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“Die Vormundschaft des Todes” - Silke Andrea Schuemmer

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Preisverleihungen sei von Unsicherheit nichts zu spüren gewesen, “da konnte sie ein<br />

gerüttelt Maß von Bosheit und Schlagfertigkeit entwickeln.” 102 Christine Lavant: “Ich hatte<br />

in der Zwischenzeit eine “Lavant-Ehrung” hier zu überstehen. Man hat es erstaunlich nobel<br />

gemacht und wenn ich nicht eine beinah schon krankhafte Abneigung gegen dergleichen<br />

hätte, müßte ich erfreut sein. Es ist ein Unvermögen, das nach Undank aussieht.” 103 Diese<br />

Abneigung gegen Ehrungen richtete sich jedoch nur gegen offizielle Termine. Privat war<br />

Christine Lavant eine “an Kommunikation und Begegnungen sehr interessierte, heiter und<br />

überaus natürlich sich gebende mitfühlende Person.” 104 Auch Wieland Schmidt hielt sie für<br />

“einen natürlichen, unverbildeten Menschen (...) eine Frau von großem Charme.” 105<br />

Daneben gab es aber noch die andere Seite der Christine Lavant, die einsam und aggressiv,<br />

paranoid und depressiv war. Laut Ludwig von Ficker war ihre seelische Verfassung “fatal”,<br />

was er auf ihre existentielle Ausgrenzung zurückführte. 106 Ob das Dichten Ventil ihrer<br />

Verzweiflung war oder die eigentliche Ursache, wie Christine Lavant selbst meinte, ist<br />

wahrscheinlich bei<strong>des</strong> zutreffend. Immer wieder bezeichnete sie das Schreiben als<br />

“Gegenpol zum gesunden Leben”, als “Sünde wider den Geist”. 107 Und an anderer Stelle<br />

schrieb sie: “Ich spüre in der Dichtung meinen Todfeind, das heißt: jenes Prinzip, das mich<br />

so vorzeitig alt gemacht hat.” 108 Um die beiden Seiten ihrer Existenz zu verbinden, schuf<br />

sich Christine Lavant neu. Sie erfand sich als Märchengestalt. Früh hatte sie gelernt, daß<br />

Sympathien ihr am ehesten in Form von Mitleid entgegenkamen, und so stilisierte sie sich<br />

mit Bauernkleid und Kopftuch als Hutzelweib. 109 Betrachtet man ein Paßfoto, das sie mit 24<br />

Jahren zeigt, und auf dem sie dem Betrachter die ‚gute‘, d.h. die narbenfreie Seite ihres<br />

Gesichtes zuwendet, sieht man eine zarte, ernste Person mit riesigen Augen. Sicherlich<br />

keine Illustriertenschönheit, aber auch keine Frau, die sich vor dem Leben verstecken muß.<br />

Was dann in den folgenden Jahren eintritt, könnte man als einen umgekehrten Kaiserin-<br />

Sissi-Effekt beschreiben: statt sich möglichst vorteilshaft darzustellen, um so einen<br />

strahlenden Mythos um sich zu schaffen, zeigen die Fotos und Holzschnitte, die über die<br />

Lavant im Umlauf sind, sie ausnahmslos als Hexe, alt, in bäuerliche Kluft gewandet, das<br />

Haar unter strengen Kopftüchern verbergend und gewollt Armut und Hinfälligkeit<br />

102 Scrinzi in: Weigel, S.30<br />

103 Christine Lavant 1974, S.152f<br />

104 Egon Wucherer in: Weiss, S.62<br />

105 Nehring in: Lübbe-Grothues 1984, S.19<br />

106 Wiesmüller in Rußegger und Strutz 1995, S.156<br />

107 Iurlano in Rußegger und Strutz 1995, S.62<br />

108 Christine Lavant 1974, S.152<br />

109 Hans Bender: Christine Lavant. Jahresring 74-75. O.O. (1974). S.197

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