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Naturhistorica 156

Naturhistorica 156 der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover, 2014. http://www.n-g-h.org/pages/publikationen/naturhistorica---berichte-der-ngh/naturhistorica-156.php

Naturhistorica 156 der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover, 2014. http://www.n-g-h.org/pages/publikationen/naturhistorica---berichte-der-ngh/naturhistorica-156.php

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JUGENDPREIS 2014<br />

Soziale<br />

Faltenwespen<br />

Im Wandel: Flora im Stadtgebiet Hildesheim<br />

Im Fluss: Fischfauna in Zuflüssen des HWR Salzderhelden<br />

Im Vergleich: Vegetation in Wäldern bei Wittenburg<br />

Im Muschelkalk: Das Erfolgsmodell Ceratit<br />

Im Kasten: Exotische Libellen<br />

<strong>156</strong> · 2014


Ausgabe <strong>156</strong><br />

2014<br />

Herausgegeben von der<br />

Naturhistorischen Gesellschaft Hannover


<strong>Naturhistorica</strong><br />

Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover<br />

Ausgabe <strong>156</strong><br />

Hannover · Germany · 2014<br />

ISSN 1868-0828<br />

www.<strong>Naturhistorica</strong>.de<br />

Herausgeber<br />

Naturhistorische Gesellschaft Hannover<br />

Redaktion<br />

Dieter Schulz<br />

Lektorat<br />

Franz-Jürgen Harms (Geologie)<br />

Hansjörg Küster (Botanik und Ökologie)<br />

Annette Richter (Paläontologie und Zoologie)<br />

Dieter Schulz (Biologie)<br />

Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren verantwortlich.<br />

Design, Satz<br />

Matthias Winter, vemion.de, Hannover<br />

Umschlagbild Sächsische Wespe © Klaus D. Jürgens<br />

Bild S. 1 Chlorogomphus magnificus © Malte Seehausen<br />

© Naturhistorische Gesellschaft Hannover<br />

Gesellschaft zur Pflege der Naturwissenschaften<br />

Willy-Brandt-Allee 5<br />

30169 Hannover<br />

Germany<br />

E-Mail: info@N-G-H.org<br />

www.N-G-H.org


<strong>Naturhistorica</strong><br />

Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover<br />

<strong>156</strong> ·2014<br />

Dieter Schulz<br />

Vorwort<br />

5<br />

Phil Bussemas<br />

Die sozialen Faltenwespen in Bielefeld<br />

Eine Untersuchung zu ihrer Verbreitung unter Berücksichtigung<br />

ihres Auftretens in heimischen Bäckereien<br />

7<br />

JUGENDPREIS 2014<br />

Rolf Witt<br />

Erstnachweis der Blauschwarzen Holzbiene Xylocopa<br />

violacea Linné 1758 in Hannover (Hymenoptera: Apidae)<br />

25<br />

Malte Seehausen<br />

Exotische Libellen (Odonata) in der Sammlung<br />

des Landesmuseums Hannover<br />

29<br />

Jürgen Rommelmann<br />

Die Fischfauna der Bäche und Gräben im<br />

Hochwasserrückhaltebecken Salzderhelden<br />

(Landkreis Northeim, Niedersachsen)<br />

41<br />

Werner Müller<br />

Flora und Florenwandel im Stadtgebiet Hildesheim<br />

55<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


4<br />

Max Peters<br />

Vergleichende Vegetationsuntersuchungen in einem<br />

Buchenwald und einem Hainbuchen-Niederwald bei<br />

Wittenburg, Stadt Elze (Landkreis Hildesheim)<br />

69<br />

Patrick Strauch<br />

Ceratiten zweier Teilsammlungen des Landesmuseums Hannover<br />

Bewertung und Abgleich der Arterfassungen<br />

sowie stratigrafischer Hintergrund<br />

87<br />

Gerd Ibler<br />

Nathanael Gottfried Leske (1751 – 1786)<br />

und sein klassisches Naturalienkabinett<br />

117<br />

Die Naturhistorische Gesellschaft<br />

Hannover<br />

135<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


5<br />

Vorwort<br />

Die Naturhistorische Gesellschaft Hannover<br />

vergibt in diesem Jahr ihren Jugendpreis<br />

für die beste Schülerarbeit an Phil<br />

Bussemas, Schüler am Helmholtz-Gymnasium<br />

in Bielefeld. Er hat 2011 als Dreizehnjähriger<br />

eine Arbeit über die Verbreitung<br />

der sozialen Faltenwespen in seiner<br />

Heimatstadt Bielefeld angefertigt. Über<br />

5000 Wespen hat er gefangen, bestimmt<br />

und ihre Verbreitung im Stadtgebiet in<br />

Rasterkarten festgehalten. 25 Bäckereien<br />

unterstützten ihn bei seinen Wespenfängen.<br />

Er entdeckte Wespenlieblingspflanzen,<br />

und mit Dolichovespula omissa (Waldkuckuckswespe)<br />

gelang ihm ein Erstfund<br />

für Bielefeld. Seine Fangprotokolle umfassen<br />

fast 200 Seiten, die auf unserer Website<br />

(www.N-G-H.org) erscheinen werden.<br />

Die Ergebnisse, der sehr gute Aufbau der<br />

Arbeit, verständliche Formulierung und<br />

logische Schlussfolgerungen neben übersichtlichen<br />

Tabellen haben ihn für diese<br />

Auszeichnung prädestiniert.<br />

Drei weitere zoologische Themen finden<br />

Sie im vorliegenden Band: Einen kurzen<br />

Beitrag über die Blauschwarze Holzbiene<br />

(Xylocopa violacea) als Neufund für Hannover<br />

von Rolf Witt. Jürgen Rommelmann<br />

erläutert die Fischfauna der Bäche<br />

und Gräben im Hochwasserrückhaltebecken<br />

Salzderhelden, und Malte Seehausen<br />

bestimmte die exotischen Libellen in der<br />

Sammlung des Landesmuseums Hannover.<br />

Zwei botanische Beiträge liefern interessante<br />

Ergebnisse: Max Peters vergleicht<br />

einen Hainbuchen-Niederwald mit einem<br />

Buchenwald bei Wittenburg. Der Artikel<br />

schließt an die bereits 2010 erschienene<br />

Foto: Smileus · Fotolia.com<br />

Arbeit von Ingo Geestmann (<strong>Naturhistorica</strong><br />

152) an. Die pflanzensoziologischen<br />

Ergebnisse führen zu der Erkenntnis, dass<br />

Niederwälder ohne traditionelle Bewirtschaftung<br />

in einen Buchenwald übergehen<br />

werden.<br />

Werner Müller untersuchte die Flora<br />

und den Florenwandel im Stadtgebiet von<br />

Hildesheim und stellte mit 93 Neunachweisen,<br />

davon 59 Neophyten, einen deutlichen<br />

Anstieg der Artenanzahl und gleichzeitig<br />

eine hohe Ausbreitungstendenz<br />

dieser Neubürger fest.<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


6 <br />

Wie bereits mit den Bänden 151, 152<br />

und 153 der <strong>Naturhistorica</strong> setzen wir<br />

auch mit diesem Band die Tradition fort,<br />

Sammlungsstücke des Landesmuseums<br />

Hannover einer genauen Überprüfung zu<br />

unterziehen, Exponate neu zu bestimmen<br />

und Bestimmungsfehler zu bereinigen. Patrick<br />

Strauch bewertete Ceratiten aus zwei<br />

Sammlungen des Landesmuseums neu,<br />

führte eine Abgleichung der Arten durch<br />

und legte auch den stratigrafischen Hintergrund<br />

dar.<br />

In Fortsetzung unserer historischen Abhandlungen<br />

(siehe <strong>Naturhistorica</strong> 153) erscheint<br />

in diesem Band ein Bericht über<br />

den Naturwissenschaftler Nathanael Gottfried<br />

Leske.<br />

Dieter Schulz<br />

Der vorliegende Band <strong>156</strong> (2014)<br />

der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover ist<br />

Prof. Dr. Joachim Knoll<br />

zu seinem 80. Geburtstag gewidmet<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


7<br />

Die sozialen Faltenwespen in Bielefeld<br />

Eine Untersuchung zu ihrer Verbreitung unter Berücksichtigung<br />

ihres Auftretens in heimischen Bäckereien<br />

Phil Bussemas<br />

Einleitung und Fragestellung<br />

Nachdem ich mit einer Gruppe im letzten<br />

Jahr mit dem Thema „Untersuchung zu<br />

sozialen Faltenwespen in Bielefeld 2010<br />

unter besonderer Berücksichtigung der<br />

Kleinen Hornisse (Dolichovespula media)“<br />

am Wettbewerb „Schüler experimentieren“<br />

teilgenommen hatte, wollte ich in 2011<br />

den dort aufgekommenen weiterführenden<br />

Fragen nachgehen.<br />

Auch wenn wir in unserer letzten Arbeit<br />

zeigen konnten, dass Lauterbach (1995)<br />

Recht hatte mit seiner Aussage, dass die<br />

Kleine Hornisse in Bielefeld häufiger vorkommt,<br />

als man das noch bis vor 10 Jahren<br />

vermutete, so blieb doch die Kenntnislage<br />

über das Vorkommen sowohl der Kleinen<br />

Hornisse als auch der anderen sozialen<br />

Faltenwespen unvollständig. Das hat<br />

verschiedene Ursachen: Es ist immer noch<br />

die Aussage von Venne et al. (2007) gültig,<br />

dass „…die sozial lebenden Arten … häufig<br />

weniger erfasst werden.“ Zusätzlich ist die<br />

Zahl der faunistisch arbeitenden Sammler<br />

im Hinblick auf die zu bewältigende Arbeit<br />

leider gering (vgl. www.stechimmenowl.de/sites/autoren.html).<br />

Das „… unumgängliche Sammeln, Präparieren<br />

und Determinieren erfordert eine<br />

vergleichsweise lange Einarbeitungsdauer<br />

und einen hohen Arbeitsaufwand …“, so<br />

erfährt man unter www.stechimmen-owl.<br />

de. Zudem sind „… Einsteiger dringend<br />

auf die Überprüfung ihrer Determination<br />

durch bereits eingearbeiteten Personen<br />

mit guter Artenkenntnis und Experten für<br />

„schwere“ taxonomische Fälle angewiesen.“<br />

Mit Mitgliedern der „Arbeitsgemeinschaft<br />

westfälischer Entomologen e. V. Verein für<br />

Insektenkunde und Naturschutz“ hatte ich,<br />

nachdem ich mich für den Wettbewerb des<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


8 Phil Bussemas<br />

letzten Jahres in die Thematik eingearbeitet<br />

hatte, ein funktionierendes Netzwerk<br />

zur Seite, das mich bei Fragen beriet und<br />

insbesondere meine Bestimmungen überprüfte.<br />

Als Ziel setzte ich mir u. a. eine möglichst<br />

flächendeckende Untersuchung des<br />

Bielefelder Stadtgebietes auf Wespenvorkommen.<br />

Angestoßen war dieses Ziel<br />

unter anderem von einem Nachwort von<br />

Lauterbach (1995), in dem er es für wünschenswert<br />

erklärte, einen flächendeckenden<br />

Überblick möglichst auf 5-km-Quadrat-Basis<br />

für Dolichovespula media (Abb.<br />

11) zu erarbeiten. Den erheblichen Fahraufwand<br />

konnte ich mit Hilfe meiner Familie<br />

realisieren, die mich auch bei den<br />

Fängen unterstützte. Die Bestimmung der<br />

Wespen nahm ich jedoch alle selbst vor.<br />

So konnte ich mir die Hauptfrage stellen:<br />

Wie stellt sich die Fauna der sozialen<br />

Faltenwespen im Gebiet der Stadt Bielefeld<br />

dar?<br />

Im Spätsommer und Herbst habe ich,<br />

besonders in Bäckereien, Wespen schon<br />

als Plage erlebt. Als lästig werdende Arten<br />

gelten die Gewöhnliche und die Deutsche<br />

Wespe. Woydak (2006) berichtet von einem<br />

extremen Überwiegen der Gewöhnlichen<br />

Wespe, er verweist aber auch auf eine<br />

Quelle, die ein zahlenmäßiges Verhältnis<br />

von 4 : 1 von Vespula vulgaris – Vespula<br />

germanica feststellt. Daher wollte ich einer<br />

weiteren Frage nachgehen:<br />

Wie ist die Verteilung von Vespula vulgaris<br />

(Gewöhnliche Wespe, Abb. 15) und<br />

Vespula germanica (Deutsche Wespe, Abb.<br />

16) in Bielefeld im Feld und in den Bäckereien?<br />

Material und Methode<br />

Ich verwendete übliche Entomologenmaterialien:<br />

Streifnetz und kleinen Kescher,<br />

Plastikschraubbecher und Filmdöschen,<br />

Kühlakkus und Kühltasche,<br />

Gefrierschrank, Lupe und Binokular, Bestimmungsschlüssel<br />

sowie Insektennadeln<br />

und Insektenkästen.<br />

Als Fangmethode setzte ich den selektiven<br />

Sichtfang ein. Je nach Fangsituation<br />

verwendete ich Plastikbecher, kleinen Kescher<br />

oder das Streifnetz. Im Jahr 2011 arbeitete<br />

ich vermehrt mit dem Streifnetz,<br />

da ich die Wespen nicht nur direkt auf den<br />

Blüten, sondern auch z. T. im Flug oder<br />

bei der Beutejagd fing. Auch auf Pflanzen<br />

mit vielen Wespen erwies sich das Netz als<br />

nützlich, vielfach hatte ich mehrere Tiere<br />

gleichzeitig im Netz, so z. B. besonders<br />

bei Fängen in Brennnesseln und auf Efeublüten.<br />

Die Erfolgschancen beim Fangen<br />

mit dem Netz waren deutlich höher als<br />

die Bechermethode, die ich im letzten Jahr<br />

(2010) fast ausschließlich eingesetzt hatte.<br />

Ausnahmen waren Fänge an bestimmten<br />

Pflanzen: Bärenklau (Heracleum sphondylium),<br />

Wald-Engelwurz (Angelica sylvestris),<br />

Gemeine Goldrute (Solidago virgaurea), da<br />

sich hier die Wespen offensichtlich bei der<br />

Nektaraufnahme sehr ruhig verhielten. Sie<br />

waren so vertieft, dass ihr Einsammeln mit<br />

dem Becher problemlos erfolgen konnte.<br />

Die Lebendbestimmung im Feld oder<br />

zu Hause nahm ich nach der Abkühlphase<br />

bevorzugt mit Hilfe einer Lupe anhand der<br />

Zeichnung des Stirnschildes vor. Oft reicht<br />

dieses Verfahren zur Bestimmung aus; die<br />

Tiere werden dabei nicht verletzt oder getötet<br />

und können wieder in ihren Lebensraum<br />

entlassen werden.<br />

Einige Exemplare präparierte ich aber<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Die sozialen Faltenwespen in Bielefeld<br />

9<br />

als Belegexemplare und konnte sie mit<br />

Hilfe eines Binokulars genauer ansehen.<br />

Das war besonders notwendig in Fällen,<br />

in denen das Stirnschild nicht eindeutig<br />

ausgeprägt war. Die Anzahl der Belegexemplare<br />

ergab sich daraus, dass aus jedem<br />

Gitternetzquadrat der Bielefeldkarte<br />

(Abb. 1) Belegexemplare vorliegen sollten.<br />

Außerdem tötete ich Individuen ab, die ich<br />

nicht auf Anhieb bestimmen konnte (z. B.<br />

Stirnschild nicht eindeutig). Die Überprüfung<br />

meiner Bestimmungen wurde durch<br />

Christian Venne und Ferdinand Mönks<br />

vorgenommen, die des Beifangs erfolgte<br />

nach Vermittlung von Werner Schulze<br />

durch Hans-Joachim Flügel.<br />

Bei der Determination verwendete ich<br />

den „Bestimmungsschlüssel für die Faltenwespen<br />

der Bundesrepublik Deutschland,<br />

Deutscher Jugendbund für Naturbeobachtung<br />

(DJN) Hamburg, 1 – 53“ von Mauss<br />

& Treiber (2004).<br />

Im Fangprotokoll dokumentierte ich zusätzlich<br />

die Futterpflanzen der Wespen.<br />

25 Bielefelder Bäckereien erklärten sich<br />

bereit, mir die Fänge aus ihren Insektenfallen<br />

zu überlassen. Ich stellte ihnen ein<br />

Informationsblatt über zu erwartende<br />

Wespenarten sowie jeweils ein Glas zum<br />

Sammeln zur Verfügung.<br />

Um meine Datenbasis weiter zu vergrößern,<br />

nahm ich Kontakt mit dem Bielefelder<br />

Umweltamt und den dort registrierten<br />

Wespenberatern auf. Daten über Wespennester,<br />

die bei der Beratungstätigkeit mit<br />

den Bürgern gewonnen wurden, stellte<br />

man mir freundlicherweise (natürlich anonymisiert)<br />

zur Auswertung zur Verfügung.<br />

Ergebnisse<br />

Eigene Nachweise im Feld<br />

An 293 Fundorten konnte ich vom<br />

17.04.2011 bis zum 31.10.2011 an 148 Erfassungsterminen<br />

insgesamt 5 520 Wespen<br />

nachweisen (Protokoll siehe Website der<br />

NGH unter www.N-G-H.org).<br />

Nach meiner Urlaubswoche im November<br />

beobachtete ich Wespen nur noch vereinzelt<br />

und stellte die systematische Suche<br />

ein.<br />

Tab. 1 Anzahl der Fundorte der acht verschiedenen Wespenarten<br />

Art<br />

Anzahl der Fundorte<br />

Französische/Gallische Feldwespe – Polistes dominula 57<br />

Mittlere Wespe – Dolichovespula media 37<br />

Sächsische Wespe – Dolichovespula saxonica 58<br />

Waldwespe – Dolichovespula sylvestris 33<br />

Waldkuckuckswespe – Dolichovespula omissa 1<br />

Hornisse – Vespula crabro 36<br />

Deutsche Wespe – Vespula germanica 49<br />

Gewöhnliche Wespe – Vespula vulgaris 255<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


10 Phil Bussemas<br />

Acht verschiedene soziale Wespenarten<br />

konnte ich in Bielefeld feststellen (Tab. 1).<br />

Die Fundorte, die sich über das gesamte<br />

Stadtgebiet verteilen, zeigt Abb. 1.<br />

Die Kantenlänge eines Gitternetzquadrats<br />

entspricht in der Natur einer Länge<br />

von 2 km. Rot eingetragen sind alle Fundorte.<br />

Den Dolichovespula omissa-Erstfund in<br />

Bielefeld ordnete ich der Karte der Dolichovespula<br />

sylvestris aufgrund des sozialparasitischen<br />

Verhältnisses zu.<br />

Eine detaillierte Aufstellung der Einzelfunde<br />

zeigt Tab. 2.<br />

Situationen im Feld<br />

Ich stellte fest, dass die Wespen im Jahreslauf<br />

auf verschiedenen Pflanzen zu finden<br />

sind. Futterpflanzen, auf denen besonders<br />

viele Wespen anzutreffen waren, sind:<br />

Rhododendron, Brennnesseln, Bärenklau,<br />

Engelwurz, Schneebeere, Niedrige Purpurbeere<br />

und Efeu.<br />

Auffällig war, dass sich die Wespen auf<br />

bestimmten Pflanzen sehr leicht fangen<br />

ließen (ohne Fangnetz, nur mit dem Becher).<br />

Sie waren vertieft und wirkten wie<br />

in einem Rausch. Das gilt für Bärenklau<br />

(Heracleum sphondylium), Wald-Engelwurz<br />

Tab. 2 Die Prozentwerte beziehen sich auf den Anteil im jeweiligen Fangzeitraum<br />

Monat Gesamt<br />

Apr.<br />

V.<br />

crabro<br />

D.<br />

media<br />

D. saxonica<br />

D. sylvestris<br />

D.<br />

omissa<br />

V. vulgaris<br />

V. germanica<br />

P. dominula<br />

93 28 4 5 0 0 0 1 55<br />

100 % 30,11 % 4,30 % 5,38 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 1,08 % 59,14 %<br />

Mai<br />

Juni<br />

Juli<br />

Aug.<br />

Sept.<br />

Okt.<br />

Saison<br />

68 8 2 5 1 0 0 0 52<br />

100 % 11,76 % 2,94 % 7,35 % 1,47 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 76,47 %<br />

497 3 71 157 27 0 132 10 97<br />

100 % 0,60 % 14,29 % 31,59 % 5,43 % 0,00 % 26,56 % 2,01 % 19,52 %<br />

865 25 28 58 25 0 689 15 25<br />

100 % 2,89 % 3,24 % 6,71 % 2,89 % 0,00 % 79,65 % 1,73 % 2,89 %<br />

569 13 1 0 0 1 360 29 165<br />

100 % 2,28 % 0,18 % 0,00 % 0,00 % 0,18 % 63,27 % 5,10 % 29,00 %<br />

1.075 49 2 0 0 0 974 18 32<br />

100 % 4,56 % 0,19 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 90,60 % 1,67 % 2,98 %<br />

2.301 20 1 3 2 0 2.168 101 6<br />

100 % 0,87 % 0,04 % 0,13 % 0,09 % 0,00 % 94,22 % 4,39 % 0,26 %<br />

5.468 146 109 228 55 1 4.323 174 432<br />

100 % 2,67 % 1,99 % 4,17 % 1,01 % 0,02 % 79,06 % 3,18 % 7,90 %<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Die sozialen Faltenwespen in Bielefeld<br />

11<br />

(Angelica sylvestris), Gemeine Goldrute<br />

(Solidago virgaurea).<br />

Gerade im warmen Frühjahr beobachtete<br />

ich aber auch an Wasserstellen immer<br />

wieder Tiere. Hier fiel mir auf, dass manche<br />

Individuen die Stellen in regelmäßigen<br />

zeitlichen Abständen anflogen. In unserem<br />

Garten sah ich über mehrere Tage, dass<br />

eine Feldwespe nachmittags ca. alle zehn<br />

Minuten zum Trinken kam, über einen Beobachtungszeitraum<br />

von 1 bis 2 Stunden<br />

(s. auch Fangprotokoll). Auch an manchen<br />

Pflanzen, bei denen ich wartete, konnte ich<br />

einen Anflugrhythmus beobachten, wobei<br />

nicht sichergestellt ist, dass immer das gleiche<br />

Tier kam, da ich es nicht markierte.<br />

Flugaktivitäten bei jedem Wetter<br />

Entgegen meiner Erwartung konnte ich<br />

auch bei kühlem, windigem Wetter und<br />

sogar im Regen Wespen beobachten. Die<br />

Tiere waren teilweise nicht so aktiv wie<br />

bei sonnigem, warmem Wetter, aber einige<br />

Exemplare fand ich immer.<br />

Jahreslauf und ♂♂ Geschlechtstiere<br />

Im Jahreslauf fing ich verschiedene Arten<br />

gehäuft, so fand ich besonders im warmen<br />

Frühjahr häufig Gallische Feldwespen<br />

(Polistes dominula, Abb. 9). Im Spätsommer<br />

und Herbst dominierte die Gewöhnliche<br />

Wespe (Vespula vulgaris, Abb. 15). Die<br />

Dolichovespula-Arten hatten ihr häufigstes<br />

Vorkommen im Juni.<br />

Diese Beobachtungen bestätigen die Lebenszyklen<br />

der einzelnen Arten.<br />

Entsprechend dem Entwicklungszyklus<br />

der Wespenvölker fing ich in den<br />

Spätsommer- und Herbstmonaten häufig<br />

männliche Tiere. Die ersten männlichen<br />

Individuen fand ich bei der Gallischen<br />

Feldwespe, bei denen schon Ende August/<br />

Anfang September eine hohe Anzahl<br />

nachzuweisen war. Männliche Tiere kann<br />

man an ihren grünen Augen leicht erkennen.<br />

Erst später im Jahr fing ich männliche<br />

Individuen, vor allem der Gewöhnlichen<br />

Wespe (Tab. 3).<br />

Standorte<br />

Erstaunt war ich über die Feststellung,<br />

dass ich in Innenstadtnähe leichter Wespenvorkommen<br />

entdeckte als in manchen<br />

Randgebieten. Besonders fiel mir auf, dass<br />

im besiedelten Gebiet von Ubbedissen<br />

kaum Tiere zu finden waren. Die Vorgärten<br />

und Straßenränder waren sehr gepflegt<br />

und boten nur wenige Futterpflanzen für<br />

die Wespen. Im Gegensatz dazu fand ich<br />

in Bielefeld-Mitte viele berankte Häuser,<br />

Hecken, verwilderte Grundstücke und<br />

Parkplatzbepflanzungen. Hier war es einfach,<br />

Wespen zu finden.<br />

Pflanzen<br />

Es war mir wichtig, die Futterpflanzen<br />

der verschiedenen Wespenarten bei<br />

Tab. 3 Erst- und Letztfunde im Jahr 2011<br />

Art<br />

P. dominula<br />

D.<br />

media<br />

D.<br />

saxo nia<br />

D. sylvestris<br />

D.<br />

omissa<br />

V.<br />

crabro<br />

V. germanica<br />

V. vulgaris<br />

Erstfund 19.04.11 21.04.11 21.04.11 01.05.11 25.08.11 17.04.11 24.04.11 30.04.11<br />

Letztfund 07.10.11 01.10.11 16.10.11 01.10.11 – 27.10.11 05.11.11 08.11.11<br />

Erste ♂♂ 17.08.11 18.07.11 – 09.07.11 – – 01.10.11 29.09.11<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


12 Phil Bussemas<br />

Abb. 1 Verteilung aller Wespenfundorte im<br />

Stadtgebiet von Bielefeld. Kartengrundlage:<br />

© Vermessungs- und Katasteramt Bielefeld 2011.<br />

Abb. 2 Polistes dominula, Verteilung im Stadtgebiet.<br />

Kartengrundlage: © Vermessungs- und<br />

Katasteramt Bielefeld 2011.<br />

Abb. 3 Dolichovespula media, Verteilung im<br />

Stadtgebiet. Kartengrundlage: © Vermessungsund<br />

Katasteramt Bielefeld 2011.<br />

Abb. 4 Dolichovespula saxonica, Verteilung im<br />

Stadtgebiet. Kartengrundlage: © Vermessungsund<br />

Katasteramt Bielefeld 2011.<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Die sozialen Faltenwespen in Bielefeld<br />

13<br />

Abb. 5 Dolichovespula sylvestris / Dolichovespula<br />

omissa (Roter Punkt), Verteilung im Stadtgebiet.<br />

Kartengrundlage: © Vermessungs- und Katasteramt<br />

Bielefeld 2011.<br />

Abb. 6 Vespula germanica, Verteilung im Stadtgebiet.<br />

Kartengrundlage: © Vermessungs- und<br />

Katasteramt Bielefeld 2011.<br />

Abb. 7 Vespula vulgaris, Verteilung im Stadtgebiet.<br />

Kartengrundlage: © Vermessungs- und<br />

Katasteramt Bielefeld 2011.<br />

Abb. 8 Vespula crabro, Verteilung im Stadtgebiet.<br />

Kartengrundlage: © Vermessungs- und Katasteramt<br />

Bielefeld 2011.<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


14 Phil Bussemas<br />

meinen Fängen mit zu protokollieren.<br />

Im Laufe des Jahres fielen mir verschiedene<br />

Pflanzen auf, an denen ich viele Fänge<br />

machen konnte. Hierzu zählten z. B.<br />

Rhododendron, Brennnesseln (Urtica dioica),<br />

Bärenklau (Heracleum sphondylium),<br />

Engelwurz (Angelica sylvestris), Schneebeere<br />

(Symphoricarpos albus), Niedrige Purpurbeere<br />

(Symphoricarpos x chenaultii) und<br />

Efeu (Hedera helix).<br />

Zum Ende des Jahres traf ich sehr oft<br />

Wespen an Efeublüten an, da kaum noch<br />

andere Pflanzen blühten und der Nektar<br />

für die sozialen Faltenwespen, die relativ<br />

kleine Mandibeln haben, sehr gut erreichbar<br />

war. Generell bevorzugen Wespen einfach<br />

aufgebaute Blüten, in denen Nektar<br />

leicht zu erreichen ist.<br />

Beifänge<br />

Es blieb nicht aus, dass auch einige solitäre<br />

Wespenarten gefangen wurden. Die<br />

vertiefte Auswertung soll in einer späteren<br />

Arbeit erfolgen.<br />

Wespenfallen in Bäckereien<br />

Es war nicht einfach, genug teilnehmende<br />

Bäckereien zu finden, da sie teilweise<br />

mit Klimaanlagen ausgestattet waren und<br />

somit keine Wespenfallen hatten. Im Laufe<br />

des Projektes stellte sich heraus, dass in<br />

manchen Bäckereien meine Gläser ohne<br />

Rücksprache entsorgt wurden oder bei Filialen<br />

mit vielen Mitarbeitern diese nicht<br />

„Bescheid wussten“. So konnten statt Proben<br />

aus 25 Bäckereien nur Wespenfänge<br />

aus 15 Bäckereien von mir ausgewertet<br />

werden.<br />

In den Wespenfallen der Bäckereien<br />

wies ich drei Wespenarten nach. Die Bestimmung<br />

konnte ausschließlich anhand<br />

des Stirnschildes erfolgen.<br />

Insgesamt bestimmte ich 1 723 Wespen<br />

aus Bäckereien, davon 1 298 Gewöhnliche<br />

Wespen und 424 Deutsche Wespen, Langkopfwespen<br />

fand ich nur einmal (1 Waldwespe).<br />

Den Beifang wertete ich wie folgt aus:<br />

Honigbienen: 319, Fliegen: 16, Nachtfalter:<br />

9, Hummeln: 4, Mücken: 4, Solitärwespen:<br />

1, Zikaden: 1, Schnaken: 1.<br />

Funde von Wespennestern<br />

Ich stieß bei meiner Suche nach Wespen<br />

immer wieder auf Nester, wobei die überwiegende<br />

Zahl Erdnester der Gewöhnlichen<br />

Wespe waren. Oberirdische Nester<br />

fand ich auf dem Schulhof des Helmholtz-<br />

Gymnasiums (Mittlere Wespe), an der Osning-Straße<br />

(Waldwespe, Sächsische Wespe),<br />

Am Alten Berg (Mittlere Wespe).<br />

Einige Wespenberater des Umweltamtes<br />

Bielefeld stellten mir Daten aus ihren Beratungsgesprächen<br />

mit anfragenden Bürgern<br />

zur Verfügung. Die Standorte der Wespennester<br />

fasste ich neben meinen Felduntersuchungen<br />

in einer gesonderten Liste<br />

zusammen; Daten erhielt ich aus folgenden<br />

Stadtgebieten: Babenhausen, Brake,<br />

Bethel, Brackwede, Dornberg, Eckardtsheim,<br />

Gadderbaum, Gellershagen, Heepen,<br />

Hillegossen, Jöllenbeck, Milse, Mitte,<br />

Tab. 4 Fänge in Wespenfallen<br />

Waldwespe – Dolichovespula sylvestris (Scopoli 1763) 1<br />

Deutsche Wespe – Vespula germanica (Fabricius 1793) 424<br />

Gewöhnliche Wespe – Vespula vulgaris (Linnaeus 1758) 1298<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Die sozialen Faltenwespen in Bielefeld<br />

15<br />

Oldentrup, Schildesche, Schröttinghausen,<br />

Senne, Sennestadt, Sieker, Stieghorst, Sudbrack,<br />

Ubbedissen, Ummeln und Windflöte.<br />

Einige Stadtteile wurden von den Beratern,<br />

die sich bei mir gemeldet hatten, nur<br />

vertretungsweise bearbeitet, so dass keine<br />

vollständigen Zahlen vorlagen.<br />

Die meisten Anfragen entfielen auf Nester<br />

der Gewöhnlichen Wespe, hier waren<br />

auch die meisten Beseitigungswünsche<br />

zu registrieren. Insgesamt wertete ich 117<br />

Bürgeranfragen aus (Tab. 5)<br />

Diskussion<br />

Abb. 9 Gallische Feldwespe (Polistes dominula).<br />

Foto: Klaus D. Jürgens.<br />

Eigene Nachweise im Feld<br />

Wie Tab. 6 zeigt, war die Vermutung von<br />

Venne et al. (2007) richtig, dass soziale Faltenwespen<br />

in Bielefeld deutlich häufiger<br />

vorkommen, als das nach den bis dahin belegten<br />

Fundorten zu sein schien.<br />

Die Zahl der Fundorte konnte für 7 der<br />

bisher 10 in Bielefeld belegten Arten deutlich<br />

bis massiv gesteigert werden.<br />

Feldwespe (Polistes dominula), Abb. 9<br />

Bemerkenswert waren die Fänge der<br />

Feldwespe (Polistes dominula), die ich<br />

schon früh im Jahr nachgewiesen habe.<br />

Sie ist über das gesamte Jahr vertreten. Die<br />

letzte Feldwespe fand ich am 07.10.2011.<br />

Interessant ist die Entwicklung des Vorkommens<br />

der Gallischen Feldwespe (Polistes<br />

dominula). Diese thermophile Art hat in<br />

den zurückliegenden eineinhalb Jahrzehnten<br />

eine gewaltige Arealerweiterung erfahren.<br />

„Bis 1980 war die Gallische Feldwespe<br />

in Nordrhein-Westfalen nur aus dem<br />

Rheintal bekannt“ (Woydak 2006). Lauterbach<br />

(1995, 1996) konnte zunächst von<br />

einem Vorkommen bei Paderborn berichten.<br />

Bleidorn et al. (2000) stellten wenig<br />

später den Sprung über den Teutoburger<br />

Wald mit ersten Nachweisen in Bielefeld<br />

Tab. 5 Wespennester-Funde 2011, Vergleich Wespenberater/Phil Bussemas<br />

Arten<br />

Zahlen<br />

Phil Bussemas<br />

Zahlen Wespenberater<br />

Bielefeld<br />

Summe der festgestellten<br />

Nester<br />

Gewöhnliche<br />

Wespe<br />

Deutsche<br />

Wespe<br />

Sächsische<br />

Wespe<br />

Mittlere<br />

Wespe<br />

Hornisse<br />

Waldwespe<br />

Feldwespe<br />

Art nicht<br />

bestimmbar<br />

35 2 1 3 3 1 0 0<br />

35 3 10 4 17 0 1 46<br />

70 5 11 7 20 1 1 46<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


16 Phil Bussemas<br />

Tab. 6 Bielefelder Wespenarten und Anzahl der Fundorte im Vergleich: Venne (2007), Bussemas (2011)<br />

Anzahl der Fundorte<br />

Art Venne et al. 2007 Bussemas 2011<br />

Kuckuckswespe – Dolichovespula adulterina 2 0<br />

Französische/Gallische Feldwespe – Polistes dominula 7 57<br />

Mittlere Wespe – Dolichovespula media 13 37<br />

Sächsische Wespe – Dolichovespula saxonica 7 58<br />

Waldwespe – Dolichovespula sylvestris 3 33<br />

Waldkuckuckswespe – Dolichovespula omissa 0 1<br />

Hornisse – Vespa crabro 3 36<br />

Österreichische Kuckuckswespe – Vespula austriaca 1 0<br />

Deutsche Wespe – Vespula germanica 19 49<br />

Rote Wespe – Vespula rufa 11 0<br />

Gewöhnliche Wespe – Vespula vulgaris 24 255<br />

fest. Wie meine Zahlen (Tab. 2) eindeutig<br />

zeigen, ist sie inzwischen im Frühjahr<br />

in Bielefeld die am häufigsten anzutreffende<br />

Wespe. Man findet sie in Bielefeld in<br />

den Siedlungsbereichen. Wie zu erwarten,<br />

habe ich keinen Nachweis im Teutoburger<br />

Wald (vgl. Fundortkarte). Das war aber bei<br />

dieser synanthropen Art zu erwarten.<br />

Nester der Polistes dominula habe ich<br />

nicht gefunden. Ich habe aber auch nicht<br />

gezielt danach gesucht. Die Bielefelder<br />

Wespenberater wurden nur zu einem Nest<br />

gerufen, was nicht verwunderlich ist, denn<br />

den meisten Bielefeldern fallen die kleinen<br />

Wespennester, die etwa unter Dachziegeln<br />

oder Abdeckungen zu finden sind<br />

und die immer nur aus einer Wabe ohne<br />

Hülle bestehen, kaum auf. Die Kolonien<br />

bleiben in der Regel recht klein mit 20 bis<br />

30 Individuen. Die Wabe hat meist weniger<br />

als 50 Zellen (F. Mönks, mündliche<br />

Mitteilung). Auf das ganze Jahr gesehen,<br />

ist die sehr friedliche Polistes dominula nach<br />

der Gewöhnlichen Wespe inzwischen die<br />

zweithäufigste Wespe Bielefelds.<br />

Kuckuckswespen<br />

Nachweise der bisher belegten Kuckuckswespen<br />

(Dolichovespula adulterina,<br />

bisher 2 Belege, ist ein Parasit von Dolichovespula<br />

saxonica; Vespula austriaca, bisher<br />

1 Beleg, ist ein Parasit von Vespula rufa)<br />

sind mir nicht gelungen. Der Nachweis von<br />

Kuckuckswespen ist allerdings wegen ihrer<br />

äußersten Seltenheit auch sehr schwierig.<br />

Immerhin hatte ich viel Glück, und<br />

so gelang mir mit einer Waldkuckuckswespe<br />

(Dolichovespula omissa, Abb. 5)<br />

ein Erstnachweis für Bielefeld. Woydak<br />

(2006) bezeichnet sie als äußerst selten.<br />

Mit meinem Fund der Waldkuckuckswespe<br />

(Dolichovespula omissa) habe ich eine als<br />

„extrem selten“ (Rote Liste NRW) klassifizierte<br />

Art in Bielefeld entdeckt. Die sozialparasitisch<br />

lebende Wespe ist weitgehend<br />

unerforscht, sie schmarotzt bei der<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Die sozialen Faltenwespen in Bielefeld<br />

17<br />

Abb. 10 Nest der Mittleren Wespe (Dolichovespula<br />

media).<br />

Abb. 11 Mittlere Wespe (Dolichovespula media).<br />

Foto: Klaus D. Jürgens.<br />

Waldwespe (Dolichovespula sylvestris). Ich<br />

fing sie im August in einem Waldgebiet<br />

auf einem Bärenklau (Heracleum sphondylium).<br />

Die große Ähnlichkeit zu der Waldwespe<br />

machte eine Unterscheidung erst<br />

unter dem Binokular möglich. Unterscheidungsmerkmale<br />

liegen z. B. in den gelben<br />

Punkten auf der Kopfseite und einer Ausbuchtung<br />

der seitlichen Brustzeichnung.<br />

Kleine Hornisse oder Mittlere Wespe<br />

(Dolichovespula media), Abb. 3, 10, 11<br />

Als Böker & Vorweg (2004) im Jahr<br />

2003 im Botanischen Garten Bielefelds<br />

eine Dolichovespula media nachweisen<br />

konnten, galt das als bemerkenswerter<br />

Fund. Die bis dahin von Lauterbach (1994)<br />

gemeldeten Bielefelder Fundorte konzentrierten<br />

sich vor allem in Sennestadt und<br />

um die Universität. Auf der Grundlage seiner<br />

weiteren Funde konnte er schon 1995<br />

festhalten, dass „alle Vorstellungen, welche<br />

die Kleine Hornisse in Nordrhein-Westfalen<br />

bedroht und im Aussterben begriffen<br />

sehen, zumindest in dieser allgemeinen<br />

Aussage gänzlich unbegründet sind.“<br />

Jeder weitere Nachweis untermauerte diese<br />

Auffassung. Wie meine Verbreitungskarte<br />

(Abb. 3) zeigt, lebt Dolichovespula media<br />

besonders im Siedlungsbereich Bielefelds,<br />

erzielt aber nicht die gleiche Populationsdichte<br />

wie die kleinen Wespenarten ( Lauterbach<br />

1995). Eine Nachweislücke gibt es<br />

noch im nördlichen Randbereich Bielefelds<br />

( Jöllenbeck). Dort sollte in Zukunft<br />

gezielt nach der Kleinen Hornisse gesucht<br />

werden. Am häufigsten war diese Wespe<br />

im Juni zu finden.<br />

Sächsische Wespe (Dolichovespula saxonica),<br />

Abb. 4, 12, 13<br />

Diese Kulturfolgerin ist in Bielefeld in<br />

den Siedlungsgebieten allgemein anzutreffen.<br />

Im Monat Juni ist sie mit 31 % Anteil<br />

an der Wespenfauna die häufigste Wespe<br />

Bielefelds.<br />

Waldwespe (Dolichovespula sylvestris)<br />

Auch bei der Waldwespe lag die höchste<br />

Vorkommensdichte im Monat Juni. Sie<br />

kommt allerdings weniger häufig vor als<br />

die Sächsische Wespe.<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


18 Phil Bussemas<br />

Abb. 12 Sächsische Wespe (Dolichovespula<br />

saxonica ♀). Foto: Klaus D. Jürgens.<br />

Abb. 13 Sächsische Wespe (Dolichovespula<br />

saxonica ♂). Foto: Klaus D. Jürgens.<br />

Die Populationsdynamik der Dolichovespula-Arten<br />

hat im Untersuchungszeitraum<br />

einen anderen Verlauf genommen,<br />

als das bei Mauss & Treiber (2004)<br />

beschrieben wird. Die Spitzenentwicklung<br />

ist bei allen drei nachgewiesenen Arten um<br />

gut einen Monat nach vorn verschoben.<br />

Es ist zu vermuten, dass dabei das warme<br />

Frühjahr und der verregnete Sommer eine<br />

Rolle gespielt haben.<br />

Hornisse (Vespa crabro), Abb. 8, 14<br />

Auffällig war die hohe Aktivität der<br />

Hornissen (Vespa crabro) ab Ende August,<br />

Abb. 14 Eine Hornisse (Vespula crabro) fängt eine<br />

Beißschrecke. Foto: Klaus D. Jürgens.<br />

die ich häufig bei der Beutejagd beobachtete.<br />

Während die ersten Hornissenarbeiterinnen<br />

des Jahres noch relativ klein waren,<br />

fielen mir Ende August die großen<br />

Individuen auf. Sie kamen auch häufiger<br />

auf Friedhöfen vor, obwohl ich dort vor der<br />

Efeublüte kaum Wespen fing.<br />

Wie die Fundortkarte zeigt, konnte<br />

nicht nur die Aussage von Nehring et al.<br />

(2010) über die flächendeckende Ausbreitung<br />

dieser größten einheimischen sozialen<br />

Faltenwespenart im Stadtgebiet nördlich<br />

des Teutoburger Waldes bestätigt werden,<br />

es konnten neue Nachweise im äußersten<br />

Norden Bielefelds ( Jöllenbeck) und im<br />

südlichen Stadtgebiet erbracht werden.<br />

Rote Wespe (Vespula rufa)<br />

Überraschend ist das völlige Fehlen der<br />

Roten Wespe. Diese Wespe, die in NRW<br />

häufig vorkommen soll, wurde in Bielefeld<br />

schon mehrmals nachgewiesen, letztmalig<br />

am 15.04.2008 im Südwesten der Stadt.<br />

Ich habe sie an keinem Ort angetroffen.<br />

Nach Venne (mündlich) ist die Art seinem<br />

Eindruck nach in den letzten Jahren<br />

schon etwas seltener, sollte aber auch<br />

in Bielefeld an vielen Stellen vorkommen.<br />

Man könnte annehmen, dass Seltenheit<br />

und Jagdpech zusammenkamen.<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Die sozialen Faltenwespen in Bielefeld<br />

19<br />

Abb. 15 Gewöhnliche Wespe (Vespula vulgaris).<br />

Foto: Klaus D. Jürgens.<br />

Abb. 16 Deutsche Wespe (Vespula germanica ♂).<br />

Foto: Klaus D. Jürgens.<br />

Das Verhältnis der Gewöhnlichen<br />

Wespe (Vespula vulgaris) zur<br />

Deutschen Wespe (Vespula<br />

germanica)<br />

In der Literatur wird beschrieben, dass<br />

beide Arten als „… die häufigsten Wespenarten<br />

in Deutschland…“ gelten (Witt<br />

2009). Doch welche Art kommt häufiger<br />

vor? Wie verteilen sie sich in Bielefeld?<br />

Auffällig waren die großen Vorkommen<br />

der Gewöhnlichen Wespe (Vespula vulgaris,<br />

Abb. 7) im Feld, die ich weit häufiger<br />

als die Deutsche Wespe (Vespula germanica,<br />

Abb. 6) nachweisen konnte. Sowohl bei<br />

der Anzahl der Fundorte, als auch bei der<br />

Zahl der nachgewiesenen Individuen liegt<br />

Vespula vulgaris weit vor Vespula germanica<br />

(Tab. 6, 7). Ich entdeckte 255 (84 %) Fundorte<br />

von Vespula vulgaris, aber nur 49 (16 %)<br />

von Vespula germanica.<br />

An insgesamt 282 Fundorten waren<br />

entweder eine oder beide Arten vertreten.<br />

An zwei Fundorten war Vespula germanica<br />

häufiger vertreten als Vespula vulgaris,<br />

An drei Fundorten fehlte Vespula vulgaris<br />

vollständig (Tab. 8). Trotz allgemeiner Verbreitung<br />

scheint es beim Vorkommen der<br />

Vespula vulgaris doch Schwankungen in der<br />

Populationsdichte zu geben.<br />

Die Fundortkarten (Abb. 1 – 8) geben<br />

die Situation eindrucksvoll wieder.<br />

Tab.7 Nester, Fundorte, Fundzahlen (dargestellt ist jeweils das Verhältnis der Gewöhnlichen Wespe<br />

zur Deutschen Wespe)<br />

Woydak<br />

(2006)<br />

(Nestfunde<br />

2004)<br />

Fockenberg<br />

nach<br />

Woydak<br />

(2006)<br />

(Nestfunde<br />

2004)<br />

Wespenberater<br />

und<br />

Bussemas<br />

(2012)<br />

Vgl. Tab. 4<br />

(Nestfunde<br />

2011) n=75<br />

Fundorte<br />

Venne et al.<br />

(2007)<br />

Fundorte<br />

Bussemas<br />

Fänge im<br />

Feld<br />

Bussemas<br />

Fänge in<br />

Wespenfallen<br />

(Bäckereien)<br />

n=43 n=304 n=4497 n=1722<br />

100 % : 0 % 80 % : 20 % 93 % : 7 % 56 % : 44 % 84 % : 16 % 96 % : 4 % 75 % : 25 %<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


20 Phil Bussemas<br />

Tab. 8 Mengenvergleich, Häufigkeit der Fundorte<br />

nur V. vulgaris mehr V. vulgaris gleich viele mehr V. germanica nur V. germanica<br />

225 Orte 49 Orte 3 Orte 2 Orte 3 Orte<br />

Nach Mauss & Treiber (2004) kommt<br />

Vespula germanica nicht so häufig in bergigen<br />

Regionen vor, sondern beschränkt sich<br />

dort auf die Umgebung von Siedlungen.<br />

Meine Fänge stimmen mit diesen Angaben<br />

annähernd überein. In den Waldflächen<br />

des Teutoburger Waldes konnte ich<br />

Vespula germanica nicht nachweisen. Im<br />

Innenstadtgebiet ist sie dagegen leicht zu<br />

finden. Woydak (2006) bezeichnet Vespula<br />

germanica als deutlich wärmeliebender<br />

als Vespula vulgaris. Sie bevorzugt die Ballungsgebiete<br />

der Städte, kommt aber auch<br />

im ländlichen Gebiet vor, aber seltener. Sie<br />

konnte im gesamten Stadtgebiet mit einer<br />

Häufung im Zentrum nachwiesen werden,<br />

wenn auch bei weitem nicht so häufig wie<br />

Vespula vulgaris, die zu Recht als Ubiquist<br />

bezeichnet werden kann. So fand ich z. B.<br />

mitten im schattigen Wald auf der Höhe<br />

des Jostberges im Erdboden an der Klosterruine<br />

zwei ihrer Nester (Abb. 6, 7 Fundorte<br />

beider Arten).<br />

Auch in den Gebieten Bielefelds, in denen<br />

Vespula germanica vorkommt, wird sie<br />

in der Regel von Vespula vulgaris übertroffen<br />

und zwar sowohl in der Nestdichte als<br />

auch bei der Individuenzahl im Feld.<br />

Venne et al. (2007) haben Bielefelder<br />

Sammlungen ausgewertet. Es wurden<br />

19 Fundorte von Vespula germanica<br />

und 24 Fundorte von Vespula vulgaris ermittelt.<br />

Das würde einer Verteilung von<br />

ca. 44 % Vespula germanica-Fundorten zu<br />

56 % Vespula vulgaris-Fundorten (Tab. 7)<br />

entsprechen. Bei der Einschätzung dieser<br />

Werte ist allerdings zu bedenken, dass<br />

die Sammlungen nicht unbedingt mit der<br />

Absicht zusammengetragen wurden, einen<br />

flächendeckenden Überblick über das Vorkommen<br />

der jeweils gefundenen Arten zu<br />

erhalten. Diese aus dem Material der verschiedensten<br />

Sammlungen zusammengetragenen<br />

Werte dürften deshalb selektiven<br />

Charakter haben und für die tatsächliche<br />

Verbreitung in Bielefeld nicht repräsentativ<br />

sein. Insbesondere der vergleichsweise<br />

hohe Vespula-germanica-Anteil, der sich<br />

aus der Auswertung der Sammlungen ergibt,<br />

entspricht nicht ihrer Verbreitung<br />

und Bestandssituation in Bielefeld.<br />

Wespenfallen in Bäckereien<br />

Wie erwartet, fand ich die beiden Wespenarten<br />

Vespula vulgaris und Vespula germanica<br />

(zusätzlich: 1 Dolichovespula sylvestris).<br />

Beide Arten haben die Angewohnheit<br />

„gerne an Fleisch oder süßen Lebensmitteln<br />

zu naschen“ (Witt (2009)).<br />

In den Bäckereien jedoch war Vespula<br />

germanica im Durchschnitt mit einem<br />

deutlich höheren Anteil als bei den Nachweisen<br />

im Feld vertreten (Tab. 7). Offensichtlich<br />

ist Vespula germanica im Aufspüren<br />

und Ausnutzen anthropogener<br />

Nahrungsquellen noch findiger als Vespula<br />

vulgaris. Wespenfallen mit hohen Zahlen<br />

von Vespula germanica sind auch in Bäckereien<br />

in den Außenbezirken der Stadt zu<br />

finden, in der Verbreitung dieser Art mag<br />

es Dichteschwankungen geben, sie kommt<br />

aber auch in der Innenstadt im Durchschnitt<br />

nicht konzentrierter vor als am<br />

Stadtrand (Bäckereifangliste im Anhang).<br />

Ein Stadtklimaeffekt ist nicht feststellbar.<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Die sozialen Faltenwespen in Bielefeld<br />

21<br />

Auffällig war die erhöhte Bienenkonzentration<br />

bei einer Bäckerei mit einer<br />

Lichtfalle. Als Nebenfang wurden 205<br />

Honigbienen ausgewertet. Dieses könnte<br />

an einem grundsätzlich erhöhten Bienenvorkommen<br />

oder an der speziellen Falle<br />

liegen, die ich nur in dieser Bäckerei gesehen<br />

habe. Es handelt sich um eine Lichtfalle<br />

mit integriertem Ventilator. Da allerdings<br />

in einer ca. 75 m entfernten Bäckerei<br />

eine deutlich niedrigere Konzentration von<br />

Bienen vorlag, nehme ich an, dass der Fallentyp<br />

für den hohen Bienenanteil die entscheidende<br />

Ursache war. Die Anlockeffizienz<br />

von Insektenfallen für Honigbienen<br />

könnte in einer weiteren Untersuchung<br />

überprüft werden.<br />

Funde von Wespennestern<br />

Im Jahr 2011 wurden vom Umweltamt<br />

Wespenberater zur Beratung der Bürger in<br />

Wespenfragen eingesetzt. Von diesen Wespenberatern<br />

sind mir Listen über gemeldete<br />

Nester zur Verfügung gestellt worden.<br />

Die Daten habe ich unverändert übernommen.<br />

Bei den gemeldeten Nestern dominierte<br />

Vespula vulgaris.<br />

Die hohe Zahl der gemeldeten Nester<br />

bei der Gewöhnlichen Wespe entsprach<br />

sowohl der Zahl meiner eigenen Nestfunde<br />

als auch meinen Fangzahlen im Feld.<br />

Vergleichbare Zahlen liegen von Vespula<br />

germanica und Dolichovespula media vor<br />

(Tab. 5).<br />

Dolichovespula saxonica, die als Kulturfolger<br />

im Siedlungsbereich als Freinister<br />

gerne an Dachüberständen z. B. von Gartenhäuschen<br />

nistet, fällt also sehr leicht auf.<br />

Auch die Hornisse Vespa crabro wird wegen<br />

ihrer Größe und des Fluggeräusches leicht<br />

wahrgenommen. Nester finden sich zum<br />

Teil in Rollladenkästen oder Vogelnistkästen.<br />

Da sie zunächst als besonders bedrohlich<br />

empfunden werden, werden sie auch<br />

oft gemeldet. Da ich zu den Gartenbereichen<br />

und Häusern keinen Zutritt hatte,<br />

habe ich bei den letzten beiden Arten auch<br />

nur wenige Nester finden können.<br />

An den Aufzeichnungen der Wespenberater<br />

war erkennbar, dass viele Bürger<br />

sehr schlecht über Wespen informiert waren,<br />

vielfach wurden Wildbienen, Bienen,<br />

aber auch Hummeln, als Wespen gemeldet.<br />

Erfreulich war jedoch, dass ein Teil<br />

der besorgten Bürger sich zum Erhalt der<br />

Wespennester entschloss, nachdem eine<br />

Beratung stattgefunden hatte.<br />

Gespräche mit Bürgern<br />

Während meiner Fangaktionen wurde<br />

ich des Öfteren angesprochen, da die<br />

Bürger aufgrund des Insektenfangnetzes<br />

neugierig wurden. Sie wollten wissen,<br />

was ich denn finge und reagierten häufig<br />

überrascht, als sie von den Wespenfängen<br />

erfuhren. In den Gesprächen konnte ich<br />

feststellen, dass die meisten Leute nur sehr<br />

wenig über die Wespenarten, das Verhalten<br />

und den Nahrungserwerb der Wespen<br />

(z. B. dass Wespen Blattläuse und andere<br />

Insekten fressen) wussten. Vorurteile,<br />

besonders über die Aggressivität und die<br />

Giftigkeit der Tiere wurden oft geäußert.<br />

Viele Leute äußerten Ängste und waren<br />

erstaunt, dass ich während meiner Fänge<br />

nicht gestochen wurde. Viele waren jedoch<br />

interessiert, mehr über die Wespen zu erfahren,<br />

und ich habe meistens längere Gespräche<br />

geführt. An einigen Fangorten in<br />

der Nähe von Spielplätzen traf ich Kinder,<br />

die mit mir suchen und fangen wollten. Sie<br />

waren sehr neugierig und schauten die gefangenen<br />

Individuen in den Bechern an.<br />

Ich stellte fest, dass die anfänglichen Bedenken<br />

schnell verflogen und durch Informationen<br />

zu den Wespen eine positive<br />

Haltung zu den Hautflüglern erzeugt werden<br />

konnte.<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


22 Phil Bussemas<br />

Zusammenfassung<br />

Die sozialen Faltenwespen waren in<br />

Bielefeld bisher nicht ausreichend faunistisch<br />

bearbeitet, da sich Entomologen eher<br />

für solitäre Arten interessieren. Ich habe<br />

versucht, die Kenntnisse über die Fauna<br />

der sozialen Faltenwespen im Bielefelder<br />

Stadtgebiet zu aktualisieren und Kenntnislücken<br />

– vor allem im Nordosten – zu<br />

schließen. Mit 5 520 Einzelnachweisen an<br />

293 Standorten konnte für das Vorkommen<br />

der meisten der in Bielefeld nachgewiesenen<br />

sozialen Faltenwespen ein<br />

flächendeckender Überblick gewonnen<br />

werden.<br />

Bemerkenswert ist die im Siedlungsbereich<br />

seit gut zehn Jahren in Bielefeld vorkommende<br />

thermophile Gallische Feldwespe,<br />

die im Frühjahr inzwischen am<br />

häufigsten vorkommt. Auf das Jahr gesehen<br />

ist sie nach der Gewöhnlichen Wespe die<br />

zweithäufigste Wespe Bielefelds.<br />

Besonderes Augenmerk habe ich auf die<br />

Verteilung der lästig werdenden Wespen –<br />

Gewöhnliche Wespe und Deutsche Wespe –<br />

im Feld und in Bäckereien gelegt. Es ergab<br />

sich, dass die Deutsche Wespe, die im<br />

Feld nur einen Anteil von 4 % gegenüber<br />

der mit 96 % vertretenen Gewöhnlichen<br />

Wespe ausmacht, offensichtlich die Nahrungsquellen<br />

der Bäckereien, in denen sie<br />

mit 25 % vorkommt, relativ stärker nutzt<br />

als die hier „nur“ mit 75 % vertretene Gewöhnliche<br />

Wespe.<br />

Zusätzlich konnte ich die in NRW als<br />

extrem selten eingestufte, bisher wenig<br />

erforschte Waldkuckuckswespe (Dolichovespula<br />

omissa) erstmalig für Bielefeld<br />

nachweisen.<br />

Stellung der Echten Wespen im Insektenreich<br />

Wespen gehören zur Ordnung der<br />

Hautflügler (Hymenoptera). Zusammen<br />

mit drei weiteren, sehr artenreichen<br />

Ordnungen führen die Individuen<br />

während ihres Entwicklungszyklus eine<br />

vollständige Verwandlung (Holometabolie)<br />

durch. Die Hautflügler stellen<br />

mit 11 500 Arten die artenreichste<br />

Ordnung in Mitteleuropa dar. Weltweit<br />

sind rund 150 000 Arten bekannt.<br />

Die Hautflügler werden in zwei Unterordnungen<br />

gegliedert, in die Pflanzenwespen<br />

(Symphyta), die keine Taille<br />

besitzen, und in die Taillenwespen<br />

(Apocrita), zu denen die meisten Arten<br />

gehören. Diese werden wiederum<br />

unterteilt in die Legimmen (Terebrantia),<br />

zu denen viele parasitische und<br />

gallbildende Arten gehören, und die<br />

Stechimmen (Aculeata), zu denen u. a.<br />

die Bienen (Apoidea) und die Wespen<br />

(Vespoidea) gezählt werden. Die Wespen<br />

untergliedern sich in verschiedene<br />

Familien, eine davon ist die der Faltenwespen<br />

(Vespidae). Diese Familie ist<br />

durch das Zusammenfalten der Hinterflügel<br />

gekennzeichnet. Zusammen<br />

mit den Feldwespen (Polistinae) werden<br />

die Echten Wespen (Vespinae) oft als<br />

soziale Faltenwespen bezeichnet, das ist<br />

aber keine taxonomische Ebene, sondern<br />

spiegelt die Staatenbildung beider<br />

Familien wider. Zu den Echten Wespen<br />

gehören die Hornisse und die im Beitrag<br />

von Phil Bussemas behandelten<br />

Arten der Gattungen Vespula und Dolichovespula.<br />

Ludger Schmidt<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Die sozialen Faltenwespen in Bielefeld<br />

23<br />

Literatur<br />

Bleidorn, Christoph; Lauterbach, Karl-Ernst;<br />

Schulze, Werner; Venne, Christian (2000):<br />

Über die weitere Ausbreitung der Französischen<br />

Feldwespe Polistes dominula (Christ,<br />

1791) in Ostwestfalen (Hymenoptera, Vespidae).<br />

– Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft<br />

ostwestfälisch-lippischer Entomologen<br />

16: 35 – 39; Bielefeld.<br />

Böker, Arndt; Vorwerg, Alexander (2004):<br />

Kenntnis der Bienen- und Wespenfauna<br />

Bielefelds (Hymenoptera: Aculeata) – Eine<br />

Untersuchung in der Saison 2003. – Unveröffentlichte<br />

„Schüler-experimentieren“-Arbeit,<br />

Helmholtz-Gymnasium Bielefeld: 15 S.<br />

Esser, Jürgen; Fuhrmann, Markus; Venne,<br />

Christian (2010): Rote Liste und Gesamtartenliste<br />

der Wildbienen und Wespen (Hymenoptera:<br />

Apidae, Crabronidae, Sphecidae,<br />

Ampulicidae, Pompilidae, Vespidae, Tiphiidae,<br />

Sapygidae, Mutillidae, Chrysididae) Nordrhein-Westfalens.<br />

– Ampulex 2: , 5 – 60.<br />

Lauterbach, Karl-Ernst (1995): Die kleine<br />

Hornisse in Bielefeld und Umgegend (Hymenoptera<br />

– Vespidae). – Berichte des Naturwissenschaftlichen<br />

Vereins für Bielefeld<br />

und Umgegend 36: 117 – 135; Bielefeld.<br />

Lauterbach, Karl-Ernst (1996): Die kleine<br />

Hornisse in Bielefeld und Umgegend II<br />

(Hymenoptera – Vespidae). – Berichte des<br />

Naturwissenschaftlichen Vereins für Bielefeld<br />

und Umgegend 37: 115 – 125; Bielefeld.<br />

Lauterbach, Karl-Ernst (1996): Eine Feldwespe<br />

in Ostwestfalen (Hym., Vespidae).<br />

– Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft<br />

ostwestfälisch-lippischer Entomologen 12,<br />

1: 19 – 21.<br />

Lauterbach, Karl-Ernst (1997): Fortbestand<br />

und Entwicklung des Vorkommens von Polistes<br />

dominula (Christ, 1791) in Paderborn<br />

(Hymenoptera, Vespidae). – Mitteilungen<br />

der Arbeitsgemeinschaft ostwestfälisch-lippischer<br />

Entomologen 13: 41 – 43; Bielefeld.<br />

Mönks, Ferdinand: Mündliche Mitteilung.<br />

Nehring, Leander; Dohna, Cornelius; Buschmann,<br />

Nils (2010): Hornissen in Bielefeld<br />

nördlich des Teutoburger Waldes<br />

im Jahre 2009 und Konsequenzen für<br />

den Hornissenschutz. – Unveröffentlichte<br />

„Schüler-experimentieren“-Arbeit,<br />

Helmholtz-Gymnasium Bielefeld: 7 S.<br />

Schmid-Egger, Christian (2000): Hinweise<br />

zum wissenschaftlichen Arbeiten mit Stechimmen.<br />

– bembix 13: 30 – 37; Bielefeld.<br />

Schmid-Egger, Christian (2010): Rote Liste<br />

der Wespen Deutschlands. – Ampulex 1:<br />

5 – 40.<br />

Venne, Christian; Bleidorn, Christoph; Lauterbach,<br />

Karl-Ernst (2007): Zum Bearbeitungsstand<br />

der Stechimmenfauna (excl.<br />

Formicidae) von Bielefeld – Berichte des<br />

Naturwissenschaftlichen Vereins Bielefeld<br />

und Umgegend 47: 291 – 321.<br />

Witt, Rolf (2009): Wespen. – Vademecum Verlag:<br />

399 S.; Oldenburg.<br />

Woydak, Horst (2006): Die Faltenwespen von<br />

Nordrhein-Westfalen. – Abhandlung aus<br />

dem Westfälischen Museum für Naturkunde<br />

68. Jahrgang, 1: 106 – 107.<br />

Verwendete Bestimmungsliteratur:<br />

Mauss, Volker; Treiber, Reinhold (2004): Bestimmungsschlüssel<br />

für die Faltenwespen der<br />

Bundesrepublik Deutschland. – Deutscher<br />

Jugendbund für Naturbeobachtung (DJN)<br />

Hamburg: 1 – 53.<br />

Wolf, Heinrich (1986): Illustrierter Bestimmungsschlüssel<br />

deutscher Papierwespen. –<br />

Mitteilungen des Internationalen Entomologischen<br />

Vereins e. V. Frankfurt a. M. – gegr.<br />

1884: 751 S.<br />

Fitter, Richard; Fitter, Alastair; Blamey, Marjorie<br />

(1986): Pareys Blumenbuch –Wildblühende<br />

Pflanzen Deutschlands und Nordwesteuropas.<br />

– Paul Parey: Hamburg.<br />

Rothmaler, Werner (1987): Exkursionsflora,<br />

Bd. 3, Atlas der Gefäßpflanzen: 750 S.;<br />

Berlin.<br />

Benutzte Internetadressen:<br />

http://www.stechimmen-owl.de<br />

http://wespenschutz.com<br />

http://www.ampulex.de/ampulex1hd.pdf<br />

http://www.vespa-crabro.de/unterscheidung.htm<br />

htttp://www.westfaelische-entomologen.de<br />

Stand: 06.01.2012<br />

Kartengrundlage aller verwendeten Karten:<br />

© Vermessungs- und Katasteramt 2011<br />

Bielefeld<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


24<br />

Danksagung<br />

Ich danke den Herren Christian Venne<br />

und Ferdinand Mönks für die Überprüfung<br />

meiner Bestimmungen. Herrn Werner<br />

Schulze danke ich für Hinweise zur<br />

Anlage meiner Sammlung.<br />

Weiter danke ich den Wespenberatern<br />

Herrn Große-Wöhrmann, Frau Varchmin,<br />

Herrn Dr. Bode und Frau Bongards für<br />

die Überlassung von anonymisierten Beratungsprotokollen<br />

und Wespennestern.<br />

Herrn Michael Mertins vom Vermessungs-<br />

und Katasteramt der Stadt Bielefeld<br />

ist für die Überlassung und Hilfestellung<br />

bei der Bearbeitung der Bielefeld-Karte zu<br />

danken.<br />

Die präparierten Wespen meiner Sammlung<br />

sollen nach Abschluss meiner Arbeit<br />

in den Bestand des Naturkunde-Museums<br />

Bielefeld übergehen. Die Fangdaten<br />

werden Christian Venne für die weitere<br />

JUGENDPREIS 2014<br />

Für seine Arbeit erhielt Phil Bussemas,<br />

Schüler des Helmholtz-Gymnasiums<br />

Bielefeld, den Jugendpreis 2014 der<br />

Naturhistorischen Gesellschaft Hannover<br />

für ausgezeichnete Recherche, Durchführung,<br />

schriftliche Darstellung und Ergänzung<br />

der Arbeit mit einer fast 200 Seiten<br />

umfassenden Liste der Wespenfänge.<br />

Aktualisierung der „www.stechimmenowl.de-Seite“<br />

zur Verfügung gestellt.<br />

Arbeit eingereicht: 20.06.2012<br />

Arbeit angenommen: 06.08.2014<br />

Anschrift des Verfassers:<br />

Phil Bussemas<br />

An der Krücke 30<br />

33604 Bielefeld<br />

Umfassend & vielseitig<br />

<strong>Naturhistorica</strong> 154/155<br />

Das Werk „Geowissenschaften im Spiegel<br />

von Medaillen und Münzen“ von Gerd-<br />

Henrich Stork ist durch die Zusammenarbeit<br />

der Gebiete Numismatik, Geowissenschaften,<br />

Paläontologie und Biologie im Haus des<br />

Landesmuseums Hannover entstanden – ein<br />

Paradebeispiel für Interdisziplinarität.<br />

• Umfangreiche Register zu Personen,<br />

Medailleuren, Entwerfern, Herstellern,<br />

Verlegern und geografischen Namen.<br />

• Ausführliches Literaturverzeichnis<br />

Hardcover, 724 S., über 2.300 Abb., 89 €<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


25<br />

Erstnachweis der Blauschwarzen Holzbiene<br />

Xylocopa violacea Linné 1758 in Hannover<br />

(Hymenoptera: Apidae)<br />

Rolf Witt<br />

Erstnachweis der Blauschwarzen Holzbiene in<br />

Hannover<br />

Zusammenfassung<br />

Erstmals konnte in Hannover die Blauschwarze<br />

Holzbiene Xylocopa violacea L.<br />

nachgewiesen werden. Diese größte deutsche<br />

Solitärbienenart hat sich in den<br />

letzten Jahren immer weiter ausgebreitet<br />

und wird fast nur im Siedlungsbereich in<br />

Gärten und Parks nachgewiesen.<br />

Einleitung<br />

Im Rahmen einer noch laufenden Erfassung<br />

der Stechimmen der Stadt Hannover<br />

konnte 2013 der Erstnachweis der Blauschwarzen<br />

Holzbiene Xylocopa violacea L.<br />

für Hannover erbracht werden. Der Fund<br />

dieser sehr markanten Wildbiene war für<br />

Hannover schon länger zu erwarten gewesen.<br />

Der Erstnachweis für Niedersachsen<br />

erfolgte bereits 2003 (Thomas & Witt<br />

2005) an der Unterelbe. Inzwischen liegen<br />

mehrere zum Teil unveröffentlichte Nachweise<br />

vor allem aus dem südlichen und<br />

östlichen Niedersachsen, z. B. im Raum<br />

Göttingen und Hameln, Braunschweig,<br />

Lüneburg und im Wendland, vor. Riemann<br />

et al. (2010) melden zwei Nachweise von<br />

2008 und 2009 aus Bremen. Im Juni 2014<br />

wurde mir erstmals ein Nachweis aus der<br />

Nähe von Bad Zwischenahn (Landkreis<br />

Ammerland) bekannt.<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


26 Rolf Witt<br />

Abb. 1 (vorherige Seite) Xylocopa violacea-<br />

Weibchen<br />

Abb. 2 Xylocopa violacea-Männchen mit den<br />

charakteristischen rotgelben Fühlerenden<br />

Die letztjährigen Fundorte weisen auf<br />

eine anhaltende Ausbreitung nach Norden<br />

und in die Fläche Niedersachsens hin.<br />

Die Art hat in den letzten Jahren ihr Areal<br />

deutlich ausgeweitet. Ein analoges Ausbreitungsgeschehen<br />

ist auch für die Niederlande<br />

bekannt (Peeters et al. 2012). Die<br />

nördlichsten Funde stammen aus der Provinz<br />

Drenthe, südlich von Groningen. Aus<br />

Dänemark sind nur wenige Einzelfunde<br />

bekannt. Die Art wird aber noch nicht als<br />

indigen angesehen, sondern es wird von<br />

verschleppten Tieren ausgegangen (Madsen<br />

& Calabuig 2012). Aus Schleswig-<br />

Holstein und Mecklenburg-Vorpommern<br />

fehlen noch aktuelle Nachweise.<br />

Die Art nistet in selbstgenagten Gängen<br />

in sonnenexponiertem, nicht zu morschem<br />

Totholz, in seltenen Fällen auch in<br />

dicken Stängeln. Nachweise der thermophilen<br />

größten Wildbienenart liegen vor<br />

allem aus dem Siedlungsbereich (Gärten,<br />

Parks) vor.<br />

Ergebnisse und Diskussion<br />

Im zu den Herrenhäuser Gärten gehörenden<br />

Berggarten konnten zwei Tiere der<br />

Art festgestellt werden:<br />

• 1 ♀, 16.07.2013 Hannover, Berggarten<br />

52°23'34" N / 9°41'59" E<br />

• 1 ♀? (Flugbeobachtung), 18.07.2013<br />

Hannover, Berggarten<br />

52°23'60" N / 9°38'55" E<br />

Ein Weibchen sammelte in der Abteilung<br />

„Irisgarten“ Pollen am Muskatellersalbei<br />

Salvia sclarea L. Der Muskatellersalbei<br />

ist eine für Holzbienen außerordentlich<br />

attraktive Pflanze. Zudem sind Holzbienen<br />

aufgrund ihrer Größe ideal für die<br />

Auslösung des Bestäubungsmechanismus<br />

und stellen somit die wichtigsten Bestäuber<br />

dieses großblütigen Lippenblütlers dar<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Erstnachweis der Blauschwarzen Holzbiene in Hannover<br />

27<br />

(Westrich 2009). So erfolgte einer der zwei<br />

Nachweise aus dem Land Bremen (Riemann<br />

et al. 2010) sowie der Fund bei Bad<br />

Zwischenahn auch an dieser Pflanzenart.<br />

Ein weiteres Tier konnte im Flug an einer<br />

morschen, teils abgestorbenen Linde<br />

im Berggarten beobachtet werden. Einige<br />

der alten Linden in der Lindenallee mit<br />

ihrem morschen Altholz bieten durchaus<br />

potentielle Nistplätze für Holzbienen. Allerdings<br />

sind bisher keine Nestgänge entdeckt<br />

worden.<br />

Durch die in Großstädten im Vergleich<br />

zur Umgebung wärmeren klimatischen<br />

Bedingungen lassen sich in naturnahen<br />

urbanen Habitaten immer wieder expansive,<br />

wärmeliebende Arten nachweisen.<br />

Dies gilt besonders im Zusammenhang<br />

mit der allgemeinen Klimaerwärmung. Ein<br />

Beispiel ist auch dieser Erstnachweis der<br />

Blauschwarzen Holzbiene Xylocopa violacea<br />

in Hannover.<br />

Es ist durchaus wahrscheinlich, dass die<br />

Art schon etwas länger in Hannover vorkommt.<br />

So weist Hannover seit vielen<br />

Jahrzehnten einen im Vergleich zu anderen<br />

Großstädten unzureichenden Untersuchungsstand<br />

bezüglich der Wildbienenfauna<br />

auf. Dies ist sicherlich durch das<br />

Fehlen lokaler Fachleute sowie einem starken<br />

Abbau der Ausbildung und Förderung<br />

von taxonomisch-systematisch arbeitenden<br />

Zoologen begründet. Meldungen über<br />

Holzbienen stammen allerdings in vielen<br />

Fällen von naturinteressierten Laien, die<br />

die auffälligen Tiere in ihrem Garten beobachten.<br />

Weitere Nachweise der Art sind<br />

im Großraum Hannover zu erwarten.<br />

Durch eine entsprechende Gestaltung<br />

von Gärten lassen sich Holzbienen sehr<br />

gut fördern. Erster wichtiger Faktor ist ein<br />

ausreichendes Angebot an Nahrungspflanzen.<br />

Zwar ist Xylocopa violocea polylektisch,<br />

allerdings bevorzugt sie großblütige<br />

Lippenblütler und Schmetterlingsblütler.<br />

Für Gärten sind beispielsweise der bereits<br />

oben genannte Muskatellersalbei (Lippenblütler)<br />

und die Schmetterlingsblütler<br />

Blauregen (Wisteria sp.), Gartenplatterbse<br />

(Lathyrus latifolius), spätblühende Gartenbohnen<br />

und Erbsen, aber auch andere<br />

Schmetterlings- und Lippenblütler zu<br />

empfehlen. Der zweite Faktor ist das Vorhandensein<br />

von geeigneten Nistplätzen in<br />

Form von morschem Holz. Bevorzugt werden<br />

trockene, innen mürbe Totholzstücke.<br />

Ideal sind z. B. alte, noch aufrecht stehende<br />

Obstbaumstämme die über viele Jahre<br />

besiedelt werden können. Die Art nimmt<br />

aber auch sehr gern größere morsche Totholzstücke<br />

aus Laubholz an, in die sie<br />

dann ihre Nistgänge hineinnagt. Frommer<br />

(2007) berichtet von Holzklötzen unterschiedlicher<br />

Morschheitsgrade, die an sonnenexponierten<br />

Hauswänden aufgehängt<br />

werden. Die Bienenweibchen wählen dann<br />

den bevorzugten Morschheitsgrad selbst<br />

aus. Mit der Zeit sollten zu stark verwitterte<br />

Holzstücke sukzessive ausgewechselt<br />

werden. So lassen sich auf einfache Weise<br />

Nisthilfen schaffen, die optimale Bedingungen<br />

zur Beobachtung dieser harmlosen<br />

und in ihrer Biologie sehr interessanten<br />

Art bieten. In warmen Jahren erstreckt sich<br />

die für Wildbienen außerordentlich lange<br />

Abb 3. Zwei Nesteingänge (rote Kreise) von<br />

Xylocopa violacea in einem alten Obstbaumstumpf<br />

in ca. 1 m Höhe<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


28<br />

Flugzeit von Anfang März bis in den Oktober.<br />

In der Roten Liste der Wildbienen von<br />

Niedersachsen und Bremen (Theunert<br />

2002) ist Xylocopa violacea noch nicht verzeichnet.<br />

Westrich et al. (2011) stufen die<br />

Art deutschlandweit als ungefährdet ein;<br />

sie weist deutliche Bestandszunahmen auf.<br />

Von einer Gefährdung der Art in Niedersachsen<br />

und Bremen ist derzeit nicht auszugehen.<br />

Danksagung<br />

Für die Möglichkeit der Vorveröffentlichung<br />

ausgewählter faunistischer Daten<br />

aus der beauftragten Kartierung danke ich<br />

Dieter Nußbaum (Landeshauptstadt Hannover,<br />

Fachbereich Umwelt und Stadtgrün),<br />

Ingmar Guldner (Herrenhäuser<br />

Gärten) danke ich für den kostenfreien<br />

Zugang zum Berggarten.<br />

Literatur<br />

Frommer, Ulrich (2007): Eine Methode zur<br />

Ansiedlung der Großen Holzbiene Xylocopa<br />

violacea (Linnaeus, 1758) (Hymenoptera:<br />

Apidae). – Bembix 25: 7 – 10.<br />

Madsen, Henning Bang; Calabuig, Isabel<br />

(2012): Kommenteret checkliste over Denmarks<br />

bier – Del 5: Apidae (Hymenoptera,<br />

Apoidea) . – Entomologiske Meddelelser 80:<br />

7 – 52. Copenhagen.<br />

Peeters, Theo M. J.; Nieuwnhuijsen, Hans;<br />

Smit, Jan; van der Meer, Frank; Raemakers,<br />

Ivo P.; Heitmans, Wijnand R. B.; van Achterberg,<br />

Kees; Kwak, Manja, Loonstra, Anne<br />

Jan.; de Rond, Jeroen; Roos, Mervyn; Reemer,<br />

Menno (2012): De Nederlandse bijen<br />

(Hymenoptera: Apidae s.l.). – Natuur van<br />

Nederland 11, Naturalis Biodiversity Center<br />

& European Invertebrate Survey: 544 S.<br />

Leiden.<br />

Riemann, Helmut; Kwetschlich, Oliver; Albers,<br />

Klaus (2010). Erste Nachweise der Blauschwarzen<br />

Holzbiene Xylocopa violacea (Linné)<br />

in Bremen und weitere bemerkenswerte<br />

Stechimmenfunde (Hymenoptera: Apidae<br />

et Sphecidae) aus Niedersachsen. – Abhandlungen<br />

des Naturwissenschaftlichen Vereins<br />

zu Bremen 46/3:519.<br />

Theunert, Reiner (2002): Rote Liste der in<br />

Niedersachsen und Bremen gefährdeten<br />

Wildbienen mit Gesamtartenverzeichnis. –<br />

Informationsdienst Naturschutz Niedersachsen<br />

3: 138 – 160.<br />

Thomas, Barbara; Witt, Rolf (2005): Erstnachweis<br />

der Holzbiene Xylocopa violacea<br />

(Linné 1758) in Niedersachsen und weitere<br />

Vorkommen am nordwestlichen Arealrand<br />

(Hymenoptera: Apidae). – Drosera 2005(2):<br />

89 – 96; Oldenburg.<br />

Westrich, Paul (2009): Blauschwarze Holzbiene<br />

(Xylocopa violacea) und Muskateller-<br />

Salbei (Salvia sclarea). – http://www.paulwestrich.de/forschung/beobachtung<br />

20090613.php (06.08.2014).<br />

Westrich, Paul; Frommer, Ulrich; Mandery,<br />

Klaus; Riemann, Helmut; Ruhnke, Haike;<br />

Saure, Christoph; Voith, Johannes (2011):<br />

Rote Liste und Gesamtartenliste der Bienen<br />

(Hymenoptera, Apidae) Deutschlands.<br />

– Bundesamt für Naturschutz. Naturschutz<br />

und Biologische Vielfalt 70(3): 373 – 416.<br />

Arbeit eingereicht: 27.08.2014<br />

Arbeit angenommen: 29.08.2014<br />

Anschrift des Verfassers:<br />

Rolf Witt<br />

Umwelt- und Medienbüro Witt<br />

Friedrichsfehner Straße 39<br />

26188 Edewecht-Friedrichsfehn<br />

E-Mail: witt@umbw.de<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


29<br />

Exotische Libellen (Odonata) in der Sammlung<br />

des Niedersächsischen Landesmuseums<br />

Hannover<br />

Malte Seehausen<br />

Abstract<br />

The exotic dragonflies and damselflies of<br />

the collection at the Lower Saxony State<br />

Museum Hanover (NLMH) were determined<br />

and catalogued. The 98 specimens in<br />

51 species originate from North and South<br />

America, Africa and Asia. Some specimens<br />

were collected by famous pioneers of systematic<br />

zoological research in Africa during<br />

the 19th century. Furthermore two specimens<br />

of Chlorogomphus magnificus are notable:<br />

This species – only known from Java<br />

and Sumatra – is very rare to find in collections<br />

and also photos and figures from free<br />

available sources are scarce.<br />

Another nice species is one of the largest<br />

dragonflies worldwide: Anotogaster sieboldii<br />

– known for example from China, Japan<br />

and Taiwan. Also noteworthy is the<br />

exceptionally large number of Hetaerina sp.<br />

from South America. Unfortunately labels<br />

of many specimens are missing, so they are<br />

not suitable for scientific examinations.<br />

Zusammenfassung<br />

Die exotischen Libellen der Sammlung<br />

des Niedersächsischen Landesmuseums<br />

Hannover (NLMH) wurden erfasst und<br />

determiniert. Es handelt sich um 98 Exemplare,<br />

hiervon konnten 51 Arten aus<br />

Nord- und Südamerika, Afrika und Asien<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


30 Malte Seehausen<br />

bestimmt werden. Erwähnenswert sind einige<br />

Exemplare, gesammelt von bekannten<br />

Pionieren der systematischen zoologischen<br />

Erforschung Afrikas aus dem 19.<br />

Jahrhundert, sowie der Fund von zwei Tieren<br />

der nur von Java und Sumatra bekannten<br />

Chlorogomphus magnificus. Diese Art<br />

ist recht selten in Sammlungen zu finden,<br />

und auch Fotos und Abbildungen aus frei<br />

zugänglichen Quellen sind rar. Weiterhin<br />

befindet sich eine der weltweit größten<br />

Libellen – Anotogaster sieboldii – in der<br />

Sammlung des NLMH. Erwähnenswert ist<br />

auch die große Anzahl an Exemplaren von<br />

Hetaerina sp. aus Südamerika. Bedauerlicherweise<br />

fehlt vielen Tieren die Etikettierung,<br />

sie sind daher wissenschaftlich nicht<br />

auswertbar.<br />

Einleitung<br />

Den Grundstock des Niedersächsischen<br />

Landesmuseums Hannover bildete der<br />

Zusammenschluss der Sammlungen der<br />

„Naturhistorischen Gesellschaft Hannover“,<br />

des Historischen Vereins für Niedersachsen<br />

und des Vereins für die öffentliche<br />

Kunstsammlung Mitte des 19. Jahrhunderts.<br />

In den Sammlungen befinden sich<br />

wichtige historische Belege aus dieser<br />

Zeit, darunter auch eine Reihe von Libellen.<br />

Während die einheimischen Libellen<br />

durch Gehler (1995) bearbeitet worden<br />

sind, blieben die exotischen Arten bislang<br />

vernachlässigt. Alexander Gehler gibt für<br />

letztere – neben lediglich neun determinierten<br />

Exemplaren – 30 unbestimmte<br />

Kleinlibellen (Zygoptera) und 46 unbestimmte<br />

Großlibellen (Anisoptera) aus<br />

fremden Regionen an. Daher war eine Bearbeitung<br />

der Sammlung wünschenswert<br />

und konnte im Winter 2013/2014 durchgeführt<br />

werden. Insgesamt wurden 48 exotische<br />

Klein- und 50 exotische Großlibellen<br />

gefunden und größtenteils auf die Art<br />

bestimmt.<br />

Katalog<br />

Die Sammlung umfasst 98 Exemplare,<br />

die 51 Arten zugeordnet werden konnten.<br />

Drei Segellibellen (Libellulidae Rambur,<br />

1842) ohne Fundortangaben und eine<br />

Rhionaeschna sp. Förster, 1909 konnten<br />

nicht näher bestimmt werden. Zur besseren<br />

Übersicht erfolgt eine Zuordnung<br />

nach zoogeographischen Regionen und<br />

Subregionen (nach de Lattin 1967).<br />

Die vorhandenen Fundorte wurden gegebenenfalls<br />

durch Länderangaben bzw.<br />

aktuelle Bezeichnungen ergänzt. Ebenso<br />

sind die vollständigen Namen der Sammler<br />

– soweit möglich – recherchiert und<br />

hinzugefügt. Wenn kein Sammler etikettiert<br />

war, der Fundort jedoch auf einen bestimmten<br />

Sammler schließen lässt, ist der<br />

Name in Klammern gesetzt. Ebenso wurden<br />

die nachträglich recherchierten wahrscheinlichen<br />

Fundjahre in Klammern gesetzt.<br />

Nicht sicher entzifferte Angaben<br />

sind in Anführungszeichen gesetzt.<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Exotische Libellen (Odonata) in der Sammlung des Niedersächsischen Landesmuseums Hannover<br />

31<br />

Abb. 1: Chlorogomphus magnificus ist in Sammlungen<br />

selten vertreten und auch veröffentlichte<br />

Abbildungen sind kaum zu finden. Bekannt ist<br />

die Art nur von Java und Sumatra (Foto: Malte<br />

Seehausen).<br />

Äthiopische Region, Afrikanische<br />

Subregion (13 Exemplare, 11 Arten)<br />

Zygoptera<br />

Phaon iridipennis (Burmeister, 1839) – 1<br />

♂: ohne Funddaten, leg.: ohne Angabe.<br />

Sapho ciliata Fabricius, 1781 – 1 ♂:<br />

20.09. – 31.10.1890, Bismarckburg/<br />

Togo, leg.: Richard Büttner; 1 ♀:<br />

18.01. – 25.01.1893, Bismarckburg/<br />

Togo, leg.: Leopold Conradt.<br />

Sapho orichalcea McLachlan, 1869 – 1 ♂,<br />

1 ♀: [ca. 1890], Barombi-Station/Kamerun,<br />

leg.: Paul Preuss.<br />

Umma cincta (Hagen in Selys 1853) – 1<br />

♀: 26.01. – 31.01.1893, Bismarckburg/<br />

Togo, leg.: Leopold Conradt.<br />

Pseudagrion melanicterum Selys, 1876 – 1<br />

♂: [ca. 1890], Bismarckburg/Togo, leg.:<br />

Richard Büttner.<br />

Anisoptera<br />

Brachythemis leucosticta (Burmeister, 1839)<br />

oder B. impartita (Karsch, 1890) – 1 ♀:<br />

10.03.1891, „O. Usinga“, leg.: ohne Angabe.<br />

Crocothemis sanguinolenta (Burmeister,<br />

1839) – 1 ♀: [ca. 1870er Jahre], Sansibar/Tansania,<br />

leg.: Johann Maria Hildebrandt.<br />

Diplacodes cf. luminans (Karsch, 1893) – 1<br />

♀: ohne Funddaten, leg.: ohne Angabe.<br />

Orthetrum stemmale (Burmeister, 1839) –<br />

1 ♂: 14.10.1893, Misahöhe/Togo, leg.:<br />

Ernst Baumann.<br />

Palpopleura lucia (Drury, 1773) – 1 ♂:<br />

ohne Funddaten, leg.: ohne Angabe.<br />

Trithemis kirbyi Selys, 1891 – 1 ♂: Eritrea,<br />

leg.: ohne Angabe.<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


32 Malte Seehausen<br />

Abb. 2: Neurothemis tullia ist eine in Asien weit<br />

verbreitete Art und in der Sammlung des Landesmuseums<br />

mit 3 Tieren vertreten<br />

(Foto: Hanns-Jürgen Roland).<br />

Orientalische Region (11 Exemplare,<br />

8 Arten)<br />

Zygoptera<br />

Neurobasis kaupi Brauer, 1867 – 1 ♂: [ca.<br />

1880/90er Jahre], Bantimurung, Süd-<br />

Sulawesi/Indonesien, Leg.: Carl Ribbe.<br />

Rhinocypha tincta semitincta Selys, 1869 –<br />

1 ♂: Bacan/Indonesien, Leg.: ohne Angabe.<br />

Anisoptera<br />

Amphiaeschna ampla (Rambur, 1842) – 1<br />

♀: Java/Indonesien, Leg.: ohne Angabe.<br />

Anax guttatus (Burmeister, 1839) – 1 ♂:<br />

Java/Indonesien, Leg.: ohne Angabe.<br />

Chlorogomphus magnificus Selys, 1854 –<br />

2 ♀♀: ohne Funddaten, Leg.: ohne Angabe.<br />

Camacinia gigantea (Brauer, 1867) – 1 ♂:<br />

ohne Funddaten, Leg.: ohne Angabe.<br />

Neurothemis tullia tullia (Drury, 1773) –<br />

2 ♂♂, 1 ♀: ohne Funddaten, leg.: ohne<br />

Angabe.<br />

Rhyothemis variegata (Linnaeus, 1763) – 1<br />

♀: ohne Funddaten, leg.: ohne Angabe.<br />

Holarktische Region, Paläarktische<br />

Subregion (7 Exemplare, 5 Arten)<br />

Zygoptera<br />

Matrona basilaris japonica Förster, 1897<br />

– 1 ♂: 10.08.1891, Okuma, Kuntsian<br />

[Kunigami], Okinawa/Japan, leg.: Adolf<br />

Fritze.<br />

Anisoptera<br />

Anotogaster sieboldii (Selys, 1854) – 1 ♀:<br />

ohne Funddaten, leg.: ohne Angabe.<br />

Diplacodes trivialis (Rambur, 1842) –<br />

2 ♀♀: 28.08.1891, „Kimura/Kinuwa“,<br />

Okinawa/Japan, leg.: Adolf Fritze.<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Exotische Libellen (Odonata) in der Sammlung des Niedersächsischen Landesmuseums Hannover<br />

33<br />

Orthetrum sabina (Drury, 1773) – 1 ♂:<br />

30.08.1891, „Kimura/Kinuwa“, Okinawa/Japan,<br />

leg.: Adolf Fritze.<br />

Rhyothemis fuliginosa Selys, 1883 – 1 ♂:<br />

[1889 – 1891], Yokohama/Japan, leg.:<br />

[Adolf Fritze]; 1 ♀: [1889 – 1891], Japan,<br />

leg.: [Adolf Fritze].<br />

Holarktische Region, Nearktische<br />

Subregion (5 Exemplare, 5 Arten)<br />

Anisoptera<br />

Anax walsinghami McLachlan, 1883 – 1<br />

♂: Californien/USA, leg.: ohne Angabe.<br />

Libellula nodisticta (Hagen, 1775) – 1 ♂:<br />

Californien/USA, leg.: ohne Angabe.<br />

Libellula saturata (Uhler, 1857) – 1 ♂:<br />

Californien/USA, leg.: ohne Angabe.<br />

Paltothemis lineatipes Karsch, 1890 – 1 ♂:<br />

Californien/USA, leg.: ohne Angabe.<br />

Plathemis lydia (Drury, 1773) – 1 ♀: Californien/USA,<br />

leg.: ohne Angabe.<br />

Neotropische Region (54 Exemplare,<br />

19 Arten)<br />

Zygoptera<br />

Hetaerina cf. westfalli Rácenis, 1968 –<br />

1 ♂: Santos Georgius, Brasilien, leg.:<br />

ohne Angabe.<br />

Hetaerina cruentata (Rambur, 1842) –<br />

2 ♂: [vor 15.10.1921], Mérida/<br />

Abb. 3: Crocothemis sanguinolenta ist eine nahe<br />

Verwandte der einheimischen Crocothemis erythraea.<br />

Das Exemplar des Landesmuseums wurde<br />

auf Sansibar gefangen(Foto: Hanns-Jürgen Roland).<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


34 Malte Seehausen<br />

Venezuela, leg.: Peter Nagel; 11 ♂: ohne<br />

Funddaten, leg.: ohne Angabe.<br />

Hetaerina occisa Hagen in Selys, 1853 –<br />

1 ♂: Kolumbien, leg.: ohne Angabe; 1<br />

♂: ohne Funddaten, leg.: ohne Angabe.<br />

Hetaerina sp. Hagen in Selys, 1853 – 9 ♂,<br />

5 ♀: ohne Funddaten, leg.: ohne Angabe.<br />

Polythore ornata (Selys, 1879) – 1 ♂:<br />

Chanchamayo, Department Junin/Peru,<br />

leg.: Collection Gabriele Dechnik.<br />

Mecistogaster amalia (Burmeister, 1839) –<br />

1 ♂, 1 ♀: 1968, Paraguay, leg.: Collection<br />

Gabriele Dechnik.<br />

Mecistogaster linearis (Fabricius, 1776) –<br />

1 ♂: [vor 15.10.1921], Mérida/Venezuela,<br />

leg.: Peter Nagel.<br />

Mecistogaster ornata Rambur, 1842 – 1 ♂:<br />

[vor 15.10.1921], Mérida/Venezuela,<br />

leg.: Peter Nagel; 1 ♀: Chiriqui/Panama,<br />

leg.: ohne Angabe.<br />

Megaloprepus caerulatus (Drury, 1782) –<br />

1 ♀: gekauft 26.06.1902, ohne Funddaten,<br />

leg.: Staudinger & Bang-Haas; 1 ♂:<br />

Chiriqui/Panama, leg.: ohne Angabe.<br />

Anisoptera<br />

Castoraeshna januaria (Hagen, 1876) –<br />

1 ♂: „Kol. Sudelica“, Villarrica, Department<br />

Guairá/Paraguay, leg.: Collection<br />

Gabriele Dechnik.<br />

Gynacantha croceipennis Martin, 1897 – 1<br />

♂: ohne Funddaten, leg.: ohne Angabe.<br />

Rhionaeschna sp. Förster, 1909 – 1 ♀: 1968,<br />

Paraguay, leg.: Collection Gabriele<br />

Dechnik.<br />

Rhionaeschna planaltica (Calvert, 1952) –<br />

1 ♂: 1968, Paraguay, leg.: Collection<br />

Gabriele Dechnik.<br />

Cannaphila vibex (Hagen, 1861) – 1 ♂:<br />

ohne Funddaten, leg.: ohne Angabe.<br />

Diastatops pullata (Burmeister, 1839) –<br />

1 ♂: Surinam, leg.: ohne Angabe.<br />

Erythrodiplax cleopatra Ris, 1911 – 1 ♂:<br />

1923, Lima/Peru, leg.: ohne Angabe.<br />

Erythrodiplax cf. melanorubra Borror, 1942<br />

– 4 ♂♂: ohne Funddaten, leg.: ohne<br />

Angabe.<br />

Erythrodiplax umbrata (Linnaeus, 1758)<br />

– 1 ♀: 1968, Paraguay, leg.: Collection<br />

Gabriele Dechnik.<br />

Tauriphila argo (Hagen, 1869) – 1 ♂:<br />

1968, Paraguay, leg.: Collection Gabriele<br />

Dechnik.<br />

Tramea calverti Muttkowski, 1910 – 2 ♂♂:<br />

[vor 15.10.1921], Mérida/Venezuela,<br />

leg.: Peter Nagel.<br />

Zenithoptera fasciata (Linnaeus, 1758) –<br />

1 ♂: Surinam, leg.: ohne Angabe.<br />

Keiner (Sub-) Region zuzuordnen<br />

(8 Exemplare, 3 Arten)<br />

Anisoptera<br />

Celithemis eponina (Drury, 1773) – 1 ♂,<br />

2 ♀♀: ohne Funddaten, leg.: ohne Angabe.<br />

Mögliche Herkunft aus neotropischer<br />

Region oder nearktischer Subregion.<br />

Libellulidae Rambur, 1842 – 1 ♂, 2 ♀♀:<br />

ohne Funddaten, leg.: ohne Angabe.<br />

Diese Exemplare waren keiner Art sicher<br />

zuzuordnen. Es handelt sich um<br />

Arten der Gattungen cf. Sympetrum<br />

New mann, 1833, cf. Orthetrum Newmann,<br />

1833 und cf. Urothemis Brauer,<br />

1868.<br />

Pantala flavescens (Fabricius, 1798) – 1 ♀:<br />

ohne Funddaten, leg.: ohne Angabe.<br />

Kosmopolitische Art.<br />

Tholymis tillarga (Fabricius, 1798) – 1 ♂:<br />

ohne Funddaten, leg.: ohne Angabe.<br />

Mögliche Herkunft aus Afrikanischer,<br />

Polynesischer oder Neuseeländischer<br />

Subregion.<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Exotische Libellen (Odonata) in der Sammlung des Niedersächsischen Landesmuseums Hannover<br />

35<br />

Diskussion<br />

Wie in vielen Sammlungen führte auch<br />

im NLMH die Problematik der fehlenden,<br />

unzureichenden oder unleserlichen Etikettierungen<br />

zu Schwierigkeiten. Zum einen<br />

erschwerte es die Bestimmung, zum anderen<br />

ist dadurch eine faunistische Auswertung<br />

der entsprechenden Tiere unmöglich.<br />

In einigen Fällen konnten vertauschte Etiketten<br />

festgestellt werden – so war Plathemis<br />

lydia mit „Leptetrum nodistictum“ (heute<br />

Libellula nodisticta), Paltothemis lineatipes<br />

mit „Plathemys lydia“ und Libellula nodisticta<br />

mit „Hetaerina americana“ etikettiert.<br />

Dies zeigt erneut, wie vorsichtig mit der<br />

Interpretation vorhandener Etiketten in<br />

historischen Sammlungen umgegangen<br />

werden muss.<br />

Erwähnenswert sind die von Ernst Baumann,<br />

Richard Büttner, Leopold Conradt,<br />

Johann Maria Hildebrandt und Paul<br />

Preuss – alles Pioniere der zoologischen<br />

Erforschung Afrikas – gesammelten Libellen.<br />

Libellenfunde dieser Sammler, inklusive<br />

einiger Erstbeschreibungen, wurden<br />

von dem Berliner Entomologen Ferdinand<br />

Karsch bearbeitet und veröffentlicht<br />

(Karsch 1890, 1891a, 1891b, 1893, 1898,<br />

1899a und 1899b). Sehr wahrscheinlich<br />

sind die Exemplare über eine Insektensammlung<br />

aus Kamerun vom Museum<br />

für Naturkunde Berlin nach Hannover gelangt<br />

(Ude 1894, S. 16). Zwei Exemplare<br />

lassen sich sogar mit den entsprechenden<br />

Funddaten in der Zeitschrift „Entomologische<br />

Nachrichten“ finden: Sapho ciliata<br />

vom 20.09. – 31.10.1890/Bismarckburg<br />

(leg.: R. Büttner) in Karsch (1893,<br />

S. 31) und Orthetrum stemmale (originär<br />

als Orthetrum brachiale etikettiert) vom<br />

14.10.1893/Misahöhe (leg.: E. Baumann)<br />

in Karsch (1898, S. 343). Ude (1900, S.<br />

40) gibt weitere Libellen aus Ost-Afrika<br />

an, welche ebenfalls über das Museum<br />

für Naturkunde Berlin in die Sammlung<br />

des NLMH gelangt sind. Wahrscheinlich<br />

stammt zumindest das Exemplar von Crocothemis<br />

sanguinolenta aus dieser Lieferung,<br />

aber auch die nicht etikettierten afrikanischen<br />

Tiere könnten in Ostafrika gesammelt<br />

worden sein. Möglicherweise steht<br />

auch die Abkürzung „O.“ des Etiketts von<br />

Brachythemis leucosticta/impartita für „Ostafrika“<br />

und mit „Usinga“ könnte die Region<br />

Usenga im Landesinneren von Tansania<br />

gemeint sein. Nach Dijkstra (2009) sind<br />

keine sicheren Merkmale bekannt, um die<br />

Weibchen von Brachythemis leucosticta und<br />

B. impartita zu trennen.<br />

In Sammlungen ist Chlorogomphus magnificus<br />

(Abb. 1) nur selten zu finden und<br />

auch Abbildungen in der Literatur gibt<br />

es kaum. Lediglich Fraser (1929) stellte<br />

die typische Flügelfärbung der Weibchen<br />

und die, mit Ausnahme der Spitzen,<br />

hyalinen Flügel der Männchen dar. Chlorogomphus<br />

magnificus ist nur von Java und<br />

Sumatra bekannt, und es liegen anscheinend<br />

seit etwa 60 Jahren keine aktuellen<br />

Daten vor, das könnte auch lediglich<br />

die geringe Erfassung vor Ort widerspiegeln<br />

(Dow 2009). Wie diese Tiere in die<br />

Sammlung gelangt sind, ist rein spekulativ.<br />

Möglich wäre, dass sie sich unter den 29<br />

Insekten von der Sumatra-Westküste befanden,<br />

die am 22.02.1913 von Rambke an<br />

das NLMH gegeben wurden (Anonymus<br />

o. J.). Weiterhin könnten sie aber auch von<br />

dem bekannten und Ende des 19. Jahrhunderts<br />

weltgrößten Insektenhändler „Staudinger<br />

& Bang-Haas“ gekauft worden sein<br />

(Anonymus o. J.). Das ist aufgrund der etikettierten<br />

Nummer in jedem Fall für die<br />

Exemplare von Amphiaeschna ampla und<br />

Anotogaster sieboldii anzunehmen. Wobei<br />

Amphiaeschna ampla ebenfalls eine Art ist,<br />

von der nur wenige aktuelle Informationen<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


36 Malte Seehausen<br />

vorliegen. Nachdem die letzten Nachweise<br />

von Java aus den 1950/60er Jahren stammten,<br />

wurde sie dort im Jahr 2012 wiedergefunden<br />

(Makitan 2013). Nach Lieftinck<br />

(1934) ist sie sehr lokal verbreitet und tagsüber<br />

beispielsweise an Bäumen sitzend, jedoch<br />

nicht fliegend, zu beobachten.<br />

Anotogaster sieboldii ist eine der weltweit<br />

größten Libellen mit einer Flügelspannweite<br />

von bis zu 130 mm mit einem Verbreitungsgebiet<br />

in Russland, China, Japan,<br />

Taiwan und Korea (Wang & Heppner<br />

1997; Lee 2001; Okudaira et al. 2001; Wilson<br />

2005). Bedauerlicherweise liegt kein<br />

Fundortetikett vor.<br />

Die Libellen von Adolf Fritze sind ein<br />

Teil seiner aus ca. 25 000 Insekten bestehenden<br />

Sammlung, die dem NLMH im<br />

Jahre 1903 übergeben wurde (Fritze 1904).<br />

Fritze bereiste von 1889 bis 1891 die japanischen<br />

Inseln Hondo und Yezo, im Februar<br />

1891 sandte Fritze einen unbekannten<br />

Helfer zum Sammeln nach Okinawa.<br />

Die Ergebnisse dieses Sammlers brachten<br />

Fritze dazu, vom 27.07. bis 04.09.1891 selber<br />

nach Okinawa zu reisen (Fritze 1894).<br />

In seiner umfangreichen Zusammenstellung<br />

lassen sich neun Einträge bezüglich<br />

der Libellen finden. Er erwähnt beispielsweise<br />

„Diplacina, eine Art, die sich nur wenig<br />

von Diplacina flavistyla Rbr. aus Afrika<br />

unterscheidet“ und Lepthemis sabina (Fritze<br />

1894, S. 922). Ein Sammlungsexemplar<br />

von Diplacodes trivialis wies ein Etikett<br />

mit der Angabe „der D. flavistyla Rbr. nahestehend“<br />

auf, was exakt auf die Angabe<br />

von Fritze passt. Diplacina flavistyla ist<br />

Synonym zu Diplacodes lefebvrii (Rambur,<br />

1842), die auch im Süden Spaniens<br />

und der Türkei vorkommt (Dijkstra 2006).<br />

Lepthemis sabina ist Synonym zu Orthetrum<br />

sabina, so dass auch dieser Beleg klar<br />

zuzuordnen war.<br />

Weitere Arten, die von Fritze (1894,<br />

S. 922 – 923) genannt werden, sind: Tramea<br />

chinensis de Geer (heute Tramea virginia),<br />

Rhysthenis („… steht der Rhysthenis arria<br />

Drury aus China nahe … Die zweite Art<br />

steht zu Rhysthenis splendida Rbr. von Formosa<br />

in demselben Verhältnis …“; heute<br />

Rhyothemis variegata), Crocothemis servilia<br />

Drury, Thecadiplax („den japanischen Arten<br />

Thecadiplax erotica de Selys und Thecadiplax<br />

fastigiata de Selys nahestehend“;<br />

heute Sympetrum eroticum), Lepthetrum<br />

(„der Lepthetrum zonata Burm. aus Japan<br />

und China nahestehend“; heute Pseudothemis<br />

zonata), Echo („… eine mit der chinesischen<br />

Art Echo margarita de Selys nahe<br />

verwandte Species“) und Ceragrion („…<br />

nahestehend, wenn nicht identisch mit Ceragrion<br />

melanurum de Selys aus Japan und<br />

China“; korrekt Ceriagrion melanurum).<br />

Vermutlich bezieht sich der Eintrag zu der<br />

Gattung Echo auf das Exemplar von Matrona<br />

basilaris japonica, zumal dieses ein<br />

Etikett „Echo spec.“ aufwies. Doch ausgerechnet<br />

Echo margarita als nahestehend<br />

zu dieser Art zu nennen, lässt auch Zweifel<br />

aufkommen – die dunkle Flügelfärbung<br />

von Matrona basilaris unterscheidet sich<br />

doch sehr deutlich von den, mit Ausnahme<br />

der Spitzen, hyalinen Flügeln von Echo<br />

margarita. Selys Longchamps beschrieb in<br />

seinem Werk „Synopsis des Calopterygines“<br />

(1853) nicht nur Echo margarita, sondern<br />

ebenfalls bereits Matrona basilaris.<br />

Die weiteren Einträge konnten in der<br />

Sammlung nicht eindeutig bestimmten<br />

Exemplaren zugeordnet werden. Sympetrum<br />

eroticum wurde von Selys als Diplax<br />

erotica beschrieben, D. fastigiata bezeichnet<br />

er als Varietät von D. erotica (Selys 1883).<br />

Möglicherweise bezieht sich diese Angabe<br />

von Fritze auf eine der nicht bestimmbaren<br />

Libellulidae ohne Fundangaben.<br />

Sympetrum eroticum konnte jedoch ausgeschlossen<br />

werden. Denkbar wäre weiterhin,<br />

dass sich die Angaben zu den beiden<br />

„Rhystenis“-Arten auf die in der Sammlung<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Exotische Libellen (Odonata) in der Sammlung des Niedersächsischen Landesmuseums Hannover<br />

37<br />

vorgefundenen Exemplare von Rhyothemis<br />

fuliginosa aus Japan und R. variegata ohne<br />

Etikett beziehen. Eine sichere Klärung ist<br />

hier jedoch ebenfalls nicht möglich.<br />

Die neotropischen und nearktischen Arten<br />

bilden zwar den Großteil der Sammlung,<br />

doch bieten sie kaum Überraschendes.<br />

Auffallend ist die bemerkenswerte<br />

Anzahl von 30 Exemplaren der Gattung<br />

Hetaerina Hagen in Selys (1853). Garrison<br />

(1990) zeigte, dass diese Gattung aus 37<br />

teilweise sehr ähnlichen Arten besteht. In<br />

der Sammlung konnten drei Arten determiniert<br />

werden. Die weiteren Hetaerina sp.<br />

ließen sich aufgrund fehlender Abdominalsegmente<br />

nicht eindeutig bestimmen,<br />

wahrscheinlich sind sie jedoch ebenfalls<br />

Hetaerina cruentata (Katalog, Neotropische<br />

Region) zuzurechnen. Mindestens zwei der<br />

Tiere stammen aus der Mérida-Sammlung<br />

von Peter Nagel, die am 15.10.1921 dem<br />

NLMH übergeben wurde (Anonymus o.<br />

J.). Dass auch die weiteren Exemplare von<br />

Nagel stammen, ist gut möglich, aufgrund<br />

der fehlenden Etiketten jedoch unklar und<br />

nicht sicher zu rekonstruieren.<br />

Nach Joachim Hoffmann ist der Fundort<br />

von Polythore ornata (Chanchamayo in<br />

Zentral-Peru) ein „Hotspot“ für diese Gattung<br />

(persönliche Mitteilung) und die Art<br />

von dort bereits bekannt (Hoffmann 2009).<br />

Mecistogaster und Megaloprepus galten bislang,<br />

gemeinsam mit weiteren Gattungen,<br />

als eine eigene Familie innerhalb der<br />

Kleinlibellen, nämlich den Pseudostigmatidae<br />

Tillyard, 1917. Nach einer neuen Klassifikation<br />

von Dijkstra et al. (2013) werden<br />

sie jetzt jedoch bei den Coenagrionidae Kirby,<br />

1890 eingeordnet. Die in der Sammlung<br />

des NLMH vorhandenen Exemplare<br />

sind aus den angegebenen Ländern<br />

bekannt, lediglich bei Mecistogaster amalia<br />

gibt es einen Widerspruch zwischen den<br />

Angaben von Heckmann (2008) – der sie<br />

unter anderem für Paraguay angibt – und<br />

Paulson (2012), der diese Art nur für Brasilien<br />

und Argentinien aufführt. Weiterhin<br />

ist sie zumindest auch aus Peru (Hoffmann<br />

2009), Kolumbien und Bolivien (Hoffmann,<br />

pers. Mitt.) bekannt.<br />

Laut Etikett wurde das Männchen von<br />

Megaloprepus caerulatus von „Staudinger<br />

& Bang-Haas“ gekauft. Vermutlich gilt<br />

dies mindestens auch für das entsprechende<br />

Weibchen sowie die weiteren Arten aus<br />

Kalifornien, denn alle waren mit einer individuellen,<br />

teils fortlaufenden Nummer<br />

etikettiert. Mindestens bis zum Jahr 1916<br />

wurden Insekten über diese Firma bezogen<br />

(Anonymus o. J.).<br />

Zusammenfassend betrachtet ist die<br />

Sammlung der exotischen Libellen des<br />

NLMH zwar klein, enthält jedoch einige<br />

interessante historische Belege und in<br />

Sammlungen nicht häufig zu findende Arten.<br />

Umso bedauerlicher ist das Fehlen einiger<br />

Fundorte, welche sich auch nicht rekonstruieren<br />

ließen.<br />

Danksagung<br />

Herzlich bedanken möchte ich mich bei<br />

Christiane Schilling und Annina Böhme<br />

für die freundliche Betreuung in den Räumen<br />

des NLMH, Sylvain Hodvina für die<br />

Unterstützung bei der Entzifferung historischer<br />

Etiketten, Rosser Garrison und<br />

Joachim Hoffmann für die Hilfe bei speziellen<br />

Bestimmungsfragen sowie letzteren<br />

und Lavinia Schardt für die kritische<br />

Durchsicht des Manuskriptes.<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


38 Malte Seehausen<br />

Literatur<br />

Anonymus (o. J.): Insektenzugänge im Landesmuseum<br />

Hannover von 1902 bis 1950. –<br />

Unveröffentlicht, Niedersächsisches Landesmuseum<br />

Hannover.<br />

Dijkstra, Klaas-Douwe B.; Lewington, Richard<br />

(2006): Field guide to the Dragonflies of<br />

Britain and Europe. – British Wildlife Publishing,<br />

Dorset.<br />

Dijkstra, Klaas-Douwe B.; Matushkina, Nataly<br />

(2009): Kindred spirits: “Brachythemis<br />

leucosticta”, Africa’s most familiar dragonfly,<br />

consists of two species (Odonata: Libellulidae).<br />

– International Journal of Odonatology<br />

12 (2): 237-256.<br />

Dijkstra, Klaas-Douwe B.; Bechly, Günther;<br />

Bybee, Seth M.; Dow, Rory A.; Dumont,<br />

Henri J.; Fleck, Günther; Garrison, Rosser<br />

W.; Hämäläinen, Matti; Kalkman, Vincent<br />

J.; Karube, Haruki; May, Michael L.; Orr,<br />

Albert G.; Paulson, Dennis R.; Rehn, Andrew<br />

C.; Theischinger, Günther; Trueman,<br />

John W. H.; van Tol, Jan; von Ellenrieder,<br />

Natalia; Ware, Jessica (2013): The classification<br />

and diversity of dragonflies and damselflies<br />

(Odonata). – Zootaxa 3703 (1): 36 – 45.<br />

Dow, Rory A. (2009): Chlorogomphus magnificus.<br />

– In: IUCN Red List of Threatened Species,<br />

www.iucnredlist.org/details/163814/0<br />

(20.10.2013).<br />

Fraser, Frederic Charles (1929): A Revision of<br />

the Fissilabioidea (Cordulegasteridae, Petaliidae<br />

and Petaluridae), Part 1: Cordulegasteridae.<br />

– Memoirs of the Indian Museum 9:<br />

69 – 167, Plates IX-XIII.<br />

Fritze, Adolf (1894): Die Fauna der Liu-Kiu<br />

Insel Okinawa. – Zoologische Jahrbücher,<br />

Abteilung Systematik, Geographie und Biologie<br />

der Thiere 7: 852 – 926.<br />

Fritze, Adolf (1904): III. Naturhistorische<br />

Abteilung. – In: Jahrbuch des Provinzial-<br />

Museums zu Hannover umfassend die Zeit<br />

1. April 1901 – 1904: 9 – 12; Hannover.<br />

Garrison, Rosser W. (1990): A Synopsis of the<br />

Genus Hetaerina with descriptions of four<br />

new species (Odonata: Calopterygidae). –<br />

Transactions of the American Entomological<br />

Society 116, 1: 175 – 259.<br />

Gehler, Alexander (1995): Libellenliste<br />

NLMH. – Unveröffentlicht,<br />

Niedersächsisches Landesmuseum Hannover.<br />

Heckmann, Charles W. (2008): Encyclopedia<br />

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370 – 382.<br />

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Nachrichten 17: 65 – 81.<br />

Karsch, Ferdinand (1893): Die Insecten der<br />

Berglandschaft Adeli im Hinterlande von<br />

Togo (Westafrika) nach dem von den Herren<br />

Hauptmann Eugen Kling (1888 und<br />

1889) und Dr. Richard Büttner (1890 und<br />

1891) gesammelten Materiale, 1. Abteilung:<br />

Apterygota, Odonata, Orthoptera Saltatoria,<br />

Lepidoptera Rhopalocera; Berlin.<br />

Karsch, Ferdinand (1898): Odonaten von Misahöhe<br />

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gesammelt von Ernst Baumann. –<br />

Entomologische Nachrichten 24: 342 – 347.<br />

Karsch, Ferdinand (1899a): Odonaten von<br />

Johann-Albrecht-Höhe (Nord-Kamerun),<br />

gesammelt von Herrn Leopold Conradt. –<br />

Entomologische Nachrichten 25: 161 – 176.<br />

Karsch, Ferdinand (1899b): Neue Odonaten<br />

aus Ost- und Süd-Afrika mit Einschluss des<br />

Seengebietes. – Entomologische Nachrichten<br />

25: 369 – 382.<br />

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Lee, Seung-Mo (2001): The dragonflies of Korean<br />

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Lieftinck, Maurits Anne (1934): An annotated<br />

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<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


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39<br />

Makitan, Tabita (2013): New record of Amphiaeschna<br />

ampla (Rambur, 1842) from Java.<br />

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Okudaira, Masaya; Sugimura, Mitsutoshi; Ishida,<br />

Shozu; Kojima, Keizo; Ishida, Katsuyoshi;<br />

Aoki,Takashi (2001): Dragonflies of the<br />

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University Press; Sapporo.<br />

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des Calopterygines. – Bulletin de<br />

l’Académie Royale des Sciences de Belgique<br />

20: 1 – 73.<br />

Selys Longchamps, Edmond de (1883): Les<br />

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Ude, Hermann (1894): Jahresbericht der Naturhistorischen<br />

Gesellschaft zu Hannover für<br />

die Geschäftsjahre 1891/92 und 1892/93,<br />

42 und 43; Hannover.<br />

Ude, Hermann (1900): Jahresbericht der Naturhistorischen<br />

Gesellschaft zu Hannover für<br />

die Geschäftsjahre 1897/98 und 1898/1899,<br />

48 und 49; Hannover.<br />

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Arbeit eingereicht: 15.01.2014<br />

Arbeit angenommen: 25.06.2014<br />

Anschrift des Verfassers:<br />

Malte Seehausen<br />

Museum Wiesbaden, Naturhistorische<br />

Sammlungen, Friedrich-Ebert-Allee 2,<br />

65185 Wiesbaden<br />

malte.seehausen@museum-wiesbaden.de<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


40<br />

Sensationsfund von NGH-Mitglied<br />

<strong>Naturhistorica</strong> 153<br />

• Neufunde von Eiszeit-Geschieben auf dem<br />

Deister-Kamm<br />

• Ontogenetische Stadienbestimmung bei<br />

Mammut-Unterkiefern<br />

• Neubewertung des oberjurassischen irregulären<br />

Seeigels Pygurus (Echinoidea)<br />

• Die Rippe die ein Kiefer ist<br />

• Karl Ludwig Giesecke (1761 – 1833)<br />

• Georg Siegmund Otto Lasius (1752 – 1833)<br />

• 11 000 Jahre Vegetationsentwicklung in der<br />

südlichen Lüneburger Heide<br />

• Phytoparasitische Kleinpilze im Stadtwald<br />

Eilenriede, Hannover<br />

• Pflanzenkunde als Liebhaberei<br />

• Das „Wernigeröder Modell“<br />

200 S., 15 €<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


41<br />

Die Fischfauna der Bäche und Gräben im<br />

Hochwasserrück haltebecken Salzderhelden<br />

(Landkreis Northeim, Niedersachsen)<br />

Jürgen Rommelmann<br />

Die Fischfauna der Bäche und Gräben im<br />

Hochwasserrück haltebecken Salzderhelden<br />

Abstract<br />

The fish fauna present in brooks and ditches<br />

in the area of the flood control basin<br />

Salzderhelden in the District of Northeim,<br />

Lower Saxony, was investigated in August<br />

2004. The nature reserve is of great importance<br />

to the surrounding region as a<br />

breeding/resting/feeding habitat for birds.<br />

The investigation was intended as a guide<br />

for the further ecological development of<br />

aquatic fauna in the region. Twelve species<br />

of fish and one species of crayfish were<br />

found in 14 sampling points. The brooks<br />

and ditches were mostly thinly populated,<br />

in four sampling points no fish stock<br />

could be found. The cause is considered to<br />

be the predominantly unnatural morphological<br />

condition of the waters as well as<br />

the inadequate connection to other waters.<br />

The record of the Nine-spined Stickleback<br />

(Pungitius pungitius) proves that albeit the<br />

species has its focus of distribution in the<br />

lowland, it is selectively a stable occurrence<br />

in the natural area „Leine-Weserbergland“.<br />

Einleitung<br />

Im Rahmen fischfaunistischer Untersuchungen<br />

wurde im August 2004 im<br />

Hochwasserrückhaltebecken Salzderhelden<br />

(Landkreis Northeim, Niedersachsen) eine<br />

Bestandserfassung der Fischfauna durchgeführt.<br />

Dabei wurden ausschließlich kleine<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


42 Jürgen Rommelmann<br />

Fließgewässer und Gräben untersucht, die<br />

das Gebiet durchziehen und zur Leine entwässern.<br />

Aufgrund der besonderen Bedeutung<br />

für den Naturschutz sollte damit eine<br />

Referenz erstellt werden, um die weitere<br />

Entwicklung und Bedeutung des Gebietes<br />

für die Fischfauna zu dokumentieren und<br />

zukünftig bewerten zu können.<br />

Geografische Lage, naturräumliche Beschreibung<br />

Das Hochwasserrückhaltebecken Salzderhelden<br />

(HWRB) liegt in der Leineaue<br />

zwischen den Städten Northeim und Einbeck<br />

im Landkreis Northeim (Niedersachsen).<br />

Es wurde zwischen 1972 und 1994<br />

eingerichtet und umfasst eine Fläche von<br />

ca. 1 000 ha mit einem Einstauvolumen<br />

von bis zu 37,4 Mill. m 3 . Das Gebiet ist<br />

in 5 Polderflächen unterteilt, die je nach<br />

Wasseraufkommen geflutet werden, wobei<br />

der südliche Polder 5 nur in Extremfällen<br />

überschwemmt wird. Das HWRB wird mit<br />

2 200 km 2 von gut ⅓ des gesamten Niederschlagseinzugsgebiets<br />

der Leine zwischen<br />

Quelle und Mündung (6 500 km 2 )1<br />

gespeist.<br />

Mit der Verordnung vom 25.08.1995<br />

wurde der Polder 1 (523 ha im nördlichen<br />

Teil des HWRB) als Naturschutzgebiet<br />

(NSG) ausgewiesen (Amtsblatt des<br />

Reg.-Bez. Braunschweig Nr. 19, S. 171,<br />

Nr. 20/2000 vom 30.10.2000, S. 259). Es<br />

gehört zum größten zusammenhängenden<br />

Wiesen- und Feuchtwiesengebiet im südlichen<br />

Niedersachsen. Südlich grenzen die<br />

Naturschutzgebiete „Leineniederung Salzderhelden“<br />

(497 ha) und „Northeimer Seenplatte<br />

(80 ha) an und stellen zusammen<br />

ein Gebiet von hervorragender Bedeutung<br />

als Brut-, Rast- und Nahrungsbiotop für<br />

seltene und vom Aussterben bedrohte Vogelarten<br />

dar.<br />

Naturräumlich gehört das HWRB zur<br />

Haupteinheit Leine-Ilme-Senke, das sich<br />

aus dem Leinegraben zwischen Eichenberg<br />

und Northeim und der nordwestlich<br />

anschließenden Ilme-Senke zusammensetzt<br />

(Meynen & Schmitthüsen 1962).<br />

In der Zuordnung zu Fischregionen<br />

gehört die Leine im HWRB zur Hasel-<br />

Rhitralregion des Tieflands, während die<br />

Nebengewässer überwiegend zur Forellenregion<br />

gerechnet werden (Mosch 2008).<br />

Methodik<br />

Die Untersuchung wurde im August<br />

2004 nur in ganzjährig Wasser führenden<br />

Fließgewässern und Gräben durchgeführt,<br />

die aufgrund ihrer Größe (max.<br />

3 m breit) mit einem batteriebetriebenen<br />

Elektrofischfanggerät effektiv befischt<br />

werden konnten. Im August 2004 wurden<br />

insgesamt 14 Gewässerstrecken mit<br />

einer Gesamtlänge von 1 125 m befischt<br />

(Abb. 1, Tab. 1). Der Salzgraben bei Sülbeck<br />

konnte wegen des hohen Salzgehalts<br />

nicht elektrisch befischt werden. Drei Probestrecken<br />

(PS 11, 13, 14) liegen außerhalb<br />

des HWRB, wurden eber aufgrund ihrer<br />

funktionalen Zugehörigkeit (Oberlauf der<br />

Bölle) oder Nähe zum HWRB bzw. NSG<br />

einbezogen.<br />

Die Befischungen wurden mit einem<br />

batteriebetriebenen Elektrofischfanggerät<br />

der Marke DEKA 3000 Lord (Hersteller:<br />

DEKA-Gerätebau, Impulsstrom)<br />

durchgeführt. Die durch den Fangstrom<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Die Fischfauna der Bäche und Gräben im Hochwasserrück haltebecken Salzderhelden<br />

43<br />

Abb. 1: Lage des Hochwasserrückhaltebeckens<br />

Salzderhelden mit Probestrecken innerhalb des<br />

Untersuchungsgebietes.<br />

PS 1 – 14 = Probestrecken der Elektrobefischung<br />

(Beschreibung vgl. Tabelle 1)<br />

Kartenquellen: Übersichtskarten: stepmap.de;<br />

Karte mit Abgrenzung des HWRB/NSG:<br />

www.umweltkarten.niedersachsen.de/Gebiete<br />

(Januar 2014); Detailkarten: Topografische Karte<br />

1 : 50000 (Landesvermessung Niedersachsen)<br />

Nördlicher Teil des Untersuchungsgebiets<br />

Südlicher Teil des Untersuchungsgebiets<br />

Abb. 2: Probestrecke 4. Immenser Bach mit<br />

geringer Wasserführung im zeitigen Frühjahr<br />

Abb. 3: Probestrecke 5. Zulaufgraben zum Salzgraben<br />

bei Sülbeck mit Deichunterführung im<br />

Hintergrund.<br />

betäubten bzw. darauf reagierenden Fische<br />

wurden nach Artzugehörigkeit erfasst<br />

und entsprechend den Größenkategorien<br />

der Erfassungsbögen des Landesamtes<br />

für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit<br />

(LAVES), Dezernat Binnenfischerei,<br />

zugeordnet, protokolliert und anschließend<br />

in das Gewässer zurückgesetzt.<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


44 Jürgen Rommelmann<br />

Tab. 1 Charakterisierung und morphologische Beschreibung der Befischungsstrecken.<br />

Erläuterungen: Charakterisierungsmerkmale in Anlehnung an die Kriterien der Erfassungsbögen für Fischkartierungen<br />

des Niedersächsischen Landesamtes für Ökologie, Dezernat Binnenfischerei (Gewässertyp, Naturnähe, Abfluss),<br />

PS = Probestrecke; Einordnung des Gewässertyps nach Rasper (2001).<br />

Name Gewässertyp Naturnähe<br />

Befischungsstrecke<br />

in m Breite in m Tiefe in cm<br />

Immenser Bach PS 1 Bach naturfern † 100 5 100 – 150<br />

Immenser Bach PS 2 Bach naturfern 50 4 100 – 150<br />

Seitengraben am Immenser<br />

Bach PS 3<br />

Wiesengraben naturfern 75 0,5 – 1 20 – 30<br />

Immenser Bach PS 4 Bach bedingt naturnah 100 1 10 – 20<br />

Zulaufgraben zum<br />

Salzgraben PS 5<br />

Graben am östl. Ortsrand<br />

von Drüber PS 6<br />

Drüberscher Bach zw.<br />

Deich / Drüber PS 7<br />

Drüberscher Bach zw.<br />

Deich / Mündung PS 8<br />

Stöckheimer Bach unterhalb<br />

Kaskade PS 9<br />

Stöckheimer Bach zwischen<br />

Deich und Mündung PS 10<br />

Bölle oberhalb von<br />

Hollenstedt PS 11<br />

Wiesengraben naturfern 75 1,5 30 – 40<br />

Wiesengraben naturfern 25 1,5 60 – 80<br />

Bach naturfern 100 2,5 20 – 30<br />

Bach naturfern 100 1 20 – 30<br />

Bach naturfern 100 1,5 20 – 30<br />

Bach bedingt naturnah 100 1,5 20 – 30<br />

Bach naturnah 100 2,5 – 3 20 – 30<br />

Bölle zwischen Deich und<br />

Mündung PS 12<br />

Bach naturfern 100 2 – 2,5 30 – 50<br />

Zulaufbach zum Mühlenkanal<br />

PS 13<br />

Altarm zwischen Leine und<br />

Rhume PS 14<br />

Bach naturfern 60 2 50 – 60<br />

Bach bedingt naturnah 40 2,5 – 3 30 – 40<br />

†<br />

Kriterien für die Bewertung der Naturnähe entsprechend den Vorgaben zu den Protokollbögen<br />

des Niedersächsischen Landesamtes für Ökologie: 1 = natürlich; 2 = naturnah, 3 = bedingt naturnah,<br />

4 = naturfern, 5 = sehr naturfern, 6 = extrem naturfern.<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Die Fischfauna der Bäche und Gräben im Hochwasserrück haltebecken Salzderhelden<br />

45<br />

Strömung<br />

sehr langsam bis stehend<br />

sehr langsam bis stehend<br />

stehend<br />

mittel bis gering<br />

mittel<br />

Bemerkungen<br />

Starke Beschattung durch dichtes Uferweidengebüsch; schlammiges Substrat<br />

Keine Ufergehölze, sehr starker Braunalgenbewuchs des schlammigen Substrats<br />

Keine Ufergehölze, Röhrichtbewuchs des Vorjahres füllt gesamtes Gewässerbett<br />

aus, schlammiges Substrat<br />

Stellenweise Beschattung durch Ufergehölze, starker Braunalgenbewuchs des<br />

kiesigen bis schlammigen Substrats<br />

Keine Ufergehölze, schlammiges Substrat<br />

stehend<br />

mittel<br />

Röhrichtbewuchs des Vorjahres füllt gesamtes Gewässerbett aus, dichte Algenbestände<br />

auf der Wasseroberfläche<br />

Keine Ufergehölze, schlammiges Substrat<br />

mittel<br />

mittel<br />

mittel<br />

mittel bis langsam<br />

mittel<br />

schnell<br />

langsam<br />

Trotz vereinzelter Ufergehölze überwiegt das Bild eines technisch ausgebauten<br />

tiefliegenden Profils mit wenig naturnahen Strukturen, Substrat steinig bis sandig<br />

Befischungsstrecke direkt unterhalb einer Betonkaskade, keine Ufergehölze,<br />

schlammiges Substrat mit fast flächendeckendem Braunalgenüberzug<br />

Stellenweise Ufergehölze, Weiden reichen bis zur Niedrigwasserlinie und bilden<br />

Wurzelvorhänge mit Unterstandsmöglichkeiten, Substrat steinig bis sandig<br />

Charakteristika eines Kerbtales, dichter Altbaumbestand überwiegend an beiden<br />

Ufern, viele natürliche Strukturen (Unterstände, Kolke) und kleinräumig wechselnde<br />

Substrate (steinig bis sandig)<br />

Obere Hälfte der Befischungsstrecke frisch geräumt ohne Unterstandsmöglichkeiten,<br />

keine Ufergehölze; nicht geräumter Abschnitt einzelne Ufergehölze und dichtes<br />

Röhricht, Gewässergrund mit Feinsediment- und Faulschlammauflage<br />

Ufer ohne Gehölze mit dichten Phalaris-Beständen, Gewässergrund stellenweise<br />

dicht mit fädigen Grünalgen bewachsen<br />

Einseitig dichter Gebüschsaum, der stellenweise in den Wasserkörper reicht,<br />

Bodengrund tiefgründig schlammig, sowohl anorganischer als auch organischer<br />

Schlamm; Befischung wegen Nichtbegehbarkeit abgebrochen.<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


46 Jürgen Rommelmann<br />

Ergebnisse<br />

Artenspektrum und Gefährdung<br />

Insgesamt wurden 12 Fischarten und<br />

eine Krebsart nachgewiesen (Tab. 2). Davon<br />

gelten zwei Arten in Niedersachsen<br />

als stark gefährdet (Aal und Elritze), drei<br />

als gefährdet (Bachforelle, Groppe, Hecht)<br />

und die übrigen Arten als potenziell gefährdet<br />

(Bachschmerle, Schleie) bzw. nicht<br />

gefährdet. Der Kamberkrebs stammt ursprünglich<br />

aus Nordamerika und wurde<br />

Ende des 19. Jahrhunderts in Europa eingeführt,<br />

er hat sich inzwischen flächendeckend<br />

ausgebreitet hat.<br />

Die Groppe wird in Anhang II der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie<br />

(FFH-RL)<br />

geführt. Sie gehört damit zu den Arten<br />

von gemeinschaftlichem Interesse, für deren<br />

Erhaltung besondere Schutzgebiete<br />

ausgewiesen werden müssen. Konkrete<br />

artspezifische Schutzmaßnahmen sind<br />

die Erhaltung bzw. Wiederherstellung<br />

Abb. 4: Probestrecke 6. Graben am östlichen<br />

Ortsrand von Drüber mit geschlossener Wasserlinsendecke.<br />

Abb. 6: Probestrecke 8. Drüberscher Bach<br />

zwischen Deich und Mündung in die Leine<br />

Abb. 5: Probestrecke 7. Drüberscher Bach als<br />

Lebensraum des Neunstachligen Stichlings.<br />

Abb. 7: Probestrecke 9. Stöckheimer Bach mit<br />

Kaskade und oberhalb komplett befestigtem Uferbett<br />

am östlichen Ortsrand von Stöckheim.<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Die Fischfauna der Bäche und Gräben im Hochwasserrück haltebecken Salzderhelden<br />

47<br />

der Durchgängigkeit und Naturnähe der<br />

Wohngewässer sowie der Gewässergüteklasse<br />

von nicht schlechter als II2. Weitere<br />

detaillierte Angaben zum Schutz der Art<br />

finden sich in den Vollzugshinweisen zum<br />

Schutz von Fischarten in Niedersachen<br />

(Laves 2011).<br />

Vorkommen in den Probestrecken<br />

Bis auf wenige Ausnahmen waren<br />

die meisten Probestrecken eher dünn<br />

oder gar nicht besiedelt (Tab. 3). In vier<br />

Abb. 10: Probestrecke 12. Untere Probestelle der<br />

Bölle vor der Mündung in die Geschiebesperre.<br />

Abb. 8: Probestrecke 10. Untere Probestelle am<br />

Stöckheimer Bach zwischen Deich und Mündung<br />

in die Leine.<br />

Abb. 11: Probestrecke 13. Zulaufbach zum<br />

Mühlenkanal am westlichen Rand des Naturschutzgebietes<br />

„Wasservogelreservat Northeimer<br />

Seenplatte“<br />

Abb. 9: Probestrecke 11. Naturnahes Bachbett<br />

an der oberen Probestelle der Bölle oberhalb von<br />

Hollenstedt.<br />

Abb. 12: Probestrecke 14. Alt-/Seitenarm der<br />

Leine südlich von Hollenstedt.<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


48 Jürgen Rommelmann<br />

Probestrecken 1, 3, 4 (Abb. 2), 6 (Abb. 4)<br />

wurden keine Fische festgestellt obwohl<br />

hier aufgrund der Gewässergröße durchaus<br />

Vorkommen zu erwarten gewesen wären.<br />

In den übrigen Probestrecken entsprach<br />

das Artenspektrum nur teilweise dem<br />

von Bächen der Forellenregion. Gleichzeitig<br />

kamen aber auch Arten vor, die untypisch<br />

für kleine Bäche sind. So traten<br />

z. B. im Oberlauf der Bölle (PS 11, Abb. 9)<br />

neben den Bachforellen und Groppen auch<br />

große Aale in einer für die Gewässergröße<br />

hohen Nachweisdichte auf. Ausgesprochen<br />

euryöke (weit verbreitete) Spezies wie<br />

der Dreistachlige Stichling waren zwar<br />

punktuell häufig, wie z. B. im naturfernen<br />

Stöckheimer Bach unterhalb der Kaskade<br />

(PS 9, Abb. 7), kamen aber sonst eher vereinzelt<br />

oder maximal in niedrigen Nachweisdichten<br />

vor.<br />

Tab. 2 Fischartenspektrum (einschließlich Krebse)<br />

Erläuterungen: Rote Liste Deutschland (RL-D nach Freyhof 2009) 0-3 wie RL-NI; V = Vorwarnliste;<br />

* = ungefährdet; ♦ = nicht bewertet; Rote Liste Niedersachsen (RL-NI nach Laves 2008); 0 = ausgestorben<br />

oder verschollen; 1 = vom Aussterben bedroht; 2 = stark gefährdet; 3 = gefährdet; 4 = potenziell gefährdet,<br />

5 = nicht gefährdet, n.b. = nicht bewertet; F = Fremdfischart; FFH-Anhänge: Listung einer Art in den<br />

Anhängen II, IV, V der FFH-Richtlinie<br />

Gefährdung und FFH-Status<br />

Fischart Familie RL-D RL- NI FFH-Anhänge<br />

Aal Anguilla anguilla Anguillidae ♦ 2<br />

Bachforelle Salmo trutta (fario) † Salmonidae * 3<br />

Bachschmerle Barbatula barbatula Cobitidae * 4<br />

Elritze Phoxinus phoxinus Cyprinidae * 2<br />

Flußbarsch Perca fluviatilis Percidae * 5<br />

Dreist. Stichling Gasterosteus aculeatus Gasterosteidae * 5<br />

Groppe Cottus gobio Cottidae * 3 II<br />

Gründling Gobio gobio Cyprinidae * 5<br />

Hasel Leuciscus leuciscus Cyprinidae * 5<br />

Hecht Esox lucius Esocidae * 3<br />

Neunst. Stichling Pungitius pungitius Gasterosteidae * 5<br />

Schleie Tinca tinca Cyprinidae * 4<br />

Kamberkrebs Orconectes limosus Astacidae F<br />

12 Fischarten (eine Krebsart)<br />

†<br />

Freyhof (2009) verwendet die Bezeichnung forma fario nicht, da Bach-, Meer-, Seeforelle nach seiner<br />

Auffassung ökologische Formen und keine Arten/Unterarten darstellen (Zusammenfassung unter Salmo<br />

trutta). Hier wird die noch geläufige Bezeichnung f. fario (z. B. in der Roten Liste gefährdeter Fische in<br />

Niedersachsen, Laves 2008) verwendet und in Klammern gesetzt.<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Die Fischfauna der Bäche und Gräben im Hochwasserrück haltebecken Salzderhelden<br />

49<br />

Abb. 13 Elritzen, hier ein Männchen im Brutkleid,<br />

kamen in größerer Zahl an den unteren Probestellen<br />

der Bölle und des Stöckheimer Baches<br />

vor. Jungfische nutzen die Seitengewässer als<br />

Lebensraum.<br />

Abb. 14 Die unerwartet geringe Zahl von Groppen<br />

im Oberlauf der naturnahen Bölle (PS 11) kann<br />

durch den erhöhten Frassdruck zahreicher Aale<br />

verursacht worden sein.<br />

Abb. 15 Der Hasel als namensgebende Art der<br />

Fischregion der Leine im Bereich des Hochwasserrückhaltebeckens<br />

nutzt die Nebengewässer wenig<br />

und wurde nur vereinzelt im Unterlauf der Bölle<br />

und des Stöckheimer Baches (PS 10, 12) gefangen.<br />

Abb. 16 Schleien wurden nur als Einzeltiere u.a.<br />

im Zulaufbach des Mühlenkanals (PS 14) gefangen.<br />

Elritzen (Abb. 13) traten im Stöckheimer<br />

Bach, der Bölle und im Drüberschen<br />

Bach (PS 8, Abb. 6; PS 10, Abb. 8; PS 12,<br />

Abb. 6) auf, erreichten aber nur in den<br />

nahe der Leine liegenden Probestrecken<br />

(PS 10, 12) höhere Nachweisdichten. Da<br />

es sich überwiegend um Jungfische handelte,<br />

ist davon auszugehen, dass diese aus der<br />

Leine stammten und die Nebengewässer<br />

temporär nutzen.<br />

Groppen (Abb. 14) kamen jeweils in beiden<br />

Probestrecken des Stöckheimer Baches<br />

und der Bölle (PS 9 – 12, Abb. 6 – 9)<br />

in niedrigen Nachweisdichten vor, davon<br />

in den naturfernen Probestellen 9 und 12<br />

nur als Einzelnachweise.<br />

Aale wurden in den PS 10 – 14 (Abb.<br />

10 – 12) nachgewiesen und erreichten nur<br />

in den beiden Probestrecken der Bölle (PS<br />

11, 12) relativ höhere Nachweisdichten.<br />

Hasel (Abb. 15), Hecht und Schleie<br />

(Abb. 16)konnten an den jeweiligen Fundorten<br />

(PS 1; 8, Abb. 6; 10, Abb. 8; 12, Abb.<br />

10; 13, Abb. 11) nur als Einzeltiere nachgewiesen<br />

werden.<br />

Der Neunstachlige Stichling wurde mit<br />

drei Individuen nur an der oberen Probestelle<br />

des Drüberschen Baches (PS 7, Abb.<br />

5) gefangen.<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


50 Jürgen Rommelmann<br />

Tab. 3 Fangergebnisse der Elektrobefischung in den einzelnen Probestrecken 1 – 14.<br />

Erläuterungen: Die Größenklassifizierung erfolgt in Anlehnung an die Vorgaben in den Erfassungsbögen des LAVES, Dezernat Binnenfischerei;<br />

Angabe der Individuenzahl der registrierten Fische in den jeweiligen Spalten. Brut (j/n) = ja/nein.<br />

Brut Größenklassen [cm]<br />

Probestrecke Art (j/n) 3 –


Die Fischfauna der Bäche und Gräben im Hochwasserrück haltebecken Salzderhelden<br />

51<br />

11 Bölle oberhalb von<br />

Hollenstedt<br />

12 Bölle zwischen<br />

Deich und Mündung<br />

13 Zulaufbach zum<br />

Mühlenkanal<br />

14 Altarm zwischen<br />

Leine und Rhume<br />

Groppe n 8 8<br />

Hasel n 1 1<br />

3-st. Stichling n 15 15<br />

Aal 3 5 8<br />

Bachforelle n 14 14<br />

Groppe n 4 4<br />

38<br />

3-st. Stichling n 12 12<br />

Aal 3 4 7<br />

Bachforelle n 1 1<br />

Elritze j 35 35<br />

53<br />

Groppe n 1 1<br />

Gründling n 3 3<br />

Hasel n 1 1<br />

Hecht n 1 1<br />

Aal 1 2 3<br />

Flussbarsch n 6 4 10<br />

Schleie n 1 1 2<br />

15<br />

Kamberkrebs 1 1<br />

Aal 2 2 3<br />

10 Bachforellen mit 12 cm Länge<br />

Befischungsstrecke zu je 50 % frisch geräumt<br />

und nicht geräumt. Im geräumten Abschnitt<br />

drei Aale sowie mehrere Schwärme kleiner Elritzen<br />

(nicht mitgezählt)<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


52 Jürgen Rommelmann<br />

Diskussion<br />

Der überwiegend naturferne morphologische<br />

Zustand der Untersuchungsgewässer<br />

und die z. T. geringe Wasserführung<br />

oder mangelhafte Durchgängigkeit zwischen<br />

den Gewässern boten den Fischen<br />

keinen oder nur bedingt geeigneten, artgerechten<br />

Lebensraum. Eine Ausnahme<br />

bildete die Bölle oberhalb von Hollenstedt,<br />

die in einem überwiegend naturnahen Zustand<br />

war und einen guten Bachforellenbestand<br />

aufwies. Ungewöhnlich war die vergleichsweise<br />

niedrige Nachweisdichte von<br />

Groppen in diesem Bereich. Möglicherweise<br />

bestand durch die zahlreichen Aale<br />

ein erhöhter Fraßdruck auf die bodenbewohnende<br />

Kleinfischart, die in dem kleinen<br />

Bach wenig Ausweich- und Fluchtmöglichkeiten<br />

hatte.<br />

Die von Bahlo (1988) vor 26 Jahren<br />

durchgeführte Untersuchung zur Fischfauna<br />

kleiner Fließgewässer im Landkreis<br />

Northeim ist eine wichtige Referenz zur<br />

Einordnung und zum Vergleich der vorliegenden<br />

Funde. Er untersuchte von den<br />

hier erfassten Gewässern ebenfalls die Bölle<br />

sowie den Stöckheimer Bach (von ihm<br />

als Raute bezeichnet). Dabei stellte er in<br />

der Bölle Bachneunaugen, Bachforellen,<br />

Groppen, Rotaugen, Döbel und Aale fest.<br />

Für den Stöckheimer Bach wurden keine<br />

Artvorkommen angegeben. Im Vergleich<br />

mit den Ergebnissen dieser Untersuchung<br />

wurden in der Bölle demnach keine<br />

Bachneunaugen mehr nachgewiesen. Der<br />

Stöckheimer Bach ist dagegen artenreicher<br />

geworden, wobei zu berücksichtigen ist,<br />

dass die Artenvielfalt bachaufwärts deutlich<br />

abnahm und nur in der mündungsnahen<br />

Probestrecke durch die Nähe zur Leine<br />

deutlich mehr Arten vorkamen als in<br />

der naturfernen Strecke am Ortsrand von<br />

Stöckheim.<br />

Der Neunstachlige Stichling hat in Niedersachsen<br />

seinen Verbreitungsschwerpunkt<br />

im Tiefland. Aus dem Weser-Leinebergland<br />

liegen nach den älteren Angaben<br />

von Gaumert (1986) wenige Nachweise<br />

aus der Leine und Rhume mit Nebengewässern<br />

vor. Im Fischartenatlas für<br />

Deutschland und Österreich3 sind aktuell<br />

für die Landkreise Göttingen und Northeim<br />

sechs Nachweise mit dem Status<br />

„unscharfe Daten“ aufgeführt. Darunter<br />

sind Fundorte in der Sieber bei Hattorf,<br />

in einem Seitenbach der Leine nordwestlich<br />

von Nörten-Hardenberg sowie in der<br />

Leine im Stadtgebiet Göttingen. Ein weiterer<br />

Fundort liegt westlich von Stöckheim<br />

in einem Zufluß zum Stöckheimer Bach,<br />

ebenfalls mit dem Status „unscharfe“ Daten.<br />

Alle genannten Fundorte machen deutlich,<br />

dass die Leine (und Nebengewässer<br />

wie die Rhume bzw. Oder) wichtige Ausbreitungsgewässer<br />

für den Neunstachligen<br />

Stichling im südniedersächsischen Raum<br />

sind. Dies zeigen auch weitere Nachweise,<br />

die der Autor in Nebengewässern der Leine<br />

(Weende, Grone) im Raum Göttingen<br />

fand.<br />

Zusammenfassung<br />

Im August 2004 wurde die Fischfauna<br />

der Bäche und Gräben im Hochwasserrückhaltebecken<br />

Salzderhelden im<br />

Landkreis Northeim (Niedersachsen)<br />

untersucht. Das Naturschutzgebiet im<br />

Rückhaltebecken hat eine überregionale<br />

Bedeutung vor allem als Brut-, Rastund<br />

Nahrungsbiotop für Vögel. Die<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Die Fischfauna der Bäche und Gräben im Hochwasserrück haltebecken Salzderhelden<br />

53<br />

Untersuchung soll eine Referenz für die<br />

weitere ökologische Entwicklung des Gebiets<br />

in Bezug auf die Fischfauna darstellen.<br />

In 14 Probestrecken wurden 12 Fisch- und<br />

eine Krebsart nachgewiesen. Davon gelten<br />

zwei Arten in Niedersachsen als stark gefährdet<br />

(Aal, Elritze) und drei Arten als<br />

gefährdet (Bachforelle, Groppe, Hecht).<br />

Die Groppe wird als Anhang-II-Art der<br />

FFH-Richtlinie mit besonderem Schutzstatus<br />

geführt. Die Probestrecken waren<br />

überwiegend dünn besiedelt oder wiesen<br />

in vier Probestrecken keine Fischfauna auf.<br />

Als Ursachen werden der vorwiegend naturferne<br />

morphologische Zustand, eine<br />

z. T. unzureichende Wasserführung oder<br />

mangelhafte Durchgängigkeit der Gewässer<br />

angenommen. Lediglich die Bölle ist<br />

oberhalb von Hollenstedt strukturell naturnah<br />

und weist einen guten Bachforellenbestand<br />

auf. Im Vergleich zu einer vor<br />

26 Jahren durchgeführten Untersuchung<br />

ergaben sich Übereinstimmungen sowie<br />

deutliche Abweichungen der Fischpopulationen<br />

in den untersuchten Gewässern.<br />

Die Nachweise des im Leine-Weserbergland<br />

wenig verbreiteten Neunstachligen<br />

Stichlings im Drüberschen Bach zeigt zusammen<br />

mit dem aus dem Fischartenatlas<br />

bekannten Vorkommen eine punktuelle<br />

Verbreitung in den Landkreisen Göttingen<br />

und Northeim.<br />

Literatur<br />

Bahlo, Klaus (1988): Die Fischfauna kleiner<br />

Fließgewässer im Landkreis Northeim (Südniedersachsen)<br />

mit Anmerkungen zu ihrer<br />

Gefährdung.- Braunschweiger Naturkundliche<br />

Schriften 3, 1: 121 – 135.<br />

Freyhof, Jörg (2009): Rote Liste der im Süßwasser<br />

reproduzierenden Neunaugen und<br />

Fische (Cyclostomata & Pisces). – Naturschutz<br />

und Biologische Vielfalt 70 (1):<br />

291 – 316. – Cornol, Berlin.<br />

Gaumert, Detlev (1986): Kleinfische in Niedersachsen<br />

– Hinweise zum Artenschutz.<br />

Mitteilungen aus dem Niedersächsischen<br />

Landesamt für Wasserwirtschaft, Heft 4. –<br />

Hildesheim.<br />

Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit<br />

(Laves, Hrsg., 2008):<br />

Vorläufige Rote Liste der Fische, Neunaugen<br />

und Krebse in Niedersachsen (Stand 2008).<br />

Unveröffentlichte Liste des LAVES, Dezernat<br />

für Binnenfischerei: 1 S. – Hannover.<br />

Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit<br />

(Laves, Hrsg., 2011): Vollzugshinweise<br />

zum Schutz von Fischarten in<br />

Niedersachsen. – Fischarten des Anhangs II<br />

der FFH-Richtlinie und weitere Fischarten<br />

mit Priorität für Erhaltungs- und Entwicklungsmaßnahmen<br />

– Koppe, Groppe oder<br />

Mühlkoppe (Cottus gobio). – Niedersächsische<br />

Strategie zum Arten- und Biotopschutz:<br />

13 S., unveröffentlicht. – Hannover.<br />

Meynen, Emil; Schmitthüsen, Josef (1962):<br />

Handbuch der naturräumlichen Gliederung<br />

Deutschlands, Bd. II. Bundesanstalt für Landeskunde<br />

und Raumforschung. – Bonn.<br />

Mosch, Eva Christine (2008): Fischfaunistische<br />

Referenzerstellung und Bewertung der<br />

niedersächsischen Fließgewässer vor dem<br />

Hintergrund der EG-Wasserrahmenrichtlinie.<br />

Zwischenbericht des LAVES: S. 1 – 47.<br />

– Hannover.<br />

Rasper, Manfred (2001): Morphologische<br />

Fließgewässertypen in Niedersachsen –<br />

Leitbilder und Referenzgewässer. Hrsg.:<br />

Niedersächsisches Landesamt für Ökologie.<br />

– Hildesheim.<br />

Endnoten<br />

1 www.nlwkn.niedersachsen.de/portal/<br />

live.php?navigation_id=8412&article_<br />

id=41451&_psmand=26 ( Januar 2014)<br />

2 Vgl. Steckbrief FFH-Art Groppe:<br />

www.ffh-gebiete.de/arten-steckbriefe/fische/<br />

details.php?dieart=1163 ( Januar 2014)<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


54<br />

3 www.fischfauna-online.de/cms2.0/index.php<br />

?option=com_biodiversity&task=show&cid=<br />

40116&Itemid=75 (Stand: Mai 2014)<br />

Arbeit eingereicht: 10.04.2014<br />

Arbeit angenommen: 25.06.2014<br />

Anschrift des Verfassers:<br />

Jürgen Rommelmann<br />

c/o LIMNA Wasser & Landschaft<br />

Rosdorfer Weg 14<br />

37073 Göttingen<br />

E-Mail: info@limna.de<br />

Geheimnisvoll und rätselhaft<br />

<strong>Naturhistorica</strong> 152<br />

• Die rätselhaften Grottenkrebse der Blue<br />

Holes: Sind sie vielleicht doch eher Insekten?<br />

Erste Forschungsergebnisse liegen vor.<br />

• Die Ilex-Minierfliege in Hannover<br />

• Vegetation eines Hainbuchen-Niederwaldes<br />

bei Wittenburg<br />

• Insekten aus dem Ober-Jura in Norddeutschland<br />

• Wolf, Luchs & Co. – Ein Bestimmungsschlüssel<br />

anhand der Halswirbel<br />

• Vom Jurameer bis zur heutigen Nordsee<br />

• Das Meereskrokodil Steneosaurus aus dem<br />

Oberen Jura Hannovers<br />

198 S., bisheriger Preis 12 €, jetzt nur 9 €.<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


55<br />

Flora und Florenwandel im Stadtgebiet<br />

Hildesheim<br />

Werner Müller<br />

Zusammenfassung<br />

Ziel der vorliegenden Untersuchung ist<br />

es, die Arbeit an der Erfassung sämtlicher<br />

wildwachsender Gefäßpflanzen der<br />

Stadt Hildesheim in den Jahren 1993 bis<br />

1998 vorzustellen (Phase 1), die weitere<br />

Entwicklung der Flora in den Folgejahren<br />

zwischen 2002 und 2007 (Phase 2) sowie<br />

zwischen 2010 und 2012 (Phase 3) zu<br />

verfolgen und mit den ersten Ergebnissen<br />

(Phase 1) zu vergleichen. Die insgesamt<br />

hohe Anzahl von zunächst 960 nachgewiesenen<br />

Arten konzentriert sich ebenso auf<br />

die Industrie- und Siedlungszentren der<br />

Innenstadt wie auch auf die naturnahen<br />

Flächen an der Peripherie des Stadtgebietes.<br />

Die nachfolgenden Untersuchungen<br />

der Phasen 2 und 3 belegen eine überraschende<br />

Dynamik im Kommen und Gehen<br />

der Arten, von denen weitere 93 für<br />

die Stadt Hildesheim nachgewiesen werden<br />

konnten. Auch erfuhren eine Reihe<br />

ursprünglich seltener Vertreter innerhalb<br />

weniger Jahre eine außerordentlich rasche<br />

Ausbreitung. So bot es sich an, der Frage<br />

nach den Ursachen dieses Florenwandels<br />

nachzugehen und hierbei die Faktoren Klima<br />

und Boden näher zu beleuchten.<br />

Abstract<br />

The intention behind the presented study<br />

is to show the work and recording of<br />

all the vascular plants growing wild within<br />

the town of Hildesheim during the years<br />

1993 – 1998 (phase 1), to pursue the further<br />

development of the flora in the following<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


56 Werner Müller<br />

years between 2002 and 2007 (phase 2), as<br />

well as between 2010 and 2012 (phase 3)<br />

and to compare these with the first results<br />

(phase 1). The high number of initially 960<br />

recorded species come from the industrial<br />

and residential areas of the town centre as<br />

well as from peripheral areas of the town<br />

with natural growth. The following studies<br />

of phase 2 – 3 show a surprising activity<br />

in the coming and going of species from<br />

which a further 93 can be registered for the<br />

town of Hildesheim. A number of previously<br />

rare examples have shown an exceptionally<br />

rapid increase within just a few years.<br />

So one must question the cause of this<br />

floral behaviour and examine more closely<br />

the factors Climate and Soil.<br />

Zur Topographie<br />

Das Stadtgebiet Hildesheim mit seinen<br />

ca. 100 000 Einwohnern liegt im Grenzbereich<br />

zwischen dem südniedersächsischen<br />

Berg- und Hügelland und der Börde, die<br />

zur norddeutschen Tiefebene überleitet.<br />

Seine höchste Erhebung hat das 92 km²<br />

große Areal mit 281 m üNN am Aussichtsturm<br />

des Sonnenberges. Von hier fällt die<br />

Fläche bis auf 70 m üNN am Flussbett der<br />

Innerste ab, die in einer Länge von knapp<br />

13 km die Stadt in Nord-Süd-Richtung<br />

durchquert. Neben weiteren Wasserläufen<br />

wie Trillkebach und Beuster, Kupferstrang<br />

und Beeke ist das Siedlungsgebiet von einem<br />

Netz aus Park- und Wallanlagen,<br />

Friedhöfen und eingeschlossenen Gehölzen<br />

sowie Grünzonen durchzogen, die ca.<br />

27 % der Stadtfläche einnehmen. Hier liegen<br />

sechs Naturschutzgebiete mit einer<br />

Ausdehnung von 384,5 ha und an der Peripherie<br />

13 unter Landschaftsschutz gestellte<br />

Waldflächen von insgesamt 1330 ha.<br />

Betrachten wir die Nutzungsanteile des<br />

Siedlungsraumes innerhalb der Stadtgrenze,<br />

so fällt zunächst mit 3347 ha (= 36,3<br />

%) die Landwirtschaft ins Auge (Abb. 1).<br />

Eine Ursache liegt in den Gebietsreformen<br />

von 1965 und vor allem 1975, die das<br />

Stadtgebiet um fast das Vierfache seiner<br />

Ausdehnung wachsen ließen. Der Zugewinn<br />

betraf nicht zuletzt die Ackerflächen<br />

der Börde, während Wiesen und Weiden<br />

weitgehend auf die Uferbereiche der durch<br />

Schwermetalle belasteten Innerste beschränkt<br />

bleiben. An Umfang übertrifft die<br />

von der Landwirtschaft genutzte Fläche<br />

die Summe von Verkehrs- und Siedlungsanteilen<br />

(952 ha und 2002 ha).<br />

Hervorzuheben bleibt als Grünland der<br />

ehemalige Standortübungsplatz im Norden<br />

der Stadt, der mit seiner Ausdehnung<br />

von 276 ha durch die Fauna-Flora-Habitatrichtlinie<br />

einen besonderen Schutz erhielt,<br />

da er einer Vielfalt gefährdeter Tiere<br />

(z. B. dem Urzeitkrebs Triops cancriformis)<br />

und Pflanzen (u. a. Orchideen) geeignete<br />

Lebensräume bietet.<br />

Schließlich darf der hohe Waldanteil<br />

Hildesheims mit einer Ausdehnung von<br />

1872 ha (= 20,3 % des Gesamtareals) nicht<br />

unerwähnt bleiben. Er verweist auf die<br />

besondere Lage der Stadt am Rande des<br />

Mittelgebirges und markiert die Höhenzüge.<br />

Ihre charakteristischen Schichtkämme<br />

führen vom Buntsandstein des Hildesheimer<br />

Waldes mit seinen Hainsimsen-Buchenwäldern<br />

zum unteren und oberen Muschelkalk<br />

am Gall-, Rotts-, Lerchen- und<br />

Finkenberg, auf dem die Haargersten- und<br />

Seggen-Buchenwälder stehen, und weiter<br />

zum oberen Keuper von Mast- und Steinberg<br />

und den Jurakalken des Knebelmassivs.<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Abb. 1: Nutzungsanteile der Stadtfläche in Prozent<br />

Flora und Florenwandel im Stadtgebiet Hildesheim<br />

57<br />

Bebaute Fläche<br />

Abb. 1 Nutzungsanteile<br />

der Stadtfläche in Prozent.<br />

Verkehrsfläche<br />

Öffentliche Grünanlagen<br />

Landwirtschaftsfläche<br />

Wald<br />

Gewässer<br />

Sonstige<br />

0,00% 10,00% 20,00% 30,00% 40,00%<br />

Erste Phase der Kartierung<br />

Während noch bis ins letzte Jahrhundert<br />

eine floristische und vegetationskundliche<br />

Erforschung urbaner Lebensräume in<br />

Deutschland kaum Beachtung fand, führten<br />

die gründlichen Untersuchungen von<br />

Scholz (1956) und Kunick (1974) in Berlin<br />

zu einem ersten Durchbruch (Sukopp &<br />

Wittig 1993). Inzwischen sind zahlreiche<br />

Stadtfloren erschienen, so für Duisburg<br />

(Düll & Kützelnigg 1987), Darmstadt<br />

( Jung 1992), Bremen (Nagler & Cordes<br />

1993), Greifswald (König 2005), Leipzig<br />

(Gutte 2006), Coesfeld (Hübschen 2007),<br />

Weimar (Kämpfe 2009) oder Hamburg<br />

(Poppendieck et al. 2010).<br />

Seit 1993 begannen auch in Hildesheim<br />

eine Arbeitsgruppe des Ornithologischen<br />

Vereins und weitere interessierte Mitarbeiter,<br />

alle Gefäßpflanzen der Stadt möglichst<br />

exakt in einem Punktraster zu erfassen.<br />

Wegen der zahlreichen, häufig wechselnden<br />

Kleinstlebensräume gerade innerhalb<br />

von Siedlungsflächen schien ein Rasternetz<br />

auf Quadrantenbasis für eine genaue Darstellung<br />

zu grobmaschig, deshalb wurden<br />

als Koordinaten die Gauß-Krüger-Feldlinien<br />

mit Quadratfeldgrößen von 1 km ×<br />

1 km zugrunde gelegt. Sie finden sich sowohl<br />

auf Messtischblättern als auch in<br />

der amtlichen Stadtkarte Hildesheims<br />

1 : 15 000.<br />

Bei der Stadtgröße von 93 km² (seit<br />

2004 noch 92 km²) ergaben sich insgesamt<br />

113 (112) Felder, da die peripheren Rasterquadrate<br />

von dem Grenzverlauf der Stadt<br />

nicht selten durchschnitten und dadurch<br />

verkleinert wurden. Das Bemühen zielte<br />

darauf, bis 1998 den gesamten Artenbestand<br />

aller Quadratfelder möglichst vollständig<br />

einzufangen und zu beschreiben.<br />

Die Ergebnisse führten zu der ersten Flora<br />

von Hildesheim, Müller (2001).<br />

Erste Ergebnisse<br />

Insgesamt konnten am Ende der Untersuchungen<br />

960 Sippen (Arten und Unterarten)<br />

dokumentiert werden. Für eine jede<br />

beschreibt eine Punktrasterkarte ihr Vorkommen<br />

im Stadtbereich. Weitere Informationen<br />

über die Vergesellschaftung jeder<br />

Sippe, die nachgewiesene Bestandsgröße<br />

und erklärende Hinweise über Herkunft,<br />

morphologische bzw. ökologische Besonderheiten<br />

einzelner Arten, ihre Bedeutung<br />

für Medizin und Pharmazie, Bestimmungshilfen<br />

etc. schließen sich an (vgl. als<br />

Beispiel Abb. 2). Welche Verteilung weisen<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


58 Werner Müller<br />

Zu Abb. 2:<br />

84 • • • •<br />

83 • • • • • •<br />

82 • • • • • •<br />

81 • • • • • •<br />

80 • • •<br />

79 • • • • •<br />

78 • • • • • • •<br />

77 • • • •<br />

76 • •<br />

75 • • • •<br />

74<br />

73<br />

58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71<br />

Abb. 2 Punktrasterkarte vom Graugrünen Gänsefuß.<br />

Grün = Wald; Ocker (rot) = bebaute Fläche;<br />

Abb. 5:<br />

Gelb = Grünland, Acker.<br />

84<br />

83<br />

Chenopodium glaucum L. – Graugrüner Gänsefuß.<br />

Vorkommen: 82 An Ufern und 51 auf 66 Äckern; 46 auf feuchten,<br />

81 nitratreichen Böden, 41 besonders 70 in der Börde,<br />

auf 80 Zuckerrübenäckern, die 77 mit Klärschlamm<br />

gedüngt 79 sind. 46 52<br />

Vergesellschaftung: Mit Arten der Erdrauch-Wolfsmilch-Gesellschaften,<br />

in Zweizahn-Knöterich-Ufer-<br />

78 41<br />

77 41<br />

gesellschaften mit Rotem Gänsefuß (Chenopodium<br />

rubrum), 76 Vielsamigem Gänsefuß (Chenopodium<br />

polyspermum) 75<br />

und Dreiteiligem Zweizahn (Bidens<br />

tripartita).<br />

74<br />

Bestand: 73 Verbreitet (42 %). Bestandsentwicklung<br />

wird<br />

58<br />

durch<br />

59 60<br />

Düngung<br />

61 62 63<br />

gefördert.<br />

64 65 66 67 68 69 70 71<br />

Bemerkungen: Ein Therophyt, der als halotolerante<br />

Art auch auf salzbelasteten Böden wächst.<br />

Besondere Kennzeichen: Blätter oben kahl und<br />

dunkelgrün, unten weißlich bemehlt.<br />

nun die nachgewiesenen Sippen auf den<br />

113 Rasterfeldern auf?<br />

Die durchschnittliche Artenzahl liegt<br />

bei 265 Vertretern, d. h. je km² konnten –<br />

gemittelt – 265 Arten registriert werden.<br />

In 29 Feldern (= 33,3 %) lag die Anzahl<br />

bei über 300.<br />

Diese Flächen liegen 1. in den Siedlungs-<br />

und Industriezentren der Innenstadt<br />

mit einer Vielzahl wechselnder<br />

Kleinbiotope, 2. in den naturnahen Bereichen,<br />

vor allem den Wäldern mit benachbartem<br />

Grünland oder Halbtrockenrasen.<br />

84 258 121 129 130<br />

83 317 319 338 180 199 222 139 99 59<br />

82 272 368 338 311 342 304 246 165 149<br />

81 87 105 287 184 319 231 367 269 279 170 219 135<br />

80 116 188 181 370 306 268 414 239 222 195 149 161 115<br />

79 149 179 301 373 314 275 372 335 252 278 228 185 114<br />

78 145 333 257 332 286 310 297 352 240 265 386 360 271 <strong>156</strong><br />

77 258 222 317 365 317 261 299 336 299 203 313 254 142<br />

76 183 245 211 246 221 246 250 188 263 297 242<br />

75 227 227 223 285 211 182 176 215 271<br />

74 86 226 194 205<br />

73 <strong>156</strong> 132<br />

58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71<br />

Abb 3 Anzahl der Sippen, die in den einzelnen<br />

Quadratfeldern nachgewiesen wurden. Die Randfelder,<br />

die nicht die volle Größe besitzen, sind<br />

grau unterlegt.<br />

Die artenarmen Rasterfelder beschränken<br />

sich auf die ackerbaulich genutzten Flächen<br />

der Braunschweig-Hildesheimer und<br />

Calenberger Lössbörde mit geringer Diversität<br />

der Pflanzengesellschaften (Abb.<br />

3).<br />

Besondere Beachtung verdient, dass mit<br />

307 Sippen fast ein Drittel aller nachgewiesenen<br />

Arten in nur 1 % – 4 % aller<br />

Rasterfelder gefunden wurde, d. h. für die<br />

Stadt Hildesheim als extrem selten einzustufen<br />

ist. Lediglich 146 Sippen (= 15,2 %)<br />

besiedeln wenigstens 60 % des Gebietes.<br />

Wie steht es nun um den Bestand der in<br />

Niedersachsen gefährdeten Arten der „Roten<br />

Liste“?<br />

Den Untersuchungen lag die bei der Veröffentlichung<br />

der Flora von Hildesheim<br />

Tab. 1 Anzahl der Rote-Liste-Arten (nach<br />

Gefährdungskategorien geordnet) und Anteil der<br />

Neophyten. 1 = vom Aussterben bedroht;<br />

2 = stark gefährdet; 3 = gefährdet;<br />

4 = potenziell gefährdet.<br />

Gefährdungskategorien 1 2 3 4<br />

Sippenzahl 7 47 121 2<br />

davon Neophyten 1 – 2 9 10 2<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Abb. 5:<br />

• •<br />

75 • • • •<br />

74<br />

73<br />

58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71<br />

Flora und Florenwandel im Stadtgebiet Hildesheim<br />

Abb. 6:<br />

59<br />

84<br />

83<br />

82 51 66 46<br />

81 41 70<br />

80 77<br />

79 46 52<br />

78 41<br />

77 41<br />

76<br />

75<br />

74<br />

73<br />

58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71<br />

Abb. 4 Quadtratfelder mit hohem Neophytenanteil.<br />

84<br />

83 8<br />

82 11<br />

81 4 8 6<br />

80 7<br />

79<br />

78<br />

77 7<br />

76 12 5 15 13<br />

75 9 9 13<br />

74 9 10<br />

73<br />

58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71<br />

Abb. 5 Quadratfelder mit niedrigem Neophytenanteil.<br />

Abb. 8:<br />

(Müller 2001) gültige Aufstellung von<br />

Garve (1993) zugrunde. Während der Anteil<br />

bedrohter Arten für Niedersachsen und<br />

Bremen bei 46 % der nachgewiesenen Sippen<br />

lag, wurden für Hildesheim nur 177<br />

(= 18,4 %) als gefährdet eingestuft. Ihre<br />

Zuordnung zu den jeweiligen Kategorien<br />

nennt Tab. 1. Die einzelnen Vertreter wurden<br />

jeweils nur in weniger als 20 Rasterfeldern<br />

nachgewiesen, lediglich die Echte<br />

Schlüsselblume (Primula veris) begegnete<br />

in 24, der Niederliegende Krähenfuß (Coronopus<br />

squamatus) in 25 und das Echte Eisenkraut<br />

(Verbena officinalis) sogar in 35.<br />

Quadratfeldern (= 31 %).<br />

Die Frage nach den Stadtbereichen<br />

mit hohem Anteil gefährdeter Arten<br />

führt ausschließlich zu den naturnahen<br />

84 2<br />

Lebensräumen: 83 7 Giesener 9 1 Teiche, 5 die Wälder<br />

82 auf Muschel- 2 5 und 7 2 Jurakalken 3 2 (Gallund<br />

81 Finkenberg) 6 5 mit 2 6 ihren 10 4 Halbtrockenrasen<br />

80 sowie 1 2 der 3 Knebel. 4 7 14 3 1<br />

3 2<br />

79 Anders 1 2 stellen 2 6 sich 7 3 die 4 seit 1500 1 eingewanderten<br />

78 2 1 bzw. 2 eingetragenen 4 6 3 1 1 Neophyten<br />

77 (Neubürger) 2 1 dar, deren 2 5 Anteil 1 bei 193<br />

Sippen 76 (= 20,1 2 1 %) 7 liegt und 2 3 den 1 Landesdurchschnitt<br />

75 2 1<br />

von<br />

3<br />

16,4 % deutlich<br />

2 4<br />

übersteigt.<br />

Besonders reich ist diese Gruppe in<br />

74 2 2 1 1<br />

73<br />

der Nord- und Innenstadt vertreten, wo<br />

58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71<br />

ausgedehnte Ruderalflächen vorherrschen,<br />

sowie im Ortsteil Sorsum (Abb. 4). Demgegenüber<br />

zeigen die naturnahen Wälder<br />

im Südwesten der Stadt, ebenso das NSG<br />

Giesener Teiche und auch die Ackerflächen<br />

einen nur geringen Neophytenanteil<br />

(Abb. 5).<br />

Zweite und dritte Phase der Kartierung<br />

Die Folgejahre nach Erscheinen der<br />

Flora von Hildesheim (Müller 2001) boten<br />

eine überraschende Entwicklung, mit der<br />

kaum jemand gerechnet hatte: In einem<br />

ständigen Kommen und Gehen von Arten<br />

zeigte die Flora bei einzelnen Vertretern<br />

eine ungeahnte Dynamik. So konnten<br />

zwischen 2002 und 2007 insgesamt 80 neue<br />

Sippen nachgewiesen werden, die sich auf<br />

60 der 112 Rasterfelder verteilen. Während<br />

Wälder und Äcker sich als weitgehend<br />

artenstabile Zonen darstellten, zeichneten<br />

sich Veränderungen im Stadtkern aus und<br />

betrafen die Randbezirke nur dort, wo sich<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


60 Werner Müller<br />

Tab. 2 Die 13 neu nachgewiesenen Arten in den Jahren 2010 bis 2012<br />

1 Venuskamm (Scandix pecten-veneris): 05.06.2010, 8 Ex. am Gallberg,<br />

Rasterfläche (RF) 62/80 (Müller)<br />

2 Filz-Segge (Carex tomentosa): Juni 2010, Dominanzbestand auf 1,5 m² am Gallberg,<br />

RF 62/79 (Burgdorf )<br />

3 Gekielter Lauch (Allium carinatum): 05.08.2010, 6 Ex. am Einlauf des Eselgraben in die<br />

Innerste, RF 64/80 (Burgdorf )<br />

4 Japanisches Liebesgras (Eragrostis multicaulis): 08.08.2010, ca. 100 Ex. an der Bavenstedter<br />

Straße, RF 66/81 (Feder, Bremen)<br />

5 Bastard-Lichtnelke (Silene x hampeana): 16.08.2010, 15 Ex. im Hafenbereich,<br />

RF 63/83 (Hofmeister)<br />

6 Müller-Stendelwurz (Epipactis muelleri): Sommer 2011, 1 Ex. am Westhang des Gallberges,<br />

RF 61/79 (Kunitz, Eberholzen)<br />

7 Echter Alant (Inula helenium): 20.07.2011, wenige Ex. am Innerste-Ufer, RF 65/78 (Burgdorf )<br />

8 Sichelblättriges Hasenohr (Bupleurum falcatum): 03.08.2011, ca. 20 Ex. am Kamm und<br />

Nordfuß des Galgenberges, RF 68/78 (Bruns, Grein)<br />

9 Großer Odermennig (Agrimonia procera): Sommer 2010 und 2011, zerstreut am Waldweg<br />

nahe der Beuster im Südwald, RF 59/75 und 60/75 (Grein)<br />

10 Pimpernuss (Staphylea pinnata): September 2011, 4 Sträucher, dazu Jungwuchs auf dem<br />

Galgenberg, RF 67/78 (Lieb)<br />

11 Dreiteiliger Ehrenpreis (Veronica triphyllos): seit 2010 (Grein), Mai 2012 (Müller) in nur<br />

1 Ex. am Gallberg, nahe Kammweg an einem Rapsfeld, RF 62/80<br />

12 Flachblättrige Mannstreu (Eryngium planum): 07.07.2012, ebenfalls 2013, ca. 25 Triebe an<br />

der Breslauer Straße auf einem Grünstreifen nördlich der Bahnlinie, RF 63/80 (Grein)<br />

13 Peruanische Blasenkirsche (Physalis peruviana): Oktober 2012, 4 Ex. auf Schuttfläche im<br />

Bereich des Nordfriedhofs, RF 65/81 (Kunitz, Eberholzen)<br />

Industrie- und Gewerbebetriebe niedergelassen<br />

hatten. Das zentrale Rasterfeld<br />

(64/80) mit Güterbahnhof, Industrie- und<br />

Wallanlagen, Friedhof, Schulhöfen und<br />

Gärten galt bereits in der Flora von Hildesheim<br />

(Müller 2001) mit 414 Sippen als<br />

das artenreichste der Stadt (Abb. 3). Hier<br />

konnten weitere 13 Sippen nachgewiesen<br />

werden – die höchste Zuwachsrate aller<br />

Quadratfelder.<br />

Angesichts dieser Beobachtungen war<br />

es angezeigt, dem alten Florenbestand von<br />

2001 eine neue Kartierung vergleichend<br />

gegenüberzustellen. Sie erschien im Jahre<br />

2010 in derselben Schriftenreihe Band 6,<br />

betitelt „Neues zur Flora von Hildesheim“<br />

(Müller 2010).<br />

Der Arbeit wurde das alte Grundmuster<br />

der Kartierung im Gauß-Krüger-Koordinatensystem<br />

zugrunde gelegt. Der Anspruch<br />

zielte nun nicht mehr darauf, alle<br />

Sippen erneut zu erfassen. Vielmehr richtete<br />

sich das Augenmerk auf die Arten, die<br />

• seit 2002 für das Stadtgebiet neu nachgewiesen<br />

werden konnten,<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Flora und Florenwandel im Stadtgebiet Hildesheim<br />

61<br />

Abb. 6:<br />

• in der Flora von Hildesheim (Müller<br />

2001) als „sehr selten“ (in nur 1 % – 4 %<br />

der 113 (112) Rasterfelder dokumentiert)<br />

oder als „selten“ (in 5 % – 9 % der<br />

Rasterfelder vertreten) bezeichnet worden<br />

waren,<br />

• durch eine auffallend rasche Ausbreitung<br />

auffielen.<br />

Die letzten Untersuchungen erfolgten in<br />

den Jahren 2010 bis 2012. In diesem relativ<br />

kurzen Zeitraum konnte der Artenbestand<br />

der Stadt um weitere 13 Sippen erweitert<br />

werden (Tab. 2). Fassen wir alle seit Beginn<br />

der Untersuchungen 1993 registrierten<br />

84<br />

Sippen zusammen, so wurden bislang 1053<br />

83 8<br />

Arten (mit Unterarten) nachgewiesen.<br />

82 11<br />

81 4 8 6<br />

80 7<br />

Ergebnisse 79<br />

und Analysen<br />

78<br />

77 Die 7 vorliegende Kartierung eröffnet die<br />

Möglichkeit, 76 12 5 15 den gegenwärtigen 13 Florenbestand<br />

75 der 9 Stadt 9 von 13 2012 mit dem Stand<br />

aus 74 der ersten 9 10 Veröffentlichung der Flora<br />

von 73 Hildesheim (Müller 2001) zu vergleichen.<br />

58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71<br />

Hierbei darf nicht übersehen werden, dass<br />

bereits seit dem Erscheinen der „Physischen<br />

Briefe“ des Hildesheimer Jesuiten<br />

und Mathematikers Joseph Anton Cramer<br />

(1792) zahlreiche Veröffentlichungen<br />

zur Hildesheimer Flora unsere Kenntnis<br />

über die Pflanzenwelt der Stadt wesentlich<br />

bereichert hatten. So listete die Publikation<br />

Neues zur Flora von Hildesheim<br />

(Müller 2010) einen Verlust von 170 vermissten<br />

bzw. ausgestorbenen Arten (= 16,3<br />

%) auf. Von diesen konnten in den Jahren<br />

2011 – 2012 mit dem Venuskamm (Scandix<br />

pecten-veneris) und der Filz-Segge (Carex<br />

tomentosa) zwei Arten wiederentdeckt werden.<br />

Die neuen Arten<br />

Im Zeitraum zwischen 2001 und 2012<br />

wurden insgesamt 93 Arten neu entdeckt.<br />

Sie verteilen sich vor allem auf die Innenstadtbereiche<br />

(Abb. 6). Der Südwesten mit<br />

Abb. 8:<br />

84 2<br />

83 7 9 1 5<br />

82 2 5 7 2 3 2<br />

81 6 5 2 6 10 4 3 2<br />

80 1 2 3 4 7 14 3 1<br />

79 1 2 2 6 7 3 4 1<br />

78 2 1 2 4 6 3 1 1<br />

77 2 1 2 5 1<br />

76 2 1 7 2 3 1<br />

75 2 1 3 2 4<br />

74 2 2 1 1<br />

73<br />

58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71<br />

Abb. 6 Verteilung der 93 neu nachgewiesenen<br />

Sippen auf die einzelnen Rasterfelder.<br />

Abb. 9:<br />

84<br />

83 5 1<br />

82 1 1 1<br />

81 2 1<br />

80 1 2<br />

79 1 2 1<br />

78 1<br />

77<br />

76 1<br />

75<br />

74<br />

73<br />

58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71<br />

Abb. 7 Anzahl der neu entdeckten Arten aus der<br />

Roten Liste in den einzelnen Rasterfeldern.<br />

Abb. 12:<br />

83 • • • • •<br />

82<br />

<strong>Naturhistorica</strong><br />

• • ▲ • • • •<br />

Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014<br />

81 • • • • ▲ • • • •<br />

80 • • • ▲ ▲ ▲ •<br />

79 ▲<br />

84


62 Werner Müller<br />

dem Hildesheimer Wald, ebenso der Osten<br />

mit der Börde und dem Knebelmassiv lassen<br />

einen nur geringen Artenzuwachs erkennen.<br />

Unter den 93 Neunachweisen befinden<br />

sich lediglich 34 indigene (seit der Jungsteinzeit<br />

im Land ansässige) Sippen, während<br />

der überwiegende Teil – das sind 59<br />

Arten (= 63,4 %) – aus etablierten oder<br />

unbeständigen Neophyten (Neubürgern)<br />

besteht. Bei der Zuordnung des Sichel-<br />

Hasenohrs (Bupleurum falcatum) erscheint<br />

die Herkunft ungeklärt. Die im Osten beheimatete<br />

Art findet sich in Niedersachsen<br />

fast ausschließlich am Rande des mitteldeutschen<br />

Trockengebietes zwischen Elm<br />

und Bad Harzburg (Garve 1994), ragt hier<br />

allerdings nach Westen bis an die Grenze<br />

Salzgitters (TK 25 3828/4). Ihre nur<br />

2,5 – 3 mm langen, glatten und geflügelten<br />

Spaltfrüchte (Doppelachänen) werden<br />

durch Wind und Tiere verbreitet. Da ist es<br />

durchaus denkbar, dass sich das Hasenohr<br />

über die vorhandene Entfernung von ca. 30<br />

km westwärts ohne Einwirken des Menschen<br />

ausgebreitet hat und für die Hildesheimer<br />

Pflanzenwelt als indigen einzustufen<br />

ist, zumal die Art auch im Alfelder<br />

Raum neu nachgewiesen werden konnte<br />

(Doebel, Alfeld, mündliche Mitteilung.).<br />

Wie hoch ist der Anteil gefährdeter<br />

Sippen der „Roten Liste“? Diese erschien<br />

2004 in einer überarbeiteten Form (Garve<br />

2004), die für unsere weiteren Untersuchungen<br />

sowie die Veröffentlichung Neues<br />

zur Flora von Hildesheim (Müller 2010)<br />

genutzt wurde. Danach gehören aus dem<br />

Zugewinn der 93 neuen Arten nur 18 (=<br />

19,4 %) der aktualisierten Roten Liste an.<br />

Sechs von ihnen sind der Gefährdungskategorie<br />

2 („stark gefährdet“) zugeordnet,<br />

die übrigen 12 der Kategorie 3 („gefährdet“).<br />

Die Wuchsorte verteilen sich auf<br />

14 der 112 Quadratfelder (Abb. 7), sie liegen<br />

überwiegend im Westen und Norden<br />

der Stadt und schließen naturnahe (oligohemerobe)<br />

Lebensräume wie die Giesener<br />

Teiche und den Standortübungsplatz ein.<br />

Neue Fundorte der als „sehr selten“<br />

oder „selten“ eingestuften Sippen<br />

Gemeint sind jene 413 Arten, deren<br />

Vorkommen in der Flora von Hildesheim<br />

(Müller 2001) nur in 1 % – 4 % der Rasterfelder<br />

(= sehr selten) oder in 5 % – 9 %<br />

(= selten) nachgewiesen wurden. 211 dieser<br />

Vertreter (= 51,1 %) hatten weitere Rasterfelder<br />

erobert. Die Beobachtung belegt<br />

eine überraschende Ausbreitungstendenz<br />

gerade auch der im Stadtgebiet raren Arten.<br />

Dennoch verlangt die Aussage eine<br />

nicht unwesentliche Differenzierung. Filtern<br />

wir aus der „Zuwachsrate“ der 211<br />

Sippen die gefährdeten Arten der „Roten<br />

Liste“ heraus, so erhalten wir einen Anteil<br />

von 17,5 %. Bei der Gesamtzahl der 413<br />

Vertreter betrug er jedoch noch 25,9 %.<br />

Demnach steht die Ausbreitungstendenz<br />

der Arten der „Roten Liste“ deutlich hinter<br />

derjenigen der nicht gefährdeten Pflanzen<br />

zurück.<br />

Anders verhält es sich bei den „Neubürgern“<br />

der Stadt, den Neophyten. Ihr Anteil<br />

unter den 413 Sippen beträgt 32,4 %.<br />

In der Ausbreitungsgruppe der 211 Vertreter<br />

liegt aber ihr Bestand bei 37,4 %. Diese<br />

Werte belegen eine um mehr als 13 %<br />

erhöhte Ausbreitungstendenz der Neophyten<br />

(Abb. 8).<br />

Arten mit rascher Ausbreitung<br />

Ein Vergleich der Kartierungsergebnisse<br />

der Flora von Hildesheim (Müller 2001)<br />

mit denen der Publikation Neues zur Flora<br />

von Hildesheim (Müller 2010) bot ein<br />

überraschendes Bild: Bestimmte Arten,<br />

deren Vorkommen ursprünglich in den<br />

Rasterfeldern als nur selten oder spärlich<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Flora und Florenwandel im Stadtgebiet Hildesheim<br />

63<br />

Abb. 8 Prozentualer Anteil der Rote-Liste-Arten<br />

und der Neophyten aus der Gruppe der „seltenen“<br />

und „sehr seltenen“ Sippen in Müller (2001) und<br />

aus dem Anteil der „seltenen“ und „sehr seltenen“<br />

Arten mit neuen Fundorten (=Zuwachsgruppe).<br />

a: Rote-Liste-Arten in Müller( 2001), b: Rote-Liste-<br />

Arten in der Zuwachsgruppe, c: Neophyten in Müller<br />

(2001), d: Neophyten in der Zuwachsgruppe.<br />

eingestuft werden konnte, überzogen anschließend<br />

innerhalb weniger Jahre große<br />

Teile der Stadt. Als Beispiele seien drei<br />

Süßgräser, ein Korbblütler und ein Vertreter<br />

der Nelkengewächse genannt:<br />

• Kleines Liebesgras (Eragrostis minor)<br />

• Mäuseschwanz-Federschwingel (Vulpia<br />

myuros)<br />

• Grüne Borstenhirse (Setaria viridis)<br />

• Schmalblättriges Greiskraut (Senecio<br />

inaequidens)<br />

• Kahles Bruchkraut (Herniaria glabra)<br />

Das Kleine Liebesgras (Abb. 9) besie-<br />

Abb. 9 Kleines Liebesgras (Eragrostis minor).<br />

delte ursprünglich nur 12 % der städtischen<br />

Rasterfelder. Wenige Jahre später<br />

hatte es die gesamte Innenstadt erobert<br />

(Abb. 10). Der Flächenanteil des Federschwingels<br />

(Abb. 11) stieg von 11 % auf<br />

29 % (Abb. 12a), der der Borstenhirse<br />

(Abb. 13) von 10 % auf 23,2 % (Abb. 12b)<br />

und der des Greiskrautes (Abb. 14) von<br />

5 % auf 44 % (Abb. 15a). Ähnlich breitete<br />

sich das Bruchkraut (Abb. 16) von 6 % auf<br />

18 % aus (Abb. 15b). Worin könnten die<br />

Ursachen dieser fast explosiven Vermehrung<br />

liegen?<br />

Mögliche Ursachen des Florenwandels<br />

Faktor Klima<br />

Alle fünf Sippen besiedeln Ruderalflächen<br />

auf eher trockenem Boden, wachsen<br />

häufig in Pflasterfugen oder auch im<br />

Bahnschotter sowie – mit Blick auf das<br />

Greiskraut – an Mauerfüßen, Weg- und<br />

Straßenrändern oder im Industriegelände.<br />

Dem entspricht das ökologische Verhalten<br />

dieser fünf Arten: Es verweist auf ähnliche<br />

Ansprüche (Licht-, Wärme- und Trockniszeiger),<br />

wie sie Ellenberg et al. (1992) mit<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


75<br />

74<br />

73<br />

58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71<br />

64 Werner Müller<br />

Abb. 12:<br />

84<br />

83 • • • • •<br />

82 • • ▲ • • • •<br />

81 • • • • ▲ • • • •<br />

80 • • • ▲ ▲ ▲ •<br />

79 • • • • • ▲ •<br />

78 • • ▲ • • ▲ •<br />

77 ▲ ▲ ▲ • • • •<br />

76 ▲ ▲ • • • • •<br />

75<br />

▲<br />

• • •<br />

74<br />

73<br />

58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71<br />

Abb. 10 Verbreitung des Kleinen Liebesgrases.<br />

= altes, in Müller (2001) genanntes Vorkommen,<br />

Abb. 14 a:<br />

• = neues Vorkommen.<br />

84<br />

83<br />

ihren Zeigerwerten für Licht (L), Temperatur<br />

(T) und Feuchtigkeit (F) in einer<br />

neunstufigen Skala differenziert zur Darstellung<br />

gebracht haben (Tab. 3).<br />

Gegenüber den 1990er-Jahren begann<br />

das dritte Jahrtausend mit trockenen, heißen<br />

und sonnenreichen Sommertagen. Da<br />

drängt sich die Hypothese auf, ob nicht der<br />

oft zitierte Klimawandel zu dieser Entwicklung<br />

beigetragen haben könnte.<br />

82 • ▲ ▲ ▲ ▲ •<br />

81 • ▲ • • ▲ • • •<br />

Abb. 80 11 Mäuseschwanz-Federschwingel • ▲ ▲ (Vulpia<br />

myuros).<br />

79 ▲ ▲<br />

78 ▲ • •<br />

77<br />

Faktor Boden• • • • •<br />

76 • • •<br />

75<br />

Die industrielle Entwicklung sowie<br />

74<br />

der Verkehr gerade in städtischen Bereichen,<br />

dazu die Mineralstoffdüngung in der<br />

73<br />

58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71<br />

Landwirtschaft haben infolge freigesetzter<br />

Abb. 14 a:<br />

84<br />

83<br />

82 • ▲ ▲ ▲ ▲ •<br />

81 • ▲ • • ▲ • • •<br />

80 • ▲ ▲<br />

79 ▲ ▲<br />

78 ▲ • •<br />

77 • • • • •<br />

76 • • •<br />

75<br />

74<br />

73<br />

58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71<br />

Abb. 12a Federschwingel in alten () und neuen<br />

Abb. 14 (•) b: Rasterfeldern.<br />

Abb. 14 b:<br />

84 ▲<br />

83 ▲<br />

82 ▲ ▲ • ▲ •<br />

81 • ▲ ▲ • • ▲<br />

80 ▲ •<br />

79 • • ▲ • •<br />

78<br />

77 • • •<br />

76 • •<br />

75 ▲<br />

74<br />

73<br />

58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71<br />

Abb. 12b Borstenhirse in alten () und neuen<br />

(•) Rasterfeldern.<br />

84 ▲<br />

83 ▲<br />

82 ▲ ▲ • ▲ •<br />

81 <strong>Naturhistorica</strong> Berichte • ▲ der Naturhistorischen ▲ • • Gesellschaft ▲ Hannover <strong>156</strong> · 2014<br />

80 ▲ •<br />

79 • • ▲ • •


Flora und Florenwandel im Stadtgebiet Hildesheim<br />

65<br />

Abb. 17 a:<br />

Abb. 13 Grüne Borstenhirse (Setaria viridis).<br />

Stickstoffoxide eine unmittelbare Auswirkung<br />

auf die Zusammensetzung des<br />

Bodens (Lerch 1991, Sukopp & Wittig<br />

1993). Über das Verhalten der Pflanzen<br />

als Antwort auf die sich ändernden<br />

Standortbedingungen geben auch hier die<br />

Abb. 17 a:<br />

84<br />

83 • • ▲<br />

82 • • • ▲ • • •<br />

81 • • • • ▲ • • • •<br />

80 • • • • ▲ • • • •<br />

Abb. 14 Schmalblättriges Greiskraut<br />

79 • • • • • • ▲ (Senecio<br />

inaequidens).<br />

• •<br />

78 • • • • ▲<br />

77 • • • • •<br />

Zeigerwerte 76 von Ellenberg • • et al. (1992)<br />

Auskunft. 75 Zu berücksichtigen sind die<br />

Stickstoff 74 (N)- und die Reaktionszahl (R),<br />

wobei<br />

73<br />

N 1 als stickstoffarm, N 9 als übermäßig<br />

stickstoffreich, R 1 als stark sauer,<br />

58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71<br />

R 9 als basenreich gilt.<br />

Abb. 17 b:<br />

84<br />

83 • • ▲<br />

82 • • • ▲ • • •<br />

81 • • • • ▲ • • • •<br />

80 • • • • ▲ • • • •<br />

79 • • • • • • ▲ • •<br />

78 • • • • ▲<br />

77 • • • • •<br />

76 • •<br />

75<br />

74<br />

73<br />

58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71<br />

Abb. 15a Greiskraut in alten () und neuen (•)<br />

Abb. 17 Rasterfeldern.<br />

b:<br />

84<br />

83<br />

82 • •<br />

81 • • • ▲ ▲ • • •<br />

80 ▲ ▲<br />

79 • ▲ ▲ ▲<br />

78 •<br />

77 • •<br />

76 •<br />

75<br />

74<br />

73<br />

58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71<br />

Abb. 15b Bruchkraut in alten () und neuen (•)<br />

Rasterfeldern.<br />

84<br />

83<br />

82 • •<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014<br />

81 • • • ▲ ▲ • • •<br />

80 ▲ ▲<br />

79 ▲ ▲ ▲


66 Werner Müller<br />

Abb. 16 Kahles Bruchkraut (Herniaria glabra).<br />

Stark belastete Böden weisen einen erhöhten<br />

Stickstoffanteil auf und führen zu<br />

einer Verschiebung der Reaktionseigenschaften<br />

zu höheren Werten hin (Wittig<br />

1991). Dadurch erfolgt ein sukzessiver<br />

Wandel des Artenspektrums, bei dem Formen<br />

mit höheren Zeigerwerten für R und<br />

N in ihrem Konkurrenzdruck die Vorherrschaft<br />

gewinnen und andere Sippen verdrängen.<br />

Betrachten wir zunächst den Faktor<br />

Stickstoff: Wie bereits dargestellt, gelten z.<br />

Z. im Stadtgebiet 168 Sippen als verschollen<br />

bzw. ausgestorben. Deren Zeigerwerte<br />

für N zeigen, dass es sich weit überwiegend<br />

um Arten stickstoffarmer Böden handelt:<br />

49 % weisen Zeigerwerte von N 1 – N 3<br />

auf, und nur 19 % besiedeln stickstoffreiche<br />

Böden (Abb. 17). Hier könnte eine<br />

wachsende Stickstoffbelastung zu einer<br />

Verdrängung dieser Arten geführt haben.<br />

Ein bemerkenswertes Spektrum weist<br />

die aktuelle Flora (Müller 2010) auf. Zunächst<br />

stellen wir den nach der Kartierung<br />

10 häufigsten Sippen der Stadt die Arten<br />

gegenüber, die nur in einem Quadratfeld<br />

gefunden wurden, keine Wasserpflanzen<br />

sind, nicht zu den Neophyten zählen, da<br />

deren Einbürgerung evtl. noch nicht abgeschlossen<br />

ist, und im Rasterfeld selbst<br />

nicht als Einzelpflanzen oder in geringer<br />

Individuenzahl auftreten (Tab. 4).<br />

Die „top ten“ der im gesamten Stadtbereich<br />

verbreiteten Arten zeigen Stickstoffzahlen<br />

nicht unter 6, ihr gemittelter Wert<br />

(7,7) weist sie als ausgesprochene Stickstoffzeiger<br />

aus. Demgegenüber liegen die<br />

Zeigerwerte der im Stadtgebiet nur sehr<br />

rar vertretenen Sippen zwischen 2 und 5<br />

und erreichen nur in einem Fall eine 6. Ihr<br />

Durchschnittswert beträgt 4,0 (d. h. auf<br />

stickstoffarmen bis nur mäßig stickstoffreichen<br />

Böden).<br />

Die dargestellten Werte lassen eine Anpassung<br />

erkennen, bei der sich auf hohe<br />

Stickstoffzahlen ausgerichtete Arten auf<br />

Kosten von Vertretern mit geringerer<br />

Stickstofftoleranz etablierten.<br />

Signifikante Werte zeigen auch die Reaktionszahlen<br />

(R). Hier fällt vor allem auf,<br />

dass die häufigen Vertreter der Flora zu<br />

70 % ein indifferentes Verhalten (x) aufweisen,<br />

d. h. sie ertragen in einer weiten<br />

Tab. 3 Zeigerwerte für Licht (L), Temperatur (T) und Feuchtigkeit (F) bei ausgewählten Arten mit<br />

starker Ausbreitungstendenz.<br />

Zeigerwerte L T F<br />

Kleines Liebesgras (Eragrostis minor) 8 7 3<br />

Grüne Borstenhirse (Setaria viridis) 7 6 4<br />

Mäuseschwanz-Federschwingel (Vulpia myuros) 8 7 2<br />

Schmalblättriges Greiskraut (Senecio inaequidens) 8 7 3<br />

Kahles Bruchkraut (Herniaria glabra) 8 6 3<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Flora und Florenwandel im Stadtgebiet Hildesheim<br />

67<br />

Artenzahl<br />

40<br />

35<br />

Abb. 17 Stickstoffzahlen<br />

der ausgestorbenen<br />

bzw. verschollenen<br />

Sippen.<br />

30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

0<br />

N 1 N 2 N 3 N 4 N 5 N6 N 7 N 8 N 9<br />

N 1 – N 3: 76 Sippen (49 %) N 7 – N 9: 29 Sippen (19 %)<br />

ökologischen Amplitude eine ebenso saure<br />

wie basische Bodenreaktion. Ein Vergleich<br />

zu den R-Werten der seltenen<br />

Arten erscheint aus diesem Grunde fragwürdig.<br />

Es wird dennoch deutlich, dass die<br />

Bodenverhältnisse der Stadt im Hinblick<br />

auf die Zeigerwerte für R den häufigen reaktionstoleranten<br />

Vertretern der Hildesheimer<br />

Pflanzenwelt einen bevorzugten<br />

Lebensraum bieten.<br />

Tab. 4 Gegenüberstellung häufiger und seltener Arten mit ihren Zeigerwerten für R und N.<br />

Die 10 häufigsten Arten<br />

(in fast allen Rasterfeldern) R N<br />

Seltene Arten<br />

(nur in einem Rasterfeld) R N<br />

Acker-Distel (Cirsium arvense) x 7 Sumpffarn (Thelypteris palustris) 5 6<br />

Löwenzahn (Taraxacum officinale agg.) x 8 Langblättriges Hasenohr<br />

(Bupleurum longifolium)<br />

9 5<br />

Große Brennnessel (Urtica dioica) 7 9 Sumpf-Sternmiere (Stellaria palustris) 4 2<br />

Vogelmiere (Stellaria media) 7 8 Wimper-Segge (Carex pilosa) 5 5<br />

Kriech. Hahnenfuß (Ranunculus repens) x 7 Steife Segge (Carex elata) x 5<br />

Kletten-Labkraut (Galium aparine) 6 8 Hirsen-Segge (Carex panicea) x 4<br />

Einjähr. Rispengras (Poa annua) x 8 Faden-Binse ( Juncus filiformis) 4 3<br />

Gew. Beifuß (Artemisia vulgaris) x 8 Heil-Ziest (Betonica officinalis) x 3<br />

Spitz-Wegerich (Plantago lanceolata) x x Bitterkraut-Sommerwurz<br />

(Orobanche picridis)<br />

Gew. Knäuelgras (Dactylis glomerata) x 6 Stängelumfassendes Hellerkraut<br />

(Thlaspi perfoliatum)<br />

7 5<br />

8 2<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


68<br />

Literatur<br />

Cramer, Josef Anton (1792): Physische Briefe<br />

über Hildesheim und dessen Gegend: 450 S.,<br />

Faksimiledruck 1976. – Hildesheim.<br />

Doebel, Hermann, Alfeld, mündliche Mitteilung.<br />

Düll, Ruprecht.; Kutzelnigg, Herfried. (1987):<br />

Punktkartenflora von Duisburg und Umgebung:<br />

378 S. – Rheurdt.<br />

Ellenberg, Heinz; Weber, Heinrich E.; Düll,<br />

Ruprecht; Wirth, Volkmar; Werner, Willi;<br />

Paulißen, Dirk (1992): Zeigerwerte von<br />

Pflanzen in Mitteleuropa. – Scripta Geobotanica<br />

18: 258 S. – Göttingen.<br />

Garve, Eckhard (1993): Rote Liste der gefährdeten<br />

Farn- und Blütenpflanzen in Niedersachsen<br />

und Bremen. – Informationsdienst<br />

Naturschutz Niedersachsen 13: 37 S. – Hannover.<br />

Garve, Eckhard (1994 a): Atlas der gefährdeten<br />

Farn- und Blütenpflanzen in Niedersachsen<br />

und Bremen. – Natursch. Landschaftspfl.<br />

Nieders. 30/1: 895 S. – Hannover.<br />

Garve, Eckhard (2004 b): Rote Liste und Florenliste<br />

der Farn- und Blütenpflanzen in<br />

Niedersachsen und Bremen. – Informationsdienst<br />

Naturschutz Niedersachsen 24: 1 – 76.<br />

– Hildesheim.<br />

Gutte, Peter (2006): Flora der Stadt Leipzig:<br />

278 S. – Jena.<br />

Hübschen, Josef (2007): Flora von Coesfeld. –<br />

Abhandlungen aus dem Westfälischen Museum<br />

für Naturkunde 69, H.3/4: 356 S. –<br />

Münster.<br />

Jung, Klaus-Dieter (1992): Flora des Stadtgebietes<br />

von Darmstadt: 572 S. – Darmstadt.<br />

Kämpfe, Stefan (2009): Die Flora Weimars<br />

und seiner Umgebung. – Weimarer Schriften.<br />

64: 152 S. – Weimar.<br />

König, Peter (2005): Floren- und Landschaftswandel<br />

von Greifswald und Umgebung:<br />

629 S. – Jena.<br />

Kunick, Wolfram (1974): Veränderungen von<br />

Flora und Vegetation einer Großstadt, dargestellt<br />

am Beispiel von Berlin (West). –<br />

Dissertation TU Berlin.<br />

Lerch, Gerhard (1991): Pflanzenökologie:<br />

535 S. – Berlin.<br />

Müller, Werner (2001): Flora von Hildesheim.<br />

– Natur und Landschaft im Landkreis Hildesheim<br />

3: 366 S. – Hildesheim.<br />

Müller, Werner (2010): Neues zur Flora von<br />

Hildesheim. – Natur und Landschaft im<br />

Landkreis Hildesheim 6: 142 S. – Hildesheim.<br />

Nagler, Andreas; Cordes, Hermann (1993):<br />

Atlas der gefährdeten und seltenen Farnund<br />

Blütenpflanzen im Land Bremen. –<br />

Abhandlungen des Naturwissenschaftlichen<br />

Vereins Bremen 42/2: 161 – 580. – Bremen.<br />

Poppendieck, Hans-Helmut et al. (2010):<br />

Der Hamburger Pflanzenatlas von A bis Z:<br />

568 S. – München.<br />

Scholz, Hildemar (1956): Die Ruderalvegetation<br />

Berlins. – Dissertation Freie Universität<br />

Berlin.<br />

Sukopp, Herbert; Wittig, Rüdiger (1993):<br />

Stadtökologie: 402 S. – Stuttgart.<br />

Wittig, Rüdiger (1991): Ökologie der Großstadtflora:<br />

261 S. – Stuttgart.<br />

Abbildungen 2 – 8, 10, 12, 15:<br />

Geobasisdaten © Stadt Hildesheim<br />

Arbeit eingereicht: 23.08.2013<br />

Arbeit angenommen: 27.06.2014<br />

Anschrift des Verfassers:<br />

Werner Müller<br />

Ahornweg 12<br />

31199 Diekholzen<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


69<br />

Vergleichende Vegetationsuntersuchungen in<br />

einem Buchenwald und einem Hainbuchen-<br />

Niederwald bei Wittenburg, Stadt Elze<br />

(Landkreis Hildesheim)<br />

Max Peters<br />

Vergleichende Vegetationsuntersuchungen in<br />

Buchenwäldern bei Wittenburg<br />

Zusammenfassung<br />

Innerhalb eines nördlich von Wittenburg<br />

(bei Elze im Landkreis Hildesheim)<br />

gelegenen Waldstücks konnte eine klare<br />

Trennung zwischen Buchen-Hochwald<br />

und Hainbuchen-Niederwald ausgemacht<br />

werden. Folglich bot sich eine vergleichende<br />

Vegetationsuntersuchung an, die klären<br />

sollte, welche Pflanzen am Standort<br />

vorkommen und wie sich die Waldtypen<br />

unterscheiden. Über die Ermittlung der<br />

Zeigerwerte (Ellenberg 2001) wurde der<br />

Standort zudem charakterisiert.<br />

Insgesamt konnten 89 Pflanzenarten<br />

festgestellt werden. Elf dieser Pflanzen stehen<br />

auf der Roten Liste und Florenliste<br />

der Farn- und Blütenpflanzen in Niedersachsen<br />

und Bremen (Garve 2004). Der<br />

Vergleich der Ergebnisse der pflanzensoziologischen<br />

Aufnahmen zeigt, dass die<br />

zwei Waldtypen eine sehr unterschiedliche<br />

Struktur aufweisen. Der Niederwald ist um<br />

ein Drittel diverser und die Deckung der<br />

Krautschicht ist wesentlich höher. Zudem<br />

fanden sich zehn der elf geschützten Pflanzenarten<br />

im Niederwald. Aus den ermittelten<br />

Zeigerwerten ist zu schließen, dass<br />

der Boden des Niederwaldes mittelfeucht,<br />

schwach sauer bis schwach alkalisch und<br />

mineralstoffreich ist. Die relative Beleuchtung<br />

beträgt 10 – 20 %. Der Boden im Buchenwald<br />

hingegen ist etwas saurer und<br />

weniger mineralstoffreich. Die relative Beleuchtung<br />

liegt hier in dem für Schattenpflanzen<br />

typischen Bereich von 5 bis 10 %.<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


70 Max Peters<br />

Somit ist ein Einfluss der forstwirtschaftlichen<br />

Nutzung auf den Artenbestand<br />

und dessen Vielfalt festzustellen. Der<br />

Niederwald kann als ein sehr diverser und<br />

individueller Standort beschrieben werden.<br />

Eine fehlende Nutzung könnte zu einem<br />

Rückgang der Artenvielfalt führen,<br />

da die natürliche Sukzession den Zuwachs<br />

von Bäumen und damit einhergehend den<br />

Rückgang von Kräutern und Sträuchern<br />

bedingt. Daher sollte zum Erhalt der individuellen<br />

Biodiversität in verschiedenen<br />

Niederwäldern im Landkreis Hildesheim<br />

ein Konzept für die erneute Nutzung etabliert<br />

werden.<br />

Einleitung<br />

Wittenburg hat eine geschichtsträchtige<br />

Vergangenheit. Der Ort beherbergte<br />

eine Burg und ein Kloster, von dem noch<br />

die große Klosterkirche und einige Wirtschaftsgebäude<br />

erhalten sind. Damit erklärt<br />

sich die frühzeitige Nutzung des<br />

Waldes, da Niederwälder hauptsächlich in<br />

dicht besiedelten Gegenden entstanden, in<br />

denen es schon früh zu Holzmangel kam<br />

(Ellenberg et al. 1996).<br />

Bei der Niederwaldwirtschaft handelt es<br />

sich um eine traditionelle Form der Waldnutzung<br />

(Ellenberg et al. 1996). Dabei erfolgt<br />

die Verjüngung der Bäume nicht über<br />

Sämlinge, sondern über die Austriebe am<br />

Baumstumpf. Die Bäume werden wiederholt<br />

„auf den Stock gesetzt“, und aus dem<br />

Stumpf wachsen mehrere neue Sekundärstämme<br />

(Abb. 1). So wurden der Fortbestand<br />

des Waldes und gleichzeitig die Sicherung<br />

von Brennmaterial gewährleistet.<br />

Durch diese Bewirtschaftungsform werden<br />

Baumarten mit hohem Regenerationsvermögen<br />

wie Hainbuche, Linde, Ahorn,<br />

Esche und Hasel begünstigt. Eichen-,<br />

Ulmen- und Pappelarten sind hingegen<br />

weniger ausschlagsfreudig. Die geringste<br />

Regenerationsfähigkeit besitzt jedoch<br />

die Rotbuche. Daher wurde sie durch die<br />

weite Verbreitung der Niederwaldwirtschaft<br />

in den vergangenen Jahrhunderten<br />

immer mehr zurückgedrängt (Ellenberg et<br />

al. 1996).<br />

Die vorliegende Untersuchung fügt sich<br />

in eine Reihe weiterer Analysen von Niederwäldern<br />

im Landkreis Hildesheim ein<br />

(Hofmeister 2005, Geestmann 2010). Die<br />

Besonderheit bei der vorliegenden Arbeit<br />

besteht darin, dass direkt nebeneinander<br />

zwei unterschiedliche Waldtypen auftreten,<br />

ein Buchen-Hochwald und ein Hainbuchen-Niederwald.<br />

Abb. 1 Wuchsform von Hainbuchen im Niederwald<br />

bei Wittenburg. Ein früherer Kernwuchs<br />

befand sich in der Mitte der Sekundärtriebe.<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Vergleichende Vegetationsuntersuchungen in Buchenwäldern bei Wittenburg<br />

71<br />

Im Fokus steht daher der pflanzensoziologische<br />

Vergleich der zwei Waldtypen.<br />

Beide Waldtypen grenzen unmittelbar aneinander<br />

und sind nur durch einen kleinen<br />

Pfad voneinander getrennt. Es kann davon<br />

ausgegangen werden, dass in beiden<br />

Waldtypen identische oder sehr ähnliche<br />

Standortparameter in Bezug auf Sonneneinstrahlung,<br />

Temperatur, Niederschlag<br />

und die Bodenverhältnisse auftreten. Andererseits<br />

ist der Unterwuchs eines Waldes<br />

mehr oder minder vom Außenklima abgeschirmt<br />

(Ellenberg et al. 1996). Innerhalb<br />

des Waldes herrscht ein bestimmtes<br />

Bestandsklima. Daher sind Faktoren wie<br />

Lichtmangel, Wasserentzug, Luftfeuchtigkeit<br />

oder das durch die Kronenschicht<br />

tropfende Wasser von zentraler Bedeutung.<br />

Zusätzlich wird die Krautschicht<br />

wesentlich von der Bodenbeschaffenheit<br />

beeinflusst, die im Hinblick auf den geologischen<br />

Untergrund als nahezu gleich angesehen<br />

werden kann. Unterschiede in der<br />

Artenzusammensetzung der Krautschicht<br />

müssen daher letztendlich vor allem auf<br />

die jeweilige Waldbewirtschaftung zurückgeführt<br />

werden, da dieser Faktor zu veränderten<br />

biotischen wie abiotischen Verhältnissen<br />

führt.<br />

Material und Methoden<br />

Bei dem zu untersuchenden Standort<br />

handelt es sich um ein ca. 9 ha großes<br />

Waldstück, das ungefähr 200 m nördlich<br />

von Wittenburg gelegen und von Feldern<br />

und Wiesen umgeben ist (Abb. 2). Eine<br />

weitere Einordnung ist möglich, wenn die<br />

Abbildung mit der Übersichtskarte von<br />

Geestmann (2010) verglichen wird. Auch<br />

hier ist das Waldstück nördlich von Wittenburg<br />

und östlich von dem von Geestmann<br />

untersuchten Wald zu erkennen. Der<br />

Ort Wittenburg befindet sich im südlichen<br />

Niedersachsen und gehört zur Stadt Elze<br />

im Landkreis Hildesheim. Geographisch<br />

gesehen liegt der Wald zwischen dem Leinetal<br />

im Osten und dem Osterwald im<br />

Westen. Südlich befindet sich der Harz<br />

und von Wittenburg aus sind bei guter<br />

Sicht auch noch die nördlichsten Ausläufer<br />

des Mittelgebirges zu erkennen. Nördlich<br />

von Wittenburg erstreckt sich zwischen<br />

der Barenburg in Osterwald und der Marienburg<br />

ein Höhenzug namens Finie mit<br />

einer Höhe 110 bis 127 m üNN.<br />

Laut dem Landesamt für Bergbau,<br />

Energie und Geologie (LBEG), dem<br />

Geologischen Dienst für Niedersachsen,<br />

finden sich nördlich von Wittenburg Pararendzinen<br />

(Abb. 3). Pararendzinen weisen<br />

zwischen 2 und 70 % Kalk auf und entwickeln<br />

sich oft auf mineralstoffreichem<br />

Löss. Daher ist auf ihnen generell mit der<br />

Entwicklung anspruchsvollerer Buchenwälder<br />

zu rechnen. Ob sich diese einstellen,<br />

hängt von den regionalen Standortbedingungen<br />

ab. Sie variieren in ihrer<br />

Artenzusammensetzung, lassen sich aber<br />

zur Kalkbuchenwaldgruppe zusammenfassen<br />

(Pott 1993). Diese ist mit dem Waldmeister-Buchenwald<br />

verwandt, der durch<br />

seine Funktion als „Grundassoziation“ keine<br />

für ihn typische Charakterart aufweist.<br />

Der nach dem Bodentyp vermutete Buchenwald<br />

konnte festgestellt werden. Das<br />

untersuchte Waldstück unterteilt sich in<br />

einen etwas steileren Osthang und einen<br />

leichter abfallenden Westhang. Ein Waldweg<br />

verläuft auf dem Hügelkamm und<br />

markiert ungefähr die Grenze zwischen<br />

Ost- und Westseite. Auf dem Osthang<br />

wachsen hauptsächlich Rotbuchen (Fagus<br />

sylvatica), diese Fläche macht ca. ein<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


72 Max Peters<br />

Abb. 2 Übersichts- und Detailkarte des Waldstücks<br />

bei Wittenburg (Stadt Elze, Landkreis Hildesheim).<br />

A: Die westliche Hainbuchen-Niederwald-<br />

Seite; B: Die östliche Buchen-Hochwald-Seite<br />

Viertel des Waldes aus (Abb. 2: B). Dieser<br />

Teil wurde forstwirtschaftlich kaum genutzt,<br />

und es gibt keinen Niederwald. Der<br />

westliche Teil des Waldes hat ein anderes<br />

Erscheinungsbild. Hier wird der Standort<br />

durch jüngere Hainbuchentriebe (Carpinus<br />

betulus) geprägt, die durch die Niederwaldwirtschaft<br />

entstanden sind (Abb.<br />

2: A). Die Unterschiede in Struktur und<br />

Bewuchs zwischen dem Buchenwald und<br />

dem Hainbuchen-Niederwald sind in den<br />

Abbildungen 4 und 5 deutlich zu erkennen.<br />

Im Norden befindet sich ein ca. 300 m<br />

langer und 50 m bis 100 m breiter Ausläufer<br />

des Waldes. Dieses Stück wurde bei der<br />

Untersuchung jedoch nicht berücksichtigt,<br />

da große Störungen durch den Randzoneneffekt<br />

vorliegen (Marder 1983).<br />

Um die in den Waldstücken vorkommenden<br />

Pflanzenarten zu erfassen, wurden<br />

insgesamt dreißig Vegetationsaufnahmen<br />

durchgeführt. Hierbei wurde die pflanzensoziologische<br />

Methode nach Braun-<br />

Blanquet (1964) verwendet. Um sowohl<br />

die Frühjahrsgeophyten als auch die Arten<br />

im Sommer zu ermitteln, gab es zwei Untersuchungsintervalle.<br />

Zunächst wurden<br />

Aufnahmen an 15 Standorten im Zeitraum<br />

vom 11. bis 27. April 2010 durchgeführt.<br />

15 weitere Aufnahmen an denselben<br />

Standorten stammen aus dem Zeitraum<br />

vom 12. bis 25. Juli. Hierbei wurde die klare<br />

Gliederung des Waldes in Ost- und Westhang<br />

berücksichtigt und zehn Flächen auf<br />

der Niederwald-Seite sowie fünf Flächen<br />

auf der Hochwald-Seite analysiert.<br />

Bei den Vegetationsaufnahmen wurde<br />

eine Fläche von 10 × 10 m (100 m 2 ) untersucht<br />

und auf eine physiognomischstrukturelle<br />

Homogenität des Bestandes<br />

geachtet (Dierschke 1994). Es wurden<br />

die von Braun-Blanquet eingeführten<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Vergleichende Vegetationsuntersuchungen in Buchenwäldern bei Wittenburg<br />

73<br />

Pararendzina<br />

Pseudogley-<br />

Parabraunerde<br />

Braunerde<br />

Gley<br />

Wald<br />

Abb. 3 Die Bodentypen<br />

bei Wittenburg<br />

Deckungsgrade genutzt. Die für die Individuenzahl<br />

stehenden Deckungsgrade „+“<br />

und „r“, die in der Literatur unterschiedlich<br />

definiert sind, fanden folgende Anwendung:<br />

das „+“ steht für fünf oder mehr<br />

Individuen, aber einen Deckungsgrad von<br />

unter 1%. Das „r“ steht für weniger als fünf<br />

Individuen, die eine geringere Deckung als<br />

1 % aufweisen. Die weiteren Werte sind 1,<br />

2, 3, 4 und 5 und bezeichnen in dieser Reihenfolge<br />

weniger als 5 %, 5 bis 25 %, 25<br />

bis 50 %, 50 bis 75 % und mehr als 75 %<br />

Deckung. Die Gesamtdeckung wurde auf<br />

jeder Fläche bei der Aufnahme geschätzt<br />

und ebenfalls in Prozent angegeben. Die<br />

Bestimmung der Pflanzen erfolgte mit<br />

entsprechender Literatur im Feld (Rothmaler<br />

1999, Schmeil, Fitschen 2006, Aichele,<br />

Golte-Bechtle 2008). Moose wurden<br />

nicht erfasst. Alle identifizierten Pflanzenarten<br />

wurden anschließend tabellarisiert<br />

und mit ihrer Bedeckung und Standortzugehörigkeit<br />

angegeben (Tab. 1).<br />

Zum einen lassen sich direkt über die<br />

identifizierten Pflanzenarten und deren<br />

individuelles Vorkommen Schlussfolgerungen<br />

ziehen und zum anderen ist eine<br />

Analyse über Zeigerwerte möglich. Die<br />

von Ellenberg (2001) eingeführten Zeigerwerte<br />

beziehen sich auf die drei wichtigsten<br />

Klimafaktoren Licht, Wärme und<br />

Kontinentalität sowie die drei Bodenfaktoren<br />

Feuchtigkeit, Bodenreaktion und<br />

Stickstoffversorgung. Zusätzlich wird das<br />

Verhalten in Abhängigkeit vom Vorkommen<br />

von Salz oder Schwermetallen dargestellt.<br />

Aus entsprechenden Tabellen können<br />

die Werte für die einzelnen Pflanzen<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


74 Max Peters<br />

Abb. 4 Der Buchenwald bei Wittenburg<br />

Abb. 5 Der Niederwald bei Wittenburg<br />

entnommen und ein Standort ökologisch<br />

charakterisiert werden. In dieser Arbeit<br />

wurden die Zeigerwerte aller in Wittenburg<br />

gefundener Pflanzenarten für die<br />

Faktoren Licht, Feuchtigkeit, Bodenreaktion<br />

und Stickstoffversorgung ermittelt und<br />

für Hoch- und Niederwald dargestellt.<br />

Ergebnisse der pflanzensoziologischen Aufnahmen<br />

Es konnten insgesamt 89 verschiedene<br />

Pflanzenarten identifiziert werden. 66<br />

Arten wuchsen auf den 15 ausgewählten<br />

Untersuchungsflächen (Tab. 1), 23 weitere<br />

Pflanzenarten wurden außerhalb dieser<br />

Flächen identifiziert. Diese Arten wuchsen<br />

teilweise an Stellen, die durch ihre Heterogenität<br />

nicht für eine pflanzensoziologische<br />

Aufnahme geeignet waren. Dazu gehörten<br />

etwa Waldwege, kleine Lichtungen<br />

oder der Waldrand. Diese Pflanzenarten<br />

wurden deshalb nicht berücksichtigt.<br />

Durch die pflanzensoziologischen Aufnahmen<br />

konnte ermittelt werden, dass<br />

die Baumschicht auf der Westseite des<br />

Waldstücks wie bereits vermutet von der<br />

Hainbuche (Carpinus betulus) dominiert<br />

wird. Die Baumschicht erreicht eine Höhe<br />

von ca. 8 bis 15 m. An fünf Standorten<br />

kommen jeweils Exemplare der Traubeneiche<br />

(Quercus petraea) und des Feldahorns<br />

(Acer campestre) vor. Zwei Standorte zeigen<br />

auch das Vorkommen der Rotbuche (Fagus<br />

sylvatica). Zusätzlich wurden außerhalb<br />

der Untersuchungsflächen die Hänge-Birke<br />

(Betula pendula), die Süß-Kirsche<br />

(Prunus avium) und die Elsbeere (Sorbus<br />

torminalis) gefunden. Die Baumschicht besteht<br />

also insgesamt aus sieben Baumarten.<br />

Auf der Ostseite kommt hauptsächlich die<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Vergleichende Vegetationsuntersuchungen in Buchenwäldern bei Wittenburg<br />

75<br />

Abb. 6 Das Männliche Knabenkraut (Orchis<br />

mascula)<br />

Abb. 7 Die Waldschlüsselblume (Primula elatior)<br />

Rotbuche (Fagus sylvatica) vor. Die Höhe<br />

beträgt hier zwischen minimal ca. 15 m<br />

und maximal ca. 25 m. Außerdem kommen<br />

die Hainbuche (Carpinus betulus) auf<br />

drei Flächen und die Traubeneiche (Quercus<br />

petraea) an einem Standort vor, die Gesamtzahl<br />

an Baumarten beträgt drei.<br />

Die Strauchschicht auf der Niederwaldseite<br />

zeigt an vier Standorten Exemplare<br />

vom Feldahorn (Acer campestre), der Gewöhnlichen<br />

Esche (Fraxinus excelsior) und<br />

der Gewöhnlichen Mahonie (Mahonia<br />

aquifolium, Neophyt aus dem Westen der<br />

USA), sie ist vermutlich aus einem Garten<br />

eingewandert oder angepflanzt. Zwei weitere<br />

Standorte weisen den Schwarzen Holunder<br />

(Sambucus nigra) auf, und an einem<br />

anderen Standort kommt die Strauchform<br />

der Hainbuche (Carpinus betulus) vor. Insgesamt<br />

kommen in dem Hainbuchen-Niederwald<br />

fünf Straucharten vor, die eine<br />

Höhe von bis zu einem Meter erreichen.<br />

Die Strauchschicht im Buchenwald besteht<br />

aus Hasel (Corylus avellana), Brombeere<br />

(Rubus fruticosus agg.), Himbeere (Rubus<br />

idaeus), Schwarzem Holunder (Sambucus<br />

nigra) und Jungwuchs von Feldahorn (Acer<br />

campestre), Hainbuche (Carpinus betulus),<br />

Rotbuche (Fagus sylvatica) und Gewöhnlicher<br />

Esche (Fraxinus excelsior). Hierbei dominieren<br />

Brombeere, Gewöhnliche Esche<br />

und Hainbuche, die jeweils an vier von fünf<br />

untersuchten Standorten vorkommen. Die<br />

Gesamtzahl an Arten beträgt acht, und<br />

die Sträucher erreichen eine Höhe bis maximal<br />

1,50 m. Die Bedeckung beträgt im<br />

Mittel 15 %.<br />

Die Krautschicht im Niederwald besteht<br />

aus insgesamt 52 Arten. Deren Bedeckung<br />

beträgt im April durchschnittlich 65 % und<br />

im Juli 48,5 %. Die maximale Artenzahl in<br />

einer der untersuchten Fläche beträgt 24,<br />

und die minimale 16. Im Durchschnitt<br />

wurden bei jeder Vegetationsaufnahme<br />

18,4 Pflanzenarten gefunden. Das Gelbe<br />

Windröschen (Anemone ranunculoides)<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


76 Max Peters<br />

Tab. 1 Pflanzenarten der 15 Vegetationsaufnahmen. Untergruppen: a (rechte Spalte) Sträucher, die nur im Buchenwald vorkommen; b (rechte Spalte) Pflanzenarten,<br />

die an fast allen Standorten auf der Niederwaldseite vorkommen; c (rechte Spalte) Pflanzenarten, die sich oftmals ihren Standort mit dem Gelben Eisenhut<br />

(Aconitum lycoctonum) teilen; d (rechte Spalte) Arten die mehrmals mit dem Gold-Hahnenfuß (Ranunculus auricomus) auf einer Fläche wachsen; e (rechte Spalte)<br />

Arten, die mit hoher Stetigkeit nur auf der Buchenwaldseite wachsen; f (rechte Spalte) Pflanzen, die nahezu an allen Standorten in beiden Waldtypen vorkommen.<br />

Hainbuchen-Niederwald Buchen-Hochwald<br />

Standort<br />

9 10 6 5 4 7 8 2 3 1 14 15 12 13 11<br />

Jahreszeit - April - Juli A J A J A J A J A J A J A J A J A J A J A J A J A J A J A J<br />

Pflanze<br />

Acer campestre 1 1 1 1 2 2 1 1 1 2<br />

B. Carpinus betulus 3 4 3 4 3 5 4 5 3 3 3 3 3 4 3 4 3 4 3 4 1 1 3 3 1 2<br />

Fagus sylvatica 2 2 1 1 3 5 4 5 2 3 4 5 4 5<br />

Quercus petraea 2 2 2 2 1 2 1 1 2 2 1 1<br />

Carpinus betulus + 1 1 + 1 2 2 1 1<br />

Str. Fraxinus excelsior 1 1 2 2 2 3 1 1 2 3 + 1 1 1 1<br />

Rubus fruticosus agg. 1 1 + 2 2 3 1 2<br />

Fagus sylvatica 1 1 1 + +<br />

Corylus avellana 1 1<br />

Acer campestre 1 1 + + 1 1 r 1 + r<br />

Mahonia aquifolium + 1 1 1 r r 1 1<br />

Rubus idaeus 1 1<br />

Sambucus nigra + 1 + 1 + +<br />

Anemone ranunculoides 2 1 2 3 3 2 3 2 3 3 1 1<br />

Kr. Galium odoratum 1 2 1 2 1 2 2 2 2 2 2 3 2 3 + 1 + + +<br />

Anemone nemorosa 1 1 2 1 + + r 2 2 +<br />

Mercuralis perennis 1 1 2 2 2 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1<br />

Fraxinus excelsior + + 1 1 1 1 2 1 + 1 + r + 1<br />

Geum urbanum r r 1 + 1 1 + r + r r r<br />

Aconitum lycoctonum 1 1 2 2 3 3 1 2<br />

Primula elatior 1 1 + + r 1 1 +<br />

Lamium purpureum + r + r + r +<br />

Lamiastrum galeobdolon + + r + + + 1 + 1<br />

Acer platanoides + + + r<br />

Stellaria holostea 1 1 1 1 1<br />

Melica uniflora 1 + 1 + +<br />

Galium aparine 2 1 1 1<br />

Lilium martagon 1 1 1 1 1 1 r<br />

Arum maculatum + + + + + + r r<br />

Ranunculus auricomus + 1 + r +<br />

Hedera helix 1 1 1 1<br />

Veronica officinalis r r + r<br />

Aegopodium podagraria r r r r r<br />

Fragaria vesca + r r r<br />

Sorbus aucuparia r r r + + + +<br />

Campanula rapunculoides 1 + + +<br />

Sanicula europaea r r r r<br />

Fagus sylvatica + 1 1 2 + 2 2 2 2 1 2<br />

Untergruppe<br />

a<br />

b<br />

c<br />

d<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Vergleichende Vegetationsuntersuchungen in Buchenwäldern bei Wittenburg<br />

77<br />

Sanicula europaea r r r r<br />

Fagus sylvatica + 1 1 2 + 2 2 2 2 1 2<br />

Carpinus betulus r 1 1 1 1 + 1 1 1 1 1<br />

Rubus fruticosus agg . 1 2 1 1 + r +<br />

Impatiens parviflora 1 1 2 2<br />

Luzula luzuloides 1 1 1 +<br />

Acer campestre + 1 + + 1 + 1 + 1 + 1 + 1 1 2 2 r 1 r r r + +<br />

Viola reichenbachiana + + 1 + + 1 + + + + 1 1 1 + 1<br />

Glechoma hederacea + r r<br />

Hordelymus europaeus + +<br />

Ribes uva-crispa r<br />

Pulmonaria officinalis +<br />

Sambucus nigra + 1<br />

Circaea lutetiana +<br />

Crataegus laevigata +<br />

Mahonia aquifolium r<br />

Rhamnus cathartica 1<br />

Rumex sanguineus +<br />

Orchis mascula 1<br />

Ajuga reptans r<br />

Pulmonaria mollis r<br />

Ranunculus ficaria + +<br />

Geranium robertianum 1<br />

Ulmus glabra r r r r<br />

Vicia sativa r<br />

Alliaria petiolata 2 2<br />

Quercus petraea r r<br />

Carex sylvatica 1<br />

Convallaria majalis 1<br />

Corydalis cava r +<br />

Veronica hederifolia r<br />

Hieracium murorum +<br />

Poa chaixii r +<br />

Hypericum hirsutum r<br />

Poa nemoralis 1 1<br />

Dryopteris filix-mas +<br />

Luzula sylvatica r<br />

Corylus avellana + r<br />

Lonicera caprifolium r r<br />

Luzula multiflora +<br />

Rubus idaeus +<br />

Teucrium scorodonia +<br />

Urtica dioica 1<br />

Bedeckung der Kr. in % 55 50 60 55 80 65 80 50 65 40 75 60 65 55 45 35 65 35 60 30 20 35 20 30 25 35 20 25 15 25<br />

Gesamtanzahl der Arten 16 17 25 21 18 19 17 17 18 16 11 15 12 14 14<br />

Legende: B. = Baumschicht, Str. = Strauchschicht, Kr. = Krautschicht<br />

Bedeckungsgrad: 5 = 76 – 100 %; 4 = 51 – 75 %; 3 = 26 – 50 %; 2 = 6 – 25 %; 1 = 1 – 5 %; + = unter 1 %; r = rar (einmalig)<br />

e<br />

f<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


78 Max Peters<br />

und das Waldveilchen (Viola reichenbachiana)<br />

kamen an allen Standorten vor und<br />

haben somit eine Stetigkeit von 100 %.<br />

Feldahorn (Acer campestre), Buschwindröschen<br />

(Anemone nemorosa) und Waldmeister<br />

(Galium odoratum) zeigen eine Stetigkeit<br />

von 90 %. Die Gewöhnliche Esche (Fraxinus<br />

excelsior) und die Echte Nelkenwurz<br />

(Geum urbanum) sind auf 80 % der Flächen<br />

vertreten, und die Gewöhnliche Goldnessel<br />

(Lamium galeobdolon), das Einblütige<br />

Perlgras (Melica uniflora) und die Waldschlüsselblume<br />

(Primula elatior) kommen<br />

an fünf der zehn Standorte vor. Zwölf weitere<br />

Arten zeigen eine Stetigkeit von über<br />

30 %. Insgesamt hat die Krautschicht eine<br />

sehr heterogene Struktur, und jede Untersuchungsfläche<br />

unterscheidet sich von der<br />

anderen. Mit dem Gelben Eisenhut (Aconitum<br />

lycoctonum), der Türkenbundlilie<br />

(Lilium martagon), dem Männlichen Knabenkraut<br />

(Orchis mascula, Abb. 6) und der<br />

Waldschlüsselblume (Primula elatior, Abb.<br />

7) kommen auf der Westseite des Waldes<br />

vier nach Schmeil und Fitschen (2006) in<br />

Deutschland geschützte Arten vor. Nach<br />

der Roten Liste und Florenliste der Farnund<br />

Blütenpflanzen in Niedersachsen und<br />

Bremen (Garve 2004) gelten folgende sieben<br />

der im Niederwald bei Wittenburg<br />

vorkommenden Pflanzenarten als gefährdet:<br />

• Kategorie 1 – vom Aussterben bedroht:<br />

Männliches Knabenkraut (Orchis mascula)<br />

• Kategorie 3 – gefährdet:<br />

Türkenbundlilie (Lilium martagon),<br />

Waldschlüsselblume (Primula elatior),<br />

Gelber Eisenhut (Aconitum lycoctonum),<br />

Waldhabichtskraut (Hieracium murorum),<br />

Sanikel (Sanicula europaea)<br />

• Kategorie R – extrem selten:<br />

Waldgerste (Hordelymus europaeus)<br />

In der Krautschicht des Buchenwaldes<br />

wurden insgesamt 29 Pflanzenarten identifiziert.<br />

Die Bedeckung beträgt im April<br />

durchschnittlich 20 % und im Juli 30 %.<br />

Bei den Vegetationsaufnahmen wurden in<br />

den untersuchten Quadranten maximal 15<br />

und minimal 11 verschiedene Arten gefunden.<br />

Die Artenzahl pro untersuchter Fläche<br />

beträgt im Mittel 13,2. An allen fünf<br />

Standorten gab es Jungpflanzen der Brombeere<br />

(Rubus fruticosus agg.), der Hainbuche<br />

(Carpinus betulus), der Rotbuche (Fagus<br />

sylvatica) und des Feldahorns (Acer<br />

campestre), wobei die Rotbuche mit einer<br />

durchschnittlichen Bedeckung von 15 %<br />

dominierte. Weiterhin traten das Kleinblütige<br />

Springkraut (Impatiens parviflora,<br />

Neophyt aus Sibirien, ein aggressiver Eindringling)<br />

und die Weiße Hainsimse (Luzula<br />

luzuloides) an vier Untersuchungsflächen<br />

auf, womit eine Stetigkeit von 80 %<br />

besteht. Beim Waldveilchen (Viola reichenbachiana)<br />

konnte eine Stetigkeit von 60 %<br />

ermittelt werden. Die anderen Pflanzen der<br />

Krautschicht treten nur an ein oder zwei<br />

Standorten auf und haben zumeist eine<br />

Bedeckung zwischen 0,5 und 2,5 %. Das<br />

Behaarte Johanniskraut (Hypericum hirsutum)<br />

wurde in einer Vegetationsaufnahme<br />

erfasst. Es zählt nach der Roten Liste<br />

(Garve 2004) als gefährdete Pflanzenart in<br />

der Kategorie 3.<br />

Zusätzlich stehen von den Pflanzen, die<br />

zwar innerhalb des Niederwaldes, aber außerhalb<br />

der Vegetationsaufnahmen gefunden<br />

wurden, drei weitere auf der Roten<br />

Liste nach Garve (2004). Dazu gehören<br />

in der Kategorie 3 – gefährdet: Hartriegel<br />

(Cornus mas), Deutsche Hundszunge (Cynoglossum<br />

germanicum) und Ährige Teufelskralle<br />

(Phyteuma spicatum).<br />

Durch das Umstellen der Tabelle und das<br />

Zusammenführen von Pflanzen, die an den<br />

gleichen Standorten vorkommen, können<br />

mehrere Untergruppen herausgearbeitet<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Vergleichende Vegetationsuntersuchungen in Buchenwäldern bei Wittenburg<br />

79<br />

werden. Diese sind in der Tabelle 1 umrandet<br />

und der Übersicht halber farblich markiert<br />

(grün und blau). Es gibt eine Gruppe<br />

von Sträuchern, die nur im Buchenwald<br />

vorkommen a) (rechte Spalte). Innerhalb<br />

der Krautschicht sind folgende drei Pflanzengruppen<br />

auszumachen: Pflanzenarten,<br />

die an fast allen Standorten auf der Niederwaldseite<br />

vorkommen b) (rechte Spalte),<br />

Arten, die mit hoher Stetigkeit auf<br />

der Buchenwaldseite wachsen e) (rechte<br />

Spalte), und Pflanzen, die nahezu an allen<br />

Standorten innerhalb von beiden Waldtypen<br />

gedeihen f ) (rechte Spalte).<br />

Zusätzlich kann noch zwischen zwei<br />

Varianten von Untergruppen im Hainbuchen-Niederwald<br />

unterschieden werden<br />

(Tab. 2). Zum einen gibt es die Variante<br />

c) (rechte Spalte) mit Pflanzenarten, die<br />

sich oftmals ihren Standort mit dem Gelben<br />

Eisenhut (Aconitum lycoctonum) teilen.<br />

Die Variante d) (rechte Spalte) ist eine Untergruppe,<br />

bei der einige Arten häufig mit<br />

dem Gold-Hahnenfuß (Ranunculus auricomus)<br />

auf einer Fläche wachsen. Somit kann<br />

in dem untersuchten Niederwald die Eisenhut-<br />

und die Goldhahnenfuß-Variante<br />

unterschieden werden.<br />

Ergebnisse zu den Zeigerwerten<br />

Die Zeigerwerte aller Pflanzenarten<br />

wurden gleich gewertet, und anschließend<br />

die qualitativen Mittelwerte für Licht-,<br />

Feuchtigkeits-, Reaktions- und Stickstoffzahl<br />

gebildet. Es konnten auch die Bäume<br />

mit eingerechnet werden, da alle Baumarten<br />

auch als juvenile Pflanzen in der<br />

Strauchschicht vorkamen. Theoretisch darf<br />

man die Zeigerwerte nicht mitteln, weil<br />

es sich um Ordinalzahlen handelt. Dieses<br />

Verfahren ist aber üblich, damit Anhaltspunkte<br />

über den Standort ermittelt werden<br />

können (Geestmann 2010).<br />

Tab. 2<br />

Gemittelte Zeigerwerte der Untergruppen c und d<br />

Eisenhut-<br />

Variante<br />

Goldhahnenfuß-<br />

Variante<br />

gemittelte Zeigerwerte<br />

L F R N L F R N<br />

4,9 6,6 6,3 6,8 5,3 4,9 6,3 5,5<br />

Durchschnittswerte der Arten im<br />

Buchenwald:<br />

Lichtzahl:<br />

4,4 (26) – Halbschattenpflanzen, selten<br />

volles Licht, aber mehr als 10 % r. B.<br />

(relative Beleuchtung)<br />

Feuchtezahl:<br />

5,0 (24) – Frischezeiger, mittelfeuchter<br />

Boden, nie nass oder austrocknend<br />

Reaktionszahl<br />

6,0 (19) – zwischen mäßig sauer und<br />

schwach sauer bzw. schwach alkalisch<br />

Stickstoffzahl:<br />

5,7 (24) – zwischen mäßig und viel<br />

Stickstoff, zu mäßig tendierend<br />

Im Hainbuchen-Niederwald zeigte sich<br />

folgendes:<br />

Lichtzahl:<br />

4,7 (47) – Halbschattenpflanzen, selten<br />

volles Licht, aber mehr als 10 % r. B.<br />

Feuchtezahl:<br />

5,3 (40) – Frischezeiger, mittelfeuchter<br />

Boden, nie nass oder austrocknend<br />

Reaktionszahl:<br />

6,8 (36) – Basenzeiger, schwach<br />

alkalisch, nie auf sauren Böden<br />

Stickstoffzahl:<br />

6,3 (40) – zwischen mäßig und viel<br />

Stickstoff, zu viel tendierend<br />

In Klammern steht jeweils die Anzahl<br />

der dem Mittelwert zugrunde liegenden<br />

Pflanzenarten.<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


80 Max Peters<br />

Insgesamt wird der Buchenwald also als<br />

halbschattiger Ort beschrieben, in dem die<br />

Pflanzen nie im vollen Licht stehen, aber<br />

mindestens 10 % relative Beleuchtung bekommen.<br />

Der Boden ist mittelfeucht und<br />

trocknet nicht aus und wird nicht übermäßig<br />

nass, wobei er an der Schwelle zwischen<br />

mäßig sauer und schwach sauer<br />

steht. Die Stickstoffverfügbarkeit ist eher<br />

mäßig. Der Hainbuchenwald ist genau wie<br />

der Buchenwald ein halbschattiger Standort,<br />

hat aber etwas frischeren Boden. Darüber<br />

hinaus wird ein kalkreicherer Boden<br />

mit größerem Stickstoffvorkommen verzeichnet.<br />

Bei einem zweiten Auswertungsverfahren<br />

wurden nur Zeigerwerte mit einberechnet,<br />

bei denen die dazugehörige Pflanze<br />

an mindestens 40 % der untersuchten<br />

Flächen im jeweiligen Waldtyp vorkommt,<br />

um den dominanteren Arten eine höhere<br />

und Einzelvorkommen eine geringere Gewichtung<br />

zukommen zu lassen.<br />

Für die Buchenwaldseite ergeben sich die<br />

Mittelwerte:<br />

Lichtzahl:<br />

3,7 (11) – Schattenpflanze, meist weniger<br />

als 5 % r. B., auch an helleren Orten<br />

Feuchtezahl:<br />

5,0 (9) – Frischezeiger, mittelfeuchter<br />

Boden, nie nass oder austrocknend<br />

Reaktionszahl:<br />

6,0 (8) – zwischen mäßig sauer und<br />

schwach sauer bzw. schwach alkalisch<br />

Stickstoffzahl:<br />

5,7 (9) – zwischen mäßig und viel<br />

Stickstoff, zu mäßig tendierend<br />

Der Hainbuchen-Niederwald zeigt<br />

folgende Daten:<br />

Lichtzahl:<br />

4,2 (16) – Halbschattenpflanzen, selten<br />

volles Licht, aber mehr als 10 % r. B.<br />

Feuchtezahl:<br />

5,2 (13) – Frischezeiger, mittelfeuchter<br />

Boden, nie nass oder austrocknend<br />

Reaktionszahl:<br />

6,7 (15) – Basenzeiger, schwach<br />

alkalisch, nie auf sauren Böden<br />

Stickstoffzahl:<br />

6,3 (14) – zwischen mäßig und viel<br />

Stickstoff, zu viel tendierend<br />

In Klammern steht jeweils die Anzahl<br />

der dem Mittelwert zugrunde liegenden<br />

Pflanzenarten.<br />

Unter diesen Aspekten ist der Buchenwald<br />

als schattiger Ort zu bezeichnen, in<br />

dem aber durchaus Pflanzen wachsen, die<br />

mehr Licht vertragen können. Die anderen<br />

Werte haben sich, verglichen mit der ersten<br />

Analyse, nicht verändert.<br />

Der Hainbuchen-Niederwald zeigt einen<br />

etwas niedrigeren Wert für die Lichtzahl,<br />

wird aber immer noch als halbschattiger<br />

Standort geführt. Auch hier sind die<br />

weiteren Werte gegenüber der ersten Analyse<br />

nahezu identisch.<br />

Diskussion der pflanzensoziologischen Aufnahmen und<br />

Zeigerwerte<br />

Bei den pflanzensoziologischen Aufnahmen<br />

konnten insgesamt 66 Arten identifiziert<br />

werden, 23 weitere Arten wurden<br />

außerhalb der untersuchten Flächen gefunden.<br />

Diese Artenvielfalt scheint sehr hoch<br />

zu sein, obwohl der Wald nicht besonders<br />

groß ist und auch weitgehend durch umgebende<br />

Felder isoliert wird. Von den insgesamt<br />

nachgewiesenen 89 Arten stehen<br />

elf auf der Roten Liste der Farn- und Blütenpflanzen<br />

in Niedersachsen und Bremen<br />

(Garve 2004). Die geschützten Arten<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Vergleichende Vegetationsuntersuchungen in Buchenwäldern bei Wittenburg<br />

81<br />

machen somit einen Anteil von 12,4 % der<br />

Flora des Waldes aus. Sie konnten in einigen<br />

Fällen sogar in erstaunlich hohen Individuenzahlen<br />

beobachtet werden.<br />

Die Vermutung liegt nahe, dass diese<br />

hohe Diversität und das häufige Vorkommen<br />

schützenswerter Arten auf die Struktur<br />

des Niederwaldes zurückzuführen ist.<br />

Einige Arten sind sogar an Niederwälder<br />

gebunden, und durch die entsprechende<br />

Bewirtschaftung wurde ihre Existenz<br />

erst ermöglicht (Pott 1996). Das durch die<br />

forstwirtschaftliche Nutzung hervorgerufene<br />

Bestandsklima innerhalb des Niederwaldes<br />

mit mehr Licht und Nährstoffen<br />

sorgt für einen grundlegenden Unterschied<br />

zu dem angrenzenden Hochwald, was wiederum<br />

das erhöhte Artenvorkommen bedingt.<br />

Als Konsequenz können innerhalb<br />

von Niederwäldern die gesamten Holzarten<br />

und viele Arten der Krautvegetation<br />

durch andere ersetzt werden. So gingen<br />

alle Eichen-Hainbuchen-Niederwälder in<br />

den nördlichen und nord-östlichen Mittelgebirgen<br />

aus degradierten Buchenwäldern<br />

hervor (Pott 1996). Dieser Umstand<br />

erklärt, dass auch viele Arten einer typischen<br />

Buchenwaldgesellschaft mit hoher<br />

Deckung und Stetigkeit im Niederwald<br />

gefunden werden konnten. Dazu gehören<br />

beispielsweise der Waldmeister (Galium<br />

odoratum), das Buschwindröschen (Anemone<br />

nemorosa) und das Gelbe Windröschen<br />

(Anemone ranunculoides).<br />

Eine Betrachtung der Zeigerwerte ergibt,<br />

dass der Niederwald geringfügig<br />

feuchter ist, aber auch mehr Kalk und<br />

Stickstoff aufweist. Die höhere Nährstoffverfügbarkeit<br />

im Niederwald könnte durch<br />

dessen schnellere Umsetzungsrate innerhalb<br />

der Krautschicht begründet sein. Andererseits<br />

besteht die Möglichkeit, dass das<br />

erhöhte Mineralstoffvorkommen durch die<br />

weniger mächtigen Hainbuchen verursacht<br />

worden ist, die im Schnitt 10 m kleiner als<br />

die Buchen auf dem Osthang sind. Zusätzlich<br />

ist die Lichtzahl im Niederwald höher,<br />

was als ein besonders wichtiger Grund für<br />

das Vorkommen seltener und buchenwalduntypischer<br />

Arten gesehen werden kann.<br />

An vier Standorten im Niederwald wachsen<br />

Pflanzenarten, die typischerweise auf<br />

Lichtungen vorkommen.<br />

Des Weiteren sind zwei verschiedene<br />

Varianten des Hainbuchen-Niederwaldes<br />

ausgemacht worden. Daraus könnte abgeleitet<br />

werden, dass es verschiedene Differentialarten<br />

gibt, die sich innerhalb des<br />

Niederwaldes auf verschiedene Standorte<br />

aufteilen. Zum einen gibt es die Goldhahnenfuß-Variante<br />

(c), zum anderen tritt<br />

die Eisenhut-Variante (d) auf. Vergleicht<br />

man die Zeigerwerte, wird deutlich, dass<br />

die Goldhahnenfuß-Variante auf lichteren,<br />

aber stickstoffärmeren Standorten vorkommt<br />

(Tab. 2). Insgesamt verteilt sich die<br />

Vegetation mosaikartig im Wald, wie es inzwischen<br />

für die meisten Waldstandorte<br />

angenommen wird (Remmert 1985).<br />

Vergleich der beiden Waldtypen<br />

Bei dem Vergleich der zwei Standorte<br />

fällt unmittelbar auf, dass im Hainbuchen-Niederwald<br />

eine höhere Artenvielfalt<br />

herrscht. Insgesamt konnten auf der<br />

Buchenwaldseite 38 Pflanzenarten ermittelt<br />

werden, wenn man die Arten innerhalb<br />

und außerhalb der pflanzensoziologischen<br />

Aufnahmeflächen mitzählt. Der Hainbuchen-Niederwald<br />

hingegen weist 62 Arten<br />

innerhalb und außerhalb der untersuchten<br />

Flächen auf. Der Buchenwald hat somit<br />

eine um ca. ein Drittel geringere Diversität<br />

an Blütenpflanzen. Besonders deutlich<br />

wird dieser Unterschied in der Baumschicht.<br />

Im Niederwald konnten sieben<br />

verschiedene Baumarten identifiziert werden,<br />

im Buchenwald nur drei. Dies liegt<br />

vor allem daran, dass die Rotbuche (Fagus<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


82 Max Peters<br />

sylvatica) in der Lage ist, ihr Kronendach<br />

extrem dicht zu schließen und somit Konkurrenten<br />

ausdunkeln kann. Einige Flächen<br />

im Buchenwald stechen zwar mit<br />

einem überdurchschnittlich hohen Artenvorkommen<br />

hervor, aber dennoch ist auch<br />

die geringste Artenanzahl pro Aufnahme<br />

im Niederwald höher als die höchste Artenzahl<br />

einer solchen Fläche im Buchenwald.<br />

In der Krautschicht des Niederwaldes<br />

ist festzustellen, dass die Bedeckung im<br />

Schnitt 65 % im April und 48,5 % im Juli<br />

beträgt und somit deutlich höher als die<br />

des Buchenwaldes ist. Dieser hat im April<br />

eine Bedeckung von durchschnittlich 20 %,<br />

und im Juli beträgt sie 30 %. Ein Standortvorteil<br />

für Frühjahrsgeophyten im Niederwald<br />

wird also offensichtlich (vgl. Abb. 4<br />

und 5 und Geestmann 2010).<br />

Ein weiterer wichtiger Punkt sind die<br />

vielen schützenswerten Arten. Von den<br />

insgesamt elf Arten, die in Wittenburg<br />

wachsen und auf der Roten Liste der Farnund<br />

Blütenpflanzen in Niedersachsen und<br />

Bremen (Garve 2004) stehen, kommen<br />

zehn auf der Niederwaldseite vor. Nur eine<br />

Art davon wächst im Buchenwald. Diese<br />

Tatsache zeigt deutlich, dass ein wesentlicher<br />

Unterschied besteht und im Niederwald<br />

Pflanzen wachsen können, denen<br />

dies an anderen Stellen nicht möglich ist.<br />

Unter Berücksichtigung von Kriterien wie<br />

Naturschutz und Erhalt der Biodiversität<br />

handelt es sich bei dem Niederwald um<br />

den ökologisch wertvolleren Bestand. Es<br />

gibt zehnmal mehr geschützte Arten und<br />

insgesamt 24 weitere Pflanzen im Niederwald,<br />

die nicht auf der Buchenwaldseite<br />

vorkommen.<br />

Vergleich des untersuchten Niederwaldes<br />

mit anderen Niederwäldern<br />

Beim Vergleich mit anderen Unter-<br />

suchungen von Niederwäldern im Landkreis<br />

Hildesheim zeigt sich zunächst, dass<br />

alle untersuchten Niederwälder eine hohe<br />

Diversität an Pflanzenarten aufweisen und<br />

auch verschiedene in Niedersachsen geschützte<br />

Pflanzen nachgewiesen werden<br />

konnten (Hofmeister 2004, Geestmann<br />

2010).<br />

Dabei ist aber zu beachten, dass jeder<br />

Niederwald einen individuellen Charakter<br />

durch unterschiedliche Zusammensetzung<br />

der Pflanzenarten aufweist. Obwohl<br />

die beiden Niederwaldstücke bei Wittenburg<br />

nur etwa 300 m voneinander entfernt<br />

liegen, haben sich unterschiedliche Pflanzengemeinschaften<br />

gebildet (vgl. Geestmann<br />

2010). Die Niederwälder bei Harsum<br />

nördlich von Hildesheim liegen ca. 20<br />

km entfernt. Auch hier zeigt sich ein individueller<br />

Wald mit gefährdeten Arten,<br />

die nicht in den Wäldern um Wittenburg<br />

nachgewiesen werden konnten.<br />

Insgesamt beträgt die Anzahl schützenwerter<br />

Pflanzen innerhalb der untersuchten<br />

Niederwälder im Raum Hildesheim 23<br />

Arten (Tab. 3). Hierbei wurden jedoch nur<br />

zwei kleine Bereiche untersucht, und es<br />

liegt nahe, dass weitere Standortanalysen<br />

eine steigende Zahl an Pflanzen der Roten<br />

Liste hervorbringen werden.<br />

Zukunftsperspektiven<br />

Im Hainbuchen-Niederwald bei Wittenburg<br />

besteht z. Z. keine Niederwaldwirtschaft.<br />

Er wird lediglich soweit forstwirtschaftlich<br />

betreut, dass Sturmschäden<br />

beseitigt werden. Aber gerade ein regelmäßiges<br />

„Auf-den-Stock-setzen“ bedingt<br />

die hohe Diversität und den höheren Deckungsgrad<br />

des Waldbodens mit Kräutern.<br />

Wenn kein Holzschlag erfolgt, wandelt<br />

sich der Hainbuchen-Niederwald in einen<br />

Buchenwald, da die Buche die konkurrenzstärkere<br />

Art ist (Ellenberg et al.1996).<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Vergleichende Vegetationsuntersuchungen in Buchenwäldern bei Wittenburg<br />

83<br />

Tab. 3 Die Pflanzen der Roten Liste innerhalb der verschiedenen Niederwälder im Landkreis Hildesheim<br />

Kategorie<br />

Wald 1 bei Wittenburg<br />

(diese Arbeit)<br />

1 Männliches Knabenkraut<br />

(Orchis mascula)<br />

Wald 2 bei Wittenburg<br />

(Geestmann 2010)<br />

Männliches Knabenkraut<br />

(Orchis mascula)<br />

Wälder um Harsum<br />

(Hofmeister 2005)<br />

2 Feld-Rose<br />

(Rosa arvensis)<br />

Kleiner Goldstern<br />

(Gagea minima)<br />

3 Türkenbund-Lilie<br />

(Lilium martagon)<br />

Schlüsselblume<br />

(Primula elatior)<br />

Deutsche Hundszunge<br />

(Cynoglossum germanicum)<br />

Wald-Habichtskraut<br />

(Hieracium murorum)<br />

Sanikel<br />

(Sanicula europaea)<br />

Behaartes Johanniskraut<br />

(Hypericum hirsutum)<br />

Hartriegel (Cornus mas)<br />

Gelber Eisenhut<br />

(Aconitum lycoctonum)<br />

Ährige Teufelskralle<br />

(Phyteuma spicatum)<br />

Türkenbund-Lilie<br />

(Lilium martagon)<br />

Schlüsselblume<br />

(Primula elatior)<br />

Deutsche Hundszunge<br />

(Cynoglossum germanicum)<br />

Wilder Birnenbaum<br />

(Pyrus pyraster)<br />

Wunder-Veilchen<br />

(Viola mirabilis)<br />

Gewöhnliche Akelei<br />

(Aquilegia vulgaris)<br />

Flatter-Ulme<br />

(Ulmus laevis)<br />

Breitblättrige Glockenblume<br />

(Campanula latifolia)<br />

Schneidiger Goldstern<br />

(Gagea spathacea)<br />

Fuchs-Knabenkraut<br />

(Dactylorhiza fuchsii)<br />

Bach-Nelkenwurz<br />

(Geum rivale)<br />

Sumpf-Dotterblume<br />

(Caltha palustris)<br />

R<br />

Waldgerste<br />

(Hordelymus europaeus)<br />

Waldgerste<br />

(Hordelymus europaeus)<br />

Raues Veilchen (Viola hirta)<br />

Legende: 1 = vom Aussterben bedroht, 2 = stark gefährdet, 3 – gefährdet, R – extrem selten<br />

Durch die Kopplung ihrer Existenz an<br />

die Standortbedingungen in einem Niederwald<br />

würden dann viele Pflanzenarten<br />

zwangläufig aus dem Wald verschwinden.<br />

Für das Waldstück bei Wittenburg<br />

könnte das den Rückgang von geschützten<br />

Arten wie dem Gelben Eisenhut<br />

(Aconitum lycoctonum), der Türkenbundlilie<br />

(Lilium martagon), dem Männlichen<br />

Knabenkraut (Orchis mascula) oder der<br />

Waldschlüsselblume (Primula elatior) zur<br />

Folge haben. Alle diese Arten sind nicht<br />

im Buchenwald vorhanden, da sie das höhere<br />

Lichtangebot im Niederwald benötigen.<br />

Wie es auch schon Geestmann (2010)<br />

vorschlägt, sollte überlegt werden, ob die<br />

Niederwaldnutzung als Pflegemaßnahme<br />

für den Wald fortgesetzt werden kann.<br />

Da für Brennholz und Holzkohle keine<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


84 Max Peters<br />

ausreichende Nachfrage besteht, das Holz<br />

aber als nachwachsender Rohstoff zum<br />

Heizen genutzt werden könnte, wäre beispielsweise<br />

eine Produktion von Holzpellets<br />

für Heizungen möglich. Dazu eine<br />

Beispielrechnung:<br />

Eine Studie über einen 8,84 ha großen<br />

Niederwald bei Schiltach im Schwarzwald<br />

hat ergeben, dass das Volumen der<br />

dort wachsenden Bäume 2201 Erntefestmeter<br />

(Efm) und umgerechnet 5 723<br />

Schüttraummeter (Srm) beträgt (Suchomel<br />

& Konold 2008). Der aus den Srm-<br />

Mengen berechnete Gesamtheizwert ergibt<br />

5 382 926 kWh, was einer Menge von<br />

538 293 l Heizöl entspricht. Pro Jahr muss<br />

eine Fläche von 0,5 ha geschlagen werden,<br />

damit das typische Niederwald-Freiflächenklima<br />

entsteht und die typische Waldform<br />

erhalten bleibt (Suchomel & Konold<br />

2008). Bei einer Gesamtgröße des Waldes<br />

von knapp 9 ha und einer Wachstumszeit<br />

der Neuaustriebe von ca. 20 Jahren könnte<br />

jedes Jahr die Mindestfläche von 0,5 ha<br />

geschlagen werden. Das Volumen des jährlich<br />

geschlagenen Holzes würde in etwa<br />

318 Srm betragen und somit dem Heizwert<br />

von 299 052 kWh und einer Menge<br />

von 29 905 l Heizöl entsprechen. Der<br />

angenommene durchschnittliche Heizölverbrauch<br />

in Deutschland beträgt 15,4<br />

Liter Heizöl pro Quadratmeter und Jahr,<br />

wenn neben dem Heizen auch die Warmwasserbereitung<br />

mit Heizöl erfolgt (www.<br />

energiesparen-im-haushalt.de). Bei einer<br />

durchschnittlichen Wohnfläche von 120<br />

m 2 ergibt das 1 848 l Heizöl pro Haushalt.<br />

Folglich könnten 16,2 Haushalte mit dem<br />

im Schiltacher Niederwald gewonnenen<br />

Heizmaterial versorgt werden. Angenommen,<br />

die Holzmenge des Niederwaldes bei<br />

Wittenburg wäre identisch zu der in dem<br />

Niederwald bei Schiltach, dann könnten<br />

bei einer Niederwaldfläche von ca. 6,75 ha<br />

alle zwei Jahre 0,5 ha geschlagen werden.<br />

So hätten die geschlagenen Triebe genug<br />

Zeit um nachzuwachsen, und die Niederwaldstruktur<br />

bliebe erhalten. Gleichzeitig<br />

könnten 8,1 Haushalte mit einer Wohnfläche<br />

von 120 m 2 für ein Jahr mit Heizmaterial<br />

versorgt werden.<br />

Dieses Beispiel zeigt, dass Niederwaldwirtschaft<br />

eine interessante Alternative<br />

zum Heizöl darstellen kann, und unter<br />

Berücksichtigung der derzeitigen Diskussion<br />

zur Energiewende bekommt die aufgezeigte<br />

Alternative eine noch größere Bedeutung.<br />

Dazu wäre allerdings die Aufstellung<br />

eines regionalen Nutzungsplans für viele<br />

verschiedene Wälder, Wiesen und Weiden<br />

nötig, der beispielsweise auch die von<br />

Hofmeister (2005) und Geestmann (2010)<br />

untersuchten Wälder mit einschließt. So<br />

könnten zum einen die seltenen Pflanzen<br />

in Niederwäldern erhalten und zum anderen<br />

eine umweltfreundlichere Energiegewinnung<br />

ermöglicht werden. Da dies aber<br />

umfangreiche Investitionen in neue Heizanlagen,<br />

die lokale/regionale Herstellung<br />

von Holzpellets sowie die Koordination<br />

und Zusammenarbeit vieler verschiedener<br />

Träger, Kreise und Gemeinden erfordert,<br />

stellt sich eine praktische Umsetzung als<br />

außerordentlich komplex dar. Einen Versuch<br />

ist es aber wert!<br />

Schluss<br />

Die Untersuchung hat gezeigt, dass der<br />

Niederwald bei Wittenburg ein sehr diverser<br />

Standort mit einer hohen Anzahl<br />

an schützenswerten Pflanzenarten ist. Die<br />

Existenz vieler Pflanzen hängt vom Weiterbestand<br />

dieses lichten und nährstoffreichen<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Vergleichende Vegetationsuntersuchungen in Buchenwäldern bei Wittenburg<br />

85<br />

Waldtyps ab. Leider ist zu befürchten, dass<br />

viele an den Niederwald gebundene Arten<br />

verschwinden werden, weil die Niederwaldwirtschaft<br />

nicht mehr rentabel<br />

ist und nicht mehr praktiziert wird. Eine<br />

Rückumwandlung in den ursprünglichen<br />

Hochwald ist zu erwarten. Um hier einen<br />

wirkungsvollen Naturschutz zu betreiben,<br />

müssten Maßnahmen und Ideen entwickelt<br />

werden, die eine Nutzung von Niederwäldern<br />

wieder rentabel machen. Eine<br />

Produktion von Heizmaterial wie etwa<br />

Holzpellets oder Materialgewinnung für<br />

Biogasanlagen könnte für eine Renaissance<br />

der Niederwaldwirtschaft sorgen. Daher<br />

sollten diese Ideen auf ihre Durchführbarkeit<br />

geprüft werden. Insgesamt besteht die<br />

Möglichkeit, die kulturhistorische Bedeutung<br />

der Niederwälder mit Energiegewinnung<br />

zu verbinden und gleichzeitig einen<br />

Beitrag zum Naturschutz zu leisten.<br />

Ein Vergleich mit anderen Niederwäldern<br />

weist auf den individuellen Charakter<br />

jedes Waldes hin. Für einen effektiven Naturschutz<br />

bedeutet es, dass es nicht ausreicht,<br />

nur einen einzigen Standort zu<br />

schützen. Ein mögliches Konzept für<br />

die erneute Nutzung von Niederwäldern<br />

müsste daher nicht lokal, sondern regional<br />

angelegt werden.<br />

Dank<br />

Diese Arbeit ging aus einer Bachelorarbeit<br />

am Institut für Geobotanik der Leibniz<br />

Universität Hannover aus dem Jahr<br />

2010 hervor. Ich danke Prof. Dr. Hansjörg<br />

Küster, der mir das Thema zur Verfügung<br />

gestellt und mich nach Wittenburg begleitet<br />

hat. Dank gilt auch Dr. Albert Melber,<br />

der die Arbeit als Zweitprüfer begleitete<br />

sowie Dr. Ansgar Hoppe und Stephanie<br />

Müller für die Hilfe bei der Bestimmung<br />

von Pflanzenarten.<br />

Literaturverzeichnis:<br />

Aichele, Dietmar; Golte-Bechtle, Marianne<br />

(2008): Was blüht denn da?; Stuttgart.<br />

Braun-Blanquet, Josias (1964): Pflanzensoziologie.<br />

Grundzüge der Vegetationskunde;<br />

Berlin.<br />

Dierschke, Hartmut (1994): Pflanzensoziologie;<br />

Stuttgart.<br />

Ellenberg, Heinz ; Weber, Heinrich; Düll,<br />

Ruprecht; Wirth, Volkmar; Werner, Willy;<br />

Paulißen, Dirk (1996): Vegetation Mitteleuropas<br />

mit den Alpen; Stuttgart.<br />

Ellenberg, Heinz (2001): Zeigerwerte von<br />

Pflanzen in Mitteleuropa; Göttingen.<br />

Garve, Eckhard (2004): Rote Liste und Florenliste<br />

der Farn- und Blütenpflanzen in<br />

Niedersachsen und Bremen, 5. Fassung vom<br />

01.03.2004; Hannover.<br />

Geestmann, Ingo (2010): Vegetation eines<br />

Hainbuchen-Niederwaldes bei Wittenburg.<br />

– <strong>Naturhistorica</strong> – Berichte der<br />

Naturhistorischen Gesellschaft Hannover,<br />

152: 45 – 62; Hannover.<br />

Härdtle, Werner; Ewald, Jörg; Hölzel, Norbert<br />

(2004): Wälder des Tieflandes und der<br />

Mittelgebirge; Stuttgart.<br />

Hofmeister, Heinrich (2004): Lebensraum<br />

Wald; Remagen-Oberwinter.<br />

Hofmeister, Heinrich (2005): Natur und Landschaft<br />

im Landkreis Hildesheim. Hildesheimer<br />

und Kalenberger Börde. Mitteilungen<br />

der Paul-Feindt-Stiftung, 5: 147 – 152;<br />

Verlag Gebrüder Gerstenberg, Hildesheim.<br />

Mader, Hans-Joachim (1983): Größe von<br />

Schutzgebieten unter Berücksichtigung des<br />

Isolationseffektes; Schriftenreihe des Deutschen<br />

Rates für Landespflege 41: 83 – 85;<br />

Bonn.<br />

Pott, Richard (1993): Farbatlas Waldlandschaften;<br />

Stuttgart.<br />

Pott, Richard (1996): Biotoptypen; Stuttgart.<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


86<br />

Remmert, Hermann (1985): Was geschieht im<br />

Klimax-Stadium? Naturwissenschaften 72:<br />

505 – 512; Berlin, Heidelberg.<br />

Rothmaler, Werner (1999): Exkursionsflora<br />

von Deutschland. Band 2, Gefäßpflanzen:<br />

Grundband; Berlin.<br />

Schmeil, Otto; Fitschen, Jost (2006): Flora von<br />

Deutschland und angrenzender Länder. 93.<br />

Aufl.; Quelle & Meyer Verlag GmbH & Co;<br />

Wiebelsheim.<br />

Suchomel, Christian; Konold, Werner (2008):<br />

Niederwald als Energiequelle – Chancen<br />

und Grenzen aus Sicht des Naturschutzes.<br />

Berichte der Naturforschenden Gesellschaft<br />

98: 61 – 120; Freiburg.<br />

Internetquellen:<br />

Bildquellen:<br />

Abbildungen 1, 4, 5, 6, 7: Max Peters<br />

Abbildung 2: http://maps.google.de/maps,<br />

verändert<br />

Abbildung 3: http://www.lbeg.niedersachsen.<br />

de, verändert<br />

Arbeit eingereicht: 26.07.2013<br />

Arbeit angenommen: 29.08.2014<br />

Anschrift des Verfassers:<br />

Max Peters<br />

Reuterstraße 26<br />

53115 Bonn<br />

E-Mail: peters@naturschutzgeschichte.de<br />

www. energiesparen-im-haushalt.de:<br />

http://www.energiesparen-im-haushalt.de/<br />

energie/bauen-und-modernisieren/modernisierung-haus/heizung-modernisieren/heizungsanlage-erneuern/oelheizung-erneuern/<br />

heizoelverbrauch-durchschnitt.html,<br />

Zugriff am 17.06.2013<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


87<br />

Ceratiten zweier Teilsammlungen des<br />

Landesmuseums Hannover<br />

Bewertung und Abgleich der Arterfassungen sowie<br />

stratigrafischer Hintergrund<br />

Patrick Strauch<br />

Zusammenfassung<br />

In der vorliegenden Arbeit werden Ceratiten<br />

der Schausammlung des Landesmuseums<br />

Hannover mit denen der Otto-Klages-Sammlung,<br />

beide aus den Schichten<br />

des germanischen Oberen Muschelkalk,<br />

verglichen, anhand der vorhandenen Bestimmungsmerkmale<br />

neu bestimmt und<br />

ggf. bereits vorhandene Ergebnisse verifiziert<br />

oder revidiert. Zu Beginn stehen eine<br />

Einführung in den Stamm der Weichtiere<br />

(Mollusca) und ein Überblick über Ammoniten<br />

mit den wichtigsten Kriterien zur<br />

Unterscheidung von Goniatiten, Ceratiten<br />

und den „echten“ Ammoniten. Außerdem<br />

wird auf die Systematik und Phylogenie<br />

der Ammonoideen eingegangen. Es folgt<br />

eine Beschreibung des Hauptfundortes<br />

der meisten Stücke und eine Faziesbeschreibung<br />

der allgemeinen Stratigrafie der<br />

Trias und des germanischen Oberen Muschelkalk.<br />

Nach einer kurzen Übersicht der<br />

Entwicklung der Ceratiten des Germanischen<br />

Beckens folgen die wichtigsten Daten<br />

über die Klages-Sammlung. Letztlich<br />

konnte die Bestimmung aller Exemplare<br />

bis auf eine Ausnahme durchgeführt und<br />

verifiziert werden.<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


88 Patrick Strauch<br />

Einleitung – Mollusca, Cephalopoda, Ammonoidea<br />

Mollusca<br />

Die Ceratitida gehören neben den Goniatitida<br />

und den Ammonitida zur Unterklasse<br />

der Ammonoidea und zur Klasse der<br />

Kopffüßer (Cephalopoda) und sind daher<br />

in den Stamm der Weichtiere (Mollusca)<br />

einzuordnen. Weitere Vertreter der Weichtiere<br />

neben den Cephalopoden sind u. a.<br />

Schnecken (Gastropoda) und Muscheln<br />

(Lamellibranchiata). Weichtiere sind höhere<br />

protostome Vielzeller, deren Körperform<br />

durch die Anpassung an sehr unterschiedliche<br />

Lebensräume bestimmt wird.<br />

Das hat eine entsprechende Vielfalt zur<br />

Folge (Ziegler 1983). Die ältesten Vertreter<br />

der Weichtiere stammen aus der Zeit<br />

des Unterkambrium (vor ca. 590 – 545<br />

Millionen Jahren). Die grundsätzlichen<br />

Baupläne für viele der rezenten Arten entstanden<br />

bereits im Oberkambrium (vor ca.<br />

520 – 500 Millionen Jahren) und Unterordovizium<br />

(vor ca. 500 – 480 Millionen<br />

Jahren) (Ziegler 2008). Trotz der starken<br />

Differenzierung der verschiedenen Arten<br />

liegt allen Mollusken ein gemeinsamer<br />

Bauplan zu Grunde (Clarkson 1998).<br />

Das bedeutsamste gemeinsame Merkmal<br />

ist die Umgestaltung der Ventralseite oder<br />

Abb. 1 Grundbauplan der Mollusken am Beispiel<br />

einer Gehäuseschnecke (Zeichnung P. Strauch).<br />

auch nur von Teilen derselben zu einem<br />

Kriechorgan, das als Fuß dient und durch<br />

seine Plastizität unterschiedliche Fortbewegungsweisen<br />

zulässt. Bei Schnecken ist<br />

dieser Fuß als breite und flache Kriechsohle<br />

ausgebildet (Abb. 1).<br />

Sowohl rezent als auch fossil stellen die<br />

Weichtiere einen großen Anteil am gesamten<br />

Formenbestand dar (Ziegler 1983).<br />

Mit einer geschätzten Zahl von annähernd<br />

180 000 heute lebender Arten sind Weichtiere<br />

der formenreichste Tierstamm nach<br />

den Arthropoden (Keupp 2000).<br />

Cephalopoda<br />

Die Cephalopoden sind eine seit dem<br />

oberen Kambrium bekannte, hochentwickelte<br />

Klasse der Weichtiere, bei denen<br />

Kopf und Fuß zu einem einheitlichen<br />

Kopffuß verwachsen sind (altgriechisch:<br />

kephale = Kopf, podós = Fuß). Im Kambrium,<br />

als das Leben überwiegend von benthischen<br />

Lebensformen geprägt war, folgten<br />

die Schnecken dem traditionellen Weg,<br />

deren Entwicklung an der allseits bekannten<br />

Schnecke zu beobachten ist, während<br />

die Cephalopoden einen anderen Weg<br />

beschritten. Die freie Wassersäule, insbesondere<br />

im pelagischen Bereich der Meere,<br />

war zu dieser Zeit ein noch weitgehend<br />

freier und konkurrenzarmer Lebensraum,<br />

der den Cephalopoden die Möglichkeit<br />

bot, sich weltweit auszubreiten und die<br />

unterschiedlichsten Nischen zu besiedeln<br />

(Keupp 2000). Die heute lebenden Cephalopoden<br />

sind die am höchsten entwickelte<br />

Ordnung der Mollusken. Eine ursprüngliche<br />

Gruppe der Cephalopoden trug ein<br />

gekammertes, äußeres Gehäuse aus Aragonit<br />

(CaCO 3<br />

), das, wie bei den frühen Ammonoideen,<br />

den Orthoceraten, stabförmig<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Ceratiten zweier Teilsammlungen des Landesmuseums Hannover<br />

89<br />

Abb. 2 Orthoceraten<br />

(stabförmiges Gehäuse) und<br />

Ammoniten (spiralig aufgerolltes<br />

Gehäuse) im Vergleich<br />

(Zeichnung P. Strauch)<br />

oder wie bei den weiter entwickelten Ammonoideen,<br />

spiralig aufgerollt sein kann<br />

(Ziegler 1983) (Abb. 2).<br />

Ammonoidea<br />

Das Gehäuse der Ammonoideen kann<br />

in zwei Abschnitte unterteilt werden, in<br />

die große Wohnkammer, in der der Weichkörper<br />

durch Muskeln befestigt ist, und in<br />

das Phragmokon, dessen kleinere Kammern<br />

durch den Sipho, einen Weichkörperstrang,<br />

miteinander verbunden sind<br />

(Abb. 3). Wie beim rezenten Nautilus wird<br />

das Phragmokon durch Gas-Wasser-Austausch<br />

in den Kammern durch den Sipho<br />

als Auftriebsorgan genutzt (Ziegler 1983).<br />

Die einzelnen Kammern des Phragmokons<br />

werden durch die sog. Septen bzw.<br />

Kammerscheidewände klar voneinander<br />

getrennt (Abb. 3). Bei den frühen Nautiloideen<br />

sind diese Septen relativ geradlinig,<br />

bei den Ammonoideen jedoch deutlich gefältelt<br />

(Ziegler 2008). Die Schale besteht<br />

überwiegend aus aragonitischen Kalkplättchen<br />

(Keupp 2000).<br />

Anhand der Lobenlinien, die durch das<br />

Anwachsen der Septen an die Schaleninnenwand<br />

entstehen, kann die Unterklasse<br />

der Ammonoideen in mehrere Ordnungen<br />

unterteilt werden. Je nach Zähnelung<br />

und Zerschlitzung der Sättel und Loben<br />

auf den Lobenlinien können Goniatiten,<br />

Ceratiten und Ammoniten voneinander<br />

Abb. 3 Aufbau der Gehäuse des Nautilus (links)<br />

und der Ammonoideen (rechts): Bei Nautilus<br />

befindet sich der Sipho mittig des Gehäuses und<br />

ist von den Septen und Kammern umgeben, bei<br />

den Ammonoideen befindet sich der Sipho an der<br />

Außenseite. Septen und Kammern sind in Richtung<br />

der Innenseite des Gehäuses orientiert (Zeichnung<br />

P. Strauch)<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


90 Patrick Strauch<br />

Abb. 4 Die Form der Lobenlinien bei goniatitischen<br />

(a), ceratitischen (b) und ammonitischen (c)<br />

Ammonoideen. Die Zähnelung nimmt im evolutionären<br />

Verlauf zu. Die Pfeile weisen in Richtung der<br />

Gehäusemündung (Zeichnung P. Strauch).<br />

unterschieden werden (Abb. 4). Sättel sind<br />

die Teile der Lobenlinien, die zur Gehäusemündung<br />

vorgewölbt sind, während<br />

Loben in die entgegengesetzte Richtung<br />

weisen. Die Goniatiten hatten ganzrandige<br />

und wenig komplexe Lobenlinien und<br />

kamen vom Devon bis ins Perm vor. Ceratiten<br />

haben Lobenlinien mit gezähnelten<br />

Loben und in der Regel ganzrandigen<br />

Sätteln und traten ausschließlich in<br />

der Trias auf. Die eigentlichen Ammoniten<br />

sensu stricto weisen deutlich komplexere<br />

und stark zerschlitzte Loben und Sättel<br />

auf und waren ausgesprochen erfolgreiche<br />

Meeresbewohner im Jura und in der Kreide<br />

(Ziegler 1983). Die zunehmend komplexere<br />

Ausbildung der Septen hatte wahrscheinlich<br />

eine Erhöhung der Stabilität des<br />

Gehäuses zur Folge (Keupp 2000).<br />

Die Anfangskammer endet mit dem<br />

Proseptum, dessen Anwachslinie an die<br />

Gehäuseschale als Prosutur bezeichnet<br />

wird. Sie unterscheidet sich von allen darauf<br />

folgenden Suturen (Lobenlinien).<br />

Die nächste Sutur bzw. Lobenlinie heißt<br />

Primärsutur. Bei den primitiven Ammonoideen<br />

hat diese beiderseits drei Loben:<br />

den Externlobus (E), den Laterallobus (L)<br />

Abb. 5 Beschriftung der Loben und Sättel am Beispiel<br />

einer goniatitischen Sutur. Die Pfeile weisen<br />

in Richtung der Gehäusemündung.<br />

a: Von links nach rechts zu sehen sind der Externlobus<br />

(E), der Laterallobus (L) und der Internlobus<br />

(I); b: Zeigt die Einschaltung von Adventivloben<br />

(A) und Umbilikalloben (U) (verändert nach Ziegler<br />

2008, Zeichnung P. Strauch).<br />

Abb. 6 Schema der Lobenlinien bei Ceratites:<br />

Ausgehend von links nach rechts beginnt die Lobenlinie<br />

mit dem Externlobus (E), geteilt vom Mediansattel<br />

(m). Darauf folgen der Externsattel (e),<br />

der Laterallobus (L) und die Umbilikalloben (U 1 – 5<br />

),<br />

immer wieder getrennt von den Lateralsätteln<br />

(l). An der Innenseite der Windung befindet<br />

sich der Internlobus (I). Die Pfeile weisen in<br />

Richtung der Gehäusemündung (verändert nach<br />

Wenger 1957, Zeichnung P. Strauch)<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Ceratiten zweier Teilsammlungen des Landesmuseums Hannover<br />

91<br />

und den Internlobus (I) (Ziegler 2008).<br />

Bei den meisten Ammonoideen wird mit<br />

dem Wachstum des Gehäuses, d. h. mit<br />

zunehmender Länge der Septalränder, die<br />

Zahl der Loben durch Einfaltung der Sättel<br />

vermehrt. Loben, die beim Wachstum<br />

zwischen dem Lateral- und dem Externlobus<br />

eingeschaltet werden, heißen Adventivloben<br />

(A). Wenn Loben zwischen<br />

dem Intern- und Laterallobus entstehen,<br />

heißen sie Umbilikalloben (U). Die<br />

zeitliche Reihenfolge der Adventiv- und<br />

Systematik<br />

• Stamm: Mollusca<br />

• Klasse: Cephalopoda<br />

• Unterklasse: Ammonoidea<br />

• Ordnung: Goniatitida<br />

Ceratitida<br />

Ammonitida<br />

(Clarkson 1999)<br />

Umbilikalloben wird durch Ziffern angegeben<br />

(Abb. 5, 6) (Ziegler 1983).<br />

Die Ontogenie der Lobenlinien ist ein<br />

wichtiges Merkmal zur Bestimmung der<br />

Ammonoideen sowie zur Erforschung ihrer<br />

Stammesgeschichte. Da sie Strukturen<br />

auf der Innenseite des Gehäuses sind, kann<br />

man sie nur auf Steinkernen beobachten.<br />

Für die Biostratigraphie sind die Ammonoideen<br />

vom Mitteldevon bis zu ihrem<br />

Aussterben in der Oberkreide hervorragende<br />

Leitfossilien (Ziegler 2008).<br />

Phylogenie<br />

Insgesamt sind über 2000 Ammonoideen-Gattungen<br />

beschrieben, wovon aber<br />

nur eine geringe Formenfülle im Paläozoikum<br />

auftrat. Die primitivste Gruppe der<br />

Ammonoideen – abgesehen von den Bactriten<br />

– sind die auf das Devon beschränkten<br />

Anarcestida, von denen sich im Oberen<br />

Abb. 7 Stammesgeschichte der Ammonoideen<br />

und die Verbreitung ihrer Hauptgruppen. Die<br />

gestrichelten Blasen an den Hauptgruppen verdeutlichen<br />

den Zeitraum und die Intensität der<br />

Ausbreitung. Goniatitida: Devon bis Perm, Ceratitina:<br />

Oberes Perm und Trias, Ammonitina: Jura und<br />

Kreide (verändert nach Ziegler 2008, Zeichnung<br />

P. Strauch).<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


92 Patrick Strauch<br />

Devon eine Unterordnung, die Goniatitina,<br />

ableitet (Ziegler 1982). In beiden Gruppen<br />

sind ähnliche, fast gerade Suturen und ein<br />

knollenförmiger Protoconch, der bei der<br />

Ordnung Anarcestida durch einen perforierten<br />

Nabel gekennzeichnet ist, zu beobachten.<br />

Bei dieser Art entwickelten sich<br />

fortschrittlichere Merkmale, wie das Eindrehen<br />

des Gehäuses und eine erhöhte<br />

Wellung der Suturen, was letztlich zu dem<br />

goniatitischen Zustand führte. Mit etwa<br />

70 Gattungen stellten die Goniatitina die<br />

höchste Anzahl der Ammonoideen im Paläozoikum<br />

dar. Diese paläozoischen Gruppen<br />

lebten vom Devon bis zum Perm. Beim<br />

Massensterben am Ende des Perm war<br />

es nur wenigen Arten der Ordnung Prolecanitida<br />

möglich zu überleben. Aus diesen<br />

entwickelte sich in der Trias die Ordnung<br />

Ceratitida, der mehrere Überfamilien<br />

angehörten. Diese sind landläufig als „Ceratiten“<br />

bekannt (Clarkson 1999). Obwohl<br />

es hierbei um eine kurzlebige, sich nur auf<br />

die Trias beschränkte Gruppe handelt,<br />

brachte sie eine große Formenfülle hervor<br />

(Ziegler 1983). Bei dieser tritt dann die in<br />

Abb. 4b dargestellte ceratitische Sutur auf<br />

und die Skulptur des Gehäuses wird bei einigen<br />

Gruppen zunehmend komplexer.<br />

Ebenfalls in der frühen Trias spaltete<br />

sich die Ordnung der Ammonitida ab,<br />

deren weitere Entwicklungsstadien die<br />

Grundlage aller Ammonoideen nach der<br />

Trias bildeten (Clarkson 1998) (Abb. 7).<br />

Die genaue Herkunft der Ammoniten sensu<br />

stricto, die im Jura und in der Kreide eine<br />

hohe Diversität aufwiesen, ist noch nicht<br />

ganz geklärt, wird aber meist bei den Lytoceratina<br />

in der Oberen Trias vermutet<br />

(Ziegler 1983).<br />

Geologischer Rahmen<br />

Der Lebensraum der Ceratiten aus dem<br />

Germanischen Becken ist an die landschaftsbildenden<br />

Ereignisse der Trias gekoppelt,<br />

einem Erdzeitalter, das vor 250<br />

Millionen Jahren begann und bis vor ungefähr<br />

205 Millionen Jahren andauerte. Die<br />

Trias umfasst somit eine Zeitspanne von<br />

ca. 45 Millionen Jahren und ist die älteste<br />

Einheit des Mesozoikum. In der Trias<br />

waren die Kontinente zum Superkontinent<br />

Pangäa (Abb. 8) zusammengeschlossen<br />

(Stanley 1989).<br />

Durch die besondere, kompakte Anordnung<br />

von Land- und Wassermassen<br />

herrschte ein Klima mit hohen Verdunstungsraten,<br />

das sowohl für den westlichen<br />

Teil der Tethys als auch den zentralen<br />

Teil der Pangäa nachgewiesen werden<br />

kann (Abb. 8). Durch Passatwinde wurde<br />

dem Superkontinent viel Feuchtigkeit<br />

entzogen. Das hatte in der Unteren Trias<br />

ein semiarides bis arides Klima zur Folge,<br />

das erst in der Oberen Trias zunehmend<br />

humider wurde (Faupl 2000). Mit der besonderen<br />

Verteilung der Land- und Wassermassen<br />

entstanden zwei entscheidende<br />

Ablagerungsräume. Zum einen die ozeanischen<br />

Bereiche der Tethys, aus denen sich<br />

die alpinen Trias-Ablagerungen gebildet<br />

haben, und zum anderen die kontinentalen<br />

Bereiche, aus denen die germanischen<br />

Trias-Ablagerungen hervorgegangen sind<br />

(Faupl 2000). Die alpinen Trias-Ablagerungen<br />

unterscheiden sich von den Trias-<br />

Ablagerungen des Germanischen Beckens,<br />

die in Deutschland, Frankreich, Spanien,<br />

in der betischen Kordillere (Andalusisches<br />

Faltengebirge), Polen und zum Teil auch in<br />

Marokko vorzufinden sind (Faupl 2000).<br />

Durch das Zusammenwirken von Sedimentanlieferung,<br />

Subsidenz des Abla gerungsraumes<br />

und Meeresspiegelschwan-<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Ceratiten zweier Teilsammlungen des Landesmuseums Hannover<br />

93<br />

Abb. 8 Verteilung der Landmassen<br />

während der Trias (Zeichnung P. Strauch).<br />

kungen auf den nördlichen Schelfgebieten<br />

der Tethys kam es zur Ablagerung der<br />

Sedimente der Germanischen Trias. Dabei<br />

stieß das Meer in verschiedenen Etappen<br />

von Südosten her durch das südliche<br />

Polen in das sog. Germanische Becken<br />

vor (Stanley 1989). Die Germanische Trias<br />

lässt sich in die für sie charakteristische<br />

stratigrafische Dreigliederung unterteilen:<br />

Buntsandstein, Muschelkalk und Keuper<br />

(Faupl 2000). Während der Unteren Trias<br />

bildeten sich große Mengen terrestrischer<br />

Sedimente. Das änderte sich erst in<br />

der Mittleren Trias, als das Meer große<br />

Teile Mittel- und Nordeuropas überflutete<br />

(Stanley 1989). Im Buntsandstein wurde<br />

Sedimentmaterial in Form von fluviolakustrischen<br />

Sandsteinen, Tonsteinen und<br />

Konglomeraten unter semiariden Klimabedingungen<br />

überwiegend von Süden her<br />

angeliefert, das eine rote Gesteinsfarbe aufweist.<br />

Der Buntsandstein erreichte Mächtigkeiten<br />

von 500 m in der Hessischen Furche<br />

und bis zu 1 000 m in der Baltischen<br />

Furche (Faupl 2000). In der Mittleren Trias<br />

überflutete das Meer große Teile Mittelund<br />

Nordeuropas (Stanley 1989). Dabei<br />

gelangte der Muschelkalk während Meeresspiegelhochständen<br />

(Transgressionen)<br />

über die Oberschlesische und Ostkarpatische<br />

Pforte zur Ablagerung. Dieser ist<br />

dünnschichtig und führt zahlreiche Muschel-<br />

und Brachiopodenlagen, deshalb erhielt<br />

er die Bezeichnung Muschelkalk. Zur<br />

Zeit des Mittleren Muschelkalk wurde die<br />

östliche Verbindung zur Tethys geschlossen.<br />

In der Folge bildeten sich Evaporite,<br />

die heute als „Salinarfolge“ bekannt sind.<br />

Danach folgte während des Oberen Muschelkalk<br />

wiederum eine Transgression, in<br />

der Wasser aus Südwesten durch die burgundische<br />

Pforte in das Gebiet vordrang.<br />

Der Muschelkalk erreichte eine Mächtigkeit<br />

von bis zu 500 m (Faupl 2000). Beim<br />

Übergang vom Muschelkalk zum Keuper<br />

kam es aufgrund eines Absenkens des<br />

Meeresspiegels (Regression) zu einer Verringerung<br />

des marinen Einflusses im mitteleuropäischen<br />

Bereich (Stanley 1989).<br />

Die Ablagerungen des Keuper bestehen<br />

wieder vermehrt aus terrigenem Material,<br />

das von Norden und Nordosten her angeliefert<br />

wurde.<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


94 Patrick Strauch<br />

Abb. 9 Profilschnitt durch den Elm von WSW nach<br />

NNE (Quelle: Kartenserver des Niedersächsischen<br />

Bodeninformationssystems [NIBIS])<br />

(Zeichnung P. Strauch).<br />

Der Elm<br />

Der Elm ist ein bis zu 326 m üNN bewaldeter<br />

Höhenzug inmitten einer fruchtbaren<br />

Lößlandschaft zwischen Harz und<br />

Flechtinger Höhenzug und liegt etwa<br />

20 km südöstlich von Braunschweig. Er<br />

besteht zum größten Teil aus den Muschelkalken<br />

der Unteren Trias. Vom Liegenden<br />

zum Hangenden finden sich der<br />

Untere Muschelkalk mit einer Mächtigkeit<br />

von ungefähr 15 m, der Mittlere Muschelkalk<br />

mit einer Mächtigkeit von ungefähr<br />

25 m und der Obere Muschelkalk,<br />

der eine Mächtigkeit von 30 m aufweist.<br />

Am Rand des Elm, und damit in den topografisch<br />

niedriger gelegenen Regionen,<br />

liegt der Obere Muschelkalk aufgeschlossen<br />

vor. Im Zentrum des Elm findet man<br />

den Unteren Muschelkalk und vereinzelt<br />

in Vertiefungen Röt (Oberer Buntsandstein)<br />

aufgeschlossen (Abb. 9). Im Unteren<br />

Muschelkalk finden sich heute mehrere<br />

aufgegebene Steinbrüche. Viele Jahre<br />

dienten diese Steinbrüche zum Abbau des<br />

Muschelkalk, der als Naturwerkstein zum<br />

Bau von Kirchen und Profanbauten genutzt<br />

wurde. Bis in die Neunziger Jahre<br />

des letzten Jahrhunderts wurden zudem<br />

beispielsweise im Steinbruch Hemkerode<br />

jeden Tag bis zu 1 300 Tonnen Gestein gebrochen<br />

und per Seilbahn zum Elm-Kalkwerk<br />

in Hemkerode transportiert, in dem<br />

es zu Branntkalk, Düngekalk und Kalk für<br />

die Bauindustrie verarbeitet wurde. Gesteine,<br />

die einen geringeren Kalkgehalt aufwiesen,<br />

wurden in der Zementherstellung<br />

verwendet. So belief sich die Jahresproduktion<br />

des Elm-Kalkwerks insgesamt auf<br />

etwa 75 000 Tonnen Dünge- und Baukalk<br />

und ungefähr 100 000 Tonnen Portland-<br />

Zement. Neben dem Nutzen für die Bauindustrie<br />

ist der Elm aufgrund seiner Vielfalt<br />

an Fossilien auch für die Paläontologie<br />

von großer Bedeutung (Abb. 10).<br />

Im Unteren Muschelkalk von Hemkerode<br />

am Elm finden sich Brachiopoden (Coenothyris<br />

vulgaris), Muscheln (Gervilleia<br />

socialis), Schnecken (Loxonema fritschi, Undularia<br />

scalata) und Vermes (Spirorbis valata,<br />

Serpula sp.). Im Oberen Muschelkalk<br />

finden sich u. a. Schnecken, Kahnfüßer,<br />

Muscheln, Brachiopoden, Knospenstrahler,<br />

Seeigel und Kopffüßer, zu denen auch<br />

die in dieser Arbeit behandelten Exemplare<br />

gehören (Krüger 1999).<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Ceratiten zweier Teilsammlungen des Landesmuseums Hannover<br />

95<br />

Legende<br />

Abb. 10 Geologische Karte der Elm-Region, Quelle: Wikipedia.<br />

Die Ceratiten<br />

Zur Großgruppe der Ceratiten zählen<br />

sowohl die Ceratiten des Oberen Muschelkalk<br />

als auch die Ceratiten aus den<br />

Sedimenten der alpinen Trias. Die Ceratiten<br />

des Oberen Muschelkalk können<br />

mit Recht eine Sonderstellung unter den<br />

Ammonitengattungen beanspruchen, da<br />

sie sich in ihrem Habitus von allen anderen<br />

unterscheiden (Riedel 1916). Die ersten<br />

Einwanderungen von Ammonoideen<br />

in das Germanische Becken erfolgten<br />

zur Zeit des Oberen Buntsandstein mit<br />

der Meeresverbindung zur Tethys über die<br />

Ostkarpaten-Pforte. So ist die Gattung<br />

Beneckeia in nahezu dem gesamten Unteren<br />

Muschelkalk bis in die Schaumkalkbänke<br />

im ganzen Germanischen Becken<br />

vertreten. Während des Unteren Muschelkalk<br />

folgten noch viele weitere Zuwanderungen<br />

von zahlreichen Cephalopoden-<br />

Gattungen, die meisten Arten sind jedoch<br />

nur in der Pfortennähe vorzufinden, das<br />

könnte auf starke Salinitätsschwankungen<br />

zurückzuführen sein. Lediglich die Gattungen<br />

Beneckeia und Germanonautilus<br />

konnten sich erfolgreich über das gesamte<br />

Becken ausbreiten, da sie wohl deutlich<br />

unempfindlicher gegenüber den wechselnden<br />

Salzgehaltskonzentrationen waren. Im<br />

Mittleren Muschelkalk, als der Wasseraustausch<br />

mit dem offenen Ozean stark eingeschränkt<br />

war, dampfte ein Großteil des<br />

Meerwassers im Germanischen Becken<br />

ein, in dessen Folge sich an den Randbereichen<br />

des Beckens Gips und im Beckeninneren<br />

mächtige Steinsalzlager bildeten.<br />

Dadurch herrschten in dem stark übersalzenen<br />

Germanischen Becken lebensfeindliche<br />

Bedingungen. Mit der neuen Meeresverbindung<br />

des Germanischen Beckens<br />

zur Tethys über die Burgundische Pforte<br />

folgte zu einem späteren Zeitpunkt jedoch<br />

eine Neubesiedlung aus dieser Richtung.<br />

Verschiedene Arten der Gattung<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


96 Patrick Strauch<br />

Germanonautilus und später auch Ceratites<br />

atavus atavus, die Stammart der Ceratiten,<br />

konnten sich daher im Germanischen<br />

Becken ausbreiten. Daher stellen die Ceratiten<br />

die wichtigsten Fossilien zur Untergliederung<br />

des germanischen Oberen<br />

Muschelkalk dar. Ceratites entwickelte sich<br />

zu einer auf das Germanische Becken beschränkten<br />

Gattung, deren zahlreiche Arten<br />

sich im gesamten Oberen Muschelkalk<br />

ausbreiteten. Ausgehend von Ceratites atavus<br />

atavus entwickelten sich kleine Arten<br />

mit Gabelrippen auf der Wohnkammer (C.<br />

pulcher, C. robustus). In der weiteren Entwicklung<br />

der Ceratiten verschwanden die<br />

Gabelrippen allmählich und es blieben nur<br />

Arten, die sich durch glatte oder bedornte<br />

Einfachrippen auszeichneten (z. B. C. compressus).<br />

Die Entwicklung ging weiter über<br />

Arten mit simplen Einfachrippen auf der<br />

Wohnkammer (z. B C. evolutus) bis hin zu<br />

solchen mit spitzen Randdornen (z. B. C.<br />

spinosus). Die Durchschnittsgröße nahm<br />

dabei ausgehend von Ceratites atavus atavus<br />

bis hin zu Ceratites spinosus allmählich<br />

von 7 auf über 25 cm zu. Aufgrund einer<br />

danach folgenden Größenabnahme wird<br />

von einer Verbrackung des Muschelkalkmeeres<br />

ausgegangen, wodurch es zu einem<br />

Vorstoß von brackwasserbewohnenden<br />

Tieren und der Verdrängung der Ceratiten<br />

im Muschelkalkmeer kam. Aus Ceratites<br />

enodis und C. laevigatus entwickelten<br />

sich dann wieder Arten mit Einfachrippen<br />

bis hin zu Arten mit kräftig ausgebildeten<br />

Wulstrippen (C. nodosus). Diesen folgten<br />

– am Ende der Entwicklung der Ceratiten<br />

– große, scheibenförmige Arten mit<br />

schwach ausgeprägten Rippen (C. dorsoplanus,<br />

C. semipartitus; Urlichs 1999). Im Verlauf<br />

des zweiten Entwicklungszyklus nahm<br />

der Enddurchmesser allmählich von etwa<br />

15 auf über 40 cm zu. Über den Zeitraum<br />

von 4 Millionen Jahren konnte sich Ceratites<br />

im Oberen Muschelkalk mit etwa 40<br />

Arten im nahezu gleichbleibenden Milieu<br />

entwickeln.<br />

Die Otto-Klages-Sammlung<br />

„Meine Steine sind mein Leben. Jahrmillionen<br />

sind in ihnen eingeschlossen.<br />

Und dann der beglückende Augenblick:<br />

Dieses Leben im Kern der versteinerten<br />

Kruste als erster wiederzusehen! Können<br />

Sie das verstehen?“ Diese Worte sprach<br />

Otto Klages über seine Sammlung, die der<br />

königsluttersche Kaufmann in lebenslanger<br />

Arbeit zusammengesucht, getauscht<br />

und teilweise gekauft hatte. Sie zählt zu<br />

einer der schönsten geologischen Privatsammlungen<br />

Deutschlands und umfasst<br />

insgesamt über zwanzigtausend Fossilien,<br />

Steine und Minerale, die z. T. aus seiner<br />

heimatlichen Umgebung um Königslutter,<br />

aus Europa aber auch aus der ganzen Welt<br />

stammen. Zusammen mit Fachleuten hat<br />

Otto Klages viele Stücke aus seiner Sammlung<br />

bestimmt und beschrieben. Neben<br />

seiner Tätigkeit als Sammler wollte er die<br />

Wunder, die sich ihm täglich offenbarten,<br />

anderen vermitteln. Die Bevölkerung, insbesondere<br />

die Jugend und angehende Wissenschaftler,<br />

sollten an seiner Welt teilhaben.<br />

So schenkte er Teile seiner Sammlung<br />

Schulen, Museen und Universitäten in<br />

ganz Deutschland. Einen Großteil dieser<br />

Sammlung kaufte das Landesmuseum<br />

Hannover nach seinem Tod im Jahre 1982<br />

von seiner Witwe. Über 2000 besonders<br />

ausgesuchte Stücke überreichte er im Jahr<br />

1972 seiner Vaterstadt Königslutter, die<br />

sich bis vor kurzem in einem der schönsten<br />

alten Brauhäuser der Stadt, dem 1670<br />

erbauten Fachwerkhaus im „Sack 1“ befanden.<br />

Dort faszinierten sie viele Jahre unzählige<br />

Besucher. Seit dem 30. April 2013<br />

befindet sich dieser Teil der Sammlung in<br />

der Obhut des FEMO (Freilicht- und Erlebnismuseum<br />

Ostfalen e. V.) und ist in<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Ceratiten zweier Teilsammlungen des Landesmuseums Hannover<br />

97<br />

einem von der Stadt Königslutter sanierten<br />

und dem FEMO zur Verfügung gestellten<br />

Barock-Fachwerkgebäude in Königslutter<br />

in der Straße „An der Stadtkirche 1“ zu besichtigen.<br />

Zu den ansehnlichsten Stücken<br />

der Otto-Klages-Sammlung zählt u. a. ein<br />

mächtiger Stromatolith aus dem Unteren<br />

Buntsandstein vom Heeseberg, ein unregelmäßig<br />

geformter Knollenquarzit aus<br />

tertiären Braunkohlesanden von Helmstedt<br />

und eine Platte Crinoideenkalkstein<br />

aus dem Oberen Muschelkalk von Erkerode<br />

am Elm, die mit den Stielgliedern der<br />

Seelilie Encrinus liliiformis übersät ist.<br />

Fossilisation<br />

Eine wesentliche Voraussetzung für die<br />

Fossilwerdung eines Organismus ist die<br />

Einlagerung in das Sediment des Meeresbodens<br />

(Keupp 2000). Erst am Ende des<br />

taphonomischen Pfades erfolgt die Einbettung<br />

in das Sediment, sofern der Organismus<br />

bis dahin nicht zerstört wurde.<br />

Nach der Einbettung setzt die Fossil-Diagenese<br />

ein. Die Diagenese eines Fossils ist<br />

ein überwiegend sedimentologisch-chemisch<br />

gesteuerter Prozess, der in der Lage<br />

ist, die Form und Erhaltung eines jeden<br />

Fossils sowie die ursprüngliche Zusammensetzung<br />

zu verändern. Dabei spielen<br />

Skelett- bzw. Hartteilmaterial, die Skelettarchitektur<br />

(Dichte und Struktur) und das<br />

Sedimentgefüge eine große Rolle, da durch<br />

diese Faktoren bestimmte chemische Vorgänge<br />

tiefgreifende diagenetische Veränderungen<br />

an Organismenresten bewirken<br />

können. Sie können den Chemismus und<br />

die Feinstruktur der Hartteile verändern<br />

und sogar zur vollständigen Auflösung der<br />

Skelettreste führen. Zu den für die Ammonoideen<br />

vermutlich wichtigsten Prozessen<br />

der Fossil-Diagenese zählen Kompaktion<br />

und Deformation, Lösung, Substanzerhaltung,<br />

isochemische Fossil-Diagenese,<br />

allochemische Fossil-Diagenese sowie<br />

die Ausbildung von Steinkernen (Amler<br />

2012).<br />

Die Kompaktion, ein erster Schritt der<br />

Diagenese, ist ein Vorgang, bei dem das Sediment<br />

durch Entwässerung an Volumen<br />

verliert und die einzelnen Komponenten,<br />

wie z. B. Sedimentkörner und Hartteile<br />

von Organismen, näher zusammenrücken.<br />

Dabei werden Fossilien komprimiert<br />

und/oder deformiert. Bei Ammonoideen<br />

hat dieser Vorgang zur Folge, dass vor allem<br />

die Formen, deren Längsachse senkrecht<br />

oder schräg zur Sedimentoberfläche<br />

orientiert ist, verändert werden. Gehäuse<br />

der gleichen Art können dabei, je nach<br />

ihrer Lage im Sediment, unterschiedliche<br />

Verzerrungen erfahren. Entsprechend ihrer<br />

chemischen Löslichkeit können Hartteile,<br />

in Abhängigkeit vom pH-Wert, vollständig<br />

aufgelöst werden. Besonders Aragonit<br />

löst sich sehr schnell, Calcit dagegen ist<br />

deutlich stabiler gegenüber Lösungsprozessen<br />

(Amler 2012). Damit eine aragonitische<br />

Perlmuttschale von Ammonoideen,<br />

deren dichte, rhombische Kristallstruktur<br />

in der unbelebten Natur als Hochdruck-<br />

Mineral vorkommt, stofflich und strukturell<br />

erhalten bleibt, müssen besondere Verhältnisse<br />

bei der Fossilisation gegeben sein.<br />

Um eine Auflösung und Umkristallisation<br />

zu vermeiden, muss bei möglichst konstanten<br />

und niedrigen Temperaturen frühzeitig<br />

ein Austausch von Porenwasser-Lösungen<br />

im Sediment verhindert werden (Keupp<br />

2000). Daher tritt eine Substanzerhaltung<br />

häufig in Tonsteinen auf, in denen die<br />

Durchlässigkeit für Porenwässer stark herabgesetzt<br />

ist (Amler 2012). In den meisten<br />

Fällen, in denen eine sog. „Schalenerhaltung“<br />

vorliegt, ist das ursprüngliche Aragonit-Material<br />

während der Fossil-Diagenese<br />

jedoch ausgetauscht worden. Dieser<br />

Vorgang wird auch als isochemische Fossil-Diagenese<br />

bezeichnet. Dabei bleibt der<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


98 Patrick Strauch<br />

Kalk zwar erhalten, jedoch wird das organisch<br />

gebildete Aragonit gelöst und durch<br />

die thermodynamisch stabile Kristallmodifikation<br />

des Kalks, den Kalzit, ersetzt. Einen<br />

weiteren Prozess der Fossilisation stellt<br />

die allochemische Fossil-Diagenese dar.<br />

Bei dieser können Aragonitschalen und die<br />

Reste von organischen Substanzen durch<br />

Mineralien mit einer anderen chemischen<br />

Zusammensetzung ersetzt werden. Zu den<br />

häufigsten Austauschprozessen gehören<br />

die Verkieselung, die Phosphatisierung und<br />

die Verkiesung. Bei der Verkieselung findet<br />

ein gegenseitiger Austausch von Kalk und<br />

der nicht kristallinen, wasserhaltigen Kieselsäure<br />

(Opal, SiO 2<br />

× nH 2<br />

O), die bei Änderungen<br />

des pH-Wertes entgegengesetzte<br />

Stabilitäten aufweisen, statt. Kalk fällt in<br />

einem schwach basischen Milieu aus und<br />

geht im sauren Bereich in Lösung über. Bei<br />

der Phosphatisierung erfolgt der Ersatz der<br />

Aragonitschale durch Kalziumphosphat in<br />

Form von Apatit. Neben der Schale können<br />

dabei jedoch auch resistentere organische<br />

Bestandteile, vor allem innerhalb des<br />

Phragmokons, wie z. B. die Pellicula oder<br />

der Sipho, erhalten bleiben. Voraussetzung<br />

für die Bildung von Kalziumphosphat ist<br />

ein saures und anaerobes Milieu, wie es<br />

in abgeschlossenen Hohlräumen gegeben<br />

ist, in denen Bakterien die Ausfällung von<br />

Kalziumphosphat initiieren. Ein weiterer<br />

Vorgang der Fossilisation, der ebenfalls unter<br />

sauerstofffreien Bedingungen stattfindet,<br />

ist die Verkiesung. Dabei reduzieren<br />

Schwefelbakterien das Sulfat von organischen<br />

Verbindungen, wobei in dessen Folge<br />

Schwefelwasserstoff (H 2<br />

S) als Produkt<br />

der Atmung der Bakterien freigesetzt wird.<br />

Zusammen mit Metallionen kann es dabei<br />

zur Ausfällung von Metallsulfiden („Kiese“),<br />

wie Pyrit, kommen (Keupp 2000).<br />

Damit es zu einer Steinkern-Bildung<br />

kommen kann, muss der Innenraum des<br />

Gehäuses nach und nach im Lockersediment<br />

mit dem umgebenden Sediment<br />

gefüllt werden, was meist durch Risse in<br />

der Schale sowie durch natürliche Öffnungen<br />

induziert wird. Die dabei entstehende<br />

Ausfüllung entspricht im vollständigen<br />

Zustand exakt dem ehemaligen<br />

Innenraum des Gehäuses und gibt damit<br />

auch vollständig, allerdings im Negativ, die<br />

Merkmale der Gehäuse-Innenseite wieder.<br />

Diesen „Ausguss“ bezeichnet man als<br />

Steinkern. Bei Ammonoideen entsteht so<br />

Abb. 11 Prinzipien der<br />

Fossil-Diagenese mit<br />

Substanzerhaltung (a, b)<br />

und Steinkern-Abdruck-<br />

Bildung (c, d)<br />

(Zeichnung P. Strauch).<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Ceratiten zweier Teilsammlungen des Landesmuseums Hannover<br />

99<br />

ein Innenabdruck aller Gehäusemerkmale,<br />

wie die Anwachslinien von Septen, Rippen<br />

und Stacheln. Im verfestigten Sediment, in<br />

dem keine weitere Veränderung des Fossils<br />

erfolgt, würden demnach Steinkern (innen)<br />

und Abdruck der Schalenoberfläche<br />

(außen) noch durch die Dicke der Schale<br />

getrennt werden. Falls das Schalenmaterial<br />

durch zirkulierende Porenwässer aufgelöst<br />

würde, bliebe zunächst der Hohlraum der<br />

ehemaligen Schale als solcher erhalten. In<br />

diesem Hohlraum kann nun entweder Ersatzmaterial<br />

durch allochemische Fossil-<br />

Diagenese ausgefällt und der Hohlraum<br />

neu ausgefüllt werden oder der Hohlraum<br />

kann, keine diagenetische Auflast vorausgesetzt,<br />

erhalten bleiben (Amler 2012)<br />

(Abb. 11).<br />

Material und Methoden<br />

Zu dieser Arbeit wurden 7 Steinkerne<br />

von Ceratiten aus der Sammlung des Niedersächsischen<br />

Landesmuseums Hannover<br />

bereitgestellt. Davon stammen 3 Exemplare<br />

aus der Otto-Klages-Sammlung<br />

und weitere 4 Exemplare aus der ehemaligen<br />

Schausammlung des Niedersächsischen<br />

Landesmuseums Hannover. Die<br />

Exemplare wurden makroskopisch begutachtet<br />

und mit Hilfe eines Messschiebers<br />

vermessen. Wo das menschliche Auge auf<br />

seine Grenzen stieß, wurde je nach Bedarf<br />

eine Lupe oder ein Mikroskop von der Firma<br />

Zeiss, Model „Stemi DRC“, hinzugezogen.<br />

Die Fotos wurden mit der digitalen<br />

Spiegelreflexkamera „Canon EOS 600D“<br />

gemacht und anschließend mit Hilfe des<br />

Bildbearbeitungsprogramms „Photoshop<br />

CS3“ freigestellt und bearbeitet. Als Textverarbeitungsprogramm<br />

stand „Microsoft<br />

Office Word 2007“ zur Verfügung. Die<br />

Begutachtung der Exemplare erfolgte aufbauend<br />

auf der Arbeit „Die Ceratiten des<br />

germanischen Muschelkalks“ von Rolf<br />

Wenger (1957). Nach Bedarf wird auch auf<br />

die Arbeiten von Riedel (1916) und Philippi<br />

(1901) zurückgegriffen. Nach Wenger<br />

(1957) sind für taxonomische Zwecke bei<br />

Ceratites folgende Merkmale hierarchisch<br />

geordnet brauchbar: Skulpturtyp, Größe<br />

und Querschnitt, Involution und Scheibenzunahme,<br />

Dichte und Intensität der<br />

Skulptur und Skulptureigentümlichkeiten<br />

(Wenger 1957).<br />

Da bei den vorliegenden Exemplaren<br />

teilweise eine nur mäßig gute Erhaltung<br />

vorliegt, wichtige Merkmale zerstört oder<br />

stark verzerrt sind und die Wohnkammerfüllung<br />

nicht mehr erhalten ist, wurden nur<br />

ausgewählte Werte bei der Auswertung berücksichtigt.<br />

Die hier anwendbaren Werte<br />

sind DK, h 2<br />

, h 3<br />

, h 4<br />

, Nw 1<br />

, Nw 2<br />

(Abb. 12).<br />

Der einzige Gehäuseparameter, der daraus<br />

errechnet werden kann, ist die Scheibenzunahme.<br />

Die anderen nach Wenger relevanten<br />

Werte zur taxonomischen Bestimmung<br />

können aufgrund des Zustands der Steinkerne<br />

leider nicht berechnet werden. Lediglich<br />

bei Exemplar 3, Ceratites intermedius<br />

aus der ehemaligen Schausammlung<br />

des Landesmuseums Hannover, und Exemplar<br />

7, Ceratites compressus aus der Otto-<br />

Klages-Sammlung, sind die Wohnkammerfüllungen<br />

noch erhalten. Da diese<br />

Wohnkammerfüllung bei Exemplar 3 aber<br />

eine starke Deformation aufweist und bei<br />

Exemplar 7 – aufgrund der bei dem Vergleichsstück<br />

fehlenden Wohnkammerfüllung<br />

– keine Relevanz hat, wird diese nicht<br />

berücksichtigt. Für die Berechnung der<br />

Scheibenzunahme wurde folgende Formel,<br />

nach der Beschreibung von Wenger<br />

(1957), herangezogen:<br />

Scheibenzunahme: S= [(h 2<br />

/DK) × 100]<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


100 Patrick Strauch<br />

Abb. 12 Verdeutlichung der Messwerte an den<br />

Steinkernen (verändert nach Wenger 1957, Zeichnung<br />

P. Strauch).<br />

DE: Enddurchmesser<br />

DK: Durchmesser des Phragmokons<br />

h 1<br />

, h 2<br />

, h 3<br />

, h 4<br />

: Windungshöhe<br />

Nw 1<br />

, Nw 2<br />

: Nabelweite<br />

Die Scheibenzunahme ist das Verhältnis<br />

vom Durchmesser zur Höhe der letzten<br />

Windung. Zwar soll nach Wenger<br />

(1957), aufgrund des größeren Messwertes<br />

und eines daraus resultierenden kleineren<br />

Fehlers, hierfür der Enddurchmesser<br />

(DE) gemessen werden, jedoch ist dies aufgrund<br />

der nicht vorhandenen Wohnkammerfüllungen<br />

nicht möglich, deshalb wird<br />

auf den Phragmokon-Durchmesser zurückgegriffen.<br />

Neben den oben angegebenen<br />

Messwerten wird auch die Ausbildung<br />

der Lobenlinien – sofern Artcharakteristika<br />

vorhanden sind – zum Vergleich und<br />

letztendlich zur Artbestimmung herangezogen.<br />

Zusammenfassend werden in dieser<br />

Arbeit zur Arterfassung und zum Abgleich<br />

die folgenden Merkmale herangezogen:<br />

Skulpturtyp (bzw. dessen Innenabdruck<br />

am Steinkern), Größe, Scheibenzunahme,<br />

Dichte und Intensität der Skulptur, die<br />

Ausbildung der Lobenlinien und, sofern<br />

vorhanden, Skulptureigentümlichkeiten.<br />

Ergebnisse<br />

Die Ceratiten aus der<br />

Schausammlung des<br />

Landesmuseums Hannover<br />

Exemplar 1 – Ceratites nodosus<br />

Dieser Ceratit, zuvor als Ceratites nodosus<br />

Brugiere bestimmt, stammt aus der<br />

ehemaligen Schausammlung des Landesmuseums<br />

Hannover (Inventarnummer:<br />

105.318) und wurde in Versbach bei Würzburg<br />

in Bayern in den Schichten des Oberen<br />

Muschelkalk gefunden. Ein Großteil<br />

der Wohnkammerfüllung ist abgebrochen<br />

und nicht mehr vorhanden. Es handelt sich<br />

ausschließlich um den Steinkern, Schalenstücke<br />

sind nicht erhalten. Die sinistrale<br />

(linke) Seite befindet sich in einem mäßig<br />

gut erhaltenen Zustand, auf der dextralen<br />

(rechten) Seite sind die Skulpturelemente<br />

fast komplett zerstört. Die Farbe<br />

ist größtenteils graubraun, mit Anteilen<br />

helleren Ockers. Stellenweise sind rostrote<br />

Areale zu erkennen. Der Durchmesser<br />

(D 2<br />

) des Steinkerns beträgt 13,2 cm, der<br />

sich mit 4,5 cm auf die Strecke h 4<br />

und 3,0<br />

cm auf die Strecke Nw 2<br />

und 5,7 cm auf<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Ceratiten zweier Teilsammlungen des Landesmuseums Hannover<br />

101<br />

Abb. 13 Ceratites nodosus aus der Schausammlung<br />

des Landesmuseums Hannover, Inventarnummer:<br />

105.318. a: sinistrale Seite, b: dextrale Seite,<br />

c: ventrale Seite.<br />

die Strecke h 2<br />

verteilt (Tab. 1). Der Rücken<br />

dieses Exemplars wird in Richtung<br />

der Mündung deutlich breiter. Die inneren<br />

Windungen weisen flache, eng beieinander<br />

stehende Einfachrippen auf, die<br />

sich in Richtung der Mündung zu weiter<br />

auseinander stehenden kräftigeren Flankenwülsten<br />

entwickeln. Besonders bei der<br />

Rückenansicht des Steinkerns fallen sie ins<br />

Auge. Das Gehäuse wirkt insgesamt sehr<br />

wuchtig und kompakt. Während die Einfachrippen<br />

in den inneren Windungen<br />

noch eine leichte Sichelform aufweisen,<br />

sind die Einfachrippen zur Mündung hin<br />

eher geradlinig (Abb. 13). Die Lobenlinien<br />

sind eindeutig ceratitisch (Abb. 14). Auf<br />

den Loben ist eine klare Zähnelung zu erkennen,<br />

während die Sättel eine glatte und<br />

runde Struktur aufweisen.<br />

Der Externlobus (E), bestückt mit vier<br />

Zähnchen auf jeder Seite, befindet sich<br />

auf der lateralen Seite des Steinkerns und<br />

wird durch den Mediansattel (m) halbiert.<br />

In Richtung des Nabelrandes folgt der<br />

Abb. 14 Exemplarische Lobenlinie von Ceratites<br />

nodosus (Exemplar 1) aus der Schausammlung des<br />

Landesmuseums Hannover (Zeichnung P. Strauch).<br />

Externsattel (e), der mit Abstand den breitesten<br />

Sattel der Lobenlinie darstellt. Er<br />

befindet sich zum Großteil noch auf dem<br />

Rücken. Darauf folgt der erste Laterallobus<br />

(L). Dieser ist der breiteste und höchste<br />

Lobus der Lobenlinie und ist mit 14<br />

Zähnchen versehen. Der darauf folgende<br />

erste Lateralsattel (l 1<br />

) ist deutlich schmaler,<br />

aber etwas höher als der Externsattel.<br />

Dem ersten Lateralsattel folgt der Umbilikallobus<br />

U 2<br />

. Dieser ist wieder etwas kleiner<br />

als der ihm vorangehende Lobus und ist<br />

mit 3 Zähnchen bestückt. Darauf folgt der<br />

zweite Lateralsattel (l 2<br />

) und der Umbilikallobus<br />

U 4<br />

, der 3 Zähnchen aufweist. Das<br />

letzte wirklich erkennbare und ausgeprägte<br />

Merkmal der Lobenlinie ist der Sattel (l 3<br />

)<br />

nach dem Umbilikallobus U 4<br />

, der in seiner<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


102 Patrick Strauch<br />

Tab 1 Messwerte und errechnete Gehäuseparameter<br />

von Ceratites nodosus<br />

h 2<br />

h 3<br />

h 4<br />

Nw 1<br />

Nw 2<br />

DK<br />

Scheibenzunahme<br />

5,7 cm<br />

5,0 cm<br />

4,5 cm<br />

5,0 cm<br />

3,0 cm<br />

13,0 cm<br />

43,85 cm<br />

Größe kaum noch von dem Sattel zwischen<br />

U 2<br />

und U 4<br />

zu unterscheiden ist. Dem<br />

letzten Sattel (l 3<br />

) folgt der Umbilikallobus<br />

U 5<br />

, der nur noch kleine Zähnchen bis hin<br />

zum Nabelrand aufweist. Insgesamt finden<br />

sich auf der Lobenlinie sowohl 4 Loben als<br />

auch 4 kräftig und deutlich ausgebildete<br />

Sättel (Abb. 14). Die rote Markierung auf<br />

dem Steinkern verdeutlicht den Verlauf der<br />

ceratitischen Sutur. Wahrscheinlich wurde<br />

er zuvor als Schaustück und zu pädagogischen<br />

Zwecken genutzt.<br />

Exemplar 2 – Ceratites compressus<br />

Dieser Ceratit wurde zuvor als Ceratites<br />

compressus bestimmt und stammt ebenfalls<br />

aus der ehemaligen Schausammlung<br />

des Landesmuseums Hannover (Inventarnummer:<br />

105.336). Er wurde in Diemarden<br />

bei Göttingen in Niedersachsen in<br />

den Schichten des Oberen Muschelkalk<br />

gefunden. Auch bei diesem Exemplar ist<br />

ein großer Teil der Wohnkammerfüllung<br />

weggebrochen und nicht mehr vorhanden.<br />

Die sinistrale Seite befindet sich in relativ<br />

gut erhaltenem Zustand. Die letzte Windung<br />

vor der fehlenden Wohnkammerfüllung<br />

ist gut zu erkennen. Die inneren<br />

Windungen sind mit Gestein verfüllt, wodurch<br />

eine Skulptur nicht zu erkennen ist.<br />

Auf der dextralen Seite wurde die Struktur<br />

komplett zerstört. Der größte Teil des<br />

Steinkerns ist grau und an einigen Stellen<br />

ocker bis hellbraun (Abb. 15). Der Durchmesser<br />

(DK) des Steinkerns beträgt 7,0<br />

cm, der sich mit 2,8 cm auf die Strecke<br />

Abb. 15 Ceratites compressus aus der Schausammlung<br />

des Landesmuseums Hannover, Inventarnummer:<br />

105.336. a: sinistrale Seite, b: dextrale<br />

Seite, c: ventrale Seite (Bauchseite).<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Ceratiten zweier Teilsammlungen des Landesmuseums Hannover<br />

103<br />

h 4<br />

und 1,8 cm auf die Strecke Nw 2<br />

und<br />

2,4 cm auf die Strecke h 2<br />

verteilt. Außerdem<br />

konnte ein Wert für die Nabelweite<br />

Nw 1<br />

mit 2,0 cm gemessen werden (Tab.<br />

2). Der Rücken dieses Exemplars wird in<br />

Richtung der Mündung deutlich breiter.<br />

Die inneren Windungen, soweit erkennbar,<br />

weisen eine sehr flache Skulptur auf. Das<br />

Gehäuse wirkt im Vergleich zu Ceratites<br />

nodosus ebenfalls kompakt, jedoch deutlich<br />

schmaler und oval gerundet, da die flachen<br />

Wulstrippen gegen die Externseite flach<br />

auslaufen.<br />

Auf den Loben ist wie bei Exemplar 1<br />

eine sehr feine, aber deutliche Zähnelung<br />

zu erkennen, während die Sättel auch bei<br />

diesem Exemplar eine glatte und runde<br />

Struktur aufweisen. Die Lobenlinie (Abb.<br />

16) beginnt ausgehend vom Mediansattel<br />

(m), der den Externlobus (E) halbiert.<br />

Dieser Externlobus ist mit 3 Zähnchen besetzt.<br />

Dem Externlobus folgt der Externsattel<br />

(e), der sich etwa zur Hälfte auf dem<br />

Rücken des Exemplars befindet. Er ist der<br />

breiteste Sattel der Lobenlinie. Ihm folgt<br />

der Laterallobus (L), der mit 12 Zähnchen<br />

bestückt ist. Der darauf folgende Sattel (l 1<br />

)<br />

ist schmaler und etwas höher als der Externsattel<br />

(e). Darauf folgt der Umbilikallobus<br />

U 2<br />

, auf dem 6 Zähnchen zu erkennen<br />

sind. Nach einem weiteren Sattel (l 2<br />

) folgt<br />

der Umbilikallobus U 4<br />

, der ebenfalls mit 6<br />

Zähnchen bestückt ist. Nach einem Sattel<br />

(l 3<br />

), der dem vorigen sehr ähnlich ist,<br />

folgt der Umbilikallobus U 6<br />

, ebenfalls mit<br />

6 Zähnchen versehen. Dem Umbilikallobus<br />

U 6<br />

folgt ein letzter Sattel (l 4<br />

), der zu<br />

dem Umbilikallobus U 7<br />

überleitet. U 7<br />

ist<br />

jedoch noch kein voll ausgebildeter Lobus,<br />

sondern nur eine Reihe von Zähnchen, die<br />

unter dem Nabelrand verschwindet. Auch<br />

dieses Exemplar diente vermutlich in einer<br />

Ausstellung pädagogischen Zwecken, da<br />

eine der ceratitischen Suturen mit einem<br />

feinen schwarzen Stift zur Verdeutlichung<br />

nachgezogen wurde. Die Messwerte sind<br />

in Tab. 2 dargestellt.<br />

Exemplar 3 – Ceratites intermedius<br />

Bei diesen Exemplaren handelt es sich<br />

um zuvor als Ceratites intermedius bestimmte<br />

Ceratiten aus der ehemaligen<br />

Schausammlung des Landesmuseums<br />

Hannover (Inventarnummer: 105.334),<br />

die in den Giesener Bergen bei Hildesheim<br />

südöstlich von Hannover in den Ceratitenschichten<br />

gefunden wurden. In den<br />

großen Steinblock sind insgesamt 4 Steinkerne<br />

von C. intermedius eingebettet (Abb.<br />

17a bis 17d). Neben diesen Steinkernen<br />

Tab. 2 Messwerte und errechnete Gehäuseparameter<br />

von Ceratites compressus<br />

Abb. 16 Lobenlinie des Exemplars 2, Ceratites<br />

compressus, aus der Schausammlung des Landesmuseums<br />

Hannover (Zeichnung P. Strauch)<br />

h 2<br />

h 3<br />

h 4<br />

Nw 1<br />

Nw 2<br />

DK<br />

Scheibenzunahme<br />

2,8 cm<br />

2,7 cm<br />

2,4 cm<br />

2,0 cm<br />

1,8 cm<br />

7,0 cm<br />

40,00 cm<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


104 Patrick Strauch<br />

Abb. 17 Steinkerne von Ceratites<br />

intermedius (a – d, Inventarnummer:<br />

105.334) und<br />

Schalenerhaltung der Muschel<br />

Gervilleia substriata (e, f).<br />

Abb. 18 Lobenlinie des Exemplars 3, Ceratites<br />

intermedius, aus der Schausammlung des Landesmuseums<br />

Hannover (Zeichnung P. Strauch).<br />

Tab. 3 Messwerte und errechnete Gehäuseparameter<br />

von Ceratites intermedius<br />

h 2<br />

h 3<br />

h 4<br />

Nw 1<br />

Nw 2<br />

DK<br />

Scheibenzunahme<br />

3,5 cm<br />

2,9 cm<br />

2,4 cm<br />

2,8 cm<br />

2,8 cm<br />

8,7 cm<br />

39,8 cm<br />

finden sich noch zwei Fossilien von Gervilleia<br />

substriata (Lamellibranchiata; e, f ),<br />

bei denen es sich höchstwahrscheinlich um<br />

eine Schalenerhaltung handelt, da konzentrische<br />

Anwachssäume zu erkennen sind.<br />

Auf dem Bild ist dem Betrachter bei dem<br />

größten Exemplar von Ceratites intermedius<br />

(a) die sinistrale Seite zugewandt, das<br />

ist auch bei dem Exemplar (b) oben rechts<br />

der Fall. Die beiden unteren Exemplare<br />

(c, d) liegen mit der dextralen Seite nach<br />

oben. Bis auf das größte Exemplar (a) liegen<br />

die übrigen Exemplare teils bedeckt in<br />

der Matrix eingebettet, daher erfolgt die<br />

Artbestimmung ausschließlich am Exemplar<br />

(a). Die umgebende Matrix hat eine<br />

graubraune Farbe, während die Steinkerne<br />

und Schalen der Fossilien einen eher<br />

dunkelgrauen Farbton aufweisen. Die Besonderheit<br />

bei diesen Exemplaren ist eine<br />

relativ gute, wenn auch leicht deformierte<br />

Erhaltung der Wohnkammerfüllungen<br />

(Abb. 17). Bei Exemplar (a) sind Risse am<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Ceratiten zweier Teilsammlungen des Landesmuseums Hannover<br />

105<br />

Phragmokon zu erkennen. Deutlich zu sehen<br />

ist der abrupte Übergang von dem mit<br />

ceratitischen Suturen gekennzeichneten<br />

Phragmokon zur suturlosen Wohnkammer.<br />

Das Gehäuse ist involut. Auf der sinistralen<br />

Seite von Exemplar (a) können<br />

schwache Knötchen auf der Externseite<br />

des Phragmokons sowie schwach angedeutete<br />

Lateralwülste ertastet werden. Die<br />

Wohnkammerfüllung ist leicht deformiert<br />

und nicht komplett erhalten. Der Durchmesser<br />

des Phragmokons (DK) des Steinkerns<br />

von Exemplar (a) beträgt 8,7 cm, der<br />

sich mit 2,4 cm auf die Strecke h 4<br />

und 2,8<br />

cm auf die Strecke Nw 2<br />

und 3,5 cm auf die<br />

Strecke h 2<br />

verteilt (Tab. 3). Die Lobenlinie<br />

weist auch hier wieder gezackte Loben und<br />

glatte Sättel auf.<br />

Ein wichtiger Unterschied zu den zuvor<br />

untersuchten Exemplaren ist jedoch<br />

die Ausbildung der Lobenlinien. Bei diesem<br />

Exemplar befindet sich ein großer<br />

Teil des Externsattels nicht wie bei Ceratites<br />

nodosus oder Ceratites compressus auf<br />

dem Rücken, sondern auf der Flanke des<br />

Steinkerns, was daraus resultiert, dass das<br />

Exemplar, im Vergleich zu Ceratites nodosus,<br />

insgesamt sehr viel flacher und der<br />

Rücken deutlich schmaler ist. Weiterhin<br />

fällt auf, dass die Lobenlinien nicht wie<br />

bei den anderen Exemplaren in einem Lot<br />

zum Nabelrand gewachsen sind, sondern<br />

eine gegen den Nabel ansteigende Form<br />

aufweisen. Der Externlobus (E), bestückt<br />

mit 5 Zähnchen auf jeder Seite, befindet<br />

sich auf der ventralen Seite des Steinkerns<br />

und wird durch den Mediansattel (m) halbiert.<br />

In Richtung des Nabelrandes folgt<br />

dem Externlobus (E) der Externsattel (e),<br />

der der breiteste der Lobenlinie ist und<br />

sich auf der lateralen Seite des Phragmokons<br />

befindet. Darauf folgt der Laterallobus<br />

(L), der mit 9 Zähnchen bestückt ist.<br />

Dieser ist der breiteste und höchste Lobus<br />

der Lobenlinie. Der darauf folgende Sattel<br />

(l 1<br />

) ist geringfügig schmaler, aber deutlich<br />

höher als der Externsattel (e) und geht in<br />

den Umbilikallobus U 2<br />

über, der 5 Zähnchen<br />

aufweist. Darauf folgt ein weiterer<br />

Sattel (l 2<br />

), der in den Umbilikallobus U 4<br />

übergeht. Dieser weist nur noch 3 Zähnchen<br />

auf und geht in einen weiteren Sattel<br />

(l 3<br />

) über. Diesem Sattel folgt eine Anordnung<br />

von schwer definierbaren Zacken<br />

oder vielleicht sogar weiteren Loben und<br />

Sätteln. Der genaue Sachverhalt ist nicht<br />

zu erkennen.<br />

Exemplar 4 – Ceratites sp.<br />

Dieses Exemplar stammt ebenfalls aus<br />

der ehemaligen Schausammlung des Landesmuseums<br />

Hannover (Inventarnummer:<br />

105.319). Gefunden wurde es in Völkerode<br />

in Niedersachsen im Oberen Muschelkalk.<br />

Es handelt sich hierbei um einen Steinkern,<br />

der aufgeschnitten und so präpariert<br />

wurde, dass die Innenseite betrachtet<br />

werden kann. In Abb. 19a ist die sinistrale<br />

Seite des Steinkerns zu sehen. Wie bei<br />

den vorherigen Exemplaren ist auch hier<br />

die Wohnkammerfüllung weggebrochen.<br />

Bei genauerer Betrachtung ist kein Übergang<br />

vom Phragmokon zur suturlosen<br />

Wohnkammer zu erkennen, sodass davon<br />

ausgegangen werden muss, dass auch ein<br />

Teil des Phragmokons nicht mehr vorhanden<br />

ist. Die dextrale Seite wurde so stark<br />

deformiert, dass ihre Skulptur nicht mehr<br />

erkennbar ist. Zudem sind die inneren<br />

Windungen auch hier durch Gestein ausgeprägt.<br />

Lediglich einige Lobenlinien mit<br />

ceratitischer Sutur sind noch zu erkennen<br />

(Abb. 19b). Mit dem Mikroskop lässt sich<br />

im Ansatz die Zähnelung auf den Loben<br />

erkennen, während die Sättel, wie für Ceratiten<br />

charakteristisch, eine runde Struktur<br />

aufweisen. Der Steinkern ist graubraun<br />

mit einigen helleren Flecken. Bei der Betrachtung<br />

der Innenseite lassen sich deutlich<br />

die einzelnen ehemaligen Kammern<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


106 Patrick Strauch<br />

Abb. 19 Außen- und Innenansicht eines aufgeschnittenen<br />

Steinkerns von Ceratites sp., Inventarnummer:<br />

105.319.<br />

a: sinistrale Seite, b: Innenansicht, markiert sind<br />

hier die teils mit Calcit verfüllten Hohlräume in<br />

den Kammern.<br />

des Phragmokons und die Septen erkennen.<br />

In den inneren Windungen sind in<br />

der Innenansicht kleine Hohlräume der<br />

nur halb verfüllten Kammern zu sehen, in<br />

denen es zum Wachstum von Calcit-Kristallen<br />

gekommen ist. Besonders gut ist die<br />

drusenhafte Ausbildung der Kristalle unter<br />

dem Mikroskop zu erkennen. Der Durchmesser<br />

des Steinkerns an der breitesten<br />

Stelle beträgt 9,3 cm.<br />

Die Ceratiten aus der<br />

Otto-Klages-Sammlung<br />

Exemplar 5 – Ceratites nodosus<br />

Das Exemplar wurde zuvor als Ceratites<br />

nodosus (Inventarnummer nicht<br />

vorhanden) bestimmt. Gefunden wurde<br />

es in Königslutter am Elm. Es handelt<br />

sich bei diesem Fossil um einen mit<br />

Austernschalen übersäten Steinkern, bei<br />

dem ein Teil der Wohnkammerfüllung<br />

weggebrochen ist. Die Farben des Steinkerns<br />

reichen von hellbraunen bis hin zu<br />

beigefarbenen Stellen mit einem leichten<br />

Ockerton. Die Austernschalen erscheinen<br />

in einem Graubraun (Abb. 20). Der<br />

Durchmesser (D 2<br />

) des Steinkerns beträgt<br />

12,9 cm, der sich mit 4,2 cm auf die Strecke<br />

h 4<br />

und 3,1 cm auf die Strecke Nw 2<br />

und<br />

5,6 cm auf die Strecke h 2<br />

verteilt (Tab. 4).<br />

Sowohl die sinistrale als auch die dextrale<br />

Seite des Steinkerns sind gut erhalten.<br />

Dennoch sind die Lobenlinien dieses Exemplars<br />

nicht komplett zu erkennen, da sie<br />

von den Austernschalen verdeckt werden.<br />

Nur stellenweise ist eine ceratitische Lobenlinie<br />

zu erkennen. Insgesamt macht der<br />

Steinkern einen wuchtigen und kompakten<br />

Eindruck. Trotz der Austernschalen<br />

lässt sich eine kräftig ausgebildete Skulptur<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Ceratiten zweier Teilsammlungen des Landesmuseums Hannover<br />

107<br />

Abb. 20 Ceratites nodosus aus der Schausammlung<br />

des Landesmuseums Hannover. a: sinistrale<br />

Seite, b: dextrale Seite, c: ventrale Seite.<br />

Tab. 4 Messwerte und errechnete Gehäuseparameter<br />

von Ceratites nodosus (Exemplar 5)<br />

h 2<br />

h 3<br />

h 4<br />

Nw 1<br />

Nw 2<br />

DK<br />

Scheibenzunahme<br />

5,6 cm<br />

0,0 cm<br />

4,2 cm<br />

0,0 cm<br />

3,1 cm<br />

12,9 cm<br />

43,41 cm<br />

mit Flankenwülsten ertasten und in der lateralen<br />

Ansicht auch gut erkennen. Lediglich<br />

in Richtung der Mündung, nach dem<br />

Übergang des Phragmokons in die Wohnkammer,<br />

lässt die kräftige Skulptur deutlich<br />

nach. Die Breite des Steinkerns wird<br />

ebenfalls geringer und es wirkt, als wäre die<br />

Wohnkammerfüllung nicht nur weggebrochen,<br />

sondern der noch vorhandene Teil<br />

der Wohnkammer stark deformiert und<br />

erodiert worden.<br />

Exemplar 6 – Ceratites nodosus<br />

Dieser Ceratit, im Jahr 1993 durch<br />

R. Ernst bestimmt als Ceratites nodosus,<br />

stammt aus der Otto-Klages-Sammlung<br />

(Inventarnummer: 52221) und wurde in<br />

Northeim in der Nähe von Göttingen<br />

(Niedersachsen) in den Schichten des<br />

Oberen Muschelkalk, genauer in den Oberen<br />

Ceratitenschichten, gefunden. Wie bei<br />

den meisten anderen Exemplaren ist auch<br />

hier ein großer Teil der Wohnkammerfüllung<br />

weggebrochen und nicht mehr vorhanden.<br />

Es handelt sich ausschließlich um<br />

den Steinkern, Schalenstücke sind nicht<br />

mehr vorhanden. Die sinistrale Seite befindet<br />

sich in einem relativ gut erhaltenen<br />

Zustand. Die Skulpturelemente sind<br />

zumindest auf der äußeren Windung gut<br />

zu erkennen. Ein Teil der noch vorhandenen<br />

Wohnkammerfüllung, ein Stück<br />

der vorletzten Windung und ein kleines<br />

Stück auf der lateralen Seite des Steinkerns<br />

sind ebenfalls weggebrochen. Einige<br />

Lobenlinien lassen sich jedoch noch<br />

sehr gut erkennen. Auf der dextralen Seite<br />

sind die Skulpturelemente zumindest<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


108 Patrick Strauch<br />

Abb. 21 Ceratites nodosus aus der Otto-Klages-<br />

Sammlung, Inventarnummer: 52221. a: sinistrale<br />

Seite, b: dextrale Seite, c: ventrale Seite.<br />

Abb. 22 Lobenlinie des Exemplars 6, Ceratites<br />

nodosus, aus der Otto-Klages-Sammlung (Zeichnung<br />

P. Strauch).<br />

Tab. 5 Messwerte und errechnete Gehäuseparameter<br />

von Ceratites nodosus (Exemplar 6)<br />

h 2<br />

h 3<br />

h 4<br />

Nw 1<br />

Nw 2<br />

DK<br />

Scheibenzunahme<br />

3,6 cm<br />

3,1 cm<br />

2,5 cm<br />

3,3 cm<br />

2,8 cm<br />

8,9 cm<br />

40,45 cm<br />

in den inneren Windungen zerstört und<br />

auch die Lobenlinien sind nicht mehr gut<br />

erhalten. Die Farbe ist größtenteils graubraun,<br />

teilweise hellbraun (Abb. 21). Der<br />

Durchmesser (DK) des Steinkerns beträgt<br />

8,9 cm, der sich mit 2,5 cm auf die Strecke<br />

h 4<br />

und 2,8 cm auf die Strecke Nw 2<br />

und 3,6<br />

cm auf die Strecke h 2<br />

verteilt (Tab. 5). Der<br />

Rücken dieses Exemplars wird in Richtung<br />

der Mündung deutlich breiter. Wie schon<br />

bei Ceratites nodosus aus der Schausammlung<br />

des Landesmuseums Hannover weist<br />

die Skulptur flache, eng beieinander stehende<br />

Einfachrippen auf, die sich in Richtung<br />

der Mündung zu weiter auseinander<br />

stehenden Flankenwülsten entwickeln. Besonders<br />

bei der Sicht auf den Rücken des<br />

Steinkerns fallen sie ins Auge. Das Gehäuse<br />

wirkt auch bei diesem Exemplar insgesamt<br />

sehr wuchtig und kompakt. In Richtung<br />

der Mündung nimmt die Breite des<br />

Rückens zu (Abb. 21a, b, c). Die Lobenlinien<br />

sind auch hier eindeutig ceratitisch.<br />

Auf den Loben ist eine deutliche Zähnelung<br />

zu erkennen, während die Sättel eine<br />

glatte und runde Struktur aufweisen (Abb.<br />

22).<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Ceratiten zweier Teilsammlungen des Landesmuseums Hannover<br />

109<br />

Die Lobenlinie beginnt von der ventralen<br />

Außenkante in Richtung Nabelrand<br />

mit dem Externlobus, der auf Abb. 22 mit<br />

2 Zähnchen bestückt ist. Die Zahl der<br />

Zähnchen auf dem Externlobus (E) variiert<br />

bei den Lobenlinien und bewegt sich<br />

zwischen 2 und 4. Einige der Lobenlinien<br />

sind auf der Ventralseite lokal stark deformiert,<br />

sodass die genaue Zahl nicht<br />

immer eindeutig zu bestimmen ist. Der<br />

Externlobus (E) wird von dem Mediansattel<br />

(m) halbiert. In Richtung des Nabelrandes<br />

folgt der Externsattel (e), der auch<br />

bei diesem Exemplar den breitesten Sattel<br />

auf den Lobenlinien darstellt. Er befindet<br />

sich zum großen Teil auf dem Rücken des<br />

Steinkerns. Dem Externsattel folgt der Laterallobus<br />

(L). Dieser ist der breiteste und<br />

höchste Lobus der Lobenlinie und ist mit<br />

10 Zähnchen versehen. Der darauf folgende<br />

Sattel (l 1<br />

) ist deutlich schmaler und bei<br />

diesem Exemplar kleiner als der Externsattel.<br />

Dem ersten Lateralsattel folgt der Umbilikallobus<br />

U 2<br />

. Er ist etwas kleiner als der<br />

ihm vorangehende Laterallobus (L) und ist<br />

mit 6 Zähnchen bestückt. Darauf folgt ein<br />

weiterer Sattel (l 2<br />

), der in den Umbilikallobus<br />

U 4<br />

übergeht und 3 Zähnchen aufweist.<br />

Das letzte wirklich erkennbare und<br />

ausgeprägte Merkmal der Lobenlinie ist<br />

der darauf folgende Sattel (l 3<br />

), der in den<br />

nicht ganz ausgebildeten Umbilikallobus<br />

U 5<br />

übergeht und nur aus einer Aneinanderreihung<br />

von Zacken besteht. Insgesamt<br />

finden sich auf der Lobenlinie sowohl 4<br />

Loben als auch 4 kräftig und deutlich ausgebildete<br />

Sättel.<br />

Exemplar 7 – Ceratites compressus<br />

Dieses Exemplar wurde zuvor als Ceratites<br />

compressus bestimmt und stammt<br />

ebenfalls aus der Otto-Klages-Sammlung<br />

(Inventarnummer: 52064). Es wurde<br />

in Schöningen am Elm in Niedersachsen<br />

in den Schichten des Oberen Muschelkalk<br />

gefunden. Bei diesem Exemplar ist<br />

die Wohnkammerfüllung komplett erhalten.<br />

Die sinistrale Seite ist in einem gut<br />

erhaltenen Zustand. Die letzte Windung<br />

vor der Wohnkammerfüllung ist gut zu<br />

Abb. 23 Ceratites compressus aus der Otto-<br />

Klages-Sammlung, Inventar-Nr.: 52064. a: sinistrale<br />

Seite, b: dextrale Seite, c: ventrale Seite.<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


110 Patrick Strauch<br />

Tab. 6 Messwerte und errechnete Gehäuseparameter<br />

von Ceratites compressus (Exemplar 7)<br />

Abb. 24 Lobenlinie des Exemplars 7, Ceratites<br />

compressus, aus der Otto-Klages-Sammlung<br />

(Zeichnung P. Strauch).<br />

h 2<br />

h 3<br />

h 4<br />

Nw 1<br />

Nw 2<br />

DK<br />

Scheibenzunahme<br />

2,6 cm<br />

5,0 cm<br />

2,0 cm<br />

2,5 cm<br />

1,9 cm<br />

6,5 cm<br />

40,00 cm<br />

erkennen. Die inneren Windungen sind<br />

mit Gestein verfüllt. Außerdem lassen sich<br />

Stücke von 3 Austernschalen erkennen.<br />

Eine davon befindet sich auf der Sinistralseite<br />

der Wohnkammer und geht ein wenig<br />

auf die Ventralseite über. Ebenfalls auf der<br />

Wohnkammer, aber weiter in Richtung der<br />

Mündung, befinden sich zwei kleine Fragmente<br />

von den übrigen beiden Austernschalen<br />

(Abb. 23a). Auch die dextrale Seite<br />

ist in einem recht gut erhaltenen Zustand.<br />

Es lassen sich sowohl Skulptur als auch<br />

Lobenlinien auf der äußersten Windung<br />

beobachten (Abb. 23b). Der größte Teil des<br />

Steinkerns ist grau und an einigen Stellen<br />

ocker bis hellbraun. Stellenweise treten<br />

auch rostrote Flecken auf. Der Durchmesser<br />

(DK) des Steinkerns beträgt 6,5 cm,<br />

der sich mit 2,0 cm auf die Strecke h 4<br />

und<br />

1,9 cm auf die Strecke Nw 2<br />

und 2,6 cm<br />

auf die Strecke h 2<br />

verteilt (Tab. 6). Insgesamt<br />

wirkt der Steinkern sehr schmal und<br />

oval gerundet. In Richtung der Mündung<br />

nimmt die Breite des Rückens minimal zu.<br />

Die Skulptur auf den inneren Windungen<br />

ist stärker ausgeprägt als auf den äußeren.<br />

Sie besteht aus anfangs deutlichen Einfachrippen,<br />

die in Richtung der Mündung<br />

flacher werden und gegen die Externseite<br />

auslaufen. Dadurch wirkt der Steinkern<br />

oval gerundet (Abb. 23c).<br />

Auf einigen wenigen Loben lassen sich<br />

kleine Zähnchen erkennen, während die<br />

Sättel auch bei diesem Exemplar eine glatte<br />

und runde Struktur aufweisen. Aufgrund<br />

des mäßigen Erhaltungsgrades weisen die<br />

meisten Loben keine Zähnelung auf. Die<br />

Lobenlinie – ausgehend vom Rücken des<br />

Exemplars – beginnt mit dem Externlobus<br />

(E), der durch den Mediansattel (m)<br />

halbiert wird. Darauf folgt der Externsattel<br />

(e). Der Laterallobus (L) ist mit wahrscheinlich<br />

6 oder mehr Zähnchen bestückt,<br />

eine genaue Zahl lässt sich aufgrund des<br />

mäßigen Erhaltungsgrades nicht angeben.<br />

Dem Laterallobus folgt ein Sattel (l 1<br />

), der<br />

deutlich größer und etwas breiter als der<br />

Externsattel (e) ist und in den Umbilikallobus<br />

U 2<br />

überleitet. Die Anzahl der Zähnchen<br />

ist auf dem Exemplar nicht zu erkennen.<br />

Darauf folgt ein weiterer Sattel (l 2<br />

),<br />

der den Umbilikallobus U 2<br />

von dem Umbilikallobus<br />

U 4<br />

trennt. Auch auf dem Umbilikallobus<br />

U 4<br />

sind keine Zähnchen zu erkennen.<br />

Es folgt ein letzter Sattel (l 3<br />

), der<br />

in den nicht ausgebildeten Umbilikallobus<br />

U 5<br />

übergeht. Insgesamt finden sich auf<br />

der Lobenlinie sowohl 4 Loben, als auch<br />

4 kräftig und deutlich ausgebildete Sättel<br />

(Abb. 24).<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Ceratiten zweier Teilsammlungen des Landesmuseums Hannover<br />

111<br />

Diskussion: Abgleich der Arterfassungen<br />

Ceratites nodosus: Vergleich von<br />

Exemplar 1 aus der Schausammlung<br />

des Landesmuseums Hannover mit<br />

Exemplar 5 aus der Otto-Klages-<br />

Sammlung<br />

Bei Exemplar 1, Ceratites nodosus, ist es<br />

möglich, die bisherige Artbestimmung<br />

anhand der aufgenommenen Merkmale<br />

und im Vergleich mit Exemplar 5 aus<br />

der Otto-Klages-Sammlung zu bestätigen.<br />

Bei beiden Exemplaren fällt eine kräftige<br />

Skulptur durch Wulstrippen auf, die<br />

sich bis zur Externseite fortsetzen sowie<br />

ähnliche Werte für die Größe der Steinkerne.<br />

In Richtung der Mündung nimmt<br />

der Abstand dieser Wulstrippen zueinander<br />

ab. Bei Betrachtung der Scheiben- und<br />

Windungszunahme fallen ebenfalls übereinstimmende<br />

Werte auf. Auch aus der<br />

Literatur können hier bestätigende Daten<br />

herangezogen werden. Nach Philippi<br />

(1901) beträgt der Wert für die Scheibenzunahme<br />

bei Ceratites nodosus 42 cm, und<br />

Wenger (1957) gibt für die Scheibenzunahme<br />

einen Bereich von 39 bis 48 cm an.<br />

Demnach decken sich die in dieser Arbeit<br />

errechneten Ergebnisse für C. nodosus<br />

(43,85 cm, s. Tab. 1; 43,41 cm, s. Tab. 4)<br />

mit denen in der Literatur. Nach Philippi<br />

(1901) sind die Lobenlinen für die nodosus-Gruppe<br />

artcharakteristisch. Da Exemplar<br />

5 mit Austernschalen übersät ist, lassen<br />

sich die Lobenlinien leider nicht im<br />

Ganzen erkennen und können somit nicht<br />

für einen Vergleich herangezogen werden.<br />

Aus diesem Grund wurde ein weiteres Exemplar<br />

der Art Ceratites nodosus, Exemplar<br />

5 aus der Otto-Klages-Sammlung, hinzugezogen.<br />

Die Lobenlinien sind an dem<br />

Steinkern dieses Exemplars gut zu erkennen<br />

(Abb. 25b) und somit für einen Vergleich<br />

geeignet. Wichtig ist dabei das Vorhandensein<br />

von 4 großen und vollständig<br />

ausgebildeten Sätteln auf der Außenseite<br />

der Lobenlinien, das stellt ein wichtiges<br />

charakteristisches Merkmal für die Zuordnung<br />

zur nodosus-Gruppe dar. Ein weiterer,<br />

wichtiger Aspekt für die Zuordnung<br />

zur Art Ceratites nodosus ist die Position des<br />

Externlobus, der sich zu einem großen Teil<br />

auf dem Rücken des Steinkerns befindet.<br />

Erst bei älteren, flacheren Typen der C.-<br />

nodosus-Gruppe, wie Ceratites semipartitus,<br />

wandert der Externlobus auf die Flanke<br />

(Philippi 1901).<br />

Abb. 25 Die Exemplare von Ceratites nodosus aus<br />

der Schausammlung des Landesmuseums Hannover<br />

mit der Inventarnummer: 105.318 (a) und aus<br />

der Otto-Klages-Sammlung (b) im Vergleich (jeweils<br />

sinistrale Seite).<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


112 Patrick Strauch<br />

Ceratites compressus: Vergleich von<br />

Exemplar 2 aus der Schausammlung<br />

des Landesmuseums Hannover mit<br />

Exemplar 7 aus der Otto-Klages-<br />

Sammlung<br />

Auch bei Exemplar 2, Ceratites compressus,<br />

ist eine Bestätigung der bisherigen<br />

Artbestimmung anhand der aufgenommenen<br />

Merkmale und des Vergleichs mit<br />

Exemplar 7, Ceratites compressus aus der Otto-Klages-Sammlung,<br />

zu verzeichnen. Um<br />

einen Artenvergleich vorzunehmen, wird<br />

zunächst die Skulptur näher betrachtet. Bei<br />

beiden Exemplaren finden sich schwach<br />

ausgebildete Einfachrippen, die gegen die<br />

Externseite flach auslaufen. Dadurch entsteht<br />

der Eindruck, dass die Gehäuse oval<br />

gerundet sind. Bei Exemplar 2, dem Ceratiten<br />

aus der ehemaligen Schausammlung<br />

des Landesmuseums Hannover, ist<br />

die Ausbildung der Skulptur, wahrscheinlich<br />

aufgrund stärkerer Erosionsereignisse<br />

und eines wesentlich höheren Abrollungsgrades,<br />

schwächer, aber vorhanden. In Abb.<br />

26 wird dieser Eindruck noch bestätigt, das<br />

kann aber auch an den durch die Skulptur<br />

bedingten Schatten auf dem Exemplar von<br />

Ceratites compressus aus der Otto-Klages-<br />

Sammlung liegen. Außerdem ergeben sich<br />

bei dem Vergleich der Gehäuseparameter<br />

sowie der Größe der Steinkerne übereinstimmende<br />

Ergebnisse. Auch hier kann in<br />

„Die Ceratiten des oberen deutschen Muschelkalks“<br />

von Philippi (1901) der bestätigende<br />

Wert von 42 cm für die Scheibenzunahme<br />

gefunden werden. Die von Wenger<br />

(1957) angegebenen Werte für die Scheibenzunahme<br />

von 36 cm bis 46 cm decken<br />

sich mit den eigenen Ergebnissen (40 cm,<br />

s. Tab. 5). Eine Verwechslung von Ceratites<br />

compressus mit einem jungen Exemplar<br />

eines Ceratites nodosus ist hier auszuschließen,<br />

da die Skulpturausbildung eindeutig<br />

ist. Bei dem Vergleich der Skulpturen<br />

fällt bei beiden Exemplaren von Ceratites<br />

compressus die sehr flache und wenig ausgeprägte<br />

Skulptur auf, bei der die flachen<br />

Einfachrippen zur Außenseite hin auslaufen.<br />

Zwar treten diese Einfachrippen<br />

auch bei Ceratites nodosus auf, laufen jedoch<br />

nicht aus, sondern bilden bis zur Außenseite<br />

reichende kräftige und ausgeprägte<br />

Wulstrippen. Bei Ceratites compressus sind<br />

lediglich kleine dünne Knötchen, die nicht<br />

mit den Einfachrippen in Verbindung<br />

Abb. 26 Die Exemplare von Ceratites compressus<br />

aus der Schausammlung des Landesmuseums<br />

Hannover (a) und aus der Otto-Klages-Sammlung<br />

(b) im Vergleich (jeweils sinistrale Seite).<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Ceratiten zweier Teilsammlungen des Landesmuseums Hannover<br />

113<br />

stehen, aufzufinden. Weiterhin nimmt die<br />

Skulptur bei Ceratites compressus zur Mündung<br />

hin ab. Bei Ceratites nodosus hingegen<br />

nimmt die Skulptur zur Mündung hin zu.<br />

Ceratites intermedius: Vergleich von<br />

Exemplar 3 aus der Schausammlung<br />

des Landesmuseums Hannover mit<br />

Exemplar C. intermedius aus dem<br />

Geologischen Institut der Universität<br />

Tübingen, Sammlung Dr. Linck<br />

Aufgrund der ungünstigen Position der<br />

anderen Exemplare in der Matrix erfolgte<br />

die Bestimmung nur an dem größten Exemplar<br />

von Ceratites intermedius (Abb. 27).<br />

Geplant war es, aufgrund fehlender Vergleichstücke<br />

der Art Ceratites intermedius<br />

in der Otto-Klages-Sammlung, einen nahen<br />

Verwandten mit ähnlichen Merkmalen<br />

zum Vergleich heranzuziehen. Zwar<br />

waren zwei Exemplare eines Ceratites dorsoplanus<br />

in der Otto-Klages-Sammlung<br />

aufzufinden, jedoch war der Erhaltungszustand<br />

bei beiden Exemplaren für einen<br />

Vergleich unzureichend. Daher wird bei<br />

diesem Exemplar auf Literaturangaben zurückgegriffen.<br />

Der Ceratit wirkt sehr flach<br />

und scheibenförmig. Außerdem befindet<br />

sich der Externsattel zum großen Teil auf<br />

der Lateralseite und nicht mehr auf dem<br />

Rücken des Steinkerns. Das ist ein Merkmal,<br />

das auf einen Entwicklungstrend in<br />

Richtung Ceratites semipartitus hinweist<br />

(Philippi 1901) und schließt eine Zugehörigkeit<br />

zur nodosus-Gruppe aus. Um weitere<br />

Hinweise zu erhalten, wurde zusätzlich<br />

auf die Beschreibungen und die Abbildungen<br />

aus „Die Germanischen Ceratiten“<br />

von Wenger (1957) zurückgegriffen. Nach<br />

Wenger ist für diese Art ein schmaler und<br />

oft flachrückiger Phragmokon charakteristisch,<br />

der schwache Externknoten trägt.<br />

Dabei sind Lateralwülste nur angedeutet<br />

oder nicht vorhanden. Ceratites intermedius<br />

wird relativ groß und weist eine involute<br />

Form auf (Wenger 1957) (Abb. 27).<br />

Den Angaben von Wenger folgend ist<br />

die Art Ceratites semipartitus hier aber auszuschließen,<br />

da diese nach seiner Auffassung<br />

keine Externknoten auf dem Phragmokon<br />

hat und den Externlobus weit auf<br />

der Flanke trägt. Bei Exemplar 3 sind aber<br />

deutliche Externknoten auszumachen und<br />

auch der Externlobus befindet sich, aufgrund<br />

des flachen Rückens, nicht auf der<br />

Abb. 27 Ceratites intermedius aus der Schausammlung<br />

des Landesmuseums Hannover (a) im<br />

Vergleich mit einem Ceratites intermedius aus<br />

dem Geologischen Institut Tübingen (b) aus der<br />

Sammlung Dr. Linck (Wenger 1957, Tafel 18 Fig. 1)<br />

(jeweils sinistrale Seite).<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


114 Patrick Strauch<br />

Flanke, sondern noch auf der ventralen<br />

Seite. Weiterhin liegt der Literaturwert<br />

von Wenger für die Scheibenzunahme bei<br />

Ceratites semipartitus zwischen 48 cm und<br />

53 cm, also weit über dem am vorliegenden<br />

Objekt gemessenen Wert von 39,8 cm (s.<br />

Tab. 3). Zwar liegt der eigene Wert auch<br />

nicht in dem von Wenger für Ceratites intermedius<br />

angegebenen Bereich von 43 cm<br />

bis 45 cm, jedoch ist diese Abweichung<br />

wahrscheinlich auf die Verformung des<br />

Ceratiten oder auf die Vermutung, dass es<br />

sich hierbei um ein junges Exemplar handelt,<br />

zurückzuführen. Die Beschreibungen<br />

von Wenger (1957) decken sich gut mit<br />

der eigenen Beschreibung von Exemplar<br />

3. Aufgrund dieser Tatsache und der oben<br />

genannten Aspekte ist die Bestimmung als<br />

Ceratites intermedius zu bestätigen (Abb.<br />

27). Ceratites intermedius ist aufgrund einer<br />

Namensüberschneidung mit einem Ammoniten<br />

im Jahre 1987 zu Ceratites weyeri<br />

umbenannt worden.<br />

Ceratites sp., Exemplar 4<br />

aus der Schausammlung des<br />

Landesmuseums Hannover<br />

Bei diesem Stück muss angemerkt werden,<br />

dass die Messungen aufgrund des<br />

nicht ersichtlichen Übergangs des Phragmokons<br />

zur Wohnkammer nicht zur Artbestimmung<br />

anhand der Kriterien von<br />

Wenger (1957) herangezogen werden<br />

können, deshalb wurden keine weiteren<br />

Messungen an diesem Exemplar durchgeführt.<br />

Eine aussagekräftige Skulptur ist<br />

nicht festzustellen und verlässliche Werte<br />

zur Errechnung von Gehäuseparametern<br />

können nicht aufgenommen werden. Die<br />

Lobenlinien sind, wenn überhaupt, nur z.<br />

T. und stark deformiert vorzufinden, aber<br />

immer noch als ceratitische Struktur zu<br />

erkennen. Die Zugehörigkeit der Art zur<br />

Gattung Ceratites ist zwar möglich, jedoch<br />

ist die genaue Art weiterhin nicht zu bestimmen.<br />

Ausblick<br />

Es konnten alle bisherigen Artbestimmungen<br />

bestätigt werden, auch wenn dieses<br />

Unterfangen zunächst relativ schwer<br />

fiel. Die Arbeit an Steinkernen ist, da diese<br />

in der Regel starker Deformation und<br />

Erosion ausgesetzt sind, nicht immer einfach.<br />

Wichtige Merkmale sind oft zerstört,<br />

verzerrt oder gar nicht mehr zu erkennen<br />

und deshalb ist eine exakte Artbestimmung<br />

oft nicht möglich. Aktuelle Literatur<br />

befasst sich mit phylogenetischen Aspekten<br />

und dem Sexualdimorphismus bei<br />

Ceratiten. Dabei sind besonders die Arbeiten<br />

von Rein (2003) und Urlichs (2006) zu<br />

nennen, die sich in der jüngeren Vergangenheit<br />

ausführlicher mit den Ceratiten<br />

des Germanischen Beckens beschäftigt<br />

haben. Daraus ergeben sich für die junge<br />

Ceratiten-Forschung neue Möglichkeiten,<br />

die sich besonders auf eine Korrelation<br />

zwischen den Ceratiten des germanischen<br />

Oberen Muschelkalk und der alpinen Trias<br />

beziehen. Innerhalb einer Art können unterschiedliche<br />

Ausprägungen im Hinblick<br />

auf Größe und Skulptur im adulten Stadium<br />

auftreten. Infolgedessen wurden Merkmale<br />

eines Geschlechtsdimorphismus vermutlich<br />

fälschlicherweise als Merkmale für<br />

eine andere Art angesehen (Urlichs 2006).<br />

Erstmals war es Müller (1969) möglich, einen<br />

„Eierbeutel“ in der Wohnkammer von<br />

Ceratites evolutus und damit ein Weibchen,<br />

nachzuweisen. Ebenso gibt es Hinweise<br />

darauf, dass es sich bei den Arten Ceratites<br />

armatus und Ceratites münsteri nicht<br />

um zwei verschiedene Arten, sondern um<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Ceratiten zweier Teilsammlungen des Landesmuseums Hannover<br />

115<br />

die verschiedenen Geschlechter einer Art<br />

handelt (Rein 2003). Die Aufstellung der<br />

Arten sollte zukünftig unter Berücksichtigung<br />

dieser neuen Kenntnisse stattfinden,<br />

um eine korrekte Korrelation zwischen den<br />

Ceratiten des germanischen Oberen Muschelkalk<br />

und der alpinen Trias durchführen<br />

zu können.<br />

Danksagung<br />

Mein Dank gilt Dr. Annette Richter<br />

(Landesmuseum Hannover) für die Anregung,<br />

Betreuung und Prüfung dieser Arbeit,<br />

in deren Verlauf sie mir jederzeit kritisch<br />

und konstruktiv mit Rat und Tat zur<br />

Seite stand. Ich danke auch Prof. Dr. Carsten<br />

Brauckmann (Technische Hochschule<br />

Clausthal-Cellerfeld) für die Prüfung dieser<br />

Arbeit. Ebenso danke ich Annina Böhme<br />

(Landesmuseum Hannover) für die<br />

Unterstützung und die Bereitstellung aller<br />

für die Fotografien relevanten Materialien.<br />

Außerdem danke ich meinen Freunden,<br />

Kommilitonen und Kollegen, die mir<br />

in dieser Phase unterstützend zur Seite gestanden<br />

haben. Auch meiner Mutter Sabine<br />

Strauch, meinen Großeltern Heike und<br />

Jürgen Twickeler und meiner Freundin<br />

Viktoria Nebieridze gilt mein Dank für die<br />

Unterstützung während des Studiums.<br />

Literatur<br />

Amler, Michael (2012): Allgemeine Paläontologie.<br />

WBG; Darmstadt.<br />

Bachmann, Gerhard H. (1999): Stratigraphie<br />

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Norbert; Wilde, Volker: Trias: Eine ganz<br />

andere Welt. Pfeil-Verlag; München.<br />

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Trias: Eine ganz andere Welt. Pfeil-Verlag;<br />

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Abhandlungen N. F., 4: 34 – 457.<br />

Verlag Gustav Fischer; Jena.<br />

Rein, Siegfried (2003): Zur Biologie der Ceratiten<br />

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Riedel, Adolf (1916): Beiträge zur<br />

Paläontologie und Stratigraphie der Ceratiten<br />

des deutschen Oberen Muschelkalks.<br />

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Stanley, Steven, M. (1989): Historische Geologie.<br />

Spectrum Verlag; Heidelberg/Berlin/<br />

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Urlichs, Max (1999): Cephalopoden im Muschelkalk<br />

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Beckens. – In: Hauschke, Norbert;<br />

Wilde, Volker: Trias: Eine ganz andere Lebewelt.<br />

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Schweizerbart; Stuttgart.<br />

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Leben in der Vorzeit. Schweizerbart; Stuttgart.<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


116<br />

Abbildungsverzeichnis<br />

Gretarsson (2013): Geologische Karte der<br />

Elm-Region http://upload.wikimedia.org/<br />

wikipedia/commons/c/c2/Elm_Asse_Dorm_<br />

geol.png (12.07.2014). Lizenzen: GNU Free<br />

Documentation Licence, CC BY-SA 3.0.<br />

Arbeit eingereicht: 26.03.2014<br />

Arbeit angenommen: 26.08.2014<br />

Anschrift des Verfassers:<br />

Patrick Strauch<br />

Schlegelstraße 20<br />

30625 Hannover<br />

E-Mail: patrick.strauch@ymail.com<br />

Glossar<br />

Adventivlobus Lobus, der sich zwischen<br />

Externlobus und Laterallobus befindet<br />

Amonoideen ausgestorbene Teilgruppe der<br />

marin lebenden Kopffüßer (Cephalopoden)<br />

Aragonit ist dem Calcit sehr ähnlich, weist<br />

jedoch ein orthorhombisches Kristallgitter<br />

auf; Umwandlung von Calcit zu Aragonit<br />

durch Diagenese<br />

Benthal/benthisch Lebensraum am Boden<br />

eines Gewässers bzw. Bezeichnung einer<br />

Lebensweise<br />

Evaporite Salzsteine, die durch das Verdunsten<br />

salzhaltiger wässriger Lösungen<br />

entstehen<br />

Externknoten sicht- und fühlbare Erhebungen<br />

auf der Außenseite der Steinkerne von<br />

Ammonoideen<br />

Externlobus Lobus an der Außenseite des<br />

Gehäuses<br />

fluviolakustrisch Ablagerungsart durch fluviatile<br />

Sedimente (aus Flüssen) und Seen<br />

(lakustrisch)<br />

Germanische Trias geologische Supergruppe<br />

aus dem Mesozoikum: Buntsandstein,<br />

Muschelkalk, Keuper<br />

Germanisches Becken Sedimentationsgebiet<br />

in West- und Mitteleuropa, erstreckte<br />

sich im Perm und in der Trias von England<br />

bis an die Ostgrenze Polens<br />

Ichnofossilien Spurenfossilien, z. B. Grabgänge<br />

von Würmern, Dinosaurierfährten<br />

Internlobus Lobus auf der Innenseite der<br />

Gehäusewindung<br />

Laterallobus Lobus auf der Seitenfläche des<br />

Gehäuses<br />

Lobus spitz oder in Zähnchen zulaufende<br />

Krümmungen der Lobenlinien, die von der<br />

Mündung wegzeigen<br />

Pelagial/pelagisch uferferne Wasserbereiche<br />

eines Sees oder Meeres bzw. Bezeichnung<br />

einer Lebensweise<br />

Phragmokon der in Kammern geteilte<br />

Raum hinter der Wohnkammer<br />

Primärsutur die älteste typische Lobenlinie<br />

der ersten Kammer<br />

Proseptum septenartige Verdickung vor<br />

dem Protoconch bei Ammonoideen<br />

Prosutur die Lobenlinie, die direkt an der<br />

Anfangskammer gelegen ist<br />

Protoconch Anfangskammer, Larvalgehäuse<br />

bei Weichtieren<br />

Protostomie Entwicklung des Urmundes<br />

zum Mund, Neudurchbruch des Afters<br />

Sattel rundliche Krümmung der Lobenlinie,<br />

die Richtung Gehäusemündung weist<br />

Septen Kammerscheidewände zwischen<br />

den Kammern im Gehäuse<br />

Subsidenz bezeichnet in der Geologie den<br />

Vorgang einer Absenkung. Dies kann lokal<br />

oder auch großräumig (mehrere Zehntausend<br />

bis mehrere Millionen Quadratkilometer)<br />

stattfinden<br />

Sutur Lobenlinie<br />

Taphonomie Lehre von der Fossilisation.<br />

Untersuchung von Prozessen, die nach dem<br />

Tod eines Organismus stattfinden/stattgefunden<br />

haben<br />

Transgression/Regression Vorrücken bzw.<br />

Zurückweichen der Küstenlinie, bedingt<br />

durch Anstieg bzw. Absenkung des Meeresspiegels<br />

Umbilikallobus Lobus, der zwischen dem<br />

Laterallobus und dem Internlobus gelegen<br />

ist<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


117<br />

Nathanael Gottfried Leske (1751 – 1786)<br />

und sein klassisches Naturalienkabinett<br />

Gerd Ibler<br />

Vor über 260 Jahren, am 22. Oktober<br />

1751, wurde in Muskau an der Lausitzer<br />

Neiße Nathanael Gottfried Leske<br />

geboren. Er legte ein umfangreiches<br />

Naturalienkabinett an, das heute im<br />

Natio nal Museum of Ireland aufbewahrt<br />

wird. Er starb nur 35-jährig am 25. November<br />

1786 in Marburg.<br />

Zusammenfassung<br />

Nathanael Gottfried Leske hat sich bereits<br />

als Schüler für die Schönheit der Natur,<br />

die Vielfalt der Formen und Farben<br />

ihrer Geschöpfe und die Gestaltung der<br />

Mineralwelt interessiert und begeistert. Er<br />

reifte zum ambitionierten Naturwissenschaftler,<br />

der sich als Professor für Naturgeschichte<br />

und Ökonomie an der Universität<br />

Leipzig auch für den wirtschaftlichen<br />

und gesellschaftlichen Fortschritt der unterdrückten<br />

Landbevölkerung einsetzte.<br />

Das Sammeln von Naturalien war seine<br />

große Leidenschaft, wodurch die Zusammenstellung<br />

einer einzigartigen Kabinettkollektion,<br />

bestehend aus Mineralien und<br />

Gesteinen sowie Wirbeltieren, Vögeln,<br />

Amphibien, Fischen, Insekten und wirbellosen<br />

Tieren möglich war. Vor allem war<br />

es sein Bestreben, die naturwissenschaftlichen<br />

Erkenntnisse jener Zeit zu erweitern<br />

und das allgemeine Verständnis für die<br />

Vorgänge und Gegebenheiten in der Natur<br />

zu fördern. Nach seinem frühen Tod<br />

im Alter von nur 35 Jahren wurde seine<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


118 Gerd Ibler<br />

reichhaltige Naturaliensammlung, die unter<br />

dem Namen „Museum Leskeanum“<br />

von dem deutschen Mineralogen Dietrich<br />

Ludwig Gustav Karsten katalogisiert worden<br />

war, nach Dublin/Irland verkauft. Leskes<br />

Mineraliensammlung existiert noch<br />

heute und wird im Zentralmagazin des<br />

dortigen National Museum of Ireland verwahrt.<br />

Gesellschaftliche Stellung<br />

Universitätsprofessor in Leipzig für<br />

Naturgeschichte (1774) und Ökonomie<br />

(1775), ordentlicher Professor der Naturgeschichte<br />

und Kameralwissenschaften<br />

(Verwaltungs- und Finanzwissenschaft)<br />

in Marburg (1786), Mineraloge<br />

und Geologe, ab 1780 Herausgeber des<br />

„Leipziger Magazins zur Naturkunde und<br />

Oekonomie“, seit 1774 Mitglied der Gesellschaft<br />

Naturforschender Freunde zu<br />

Berlin, 1778 Ehrenmitglied und kurzfristig<br />

Sekretär der Ökonomischen Gesellschaft<br />

zu Leipzig, Mitglied der Kaiserlichen<br />

freien ökonomischen Gesellschaft zu<br />

St. Petersburg, Mitglied der Königlichen<br />

Schwedischen patriotischen Gesellschaft<br />

zu Stockholm, Mitglied der Gesellschaft<br />

sittlicher und landwirtschaftlicher Wissenschaften<br />

zu Burghausen in Bayern, Mitglied<br />

der Physiographischen Gesellschaft<br />

zu Lund in Schweden, Mitglied der Königlichen<br />

Societät der Ärzte zu Paris, Mitglied<br />

des Museums zu Paris, Mitglied der<br />

Abb. 1 Porträt um 1785 des Mineralogen Nathanael<br />

Gottfried Leske (1751 – 1786) auf dem Titelblatt<br />

des „Museum Leskeanum“ von Dietrich Ludwig<br />

Gustav Karsten, Band 1, Leipzig, 1789.<br />

Naturforschenden Gesellschaft zu Zürich,<br />

Mitglied der Gesellschaft zum Nutzen der<br />

Wissenschaften und Künste zu Frankfurt,<br />

Mitglied der Oberlausitzischen Gesellschaft<br />

der Wissenschaften zu Görlitz, Mitglied<br />

der Oberlausitzer Bienengesellschaft<br />

in Diehsa bei Görlitz, korrespondierendes<br />

Mitglied der Königlichen Gesellschaft der<br />

Wissenschaften zu Göttingen, auswärtiges<br />

Mitglied der Königlichen Gesellschaft der<br />

Wissenschaften in Böhmen (Löper 1786;<br />

Andert & Prescher 1977; Stets 1995).<br />

Herkunft und Ausbildung<br />

Nathanael Gottfried Leske wurde am<br />

22. Oktober 1751 in Muskau (heute: Bad<br />

Muskau) in der Oberlausitz geboren. Sein<br />

Vater, Gottfried Leske (1725 – 1796), geboren<br />

am 14. November 1725 in Rastenburg,<br />

Ostpreußen (jetzt: Ketrzyn, Polen),<br />

war Magister und von 1750 bis 1757 Archidiakon<br />

an der deutschen und Pfarrer an<br />

der wendischen Kirche von Muskau. Im<br />

Jahr 1757 zog er um nach Königswartha<br />

bei Bautzen. Hier blieb er bis 1776. Vermutlich<br />

wegen seiner unkonventionellen<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Nathanael Gottfried Leske (1751 – 1786) und sein klassisches Naturalienkabinett<br />

119<br />

Ansichten musste er den Ort verlassen und<br />

ging 1783 nach Polen, wo er schließlich<br />

evangelischer Seelsorger in Neuhof (Nowodwor,<br />

heute: Nowy Dwór) in der Nähe<br />

Warschaus wurde. Er war ein sehr gelehrter<br />

und redlicher Mann. Seine Mutter, Johanna<br />

Christiana Dorothea Leske, war<br />

eine geborene Popp.<br />

In seiner Kindheit war Nathanael Gottfried<br />

Leske einem unachtsamen Kindermädchen<br />

überlassen, das ihn vernachlässigte,<br />

und folglich wuchs ein empfindlicher<br />

Junge heran mit einer Rückgratverkrümmung,<br />

die ihm große Beschwerden bereitete.<br />

Leske besuchte keine öffentliche Schule,<br />

sondern erhielt von seinem Vater Privatunterricht.<br />

Zur Weiterbildung schickte sein<br />

Vater ihn in das Waisenhaus nach Halle,<br />

einem Teil der Franckeschen Stiftungen.<br />

Wegen seines schlechten Gesundheitszustandes<br />

musste er jedoch schon vor Ablauf<br />

der Jahresfrist nach Hause zurückkehren.<br />

Er wurde weiterhin von seinem Vater unterrichtet<br />

bis zum Alter von siebzehn Jahren.<br />

Dann wurde er für befähigt gehalten,<br />

das Studium an der Universität in Leipzig<br />

aufzunehmen.<br />

Am 19. Mai 1769 ließ sich Nathanael<br />

Gottfried Leske an der Universität Leipzig<br />

für das Studium der Medizin immatrikulieren.<br />

Später studierte er auch Naturwissenschaften<br />

und Philosophie an<br />

der Universität Leipzig. Seine Liebe für<br />

Naturgeschichte wurde bereits zu Hause<br />

gefördert und brachte ihn schon bald<br />

in Kontakt mit Christian Gottlieb Ludwig<br />

(1709 – 1773), Professor der Medizin<br />

und ein wohlbekannter Botaniker, bei dem<br />

er Botanik studierte. Ludwig sah in Leske<br />

einen förderungswürdigen Studenten und<br />

unterstützte ihn finanziell, um ihm das erstrebte<br />

Studium zu ermöglichen. Vorlesungen<br />

über Mineralogie hörte Leske bei Professor<br />

Johann Carl Gehler (1732 – 1796).<br />

Am 27. Februar 1773 erlangte Leske den<br />

akademischen Grad eines Medicinae Baccalaureus<br />

und am 17. Februar 1774 wurde<br />

ihm die Würde eines Magisters der Philosophie<br />

zuteil. Ab 1774 betätigte sich Leske<br />

als Autor für naturwissenschaftliche<br />

Schriften, womit er großen Erfolg hatte.<br />

Im Herbst 1774 stellte Leske bei Kurfürst<br />

Friedrich August III. von Sachsen<br />

(1750– 1827) den Antrag auf Einrichtung<br />

einer außerordentlichen Professur für Naturgeschichte<br />

an der Universität Leipzig.<br />

Am 14. Dezember 1774 wurde der Antrag<br />

bewilligt und Leske erhielt die Professur<br />

für Naturgeschichte mit einem Jahresgehalt<br />

von 200 Reichstalern zugesprochen.<br />

Am 18. März 1775 unterschrieb Leske die<br />

entsprechende Verpflichtungserklärung<br />

der Universität Leipzig. Bereits am 22. Februar<br />

1775 hielt Leske seine Antrittsrede<br />

über philosophische Betrachtungen der<br />

Naturgeschichte.<br />

Am 9. Februar 1778 wurde Leske die<br />

ordentliche Professur für Ökonomie mit<br />

200 Reichstalern Jahresgehalt verliehen.<br />

Die entsprechende Verpflichtungserklärung<br />

der Universität Leipzig unterzeichnete<br />

Leske am 2. September 1778. Bereits am<br />

25. Juli 1778 hielt Leske seine Antrittsvorlesung.<br />

Nathanael Gottfried Leske wohnte<br />

in Leipzig, Am Brühl. 1778 zog er in<br />

den Barthelhof am Markt um. 1779 lernte<br />

Leske Eleonore Sophia Maria Müller<br />

(1757– 1831) kennen, die er am 16. Januar<br />

1780 heiratete. Sie war die einzige Tochter<br />

des Leipziger Buchhändlers und Verlegers<br />

Johann Gottfried Müller. Das Ehepaar<br />

Leske hatte drei Kinder. Am 27. November<br />

1781 wurde der Sohn Wilhelm geboren,<br />

der jedoch bereits am 13. Dezember 1781<br />

starb. Am 30. März 1784 wurde der zweite<br />

Sohn Karl Wilhelm geboren. Die Tochter<br />

Eleonore Wilhelmina wurde am 7. Januar<br />

1786 geboren.<br />

Nach dem Tod seines Schwiegervaters<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


120 Gerd Ibler<br />

Johann Gottfried Müller im Winter 1782<br />

musste Leske dessen Verlag und Buchhandlung<br />

übernehmen. Unter dem Zeitbedarf<br />

für diese zusätzliche Aufgabe litt seine<br />

Arbeit für die Wissenschaften.<br />

Der Landgraf Wilhelm IX. von Hessen-Kassel<br />

(1743 – 1821) berief Leske<br />

im Herbst 1786 zum ordentlichen Professor<br />

der Finanzwissenschaft und Ökonomie<br />

nach Marburg. Am 7. November<br />

1786 machte er sich mit seiner Familie<br />

und seiner gesamten Habe auf den Weg<br />

nach Marburg. Bei strengem Frost verunglückte<br />

seine Reisekutsche bereits etwa 2<br />

Meilen nach dem Aufbruch von Leipzig.<br />

Obwohl von allen am Unfall Beteiligten<br />

niemand verletzt zu sein schien, musste<br />

Nathanael Gottfried Leske mit seiner<br />

Familie für mehrere Stunden in der<br />

bitteren Kälte ausharren, bis Hilfe vom<br />

Nachbardorf eintraf. Dank dieser Helfer<br />

konnte die Familie Leske die nächste Poststation<br />

Rippach erreichen und dort übernachten.<br />

Am Tag darauf feierten sie den<br />

Geburtstag seiner Frau, doch später wurde<br />

ihm unwohl und sie eilten nach Kassel,<br />

um in ärztliche Behandlung zu kommen.<br />

Er litt unter Atemnot und starken<br />

Unterleibsschmerzen. Der kranke Leske<br />

stellte sich beim Landgrafen Wilhelm<br />

IX. vor, der ihn sofort von seinem Leibarzt,<br />

dem Medicus Fischer, behandeln ließ.<br />

Dann entließ er ihn zur Weiterreise nach<br />

Marburg. Von seinem Marburger Freund,<br />

dem Hofrath und Leibarzt Ernst Gottfried<br />

Baldinger (1738 – 1804), wurde er<br />

herzlich empfangen, der den ernsthaft erkrankten<br />

Leske überredete, sich von dem<br />

hervorragenden Arzt Hofrath Michaelis<br />

behandeln zu lassen. Leske hoffte auf gesundheitliche<br />

Besserung und traf Vorbereitungen,<br />

um an der Universität Marburg ab<br />

27. November mit Vorlesungen zu beginnen.<br />

Doch am 25. November nachts verschlimmerte<br />

sich sein Zustand und er starb<br />

plötzlich früh morgens um 2 Uhr, erst 35<br />

Jahre alt. Am 27. November 1786 wurde<br />

er in Marburg bestattet. Er hinterließ eine<br />

verzweifelte Witwe und zwei kleine Kinder,<br />

den zwei Jahre und acht Monate alten<br />

Sohn Karl Wilhelm und die erst zehn Monate<br />

alte Tochter Eleonore Wilhelmina.<br />

Die Professur in Marburg wahrzunehmen,<br />

war ihm nicht mehr vergönnt (Löper 1786;<br />

Andert & Prescher 1977; Sweet 1967).<br />

Leskes Freundschaft mit dem Mineralogen<br />

Abraham Gottlob Werner<br />

1769 begann Abraham Gottlob Werner<br />

(1749 – 1817) mit dem Studium an<br />

der Bergakademie Freiberg in Sachsen<br />

(Student Nr. 52). Am 5. Juni 1771 schrieb<br />

sich Werner als Studierender der Rechtswissenschaften,<br />

der Philosophie, der Mineralogie<br />

und für neuere Sprachen an der<br />

Universität Leipzig ein. Auch er besuchte<br />

Professor Johann Carl Gehlers Vorlesungen<br />

über Mineralogie. Bei dieser Gelegenheit<br />

trafen die Mineralogiestudenten<br />

Leske und Werner vermutlich zusammen<br />

und wurden aufgrund ihres gemeinsamen<br />

Interesses für Mineralogie und Geologie<br />

bald gute Freunde. Begünstigt durch das<br />

gleiche Interessengebiet und eifrige Studien<br />

der Naturwissenschaften verband<br />

die beiden eine enge Freundschaft, die von<br />

beiden durch persönliche Besuche und mit<br />

regem Briefverkehr gepflegt wurde und<br />

bis zu Leskes Tod 1786 anhielt. Im wissenschaftlichen<br />

Altbestand der Universitätsbibliothek<br />

der Technischen Universität<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Nathanael Gottfried Leske (1751 – 1786) und sein klassisches Naturalienkabinett<br />

121<br />

Abb. 2 Porträt des Mineralogen Abraham Gottlob<br />

Werner (1749 – 1817).<br />

Bergakademie Freiberg werden 132 Briefe<br />

Leskes an Werner und 71 Briefe Werners<br />

an Leske aus den Jahren 1774 bis 1786<br />

aufbewahrt (schriftliche Mitteilung der<br />

TU Freiberg 24.4.2014). Werner setzte bis<br />

Michaelis 1774 sein Studium an der Universität<br />

Leipzig fort. Im Jahr 1775 wurde<br />

er durch den Kurator der Bergakademie,<br />

Berghauptmann Pabst von Ohain, als Inspektor<br />

und Lehrer für das „Mineralogische<br />

Kolleg“ berufen. Ab 1776 lehrte Werner als<br />

Professor der Geognosie (Geologie), der<br />

Oryktognosie (Mineralogie) und des Bergwesens<br />

an der Bergakademie Freiberg. Obwohl<br />

die beiden bei Professor J. C. Gehler<br />

gemeinsam Mineralogie studiert hatten,<br />

betrachtete Leske seinen Freund Werner<br />

als seinen Lehrer in Mineralogie. Werner<br />

hatte wohl ein charismatisches Wesen, das<br />

seine Freunde und Zuhörer in Bann zog<br />

und seine neue Lehre über die äußerlichen<br />

Kennzeichen der Fossilien (Mineralien)<br />

und sein Festhalten am sogenannten Neptunismus<br />

zunächst unwidersprochen akzeptierten<br />

(Abb. 2).<br />

Der Naturforscher Leske<br />

als Autor<br />

Nathanael Gottfried Leske hat von 1772<br />

bis 1786 insgesamt 38 wissenschaftliche<br />

Veröffentlichungen verfasst (Andert &<br />

Prescher 1977).<br />

1779 wurde die erste Auflage von Leskes<br />

zweibändigem, mit zahlreichen Illustrationen<br />

versehenem Werk „Anfangsgründe der<br />

Naturgeschichte“ veröffentlicht (Abb. 3).<br />

Abb. 3 Titelseite der „Anfangsgründe der Naturgeschichte<br />

von Nathanael Gotfried Leske. Erster<br />

Teil. Algemeine Natur- und Tiergeschichte mit 12<br />

Kupfertafeln. Zwote verbesserte und viel vermehrte<br />

Ausgabe“, Leipzig, 1784.<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


122 Gerd Ibler<br />

Leske schrieb das naturkundliche Buch<br />

als Anleitung für Studierende und für<br />

den Schulunterricht, als auch für Naturliebhaber.<br />

Es wird die allgemeine und die<br />

spezielle Naturgeschichte der drei Naturreiche<br />

– Pflanzenreich, Tierreich und Mineralien<br />

– beschrieben. Bei der Systematik<br />

hat er sich weitgehend an die Lehre des<br />

schwedischen Naturforschers und Botanikers<br />

Carl von Linné (1707 – 1778) gehalten.<br />

Leske benutzte wie Werner und andere<br />

Zeitgenossen den Begriff Fossilien nicht<br />

nur für paläontologische Lebensspuren in<br />

Gesteinen, sondern auch allgemein für Mineralien.<br />

In der zweiten Ausgabe der „Anfangsgründe<br />

der Naturgeschichte“ von 1784<br />

hat Leske als aktuellstes Werk der naturgeschichtlichen<br />

Bücherkunde die „Deliciae<br />

Cobresianae“ des Augsburger Naturforschers<br />

Joseph Paul von Cobres<br />

(1746 – 1823) erwähnt. Die Erstausgabe<br />

von Leskes „Anfangsgründe der Naturgeschichte“<br />

(Leipzig 1779) war Bestandteil<br />

der berühmten Büchersammlung zur Naturgeschichte<br />

des Ritters von Cobres in<br />

Augsburg (Pfeuffer 2011).<br />

Im Jahr 1780 gründete Leske zusammen<br />

mit den Leipziger Professoren Karl<br />

Friedrich Hindenburg (1741 – 1808) und<br />

Christlieb Benedict Funk (1736 – 1786)<br />

eine Zeitschrift, die er unter dem Titel<br />

„Leipziger Magazin zur Naturkunde und<br />

Oekonomie“ herausgab. In der Schriftenreihe<br />

wurden Abhandlungen zur Naturkunde,<br />

Naturgeschichte, Chemie etc. veröffentlicht.<br />

Von 1781 bis 1786 wurde die<br />

Zeitschrift unter dem Namen „Leipziger<br />

Magazin für Naturkunde, Mathematik<br />

und Ökonomie“ herausgegeben. Nach seinem<br />

Tod 1786 wurde die wissenschaftliche<br />

Zeitschrift von einer Gelehrtengesellschaft<br />

unter dem Titel „Leske Magazin zur Naturkunde<br />

und Oekonomie“ weiter publiziert.<br />

Abb. 4 Porträt des Mineralogen Dietrich Ludwig<br />

Gustav Karsten (1768 – 1810) nach einem Stich von<br />

Samuel Halle.<br />

Im Jahr 1782 unternahm Leske eine<br />

naturkundliche Forschungsreise in die<br />

Oberlausitz. Seine Frau, die sein Interesse<br />

für Naturgeschichte teilte und seine<br />

Forschungstätigkeit unterstützte, begleitete<br />

ihn auf dieser Reise und übernahm<br />

das Sammeln von Pflanzen und die Pflege<br />

des Herbariums. Leske fasste seine Reiseeindrücke<br />

und -erfahrungen in Form von<br />

Briefen, geschrieben zwischen dem 29.<br />

Mai 1782 und dem 26. September 1782,<br />

zusammen und veröffentlichte sie 1785 als<br />

Buch unter dem Titel „Reise durch Sachsen<br />

in Rücksicht der Naturgeschichte und<br />

Ökonomie“.<br />

Im Wissenschaftszweig der Paläontologie<br />

bleibt der Name Leske gegenwärtig<br />

aufgrund der Beschreibung und Bestimmung<br />

mehrerer Gattungen und Arten fossiler<br />

Seeigel (Klasse Echinoidea) aus dem<br />

Stamm Echinodermata (Stachelhäuter)<br />

durch Nathanael Gottfried Leske, nämlich<br />

Holectypus depressus Leske, Discoides<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Nathanael Gottfried Leske (1751 – 1786) und sein klassisches Naturalienkabinett<br />

123<br />

subucula Leske, Conulus albogalerus Leske,<br />

Galerites vulgaris Leske, Conoclypus conoideus<br />

Leske, Clypeus plotii Leske, Holaster<br />

subglobosus Leske, Echinocorys ovatus Leske,<br />

Echinocorys scutatus Leske, Cardiaster ananchytes<br />

Leske, Hemipneustes striatoradiatus<br />

Leske, Micraster coranguinum Leske, Temnopleurus<br />

toreumaticus Leske, Echinus toreumaticus<br />

Leske (Richter 1981).<br />

Zu Ehren seines verstorbenen deutschen<br />

Kollegen Leske benannte der französische<br />

Naturforscher Charles Desmoulins<br />

(1798 – 1875) im Jahr 1837 einen Seeigel<br />

Micraster leskei (Andert & Prescher 1977).<br />

Mit seinem Forschergeist und den<br />

gewonnenen Erkenntnissen aus Naturbeobachtung<br />

und Erfahrung im Gelände<br />

vor Ort war Leske einer der Wegbereiter<br />

für die Begründung der Geologie als eigenständiger<br />

Zweig der Naturwissenschaften.<br />

Das Mineralienkabinett des Herrn Nathanael Gottfried Leske,<br />

katalogisiert als „Museum Leskeanum“ von dem Mineralogen<br />

Dietrich Ludwig Gustav Karsten<br />

Leske war nicht nur ein akribischer<br />

Naturforscher, sondern auch ein leidenschaftlicher<br />

Sammler von Mineralien und<br />

zoologischen Objekten. Auf Bitten Leskes<br />

erhielt er von seinem Freund Werner<br />

wiederholt Mineraliensendungen aus dem<br />

Erzgebirge. Die naturwissenschaftlichen<br />

Sammlungen dienten als Demonstrationsmaterial<br />

bei seinen Vorlesungen für die<br />

Studierenden. Auch Leskes Frau Eleonore<br />

Sophia sammelte Mineralien für ihr eigenes<br />

Kabinett, das Werner gelegentlich mit<br />

der Gabe kleiner Mineralstufen ergänzte.<br />

Nach dem allzu frühen Tod des Naturwissenschaftlers<br />

Leske verfasste der Mineraloge<br />

und Oberbergrat in Berlin Dietrich<br />

Ludwig Gustav Karsten (1768 – 1810), ein<br />

Schüler des berühmten Professors der Mineralogie<br />

an der Bergakademie Freiberg,<br />

Abraham Gottlob Werner, im Auftrag der<br />

Witwe Leske eine Dokumentation über<br />

das sehr umfangreiche Mineralienkabinett<br />

und die zoologischen Sammlungen von<br />

Nathanael Gottfried Leske, das sog. „Museum<br />

Leskeanum“. Karsten war damals<br />

preußischer Bergkadett und sein zuständiger<br />

Dienstherr und Mitbegründer der<br />

sächsischen Bergakademie in Freiberg, der<br />

preußische Minister und Leiter des preußischen<br />

Bergwesens, Friedrich Anton von<br />

Heynitz (Heinitz, 1725 – 1802), genehmigte<br />

Karstens Freistellung für die Katalogisierung<br />

von Leskes zoologischen und<br />

mineralogischen Sammlungen in Marburg.<br />

Karsten bewältigte diese umfangreiche Arbeit<br />

von Anfang Mai bis November 1788.<br />

Im Frühjahr 1789 konnte er das Manuskript<br />

für den Sammlungskatalog abschließen.<br />

Es ist erstaunlich, dass Karsten diese<br />

anspruchsvolle Aufgabe bereits als 20-Jähriger<br />

mit dem nötigen Erfahrungsschatz,<br />

der höchsten Sorgfalt und großer Ausdauer<br />

meistern konnte.<br />

Die Veröffentlichung der Sammlungsbestände<br />

als Katalog sollte dazu dienen, einen<br />

geeigneten Käufer für die naturkundlichen<br />

Sammlungen zu finden. Karsten publizierte<br />

das Werk 1789 in drei Bänden (Abb. 4).<br />

In Band 1 wurde Leskes zoologische<br />

Sammlung, die nach dem System von<br />

Carl von Linné geordnet war, in lateinischer<br />

Sprache beschrieben (Vol. 1: Regnum<br />

animale). Der zoologische Teil bestand<br />

aus insgesamt 4642 Exemplaren,<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


124 Gerd Ibler<br />

Abb. 5 Titelseite des Buches „Des Herrn Nathanael<br />

Gottfried Leske hinterlassenes Mineralienkabinet<br />

systematisch geordnet und beschrieben, auch<br />

mit vielen wissenschaftlichen Anmerkungen und<br />

mehreren äussern Beschreibungen der Fossilien<br />

begleitet“ von Dietrich Ludwig Gustaf Karsten,<br />

erster Band, Leipzig, 1789.<br />

Abb. 6 Titelseite des mineralogischen Teils des<br />

„Museum Leskeanum, Regnum Minerale“ von<br />

D. L. Gustavus Karsten, Vol. II., Teil 1, Leipzig, 1789.<br />

geordnet nach folgenden Abteilungen: 86<br />

Wirbeltiere, 161 Vögel, 120 Amphibien,<br />

72 Fische, 2773 Insekten und 1430 Würmer,<br />

Muscheln, Stachelhäuter und andere<br />

Wirbellose. – Als ehemaliger Schüler des<br />

Naturforschers Johann Reinhold Forster<br />

(1729 – 1798) an der Universität Halle war<br />

Karsten durchaus befähigt, auch den zoologischen<br />

Sammlungsbestand zu bestimmen<br />

und zu katalogisieren.<br />

Die Abhandlung des mineralogischen<br />

Teils von Leskes Sammlungen verfasste<br />

Karsten in deutscher Sprache und füllte<br />

zwei Bände mit der Beschreibung der<br />

Exponate, veröffentlicht in Leipzig im<br />

Jahr 1789 (Vol. 2, Pars 1, 2: Regnum minerale;<br />

Nebentitel: Des Herrn Nathanael<br />

Gottfried Leske hinterlassenes Mineralienkabinett).<br />

Vol. 2 erschien 1798 in englischer<br />

Übersetzung von George Mitchell in<br />

Dublin (Abb. 5).<br />

Leske hat seine Mineraliensammlung<br />

nach den 1778 gegebenen Empfehlungen<br />

seines Kollegen Werner in fünf Teilbereiche<br />

gegliedert. Abweichend von Werners<br />

Lehre hat Leske auch das Ordnungssystem<br />

des schwedischen Chemikers Torbern<br />

Olof Bergman (1735 – 1784) nach der chemischen<br />

Zusammensetzung der Minerale<br />

angewandt. Aufgrund seiner Erkenntnisse,<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Nathanael Gottfried Leske (1751 – 1786) und sein klassisches Naturalienkabinett<br />

125<br />

die er während seiner Reise durch die<br />

Oberlausitz im Jahr 1782 bei Beobachtungen<br />

an verschiedenen Basaltvorkommen<br />

gewonnen hatte, war Leske abweichend<br />

von Werner überzeugt, dass Basalte vulkanischen<br />

Ursprungs sind. Mit dieser Meinung<br />

hat sich Leske vom Neptunisten zum<br />

Vulkanisten (Plutonisten) gewandelt.<br />

Karsten nahm 1788 eine strikte Umordnung<br />

der fünf Teilsammlungen vor, entsprechend<br />

den Prinzipien Werners unter<br />

Beseitigung der Einteilung nach Bergmans<br />

chemisch orientiertem System und widerrief<br />

den vulkanischen Ursprung des Basaltes<br />

in der Suiten- und Gesteinssammlung.<br />

Er ordnete den mineralogischen Sammlungsbestand<br />

nach den systematischen<br />

Grundsätzen seines Lehrers Abraham<br />

Gottlob Werner in fünf Teile, und zwar<br />

die Kennzeichensammlung, geordnet nach<br />

den äußerlichen Kennzeichen der Fossilien<br />

(Mineralien), bestehend aus 580 Nummern,<br />

die oryktognostische Sammlung (die<br />

systematische mineralogische Sammlung),<br />

bestehend aus 3268 Nummern, die geognostische<br />

Sammlung zur Gebirgskunde<br />

(die petrografische Sammlung), bestehend<br />

aus 1098 Nummern, die mineralogischgeografische<br />

oder Suiten-Sammlung,<br />

bestehend aus 1909 Nummern, und die<br />

ökonomische Sammlung, bestehend aus<br />

474 Nummern. Sie diente zur Information<br />

über die Verwendung der verschiedenen<br />

Mineralien und Gesteine (Andert & Prescher<br />

1977; Hoppe 1985, 1987) (Abb. 6).<br />

Leskes berühmte Mineraliensammlung,<br />

die sich von 1790 bis 1792 in der Philipps-Universität<br />

Marburg für Lehrzwecke<br />

befand, bestand nach Karstens Katalog<br />

aus insgesamt 7329 Beleg- und Schaustücken.<br />

Überdies besaß Leske eine Dublettensammlung<br />

mit 700 Exemplaren – ein<br />

großartiges Monument intensivster Sammelleidenschaft<br />

und einer bewundernswerten<br />

Begeisterung für die geowissenschaftliche<br />

Forschung und Entwicklung<br />

im 18. Jahrhundert.<br />

Dietrich Ludwig Gustav Karsten trug<br />

mit der Einrichtung und Katalogisierung<br />

von Leskes Mineralienkabinett nach Werners<br />

Grundsätzen wesentlich dazu bei, die<br />

Lehre des sächsischen Mineralogen Abraham<br />

Gottlob Werner zu verbreiten. Mit<br />

diesem Werk erfolgte Karstens Durchbruch<br />

als sachverständiger Mineraloge und<br />

seine volle Anerkennung unter den Fachgelehrten.<br />

Leskes Mineralienkabinett (Leskean Cabinet) bei der<br />

Royal Dublin Society in Dublin/Ireland<br />

Richard Kirwan (1733 – 1812), ein irischer<br />

Mineraloge, Geologe, Chemiker und<br />

Naturphilosoph, der von Abraham Gottlob<br />

Werners Theorien beeinflusst war, veröffentlichte<br />

sein erstes Werk „Elements of<br />

Mineralogy“ 1784 in London. 1787 nach<br />

Dublin zurückgekehrt, wurde er aktives<br />

Mitglied der Dublin Society und Gründungsmitglied<br />

der Royal Irish Academy<br />

in Dublin. Von 1799 bis zu seinem Tod<br />

1812 war Kirwan Präsident der Royal Irish<br />

Academy. Er stand in Briefkontakt mit<br />

vielen prominenten Wissenschaftlern in<br />

Kontinentaleuropa, so auch mit Abraham<br />

Gottlob Werner, den er an der Bergakademie<br />

in Freiberg/Sachsen besuchte, obwohl<br />

er bei ihm nicht studiert hatte.<br />

Der Ire Kirwan hatte vernommen,<br />

dass das „Museum Leskeanum“, die naturwissenschaftlichen<br />

Sammlungen des<br />

Nathanael Gottfried Leske, verkauft werden<br />

sollte. Er setzte sich sofort dafür ein,<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


126 Gerd Ibler<br />

Abb. 7 Ein 1813 postum gemaltes Porträt des<br />

irischen Mineralogen Richard Kirwan (1733 – 1812),<br />

dargestellt von dem irischen Kunstmaler William<br />

Cuming (1769 – 1852). Das Bildnis befindet sich bei<br />

der Royal Irsih Academy in Dublin/Irland. Die Bildveröffentlichung<br />

erfolgt mit freundlicher Genehmigung<br />

der Royal Irish Academy, Dublin.<br />

diese Schätze nach Irland zu holen. Es<br />

schien ihm sehr wichtig, und er war überzeugt,<br />

dass eine so vortreffliche Mineraliensammlung<br />

möglichst für Lehrzwecke<br />

bei der Dublin Society erworben werden<br />

sollte. Er nutzte seine Verbindungen zum<br />

Irish House of Commons (Unterhaus), um<br />

Geld zum Kauf der Leske-Sammlung zu<br />

erwirken. Das irische Parlament bewilligte<br />

die Summe von £ 1200, die schließlich<br />

auf £ 1350 erhöht wurde, so dass Kirwan<br />

Leskes Mineraliensammlung, bestehend<br />

aus 7329 (lt. Karsten 1789) bzw. 7331 Einzelstücken<br />

(lt. George Mitchell 1798), im<br />

Jahr 1792 für die Dublin Society (Ökonomische<br />

Sozietät in Dublin) endlich kaufen<br />

konnte. Die Kollektion bestand aus<br />

Mineralien, Gesteinen und Fossilien. Alle<br />

Sammlungsstücke trugen kennzeichnende<br />

Etiketten versehen mit Nummern, die mit<br />

Karstens Katalog übereinstimmten. Das<br />

sogenannte Leskean Museum wurde in einem<br />

großen Saal des Gebäudes der Dublin<br />

Society an der Hawkins Street in Dublin<br />

im November 1792 untergebracht und<br />

verblieb dort bis 1815. Die neu erworbene<br />

Sammlung war für das große Publikum<br />

zu gewissen Zeiten zugänglich, für diejenigen<br />

aber, welche Mineralogie studierten,<br />

stand sie jederzeit offen. Kirwan teilte<br />

seine Arbeitszeit zwischen der Royal Irish<br />

Academy und der Dublin Society auf, wobei<br />

er bei der Dublin Society überwiegend<br />

mit der Leskean Collection of Minerals beschäftigt<br />

war. In Dankbarkeit für seine<br />

Bemühungen um Beschaffung und Einrichtung<br />

des Leskean Cabinet of Minerals<br />

wurde Kirwan 1794 von der Dublin Society<br />

eine goldene Ehrenmedaille verliehen<br />

und im Auftrag der Society von dem irischen<br />

Porträtmaler Hugh Douglas Hamilton<br />

(1739 – 1808) porträtiert. 1796 wurde<br />

Kirwan für seine Verdienste zum Mitglied<br />

der Royal Society of Edinburgh gewählt<br />

(Sweet 1967) (Abb. 7, 10).<br />

Mit dem Verkauf der Sammlungen nach<br />

Dublin (1792) und der Veröffentlichung<br />

der zweiten Ausgabe von Richard Kirwans<br />

Lehrbuch der Mineralogie „Elements of<br />

Mineralogy“ in zwei Bänden (London,<br />

Dublin, 1794, 1796) fand Werners Lehrgebäude<br />

auch im englischen Sprachraum<br />

Anerkennung und zahlreiche prominente<br />

Anhänger. Die deutsche Übersetzung aus<br />

dem Englischen besorgte Lorenz Florenz<br />

Friedrich von Crell (1744 – 1816) unter<br />

dem Titel „Anfangsgründe der Mineralogie“<br />

(Berlin 1796/1799 ; Neues bergmännisches<br />

Journal 1802). Karsten hatte Kirwans<br />

Erstausgabe der „Elements of Mineralogy“<br />

(Edinburgh, 1784) scharf kritisiert. In<br />

der deutlich veränderten Neuauflage seines<br />

mineralogischen Lehrbuches berücksichtigte<br />

Kirwan die neu gewonnenen Erkenntnisse<br />

aus der nach Dublin geholten<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Nathanael Gottfried Leske (1751 – 1786) und sein klassisches Naturalienkabinett<br />

127<br />

Leske-Sammlung und dem Karsten-Katalog<br />

„Museum Leskeanum“ mit wiederholten<br />

Hinweisen auf das Wernersche System<br />

(Abb. 8).<br />

George Mitchell (1766 – 1803) übersetzte<br />

Karstens Katalog „Museum Leskeanum“<br />

ins Englische. Die Druckausgabe „A<br />

description of the Minerals in the Leskean<br />

Museum by Dietrich Ludwig Gustavus<br />

Karsten … Translated by George Mitchell“<br />

erschien 1798 in Dublin. Mitchell hat an<br />

der Universität Dublin studiert und war<br />

dann im Museum der Dublin Society tätig,<br />

ohne dort eine feste Anstellung zu haben.<br />

Er war auch kein Mitglied der Society oder<br />

der Royal Irish Academy, doch er beschäftigte<br />

sich intensiv mit der Leskean Collection,<br />

die von der Dublin Society 1792 erworben<br />

worden war. Für die Übersetzung<br />

von Karstens Katalog über Leskes Mineralienkabinett<br />

erhielt Mitchell auf Veranlassung<br />

von Richard Kirwan eine Zuwendung<br />

von £ 100. Kirwan war verantwortlich für<br />

die Mineraliensammlung und musste Rechenschaft<br />

ablegen über die Richtigkeit<br />

der Übersetzung.<br />

Mitchell war der Meinung, dass Nathanael<br />

Gottfried Leskes Mineraliensammlung<br />

neben dem Sammlungsbestand der<br />

Bergakademie in Freiberg/Sachsen und<br />

dem Mineralienkabinett des kurfürstlich<br />

sächsischen Berghauptmanns Karl Eugen<br />

(Carl Eugenius) Pabst von Ohain (1718-<br />

1784) eines der perfektesten Monumente<br />

für den bestehenden mineralogischen Erkenntnisstand<br />

repräsentiert (Sweet 1967).<br />

Die von der Dublin Society mit übernommenen<br />

zoologischen Sammlungsbestände<br />

aus dem „Museum Leskeanum“<br />

wurden während des 19. Jahrhunderts in<br />

die Sammlungen des National Museum of<br />

Ireland integriert und taxonomisch geordnet.<br />

Da nur wenige Sammlungsstücke Originaletiketten<br />

tragen, ist es schwer, die von<br />

Leske gesammelten Objekte im Einzelnen<br />

Abb. 8 Titelseite der „Elements of Mineralogy“<br />

by Richard Kirwan, 2. Ausgabe, Vol. I, Earths and<br />

Stones, London, 1794.<br />

zu erkennen. Die Leske-Sammlung insgesamt<br />

bildete das Kernstück der Sammlungen<br />

des späteren Naturgeschichtlichen<br />

Museums (Natural History Museum) in<br />

Dublin.<br />

William Higgins (1763 – 1825), ein<br />

Chemiker aus London, der mit Richard<br />

Kirwan befreundet war, folgte ihm 1792<br />

nach Dublin. Im Juni 1795 wurde Higgins<br />

von der Dublin Society zum Professor<br />

der Chemie und Mineralogie berufen<br />

und gleichzeitig zum Kurator des Leskean<br />

Museum bestellt. Ab diesem Zeitpunkt<br />

war Higgins für die Betreuung der<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


128 Gerd Ibler<br />

Abb. 9 Porträt des Mineralogen Karl Ludwig Giesecke<br />

(Sir Charles Lewis Giesecke, 1761 – 1833) aus<br />

dem Jahr 1813 von dem schottischen Porträtmaler<br />

Sir Henry Raeburn (1756 – 1823). Das Bildnis hängt<br />

im Versammlungsraum der Royal Dublin Society,<br />

Dublin/Irland.<br />

Museumssammlungen im Haus der Dublin<br />

Society an der Hawkins Street verantwortlich.<br />

Der Mineraloge Robert Jameson (1774-<br />

1854) aus Schottland (Professor der Naturgeschichte<br />

an der Universität Edinburgh,<br />

1804 – 1854, und Gründer der Wernerian<br />

Natural History Society am 12. Januar 1808<br />

in Edinburgh) besichtigte am 1. Juli 1797<br />

zusammen mit Richard Kirwan und George<br />

Mitchell das Leskean Mineral Museum<br />

in Dublin. Jameson blieb bis einschließlich<br />

10. Juli in Dublin und besuchte nun<br />

täglich das Leskesche Mineralienkabinett.<br />

Im September 1800 reiste Jameson nach<br />

Freiberg in Sachsen, um an der dortigen<br />

Bergakademie bei Abraham Gottlob Werner<br />

Mineralogie und Bergwesen zu studieren<br />

(Student Nr. 552). 1802 kehrte er nach<br />

Edinburgh zurück. 1804 wurde er zum<br />

Vorsitzenden der Abteilung für Naturgeschichte<br />

an der Universität Edinburgh<br />

gewählt und behielt diesen Posten für die<br />

nächsten fünfzig Jahre. Am 5. März 1812<br />

wurde Robert Jameson zum Professor der<br />

Mineralogie bei der Dublin Society ernannt.<br />

Aus ungeklärten Gründen trat er<br />

diese Dienststellung in Dublin jedoch nie<br />

an. Der Lehrstuhl für Mineralogie blieb<br />

unbesetzt bis schließlich der deutsche Forschungsreisende<br />

Karl Ludwig Giesecke<br />

(1761 – 1833) am 27. Januar 1814 zum<br />

Professor der Mineralogie berufen wurde<br />

und nicht der Geologe Thomas Weaver<br />

(1773 – 1855), ausgebildet von 1790 bis<br />

1794 an der Bergakademie Freiberg (Student<br />

Nr. 349), der eigentliche Favorit für<br />

diesen Posten. Bei dieser Wahl erhielt Giesecke<br />

46 Stimmen mehr als Weaver.<br />

Im Jahr 1798 immatrikulierte sich George<br />

Mitchell als Student an der Bergakademie<br />

in Freiberg (Student Nr. 506), da zu<br />

jener Zeit beabsichtigt war, eine ähnliche<br />

Bergakademie in Dublin zu gründen. Kirwan<br />

förderte dieses Projekt in der Absicht,<br />

von Zeit zu Zeit eine Anzahl Studenten<br />

nach Freiberg zu schicken, um sie dort<br />

über Mineralogie und das Bergwesen unterrichten<br />

zu lassen. Beeinflusst durch dieses<br />

Vorhaben hat sich Robert Jameson im<br />

Jahr 1800 selbst als Student bei Abraham<br />

Gottlob Werner in Freiberg eingetragen.<br />

In Freiberg traf Jameson seinen Freund<br />

Mitchell wieder. In Deutschland vertiefte<br />

sich ihre Freundschaft und Mitchell konnte<br />

den Aufenthalt in Freiberg nur durch<br />

die Anwesenheit Jamesons durchstehen.<br />

Mitchell war bei den dortigen Studenten<br />

sehr beliebt und seine Arbeit wurde höchst<br />

geschätzt. Jameson musste von seinem<br />

Kommilitonen Johann Friedrich Lampert<br />

(1777 – 1846, auswärtiges Mitglied der<br />

1808 in Edinburgh gegründeten Wernerian<br />

Natural History Society) aus einem Brief<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Nathanael Gottfried Leske (1751 – 1786) und sein klassisches Naturalienkabinett<br />

129<br />

vom 24. Oktober 1802 erfahren, dass Mitchell<br />

schwer erkrankt sei.<br />

Lampert verbrachte 1802 einige Zeit<br />

mit dem kranken Mitchell in London.<br />

Das harte Leben, das den Studenten in<br />

Freiberg abverlangt wurde, und besonders<br />

der strenge Winter des Jahres 1802 setzten<br />

ihm gesundheitlich sehr zu. Körperlich<br />

erschöpft starb George Mitchell Anfang<br />

1803 im Alter von nur 37 Jahren.<br />

Der Mineraloge Karl Ludwig Giesecke<br />

und Leskes Mineraliensammlung<br />

Im Jahr 1814 erwarb die Dublin Society<br />

das Leinster House in Dublin. Der Umzug<br />

der Gesellschaft in das neue repräsentative<br />

Gebäude erfolgte 1815. Die Mineraliensammlung<br />

Leskes (Leskean Museum, Leskean<br />

Collection) wurde ebenfalls in das neue<br />

Domizil verlagert und verblieb dort bis<br />

1862. Der aus Augsburg stammende Mineraloge<br />

und Naturforscher Karl Ludwig<br />

Giesecke (alias Johann Georg Metzler)<br />

fungierte seit Januar 1814 als Professor der<br />

Mineralogie bei der Dublin Society und<br />

war als Konservator des Museums verantwortlich<br />

für den Umzug der Leske-Sammlung<br />

ins Leinster House. Zwischen 1815<br />

und 1817 reinigte und ordnete Giesecke<br />

die Mineraliensammlung Leskes und ergänzte<br />

das Mineralienkabinett mit seinen<br />

in Grönland von 1806 bis 1813 gesammelten<br />

Mineralien, die er der Dublin Society<br />

als Geschenk überließ. Da Giesecke<br />

im Jahr 1801 bei Dietrich Ludwig Gustav<br />

Karsten in Berlin und anschließend<br />

bei Abraham Gottlob Werner in Freiberg<br />

theoretische Kenntnisse über Mineralogie<br />

und Geologie erworben hatte, ist mit großer<br />

Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass<br />

er als Anhänger von Werners Theorien<br />

und Systematisierung die Leske-Sammlung<br />

in Verbindung mit seiner Sammlung<br />

von Grönland-Mineralien nach Werners<br />

Grundsätzen geordnet und eingeteilt haben<br />

dürfte. Nach diesen Wernerschen<br />

Prinzipien hat Giesecke früher bereits andere<br />

Sammlungen geordnet und arrangiert.<br />

Diese einzigartige Mineraliensammlung<br />

war dann Bestandteil des Museums der<br />

Dublin Society. Die Dublin Society wurde<br />

im Jahr 1821 zur Royal Dublin Society<br />

erhoben. Giesecke war nicht nur Konservator<br />

seit 1814, sondern auch Direktor des<br />

Museums der Royal Dublin Society von<br />

1819 bis zu seinem Tod im Jahr 1833. Als<br />

Zeichen des Respekts und in Würdigung<br />

seiner Verdienste als Wissenschaftler für<br />

die Royal Dublin Society blieb das Museum<br />

nach seinem Tod für zwei Wochen geschlossen<br />

(Ibler 2010, 2011) (Abb. 9).<br />

Leskes Mineraliensammlung (Leskean Museum)<br />

im National Museum of Ireland, Dublin<br />

1862 wurden die Sammlungen vom Museum<br />

in Leinster House in ein neues Gebäude<br />

des Museum of Science and Art,<br />

Dublin in der Kildare Street umgesiedelt<br />

und waren dort bis 1908 in der Mineralienschau<br />

ausgestellt.<br />

Von 1908 bis 1962 wurde die Leske-<br />

Sammlung wiederum ausgelagert in Räume,<br />

die sich neben dem Natural History<br />

Museum in der Merrion Street befanden.<br />

Nach dem Abriss der Ausstellungsräume<br />

neben dem Natural History Museum im<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


130 Gerd Ibler<br />

Abb. 10 Leskes klassisches Mineralienkabinett<br />

wurde nach dem Ankauf 1792 im großen Saal des<br />

Gebäudes der Dublin Society an der Hawkins Street<br />

in Dublin ausgestellt. 1815 erfolgte der Umzug der<br />

Sammlung ins Leinster House der Dublin Society<br />

und wurde dort von dem deutschen Mineralogen<br />

Karl Ludwig Giesecke neu geordnet und ergänzt.<br />

Jahr 1962 wurde Leskes Mineraliensammlung<br />

in Kisten verpackt und im Royal<br />

Hospital in Kilmainham, einem Dubliner<br />

Vorort, eingelagert. 1979 wurde das Royal<br />

Hospital restauriert und in eine Galerie für<br />

moderne Kunst umgewidmet. Die dort befindliche<br />

Leske-Sammlung musste wiederum<br />

weichen und wurde von 1979 bis 1991<br />

in Kisten in Daingean, County Offaly eingelagert.<br />

1991 erwarb das Natural History<br />

Museum ein neues Gebäude in Beggars<br />

Bush, Dublin 4. 1992 wurde die noch in<br />

Kisten verpackte Mineraliensammlung<br />

nach Beggars Bush gebracht und eingelagert.<br />

Im Jahr 2013 wurden die Mineralien<br />

schließlich aus den Kisten genommen, in<br />

Schubladen gepackt und in das neue Gebäude<br />

des National Museum of Ireland in<br />

Swords, County Dublin, transportiert. In<br />

diesem jüngsten Domizil befindet sich das<br />

Zentralmagazin für alle Museumssammlungen,<br />

die z. Z. nicht ausgestellt werden.<br />

Die Leske-Sammlung gehörte der Royal<br />

Dublin Society bis 14. August 1877, als<br />

das Museum unter den Vorgaben des „Science<br />

and Art Museums Act, 1877“ (Gesetz<br />

von 1877 für das Wissenschafts- und<br />

Kunstmuseum in Dublin) in Staatsbesitz<br />

überging. Das neue Museum hieß dann<br />

Science & Art Museum, Dublin. Heute ist<br />

das Museum unter dem Namen National<br />

Museum of Ireland bekannt. Die historische<br />

Mineraliensammlung von Nathanael<br />

Gottfried Leske befindet sich gegenwärtig<br />

eingelagert mit der Forschungssammlung<br />

des Irischen Nationalmuseums im Museumsmagazin<br />

in Swords, County Dublin<br />

(Sweet 1967; schriftliche Mitteilung von<br />

Nigel Monaghan 4.4.2014).<br />

Während der vielen Wechsel der Museumsträger<br />

wurde die Mineraliensammlung<br />

Leskes meistens von einschlägigen Fachkuratoren<br />

betreut. Bedauerlicherweise fehlten<br />

zwischen 1899 und 1981 geologische oder<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Nathanael Gottfried Leske (1751 – 1786) und sein klassisches Naturalienkabinett<br />

131<br />

mineralogische Kuratoren, weshalb sich in<br />

dieser Zeitspanne Zoologen um die Leske-<br />

Sammlung kümmerten.<br />

Leskes Mineralienkabinett hat von 1786<br />

bis heute insgesamt schon 228 Jahre überdauert.<br />

Nach Auskunft der Museumsleitung<br />

wird gerade an der Digitalisierung<br />

der Museumsbestände gearbeitet. Auch<br />

die Mineraliensammlung Leskes soll in<br />

die Datenbank aufgenommen werden. Auf<br />

diese Weise ist der Sammlungsbestand gesichert<br />

und es bleibt künftigen Wissenschaftlern<br />

vorbehalten, die historischen<br />

Leske- und Giesecke-Sammlungen auszuwerten<br />

und zu bearbeiten.<br />

Ausblick<br />

Es ist erstaunlich, mit welcher Anziehungskraft<br />

und Faszination die Persönlichkeit<br />

von Abraham Gottlob Werner<br />

(1749 – 1817) an der Bergakademie Freiberg<br />

auf seine Schüler der Geognosie,<br />

Oryktognosie und des Bergwesens wirkte.<br />

Seine Lehre über die Bestimmung der<br />

Mineral- und Gesteinswelt war, die fünf<br />

menschlichen Sinne bewusst einzusetzen,<br />

um über die äußerlichen Kennzeichen der<br />

Fossilien eine lebendige Anschauung des<br />

Fundstückes zu erhalten. Werner hat eine<br />

ganze Generation von Geowissenschaftlern<br />

verschiedener Nationalitäten unterrichtet<br />

und ausgebildet, die Ende des 18.<br />

Jahrhunderts und Anfang des 19. Jahrhunderts<br />

dann europaweit an Universitäten,<br />

Hochschulen, Akademien, Museen und<br />

anderen wissenschaftlichen Institutionen<br />

tätig waren und seine Grundsätze, sein systematisches<br />

Ordnungsprinzip und seine<br />

Nomenklatur weiter verbreiteten. Die Erdwissenschaften<br />

haben mit Werner und<br />

seinen Schülern wesentliche Fortschritte<br />

gemacht und eine rasante Entwicklung<br />

genommen, die für die Erkenntnisse der<br />

Naturgeschichte von enormer Bedeutung<br />

waren. Für die Geologie und Mineralogie<br />

herrschte Aufbruchsstimmung verbunden<br />

mit eifrigem Pioniergeist für die Erforschung<br />

der Natur mit ihren Bodenschätzen.<br />

Es war eine sehr fruchtbringende Zeit<br />

für die Entwicklung der Geowissenschaften.<br />

Es wäre wünschenswert, dass die überlieferten<br />

Sammlungsbestände aus Leskes<br />

historischen Funden in Dublin neu arrangiert<br />

und der Öffentlichkeit zugänglich<br />

gemacht werden. Könnte das nicht eine<br />

attraktive Herausforderung an heutige Mineralogen<br />

mit naturhistorischen Ambitionen<br />

sein?<br />

Danksagung<br />

Für die hilfsbereite Unterstützung der<br />

Recherchen in Irland gilt der besondere<br />

Dank des Autors Nigel T. Monaghan, Keeper<br />

of the Natural History Division of The<br />

National Museum of Ireland, Dublin und<br />

Siobhán Fitzpatrick, Librarian of the Royal<br />

Irish Academy, Dublin. Angela Kugler-Kießling,<br />

Verwalterin des Nachlasses<br />

von Abraham Gottlob Werner im wissenschaftlichen<br />

Altbestand der Universitätsbibliothek<br />

der Technischen Universität<br />

Bergakademie Freiberg, sei für ihre hilfreichen<br />

Auskünfte herzlich gedankt. Für<br />

wertvolle Hinweise gebührt Michael Leh<br />

aus der Oberlausitz ein herzliches Dankeschön.<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


132 Gerd Ibler<br />

Literatur<br />

Andert, Werner & Prescher, Hans (1977):<br />

Nathanael Gottfried Leske (1751 – 1786).<br />

Zum 225. Geburtstag des ersten Erforschers<br />

der Naturkunde und Ökonomie der<br />

Oberlausitz und Theoretikers der Landwirtschaftswissenschaft.<br />

– Sächsische Heimatblätter,<br />

23. Jg. 1977; Dresden, Karl-Marx-<br />

Stadt, Leipzig.<br />

Berry, Henry F. (1915): A History of the Royal<br />

Dublin Society. – Longmans, Green and<br />

Co.; London.<br />

Burns, Duncan Thorburn (2012): Richard<br />

Kirwan (1733 – 1812), chemist, barrister and<br />

philosopher: an exemplar of good practice in<br />

his time as for today. – Science at the Royal<br />

Irish Academy: 12 – 19; Dublin.<br />

Giesecke, Carl Ludwig (Charles Lewis)<br />

(1832): A descriptive catalogue of a new<br />

collection of minerals in the Museum of the<br />

Royal Dublin Society, to which is added an<br />

Irish mineralogy. – Royal Dublin Society:<br />

268, R. Graisberry; Dublin.<br />

Hoffmann, Christian A. S. (1802): Einige litterarische<br />

Notizen über die Verbreitung des<br />

Wernerschen Systems der Mineralogie im<br />

Auslande. – Neues bergmännisches Journal:<br />

477 – 494; Freyberg.<br />

Hoppe, Günter (1985): Dietrich Ludwig Gustav<br />

Karsten (1768-1810), Mineraloge und<br />

Bergbeamter in Preußen. – Veröffentlicht<br />

in der Zeitschrift Leben und Wirken deutscher<br />

Geologen im 18. und 19. Jahrhundert:<br />

71 – 92; Leipzig.<br />

Hoppe, Günter (1987): D. L. G. Karstens Museum<br />

Leskeanum, die früheste publizierte<br />

Anwendung der Lehre A. G. Werners auf<br />

eine Sammlung. – Abhandlungen und Berichte<br />

des Naturkundemuseums in Görlitz,<br />

60, 2 : 72 – 78.<br />

Ibler, Gerd (2010): Karl Ludwig Giesecke<br />

(1761 – 1833). Das Leben und Wirken eines<br />

frühen europäischen Gelehrten. Protokoll<br />

eines merkwürdigen Lebensweges. – Mitteilungen<br />

der Österreichischen Mineralogischen<br />

Gesellschaft,<strong>156</strong>: 37 – 114; Wien.<br />

Ibler, Gerd (2011): Karl Ludwig Giesecke<br />

(1761 – 1833) – Zur Erinnerung<br />

an den Augsburger Theaterdichter,<br />

Forschungsreisenden und Mineralogen. –<br />

<strong>Naturhistorica</strong> 153: 73 – 93; Hannover.<br />

Lausitzisches Magazin, 5 – 8, 1772 – 1775;<br />

11, 1778; Görlitz.<br />

Löper, Christian Philipp Gabriel (1786):<br />

Etwas zur Lebensgeschichte des bisherigen<br />

Herausgebers dieses Magazins: Nathanael<br />

Gottfried Leske. – Leipziger Magazin zur<br />

Naturkunde und Oekonomie, Band 1786:<br />

504 – 520: Leipzig, Dessau.<br />

Lüschen, Hans (1979): Die Namen der Steine.<br />

Das Mineralreich im Spiegel der Sprache. –<br />

Ott Verlag; Thun.<br />

Monaghan, Nigel (1984): Collectors, Collections<br />

& Museums of Note, No. 42. The<br />

Geological Collections of the National<br />

Museum of Ireland. – Geological Curator, 3:<br />

528 – 536; London.<br />

Monaghan, Nigel T. (1992): Geology in the<br />

National Museum of Ireland. – Geological<br />

Curator, 5, 7: 275 – 282; London.<br />

Monaghan, Nigel (2012): Kirwan the mineralogist.<br />

– Science at the Royal Irish Academy,<br />

2012: 20 – 25; Dublin.<br />

Niedermayr, Gerhard (1988): „Nichts ist auf<br />

der Welt Schöneres …“ – Zur Geschichte<br />

des Mineraliensammelns. – Begeisterung im<br />

Bürgertum: 20 – 25. – Veröffentlicht im offiziellen<br />

Katalog der 25. Mineralientage München<br />

vom 14. bis 16. Oktober 1988: Wer<br />

sammelt … macht Geschichte; München.<br />

Otto, Gottlieb Friedrich (1802): Lexikon der<br />

seit dem funfzehenden Jahrhunderte verstorbenen<br />

und jetzlebenden oberlausizischen<br />

Schriftsteller und Künstler, 441 – 446, gedruckt<br />

bey Burghart; Görlitz.<br />

Pfeuffer, Renate (2011): … der milden Mutter<br />

Natur mehr Freunde und Bewunderer<br />

zu gewinnen … – Ausstellung zum 200.<br />

Todes tag des Augsburger Pfarrers Gottlieb<br />

Tobias Wilhelm (1758 – 1811), des Autors<br />

der „Unterhaltungen aus der Naturgeschichte“.<br />

– Eine Veröffentlichung der Staats- und<br />

Stadtbibliothek; Augsburg.<br />

Richter, Andreas E. (1981): Handbuch des<br />

Fossiliensammlers. – Kosmos Gesellschaft<br />

der Naturfreunde. – Franckh’sche Verlagshandlung;<br />

Stuttgart.<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


Nathanael Gottfried Leske (1751 – 1786) und sein klassisches Naturalienkabinett<br />

133<br />

Schiffner, Carl (1935): Aus dem Leben alter<br />

Freiberger Bergstudenten. – Verlagsanstalt<br />

Ernst Mauckisch; Freiberg.<br />

Schmidt, Peter (1987): Aus der Korrespondenz<br />

N. G. Leske – A. G. Werner unter besonderer<br />

Berücksichtigung der Lausitz, der Mineraliensammlungen<br />

und der Gelehrtenbeziehungen,<br />

1774 – 1786. – Abhandlungen und<br />

Berichte des Naturkundemuseums Görlitz,<br />

60, 2: 79 – 87.<br />

Stets, Rolf (1995): Gottfried Leske<br />

1751 – 1786. – In: Lebensbilder, Persönlichkeiten<br />

des Oberlausitzer Lebens, Teil 1,<br />

Muskauer Heide. Verfasser : Smers, Hanspeter.<br />

Hrsg. Landratsamt des Niederschlesischen<br />

Oberlausitzkreises; 20 – 21: Görlitz.<br />

Sweet, Jessie M. (1967): Robert Jamesons’s<br />

Irish Journal, 1797. Appendix II: The Leskean<br />

Museum. – In: Annals of Science, 23, 2:<br />

97 – 126; Edinburgh.<br />

Sweet, Jessie M. (1967): The Wernerian<br />

Natural History Society in Edinburgh. –<br />

Freiberger Forschungshefte: 205 – 218;<br />

Freiberg.<br />

White, Terence de Vere (1955): The Story of<br />

the Royal Dublin Society. – The Kerryman<br />

Limited; Dublin.<br />

Wyse Jackson, Patrick N. (2009): Kirwan,<br />

Richard (1733 – 1812). – Dictionary of Irish<br />

Biography, 5: 234 – 235; Cambridge.<br />

Arbeit eingereicht: 07.08.2014<br />

Arbeit angenommen: 30.10.2014<br />

Anschrift des Verfassers:<br />

Gerd Ibler<br />

Alfonsstraße 14<br />

86157 Augsburg<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


134<br />

Hannovers große Attraktion einmal anders<br />

Der Große Garten Herrenhausen<br />

Ein nicht sehr langer Weg nach<br />

Herrenhausen und sieben kurze Wege<br />

im Großen Garten<br />

von Prof. Dr. Joachim Knoll<br />

In diesem Jubiläumsband 150 widmet sich<br />

der Autor einem der schönsten europäischen<br />

Barockgärten auf spezielle Weise. Sieben<br />

Spaziergämge führen zu bekannten und weniger<br />

bekannten Stellen, immer unterhaltsam,<br />

immer fundiert und gewürzt mit Liebe<br />

zum historischen Detail, vermischt mit ein<br />

wenig Ironie.<br />

152 S., bisheriger Preis 24,80 €,<br />

jetzt nur 12 €.<br />

Vielfalt in Niedersachsen<br />

<strong>Naturhistorica</strong> 151<br />

Wenn Sie schon immer etwas wissen<br />

wollten über …<br />

• Temperaturkurven-Ermittlung mit Hilfe<br />

der Abfolge von Mikrofossilien in einem<br />

Bohrprofil,<br />

• Meereskrokodile am Lindener Berg,<br />

• illegal verfüllte Höhlen bei Bad Pyrmont,<br />

• das erfüllte Liebesleben des Aronstabs,<br />

• Libellen in Niedersachsen oder<br />

• Sklavenhalterei bei Ameisen,<br />

… sollten Sie diesen Band unbedingt lesen!<br />

160 S., bisheriger Preis 17,80 €,<br />

jetzt nur 8 €.<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


135<br />

Die Naturhistorische Gesellschaft Hannover<br />

Gesellschaft zur Pflege der Naturwissenschaften · Gegründet 1797<br />

Die Naturhistorische Gesellschaft Hannover versteht sich als eine Vereinigung<br />

von Menschen jeden Alters mit besonderem Interesse an der Natur und<br />

den Naturwissenschaften.<br />

Ein kurzer Blick zurück<br />

Im Jahr 1797 gründeten 25 Herren<br />

und eine Dame aus der Bürgerschaft der<br />

Stadt Hannover eine Lesegesellschaft.<br />

Sie schafften gemeinsam kostspielige Bücher<br />

an, die den Mitgliedern dann reihum<br />

zur Verfügung standen. Daraus entstand<br />

im Laufe des 19. Jahrhunderts eine<br />

Initiativen der NGH<br />

· Treibende Kraft für die Errichtung des<br />

„Museums für Kunst und Wissenschaft“<br />

(das heutige Künstlerhaus)<br />

· Gründungsmitglied des Niedersächsischen<br />

Landesmuseums Hannover<br />

· Gründung des Zoologischen Gartens<br />

Die NGH heute<br />

Nach über 215 Jahren verfolgt die<br />

NGH immer noch die gleichen Ziele.<br />

Sie bedient sich dabei allerdings zeitgemäßer<br />

Methoden und beschäftigt sich<br />

mit aktuellen Fragen. In Berichten,<br />

Exkursionen und Vorträgen geht es um<br />

naturwissenschaftliche Themen –<br />

unter anderem aus der<br />

umfangreiche Bibliothek.<br />

Aus dieser Lesegesellschaft ging 1801<br />

die „Naturhistorische Gesellschaft in<br />

Hannover“ hervor. Sie hatte sich das Ziel<br />

gesetzt, „bei allen Bevölkerungsschichten<br />

eine genauere Kenntnis der Naturpro ducte<br />

hiesiger Lande zu befördern“.<br />

· Bau eines Schlachthofs in Hannover<br />

· Mitwirkung in einer „Commission für<br />

die allgemeine Gesundheitspflege“<br />

· Gründungsmitglied des Niedersächsischen<br />

Heimatbundes<br />

· Geologie<br />

· Paläontologie<br />

· Archäologie<br />

· Botanik<br />

· Zoologie<br />

· Landschaftskunde<br />

· Technik<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


136<br />

Die jährlich erscheinende <strong>Naturhistorica</strong><br />

– Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft<br />

Hannover ist das wissenschaftliche<br />

Sprachrohr der NGH. Sie befasst sich mit<br />

den verschiedensten Bereichen der Naturwissenschaften<br />

und nicht zuletzt mit dem<br />

Schutz der Umwelt. Dabei werden auch<br />

die besonderen Verhältnisse in Hannover<br />

berücksichtigt. Besonders begehrt sind die<br />

geologischen Wanderkarten.<br />

Der Natur unmittelbar begegnen kann<br />

man auf den etwa zehn pro Jahr stattfindenden<br />

Exkursionen. Vom Frühjahr bis in<br />

den Herbst führen sie zu den unterschiedlichsten<br />

Zielen und werden von Fachleuten<br />

geleitet. Dabei kommen biologische,<br />

geologische sowie techno logische Themen<br />

zur Sprache, aber auch kulturgeschichtlich<br />

interessante Stätten werden besichtigt.<br />

Die NGH möchte dazu beitragen, über<br />

die Notwendigkeit und die Ergebnisse<br />

naturwissenschaftlicher Forschung zu<br />

informieren. Dies geschieht vor allem<br />

durch Vorträge im Winterhalbjahr, denen<br />

sich spannende Diskussionen anschließen.<br />

Vorstand und Beirat<br />

Vorstand<br />

Gewählt 2014<br />

1. Vorsitzender: Dr. Dieter Schulz<br />

2. Vorsitzender: Prof. Dr. Hansjörg Küster<br />

Schatzmeister: Ole Schirmer<br />

Schriftführer:<br />

Dr. Franz-Jürgen Harms (Geowissensch.)<br />

Prof. Dr. Hansjörg Küster (Botanik)<br />

Dr. Annette Richter (Paläontologie,<br />

Geologie, Zoologie)<br />

Dr. Dieter Schulz (Biologie)<br />

Beirat<br />

Birga Behrendt<br />

Dr. Heiner Engel<br />

Prof. Dr. Bernd Haubitz<br />

Dr. Wolfgang Irrlitz<br />

Prof. Dr. Klaus D. Jürgens<br />

Dr. Hans Albert Roeser<br />

Ludger Schmidt<br />

Dr. Renate Schulz<br />

Dr. Stephan Veil<br />

Klaus Wöldecke<br />

Naturhistorische Gesellschaft Hannover<br />

Gesellschaft zur Pflege<br />

der Naturwissen schaften<br />

Willy-Brandt-Allee 5<br />

30169 Hannover<br />

Germany<br />

Telefon (0511) 9807-871<br />

Fax (0511) 9807-879<br />

E-Mail: info@N-G-H.org<br />

www.N-G-H.org<br />

<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014


<strong>Naturhistorica</strong> <strong>156</strong> · 2014<br />

Die Themen in diesem Heft:<br />

· Verfallen Sie in Panik, wenn Wespen Ihren Kuchen<br />

oder Eisbecher ansteuern? Wenn Sie aufgeregt<br />

nach ihnen schlagen, kann die Bekanntschaft<br />

durchaus unfreundlich sein. Unser Jugendpreisgewinner<br />

Phil Bussemas kennt die Wespen, er<br />

hat über 5 000 gesammelt, bestimmt, kartiert<br />

und wieder freigelassen.<br />

· Die größte einheimische Solitärbienenart, die<br />

Blauschwarze Holzbiene Xylocopa violacea, ist<br />

nun auch in Hannover gesichtet worden.<br />

· Manche Sammlungsstücke liegen lange in den<br />

Magazinen der Museen, bevor sie überprüft und<br />

bestimmt werden, so z. B. auch die exotischen<br />

Libellen im Landesmuseum Hannover.<br />

· Auch in den kleinsten Bächen und Gräben gibt es<br />

Fische, wie die Arbeit über das Hochwasserrückhaltebecken<br />

Salzderhelden zeigt.<br />

· Hainbuchen-Niederwälder haben gegenüber<br />

Buchenwäldern eine deutlich artenreichere Flora.<br />

Da die traditionelle Bewirtschaftung heute nicht<br />

mehr praktiziert wird, wandeln sie sich unweigerlich<br />

in artenärmere Buchenwälder um. Was kann<br />

getan werden?<br />

· Pflanzenkartierungen in Städten fanden lange Zeit<br />

kaum Beachtung. In den letzten Jahrzehnten hat<br />

sich das geändert. Für Hildesheim liegt nun eine<br />

Arbeit vor, die sich nicht nur mit der Kartierung,<br />

sondern auch mit dem Florenwandel der letzten<br />

20 Jahre befasst.<br />

· In die Reihe der Aufarbeitung von Sammlungsmaterial<br />

im Landesmuseum Hannover fügt sich die<br />

Arbeit über Ceratiten gut ein.<br />

· Wer war Nathanael Gottfried Leske?<br />

Phil Bussemas<br />

Die sozialen Faltenwespen in Bielefeld<br />

Eine Untersuchung zu ihrer Verbreitung<br />

unter Berücksichtigung ihres Auftretens<br />

in heimischen Bäckereien<br />

7<br />

Rolf Witt<br />

Erstnachweis der Blauschwarzen Holzbiene<br />

Xylocopa violacea Linné 1758 in Hannover<br />

(Hymenoptera: Apidae)<br />

25<br />

Malte Seehausen<br />

Exotische Libellen (Odonata) in der<br />

Sammlung des Landesmuseums Hannover<br />

29<br />

Jürgen Rommelmann<br />

Die Fischfauna der Bäche und Gräben im<br />

Hochwasserrückhaltebecken Salzderhelden<br />

(Landkreis Northeim, Niedersachsen)<br />

41<br />

Werner Müller<br />

Flora und Florenwandel im<br />

Stadtgebiet Hildesheim<br />

55<br />

Max Peters<br />

Vergleichende Vegetationsuntersuchungen<br />

in einem Buchenwald und einem<br />

Hainbuchen-Niederwald bei Wittenburg,<br />

Stadt Elze (Landkreis Hildesheim)<br />

69<br />

Patrick Strauch<br />

Ceratiten zweier Teilsammlungen<br />

des Landesmuseums Hannover<br />

Bewertung und Abgleich der Arterfassungen<br />

sowie stratigrafischer Hintergrund<br />

87<br />

Gerd Ibler<br />

Nathanael Gottfried Leske (1751 – 1786)<br />

und sein klassisches Naturalienkabinett<br />

117<br />

www.<strong>Naturhistorica</strong>.de ISSN 1868-0828

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