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Die Knöchel schmerzen. Der<br />
Rücken zwickt. Die Sonne<br />
blendet mich. Wenigstens<br />
hat die Wadenmuskulatur<br />
vorübergehend das Wehklagen eingestellt,<br />
aber dafür gerät so langsam<br />
meine Willenskraft ins Taumeln. Ich<br />
kämpfe noch einen Kilometer dagegen<br />
an. Dann muss ich stehenbleiben.<br />
Und weitergehen – statt laufen.<br />
Die letzten beiden Labe-Stationen<br />
habe ich kaum was runtergekriegt,<br />
weder ein Gel noch meinen Puls. Und<br />
nach 25 Kilometern im abschließenden<br />
Marathon des IRONMAN Austria<br />
reichen Wassermelone, Orangen und<br />
Cola offenbar nicht mehr aus, um meinen<br />
Energiebedarf zu decken. 6 Kilometer<br />
hatsche ich wie ein Roboter vor<br />
mich hin. Linkes Bein, rechtes Bein.<br />
Mehr scheint in meinem Kopf nicht<br />
mehr vor sich zu gehen. Minutenlang<br />
bewege ich mich durch mentales Niemandsland<br />
und versuche, mich damit<br />
abzufinden, bis ins Ziel zu gehen.<br />
Aber – das möchte ich nicht! Ich<br />
will noch einmal loslaufen, muss irgendwie<br />
meinen Körper überrumpeln;<br />
so, wie man ein liegengebliebenes<br />
Auto anschiebt und mit einem<br />
Ruck den zweiten Gang einlegt. Und<br />
mein Plan geht auf: Bei Kilometer 31<br />
springt doch tatsächlich der Motor<br />
wieder an!<br />
WEIL ICH ES WILL<br />
An den zwei Labestationen zuvor hatte<br />
ich mehrere Becher Cola getrunken,<br />
ein halbes Gel runter gewürgt,<br />
und mir immer wieder vor Augen geführt,<br />
dass mich niemand dazu gezwungen<br />
hat, diesen IRONMAN zu<br />
bewältigen. Sondern, dass ich es tue<br />
– weil ich es will. Und zum ersten Mal<br />
seit Stunden kann ich lächeln. Es ist<br />
ein Geschenk, denke ich mir, so gesund<br />
und fit zu sein, dass ich einen solchen<br />
Tag erleben darf. Und die Aussicht,<br />
das Ziel in etwa einer Stunde zu<br />
erreichen, schiebt mich Schritt für<br />
Schritt nach vorne. Aus Selbstvertrauen<br />
wird Euphorie.<br />
Nach quälend langen 4:52 Stunden<br />
auf der Marathonstrecke passiere<br />
ich den roten Teppich und höre diese<br />
Worte, die nichts als heiße Luft im lauen<br />
Kärnten sind – und mir in diesem<br />
Augenblick dennoch die Welt bedeuten:<br />
„Axel … you are an Ironman.“<br />
AXEL RABENSTEIN liefert seit<br />
vielen Jahren für SPORT aktiv Interviews<br />
von Weltklassesportlern. Jetzt<br />
machte er sich selbst in Klagenfurt<br />
zum IRONMAN – und erzählt hier<br />
die Geschichte eines fast 13-stündigen<br />
Erlebnisses zwischen Leiden<br />
und Euphorie.<br />
„SAURE BEINE“ AM RAD<br />
Um 7 Uhr früh springe ich mit 2.900<br />
anderen Triathleten ins türkisblaue<br />
Wasser des Wörthersees. Nun gilt es,<br />
die Aufregung hinter sich zu lassen<br />
und sich langsam, aber sicher in Trance<br />
zu schwimmen, um die 3,86 km<br />
möglichst unaufgeregt zu bewältigen.<br />
Ich versuche, wenig zu denken und<br />
meinen Atem zu beruhigen, folge den<br />
Luftblasen anderer Schwimmer und<br />
freue mich über jede Boje, die vor mir<br />
im Blickfeld auftaucht.<br />
Der letzte Kilometer im Lendkanal<br />
ist psychologisch angenehm, weil<br />
man theoretisch stehen könnte. Aber<br />
es staut sich ein wenig, weil einige der<br />
Schwimmer zunehmend an Tempo<br />
verlieren. Schließlich steige ich nach<br />
1:11 Stunden aus dem Wasser. Erster<br />
Teil – erledigt!<br />
Auf dem Rad komme ich gut ins<br />
Rollen, an den Anstiegen zum Faaker<br />
See und am Rupertiberg muss ich aus<br />
dem Sattel, in der ersten Runde über<br />
90 km macht das noch Spaß. In der<br />
zweiten Runde ist es weniger unterhaltsam.<br />
Ich spüre, dass meine Beine<br />
sauer sind und denke an den anschließenden<br />
Marathon. Keine gute Idee.<br />
Ich konzentriere mich lieber wieder<br />
voll und ganz auf das Beenden der 180<br />
km langen Radpartie, was mir nach<br />
6:20 Stunden endlich vergönnt ist.<br />
6 KM IM GEH-MODUS<br />
Ich besuche mit großer Freude ein Dixie-Klo<br />
in der Wechselzone, nehme<br />
noch ein Gel in die Hand und laufe los.<br />
Die ersten Kilometer ziehen sich. Und<br />
es wird nicht besser. Mittags hatte es<br />
geregnet, nun ist es ein schwülwarmer<br />
Nachmittag. Ich habe das Gefühl,<br />
immer schwerer Luft zu kriegen.<br />
Mein Puls scheint ziemlich hoch zu<br />
sein, was ich mit aufgelegter Hand auf<br />
der Brust erfasse, weil ich leider nicht<br />
klug genug war, mir doch noch eine<br />
Pulsuhr zuzulegen. Bei Kilometer 25<br />
ist vorerst Schluss. Ich muss stehenbleiben,<br />
kann 6 km nur gehen, nicht<br />
mehr laufen.<br />
Ob es der Mangel an Kohlenhydraten<br />
war oder doch nur Kopfsache,<br />
vermag ich im Nachhinein nicht zu<br />
sagen. Aber das verschwimmt rückblickend<br />
ohnehin zu einer Nichtigkeit.<br />
Weil ich am Ende mein Ziel erreiche<br />
– und nach 12 Stunden 39 Minuten<br />
meinen ersten Triathlon über die<br />
Langdistanz absolviert habe!<br />
Das alkoholfreie Bier schmeckt<br />
überragend. Noch besser der Kuss<br />
meiner Freundin. Später will ich in einem<br />
Restaurant in Velden einen Grillteller<br />
verspeisen, bin aber so fertig,<br />
dass ich mir das Essen einpacken lassen<br />
muss und es erst am nächsten<br />
Morgen kalt aus dem Kühlschrank<br />
verzehre.<br />
DER KREIS SCHLIESST SICH<br />
Bleibt die Frage, ob es sich gelohnt hat.<br />
Ich kann es nur mit einem lauten „Ja“<br />
beantworten. Es war ein gutes Gefühl,<br />
monatelang so fokussiert auf ein Ziel<br />
hinzuarbeiten. Sich immer wieder zu<br />
überwinden. Aus dem Bett zu quälen<br />
oder vom Sofa zu schälen.<br />
Ich denke, dass mich dieser IRON-<br />
MAN ein wenig verändert hat. Vor 10<br />
Jahren hatte ich für <strong>SPORTaktiv</strong> ein<br />
Interview mit Faris Al-Sultan geführt,<br />
dem Sieger des IRONMAN Hawaii von<br />
2005. Damals schien es mir unvorstellbar,<br />
solche Distanzen am Stück<br />
zu bewältigen. Ein Jahrzehnt später<br />
schließt sich der Kreis – plötzlich bin<br />
ich selbst ein Teil dieses Zirkels hartgesottener<br />
Ausdauersportler.<br />
Die Tage nach dem IRONMAN<br />
Austria hatte ich das Gefühl eines inneren<br />
Leuchtens. Natürlich habe ich<br />
auch die Glückwünsche von Kollegen,<br />
Freunden und Bekannten gerne entgegengenommen.<br />
Aber die Anerkennung<br />
der anderen war mir nicht so<br />
sehr von Bedeutung – wie der Blick in<br />
den Spiegel. Im Bewusstsein, mich<br />
selbst besiegt zu haben. Meine Selbstzweifel.<br />
Und meine eigene Schwäche.<br />
Nr. 4; <strong>August</strong> / September <strong>2016</strong><br />
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