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SPORTaktiv August 2016

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Die Knöchel schmerzen. Der<br />

Rücken zwickt. Die Sonne<br />

blendet mich. Wenigstens<br />

hat die Wadenmuskulatur<br />

vorübergehend das Wehklagen eingestellt,<br />

aber dafür gerät so langsam<br />

meine Willenskraft ins Taumeln. Ich<br />

kämpfe noch einen Kilometer dagegen<br />

an. Dann muss ich stehenbleiben.<br />

Und weitergehen – statt laufen.<br />

Die letzten beiden Labe-Stationen<br />

habe ich kaum was runtergekriegt,<br />

weder ein Gel noch meinen Puls. Und<br />

nach 25 Kilometern im abschließenden<br />

Marathon des IRONMAN Austria<br />

reichen Wassermelone, Orangen und<br />

Cola offenbar nicht mehr aus, um meinen<br />

Energiebedarf zu decken. 6 Kilometer<br />

hatsche ich wie ein Roboter vor<br />

mich hin. Linkes Bein, rechtes Bein.<br />

Mehr scheint in meinem Kopf nicht<br />

mehr vor sich zu gehen. Minutenlang<br />

bewege ich mich durch mentales Niemandsland<br />

und versuche, mich damit<br />

abzufinden, bis ins Ziel zu gehen.<br />

Aber – das möchte ich nicht! Ich<br />

will noch einmal loslaufen, muss irgendwie<br />

meinen Körper überrumpeln;<br />

so, wie man ein liegengebliebenes<br />

Auto anschiebt und mit einem<br />

Ruck den zweiten Gang einlegt. Und<br />

mein Plan geht auf: Bei Kilometer 31<br />

springt doch tatsächlich der Motor<br />

wieder an!<br />

WEIL ICH ES WILL<br />

An den zwei Labestationen zuvor hatte<br />

ich mehrere Becher Cola getrunken,<br />

ein halbes Gel runter gewürgt,<br />

und mir immer wieder vor Augen geführt,<br />

dass mich niemand dazu gezwungen<br />

hat, diesen IRONMAN zu<br />

bewältigen. Sondern, dass ich es tue<br />

– weil ich es will. Und zum ersten Mal<br />

seit Stunden kann ich lächeln. Es ist<br />

ein Geschenk, denke ich mir, so gesund<br />

und fit zu sein, dass ich einen solchen<br />

Tag erleben darf. Und die Aussicht,<br />

das Ziel in etwa einer Stunde zu<br />

erreichen, schiebt mich Schritt für<br />

Schritt nach vorne. Aus Selbstvertrauen<br />

wird Euphorie.<br />

Nach quälend langen 4:52 Stunden<br />

auf der Marathonstrecke passiere<br />

ich den roten Teppich und höre diese<br />

Worte, die nichts als heiße Luft im lauen<br />

Kärnten sind – und mir in diesem<br />

Augenblick dennoch die Welt bedeuten:<br />

„Axel … you are an Ironman.“<br />

AXEL RABENSTEIN liefert seit<br />

vielen Jahren für SPORT aktiv Interviews<br />

von Weltklassesportlern. Jetzt<br />

machte er sich selbst in Klagenfurt<br />

zum IRONMAN – und erzählt hier<br />

die Geschichte eines fast 13-stündigen<br />

Erlebnisses zwischen Leiden<br />

und Euphorie.<br />

„SAURE BEINE“ AM RAD<br />

Um 7 Uhr früh springe ich mit 2.900<br />

anderen Triathleten ins türkisblaue<br />

Wasser des Wörthersees. Nun gilt es,<br />

die Aufregung hinter sich zu lassen<br />

und sich langsam, aber sicher in Trance<br />

zu schwimmen, um die 3,86 km<br />

möglichst unaufgeregt zu bewältigen.<br />

Ich versuche, wenig zu denken und<br />

meinen Atem zu beruhigen, folge den<br />

Luftblasen anderer Schwimmer und<br />

freue mich über jede Boje, die vor mir<br />

im Blickfeld auftaucht.<br />

Der letzte Kilometer im Lendkanal<br />

ist psychologisch angenehm, weil<br />

man theoretisch stehen könnte. Aber<br />

es staut sich ein wenig, weil einige der<br />

Schwimmer zunehmend an Tempo<br />

verlieren. Schließlich steige ich nach<br />

1:11 Stunden aus dem Wasser. Erster<br />

Teil – erledigt!<br />

Auf dem Rad komme ich gut ins<br />

Rollen, an den Anstiegen zum Faaker<br />

See und am Rupertiberg muss ich aus<br />

dem Sattel, in der ersten Runde über<br />

90 km macht das noch Spaß. In der<br />

zweiten Runde ist es weniger unterhaltsam.<br />

Ich spüre, dass meine Beine<br />

sauer sind und denke an den anschließenden<br />

Marathon. Keine gute Idee.<br />

Ich konzentriere mich lieber wieder<br />

voll und ganz auf das Beenden der 180<br />

km langen Radpartie, was mir nach<br />

6:20 Stunden endlich vergönnt ist.<br />

6 KM IM GEH-MODUS<br />

Ich besuche mit großer Freude ein Dixie-Klo<br />

in der Wechselzone, nehme<br />

noch ein Gel in die Hand und laufe los.<br />

Die ersten Kilometer ziehen sich. Und<br />

es wird nicht besser. Mittags hatte es<br />

geregnet, nun ist es ein schwülwarmer<br />

Nachmittag. Ich habe das Gefühl,<br />

immer schwerer Luft zu kriegen.<br />

Mein Puls scheint ziemlich hoch zu<br />

sein, was ich mit aufgelegter Hand auf<br />

der Brust erfasse, weil ich leider nicht<br />

klug genug war, mir doch noch eine<br />

Pulsuhr zuzulegen. Bei Kilometer 25<br />

ist vorerst Schluss. Ich muss stehenbleiben,<br />

kann 6 km nur gehen, nicht<br />

mehr laufen.<br />

Ob es der Mangel an Kohlenhydraten<br />

war oder doch nur Kopfsache,<br />

vermag ich im Nachhinein nicht zu<br />

sagen. Aber das verschwimmt rückblickend<br />

ohnehin zu einer Nichtigkeit.<br />

Weil ich am Ende mein Ziel erreiche<br />

– und nach 12 Stunden 39 Minuten<br />

meinen ersten Triathlon über die<br />

Langdistanz absolviert habe!<br />

Das alkoholfreie Bier schmeckt<br />

überragend. Noch besser der Kuss<br />

meiner Freundin. Später will ich in einem<br />

Restaurant in Velden einen Grillteller<br />

verspeisen, bin aber so fertig,<br />

dass ich mir das Essen einpacken lassen<br />

muss und es erst am nächsten<br />

Morgen kalt aus dem Kühlschrank<br />

verzehre.<br />

DER KREIS SCHLIESST SICH<br />

Bleibt die Frage, ob es sich gelohnt hat.<br />

Ich kann es nur mit einem lauten „Ja“<br />

beantworten. Es war ein gutes Gefühl,<br />

monatelang so fokussiert auf ein Ziel<br />

hinzuarbeiten. Sich immer wieder zu<br />

überwinden. Aus dem Bett zu quälen<br />

oder vom Sofa zu schälen.<br />

Ich denke, dass mich dieser IRON-<br />

MAN ein wenig verändert hat. Vor 10<br />

Jahren hatte ich für <strong>SPORTaktiv</strong> ein<br />

Interview mit Faris Al-Sultan geführt,<br />

dem Sieger des IRONMAN Hawaii von<br />

2005. Damals schien es mir unvorstellbar,<br />

solche Distanzen am Stück<br />

zu bewältigen. Ein Jahrzehnt später<br />

schließt sich der Kreis – plötzlich bin<br />

ich selbst ein Teil dieses Zirkels hartgesottener<br />

Ausdauersportler.<br />

Die Tage nach dem IRONMAN<br />

Austria hatte ich das Gefühl eines inneren<br />

Leuchtens. Natürlich habe ich<br />

auch die Glückwünsche von Kollegen,<br />

Freunden und Bekannten gerne entgegengenommen.<br />

Aber die Anerkennung<br />

der anderen war mir nicht so<br />

sehr von Bedeutung – wie der Blick in<br />

den Spiegel. Im Bewusstsein, mich<br />

selbst besiegt zu haben. Meine Selbstzweifel.<br />

Und meine eigene Schwäche.<br />

Nr. 4; <strong>August</strong> / September <strong>2016</strong><br />

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