Henselowsky Boschmann – Verlagsprospekt 2016
Der regionale Literaturversorger Ruhrgebiet
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Ricki nimmt einen tiefen Zug und schaut zufrieden empor in Richtung seiner dunkelgrau gestrichenen Zimmerdecke.<br />
Schön, wie er den Lackaffen verarscht hat! Die Aktion kann als gelungen bezeichnet werden. Er entlässt<br />
den Qualm aus seiner Lunge, bei der man eine ähnliche Farbgebung wie die der Decke vermuten darf.<br />
»Jeden Tag ne gute Tat!«, säuselt Ricki. Und einen Lackaffen zu verarschen, ist eindeutig eine gute Tat.<br />
Sein Blick gleitet von der Decke runter zur Wand und bleibt an einer verdächtig aussehenden Stelle hängen.<br />
Die Stelle befindet sich über einer Reihe von Nägeln, an denen ein paar Dinge hängen, die entfernt an Kleidungsstücke<br />
erinnern. Die Nägel sind Rickis Schrankersatz. In seinem Zustand gibt er nur ungern die Rückenlage<br />
auf, in der er es sich auf seiner Matratze bequem gemacht hat. Das Ding ist sein bevorzugter Aufenthaltsort.<br />
In jedem Zustand.<br />
Ricki rollt sich auf die Seite. Noch hat er Mühe, den Kopf zu heben, so dass die Nase das fleckige Bettlaken<br />
berührt. Er zieht die Luft ein und lächelt. Das Laken ist von der langjährigen und ausdauernden Benutzung an<br />
einigen Stellen eine dauerhafte Verbindung mit der Unterlage eingegangen. Ein Wechsel des Lakens kommt<br />
für Ricki jedoch nicht infrage. Er würde womöglich die Matratze beschädigen, ein Risiko, das er nicht einzugehen<br />
gewillt ist. Ricki hängt an seinen Sachen. Den Geruch des Lakens hat er nie als störend empfunden, im<br />
Gegenteil. Es ist schließlich weitgehend sein eigener.<br />
Er richtet sich halb auf, den Blick wieder auf die Stelle konzentrierend. Dann stemmt er sich hoch und geht zur<br />
Wand, um sich die Sache aus der Nähe anzuschauen, kann aber immer noch nichts Genaues erkennen. Die<br />
momentan einzige ein wenig Helligkeit spendende Quelle im Raum ist eine von der Decke baumelnde Lichterkette<br />
aus Plastikcannabisblättern, die er in einem Headshop erstanden hat und die für seine Verhältnisse nicht<br />
gerade billig war. Sie verbreitet ein trübes Schummerlicht, auch tagsüber, denn das kleine schräge Dachfenster<br />
des Zimmers ist mit einem schweren dunklen Stoff verhängt.<br />
Ricki knipst die neben der Lichterkette hängende nackte Glühbirne an. Die Birne erhellt den Raum und die<br />
Stelle. »Scheiße!«, entfährt es Ricki. »Der piefige Mist kommt durch!«<br />
Er inhaliert noch einmal kräftig. Der kleine Reststummel des Joints glüht auf. Dann drückt Ricki ihn in einem<br />
Aschenbecher in Totenkopfform aus. Geht hinüber in den Küchenraum und macht Licht. Das Zimmer ist größer<br />
als das Matratzenzimmer und tagsüber heller. Südseite. Das Fenster geht zum Hof hinaus und ist nicht<br />
verhängt. Weil davor Rickis Pflanzen stehen. Sie brauchen Licht. Im Vorbeigehen streift seine Hand sanft über<br />
die Glücklichmacher, dann bleibt er vor dem antiken Regal stehen, das er vor Jahren an einem Glückstag<br />
im Sperrmüll gefunden hat. Er schiebt ein paar der blinden Gläser zur Seite und wühlt in der eigenwilligen<br />
Geschirrsammlung, findet aber nicht das Gesuchte. Sein Blick durchforstet das auf dem Boden vor sich hin<br />
schimmelnde Leergut. Fehlanzeige. Er schaut unter der zugesifften Spüle nach. Nichts. Schließlich wird er im<br />
Kühlschrank fündig.<br />
»Bekloppt!«, sagt Ricki. Und meint die Dose und den Pinsel, die er mühsam von der klebrigen Glasplatte löst.<br />
Was hat eine Dose mit Farbe auch in einem Kühlschrank zu suchen?!<br />
Er geht zurück in das Matratzenzimmer, stellt die Dose ab und wühlt kurz in dem Stapel Schallplatten, die<br />
sich neben dem Plattenspieler türmen, hauptsächlich Reggaeplatten und ein paar alte Rockscheiben aus den<br />
70ern, die nach Rickis Einschätzung immer noch den besten Kiffer-Soundtrack abliefern. Er findet Pink Floyds<br />
»Meddle«, zieht die Platte aus der ramponierten Hülle, legt sie auf den Plattenteller und setzt die Nadel auf.<br />
Ricki liebt das knisternde Geräusch, das intensiv genutzte Schallplatten machen. Als das charakteristische<br />
»Ping« des Stückes »Echoes« einsetzt, macht er sich an die Arbeit und überstreicht mit dicken Strichen den<br />
piefigen Mist.<br />
Seit gut acht Monaten wohnt Ricki in dem Haus. Vor dem Einzug hat er »renoviert« und Wände und Decken<br />
gestrichen. Alles in Dunkelgrau. Weil er für die Farbe praktisch nichts bezahlen musste. Die Eimer standen<br />
seit Jahren im Keller von einem gewissen Bingo, einem entfernten Kumpel von Ricki, und waren zu nichts<br />
nütze. Bingo wusste selbst nicht, wie sie da hingekommen waren. Er tippte auf eine vergessene Erbschaft.<br />
Jedenfalls konnte Ricki sie fast ganz umsonst einsacken. Nur ein paar von seinen Pflanzen hat er Bingo dafür<br />
dagelassen, durchaus schweren Herzens. Aber die Tapeten, die der Vormieter in der Wohnung belassen<br />
hatte, waren einfach grauslich gewesen, ein sich ständig wiederholendes, rustikal anmutendes Ornament, das<br />
wie aus einem niederbayrischen Landgasthof entsprungen wirkte. Eben ein piefiger Mist.<br />
»Bingo!«, hat Bingo gesagt, nachdem sie die Ware getauscht hatten. Seine Vorliebe für diesen Ausdruck hat<br />
abgefärbt. Auch Ricki benutzt ihn ab und an. Aber nur, wenn Bingo nicht dabei ist.<br />
Zurück in seiner neuen Bleibe, hat Ricki die Tapeten sofort und großzügig übermalt, und weil nun einmal genügend<br />
Dunkelgrau vorhanden war, hat er das Weiß der Decke gleich mit eingegraut.<br />
»Schafft Ruhe für dat Auge«, hat er gedacht. Die Restfarbe hat er in die Dose gefüllt, in den Kühlschrank gestellt<br />
<strong>–</strong> weil dort oft Platz ist <strong>–</strong> und dann vergessen.<br />
Mit der höhlenartigen Anmutung der zwei Räume ist Ricki durchaus zufrieden. Er mag Höhlen, besonders<br />
Räucherhöhlen. Für das Räuchern sorgt er selbst, und manchmal helfen ein paar Kumpels. […|<br />
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