Henselowsky Boschmann – Verlagsprospekt 2016
Der regionale Literaturversorger Ruhrgebiet
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Butter bei die Fische<br />
Vorwort von Hermann Beckfeld<br />
»Wie is?« <strong>–</strong> »Muss.« Pause, kurzes Nachdenken, dann muss es kommen, und es kommt. »Und selbst?«<br />
Ist es nicht beachtlich, wie einzigartig wenige Worte wir hier im Revier brauchen, um ein ordentliches Gespräch<br />
zu führen; ja, wir können sogar mit zwei Worten zeigen, dass wir nicht nur an uns selbst denken, sondern uns<br />
auch für den anderen interessieren?<br />
Hömma, schon sind wir mitten im Thema. Die Fragen »Wie is?« und »Und selbst?« sind bei uns mehr als berechtigt.<br />
Sie sind geradezu Pflicht. Denn im Leben eines Ruhris geht es auf und ab, Durchschnittsbefin den gibt<br />
es bei uns nicht. Wir sind nie satt. Entweder haben wir richtig Heißhunger <strong>–</strong> oder uns ist schlecht. Wir hier im<br />
Revier neigen zu Extremen, andersher um gesagt: Das Unge wöhnliche ist für uns gewöhnlich. Wir verabreden<br />
uns auf ein, zwei Bierchen, wissen aber schon vorher, dass wir voll trunken nach Hause wanken. Die Frau sagt<br />
dir, ich beglei te die Freundin nur ins Centro. Selbst brauche ich nichts, ich habe den Schrank ja voll. Zurück<br />
kommt sie mit Einkaufstaschen, die sie kaum alleine tragen kann.<br />
Die Fragen »Wie is?« und »Und selbst?« lohnen sich schon deshalb, weil wir a) ahnen, dass irgendwas schief<br />
gegangen ist, b) was zum Weitererzählen brauchen, c) weil wir uns mit unserem »Muss« schon geoutet haben,<br />
dass bei uns nicht alles rundläuft, und d) wir dann doch lieber das Elend des anderen hören wollen: »Und<br />
selbst?«<br />
Butter bei die Fische. Wir hier im Revier verbindet doch, dass wir alles sein wollen, nur kein Mittelmaß; und<br />
dass wir, wenn wir ein Ziel vor Augen haben, losstürmen, als gäbe es kein Morgen. Augen zu und durch,<br />
Papa kriegt das schon auf den Pinn. Wen wundert’s, dass wir dabei ab und an stolpern, manchmal sogar auf<br />
die Fresse fallen. Was uns in solchen Situationen auszeichnet, dass wir uns schon im freien Fall Gedanken<br />
machen: Warum bin denn ich gerade wieder der Doofmann? Und wie komme ich aus der Sch… wieder raus?<br />
Bei uns im Revier gehen der freie Fall und das Auf rappeln quasi ineinander über, man könnte fast sagen: Es ist<br />
ein einziger Vorgang, den in dieser Perfektion nur wir beherrschen. Andere üben sich in Selbstmitleid, lecken<br />
ihre Wunden oder ganz schlimm: bleiben liegen. Nun gut, auch wir sind Meister darin, anderen die Schuld zu<br />
geben und eine dicke Lippe zu riskieren: »Hömma, du Flachpfeife …« Aber wir können uns auch selbst auf<br />
den Arm nehmen, was fürwahr eine schwierige gymnastische Übung ist. Und wir können richtig malochen,<br />
anpacken und zeigen, wo es langgeht, so wie einst Opa vor Kohle mit dem Press lufthammer. Warum is dat so?<br />
Vielleicht, weil dat bei uns so schön is wie nirgendwo anders, oder zumindest so tun, als ob. Und deshalb das<br />
Leben sogar dann lieben, wenn es uns gerade mal nicht liebt.<br />
»Wie is?« haben wir unsere Autoren gefragt. Ihre Antworten sind mehr als ein »Muss«. Ihre Geschichten erzählen<br />
von Liebe und Enttäuschungen, von Ruhrpotthelden und Versagern, die keine sind; von Orten, die wir<br />
mögen: dem eigene Garten und kleinen Buchläden, von denen es nicht mehr so viele gibt. Vielfach sind es<br />
Liebeserklärungen. An das Leben. An unser Revier. An Menschen mit kleinen Schwächen und großem Herz.<br />
Der Taubenzüchter schlägt auf diese Seite<br />
um und fasst sich ans Herz.<br />
Bor, was für ein Titel, was für ein Foto!<br />
Jau! 31 Autorinnen und Autoren. Die<br />
Jüngste hat gerade ihr Abitur gemacht; der<br />
Älteste bin wohl ich.<br />
Das Buch verkaufste wie geschnitten Brot.<br />
Nicht hier in Bottrop.<br />
Wieso?<br />
Da ist ein Bottrop-kritischer Artikel drin, in<br />
dem sogar der Oberbürgermeister erwähnt<br />
wird. Und du weißt ja, solche Bücher<br />
dürfen in Bottrop nicht gelesen werden.<br />
Das kann doch nicht sein! Wir haben doch<br />
auch hier die Demokratie und <strong>–</strong> wie heißt<br />
dat Dingen noch <strong>–</strong> Meinungsfreiheit.<br />
We are in the land of the free!<br />
Der Büchermacher hält dem Taubenzüchter<br />
den Mund zu und macht ein ernstes<br />
Gesicht. Im Flüsterton sagt er:<br />
Leise!<br />
Beide blicken sich um.<br />
Feind in Sicht?<br />
Man kann nie wissen?<br />
Sie flüstern noch leiser.<br />
Meinze wirklich, et is hier schon soweit?<br />
Wat?<br />
China? Iran? Syrien? Türkei?<br />
Nee, schlimmer.<br />
Wie denn.<br />
Der Büchermacher flüstert dem Taubenzüchter<br />
etwas ins Ohr; der wird blass um<br />
die Nase, und seine hohe Stirn wirft ungeahnt<br />
tiefe Falten. Dann sehr laut:<br />
Echt? In Bottrop is wie in Nordkorea. Bor!<br />
Diverse Passanten bleiben abrupt stehen.<br />
Ein älteres Ehepaar nickt ihnen bejahend<br />
zu. Ein etwa zehnjähriges Mädchen tritt<br />
heran, friemelt ein Bonbon aus ihrem<br />
Mund und drückt es dem Taubenzüchter<br />
in die Hand. Zwei Mitarbeiter des »KOD«<br />
(Kommunaler Ordnungsdienst Bottrop}<br />
nähern sich. Die Menschenmenge bildet<br />
einen Ring um Charly’s Obsttheke.<br />
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