14.08.2016 Aufrufe

Henselowsky Boschmann – Verlagsprospekt 2016

Der regionale Literaturversorger Ruhrgebiet

Der regionale Literaturversorger Ruhrgebiet

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Butter bei die Fische<br />

Vorwort von Hermann Beckfeld<br />

»Wie is?« <strong>–</strong> »Muss.« Pause, kurzes Nachdenken, dann muss es kommen, und es kommt. »Und selbst?«<br />

Ist es nicht beachtlich, wie einzigartig wenige Worte wir hier im Revier brauchen, um ein ordentliches Gespräch<br />

zu führen; ja, wir können sogar mit zwei Worten zeigen, dass wir nicht nur an uns selbst denken, sondern uns<br />

auch für den anderen interessieren?<br />

Hömma, schon sind wir mitten im Thema. Die Fragen »Wie is?« und »Und selbst?« sind bei uns mehr als berechtigt.<br />

Sie sind geradezu Pflicht. Denn im Leben eines Ruhris geht es auf und ab, Durchschnittsbefin den gibt<br />

es bei uns nicht. Wir sind nie satt. Entweder haben wir richtig Heißhunger <strong>–</strong> oder uns ist schlecht. Wir hier im<br />

Revier neigen zu Extremen, andersher um gesagt: Das Unge wöhnliche ist für uns gewöhnlich. Wir verabreden<br />

uns auf ein, zwei Bierchen, wissen aber schon vorher, dass wir voll trunken nach Hause wanken. Die Frau sagt<br />

dir, ich beglei te die Freundin nur ins Centro. Selbst brauche ich nichts, ich habe den Schrank ja voll. Zurück<br />

kommt sie mit Einkaufstaschen, die sie kaum alleine tragen kann.<br />

Die Fragen »Wie is?« und »Und selbst?« lohnen sich schon deshalb, weil wir a) ahnen, dass irgendwas schief<br />

gegangen ist, b) was zum Weitererzählen brauchen, c) weil wir uns mit unserem »Muss« schon geoutet haben,<br />

dass bei uns nicht alles rundläuft, und d) wir dann doch lieber das Elend des anderen hören wollen: »Und<br />

selbst?«<br />

Butter bei die Fische. Wir hier im Revier verbindet doch, dass wir alles sein wollen, nur kein Mittelmaß; und<br />

dass wir, wenn wir ein Ziel vor Augen haben, losstürmen, als gäbe es kein Morgen. Augen zu und durch,<br />

Papa kriegt das schon auf den Pinn. Wen wundert’s, dass wir dabei ab und an stolpern, manchmal sogar auf<br />

die Fresse fallen. Was uns in solchen Situationen auszeichnet, dass wir uns schon im freien Fall Gedanken<br />

machen: Warum bin denn ich gerade wieder der Doofmann? Und wie komme ich aus der Sch… wieder raus?<br />

Bei uns im Revier gehen der freie Fall und das Auf rappeln quasi ineinander über, man könnte fast sagen: Es ist<br />

ein einziger Vorgang, den in dieser Perfektion nur wir beherrschen. Andere üben sich in Selbstmitleid, lecken<br />

ihre Wunden oder ganz schlimm: bleiben liegen. Nun gut, auch wir sind Meister darin, anderen die Schuld zu<br />

geben und eine dicke Lippe zu riskieren: »Hömma, du Flachpfeife …« Aber wir können uns auch selbst auf<br />

den Arm nehmen, was fürwahr eine schwierige gymnastische Übung ist. Und wir können richtig malochen,<br />

anpacken und zeigen, wo es langgeht, so wie einst Opa vor Kohle mit dem Press lufthammer. Warum is dat so?<br />

Vielleicht, weil dat bei uns so schön is wie nirgendwo anders, oder zumindest so tun, als ob. Und deshalb das<br />

Leben sogar dann lieben, wenn es uns gerade mal nicht liebt.<br />

»Wie is?« haben wir unsere Autoren gefragt. Ihre Antworten sind mehr als ein »Muss«. Ihre Geschichten erzählen<br />

von Liebe und Enttäuschungen, von Ruhrpotthelden und Versagern, die keine sind; von Orten, die wir<br />

mögen: dem eigene Garten und kleinen Buchläden, von denen es nicht mehr so viele gibt. Vielfach sind es<br />

Liebeserklärungen. An das Leben. An unser Revier. An Menschen mit kleinen Schwächen und großem Herz.<br />

Der Taubenzüchter schlägt auf diese Seite<br />

um und fasst sich ans Herz.<br />

Bor, was für ein Titel, was für ein Foto!<br />

Jau! 31 Autorinnen und Autoren. Die<br />

Jüngste hat gerade ihr Abitur gemacht; der<br />

Älteste bin wohl ich.<br />

Das Buch verkaufste wie geschnitten Brot.<br />

Nicht hier in Bottrop.<br />

Wieso?<br />

Da ist ein Bottrop-kritischer Artikel drin, in<br />

dem sogar der Oberbürgermeister erwähnt<br />

wird. Und du weißt ja, solche Bücher<br />

dürfen in Bottrop nicht gelesen werden.<br />

Das kann doch nicht sein! Wir haben doch<br />

auch hier die Demokratie und <strong>–</strong> wie heißt<br />

dat Dingen noch <strong>–</strong> Meinungsfreiheit.<br />

We are in the land of the free!<br />

Der Büchermacher hält dem Taubenzüchter<br />

den Mund zu und macht ein ernstes<br />

Gesicht. Im Flüsterton sagt er:<br />

Leise!<br />

Beide blicken sich um.<br />

Feind in Sicht?<br />

Man kann nie wissen?<br />

Sie flüstern noch leiser.<br />

Meinze wirklich, et is hier schon soweit?<br />

Wat?<br />

China? Iran? Syrien? Türkei?<br />

Nee, schlimmer.<br />

Wie denn.<br />

Der Büchermacher flüstert dem Taubenzüchter<br />

etwas ins Ohr; der wird blass um<br />

die Nase, und seine hohe Stirn wirft ungeahnt<br />

tiefe Falten. Dann sehr laut:<br />

Echt? In Bottrop is wie in Nordkorea. Bor!<br />

Diverse Passanten bleiben abrupt stehen.<br />

Ein älteres Ehepaar nickt ihnen bejahend<br />

zu. Ein etwa zehnjähriges Mädchen tritt<br />

heran, friemelt ein Bonbon aus ihrem<br />

Mund und drückt es dem Taubenzüchter<br />

in die Hand. Zwei Mitarbeiter des »KOD«<br />

(Kommunaler Ordnungsdienst Bottrop}<br />

nähern sich. Die Menschenmenge bildet<br />

einen Ring um Charly’s Obsttheke.<br />

24

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!