einmal ein ausdrücklicher<br />

oder ein bedingter Auftrag gestellt. Vielmehr hat die<br />

Gläubigerin der gütlichen Erledigung nur nicht widersprochen.<br />

Selbst wenn aus den Ausführungen zu den Rahmenbedingungen<br />

einer gütlichen Einigung ein konkludenter<br />

Auftrag zum Versuch der gütlichen Einigung hergeleitet<br />

werden sollte, wäre er jedenfalls gleichzeitig gestellt.<br />

Ausnahme und Regel<br />

Dem Verständnis des Senates von Nr. 207 KVGvKostG<br />

stehen auch nicht die höchstrichterlich normierten Grundsätze<br />

<strong>für</strong> die Auslegung eines Ausnahmetatbestandes<br />

entgegen (BGH NJW1985, 2526), wie das OLG Düsseldorf<br />

(v. 27.3.2014 – 10 W 33/14, JurBüro 2014, 441 und v. 3.3.<strong>2015</strong><br />

– 10 W 25/15; ebenso LG Baden-Baden v. 2.9.2014 – 2 T 44/<br />

14 und LG Heilbronn v. 28.11.2014 – 1 T 431/14) meint. Es<br />

verkennt, dass die Anmerkung zu Nr. 207 KVGvKostG in der<br />

gesetzgeberischen Intention (BT-Drucks 16/10069, S. 48)<br />

gerade keine Ausnahme darstellt, die eng auszulegen ist.<br />

Umgekehrt stellt es vielmehr den Ausnahmefall dar, dass<br />

der Gerichtsvollzieher <strong>für</strong> die gütliche Erledigung eine<br />

eigenständige Gebühr erhalten soll. Ziel des Gesetzgebers<br />

war es zu vermeiden, dass der Gerichtsvollzieher bei einem<br />

erfolgreichen Versuch einer gütlichen Erledigung ohne jede<br />

Vergütung bleibt. Dieses Ziel ist aber schon dann erreicht,<br />

wenn mit der kraft Gesetzes beauftragten gütlichen<br />

Erledigung (§ 802a Abs. 2 Satz 2 ZPO) die Abnahme der<br />

Vermögensauskunft oder die Sachpfändung beauftragt<br />

wird, wie es der verwendete Wortlaut mit „einer Maßnahme“<br />

oder „Amtshandlung“ ausdrückt. Es stellt also die<br />

Regel dar, dass der Gerichtsvollzieher in Kombination mit<br />

anderen Vollstreckungsakten keine gesonderte Gebühr <strong>für</strong><br />

die gütliche Erledigung erhält. Der Verweis auf die enge<br />

Auslegung von Ausnahmetatbeständen geht deshalb fehl.<br />

Weitere Mängel der Gebührenrechnung<br />

Rechtswidrig war auch die Erhebung der Gebühren <strong>für</strong> die<br />

persönliche Zustellung. Die Gläubigerin hatte ausdrücklich<br />

die postalische Zustellung beauftragt. Gründe, die im<br />

konkreten Einzelfall ein Abweichen von dieser Weisung<br />

(§ 754 ZPO; §§ 31 Abs. 2, 58 Abs. 2 GVGA) sowie von der<br />

gesetzlichen Grundregelung in § 802a Abs. 1 ZPO rechtfertigen,<br />

sind weder vorgetragen noch aus dem Inhalt<br />

ersichtlich. Insoweit war die Ausführung der persönlichen<br />

Zustellung jedenfalls ermessensfehlerhaft (hierzu ausführlich<br />

Senat v. 20.10.<strong>2015</strong> – 14 W 675/15). Ausweislich seiner<br />

Stellungnahme hat der Gerichtsvollzieher anlässlich der<br />

persönlichen Zustellung der Ladung nicht einmal den<br />

Versuch unternommen, eine gütliche Erledigung in diesem<br />

Zeitpunkt zur Vermeidung der Abnahme der Vermögensauskunft<br />

zu erreichen. Die über die Kosten der postalischen<br />

Zustellung hinausgehenden Gebühren und Auslagen sind<br />

mithin zu erstatten. Dies war im Rahmen der Beschwerde,<br />

die den Weg <strong>für</strong> eine Kostenprüfung von Amts wegen<br />

eröffnet, zu berücksichtigen.<br />

Telekommunikationsrecht<br />

Ersparte Aufwendungen nach<br />

Vertragskündigung<br />

BGB §§ 611, 626, 628, 280, 286, 249, 252<br />

Der Wegfall eines einzelnen Kunden erspart dem Netzanbieter<br />

keine Kosten und Aufwendungen, denn dieser<br />

212 Nr. 5/<strong>2015</strong>


<strong>zfm</strong><br />

Entscheidungen<br />

Wegfall führt, auch wenn der Kunde 61 Mobilfunknummern<br />

nutzte, nicht zu einer Anpassung der Netzkapazitäten.<br />

LG Hamburg, Urt. v. 21.5.<strong>2015</strong> – 413 HKO 47/14<br />

Sachverhalt<br />

Die Klägerin, ein Inkassounternehmen, verlangt aus abgetretenem<br />

Recht Leistungsentgelte und Schadensersatz<br />

nach der Beendigung eines Mobilfunkvertrages. Die Beklagte<br />

hatte sich mit fünf Mobilfunkverträgen insgesamt 61<br />

Rufnummern gesichert. Nach der Kündigung der Verträge<br />

durch die Beklagte berechnete die Klägerin ihre aktuelle<br />

Forderung mit rund 12.000 EUR. Nachdem die Beklagte die<br />

Forderung nicht ausglich, erklärte die Zedentin ihrerseits<br />

die Kündigung und machte <strong>für</strong> die jeweilige restliche<br />

Vertragslaufzeit noch Schadensersatz in Höhe von zuletzt<br />

3.500 EUR geltend.<br />

Während die Klägerin eine ordnungsgemäße Leistungserbringung<br />

behauptet, vermisst die Beklagte die vollständige<br />

Lieferung der Hardware und moniert eine<br />

unzureichende Übertragungsgeschwindigkeit sowie die<br />

unzutreffende Entgeltberechnung.<br />

Entscheidungsgründe<br />

Abtretung wirksam<br />

Die Klägerin ist Inhaberin der Forderung gegen die<br />

Beklagte. Die Zedentin hat die Forderungen aus den<br />

Mobilfunkverträgen mit der Beklagten gemäß § 398 BGB<br />

wirksam an die Klägerin (Zessionarin) abgetreten. In der<br />

vertraglichen Vereinbarung waren die abgetretenen Forderungen<br />

hinreichend bestimmt.<br />

Die Bestimmbarkeit der abgetretenen Forderung ist<br />

Voraussetzung der wirksamen Abtretung. Dabei ist es<br />

ausreichend, wenn aus der Vereinbarung bestimmbar ist,<br />

welche Forderungen von der Abtretung erfasst sind (vgl.<br />

nur Grüneberg, in: Palandt, 73. Aufl. 2014, § 398 BGB<br />

Rn 14). Dieses Erfordernis erfüllt die vorliegende Abtretung<br />

durch die konkretisierende Angabe, dass jene<br />

Forderungen abgetreten werden, die sich aus den übergebenen<br />

Akten ergeben. Dabei ist auch die Zugehörigkeit<br />

einer einzelnen Forderung durch die Vorgangsakte bestimmbar<br />

(dazu Roth, in: MüKo zum BGB, 6. Aufl. 2012,<br />

§ 398 Rn 71). Die Abtretung erfolgte zudem im Rahmen<br />

des zwischen der Zedentin und der Klägerin geschlossenen<br />

Rahmenvertrags.<br />

Der wirksamen Abtretung steht nicht entgegen, dass die<br />

Zedentin vorliegend an die Klägerin eine Mehrheit an<br />

Forderungen abgetreten hat, weil mit der Vereinbarung<br />

die jeweiligen gesamten Forderungen eines Geschäftsvorgangs,<br />

also einer jeweiligen Akte, bestimmt und somit<br />

abgetreten wurden (vgl. zur Wirksamkeit der Abtretung<br />

einer Forderungsmehrheit aus einem Geschäftsbetrieb<br />

Grüneberg, in: Palandt, 73. Aufl. 2014, § 398 BGB Rn 15 mit<br />

Verweis auf RG JW 32, 3760).<br />

Vertraglicher Vergütungsanspruch<br />

Die Klägerin hat gegen die Beklagte gemäß § 611 Abs. 1 BGB<br />

einen Anspruch auf Zahlung von brutto 11.230,67 EUR aus<br />

den vertraglich vereinbarten Basispreisen, Nutzungsentgelten,<br />

Pauschalen <strong>für</strong> nicht genutzte Mindestumsätze und<br />

Serviceleistungen.<br />

Das Landgericht hat einen Rahmen- oder Einheitsvertrag<br />

nicht feststellen können, was sich im Wesentlichen aus<br />

tatsächlichen Erwägungen zu einer fehlenden Einigung<br />

ergab. Auch fehlte es der Beklagten an einem wichtigen<br />

Grund zur außerordentlichen Kündigung.<br />

Sperrgebühr <strong>für</strong> SIM-Karte<br />

Die Klägerin hat gegen die Beklagte auf dieser Vertragsgrundlage<br />

auch einen Anspruch auf die Zahlung der<br />

Gebühr <strong>für</strong> die Sperrung der SIM-Karte in Höhe von<br />

10,00 EUR inkl. Umsatzsteuer gemäß § 611 Abs. 1 BGB.<br />

Die Beklagte hat insoweit zwar den Standpunkt vertreten,<br />

eine Deaktivierungsgebühr sei unwirksam, allerdings hat<br />

die Beklagte nicht bestritten, dass die Klägerin einen Grund<br />

<strong>für</strong> eine Sperrung hatte. Der Preis <strong>für</strong> die vorübergehende<br />

Sperrung ergibt sich aus der Preisliste der Zedentin. Dabei<br />

kann dahinstehen, ob dieser Preis von 8,4034 EUR netto<br />

gemäß der Preisliste Stand Juli 2012 bereits in den<br />

vorherigen Preislisten zum Vertragsschluss so festgelegt<br />

war, da die Höhe des Preises außer Streit war.<br />

Einen Zahlungsanspruch <strong>für</strong> die Rufnummernmitnahme<br />

verneinte das Landgericht, weil die Klägerin einen entsprechenden<br />

Auftrag der Beklagten an die Zedentin nicht<br />

nachweisen konnte.<br />

Anspruch auf Schadensersatz<br />

Der Anspruch auf Schadensersatz ergibt sich dem Grunde<br />

nach aus § 628 Abs. 2 BGB. Die Zedentin hat die<br />

erforderliche Kündigung der Mobilfunkverträge aus wichtigem<br />

Grund gemäß § 626 Abs. 1 BGB erklärt, wozu sie<br />

auch befugt war. Dabei ist der Kündigungsgrund auch im<br />

Lichte der nachteiligen Auswirkung des Kündigungsanlasses<br />

auf die zukünftige Vertragsbeziehung zu betrachten<br />

(Henssler, in: MüKo zum BGB, 6. Aufl. 2012, § 626<br />

Rn 109). Vorliegend war der Zedentin eine Fortsetzung<br />

der Mobilfunkverträge nicht mehr zumutbar. Die Beklagte<br />

hatte offene Rechnungen seit November 2012<br />

nicht mehr gezahlt, und es war aus objektiver Sicht zu<br />

Nr. 5/<strong>2015</strong> 213


Entscheidungen<br />

<strong>zfm</strong><br />

prognostizieren, dass auch in Zukunft bis zum Ablauf der<br />

Vertragslaufzeiten keine Zahlungen mehr geleistet werden<br />

würden.<br />

Erfüllungsinteresse als Schaden<br />

Der Anspruch besteht in Höhe von 3.187,13 EUR. Der<br />

Schadensersatzanspruch bestimmt sich nach §§ 249 Abs. 1,<br />

252 BGB und umfasst den entgangenen Gewinn. Sofern<br />

die Beklagte die Mobilfunkverträge bis zum jeweiligen<br />

Vertragsende erfüllt hätte, hätte die V. GmbH entsprechende<br />

Mehreinnahmen erzielt, die der V. GmbH nun<br />

entgangen sind.<br />

Abzinsung erforderlich<br />

Der ursprünglichen Berechnung der Schadensersatzsumme<br />

stehen keine Bedenken entgegen. Die Höhe des<br />

Schadensersatzes wurde auf Grundlage der monatlichen<br />

Basispreise berechnet. Hiervon hat die V. GmbH jeweils<br />

Abzinsungsbeträge in Höhe von 1/12 aus 3 % des<br />

monatlichen Basispreises <strong>für</strong> den ersten Monat abgezogen,<br />

wobei dieser Abzinsungsbetrag <strong>für</strong> die Folgezeit im<br />

zweiten Monat verdoppelt, im Dritten verdreifacht (usw.)<br />

wurde.<br />

Keine ersparten Aufwendungen<br />

Ein weiterer Abzug <strong>für</strong> vermeintlich ersparte Aufwendungen<br />

<strong>für</strong> den Netzauf- und ausbau, technischen Service oder<br />

Kundendienst ist nicht geboten.<br />

Die Klägerin hat hier zur Überzeugung des Gerichts<br />

dargetan, dass die Beendigung der Vertragsverhältnisse<br />

mit der Beklagten tatsächlich nicht zu einer Einsparung<br />

von eigenen Netzbetriebs- oder Wartungskosten auf<br />

Seiten der Zedentin führt. Es ist zu berücksichtigen, dass<br />

Betreiber eines Mobilfunknetzes, wie die Zedentin, ihren<br />

Netzservice nicht im Hinblick auf einen einzelnen Mobilfunkteilnehmer<br />

gestalten und zur Verfügung stellen. Die<br />

Netzkapazitäten werden vielmehr abstrakt geplant, entwickelt<br />

und der Kundengesamtheit zur Verfügung gestellt.<br />

Der Wegfall eines einzelnen Kunden, wie der Beklagten,<br />

erspart dem Netzanbieter keine Kosten und Aufwendungen,<br />

denn dieser Wegfall führt, auch wenn der Kunde 61<br />

Mobilfunknummern nutzte, nicht zu einer Anpassung der<br />

Netzkapazitäten (so bspw. auch LG Berlin v. 13.12.2012 –<br />

19 O 429/11; LG Cottbus v. 19.2.2014 – 1 S 143/13; AG<br />

Recklinghausen v. 6.8.2014 – 51 C 159/14). Ebenso hat die<br />

Klägerin dargetan, dass Personal- und Verwaltungskosten<br />

von der Beendigung weniger Verträge unberührt bleiben,<br />

soweit dies nicht die ersparten und von der Zedentin in<br />

Abzug gebrachten Kosten <strong>für</strong> Postversand und Überweisungen<br />

betrifft. Die insoweit zur Darlegung verpflichtete<br />

Beklagte hat demgegenüber nicht substantiiert<br />

dargelegt, inwieweit die Zedentin anderweitige Aufwendungen<br />

dieser Kategorie erspart haben soll.<br />

Vertragliche Risikoverteilung hat Bestand<br />

Die Klägerin muss sich auch keine ersparten Aufwendungen<br />

daraus anrechnen lassen, dass die Beklagte die<br />

Netzdienstleistungen tatsächlich nicht mehr in Anspruch<br />

genommen und insbesondere keine Telefonate mehr<br />

durchgeführt hat. Ein nachträglicher Ausgleich der mobilfunktariflichen<br />

Risikoverteilung ist weder geboten noch<br />

interessengerecht.<br />

Keine pauschale Anspruchskürzung<br />

Für eine von der Beklagten geltend gemachte pauschale<br />

Kürzung des Schadensersatzanspruches in Höhe von 50 %<br />

vermag die Kammer eine tragfähige, interessegerechte<br />

rechtliche Grundlage nicht zu erkennen. Jedenfalls kann<br />

eine solche Kürzung im Hinblick auf das grundsätzlich bei<br />

dem Kunden liegende Verwendungsrisiko nicht als pauschale<br />

Regel herangezogen werden. Es erscheint vielmehr<br />

geboten, es im Einzelfall den Parteien, namentlich dem<br />

Kunden des Netzbetreibers, zu überantworten, konkret<br />

darzulegen, welche Umstände <strong>für</strong> eine Reduzierung der<br />

Schadensersatzforderungen aufgrund eingesparter Aufwendungen<br />

sprechen sollen. Vorliegend hat die Beklagte<br />

jedoch nicht substantiiert dargetan, dass die Schadensersatzansprüche<br />

der Klägerin um einen bestimmten Betrag<br />

zu mindern sind. Eine tatsächliche Kostenersparnis<br />

auf Seiten der Zedentin ist nicht mit substantiellem<br />

Sachvortrag unterlegt.<br />

Terminierungsentgelte unerheblich<br />

Die Klägerin muss sich auch nicht deshalb einen Abschlag<br />

auf ihren Schadensersatzanspruch entgegenhalten lassen,<br />

weil im Mobilfunkbereich zwischen den Mobilfunknetzbetreibern<br />

Terminierungsentgelte (sogenannte Interconnection-Gebühren)<br />

berechnet werden. Terminierungsentgelte<br />

werden zwischen Mobilfunknetzanbietern berechnet<br />

und entstehen <strong>für</strong> solche Gespräche, die ein Endnutzer<br />

zwischen verschiedenen Mobilfunknetzen führt. Die<br />

Entgelte werden regelmäßig, zumeist jährlich, im Preis<br />

angepasst und unterliegen dabei einer Aufsicht und<br />

Genehmigungspflicht durch die Bundesnetzagentur. Die<br />

Terminierungsentgelte entstehen <strong>für</strong> den Mobilfunkanbieter<br />

<strong>für</strong> mobilfunknetzfremde Gespräche der Nutzer, die<br />

Entgelte entstehen also dann nicht, wenn ein Nutzer<br />

Gespräche im eigenen Netz des Mobilfunkbetreibers oder<br />

ins Festnetz führt. Die Summe der Terminierungsentgelte,<br />

die die Mobilfunknetzanbieter untereinander zu zahlen<br />

haben, hängt stark vom Nutzungsverhalten aller Endkunden<br />

und davon ab, ob diese vermehrt netzintern bzw. zu<br />

Festnetzanschlüssen oder aber in fremde Mobilfunknetze<br />

telefonieren. Diese Terminierungsentgelte sind vorliegend<br />

<strong>für</strong> die konkrete Schadenshöhe nicht erheblich. Mobilfunkanbieter<br />

kalkulieren Tarifvarianten und schließen mit<br />

ihren Kunden auf Basis dieser Tarife Verträge ab. Die<br />

Abrechnung erfolgt dem Tarif entsprechend, ein Ausgleich<br />

214 Nr. 5/<strong>2015</strong>


<strong>zfm</strong><br />

Entscheidungen<br />

<strong>für</strong> ungenutzte Leistungen ist dabei regelmäßig nicht vorgesehen.<br />

Terminierungsentgelte sind – mangels gegenteiliger,<br />

hier nicht vorgebrachter Abreden – nicht isolierter<br />

Bestandteil eines jeweiligen Tarifs und Vertragsverhältnisses<br />

zwischen dem Netzanbieter und dem Kunden.<br />

Wurde zwischen dem Mobilfunkanbieter und dem Endkunden<br />

keine minutengenaue, sondern eine pauschale<br />

oder teilpauschale Abrechnung von Telefonaten vereinbart,<br />

liegt es in der Risikosphäre des Mobilfunkanbieters,<br />

wenn einzelne Kunden mehr oder weniger intensiv in<br />

fremde Netzte telefonieren. Wurde jedoch eine minutengenaue<br />

Abrechnung vereinbart, erfolgt der entsprechende<br />

Ausgleich gerade über die jeweilige Abrechnung auf<br />

Verbrauchsbasis. Es entspricht hierbei dem Geschäftsund<br />

Gewinnerzielungsmodell der Mobilfunkanbieter, <strong>für</strong><br />

unterschiedliches Nutzungsverhalten der Endkunden in<br />

einer Gesamtbetrachtung abstrakt bestimmte Tarife<br />

und Tarifpakete anzubieten. Die Realisierung eines Gewinnes<br />

erfolgt gerade aus dieser Kalkulation und Nutzungserwartung<br />

und liegt in der ureigenen Hoheit eines Unternehmers.<br />

Inkassokosten geschuldet<br />

Die Beklagten schulden der Klägerin schließlich gemäß<br />

§§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 1, 3 BGB auch die Zahlung von<br />

Inkassokosten in Höhe von 442,50 EUR, die sich aus den<br />

Inkassogebühren in Höhe von 422,50 EUR (0,65-fache<br />

Gebühr bei einem Gegenstandswert bis 16.000 EUR) und<br />

einer Auslagenpauschale von 20,00 EUR zusammensetzen.<br />

Der Höhe der Inkassokosten stehen vorliegend keine<br />

Bedenken entgegen, weil die Klägerin vorgerichtlich insoweit<br />

auch zu gleichen Kosten (vgl. § 4 Abs. 5 RDGEG; Ernst,<br />

in: MüKo zum BGB, 6. Aufl. 2012, § 286 Rn 157) einen<br />

Rechtsanwalt hätte beauftragen können.<br />

Anmerkung<br />

Kündigt der Mobilfunkanbieter fristlos den Mobilfunkvertrag,<br />

weil der Kunde die vereinbarten Monatsentgelte nicht<br />

bezahlt, hat er gemäß §§ 628 Abs. 2, 314 BGB Anspruch auf<br />

Schadensersatz. Gemäß § 281 BGB ist er so zu stellen, als<br />

sei der Vertrag ordnungsgemäß bis zum Ende der Mindestlaufzeit<br />

durchgeführt worden. Der Streit dreht sich dann<br />

meist um die Frage, in welchem Umfang Schadensersatz<br />

zu leisten ist. Auszugehen ist hier zunächst von dem<br />

vertraglichen Leistungsentgelt, d.h. der Vergütung des<br />

Mobilfunkanbieters.<br />

Die Entscheidung des LG Hamburg setzt sich ausgehend<br />

von diesen Grundsätzen gut begründet mit den Fragen<br />

um ersparte Aufwendungen eines Mobilfunkanbieters<br />

nach der Vertragskündigung auseinander und widerspricht<br />

insbesondere dem AG Tempelhof-Kreuzberg<br />

(JurBüro <strong>2015</strong>, 256) und dem AG Bad Urach (MMR 2014,<br />

784), die die Terminierungsentgelte als Abzugsposition<br />

gesehen haben.<br />

Das AG Bad Urach (MMR 2014, 784) hat die Terminierungsentgelte<br />

geschätzt, nachdem der Mobilfunkanbieter seine<br />

Kalkulationsgrundlagen nicht offenlegen wollte. Die Besonderheit<br />

der Entscheidung lag allerdings darin, dass hier<br />

nur eine Teil-Flatrate, nämlich <strong>für</strong> das Wochenende,<br />

zugrunde lag, während im Fall des LG Hamburg – wie<br />

heute üblich – eine Voll-Flatrate betroffen war. Das AG hat<br />

es als unbillig angesehen, dem Mobilfunkanbieter gänzlich<br />

jeden Schadensersatz zu verweigern, wenn er unzureichend<br />

vorträgt. Es könne auf § 287 ZPO und das durchschnittliche<br />

Nutzungsverhalten eines Vertragskunden abgestellt<br />

werden.<br />

Das AG Tempelhof-Kreuzberg (JurBüro <strong>2015</strong>, 256) hat den<br />

Mobilfunkanbieter <strong>für</strong> verpflichtet angesehen, seine Kalkulation<br />

offenzulegen und die besonderen Aufwendungen<br />

zu benennen. Es bedarf keiner weiteren Ausführungen,<br />

dass sich ein Großunternehmen nicht in dieser Weise<br />

in die Kalkulation schauen lassen will und darf. Mit dem<br />

LG Hamburg ist dies aber auch nicht notwendig. Mit dem<br />

AG Urach hat das AG Tempelhof-Kreuzberg aber letztlich<br />

nach § 287 ZPO einen Mindestschaden in Höhe von 50 %<br />

des Leistungsentgeltes geschätzt.<br />

Entgegen dem LG Hamburg hat das AG Tempelhof-<br />

Kreuzberg dem Gläubiger den Ersatz der Inkassokosten<br />

verweigert und ist dabei einem klassischen „Anfängerfehler“<br />

zum Opfer gefallen, indem es von der späteren<br />

Notwendigkeit des Einsatzes eines Rechtsanwaltes (Expost-Sicht)<br />

auf die mangelnde Erforderlichkeit der Beauftragung<br />

eines Inkassounternehmens geschlossen hat.<br />

Zutreffend war auf eine Ex-ante-Sicht abzustellen, die<br />

keine Anhaltspunkte da<strong>für</strong> gab, dass es später zu einer<br />

streitigen Auseinandersetzung kommen würde. Auch sind<br />

diese Bearbeiterwechsel bei den Rechtsdienstleistern<br />

über die Anwendung der Anrechnungsvorschriften über<br />

§ 4 Abs. 5 RDGEG – den das Amtsgericht nicht einmal<br />

sieht – und § 254 Abs. 2 BGB gut lösbar. Der Schuldner hat<br />

nicht mehr zu erstatten, als wenn von Anfang an ein<br />

Rechtsdienstleister tätig geworden wäre. Damit muss er<br />

aber zumindest den nicht anrechenbaren Teil der Geschäftsgebühr<br />

– mithin zumindest eine 0,65-Geschäftsgebühr<br />

– erstatten.<br />

Es mag an dem hohen Entscheidungsdruck bei den Amtsgerichten<br />

liegen, dass hier die beachtlichen Argumente<br />

nicht immer hinreichend gewürdigt werden.<br />

VRiOLG Frank-Michael Goebel<br />

Nr. 5/<strong>2015</strong> 215


Literaturhinweise<br />

<strong>zfm</strong><br />

Literaturhinweise<br />

Ein Blick in die Bücherwelt<br />

Juristische Bücher finden sich in großer Zahl im Angebot der Verlage. Die im <strong>Forderungsmanagement</strong> Tätigen sind allerdings auf<br />

Literatur konzentriert, die sich auf die Belange des Gläubigers konzentriert und die maßgeblichen Rechtsvorschriften aus seinem<br />

Blickwinkel beleuchtet. Im diesem Sinne sollen in dieser Rubrik jeweils interessante Bücher vorgestellt werden.<br />

Vollstreckungsrecht<br />

Saenger/Ulrich/Siebert<br />

Zwangsvollstreckung<br />

3. Aufl. 2016, 88,00 EUR<br />

Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden<br />

ISBN 978-3-8487-2118-4<br />

Rund 5 Jahre nach der Erstauflage erscheint das kommentierte<br />

Prozessformularbuch nun schon in der 3. Auflage. Das<br />

ist dem Umstand geschuldet, dass die Zwangsvollstreckung<br />

in den letzten Jahren mit der Reform der Kontopfändung, der<br />

Reform der Sachaufklärung und dem 2. KostRModG großen<br />

gesetzgeberischen Umbrüchen ausgesetzt war. Die Neuauflage<br />

berücksichtigt insbesondere die Folgeänderungen in<br />

der Gerichtsvollzieherordnung (GVO) und der Gerichtsvollziehergeschäftsanweisung<br />

(GVGA) sowie die Änderungen<br />

in der Zwangsvollstreckungsformular-Verordnung. Aufgrund<br />

des Erscheinungsdatums konnte die Gerichtsvollzieherformular-Verordnung<br />

noch nicht berücksichtigt werden. Der<br />

Ausblick in die Welt des elektronischen Rechtsverkehrs<br />

findet dagegen Berücksichtigung.<br />

Ein kleiner Wermutstropfen ist sicherlich, dass die Pfändungsfreigrenzentabelle<br />

zum 1.7.<strong>2015</strong> als Anlage zu § 850c<br />

ZPO nicht wiedergegeben wird, die Homepage des Verlages<br />

(nur) die Einarbeitung der Pfändungsfreigrenzentabelle<br />

2013 verspricht und die Fußnoten zu § 850c ZPO<br />

tatsächlich nur auf die Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung<br />

2011 verweisen. Insgesamt ist diese Kommentierung<br />

im Hinblick auf die hohe praktische Bedeutung der<br />

Lohnpfändung zu kurz geraten.<br />

Das Werk schlägt die Brücke zwischen dem klassischen<br />

Kommentar und den Formularbüchern, indem es einerseits<br />

die maßgeblichen Bestimmungen von ZPO, ZVG, FamFG<br />

und EuGVVO zur Zwangsvollstreckung kommentiert und<br />

andererseits zu den einzelnen Bestimmungen erste Formulierungshilfen<br />

gibt. Die Ordnung anhand des Gesetzestextes<br />

erschließt die maßgeblichen Probleme schnell.<br />

Die Kommentierung durch Richter, Rechtsanwälte und<br />

Rechtspfleger sichert die gewünschte Praxisnähe, ohne<br />

dabei die maßgeblichen Streitfragen zu übergehen. An<br />

vielen Stellen wird deutlich, wie unterschiedlich noch das<br />

Verständnis vieler Normen gerade durch die 650 Amtsgerichte,<br />

aber auch die 124 Landgerichte in Deutschland ist<br />

und wie nötig eine alsbaldige höchstrichterliche Klärung<br />

ist. Die Praktiker weisen gleichwohl einen pragmatischen<br />

Weg im Alltag.<br />

Ein Gewinn <strong>für</strong> jeden Praktiker ist sicher die Tabelle der<br />

pfändbaren Gegenstände, die <strong>für</strong> sich allein den Erwerb des<br />

Werkes rechtfertigen würde. Man möchte eigentlich gleich<br />

zwei kaufen und eines dem jeweiligen Gerichtsvollzieher<br />

schenken. Da deren tatsächliche Pfändungsquote noch<br />

immer nicht über 0,11 % aller Vollstreckungsaufträge<br />

hinausgeht, könnte die Tabelle auch hier als gute Anregung<br />

dienen.<br />

In der Gesamtschau überzeugt die Breite der Kommentierung,<br />

die einen ersten Einstieg ermöglicht, in Verbindung<br />

mit den praktischen Arbeitshilfen und dem guten Preis-/<br />

Leistungsverhältnis.<br />

Gottwald/Mock<br />

Zwangsvollstreckung<br />

7. Aufl. <strong>2015</strong>, 98,00 EUR<br />

Haufe-Verlag, Freiburg<br />

ISBN 978-3-6480-5314-0<br />

Mit Uwe Gottwald und Peter Mock kommentieren ein in der<br />

Vollstreckung erfahrener Vorsitzender Richter a.D. und ein<br />

ebenso praxisorientierter Rechtspfleger das gesamte Vollstreckungsrecht<br />

auf knapp 1800 Seiten. Jeder Praktiker<br />

profitiert davon, indem die maßgeblichen Fragen des Voll-<br />

216 Nr. 5/<strong>2015</strong>


<strong>zfm</strong><br />

Literaturhinweise<br />

streckungsalltags angesprochen und sachgerechte Lösungen<br />

präsentiert werden.<br />

Die Neuauflage zeichnet die Folgeänderungen zur Reform<br />

der Sachaufklärung, insbesondere die geänderte<br />

Gerichtsvollzieherordnung (GVO) und die Gerichtsvollziehergeschäftsanweisung<br />

(GVGA) sowie die Zwangsvollstreckungsformular-Verordnung<br />

nach.<br />

Aufgrund des Erscheinens im Februar <strong>2015</strong> konnte die<br />

Änderung der Pfändungsfreigrenzen zum 1.7.<strong>2015</strong> ebenso<br />

wenig berücksichtigt werden wie die zum 1.10.<strong>2015</strong> in<br />

Kraft getretene Gerichtsvollzieherformular-Verordnung.<br />

Da es sich hierbei um Arbeitshilfen handelt, beeinträchtigt<br />

dies allerdings die Qualität der Kommentierung als solche<br />

nicht.<br />

Für die Praxis wichtig wird etwa die Nichtberücksichtigung<br />

eines Unterhaltsberechtigten bei § 850c ZPO breit abgehandelt.<br />

Nicht überzeugend ist allerdings die Auffassung,<br />

dass nicht oder nur <strong>für</strong> bestimmte Gläubiger pfändbare<br />

Ansprüche, wie etwa das Wohngeld, nicht gleichwohl als<br />

Einkünfte der unterhaltsberechtigten Person anzusehen<br />

sind. Das Wohngeld deckt ohne jeden Zweifel deren<br />

Unterhaltsbedarf zweckgerichtet und entlastet insoweit<br />

den Schuldner. Kein Wunder, dass ein Beleg aus der<br />

Rechtsprechung fehlt. Gleiches gilt <strong>für</strong> Einkünfte aus<br />

Einspeisevergütungen. Die in Bezug genommene Entscheidung<br />

des LG Stuttgart beschäftigt sich mit der Pfändbarkeit<br />

künftiger Ansprüche im Hinblick auf die Vorratspfändung<br />

nach § 850d ZPO, nicht aber mit einem Antrag<br />

nach § 850c Abs. 4 ZPO.<br />

Solche Kritikpunkte, die gegen jeden Kommentar und jedes<br />

Werk ins Feld geführt werden können, lassen die breite<br />

Berücksichtigung der Rechtsprechung nicht nur des BGH,<br />

sondern gerade auch der Beschwerdekammern der Landgerichte<br />

unberührt. So werden etwa bei der sehr praxisrelevanten<br />

Frage der Umschreibung von Titeln auf den<br />

Rechtsnachfolger gemäß § 727 ZPO vielfältige Beispiele mit<br />

der dazu ergangenen Rechtsprechung aufgeführt, so dass<br />

jeder Praktiker sofort „seinen Fall“ findet.<br />

Im Bücherregal des Rezensenten fehlt das Werk schon seit<br />

der ersten Auflage nicht und auch der Neuauflage sieht man<br />

bereits an, dass sie häufig in die Hand genommen wird. Wer<br />

sich im täglichen Umgang vertiefend mit Streitfragen<br />

auseinandersetzen muss, wird ähnlich verfahren.<br />

Kindl/Meller-Hannich/Wolf<br />

Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung<br />

3. Aufl. 2016, 108,00 EUR<br />

Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden<br />

ISBN 978-3-8487-1696-8<br />

Als Handkommentar angepriesen zeigt das Werk nicht nur die<br />

Kommentierung der vollstreckungsrechtlichen Bestimmungen<br />

des 8. Buches der ZPO, des ZVG und des FamFG, sondern<br />

auch – selten anzutreffen – des Anfechtungsgesetzes (AnfG),<br />

das gläubigerbenachteiligende Vermögensverschiebungen<br />

auch außerhalb eines Insolvenzverfahrens neutralisieren<br />

lässt. Die praktische Bedeutung wird einem Leser schnell<br />

bewusst und kann auch als Anregung verstanden werden,<br />

wenn sich der Vollstreckungserfolg nicht einstellt.<br />

In Schwerpunktbeiträgen werden über mehr als 100 Seiten<br />

besondere Konstellationen abgehandelt, die dem Praktiker<br />

nicht jeden Tag begegnen, wie etwa die Betreuung, die<br />

Zwangsvollstreckung in IT-Güter, Sozialleistungen, Gesellschaftsanteile,<br />

Immaterialgüter oder im Mietverhältnis und<br />

die Verbindung zum Gewaltschutzgesetz. Nicht vergessen<br />

wirdder Schuldner, wenn die Fragen der Haftung wegen einer<br />

unberechtigtenZwangsvollstreckung angesprochenwerden.<br />

Besonders hervorzuheben ist die kommentierte Wiedergabe<br />

der einschlägigen EU-Verordnungen, die eine immer größere<br />

Rolle in der Zwangsvollstreckung spielen, weil sie einerseits<br />

wegen einer immer größeren Mobilität der an der Zwangsvollstreckung<br />

beteiligten Personen, von Schuldner, Gläubiger<br />

und Drittschuldner, und andererseits wegen der Rückwirkungen<br />

auf das nationale Recht immer mehr in den Fokus rücken.<br />

Dass das gesamte Zwangsvollstreckungsrecht abgehandelt<br />

wird, zeigt die Kommentierung der GvKostG in Verbindung<br />

mit den diesbezüglichen Durchführungsbestimmungen<br />

ebenso wie die Wiedergabe der GVO und der GVGA.<br />

Wer schnell und umfassend Orientierung sucht, ist mit<br />

einem ersten Blick hier auf jeden Fall richtig. Er trifft auf<br />

profunde Kenner der Materie, die schnell die wesentlichen<br />

Fragen aufarbeiten. Ob danach noch ein zweiter Blick in<br />

einen umfassenden Kommentar notwendig ist, entscheidet<br />

der jeweilige Einzelfall. Der breite Nachweis von<br />

Literatur und Rechtsprechung führt vielfach schon zur<br />

gewünschten Antwort. Insoweit ein unbedingt zu empfehlendes<br />

Werk, das vor allem eines spart: Zeit!<br />

Zivilprozessrecht<br />

Zöller<br />

Zivilprozessrecht<br />

31. Aufl. 2016, 169,00 EUR<br />

Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln<br />

ISBN 978-3-5044-7022-7<br />

Unverzichtbar! Eigentlich ist damit zur Neuauflage des Zöller<br />

alles gesagt. Das erfahrene Autorenteam bringt den Kommentar<br />

mit der 31. Auflage auf den neusten Stand von<br />

Nr. 5/<strong>2015</strong> 217


Autoren dieser Ausgabe<br />

<strong>zfm</strong><br />

Rechtsprechung und Literatur. Vor dem Hintergrund der<br />

Druckvorlaufzeit und des mitgeteilten Standes zum 31.8.<strong>2015</strong><br />

zeigt die gleichwohl noch erwähnte Gerichtsvollzieherformularverordnung<br />

(§ 753 Rn 5), dass keine Gelegenheit versäumt<br />

wurde, bis zur letzten Sekunde Aktualität herzustellen.<br />

Der Kommentar verbindet diese Aktualität mit einer hohen<br />

Praxisnähe und Detailtiefe, die Richtungen und Streitfragen<br />

in der Rechtsprechung aufzeigt und Lösungsmöglichkeiten<br />

vertritt, ohne andere Optionen in den Hintergrund<br />

treten zu lassen oder andere Sichtweisen zu verschweigen.<br />

Dabei versäumen es die Autoren nicht, den Kommentar<br />

auch immer wieder vom Ballast früherer Tage zu befreien<br />

und so Raum <strong>für</strong> Neues zu schaffen.<br />

Nachdem in der 30. Auflage die Reform der Sachaufklärung<br />

eingearbeitet wurde, stehen im Mittelpunkt der Kommentierungen<br />

des <strong>für</strong> die Forderungsbeitreibung so wichtigen<br />

8. Buches die entstandenen Streitfragen und die hierzu<br />

ergangene Rechtsprechung. Es verwundert sicher nicht, dass<br />

Regierungsdirektor a.D. Stöber dazu klare Auffassungen<br />

formuliert, was man sich von einem Praxiskommentar<br />

erhofft. Dabei macht er deutlich, wer Herr des Verfahrens<br />

ist, nämlich der Gläubiger (Vor § 753 Rn 19). Wer sich die<br />

Mühe macht, die übergreifenden Gedanken zu erfassen,<br />

sieht eine ausgeglichene Kommentierung, die den Schuldnerschutz<br />

betont, ohne den verfassungsrechtlichen Anspruch<br />

des Gläubigers auf Durchsetzung seines Anspruchs<br />

und den dabei geschuldeten effektiven Rechtsschutz zu<br />

vernachlässigen (Art. 14, 19 Abs. 4 GG).<br />

Wer den Zöller bisher nutzt, braucht keine weiteren Lobeshymnen<br />

und weiß, was er daran hat. So soll die vorweihnachtliche<br />

Rezension den Weg öffnen, Optimierungsbedarf<br />

aufzuzeigen: Wünschenswert wäre, dass das Kostenrecht<br />

und die Frage der Kosten-/Nutzen-Relation in Folgeauflagen<br />

eine noch stärkere Aufmerksamkeit findet, nachdem<br />

die neuen Möglichkeiten der Reform der Sachaufklärung<br />

hier zu vielen Streitfragen geführt haben und sich in der<br />

Praxis höchst unterschiedliche Abrechnungswege gerade<br />

der Gerichtsvollzieher zeigen. Klar erkennbar ist, dass die<br />

Wege zum elektronischen Rechtsverkehr Eingang in den<br />

Zöller gefunden haben. Im starken Fokus stehen hier<br />

allerdings noch die Hauptsacheverfahren. Zu § 829a ZPO<br />

ist die Kommentierung ausführlicher als in anderen Kommentaren,<br />

allerdings auch hier ohne den Bezug auf die<br />

praktische, auch technisch-rechtliche Umsetzung. So fehlt<br />

der Nachweis der Bundesländer, die den Weg der elektronischen<br />

Antragstellung bereits eröffnet haben. Die These,<br />

dass auch in diesem Verfahren die Formulare nach der ZVFV<br />

zu nutzen sind (§ 829a Rn 3), stimmt mit der Verordnung<br />

nicht überein – nach § 1 ZVFV sind nur Anträge nach § 829<br />

ZPO, nicht aber § 829a ZPO betroffen. § 4 ZVFV betrifft nicht<br />

den Fall des § 829a ZPO. Entsprechend nehmen alle Gerichte<br />

in der Praxis auch Anträge außerhalb der Form der ZVFV an.<br />

Fortschrittlich zeigt sich der Zöller auf dem Weg in das<br />

internationale Zivilverfahrensrecht. So wurde die EuGVVO<br />

völlig neu kommentiert, die EUKontopfändungsVO aufgenommen<br />

und die Neufassung der EuInsVO ebenso<br />

berücksichtigt wie die Reform der BagatellVO. Die zunehmenden<br />

Forderungsbeitreibungsverfahren mit europäischem<br />

Bezug haben im Zöller einen angemessenen Platz.<br />

Ob Einstieg, Vertiefung oder Spezialfrage: Mir ist es seit<br />

Jahren nicht gelungen, im Zöller keinen Ansatz <strong>für</strong> eine<br />

Lösung meiner Fragen zu finden. Und so kann ich nur<br />

sagen: Wer den Zöller nicht nutzt, muss den Schaden<br />

selbst tragen!<br />

Ich wünsche Ihnen beim Lesen Spaß und am Ende einen Nutzen,<br />

der im wahrsten Sinne des Wortes „etwas bringt“.<br />

VRiOLG Frank-Michael Goebel<br />

Autoren dieser Ausgabe<br />

Kay Uwe Berg<br />

Kay Uwe Berg ist Rechtsanwalt mit<br />

Schwerpunkt Wirtschaftsrecht. Bis<br />

zu seiner Berufung zum Geschäftsführer<br />

des BDIU e.V. war er <strong>für</strong><br />

den Deutschen Führungskräfteverband<br />

(ULA) tätig. 2014 ist er zum<br />

Hauptgeschäftsführer des BDIU e.V.<br />

ernannt worden. Er ist Gründungsmitglied<br />

des Bundesverbands Deutscher<br />

Pressesprecher (BdP) und war<br />

dort von 2006 bis 2013 Mitglied im Bundesvorstand. Seine Arbeitsschwerpunkte<br />

liegen in der weiteren Entwicklung seriöser Inkassostrukturen in<br />

Deutschland, in Europa und über die internationale Organisation der Fenca<br />

auch in der ganzen Welt und dementsprechend in der Bekämpfung unseriöser<br />

Inkassounternehmen. Dabei begleitet er Gesetzgebungsvorhaben in Deutschland<br />

und Europa und steht der Praxis und der Politik als gefragter Ansprechpartner<br />

zur Verfügung. Er ist Vorsitzender des Herausgeberbeirates der<br />

<strong>Zeitschrift</strong> <strong>für</strong> <strong>Forderungsmanagement</strong>.<br />

218 Nr. 5/<strong>2015</strong>


<strong>zfm</strong><br />

Autoren dieser Ausgabe<br />

Dr. Daniel Bergner ist Rechtsanwalt<br />

und seit 2006 Geschäftsführer<br />

des VID e.V. (Verband<br />

Insolvenzverwalter Deutschlands).<br />

Nach seinem Studium<br />

war er zunächst als Rechtsanwalt<br />

in einer Münchner Wirtschaftskanzlei<br />

tätig, bevor er 1993<br />

als Lektor in das Lektorat des<br />

Verlages C.H.Beck in München<br />

eintrat. 1997 promovierte er berufsbegleitend<br />

zum Dr. jur. an<br />

der Universität Regensburg und<br />

übernahm 1998 die Verlagsleitung<br />

des RWS Verlages in Köln.<br />

Als Verlagsleiter verantwortete<br />

er die Bereiche Wirtschaftsrecht,<br />

insbesondere Insolvenzrecht, Gesellschaftsrecht,<br />

Bankrecht, Arbeitsrecht<br />

und Steuerrecht. Da-<br />

Dr. Daniel Bergner<br />

neben publiziert er seit vielen<br />

Jahren zu insolvenzrechtlichen Fachthemen, u.a. in der NZI.<br />

Dipl.-Betriebswirt (FH) Udo Brückner<br />

verantwortet als Geschäftsführer<br />

der CPM Creditreform Portfolio<br />

Management GmbH seit<br />

deren Gründung 2006 die Bewertung<br />

und den Ankauf zahlungsgestörter<br />

Forderungen. Daneben<br />

ist er als Bereichsleiter <strong>für</strong> das<br />

Produktmanagement Inkasso beim<br />

Udo Brückner<br />

Verband der Vereine Creditreform<br />

e.V. in Neuss zuständig. Herr<br />

Brückner begann seine berufliche Laufbahn im Kredit- und Firmenkundengeschäft<br />

einer internationalen Großbank, bevor er 1997 bei einem führenden<br />

Factoring-Anbieter die Risikosteuerung des Debitorenportfolios übernahm.<br />

2001 wechselte Herr Brückner konzernintern zur Inkassotochter, deren<br />

Neuausrichtung er bis 20<strong>05</strong> in leitender Funktion aktiv mitgestaltet hat. Als<br />

Referent der Creditreform-Akademie und der Deutschen Inkasso-Akademie<br />

vermittelt Herr Brückner sein Wissen und seine Erfahrungswerte insbesondere<br />

hinsichtlich des Ankaufs zahlungsgestörter Forderungen sowie zur<br />

Umsetzung gesetzlicher Rahmenbedingungen im Inkasso. Beim Bundesverband<br />

Deutscher Inkasso-Unternehmen e.V. (BDIU) ist Herr Brückner seit<br />

2012 Mitglied im Ausschuss <strong>für</strong> Gerichtsvollzieherwesen.<br />

Dr. Oliver Fawzy ist Rechtsanwalt<br />

und Geschäftsführer der Bundesvereinigung<br />

Kreditankauf und Servicing<br />

(BKS). Seit 2011 ist er bei AGS<br />

Legal tätig, einer führenden Kanzlei<br />

<strong>für</strong> Compliance-Beratung und<br />

Wirtschaftskriminalität. Seine Arbeitsschwerpunkte<br />

liegen in der<br />

Vermögensaufspürung und der<br />

Zwangsvollstreckung im In- und<br />

Ausland. Dabei greift er auch auf<br />

praktische Erfahrungen in der<br />

grenzüberschreitenden Strafverfolgung<br />

zurück, die er zuvor im Bundesministerium<br />

der Justiz, der justiziellen<br />

Koordinierungsstelle Eurojust<br />

und dem Europäischen Amt<br />

Dr. Oliver Fawzy<br />

<strong>für</strong> Betrugsbekämpfung sammelte.<br />

Seit 2013 engagiert er sich bei der<br />

BKS zudem <strong>für</strong> einen funktionierenden Kredithandel und vertritt die Interessen<br />

von NPL-Investoren gegenüber Politik und Verwaltung. Er moderiert Arbeitskreise<br />

zum Insolvenz- und Zwangsvollstreckungsrecht, ist Autor diverser<br />

Fachbeiträge und gehört dem Herausgeberbeirat der <strong>zfm</strong> an.<br />

Frank-Michael Goebel ist Vorsitzender<br />

des Arzthaftungs- sowie des<br />

Kostensenats beim OLG Koblenz<br />

und war zuvor bei allen Gerichtsarten<br />

und im Ministerium der Justiz<br />

mit Fragen des <strong>Forderungsmanagement</strong>s,<br />

insbesondere der Vollstreckung<br />

und der Gesetzgebung<br />

befasst. Er ist Herausgeber und<br />

Autor zahlreicher Veröffentlichungen<br />

zum Zivilprozessrecht,<br />

zum Zwangsvollstreckungsrecht<br />

und zum Kostenrecht und verschiedener<br />

periodischer Informationsdienste<br />

zum <strong>Forderungsmanagement</strong>.<br />

Er ist als erfahrener<br />

Frank-Michael Goebel<br />

Referent auf vielen Kongressen,<br />

Seminarveranstaltungen, Inhouse-<br />

Seminaren und als Leiter, Dozent und Prüfer im Sachkundelehrgang des<br />

Bundesverbandes Deutscher Inkassounternehmen (BDIU) e.V. bekannt. Seit<br />

2007 berät er <strong>für</strong> die Gesellschaft <strong>für</strong> internationale Zusammenarbeit die<br />

chinesische Regierung zu Fragen des Zivilprozess- und Zwangsvollstreckungsrechts.<br />

Als Sachverständiger des Rechtsausschusses des Deutschen<br />

Bundestages hat er u.a. zum Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken<br />

Stellung genommen. Frank-Michael Goebel ist Mitglied des Herausgeberbeirats<br />

und unterstützt die Schriftleitung der <strong>zfm</strong>.<br />

Ass. jur. Ulrich Jäger ist, nachdem<br />

er einige Jahre als selbstständiger<br />

Rechtsanwalt tätig war, seit über<br />

25 Jahren Justiziar der Unternehmen<br />

der Seghorn AG in Bremen und Geschäftsführer<br />

der Giebel Rechtsbesorgungs-GmbH.<br />

Er ist Mitherausgeber<br />

der „<strong>Zeitschrift</strong> <strong>für</strong> Verbraucher- und<br />

Privatinsolvenzrecht“ (ZVI) und ausgewiesen<br />

durch eine Vielzahl von Fachbeiträgen,<br />

vornehmlich im Insolvenzund<br />

Zwangsvollstreckungsrecht. Als<br />

Dozent vermittelt er praxisorientiert<br />

Kenntnisse aus diesen Rechtsgebieten.<br />

Herr Jäger ist Mitglied im<br />

Vorstand des Deutschen Privatinsolvenzrechtstages<br />

und des Rechtsausschusses<br />

des Bundesverbandes Deut-<br />

Ulrich Jäger<br />

scher Inkasso-Unternehmen e.V. (BDIU).<br />

Kirsten Pedd<br />

Kirsten Pedd studierte Rechtswissenschaften<br />

in Hamburg und begann ihre Laufbahn<br />

in der Inkassobranche im März 1997 beim<br />

Deutschen Inkasso Dienst (DID). In der<br />

folgenden Zeit verantwortete die Rechtsanwältin<br />

verschiedene Bereiche und Aufgaben<br />

innerhalb EOS Gruppe, zu der auch<br />

der DID gehört. Sie ist Geschäftsführerin<br />

mehrerer Gesellschaften der EOS Gruppe<br />

und als Chef-Syndika verantwortlich <strong>für</strong><br />

alle juristischen Belange der Gruppe in<br />

Deutschland. Im BDIU engagiert sie sich<br />

seit vielen Jahren, seit 2008 ist sie Mitglied<br />

des Präsidiums. Sie wurde im<br />

Oktober <strong>2015</strong> ins Präsidium des Bun<br />

desverbandes Großhandel, Außenhandel,<br />

Dienstleistungen (BGA) e.V. gewählt.<br />

Nr. 5/<strong>2015</strong> 219


Autoren dieser Ausgabe<br />

<strong>zfm</strong><br />

Dr. Christoph Niering ist Fachanwalt<br />

<strong>für</strong> Insolvenzrecht und Partner<br />

von Niering Stock Tömp Insolvenzverwaltungen.<br />

In den letzten<br />

20 Jahren hat er über 2.000<br />

Insolvenzverfahren betreut und<br />

war wiederholt als Sachverständiger<br />

des deutschen Bundestages<br />

<strong>für</strong> insolvenzrechtliche Fragestellungen<br />

tätig. Seit 2011 ist er Vorsitzender<br />

des Berufsverbandes der<br />

Insolvenzverwalter Deutschlands,<br />

VID.<br />

Michael Schmuck ist Rechtsanwalt,<br />

Journalist und Dozent<br />

<strong>für</strong> klare Kommunikation, insbesondere<br />

<strong>für</strong> klares Juristendeutsch<br />

bei Behörden, Kanzleien<br />

und Verbänden. Seit 25 Jahren<br />

arbeitet er an der Schnittstelle<br />

von Recht und Sprache. Er war<br />

unter anderem Gerichts- und Polizeireporter,<br />

Leiter einer Kommunikationsabteilung<br />

und Lektor<br />

<strong>für</strong> einen juristischen Verlag. Als<br />

Anwalt ist sein Schwerpunkt Medienrecht.<br />

Mit seinen Kollegen<br />

aus dem „Büro am Turm“ redigiert<br />

er juristische Texte und<br />

erstellt Lesbarkeitsanalysen.<br />

Dr. Christoph Niering<br />

Michael Schmuck<br />

IMPRESSUM<br />

ZAP Verlag GmbH<br />

Rochusstr. 2–4, 53123 Bonn<br />

Telefon: 02 28/9 19 11 0<br />

Telefax: 02 28/9 19 11 92<br />

E-Mail:info@zap-verlag.de<br />

Internet: http://www.zap-verlag.de<br />

Schriftleiter: Ass. jur. Daniela Gaub, Berlin, VRiOLG Frank-Michael Goebel, Koblenz<br />

Ansprechpartnerin im Verlag: Bettina Schwabe<br />

Anzeigenverwaltung: Karin Schwettmann<br />

Telefon: 02 28/9 19 11 41<br />

Telefax: 02 28/9 19 11 66<br />

E-Mail: schwettmann@zap-verlag.de<br />

Erscheinungsweise: Alle zwei Monate.<br />

Bezugspreis: Jährlich 189 EUR (inkl. MwSt.) zzgl. Versandkosten. Preisänderungen bleiben vorbehalten.<br />

Kündigung: Sechs Wochen zum Ende des Bezugsjahres.<br />

Druck: Appel & Klinger Druck und Medien GmbH, Schneckenlohe<br />

ISSN: 2364-2688<br />

220 Nr. 5/<strong>2015</strong>

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