Naturhistorica 156
Naturhistorica 156 der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover, 2014. http://www.n-g-h.org/pages/publikationen/naturhistorica---berichte-der-ngh/naturhistorica-156.php
Naturhistorica 156 der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover, 2014. http://www.n-g-h.org/pages/publikationen/naturhistorica---berichte-der-ngh/naturhistorica-156.php
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JUGENDPREIS 2014<br />
Soziale<br />
Faltenwespen<br />
Im Wandel: Flora im Stadtgebiet Hildesheim<br />
Im Fluss: Fischfauna in Zuflüssen des HWR Salzderhelden<br />
Im Vergleich: Vegetation in Wäldern bei Wittenburg<br />
Im Muschelkalk: Das Erfolgsmodell Ceratit<br />
Im Kasten: Exotische Libellen<br />
<strong>156</strong> · 2014
Ausgabe <strong>156</strong><br />
2014<br />
Herausgegeben von der<br />
Naturhistorischen Gesellschaft Hannover
<strong>Naturhistorica</strong><br />
Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover<br />
Ausgabe <strong>156</strong><br />
Hannover · Germany · 2014<br />
ISSN 1868-0828<br />
www.<strong>Naturhistorica</strong>.de<br />
Herausgeber<br />
Naturhistorische Gesellschaft Hannover<br />
Redaktion<br />
Dieter Schulz<br />
Lektorat<br />
Franz-Jürgen Harms (Geologie)<br />
Hansjörg Küster (Botanik und Ökologie)<br />
Annette Richter (Paläontologie und Zoologie)<br />
Dieter Schulz (Biologie)<br />
Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren verantwortlich.<br />
Design, Satz<br />
Matthias Winter, vemion.de, Hannover<br />
Umschlagbild Sächsische Wespe © Klaus D. Jürgens<br />
Bild S. 1 Chlorogomphus magnificus © Malte Seehausen<br />
© Naturhistorische Gesellschaft Hannover<br />
Gesellschaft zur Pflege der Naturwissenschaften<br />
Willy-Brandt-Allee 5<br />
30169 Hannover<br />
Germany<br />
E-Mail: info@N-G-H.org<br />
www.N-G-H.org
<strong>Naturhistorica</strong><br />
Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover<br />
<strong>156</strong> ·2014<br />
Dieter Schulz<br />
Vorwort<br />
5<br />
Phil Bussemas<br />
Die sozialen Faltenwespen in Bielefeld<br />
Eine Untersuchung zu ihrer Verbreitung unter Berücksichtigung<br />
ihres Auftretens in heimischen Bäckereien<br />
7<br />
JUGENDPREIS 2014<br />
Rolf Witt<br />
Erstnachweis der Blauschwarzen Holzbiene Xylocopa<br />
violacea Linné 1758 in Hannover (Hymenoptera: Apidae)<br />
25<br />
Malte Seehausen<br />
Exotische Libellen (Odonata) in der Sammlung<br />
des Landesmuseums Hannover<br />
29<br />
Jürgen Rommelmann<br />
Die Fischfauna der Bäche und Gräben im<br />
Hochwasserrückhaltebecken Salzderhelden<br />
(Landkreis Northeim, Niedersachsen)<br />
41<br />
Werner Müller<br />
Flora und Florenwandel im Stadtgebiet Hildesheim<br />
55<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
4<br />
Max Peters<br />
Vergleichende Vegetationsuntersuchungen in einem<br />
Buchenwald und einem Hainbuchen-Niederwald bei<br />
Wittenburg, Stadt Elze (Landkreis Hildesheim)<br />
69<br />
Patrick Strauch<br />
Ceratiten zweier Teilsammlungen des Landesmuseums Hannover<br />
Bewertung und Abgleich der Arterfassungen<br />
sowie stratigrafischer Hintergrund<br />
87<br />
Gerd Ibler<br />
Nathanael Gottfried Leske (1751 – 1786)<br />
und sein klassisches Naturalienkabinett<br />
117<br />
Die Naturhistorische Gesellschaft<br />
Hannover<br />
135<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
5<br />
Vorwort<br />
Die Naturhistorische Gesellschaft Hannover<br />
vergibt in diesem Jahr ihren Jugendpreis<br />
für die beste Schülerarbeit an Phil<br />
Bussemas, Schüler am Helmholtz-Gymnasium<br />
in Bielefeld. Er hat 2011 als Dreizehnjähriger<br />
eine Arbeit über die Verbreitung<br />
der sozialen Faltenwespen in seiner<br />
Heimatstadt Bielefeld angefertigt. Über<br />
5000 Wespen hat er gefangen, bestimmt<br />
und ihre Verbreitung im Stadtgebiet in<br />
Rasterkarten festgehalten. 25 Bäckereien<br />
unterstützten ihn bei seinen Wespenfängen.<br />
Er entdeckte Wespenlieblingspflanzen,<br />
und mit Dolichovespula omissa (Waldkuckuckswespe)<br />
gelang ihm ein Erstfund<br />
für Bielefeld. Seine Fangprotokolle umfassen<br />
fast 200 Seiten, die auf unserer Website<br />
(www.N-G-H.org) erscheinen werden.<br />
Die Ergebnisse, der sehr gute Aufbau der<br />
Arbeit, verständliche Formulierung und<br />
logische Schlussfolgerungen neben übersichtlichen<br />
Tabellen haben ihn für diese<br />
Auszeichnung prädestiniert.<br />
Drei weitere zoologische Themen finden<br />
Sie im vorliegenden Band: Einen kurzen<br />
Beitrag über die Blauschwarze Holzbiene<br />
(Xylocopa violacea) als Neufund für Hannover<br />
von Rolf Witt. Jürgen Rommelmann<br />
erläutert die Fischfauna der Bäche<br />
und Gräben im Hochwasserrückhaltebecken<br />
Salzderhelden, und Malte Seehausen<br />
bestimmte die exotischen Libellen in der<br />
Sammlung des Landesmuseums Hannover.<br />
Zwei botanische Beiträge liefern interessante<br />
Ergebnisse: Max Peters vergleicht<br />
einen Hainbuchen-Niederwald mit einem<br />
Buchenwald bei Wittenburg. Der Artikel<br />
schließt an die bereits 2010 erschienene<br />
Foto: Smileus · Fotolia.com<br />
Arbeit von Ingo Geestmann (<strong>Naturhistorica</strong><br />
152) an. Die pflanzensoziologischen<br />
Ergebnisse führen zu der Erkenntnis, dass<br />
Niederwälder ohne traditionelle Bewirtschaftung<br />
in einen Buchenwald übergehen<br />
werden.<br />
Werner Müller untersuchte die Flora<br />
und den Florenwandel im Stadtgebiet von<br />
Hildesheim und stellte mit 93 Neunachweisen,<br />
davon 59 Neophyten, einen deutlichen<br />
Anstieg der Artenanzahl und gleichzeitig<br />
eine hohe Ausbreitungstendenz<br />
dieser Neubürger fest.<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
6 <br />
Wie bereits mit den Bänden 151, 152<br />
und 153 der <strong>Naturhistorica</strong> setzen wir<br />
auch mit diesem Band die Tradition fort,<br />
Sammlungsstücke des Landesmuseums<br />
Hannover einer genauen Überprüfung zu<br />
unterziehen, Exponate neu zu bestimmen<br />
und Bestimmungsfehler zu bereinigen. Patrick<br />
Strauch bewertete Ceratiten aus zwei<br />
Sammlungen des Landesmuseums neu,<br />
führte eine Abgleichung der Arten durch<br />
und legte auch den stratigrafischen Hintergrund<br />
dar.<br />
In Fortsetzung unserer historischen Abhandlungen<br />
(siehe <strong>Naturhistorica</strong> 153) erscheint<br />
in diesem Band ein Bericht über<br />
den Naturwissenschaftler Nathanael Gottfried<br />
Leske.<br />
Dieter Schulz<br />
Der vorliegende Band <strong>156</strong> (2014)<br />
der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover ist<br />
Prof. Dr. Joachim Knoll<br />
zu seinem 80. Geburtstag gewidmet<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
7<br />
Die sozialen Faltenwespen in Bielefeld<br />
Eine Untersuchung zu ihrer Verbreitung unter Berücksichtigung<br />
ihres Auftretens in heimischen Bäckereien<br />
Phil Bussemas<br />
Einleitung und Fragestellung<br />
Nachdem ich mit einer Gruppe im letzten<br />
Jahr mit dem Thema „Untersuchung zu<br />
sozialen Faltenwespen in Bielefeld 2010<br />
unter besonderer Berücksichtigung der<br />
Kleinen Hornisse (Dolichovespula media)“<br />
am Wettbewerb „Schüler experimentieren“<br />
teilgenommen hatte, wollte ich in 2011<br />
den dort aufgekommenen weiterführenden<br />
Fragen nachgehen.<br />
Auch wenn wir in unserer letzten Arbeit<br />
zeigen konnten, dass Lauterbach (1995)<br />
Recht hatte mit seiner Aussage, dass die<br />
Kleine Hornisse in Bielefeld häufiger vorkommt,<br />
als man das noch bis vor 10 Jahren<br />
vermutete, so blieb doch die Kenntnislage<br />
über das Vorkommen sowohl der Kleinen<br />
Hornisse als auch der anderen sozialen<br />
Faltenwespen unvollständig. Das hat<br />
verschiedene Ursachen: Es ist immer noch<br />
die Aussage von Venne et al. (2007) gültig,<br />
dass „…die sozial lebenden Arten … häufig<br />
weniger erfasst werden.“ Zusätzlich ist die<br />
Zahl der faunistisch arbeitenden Sammler<br />
im Hinblick auf die zu bewältigende Arbeit<br />
leider gering (vgl. www.stechimmenowl.de/sites/autoren.html).<br />
Das „… unumgängliche Sammeln, Präparieren<br />
und Determinieren erfordert eine<br />
vergleichsweise lange Einarbeitungsdauer<br />
und einen hohen Arbeitsaufwand …“, so<br />
erfährt man unter www.stechimmen-owl.<br />
de. Zudem sind „… Einsteiger dringend<br />
auf die Überprüfung ihrer Determination<br />
durch bereits eingearbeiteten Personen<br />
mit guter Artenkenntnis und Experten für<br />
„schwere“ taxonomische Fälle angewiesen.“<br />
Mit Mitgliedern der „Arbeitsgemeinschaft<br />
westfälischer Entomologen e. V. Verein für<br />
Insektenkunde und Naturschutz“ hatte ich,<br />
nachdem ich mich für den Wettbewerb des<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
8 Phil Bussemas<br />
letzten Jahres in die Thematik eingearbeitet<br />
hatte, ein funktionierendes Netzwerk<br />
zur Seite, das mich bei Fragen beriet und<br />
insbesondere meine Bestimmungen überprüfte.<br />
Als Ziel setzte ich mir u. a. eine möglichst<br />
flächendeckende Untersuchung des<br />
Bielefelder Stadtgebietes auf Wespenvorkommen.<br />
Angestoßen war dieses Ziel<br />
unter anderem von einem Nachwort von<br />
Lauterbach (1995), in dem er es für wünschenswert<br />
erklärte, einen flächendeckenden<br />
Überblick möglichst auf 5-km-Quadrat-Basis<br />
für Dolichovespula media (Abb.<br />
11) zu erarbeiten. Den erheblichen Fahraufwand<br />
konnte ich mit Hilfe meiner Familie<br />
realisieren, die mich auch bei den<br />
Fängen unterstützte. Die Bestimmung der<br />
Wespen nahm ich jedoch alle selbst vor.<br />
So konnte ich mir die Hauptfrage stellen:<br />
Wie stellt sich die Fauna der sozialen<br />
Faltenwespen im Gebiet der Stadt Bielefeld<br />
dar?<br />
Im Spätsommer und Herbst habe ich,<br />
besonders in Bäckereien, Wespen schon<br />
als Plage erlebt. Als lästig werdende Arten<br />
gelten die Gewöhnliche und die Deutsche<br />
Wespe. Woydak (2006) berichtet von einem<br />
extremen Überwiegen der Gewöhnlichen<br />
Wespe, er verweist aber auch auf eine<br />
Quelle, die ein zahlenmäßiges Verhältnis<br />
von 4 : 1 von Vespula vulgaris – Vespula<br />
germanica feststellt. Daher wollte ich einer<br />
weiteren Frage nachgehen:<br />
Wie ist die Verteilung von Vespula vulgaris<br />
(Gewöhnliche Wespe, Abb. 15) und<br />
Vespula germanica (Deutsche Wespe, Abb.<br />
16) in Bielefeld im Feld und in den Bäckereien?<br />
Material und Methode<br />
Ich verwendete übliche Entomologenmaterialien:<br />
Streifnetz und kleinen Kescher,<br />
Plastikschraubbecher und Filmdöschen,<br />
Kühlakkus und Kühltasche,<br />
Gefrierschrank, Lupe und Binokular, Bestimmungsschlüssel<br />
sowie Insektennadeln<br />
und Insektenkästen.<br />
Als Fangmethode setzte ich den selektiven<br />
Sichtfang ein. Je nach Fangsituation<br />
verwendete ich Plastikbecher, kleinen Kescher<br />
oder das Streifnetz. Im Jahr 2011 arbeitete<br />
ich vermehrt mit dem Streifnetz,<br />
da ich die Wespen nicht nur direkt auf den<br />
Blüten, sondern auch z. T. im Flug oder<br />
bei der Beutejagd fing. Auch auf Pflanzen<br />
mit vielen Wespen erwies sich das Netz als<br />
nützlich, vielfach hatte ich mehrere Tiere<br />
gleichzeitig im Netz, so z. B. besonders<br />
bei Fängen in Brennnesseln und auf Efeublüten.<br />
Die Erfolgschancen beim Fangen<br />
mit dem Netz waren deutlich höher als<br />
die Bechermethode, die ich im letzten Jahr<br />
(2010) fast ausschließlich eingesetzt hatte.<br />
Ausnahmen waren Fänge an bestimmten<br />
Pflanzen: Bärenklau (Heracleum sphondylium),<br />
Wald-Engelwurz (Angelica sylvestris),<br />
Gemeine Goldrute (Solidago virgaurea), da<br />
sich hier die Wespen offensichtlich bei der<br />
Nektaraufnahme sehr ruhig verhielten. Sie<br />
waren so vertieft, dass ihr Einsammeln mit<br />
dem Becher problemlos erfolgen konnte.<br />
Die Lebendbestimmung im Feld oder<br />
zu Hause nahm ich nach der Abkühlphase<br />
bevorzugt mit Hilfe einer Lupe anhand der<br />
Zeichnung des Stirnschildes vor. Oft reicht<br />
dieses Verfahren zur Bestimmung aus; die<br />
Tiere werden dabei nicht verletzt oder getötet<br />
und können wieder in ihren Lebensraum<br />
entlassen werden.<br />
Einige Exemplare präparierte ich aber<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Die sozialen Faltenwespen in Bielefeld<br />
9<br />
als Belegexemplare und konnte sie mit<br />
Hilfe eines Binokulars genauer ansehen.<br />
Das war besonders notwendig in Fällen,<br />
in denen das Stirnschild nicht eindeutig<br />
ausgeprägt war. Die Anzahl der Belegexemplare<br />
ergab sich daraus, dass aus jedem<br />
Gitternetzquadrat der Bielefeldkarte<br />
(Abb. 1) Belegexemplare vorliegen sollten.<br />
Außerdem tötete ich Individuen ab, die ich<br />
nicht auf Anhieb bestimmen konnte (z. B.<br />
Stirnschild nicht eindeutig). Die Überprüfung<br />
meiner Bestimmungen wurde durch<br />
Christian Venne und Ferdinand Mönks<br />
vorgenommen, die des Beifangs erfolgte<br />
nach Vermittlung von Werner Schulze<br />
durch Hans-Joachim Flügel.<br />
Bei der Determination verwendete ich<br />
den „Bestimmungsschlüssel für die Faltenwespen<br />
der Bundesrepublik Deutschland,<br />
Deutscher Jugendbund für Naturbeobachtung<br />
(DJN) Hamburg, 1 – 53“ von Mauss<br />
& Treiber (2004).<br />
Im Fangprotokoll dokumentierte ich zusätzlich<br />
die Futterpflanzen der Wespen.<br />
25 Bielefelder Bäckereien erklärten sich<br />
bereit, mir die Fänge aus ihren Insektenfallen<br />
zu überlassen. Ich stellte ihnen ein<br />
Informationsblatt über zu erwartende<br />
Wespenarten sowie jeweils ein Glas zum<br />
Sammeln zur Verfügung.<br />
Um meine Datenbasis weiter zu vergrößern,<br />
nahm ich Kontakt mit dem Bielefelder<br />
Umweltamt und den dort registrierten<br />
Wespenberatern auf. Daten über Wespennester,<br />
die bei der Beratungstätigkeit mit<br />
den Bürgern gewonnen wurden, stellte<br />
man mir freundlicherweise (natürlich anonymisiert)<br />
zur Auswertung zur Verfügung.<br />
Ergebnisse<br />
Eigene Nachweise im Feld<br />
An 293 Fundorten konnte ich vom<br />
17.04.2011 bis zum 31.10.2011 an 148 Erfassungsterminen<br />
insgesamt 5 520 Wespen<br />
nachweisen (Protokoll siehe Website der<br />
NGH unter www.N-G-H.org).<br />
Nach meiner Urlaubswoche im November<br />
beobachtete ich Wespen nur noch vereinzelt<br />
und stellte die systematische Suche<br />
ein.<br />
Tab. 1 Anzahl der Fundorte der acht verschiedenen Wespenarten<br />
Art<br />
Anzahl der Fundorte<br />
Französische/Gallische Feldwespe – Polistes dominula 57<br />
Mittlere Wespe – Dolichovespula media 37<br />
Sächsische Wespe – Dolichovespula saxonica 58<br />
Waldwespe – Dolichovespula sylvestris 33<br />
Waldkuckuckswespe – Dolichovespula omissa 1<br />
Hornisse – Vespula crabro 36<br />
Deutsche Wespe – Vespula germanica 49<br />
Gewöhnliche Wespe – Vespula vulgaris 255<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
10 Phil Bussemas<br />
Acht verschiedene soziale Wespenarten<br />
konnte ich in Bielefeld feststellen (Tab. 1).<br />
Die Fundorte, die sich über das gesamte<br />
Stadtgebiet verteilen, zeigt Abb. 1.<br />
Die Kantenlänge eines Gitternetzquadrats<br />
entspricht in der Natur einer Länge<br />
von 2 km. Rot eingetragen sind alle Fundorte.<br />
Den Dolichovespula omissa-Erstfund in<br />
Bielefeld ordnete ich der Karte der Dolichovespula<br />
sylvestris aufgrund des sozialparasitischen<br />
Verhältnisses zu.<br />
Eine detaillierte Aufstellung der Einzelfunde<br />
zeigt Tab. 2.<br />
Situationen im Feld<br />
Ich stellte fest, dass die Wespen im Jahreslauf<br />
auf verschiedenen Pflanzen zu finden<br />
sind. Futterpflanzen, auf denen besonders<br />
viele Wespen anzutreffen waren, sind:<br />
Rhododendron, Brennnesseln, Bärenklau,<br />
Engelwurz, Schneebeere, Niedrige Purpurbeere<br />
und Efeu.<br />
Auffällig war, dass sich die Wespen auf<br />
bestimmten Pflanzen sehr leicht fangen<br />
ließen (ohne Fangnetz, nur mit dem Becher).<br />
Sie waren vertieft und wirkten wie<br />
in einem Rausch. Das gilt für Bärenklau<br />
(Heracleum sphondylium), Wald-Engelwurz<br />
Tab. 2 Die Prozentwerte beziehen sich auf den Anteil im jeweiligen Fangzeitraum<br />
Monat Gesamt<br />
Apr.<br />
V.<br />
crabro<br />
D.<br />
media<br />
D. saxonica<br />
D. sylvestris<br />
D.<br />
omissa<br />
V. vulgaris<br />
V. germanica<br />
P. dominula<br />
93 28 4 5 0 0 0 1 55<br />
100 % 30,11 % 4,30 % 5,38 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 1,08 % 59,14 %<br />
Mai<br />
Juni<br />
Juli<br />
Aug.<br />
Sept.<br />
Okt.<br />
Saison<br />
68 8 2 5 1 0 0 0 52<br />
100 % 11,76 % 2,94 % 7,35 % 1,47 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 76,47 %<br />
497 3 71 157 27 0 132 10 97<br />
100 % 0,60 % 14,29 % 31,59 % 5,43 % 0,00 % 26,56 % 2,01 % 19,52 %<br />
865 25 28 58 25 0 689 15 25<br />
100 % 2,89 % 3,24 % 6,71 % 2,89 % 0,00 % 79,65 % 1,73 % 2,89 %<br />
569 13 1 0 0 1 360 29 165<br />
100 % 2,28 % 0,18 % 0,00 % 0,00 % 0,18 % 63,27 % 5,10 % 29,00 %<br />
1.075 49 2 0 0 0 974 18 32<br />
100 % 4,56 % 0,19 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 90,60 % 1,67 % 2,98 %<br />
2.301 20 1 3 2 0 2.168 101 6<br />
100 % 0,87 % 0,04 % 0,13 % 0,09 % 0,00 % 94,22 % 4,39 % 0,26 %<br />
5.468 146 109 228 55 1 4.323 174 432<br />
100 % 2,67 % 1,99 % 4,17 % 1,01 % 0,02 % 79,06 % 3,18 % 7,90 %<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Die sozialen Faltenwespen in Bielefeld<br />
11<br />
(Angelica sylvestris), Gemeine Goldrute<br />
(Solidago virgaurea).<br />
Gerade im warmen Frühjahr beobachtete<br />
ich aber auch an Wasserstellen immer<br />
wieder Tiere. Hier fiel mir auf, dass manche<br />
Individuen die Stellen in regelmäßigen<br />
zeitlichen Abständen anflogen. In unserem<br />
Garten sah ich über mehrere Tage, dass<br />
eine Feldwespe nachmittags ca. alle zehn<br />
Minuten zum Trinken kam, über einen Beobachtungszeitraum<br />
von 1 bis 2 Stunden<br />
(s. auch Fangprotokoll). Auch an manchen<br />
Pflanzen, bei denen ich wartete, konnte ich<br />
einen Anflugrhythmus beobachten, wobei<br />
nicht sichergestellt ist, dass immer das gleiche<br />
Tier kam, da ich es nicht markierte.<br />
Flugaktivitäten bei jedem Wetter<br />
Entgegen meiner Erwartung konnte ich<br />
auch bei kühlem, windigem Wetter und<br />
sogar im Regen Wespen beobachten. Die<br />
Tiere waren teilweise nicht so aktiv wie<br />
bei sonnigem, warmem Wetter, aber einige<br />
Exemplare fand ich immer.<br />
Jahreslauf und ♂♂ Geschlechtstiere<br />
Im Jahreslauf fing ich verschiedene Arten<br />
gehäuft, so fand ich besonders im warmen<br />
Frühjahr häufig Gallische Feldwespen<br />
(Polistes dominula, Abb. 9). Im Spätsommer<br />
und Herbst dominierte die Gewöhnliche<br />
Wespe (Vespula vulgaris, Abb. 15). Die<br />
Dolichovespula-Arten hatten ihr häufigstes<br />
Vorkommen im Juni.<br />
Diese Beobachtungen bestätigen die Lebenszyklen<br />
der einzelnen Arten.<br />
Entsprechend dem Entwicklungszyklus<br />
der Wespenvölker fing ich in den<br />
Spätsommer- und Herbstmonaten häufig<br />
männliche Tiere. Die ersten männlichen<br />
Individuen fand ich bei der Gallischen<br />
Feldwespe, bei denen schon Ende August/<br />
Anfang September eine hohe Anzahl<br />
nachzuweisen war. Männliche Tiere kann<br />
man an ihren grünen Augen leicht erkennen.<br />
Erst später im Jahr fing ich männliche<br />
Individuen, vor allem der Gewöhnlichen<br />
Wespe (Tab. 3).<br />
Standorte<br />
Erstaunt war ich über die Feststellung,<br />
dass ich in Innenstadtnähe leichter Wespenvorkommen<br />
entdeckte als in manchen<br />
Randgebieten. Besonders fiel mir auf, dass<br />
im besiedelten Gebiet von Ubbedissen<br />
kaum Tiere zu finden waren. Die Vorgärten<br />
und Straßenränder waren sehr gepflegt<br />
und boten nur wenige Futterpflanzen für<br />
die Wespen. Im Gegensatz dazu fand ich<br />
in Bielefeld-Mitte viele berankte Häuser,<br />
Hecken, verwilderte Grundstücke und<br />
Parkplatzbepflanzungen. Hier war es einfach,<br />
Wespen zu finden.<br />
Pflanzen<br />
Es war mir wichtig, die Futterpflanzen<br />
der verschiedenen Wespenarten bei<br />
Tab. 3 Erst- und Letztfunde im Jahr 2011<br />
Art<br />
P. dominula<br />
D.<br />
media<br />
D.<br />
saxo nia<br />
D. sylvestris<br />
D.<br />
omissa<br />
V.<br />
crabro<br />
V. germanica<br />
V. vulgaris<br />
Erstfund 19.04.11 21.04.11 21.04.11 01.05.11 25.08.11 17.04.11 24.04.11 30.04.11<br />
Letztfund 07.10.11 01.10.11 16.10.11 01.10.11 – 27.10.11 05.11.11 08.11.11<br />
Erste ♂♂ 17.08.11 18.07.11 – 09.07.11 – – 01.10.11 29.09.11<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
12 Phil Bussemas<br />
Abb. 1 Verteilung aller Wespenfundorte im<br />
Stadtgebiet von Bielefeld. Kartengrundlage:<br />
© Vermessungs- und Katasteramt Bielefeld 2011.<br />
Abb. 2 Polistes dominula, Verteilung im Stadtgebiet.<br />
Kartengrundlage: © Vermessungs- und<br />
Katasteramt Bielefeld 2011.<br />
Abb. 3 Dolichovespula media, Verteilung im<br />
Stadtgebiet. Kartengrundlage: © Vermessungsund<br />
Katasteramt Bielefeld 2011.<br />
Abb. 4 Dolichovespula saxonica, Verteilung im<br />
Stadtgebiet. Kartengrundlage: © Vermessungsund<br />
Katasteramt Bielefeld 2011.<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Die sozialen Faltenwespen in Bielefeld<br />
13<br />
Abb. 5 Dolichovespula sylvestris / Dolichovespula<br />
omissa (Roter Punkt), Verteilung im Stadtgebiet.<br />
Kartengrundlage: © Vermessungs- und Katasteramt<br />
Bielefeld 2011.<br />
Abb. 6 Vespula germanica, Verteilung im Stadtgebiet.<br />
Kartengrundlage: © Vermessungs- und<br />
Katasteramt Bielefeld 2011.<br />
Abb. 7 Vespula vulgaris, Verteilung im Stadtgebiet.<br />
Kartengrundlage: © Vermessungs- und<br />
Katasteramt Bielefeld 2011.<br />
Abb. 8 Vespula crabro, Verteilung im Stadtgebiet.<br />
Kartengrundlage: © Vermessungs- und Katasteramt<br />
Bielefeld 2011.<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
14 Phil Bussemas<br />
meinen Fängen mit zu protokollieren.<br />
Im Laufe des Jahres fielen mir verschiedene<br />
Pflanzen auf, an denen ich viele Fänge<br />
machen konnte. Hierzu zählten z. B.<br />
Rhododendron, Brennnesseln (Urtica dioica),<br />
Bärenklau (Heracleum sphondylium),<br />
Engelwurz (Angelica sylvestris), Schneebeere<br />
(Symphoricarpos albus), Niedrige Purpurbeere<br />
(Symphoricarpos x chenaultii) und<br />
Efeu (Hedera helix).<br />
Zum Ende des Jahres traf ich sehr oft<br />
Wespen an Efeublüten an, da kaum noch<br />
andere Pflanzen blühten und der Nektar<br />
für die sozialen Faltenwespen, die relativ<br />
kleine Mandibeln haben, sehr gut erreichbar<br />
war. Generell bevorzugen Wespen einfach<br />
aufgebaute Blüten, in denen Nektar<br />
leicht zu erreichen ist.<br />
Beifänge<br />
Es blieb nicht aus, dass auch einige solitäre<br />
Wespenarten gefangen wurden. Die<br />
vertiefte Auswertung soll in einer späteren<br />
Arbeit erfolgen.<br />
Wespenfallen in Bäckereien<br />
Es war nicht einfach, genug teilnehmende<br />
Bäckereien zu finden, da sie teilweise<br />
mit Klimaanlagen ausgestattet waren und<br />
somit keine Wespenfallen hatten. Im Laufe<br />
des Projektes stellte sich heraus, dass in<br />
manchen Bäckereien meine Gläser ohne<br />
Rücksprache entsorgt wurden oder bei Filialen<br />
mit vielen Mitarbeitern diese nicht<br />
„Bescheid wussten“. So konnten statt Proben<br />
aus 25 Bäckereien nur Wespenfänge<br />
aus 15 Bäckereien von mir ausgewertet<br />
werden.<br />
In den Wespenfallen der Bäckereien<br />
wies ich drei Wespenarten nach. Die Bestimmung<br />
konnte ausschließlich anhand<br />
des Stirnschildes erfolgen.<br />
Insgesamt bestimmte ich 1 723 Wespen<br />
aus Bäckereien, davon 1 298 Gewöhnliche<br />
Wespen und 424 Deutsche Wespen, Langkopfwespen<br />
fand ich nur einmal (1 Waldwespe).<br />
Den Beifang wertete ich wie folgt aus:<br />
Honigbienen: 319, Fliegen: 16, Nachtfalter:<br />
9, Hummeln: 4, Mücken: 4, Solitärwespen:<br />
1, Zikaden: 1, Schnaken: 1.<br />
Funde von Wespennestern<br />
Ich stieß bei meiner Suche nach Wespen<br />
immer wieder auf Nester, wobei die überwiegende<br />
Zahl Erdnester der Gewöhnlichen<br />
Wespe waren. Oberirdische Nester<br />
fand ich auf dem Schulhof des Helmholtz-<br />
Gymnasiums (Mittlere Wespe), an der Osning-Straße<br />
(Waldwespe, Sächsische Wespe),<br />
Am Alten Berg (Mittlere Wespe).<br />
Einige Wespenberater des Umweltamtes<br />
Bielefeld stellten mir Daten aus ihren Beratungsgesprächen<br />
mit anfragenden Bürgern<br />
zur Verfügung. Die Standorte der Wespennester<br />
fasste ich neben meinen Felduntersuchungen<br />
in einer gesonderten Liste<br />
zusammen; Daten erhielt ich aus folgenden<br />
Stadtgebieten: Babenhausen, Brake,<br />
Bethel, Brackwede, Dornberg, Eckardtsheim,<br />
Gadderbaum, Gellershagen, Heepen,<br />
Hillegossen, Jöllenbeck, Milse, Mitte,<br />
Tab. 4 Fänge in Wespenfallen<br />
Waldwespe – Dolichovespula sylvestris (Scopoli 1763) 1<br />
Deutsche Wespe – Vespula germanica (Fabricius 1793) 424<br />
Gewöhnliche Wespe – Vespula vulgaris (Linnaeus 1758) 1298<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Die sozialen Faltenwespen in Bielefeld<br />
15<br />
Oldentrup, Schildesche, Schröttinghausen,<br />
Senne, Sennestadt, Sieker, Stieghorst, Sudbrack,<br />
Ubbedissen, Ummeln und Windflöte.<br />
Einige Stadtteile wurden von den Beratern,<br />
die sich bei mir gemeldet hatten, nur<br />
vertretungsweise bearbeitet, so dass keine<br />
vollständigen Zahlen vorlagen.<br />
Die meisten Anfragen entfielen auf Nester<br />
der Gewöhnlichen Wespe, hier waren<br />
auch die meisten Beseitigungswünsche<br />
zu registrieren. Insgesamt wertete ich 117<br />
Bürgeranfragen aus (Tab. 5)<br />
Diskussion<br />
Abb. 9 Gallische Feldwespe (Polistes dominula).<br />
Foto: Klaus D. Jürgens.<br />
Eigene Nachweise im Feld<br />
Wie Tab. 6 zeigt, war die Vermutung von<br />
Venne et al. (2007) richtig, dass soziale Faltenwespen<br />
in Bielefeld deutlich häufiger<br />
vorkommen, als das nach den bis dahin belegten<br />
Fundorten zu sein schien.<br />
Die Zahl der Fundorte konnte für 7 der<br />
bisher 10 in Bielefeld belegten Arten deutlich<br />
bis massiv gesteigert werden.<br />
Feldwespe (Polistes dominula), Abb. 9<br />
Bemerkenswert waren die Fänge der<br />
Feldwespe (Polistes dominula), die ich<br />
schon früh im Jahr nachgewiesen habe.<br />
Sie ist über das gesamte Jahr vertreten. Die<br />
letzte Feldwespe fand ich am 07.10.2011.<br />
Interessant ist die Entwicklung des Vorkommens<br />
der Gallischen Feldwespe (Polistes<br />
dominula). Diese thermophile Art hat in<br />
den zurückliegenden eineinhalb Jahrzehnten<br />
eine gewaltige Arealerweiterung erfahren.<br />
„Bis 1980 war die Gallische Feldwespe<br />
in Nordrhein-Westfalen nur aus dem<br />
Rheintal bekannt“ (Woydak 2006). Lauterbach<br />
(1995, 1996) konnte zunächst von<br />
einem Vorkommen bei Paderborn berichten.<br />
Bleidorn et al. (2000) stellten wenig<br />
später den Sprung über den Teutoburger<br />
Wald mit ersten Nachweisen in Bielefeld<br />
Tab. 5 Wespennester-Funde 2011, Vergleich Wespenberater/Phil Bussemas<br />
Arten<br />
Zahlen<br />
Phil Bussemas<br />
Zahlen Wespenberater<br />
Bielefeld<br />
Summe der festgestellten<br />
Nester<br />
Gewöhnliche<br />
Wespe<br />
Deutsche<br />
Wespe<br />
Sächsische<br />
Wespe<br />
Mittlere<br />
Wespe<br />
Hornisse<br />
Waldwespe<br />
Feldwespe<br />
Art nicht<br />
bestimmbar<br />
35 2 1 3 3 1 0 0<br />
35 3 10 4 17 0 1 46<br />
70 5 11 7 20 1 1 46<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
16 Phil Bussemas<br />
Tab. 6 Bielefelder Wespenarten und Anzahl der Fundorte im Vergleich: Venne (2007), Bussemas (2011)<br />
Anzahl der Fundorte<br />
Art Venne et al. 2007 Bussemas 2011<br />
Kuckuckswespe – Dolichovespula adulterina 2 0<br />
Französische/Gallische Feldwespe – Polistes dominula 7 57<br />
Mittlere Wespe – Dolichovespula media 13 37<br />
Sächsische Wespe – Dolichovespula saxonica 7 58<br />
Waldwespe – Dolichovespula sylvestris 3 33<br />
Waldkuckuckswespe – Dolichovespula omissa 0 1<br />
Hornisse – Vespa crabro 3 36<br />
Österreichische Kuckuckswespe – Vespula austriaca 1 0<br />
Deutsche Wespe – Vespula germanica 19 49<br />
Rote Wespe – Vespula rufa 11 0<br />
Gewöhnliche Wespe – Vespula vulgaris 24 255<br />
fest. Wie meine Zahlen (Tab. 2) eindeutig<br />
zeigen, ist sie inzwischen im Frühjahr<br />
in Bielefeld die am häufigsten anzutreffende<br />
Wespe. Man findet sie in Bielefeld in<br />
den Siedlungsbereichen. Wie zu erwarten,<br />
habe ich keinen Nachweis im Teutoburger<br />
Wald (vgl. Fundortkarte). Das war aber bei<br />
dieser synanthropen Art zu erwarten.<br />
Nester der Polistes dominula habe ich<br />
nicht gefunden. Ich habe aber auch nicht<br />
gezielt danach gesucht. Die Bielefelder<br />
Wespenberater wurden nur zu einem Nest<br />
gerufen, was nicht verwunderlich ist, denn<br />
den meisten Bielefeldern fallen die kleinen<br />
Wespennester, die etwa unter Dachziegeln<br />
oder Abdeckungen zu finden sind<br />
und die immer nur aus einer Wabe ohne<br />
Hülle bestehen, kaum auf. Die Kolonien<br />
bleiben in der Regel recht klein mit 20 bis<br />
30 Individuen. Die Wabe hat meist weniger<br />
als 50 Zellen (F. Mönks, mündliche<br />
Mitteilung). Auf das ganze Jahr gesehen,<br />
ist die sehr friedliche Polistes dominula nach<br />
der Gewöhnlichen Wespe inzwischen die<br />
zweithäufigste Wespe Bielefelds.<br />
Kuckuckswespen<br />
Nachweise der bisher belegten Kuckuckswespen<br />
(Dolichovespula adulterina,<br />
bisher 2 Belege, ist ein Parasit von Dolichovespula<br />
saxonica; Vespula austriaca, bisher<br />
1 Beleg, ist ein Parasit von Vespula rufa)<br />
sind mir nicht gelungen. Der Nachweis von<br />
Kuckuckswespen ist allerdings wegen ihrer<br />
äußersten Seltenheit auch sehr schwierig.<br />
Immerhin hatte ich viel Glück, und<br />
so gelang mir mit einer Waldkuckuckswespe<br />
(Dolichovespula omissa, Abb. 5)<br />
ein Erstnachweis für Bielefeld. Woydak<br />
(2006) bezeichnet sie als äußerst selten.<br />
Mit meinem Fund der Waldkuckuckswespe<br />
(Dolichovespula omissa) habe ich eine als<br />
„extrem selten“ (Rote Liste NRW) klassifizierte<br />
Art in Bielefeld entdeckt. Die sozialparasitisch<br />
lebende Wespe ist weitgehend<br />
unerforscht, sie schmarotzt bei der<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Die sozialen Faltenwespen in Bielefeld<br />
17<br />
Abb. 10 Nest der Mittleren Wespe (Dolichovespula<br />
media).<br />
Abb. 11 Mittlere Wespe (Dolichovespula media).<br />
Foto: Klaus D. Jürgens.<br />
Waldwespe (Dolichovespula sylvestris). Ich<br />
fing sie im August in einem Waldgebiet<br />
auf einem Bärenklau (Heracleum sphondylium).<br />
Die große Ähnlichkeit zu der Waldwespe<br />
machte eine Unterscheidung erst<br />
unter dem Binokular möglich. Unterscheidungsmerkmale<br />
liegen z. B. in den gelben<br />
Punkten auf der Kopfseite und einer Ausbuchtung<br />
der seitlichen Brustzeichnung.<br />
Kleine Hornisse oder Mittlere Wespe<br />
(Dolichovespula media), Abb. 3, 10, 11<br />
Als Böker & Vorweg (2004) im Jahr<br />
2003 im Botanischen Garten Bielefelds<br />
eine Dolichovespula media nachweisen<br />
konnten, galt das als bemerkenswerter<br />
Fund. Die bis dahin von Lauterbach (1994)<br />
gemeldeten Bielefelder Fundorte konzentrierten<br />
sich vor allem in Sennestadt und<br />
um die Universität. Auf der Grundlage seiner<br />
weiteren Funde konnte er schon 1995<br />
festhalten, dass „alle Vorstellungen, welche<br />
die Kleine Hornisse in Nordrhein-Westfalen<br />
bedroht und im Aussterben begriffen<br />
sehen, zumindest in dieser allgemeinen<br />
Aussage gänzlich unbegründet sind.“<br />
Jeder weitere Nachweis untermauerte diese<br />
Auffassung. Wie meine Verbreitungskarte<br />
(Abb. 3) zeigt, lebt Dolichovespula media<br />
besonders im Siedlungsbereich Bielefelds,<br />
erzielt aber nicht die gleiche Populationsdichte<br />
wie die kleinen Wespenarten ( Lauterbach<br />
1995). Eine Nachweislücke gibt es<br />
noch im nördlichen Randbereich Bielefelds<br />
( Jöllenbeck). Dort sollte in Zukunft<br />
gezielt nach der Kleinen Hornisse gesucht<br />
werden. Am häufigsten war diese Wespe<br />
im Juni zu finden.<br />
Sächsische Wespe (Dolichovespula saxonica),<br />
Abb. 4, 12, 13<br />
Diese Kulturfolgerin ist in Bielefeld in<br />
den Siedlungsgebieten allgemein anzutreffen.<br />
Im Monat Juni ist sie mit 31 % Anteil<br />
an der Wespenfauna die häufigste Wespe<br />
Bielefelds.<br />
Waldwespe (Dolichovespula sylvestris)<br />
Auch bei der Waldwespe lag die höchste<br />
Vorkommensdichte im Monat Juni. Sie<br />
kommt allerdings weniger häufig vor als<br />
die Sächsische Wespe.<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
18 Phil Bussemas<br />
Abb. 12 Sächsische Wespe (Dolichovespula<br />
saxonica ♀). Foto: Klaus D. Jürgens.<br />
Abb. 13 Sächsische Wespe (Dolichovespula<br />
saxonica ♂). Foto: Klaus D. Jürgens.<br />
Die Populationsdynamik der Dolichovespula-Arten<br />
hat im Untersuchungszeitraum<br />
einen anderen Verlauf genommen,<br />
als das bei Mauss & Treiber (2004)<br />
beschrieben wird. Die Spitzenentwicklung<br />
ist bei allen drei nachgewiesenen Arten um<br />
gut einen Monat nach vorn verschoben.<br />
Es ist zu vermuten, dass dabei das warme<br />
Frühjahr und der verregnete Sommer eine<br />
Rolle gespielt haben.<br />
Hornisse (Vespa crabro), Abb. 8, 14<br />
Auffällig war die hohe Aktivität der<br />
Hornissen (Vespa crabro) ab Ende August,<br />
Abb. 14 Eine Hornisse (Vespula crabro) fängt eine<br />
Beißschrecke. Foto: Klaus D. Jürgens.<br />
die ich häufig bei der Beutejagd beobachtete.<br />
Während die ersten Hornissenarbeiterinnen<br />
des Jahres noch relativ klein waren,<br />
fielen mir Ende August die großen<br />
Individuen auf. Sie kamen auch häufiger<br />
auf Friedhöfen vor, obwohl ich dort vor der<br />
Efeublüte kaum Wespen fing.<br />
Wie die Fundortkarte zeigt, konnte<br />
nicht nur die Aussage von Nehring et al.<br />
(2010) über die flächendeckende Ausbreitung<br />
dieser größten einheimischen sozialen<br />
Faltenwespenart im Stadtgebiet nördlich<br />
des Teutoburger Waldes bestätigt werden,<br />
es konnten neue Nachweise im äußersten<br />
Norden Bielefelds ( Jöllenbeck) und im<br />
südlichen Stadtgebiet erbracht werden.<br />
Rote Wespe (Vespula rufa)<br />
Überraschend ist das völlige Fehlen der<br />
Roten Wespe. Diese Wespe, die in NRW<br />
häufig vorkommen soll, wurde in Bielefeld<br />
schon mehrmals nachgewiesen, letztmalig<br />
am 15.04.2008 im Südwesten der Stadt.<br />
Ich habe sie an keinem Ort angetroffen.<br />
Nach Venne (mündlich) ist die Art seinem<br />
Eindruck nach in den letzten Jahren<br />
schon etwas seltener, sollte aber auch<br />
in Bielefeld an vielen Stellen vorkommen.<br />
Man könnte annehmen, dass Seltenheit<br />
und Jagdpech zusammenkamen.<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Die sozialen Faltenwespen in Bielefeld<br />
19<br />
Abb. 15 Gewöhnliche Wespe (Vespula vulgaris).<br />
Foto: Klaus D. Jürgens.<br />
Abb. 16 Deutsche Wespe (Vespula germanica ♂).<br />
Foto: Klaus D. Jürgens.<br />
Das Verhältnis der Gewöhnlichen<br />
Wespe (Vespula vulgaris) zur<br />
Deutschen Wespe (Vespula<br />
germanica)<br />
In der Literatur wird beschrieben, dass<br />
beide Arten als „… die häufigsten Wespenarten<br />
in Deutschland…“ gelten (Witt<br />
2009). Doch welche Art kommt häufiger<br />
vor? Wie verteilen sie sich in Bielefeld?<br />
Auffällig waren die großen Vorkommen<br />
der Gewöhnlichen Wespe (Vespula vulgaris,<br />
Abb. 7) im Feld, die ich weit häufiger<br />
als die Deutsche Wespe (Vespula germanica,<br />
Abb. 6) nachweisen konnte. Sowohl bei<br />
der Anzahl der Fundorte, als auch bei der<br />
Zahl der nachgewiesenen Individuen liegt<br />
Vespula vulgaris weit vor Vespula germanica<br />
(Tab. 6, 7). Ich entdeckte 255 (84 %) Fundorte<br />
von Vespula vulgaris, aber nur 49 (16 %)<br />
von Vespula germanica.<br />
An insgesamt 282 Fundorten waren<br />
entweder eine oder beide Arten vertreten.<br />
An zwei Fundorten war Vespula germanica<br />
häufiger vertreten als Vespula vulgaris,<br />
An drei Fundorten fehlte Vespula vulgaris<br />
vollständig (Tab. 8). Trotz allgemeiner Verbreitung<br />
scheint es beim Vorkommen der<br />
Vespula vulgaris doch Schwankungen in der<br />
Populationsdichte zu geben.<br />
Die Fundortkarten (Abb. 1 – 8) geben<br />
die Situation eindrucksvoll wieder.<br />
Tab.7 Nester, Fundorte, Fundzahlen (dargestellt ist jeweils das Verhältnis der Gewöhnlichen Wespe<br />
zur Deutschen Wespe)<br />
Woydak<br />
(2006)<br />
(Nestfunde<br />
2004)<br />
Fockenberg<br />
nach<br />
Woydak<br />
(2006)<br />
(Nestfunde<br />
2004)<br />
Wespenberater<br />
und<br />
Bussemas<br />
(2012)<br />
Vgl. Tab. 4<br />
(Nestfunde<br />
2011) n=75<br />
Fundorte<br />
Venne et al.<br />
(2007)<br />
Fundorte<br />
Bussemas<br />
Fänge im<br />
Feld<br />
Bussemas<br />
Fänge in<br />
Wespenfallen<br />
(Bäckereien)<br />
n=43 n=304 n=4497 n=1722<br />
100 % : 0 % 80 % : 20 % 93 % : 7 % 56 % : 44 % 84 % : 16 % 96 % : 4 % 75 % : 25 %<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
20 Phil Bussemas<br />
Tab. 8 Mengenvergleich, Häufigkeit der Fundorte<br />
nur V. vulgaris mehr V. vulgaris gleich viele mehr V. germanica nur V. germanica<br />
225 Orte 49 Orte 3 Orte 2 Orte 3 Orte<br />
Nach Mauss & Treiber (2004) kommt<br />
Vespula germanica nicht so häufig in bergigen<br />
Regionen vor, sondern beschränkt sich<br />
dort auf die Umgebung von Siedlungen.<br />
Meine Fänge stimmen mit diesen Angaben<br />
annähernd überein. In den Waldflächen<br />
des Teutoburger Waldes konnte ich<br />
Vespula germanica nicht nachweisen. Im<br />
Innenstadtgebiet ist sie dagegen leicht zu<br />
finden. Woydak (2006) bezeichnet Vespula<br />
germanica als deutlich wärmeliebender<br />
als Vespula vulgaris. Sie bevorzugt die Ballungsgebiete<br />
der Städte, kommt aber auch<br />
im ländlichen Gebiet vor, aber seltener. Sie<br />
konnte im gesamten Stadtgebiet mit einer<br />
Häufung im Zentrum nachwiesen werden,<br />
wenn auch bei weitem nicht so häufig wie<br />
Vespula vulgaris, die zu Recht als Ubiquist<br />
bezeichnet werden kann. So fand ich z. B.<br />
mitten im schattigen Wald auf der Höhe<br />
des Jostberges im Erdboden an der Klosterruine<br />
zwei ihrer Nester (Abb. 6, 7 Fundorte<br />
beider Arten).<br />
Auch in den Gebieten Bielefelds, in denen<br />
Vespula germanica vorkommt, wird sie<br />
in der Regel von Vespula vulgaris übertroffen<br />
und zwar sowohl in der Nestdichte als<br />
auch bei der Individuenzahl im Feld.<br />
Venne et al. (2007) haben Bielefelder<br />
Sammlungen ausgewertet. Es wurden<br />
19 Fundorte von Vespula germanica<br />
und 24 Fundorte von Vespula vulgaris ermittelt.<br />
Das würde einer Verteilung von<br />
ca. 44 % Vespula germanica-Fundorten zu<br />
56 % Vespula vulgaris-Fundorten (Tab. 7)<br />
entsprechen. Bei der Einschätzung dieser<br />
Werte ist allerdings zu bedenken, dass<br />
die Sammlungen nicht unbedingt mit der<br />
Absicht zusammengetragen wurden, einen<br />
flächendeckenden Überblick über das Vorkommen<br />
der jeweils gefundenen Arten zu<br />
erhalten. Diese aus dem Material der verschiedensten<br />
Sammlungen zusammengetragenen<br />
Werte dürften deshalb selektiven<br />
Charakter haben und für die tatsächliche<br />
Verbreitung in Bielefeld nicht repräsentativ<br />
sein. Insbesondere der vergleichsweise<br />
hohe Vespula-germanica-Anteil, der sich<br />
aus der Auswertung der Sammlungen ergibt,<br />
entspricht nicht ihrer Verbreitung<br />
und Bestandssituation in Bielefeld.<br />
Wespenfallen in Bäckereien<br />
Wie erwartet, fand ich die beiden Wespenarten<br />
Vespula vulgaris und Vespula germanica<br />
(zusätzlich: 1 Dolichovespula sylvestris).<br />
Beide Arten haben die Angewohnheit<br />
„gerne an Fleisch oder süßen Lebensmitteln<br />
zu naschen“ (Witt (2009)).<br />
In den Bäckereien jedoch war Vespula<br />
germanica im Durchschnitt mit einem<br />
deutlich höheren Anteil als bei den Nachweisen<br />
im Feld vertreten (Tab. 7). Offensichtlich<br />
ist Vespula germanica im Aufspüren<br />
und Ausnutzen anthropogener<br />
Nahrungsquellen noch findiger als Vespula<br />
vulgaris. Wespenfallen mit hohen Zahlen<br />
von Vespula germanica sind auch in Bäckereien<br />
in den Außenbezirken der Stadt zu<br />
finden, in der Verbreitung dieser Art mag<br />
es Dichteschwankungen geben, sie kommt<br />
aber auch in der Innenstadt im Durchschnitt<br />
nicht konzentrierter vor als am<br />
Stadtrand (Bäckereifangliste im Anhang).<br />
Ein Stadtklimaeffekt ist nicht feststellbar.<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Die sozialen Faltenwespen in Bielefeld<br />
21<br />
Auffällig war die erhöhte Bienenkonzentration<br />
bei einer Bäckerei mit einer<br />
Lichtfalle. Als Nebenfang wurden 205<br />
Honigbienen ausgewertet. Dieses könnte<br />
an einem grundsätzlich erhöhten Bienenvorkommen<br />
oder an der speziellen Falle<br />
liegen, die ich nur in dieser Bäckerei gesehen<br />
habe. Es handelt sich um eine Lichtfalle<br />
mit integriertem Ventilator. Da allerdings<br />
in einer ca. 75 m entfernten Bäckerei<br />
eine deutlich niedrigere Konzentration von<br />
Bienen vorlag, nehme ich an, dass der Fallentyp<br />
für den hohen Bienenanteil die entscheidende<br />
Ursache war. Die Anlockeffizienz<br />
von Insektenfallen für Honigbienen<br />
könnte in einer weiteren Untersuchung<br />
überprüft werden.<br />
Funde von Wespennestern<br />
Im Jahr 2011 wurden vom Umweltamt<br />
Wespenberater zur Beratung der Bürger in<br />
Wespenfragen eingesetzt. Von diesen Wespenberatern<br />
sind mir Listen über gemeldete<br />
Nester zur Verfügung gestellt worden.<br />
Die Daten habe ich unverändert übernommen.<br />
Bei den gemeldeten Nestern dominierte<br />
Vespula vulgaris.<br />
Die hohe Zahl der gemeldeten Nester<br />
bei der Gewöhnlichen Wespe entsprach<br />
sowohl der Zahl meiner eigenen Nestfunde<br />
als auch meinen Fangzahlen im Feld.<br />
Vergleichbare Zahlen liegen von Vespula<br />
germanica und Dolichovespula media vor<br />
(Tab. 5).<br />
Dolichovespula saxonica, die als Kulturfolger<br />
im Siedlungsbereich als Freinister<br />
gerne an Dachüberständen z. B. von Gartenhäuschen<br />
nistet, fällt also sehr leicht auf.<br />
Auch die Hornisse Vespa crabro wird wegen<br />
ihrer Größe und des Fluggeräusches leicht<br />
wahrgenommen. Nester finden sich zum<br />
Teil in Rollladenkästen oder Vogelnistkästen.<br />
Da sie zunächst als besonders bedrohlich<br />
empfunden werden, werden sie auch<br />
oft gemeldet. Da ich zu den Gartenbereichen<br />
und Häusern keinen Zutritt hatte,<br />
habe ich bei den letzten beiden Arten auch<br />
nur wenige Nester finden können.<br />
An den Aufzeichnungen der Wespenberater<br />
war erkennbar, dass viele Bürger<br />
sehr schlecht über Wespen informiert waren,<br />
vielfach wurden Wildbienen, Bienen,<br />
aber auch Hummeln, als Wespen gemeldet.<br />
Erfreulich war jedoch, dass ein Teil<br />
der besorgten Bürger sich zum Erhalt der<br />
Wespennester entschloss, nachdem eine<br />
Beratung stattgefunden hatte.<br />
Gespräche mit Bürgern<br />
Während meiner Fangaktionen wurde<br />
ich des Öfteren angesprochen, da die<br />
Bürger aufgrund des Insektenfangnetzes<br />
neugierig wurden. Sie wollten wissen,<br />
was ich denn finge und reagierten häufig<br />
überrascht, als sie von den Wespenfängen<br />
erfuhren. In den Gesprächen konnte ich<br />
feststellen, dass die meisten Leute nur sehr<br />
wenig über die Wespenarten, das Verhalten<br />
und den Nahrungserwerb der Wespen<br />
(z. B. dass Wespen Blattläuse und andere<br />
Insekten fressen) wussten. Vorurteile,<br />
besonders über die Aggressivität und die<br />
Giftigkeit der Tiere wurden oft geäußert.<br />
Viele Leute äußerten Ängste und waren<br />
erstaunt, dass ich während meiner Fänge<br />
nicht gestochen wurde. Viele waren jedoch<br />
interessiert, mehr über die Wespen zu erfahren,<br />
und ich habe meistens längere Gespräche<br />
geführt. An einigen Fangorten in<br />
der Nähe von Spielplätzen traf ich Kinder,<br />
die mit mir suchen und fangen wollten. Sie<br />
waren sehr neugierig und schauten die gefangenen<br />
Individuen in den Bechern an.<br />
Ich stellte fest, dass die anfänglichen Bedenken<br />
schnell verflogen und durch Informationen<br />
zu den Wespen eine positive<br />
Haltung zu den Hautflüglern erzeugt werden<br />
konnte.<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
22 Phil Bussemas<br />
Zusammenfassung<br />
Die sozialen Faltenwespen waren in<br />
Bielefeld bisher nicht ausreichend faunistisch<br />
bearbeitet, da sich Entomologen eher<br />
für solitäre Arten interessieren. Ich habe<br />
versucht, die Kenntnisse über die Fauna<br />
der sozialen Faltenwespen im Bielefelder<br />
Stadtgebiet zu aktualisieren und Kenntnislücken<br />
– vor allem im Nordosten – zu<br />
schließen. Mit 5 520 Einzelnachweisen an<br />
293 Standorten konnte für das Vorkommen<br />
der meisten der in Bielefeld nachgewiesenen<br />
sozialen Faltenwespen ein<br />
flächendeckender Überblick gewonnen<br />
werden.<br />
Bemerkenswert ist die im Siedlungsbereich<br />
seit gut zehn Jahren in Bielefeld vorkommende<br />
thermophile Gallische Feldwespe,<br />
die im Frühjahr inzwischen am<br />
häufigsten vorkommt. Auf das Jahr gesehen<br />
ist sie nach der Gewöhnlichen Wespe die<br />
zweithäufigste Wespe Bielefelds.<br />
Besonderes Augenmerk habe ich auf die<br />
Verteilung der lästig werdenden Wespen –<br />
Gewöhnliche Wespe und Deutsche Wespe –<br />
im Feld und in Bäckereien gelegt. Es ergab<br />
sich, dass die Deutsche Wespe, die im<br />
Feld nur einen Anteil von 4 % gegenüber<br />
der mit 96 % vertretenen Gewöhnlichen<br />
Wespe ausmacht, offensichtlich die Nahrungsquellen<br />
der Bäckereien, in denen sie<br />
mit 25 % vorkommt, relativ stärker nutzt<br />
als die hier „nur“ mit 75 % vertretene Gewöhnliche<br />
Wespe.<br />
Zusätzlich konnte ich die in NRW als<br />
extrem selten eingestufte, bisher wenig<br />
erforschte Waldkuckuckswespe (Dolichovespula<br />
omissa) erstmalig für Bielefeld<br />
nachweisen.<br />
Stellung der Echten Wespen im Insektenreich<br />
Wespen gehören zur Ordnung der<br />
Hautflügler (Hymenoptera). Zusammen<br />
mit drei weiteren, sehr artenreichen<br />
Ordnungen führen die Individuen<br />
während ihres Entwicklungszyklus eine<br />
vollständige Verwandlung (Holometabolie)<br />
durch. Die Hautflügler stellen<br />
mit 11 500 Arten die artenreichste<br />
Ordnung in Mitteleuropa dar. Weltweit<br />
sind rund 150 000 Arten bekannt.<br />
Die Hautflügler werden in zwei Unterordnungen<br />
gegliedert, in die Pflanzenwespen<br />
(Symphyta), die keine Taille<br />
besitzen, und in die Taillenwespen<br />
(Apocrita), zu denen die meisten Arten<br />
gehören. Diese werden wiederum<br />
unterteilt in die Legimmen (Terebrantia),<br />
zu denen viele parasitische und<br />
gallbildende Arten gehören, und die<br />
Stechimmen (Aculeata), zu denen u. a.<br />
die Bienen (Apoidea) und die Wespen<br />
(Vespoidea) gezählt werden. Die Wespen<br />
untergliedern sich in verschiedene<br />
Familien, eine davon ist die der Faltenwespen<br />
(Vespidae). Diese Familie ist<br />
durch das Zusammenfalten der Hinterflügel<br />
gekennzeichnet. Zusammen<br />
mit den Feldwespen (Polistinae) werden<br />
die Echten Wespen (Vespinae) oft als<br />
soziale Faltenwespen bezeichnet, das ist<br />
aber keine taxonomische Ebene, sondern<br />
spiegelt die Staatenbildung beider<br />
Familien wider. Zu den Echten Wespen<br />
gehören die Hornisse und die im Beitrag<br />
von Phil Bussemas behandelten<br />
Arten der Gattungen Vespula und Dolichovespula.<br />
Ludger Schmidt<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Die sozialen Faltenwespen in Bielefeld<br />
23<br />
Literatur<br />
Bleidorn, Christoph; Lauterbach, Karl-Ernst;<br />
Schulze, Werner; Venne, Christian (2000):<br />
Über die weitere Ausbreitung der Französischen<br />
Feldwespe Polistes dominula (Christ,<br />
1791) in Ostwestfalen (Hymenoptera, Vespidae).<br />
– Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft<br />
ostwestfälisch-lippischer Entomologen<br />
16: 35 – 39; Bielefeld.<br />
Böker, Arndt; Vorwerg, Alexander (2004):<br />
Kenntnis der Bienen- und Wespenfauna<br />
Bielefelds (Hymenoptera: Aculeata) – Eine<br />
Untersuchung in der Saison 2003. – Unveröffentlichte<br />
„Schüler-experimentieren“-Arbeit,<br />
Helmholtz-Gymnasium Bielefeld: 15 S.<br />
Esser, Jürgen; Fuhrmann, Markus; Venne,<br />
Christian (2010): Rote Liste und Gesamtartenliste<br />
der Wildbienen und Wespen (Hymenoptera:<br />
Apidae, Crabronidae, Sphecidae,<br />
Ampulicidae, Pompilidae, Vespidae, Tiphiidae,<br />
Sapygidae, Mutillidae, Chrysididae) Nordrhein-Westfalens.<br />
– Ampulex 2: , 5 – 60.<br />
Lauterbach, Karl-Ernst (1995): Die kleine<br />
Hornisse in Bielefeld und Umgegend (Hymenoptera<br />
– Vespidae). – Berichte des Naturwissenschaftlichen<br />
Vereins für Bielefeld<br />
und Umgegend 36: 117 – 135; Bielefeld.<br />
Lauterbach, Karl-Ernst (1996): Die kleine<br />
Hornisse in Bielefeld und Umgegend II<br />
(Hymenoptera – Vespidae). – Berichte des<br />
Naturwissenschaftlichen Vereins für Bielefeld<br />
und Umgegend 37: 115 – 125; Bielefeld.<br />
Lauterbach, Karl-Ernst (1996): Eine Feldwespe<br />
in Ostwestfalen (Hym., Vespidae).<br />
– Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft<br />
ostwestfälisch-lippischer Entomologen 12,<br />
1: 19 – 21.<br />
Lauterbach, Karl-Ernst (1997): Fortbestand<br />
und Entwicklung des Vorkommens von Polistes<br />
dominula (Christ, 1791) in Paderborn<br />
(Hymenoptera, Vespidae). – Mitteilungen<br />
der Arbeitsgemeinschaft ostwestfälisch-lippischer<br />
Entomologen 13: 41 – 43; Bielefeld.<br />
Mönks, Ferdinand: Mündliche Mitteilung.<br />
Nehring, Leander; Dohna, Cornelius; Buschmann,<br />
Nils (2010): Hornissen in Bielefeld<br />
nördlich des Teutoburger Waldes<br />
im Jahre 2009 und Konsequenzen für<br />
den Hornissenschutz. – Unveröffentlichte<br />
„Schüler-experimentieren“-Arbeit,<br />
Helmholtz-Gymnasium Bielefeld: 7 S.<br />
Schmid-Egger, Christian (2000): Hinweise<br />
zum wissenschaftlichen Arbeiten mit Stechimmen.<br />
– bembix 13: 30 – 37; Bielefeld.<br />
Schmid-Egger, Christian (2010): Rote Liste<br />
der Wespen Deutschlands. – Ampulex 1:<br />
5 – 40.<br />
Venne, Christian; Bleidorn, Christoph; Lauterbach,<br />
Karl-Ernst (2007): Zum Bearbeitungsstand<br />
der Stechimmenfauna (excl.<br />
Formicidae) von Bielefeld – Berichte des<br />
Naturwissenschaftlichen Vereins Bielefeld<br />
und Umgegend 47: 291 – 321.<br />
Witt, Rolf (2009): Wespen. – Vademecum Verlag:<br />
399 S.; Oldenburg.<br />
Woydak, Horst (2006): Die Faltenwespen von<br />
Nordrhein-Westfalen. – Abhandlung aus<br />
dem Westfälischen Museum für Naturkunde<br />
68. Jahrgang, 1: 106 – 107.<br />
Verwendete Bestimmungsliteratur:<br />
Mauss, Volker; Treiber, Reinhold (2004): Bestimmungsschlüssel<br />
für die Faltenwespen der<br />
Bundesrepublik Deutschland. – Deutscher<br />
Jugendbund für Naturbeobachtung (DJN)<br />
Hamburg: 1 – 53.<br />
Wolf, Heinrich (1986): Illustrierter Bestimmungsschlüssel<br />
deutscher Papierwespen. –<br />
Mitteilungen des Internationalen Entomologischen<br />
Vereins e. V. Frankfurt a. M. – gegr.<br />
1884: 751 S.<br />
Fitter, Richard; Fitter, Alastair; Blamey, Marjorie<br />
(1986): Pareys Blumenbuch –Wildblühende<br />
Pflanzen Deutschlands und Nordwesteuropas.<br />
– Paul Parey: Hamburg.<br />
Rothmaler, Werner (1987): Exkursionsflora,<br />
Bd. 3, Atlas der Gefäßpflanzen: 750 S.;<br />
Berlin.<br />
Benutzte Internetadressen:<br />
http://www.stechimmen-owl.de<br />
http://wespenschutz.com<br />
http://www.ampulex.de/ampulex1hd.pdf<br />
http://www.vespa-crabro.de/unterscheidung.htm<br />
htttp://www.westfaelische-entomologen.de<br />
Stand: 06.01.2012<br />
Kartengrundlage aller verwendeten Karten:<br />
© Vermessungs- und Katasteramt 2011<br />
Bielefeld<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
24<br />
Danksagung<br />
Ich danke den Herren Christian Venne<br />
und Ferdinand Mönks für die Überprüfung<br />
meiner Bestimmungen. Herrn Werner<br />
Schulze danke ich für Hinweise zur<br />
Anlage meiner Sammlung.<br />
Weiter danke ich den Wespenberatern<br />
Herrn Große-Wöhrmann, Frau Varchmin,<br />
Herrn Dr. Bode und Frau Bongards für<br />
die Überlassung von anonymisierten Beratungsprotokollen<br />
und Wespennestern.<br />
Herrn Michael Mertins vom Vermessungs-<br />
und Katasteramt der Stadt Bielefeld<br />
ist für die Überlassung und Hilfestellung<br />
bei der Bearbeitung der Bielefeld-Karte zu<br />
danken.<br />
Die präparierten Wespen meiner Sammlung<br />
sollen nach Abschluss meiner Arbeit<br />
in den Bestand des Naturkunde-Museums<br />
Bielefeld übergehen. Die Fangdaten<br />
werden Christian Venne für die weitere<br />
JUGENDPREIS 2014<br />
Für seine Arbeit erhielt Phil Bussemas,<br />
Schüler des Helmholtz-Gymnasiums<br />
Bielefeld, den Jugendpreis 2014 der<br />
Naturhistorischen Gesellschaft Hannover<br />
für ausgezeichnete Recherche, Durchführung,<br />
schriftliche Darstellung und Ergänzung<br />
der Arbeit mit einer fast 200 Seiten<br />
umfassenden Liste der Wespenfänge.<br />
Aktualisierung der „www.stechimmenowl.de-Seite“<br />
zur Verfügung gestellt.<br />
Arbeit eingereicht: 20.06.2012<br />
Arbeit angenommen: 06.08.2014<br />
Anschrift des Verfassers:<br />
Phil Bussemas<br />
An der Krücke 30<br />
33604 Bielefeld<br />
Umfassend & vielseitig<br />
<strong>Naturhistorica</strong> 154/155<br />
Das Werk „Geowissenschaften im Spiegel<br />
von Medaillen und Münzen“ von Gerd-<br />
Henrich Stork ist durch die Zusammenarbeit<br />
der Gebiete Numismatik, Geowissenschaften,<br />
Paläontologie und Biologie im Haus des<br />
Landesmuseums Hannover entstanden – ein<br />
Paradebeispiel für Interdisziplinarität.<br />
• Umfangreiche Register zu Personen,<br />
Medailleuren, Entwerfern, Herstellern,<br />
Verlegern und geografischen Namen.<br />
• Ausführliches Literaturverzeichnis<br />
Hardcover, 724 S., über 2.300 Abb., 89 €<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
25<br />
Erstnachweis der Blauschwarzen Holzbiene<br />
Xylocopa violacea Linné 1758 in Hannover<br />
(Hymenoptera: Apidae)<br />
Rolf Witt<br />
Erstnachweis der Blauschwarzen Holzbiene in<br />
Hannover<br />
Zusammenfassung<br />
Erstmals konnte in Hannover die Blauschwarze<br />
Holzbiene Xylocopa violacea L.<br />
nachgewiesen werden. Diese größte deutsche<br />
Solitärbienenart hat sich in den<br />
letzten Jahren immer weiter ausgebreitet<br />
und wird fast nur im Siedlungsbereich in<br />
Gärten und Parks nachgewiesen.<br />
Einleitung<br />
Im Rahmen einer noch laufenden Erfassung<br />
der Stechimmen der Stadt Hannover<br />
konnte 2013 der Erstnachweis der Blauschwarzen<br />
Holzbiene Xylocopa violacea L.<br />
für Hannover erbracht werden. Der Fund<br />
dieser sehr markanten Wildbiene war für<br />
Hannover schon länger zu erwarten gewesen.<br />
Der Erstnachweis für Niedersachsen<br />
erfolgte bereits 2003 (Thomas & Witt<br />
2005) an der Unterelbe. Inzwischen liegen<br />
mehrere zum Teil unveröffentlichte Nachweise<br />
vor allem aus dem südlichen und<br />
östlichen Niedersachsen, z. B. im Raum<br />
Göttingen und Hameln, Braunschweig,<br />
Lüneburg und im Wendland, vor. Riemann<br />
et al. (2010) melden zwei Nachweise von<br />
2008 und 2009 aus Bremen. Im Juni 2014<br />
wurde mir erstmals ein Nachweis aus der<br />
Nähe von Bad Zwischenahn (Landkreis<br />
Ammerland) bekannt.<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
26 Rolf Witt<br />
Abb. 1 (vorherige Seite) Xylocopa violacea-<br />
Weibchen<br />
Abb. 2 Xylocopa violacea-Männchen mit den<br />
charakteristischen rotgelben Fühlerenden<br />
Die letztjährigen Fundorte weisen auf<br />
eine anhaltende Ausbreitung nach Norden<br />
und in die Fläche Niedersachsens hin.<br />
Die Art hat in den letzten Jahren ihr Areal<br />
deutlich ausgeweitet. Ein analoges Ausbreitungsgeschehen<br />
ist auch für die Niederlande<br />
bekannt (Peeters et al. 2012). Die<br />
nördlichsten Funde stammen aus der Provinz<br />
Drenthe, südlich von Groningen. Aus<br />
Dänemark sind nur wenige Einzelfunde<br />
bekannt. Die Art wird aber noch nicht als<br />
indigen angesehen, sondern es wird von<br />
verschleppten Tieren ausgegangen (Madsen<br />
& Calabuig 2012). Aus Schleswig-<br />
Holstein und Mecklenburg-Vorpommern<br />
fehlen noch aktuelle Nachweise.<br />
Die Art nistet in selbstgenagten Gängen<br />
in sonnenexponiertem, nicht zu morschem<br />
Totholz, in seltenen Fällen auch in<br />
dicken Stängeln. Nachweise der thermophilen<br />
größten Wildbienenart liegen vor<br />
allem aus dem Siedlungsbereich (Gärten,<br />
Parks) vor.<br />
Ergebnisse und Diskussion<br />
Im zu den Herrenhäuser Gärten gehörenden<br />
Berggarten konnten zwei Tiere der<br />
Art festgestellt werden:<br />
• 1 ♀, 16.07.2013 Hannover, Berggarten<br />
52°23'34" N / 9°41'59" E<br />
• 1 ♀? (Flugbeobachtung), 18.07.2013<br />
Hannover, Berggarten<br />
52°23'60" N / 9°38'55" E<br />
Ein Weibchen sammelte in der Abteilung<br />
„Irisgarten“ Pollen am Muskatellersalbei<br />
Salvia sclarea L. Der Muskatellersalbei<br />
ist eine für Holzbienen außerordentlich<br />
attraktive Pflanze. Zudem sind Holzbienen<br />
aufgrund ihrer Größe ideal für die<br />
Auslösung des Bestäubungsmechanismus<br />
und stellen somit die wichtigsten Bestäuber<br />
dieses großblütigen Lippenblütlers dar<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Erstnachweis der Blauschwarzen Holzbiene in Hannover<br />
27<br />
(Westrich 2009). So erfolgte einer der zwei<br />
Nachweise aus dem Land Bremen (Riemann<br />
et al. 2010) sowie der Fund bei Bad<br />
Zwischenahn auch an dieser Pflanzenart.<br />
Ein weiteres Tier konnte im Flug an einer<br />
morschen, teils abgestorbenen Linde<br />
im Berggarten beobachtet werden. Einige<br />
der alten Linden in der Lindenallee mit<br />
ihrem morschen Altholz bieten durchaus<br />
potentielle Nistplätze für Holzbienen. Allerdings<br />
sind bisher keine Nestgänge entdeckt<br />
worden.<br />
Durch die in Großstädten im Vergleich<br />
zur Umgebung wärmeren klimatischen<br />
Bedingungen lassen sich in naturnahen<br />
urbanen Habitaten immer wieder expansive,<br />
wärmeliebende Arten nachweisen.<br />
Dies gilt besonders im Zusammenhang<br />
mit der allgemeinen Klimaerwärmung. Ein<br />
Beispiel ist auch dieser Erstnachweis der<br />
Blauschwarzen Holzbiene Xylocopa violacea<br />
in Hannover.<br />
Es ist durchaus wahrscheinlich, dass die<br />
Art schon etwas länger in Hannover vorkommt.<br />
So weist Hannover seit vielen<br />
Jahrzehnten einen im Vergleich zu anderen<br />
Großstädten unzureichenden Untersuchungsstand<br />
bezüglich der Wildbienenfauna<br />
auf. Dies ist sicherlich durch das<br />
Fehlen lokaler Fachleute sowie einem starken<br />
Abbau der Ausbildung und Förderung<br />
von taxonomisch-systematisch arbeitenden<br />
Zoologen begründet. Meldungen über<br />
Holzbienen stammen allerdings in vielen<br />
Fällen von naturinteressierten Laien, die<br />
die auffälligen Tiere in ihrem Garten beobachten.<br />
Weitere Nachweise der Art sind<br />
im Großraum Hannover zu erwarten.<br />
Durch eine entsprechende Gestaltung<br />
von Gärten lassen sich Holzbienen sehr<br />
gut fördern. Erster wichtiger Faktor ist ein<br />
ausreichendes Angebot an Nahrungspflanzen.<br />
Zwar ist Xylocopa violocea polylektisch,<br />
allerdings bevorzugt sie großblütige<br />
Lippenblütler und Schmetterlingsblütler.<br />
Für Gärten sind beispielsweise der bereits<br />
oben genannte Muskatellersalbei (Lippenblütler)<br />
und die Schmetterlingsblütler<br />
Blauregen (Wisteria sp.), Gartenplatterbse<br />
(Lathyrus latifolius), spätblühende Gartenbohnen<br />
und Erbsen, aber auch andere<br />
Schmetterlings- und Lippenblütler zu<br />
empfehlen. Der zweite Faktor ist das Vorhandensein<br />
von geeigneten Nistplätzen in<br />
Form von morschem Holz. Bevorzugt werden<br />
trockene, innen mürbe Totholzstücke.<br />
Ideal sind z. B. alte, noch aufrecht stehende<br />
Obstbaumstämme die über viele Jahre<br />
besiedelt werden können. Die Art nimmt<br />
aber auch sehr gern größere morsche Totholzstücke<br />
aus Laubholz an, in die sie<br />
dann ihre Nistgänge hineinnagt. Frommer<br />
(2007) berichtet von Holzklötzen unterschiedlicher<br />
Morschheitsgrade, die an sonnenexponierten<br />
Hauswänden aufgehängt<br />
werden. Die Bienenweibchen wählen dann<br />
den bevorzugten Morschheitsgrad selbst<br />
aus. Mit der Zeit sollten zu stark verwitterte<br />
Holzstücke sukzessive ausgewechselt<br />
werden. So lassen sich auf einfache Weise<br />
Nisthilfen schaffen, die optimale Bedingungen<br />
zur Beobachtung dieser harmlosen<br />
und in ihrer Biologie sehr interessanten<br />
Art bieten. In warmen Jahren erstreckt sich<br />
die für Wildbienen außerordentlich lange<br />
Abb 3. Zwei Nesteingänge (rote Kreise) von<br />
Xylocopa violacea in einem alten Obstbaumstumpf<br />
in ca. 1 m Höhe<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
28<br />
Flugzeit von Anfang März bis in den Oktober.<br />
In der Roten Liste der Wildbienen von<br />
Niedersachsen und Bremen (Theunert<br />
2002) ist Xylocopa violacea noch nicht verzeichnet.<br />
Westrich et al. (2011) stufen die<br />
Art deutschlandweit als ungefährdet ein;<br />
sie weist deutliche Bestandszunahmen auf.<br />
Von einer Gefährdung der Art in Niedersachsen<br />
und Bremen ist derzeit nicht auszugehen.<br />
Danksagung<br />
Für die Möglichkeit der Vorveröffentlichung<br />
ausgewählter faunistischer Daten<br />
aus der beauftragten Kartierung danke ich<br />
Dieter Nußbaum (Landeshauptstadt Hannover,<br />
Fachbereich Umwelt und Stadtgrün),<br />
Ingmar Guldner (Herrenhäuser<br />
Gärten) danke ich für den kostenfreien<br />
Zugang zum Berggarten.<br />
Literatur<br />
Frommer, Ulrich (2007): Eine Methode zur<br />
Ansiedlung der Großen Holzbiene Xylocopa<br />
violacea (Linnaeus, 1758) (Hymenoptera:<br />
Apidae). – Bembix 25: 7 – 10.<br />
Madsen, Henning Bang; Calabuig, Isabel<br />
(2012): Kommenteret checkliste over Denmarks<br />
bier – Del 5: Apidae (Hymenoptera,<br />
Apoidea) . – Entomologiske Meddelelser 80:<br />
7 – 52. Copenhagen.<br />
Peeters, Theo M. J.; Nieuwnhuijsen, Hans;<br />
Smit, Jan; van der Meer, Frank; Raemakers,<br />
Ivo P.; Heitmans, Wijnand R. B.; van Achterberg,<br />
Kees; Kwak, Manja, Loonstra, Anne<br />
Jan.; de Rond, Jeroen; Roos, Mervyn; Reemer,<br />
Menno (2012): De Nederlandse bijen<br />
(Hymenoptera: Apidae s.l.). – Natuur van<br />
Nederland 11, Naturalis Biodiversity Center<br />
& European Invertebrate Survey: 544 S.<br />
Leiden.<br />
Riemann, Helmut; Kwetschlich, Oliver; Albers,<br />
Klaus (2010). Erste Nachweise der Blauschwarzen<br />
Holzbiene Xylocopa violacea (Linné)<br />
in Bremen und weitere bemerkenswerte<br />
Stechimmenfunde (Hymenoptera: Apidae<br />
et Sphecidae) aus Niedersachsen. – Abhandlungen<br />
des Naturwissenschaftlichen Vereins<br />
zu Bremen 46/3:519.<br />
Theunert, Reiner (2002): Rote Liste der in<br />
Niedersachsen und Bremen gefährdeten<br />
Wildbienen mit Gesamtartenverzeichnis. –<br />
Informationsdienst Naturschutz Niedersachsen<br />
3: 138 – 160.<br />
Thomas, Barbara; Witt, Rolf (2005): Erstnachweis<br />
der Holzbiene Xylocopa violacea<br />
(Linné 1758) in Niedersachsen und weitere<br />
Vorkommen am nordwestlichen Arealrand<br />
(Hymenoptera: Apidae). – Drosera 2005(2):<br />
89 – 96; Oldenburg.<br />
Westrich, Paul (2009): Blauschwarze Holzbiene<br />
(Xylocopa violacea) und Muskateller-<br />
Salbei (Salvia sclarea). – http://www.paulwestrich.de/forschung/beobachtung<br />
20090613.php (06.08.2014).<br />
Westrich, Paul; Frommer, Ulrich; Mandery,<br />
Klaus; Riemann, Helmut; Ruhnke, Haike;<br />
Saure, Christoph; Voith, Johannes (2011):<br />
Rote Liste und Gesamtartenliste der Bienen<br />
(Hymenoptera, Apidae) Deutschlands.<br />
– Bundesamt für Naturschutz. Naturschutz<br />
und Biologische Vielfalt 70(3): 373 – 416.<br />
Arbeit eingereicht: 27.08.2014<br />
Arbeit angenommen: 29.08.2014<br />
Anschrift des Verfassers:<br />
Rolf Witt<br />
Umwelt- und Medienbüro Witt<br />
Friedrichsfehner Straße 39<br />
26188 Edewecht-Friedrichsfehn<br />
E-Mail: witt@umbw.de<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
29<br />
Exotische Libellen (Odonata) in der Sammlung<br />
des Niedersächsischen Landesmuseums<br />
Hannover<br />
Malte Seehausen<br />
Abstract<br />
The exotic dragonflies and damselflies of<br />
the collection at the Lower Saxony State<br />
Museum Hanover (NLMH) were determined<br />
and catalogued. The 98 specimens in<br />
51 species originate from North and South<br />
America, Africa and Asia. Some specimens<br />
were collected by famous pioneers of systematic<br />
zoological research in Africa during<br />
the 19th century. Furthermore two specimens<br />
of Chlorogomphus magnificus are notable:<br />
This species – only known from Java<br />
and Sumatra – is very rare to find in collections<br />
and also photos and figures from free<br />
available sources are scarce.<br />
Another nice species is one of the largest<br />
dragonflies worldwide: Anotogaster sieboldii<br />
– known for example from China, Japan<br />
and Taiwan. Also noteworthy is the<br />
exceptionally large number of Hetaerina sp.<br />
from South America. Unfortunately labels<br />
of many specimens are missing, so they are<br />
not suitable for scientific examinations.<br />
Zusammenfassung<br />
Die exotischen Libellen der Sammlung<br />
des Niedersächsischen Landesmuseums<br />
Hannover (NLMH) wurden erfasst und<br />
determiniert. Es handelt sich um 98 Exemplare,<br />
hiervon konnten 51 Arten aus<br />
Nord- und Südamerika, Afrika und Asien<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
30 Malte Seehausen<br />
bestimmt werden. Erwähnenswert sind einige<br />
Exemplare, gesammelt von bekannten<br />
Pionieren der systematischen zoologischen<br />
Erforschung Afrikas aus dem 19.<br />
Jahrhundert, sowie der Fund von zwei Tieren<br />
der nur von Java und Sumatra bekannten<br />
Chlorogomphus magnificus. Diese Art<br />
ist recht selten in Sammlungen zu finden,<br />
und auch Fotos und Abbildungen aus frei<br />
zugänglichen Quellen sind rar. Weiterhin<br />
befindet sich eine der weltweit größten<br />
Libellen – Anotogaster sieboldii – in der<br />
Sammlung des NLMH. Erwähnenswert ist<br />
auch die große Anzahl an Exemplaren von<br />
Hetaerina sp. aus Südamerika. Bedauerlicherweise<br />
fehlt vielen Tieren die Etikettierung,<br />
sie sind daher wissenschaftlich nicht<br />
auswertbar.<br />
Einleitung<br />
Den Grundstock des Niedersächsischen<br />
Landesmuseums Hannover bildete der<br />
Zusammenschluss der Sammlungen der<br />
„Naturhistorischen Gesellschaft Hannover“,<br />
des Historischen Vereins für Niedersachsen<br />
und des Vereins für die öffentliche<br />
Kunstsammlung Mitte des 19. Jahrhunderts.<br />
In den Sammlungen befinden sich<br />
wichtige historische Belege aus dieser<br />
Zeit, darunter auch eine Reihe von Libellen.<br />
Während die einheimischen Libellen<br />
durch Gehler (1995) bearbeitet worden<br />
sind, blieben die exotischen Arten bislang<br />
vernachlässigt. Alexander Gehler gibt für<br />
letztere – neben lediglich neun determinierten<br />
Exemplaren – 30 unbestimmte<br />
Kleinlibellen (Zygoptera) und 46 unbestimmte<br />
Großlibellen (Anisoptera) aus<br />
fremden Regionen an. Daher war eine Bearbeitung<br />
der Sammlung wünschenswert<br />
und konnte im Winter 2013/2014 durchgeführt<br />
werden. Insgesamt wurden 48 exotische<br />
Klein- und 50 exotische Großlibellen<br />
gefunden und größtenteils auf die Art<br />
bestimmt.<br />
Katalog<br />
Die Sammlung umfasst 98 Exemplare,<br />
die 51 Arten zugeordnet werden konnten.<br />
Drei Segellibellen (Libellulidae Rambur,<br />
1842) ohne Fundortangaben und eine<br />
Rhionaeschna sp. Förster, 1909 konnten<br />
nicht näher bestimmt werden. Zur besseren<br />
Übersicht erfolgt eine Zuordnung<br />
nach zoogeographischen Regionen und<br />
Subregionen (nach de Lattin 1967).<br />
Die vorhandenen Fundorte wurden gegebenenfalls<br />
durch Länderangaben bzw.<br />
aktuelle Bezeichnungen ergänzt. Ebenso<br />
sind die vollständigen Namen der Sammler<br />
– soweit möglich – recherchiert und<br />
hinzugefügt. Wenn kein Sammler etikettiert<br />
war, der Fundort jedoch auf einen bestimmten<br />
Sammler schließen lässt, ist der<br />
Name in Klammern gesetzt. Ebenso wurden<br />
die nachträglich recherchierten wahrscheinlichen<br />
Fundjahre in Klammern gesetzt.<br />
Nicht sicher entzifferte Angaben<br />
sind in Anführungszeichen gesetzt.<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Exotische Libellen (Odonata) in der Sammlung des Niedersächsischen Landesmuseums Hannover<br />
31<br />
Abb. 1: Chlorogomphus magnificus ist in Sammlungen<br />
selten vertreten und auch veröffentlichte<br />
Abbildungen sind kaum zu finden. Bekannt ist<br />
die Art nur von Java und Sumatra (Foto: Malte<br />
Seehausen).<br />
Äthiopische Region, Afrikanische<br />
Subregion (13 Exemplare, 11 Arten)<br />
Zygoptera<br />
Phaon iridipennis (Burmeister, 1839) – 1<br />
♂: ohne Funddaten, leg.: ohne Angabe.<br />
Sapho ciliata Fabricius, 1781 – 1 ♂:<br />
20.09. – 31.10.1890, Bismarckburg/<br />
Togo, leg.: Richard Büttner; 1 ♀:<br />
18.01. – 25.01.1893, Bismarckburg/<br />
Togo, leg.: Leopold Conradt.<br />
Sapho orichalcea McLachlan, 1869 – 1 ♂,<br />
1 ♀: [ca. 1890], Barombi-Station/Kamerun,<br />
leg.: Paul Preuss.<br />
Umma cincta (Hagen in Selys 1853) – 1<br />
♀: 26.01. – 31.01.1893, Bismarckburg/<br />
Togo, leg.: Leopold Conradt.<br />
Pseudagrion melanicterum Selys, 1876 – 1<br />
♂: [ca. 1890], Bismarckburg/Togo, leg.:<br />
Richard Büttner.<br />
Anisoptera<br />
Brachythemis leucosticta (Burmeister, 1839)<br />
oder B. impartita (Karsch, 1890) – 1 ♀:<br />
10.03.1891, „O. Usinga“, leg.: ohne Angabe.<br />
Crocothemis sanguinolenta (Burmeister,<br />
1839) – 1 ♀: [ca. 1870er Jahre], Sansibar/Tansania,<br />
leg.: Johann Maria Hildebrandt.<br />
Diplacodes cf. luminans (Karsch, 1893) – 1<br />
♀: ohne Funddaten, leg.: ohne Angabe.<br />
Orthetrum stemmale (Burmeister, 1839) –<br />
1 ♂: 14.10.1893, Misahöhe/Togo, leg.:<br />
Ernst Baumann.<br />
Palpopleura lucia (Drury, 1773) – 1 ♂:<br />
ohne Funddaten, leg.: ohne Angabe.<br />
Trithemis kirbyi Selys, 1891 – 1 ♂: Eritrea,<br />
leg.: ohne Angabe.<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
32 Malte Seehausen<br />
Abb. 2: Neurothemis tullia ist eine in Asien weit<br />
verbreitete Art und in der Sammlung des Landesmuseums<br />
mit 3 Tieren vertreten<br />
(Foto: Hanns-Jürgen Roland).<br />
Orientalische Region (11 Exemplare,<br />
8 Arten)<br />
Zygoptera<br />
Neurobasis kaupi Brauer, 1867 – 1 ♂: [ca.<br />
1880/90er Jahre], Bantimurung, Süd-<br />
Sulawesi/Indonesien, Leg.: Carl Ribbe.<br />
Rhinocypha tincta semitincta Selys, 1869 –<br />
1 ♂: Bacan/Indonesien, Leg.: ohne Angabe.<br />
Anisoptera<br />
Amphiaeschna ampla (Rambur, 1842) – 1<br />
♀: Java/Indonesien, Leg.: ohne Angabe.<br />
Anax guttatus (Burmeister, 1839) – 1 ♂:<br />
Java/Indonesien, Leg.: ohne Angabe.<br />
Chlorogomphus magnificus Selys, 1854 –<br />
2 ♀♀: ohne Funddaten, Leg.: ohne Angabe.<br />
Camacinia gigantea (Brauer, 1867) – 1 ♂:<br />
ohne Funddaten, Leg.: ohne Angabe.<br />
Neurothemis tullia tullia (Drury, 1773) –<br />
2 ♂♂, 1 ♀: ohne Funddaten, leg.: ohne<br />
Angabe.<br />
Rhyothemis variegata (Linnaeus, 1763) – 1<br />
♀: ohne Funddaten, leg.: ohne Angabe.<br />
Holarktische Region, Paläarktische<br />
Subregion (7 Exemplare, 5 Arten)<br />
Zygoptera<br />
Matrona basilaris japonica Förster, 1897<br />
– 1 ♂: 10.08.1891, Okuma, Kuntsian<br />
[Kunigami], Okinawa/Japan, leg.: Adolf<br />
Fritze.<br />
Anisoptera<br />
Anotogaster sieboldii (Selys, 1854) – 1 ♀:<br />
ohne Funddaten, leg.: ohne Angabe.<br />
Diplacodes trivialis (Rambur, 1842) –<br />
2 ♀♀: 28.08.1891, „Kimura/Kinuwa“,<br />
Okinawa/Japan, leg.: Adolf Fritze.<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Exotische Libellen (Odonata) in der Sammlung des Niedersächsischen Landesmuseums Hannover<br />
33<br />
Orthetrum sabina (Drury, 1773) – 1 ♂:<br />
30.08.1891, „Kimura/Kinuwa“, Okinawa/Japan,<br />
leg.: Adolf Fritze.<br />
Rhyothemis fuliginosa Selys, 1883 – 1 ♂:<br />
[1889 – 1891], Yokohama/Japan, leg.:<br />
[Adolf Fritze]; 1 ♀: [1889 – 1891], Japan,<br />
leg.: [Adolf Fritze].<br />
Holarktische Region, Nearktische<br />
Subregion (5 Exemplare, 5 Arten)<br />
Anisoptera<br />
Anax walsinghami McLachlan, 1883 – 1<br />
♂: Californien/USA, leg.: ohne Angabe.<br />
Libellula nodisticta (Hagen, 1775) – 1 ♂:<br />
Californien/USA, leg.: ohne Angabe.<br />
Libellula saturata (Uhler, 1857) – 1 ♂:<br />
Californien/USA, leg.: ohne Angabe.<br />
Paltothemis lineatipes Karsch, 1890 – 1 ♂:<br />
Californien/USA, leg.: ohne Angabe.<br />
Plathemis lydia (Drury, 1773) – 1 ♀: Californien/USA,<br />
leg.: ohne Angabe.<br />
Neotropische Region (54 Exemplare,<br />
19 Arten)<br />
Zygoptera<br />
Hetaerina cf. westfalli Rácenis, 1968 –<br />
1 ♂: Santos Georgius, Brasilien, leg.:<br />
ohne Angabe.<br />
Hetaerina cruentata (Rambur, 1842) –<br />
2 ♂: [vor 15.10.1921], Mérida/<br />
Abb. 3: Crocothemis sanguinolenta ist eine nahe<br />
Verwandte der einheimischen Crocothemis erythraea.<br />
Das Exemplar des Landesmuseums wurde<br />
auf Sansibar gefangen(Foto: Hanns-Jürgen Roland).<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
34 Malte Seehausen<br />
Venezuela, leg.: Peter Nagel; 11 ♂: ohne<br />
Funddaten, leg.: ohne Angabe.<br />
Hetaerina occisa Hagen in Selys, 1853 –<br />
1 ♂: Kolumbien, leg.: ohne Angabe; 1<br />
♂: ohne Funddaten, leg.: ohne Angabe.<br />
Hetaerina sp. Hagen in Selys, 1853 – 9 ♂,<br />
5 ♀: ohne Funddaten, leg.: ohne Angabe.<br />
Polythore ornata (Selys, 1879) – 1 ♂:<br />
Chanchamayo, Department Junin/Peru,<br />
leg.: Collection Gabriele Dechnik.<br />
Mecistogaster amalia (Burmeister, 1839) –<br />
1 ♂, 1 ♀: 1968, Paraguay, leg.: Collection<br />
Gabriele Dechnik.<br />
Mecistogaster linearis (Fabricius, 1776) –<br />
1 ♂: [vor 15.10.1921], Mérida/Venezuela,<br />
leg.: Peter Nagel.<br />
Mecistogaster ornata Rambur, 1842 – 1 ♂:<br />
[vor 15.10.1921], Mérida/Venezuela,<br />
leg.: Peter Nagel; 1 ♀: Chiriqui/Panama,<br />
leg.: ohne Angabe.<br />
Megaloprepus caerulatus (Drury, 1782) –<br />
1 ♀: gekauft 26.06.1902, ohne Funddaten,<br />
leg.: Staudinger & Bang-Haas; 1 ♂:<br />
Chiriqui/Panama, leg.: ohne Angabe.<br />
Anisoptera<br />
Castoraeshna januaria (Hagen, 1876) –<br />
1 ♂: „Kol. Sudelica“, Villarrica, Department<br />
Guairá/Paraguay, leg.: Collection<br />
Gabriele Dechnik.<br />
Gynacantha croceipennis Martin, 1897 – 1<br />
♂: ohne Funddaten, leg.: ohne Angabe.<br />
Rhionaeschna sp. Förster, 1909 – 1 ♀: 1968,<br />
Paraguay, leg.: Collection Gabriele<br />
Dechnik.<br />
Rhionaeschna planaltica (Calvert, 1952) –<br />
1 ♂: 1968, Paraguay, leg.: Collection<br />
Gabriele Dechnik.<br />
Cannaphila vibex (Hagen, 1861) – 1 ♂:<br />
ohne Funddaten, leg.: ohne Angabe.<br />
Diastatops pullata (Burmeister, 1839) –<br />
1 ♂: Surinam, leg.: ohne Angabe.<br />
Erythrodiplax cleopatra Ris, 1911 – 1 ♂:<br />
1923, Lima/Peru, leg.: ohne Angabe.<br />
Erythrodiplax cf. melanorubra Borror, 1942<br />
– 4 ♂♂: ohne Funddaten, leg.: ohne<br />
Angabe.<br />
Erythrodiplax umbrata (Linnaeus, 1758)<br />
– 1 ♀: 1968, Paraguay, leg.: Collection<br />
Gabriele Dechnik.<br />
Tauriphila argo (Hagen, 1869) – 1 ♂:<br />
1968, Paraguay, leg.: Collection Gabriele<br />
Dechnik.<br />
Tramea calverti Muttkowski, 1910 – 2 ♂♂:<br />
[vor 15.10.1921], Mérida/Venezuela,<br />
leg.: Peter Nagel.<br />
Zenithoptera fasciata (Linnaeus, 1758) –<br />
1 ♂: Surinam, leg.: ohne Angabe.<br />
Keiner (Sub-) Region zuzuordnen<br />
(8 Exemplare, 3 Arten)<br />
Anisoptera<br />
Celithemis eponina (Drury, 1773) – 1 ♂,<br />
2 ♀♀: ohne Funddaten, leg.: ohne Angabe.<br />
Mögliche Herkunft aus neotropischer<br />
Region oder nearktischer Subregion.<br />
Libellulidae Rambur, 1842 – 1 ♂, 2 ♀♀:<br />
ohne Funddaten, leg.: ohne Angabe.<br />
Diese Exemplare waren keiner Art sicher<br />
zuzuordnen. Es handelt sich um<br />
Arten der Gattungen cf. Sympetrum<br />
New mann, 1833, cf. Orthetrum Newmann,<br />
1833 und cf. Urothemis Brauer,<br />
1868.<br />
Pantala flavescens (Fabricius, 1798) – 1 ♀:<br />
ohne Funddaten, leg.: ohne Angabe.<br />
Kosmopolitische Art.<br />
Tholymis tillarga (Fabricius, 1798) – 1 ♂:<br />
ohne Funddaten, leg.: ohne Angabe.<br />
Mögliche Herkunft aus Afrikanischer,<br />
Polynesischer oder Neuseeländischer<br />
Subregion.<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Exotische Libellen (Odonata) in der Sammlung des Niedersächsischen Landesmuseums Hannover<br />
35<br />
Diskussion<br />
Wie in vielen Sammlungen führte auch<br />
im NLMH die Problematik der fehlenden,<br />
unzureichenden oder unleserlichen Etikettierungen<br />
zu Schwierigkeiten. Zum einen<br />
erschwerte es die Bestimmung, zum anderen<br />
ist dadurch eine faunistische Auswertung<br />
der entsprechenden Tiere unmöglich.<br />
In einigen Fällen konnten vertauschte Etiketten<br />
festgestellt werden – so war Plathemis<br />
lydia mit „Leptetrum nodistictum“ (heute<br />
Libellula nodisticta), Paltothemis lineatipes<br />
mit „Plathemys lydia“ und Libellula nodisticta<br />
mit „Hetaerina americana“ etikettiert.<br />
Dies zeigt erneut, wie vorsichtig mit der<br />
Interpretation vorhandener Etiketten in<br />
historischen Sammlungen umgegangen<br />
werden muss.<br />
Erwähnenswert sind die von Ernst Baumann,<br />
Richard Büttner, Leopold Conradt,<br />
Johann Maria Hildebrandt und Paul<br />
Preuss – alles Pioniere der zoologischen<br />
Erforschung Afrikas – gesammelten Libellen.<br />
Libellenfunde dieser Sammler, inklusive<br />
einiger Erstbeschreibungen, wurden<br />
von dem Berliner Entomologen Ferdinand<br />
Karsch bearbeitet und veröffentlicht<br />
(Karsch 1890, 1891a, 1891b, 1893, 1898,<br />
1899a und 1899b). Sehr wahrscheinlich<br />
sind die Exemplare über eine Insektensammlung<br />
aus Kamerun vom Museum<br />
für Naturkunde Berlin nach Hannover gelangt<br />
(Ude 1894, S. 16). Zwei Exemplare<br />
lassen sich sogar mit den entsprechenden<br />
Funddaten in der Zeitschrift „Entomologische<br />
Nachrichten“ finden: Sapho ciliata<br />
vom 20.09. – 31.10.1890/Bismarckburg<br />
(leg.: R. Büttner) in Karsch (1893,<br />
S. 31) und Orthetrum stemmale (originär<br />
als Orthetrum brachiale etikettiert) vom<br />
14.10.1893/Misahöhe (leg.: E. Baumann)<br />
in Karsch (1898, S. 343). Ude (1900, S.<br />
40) gibt weitere Libellen aus Ost-Afrika<br />
an, welche ebenfalls über das Museum<br />
für Naturkunde Berlin in die Sammlung<br />
des NLMH gelangt sind. Wahrscheinlich<br />
stammt zumindest das Exemplar von Crocothemis<br />
sanguinolenta aus dieser Lieferung,<br />
aber auch die nicht etikettierten afrikanischen<br />
Tiere könnten in Ostafrika gesammelt<br />
worden sein. Möglicherweise steht<br />
auch die Abkürzung „O.“ des Etiketts von<br />
Brachythemis leucosticta/impartita für „Ostafrika“<br />
und mit „Usinga“ könnte die Region<br />
Usenga im Landesinneren von Tansania<br />
gemeint sein. Nach Dijkstra (2009) sind<br />
keine sicheren Merkmale bekannt, um die<br />
Weibchen von Brachythemis leucosticta und<br />
B. impartita zu trennen.<br />
In Sammlungen ist Chlorogomphus magnificus<br />
(Abb. 1) nur selten zu finden und<br />
auch Abbildungen in der Literatur gibt<br />
es kaum. Lediglich Fraser (1929) stellte<br />
die typische Flügelfärbung der Weibchen<br />
und die, mit Ausnahme der Spitzen,<br />
hyalinen Flügel der Männchen dar. Chlorogomphus<br />
magnificus ist nur von Java und<br />
Sumatra bekannt, und es liegen anscheinend<br />
seit etwa 60 Jahren keine aktuellen<br />
Daten vor, das könnte auch lediglich<br />
die geringe Erfassung vor Ort widerspiegeln<br />
(Dow 2009). Wie diese Tiere in die<br />
Sammlung gelangt sind, ist rein spekulativ.<br />
Möglich wäre, dass sie sich unter den 29<br />
Insekten von der Sumatra-Westküste befanden,<br />
die am 22.02.1913 von Rambke an<br />
das NLMH gegeben wurden (Anonymus<br />
o. J.). Weiterhin könnten sie aber auch von<br />
dem bekannten und Ende des 19. Jahrhunderts<br />
weltgrößten Insektenhändler „Staudinger<br />
& Bang-Haas“ gekauft worden sein<br />
(Anonymus o. J.). Das ist aufgrund der etikettierten<br />
Nummer in jedem Fall für die<br />
Exemplare von Amphiaeschna ampla und<br />
Anotogaster sieboldii anzunehmen. Wobei<br />
Amphiaeschna ampla ebenfalls eine Art ist,<br />
von der nur wenige aktuelle Informationen<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
36 Malte Seehausen<br />
vorliegen. Nachdem die letzten Nachweise<br />
von Java aus den 1950/60er Jahren stammten,<br />
wurde sie dort im Jahr 2012 wiedergefunden<br />
(Makitan 2013). Nach Lieftinck<br />
(1934) ist sie sehr lokal verbreitet und tagsüber<br />
beispielsweise an Bäumen sitzend, jedoch<br />
nicht fliegend, zu beobachten.<br />
Anotogaster sieboldii ist eine der weltweit<br />
größten Libellen mit einer Flügelspannweite<br />
von bis zu 130 mm mit einem Verbreitungsgebiet<br />
in Russland, China, Japan,<br />
Taiwan und Korea (Wang & Heppner<br />
1997; Lee 2001; Okudaira et al. 2001; Wilson<br />
2005). Bedauerlicherweise liegt kein<br />
Fundortetikett vor.<br />
Die Libellen von Adolf Fritze sind ein<br />
Teil seiner aus ca. 25 000 Insekten bestehenden<br />
Sammlung, die dem NLMH im<br />
Jahre 1903 übergeben wurde (Fritze 1904).<br />
Fritze bereiste von 1889 bis 1891 die japanischen<br />
Inseln Hondo und Yezo, im Februar<br />
1891 sandte Fritze einen unbekannten<br />
Helfer zum Sammeln nach Okinawa.<br />
Die Ergebnisse dieses Sammlers brachten<br />
Fritze dazu, vom 27.07. bis 04.09.1891 selber<br />
nach Okinawa zu reisen (Fritze 1894).<br />
In seiner umfangreichen Zusammenstellung<br />
lassen sich neun Einträge bezüglich<br />
der Libellen finden. Er erwähnt beispielsweise<br />
„Diplacina, eine Art, die sich nur wenig<br />
von Diplacina flavistyla Rbr. aus Afrika<br />
unterscheidet“ und Lepthemis sabina (Fritze<br />
1894, S. 922). Ein Sammlungsexemplar<br />
von Diplacodes trivialis wies ein Etikett<br />
mit der Angabe „der D. flavistyla Rbr. nahestehend“<br />
auf, was exakt auf die Angabe<br />
von Fritze passt. Diplacina flavistyla ist<br />
Synonym zu Diplacodes lefebvrii (Rambur,<br />
1842), die auch im Süden Spaniens<br />
und der Türkei vorkommt (Dijkstra 2006).<br />
Lepthemis sabina ist Synonym zu Orthetrum<br />
sabina, so dass auch dieser Beleg klar<br />
zuzuordnen war.<br />
Weitere Arten, die von Fritze (1894,<br />
S. 922 – 923) genannt werden, sind: Tramea<br />
chinensis de Geer (heute Tramea virginia),<br />
Rhysthenis („… steht der Rhysthenis arria<br />
Drury aus China nahe … Die zweite Art<br />
steht zu Rhysthenis splendida Rbr. von Formosa<br />
in demselben Verhältnis …“; heute<br />
Rhyothemis variegata), Crocothemis servilia<br />
Drury, Thecadiplax („den japanischen Arten<br />
Thecadiplax erotica de Selys und Thecadiplax<br />
fastigiata de Selys nahestehend“;<br />
heute Sympetrum eroticum), Lepthetrum<br />
(„der Lepthetrum zonata Burm. aus Japan<br />
und China nahestehend“; heute Pseudothemis<br />
zonata), Echo („… eine mit der chinesischen<br />
Art Echo margarita de Selys nahe<br />
verwandte Species“) und Ceragrion („…<br />
nahestehend, wenn nicht identisch mit Ceragrion<br />
melanurum de Selys aus Japan und<br />
China“; korrekt Ceriagrion melanurum).<br />
Vermutlich bezieht sich der Eintrag zu der<br />
Gattung Echo auf das Exemplar von Matrona<br />
basilaris japonica, zumal dieses ein<br />
Etikett „Echo spec.“ aufwies. Doch ausgerechnet<br />
Echo margarita als nahestehend<br />
zu dieser Art zu nennen, lässt auch Zweifel<br />
aufkommen – die dunkle Flügelfärbung<br />
von Matrona basilaris unterscheidet sich<br />
doch sehr deutlich von den, mit Ausnahme<br />
der Spitzen, hyalinen Flügeln von Echo<br />
margarita. Selys Longchamps beschrieb in<br />
seinem Werk „Synopsis des Calopterygines“<br />
(1853) nicht nur Echo margarita, sondern<br />
ebenfalls bereits Matrona basilaris.<br />
Die weiteren Einträge konnten in der<br />
Sammlung nicht eindeutig bestimmten<br />
Exemplaren zugeordnet werden. Sympetrum<br />
eroticum wurde von Selys als Diplax<br />
erotica beschrieben, D. fastigiata bezeichnet<br />
er als Varietät von D. erotica (Selys 1883).<br />
Möglicherweise bezieht sich diese Angabe<br />
von Fritze auf eine der nicht bestimmbaren<br />
Libellulidae ohne Fundangaben.<br />
Sympetrum eroticum konnte jedoch ausgeschlossen<br />
werden. Denkbar wäre weiterhin,<br />
dass sich die Angaben zu den beiden<br />
„Rhystenis“-Arten auf die in der Sammlung<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Exotische Libellen (Odonata) in der Sammlung des Niedersächsischen Landesmuseums Hannover<br />
37<br />
vorgefundenen Exemplare von Rhyothemis<br />
fuliginosa aus Japan und R. variegata ohne<br />
Etikett beziehen. Eine sichere Klärung ist<br />
hier jedoch ebenfalls nicht möglich.<br />
Die neotropischen und nearktischen Arten<br />
bilden zwar den Großteil der Sammlung,<br />
doch bieten sie kaum Überraschendes.<br />
Auffallend ist die bemerkenswerte<br />
Anzahl von 30 Exemplaren der Gattung<br />
Hetaerina Hagen in Selys (1853). Garrison<br />
(1990) zeigte, dass diese Gattung aus 37<br />
teilweise sehr ähnlichen Arten besteht. In<br />
der Sammlung konnten drei Arten determiniert<br />
werden. Die weiteren Hetaerina sp.<br />
ließen sich aufgrund fehlender Abdominalsegmente<br />
nicht eindeutig bestimmen,<br />
wahrscheinlich sind sie jedoch ebenfalls<br />
Hetaerina cruentata (Katalog, Neotropische<br />
Region) zuzurechnen. Mindestens zwei der<br />
Tiere stammen aus der Mérida-Sammlung<br />
von Peter Nagel, die am 15.10.1921 dem<br />
NLMH übergeben wurde (Anonymus o.<br />
J.). Dass auch die weiteren Exemplare von<br />
Nagel stammen, ist gut möglich, aufgrund<br />
der fehlenden Etiketten jedoch unklar und<br />
nicht sicher zu rekonstruieren.<br />
Nach Joachim Hoffmann ist der Fundort<br />
von Polythore ornata (Chanchamayo in<br />
Zentral-Peru) ein „Hotspot“ für diese Gattung<br />
(persönliche Mitteilung) und die Art<br />
von dort bereits bekannt (Hoffmann 2009).<br />
Mecistogaster und Megaloprepus galten bislang,<br />
gemeinsam mit weiteren Gattungen,<br />
als eine eigene Familie innerhalb der<br />
Kleinlibellen, nämlich den Pseudostigmatidae<br />
Tillyard, 1917. Nach einer neuen Klassifikation<br />
von Dijkstra et al. (2013) werden<br />
sie jetzt jedoch bei den Coenagrionidae Kirby,<br />
1890 eingeordnet. Die in der Sammlung<br />
des NLMH vorhandenen Exemplare<br />
sind aus den angegebenen Ländern<br />
bekannt, lediglich bei Mecistogaster amalia<br />
gibt es einen Widerspruch zwischen den<br />
Angaben von Heckmann (2008) – der sie<br />
unter anderem für Paraguay angibt – und<br />
Paulson (2012), der diese Art nur für Brasilien<br />
und Argentinien aufführt. Weiterhin<br />
ist sie zumindest auch aus Peru (Hoffmann<br />
2009), Kolumbien und Bolivien (Hoffmann,<br />
pers. Mitt.) bekannt.<br />
Laut Etikett wurde das Männchen von<br />
Megaloprepus caerulatus von „Staudinger<br />
& Bang-Haas“ gekauft. Vermutlich gilt<br />
dies mindestens auch für das entsprechende<br />
Weibchen sowie die weiteren Arten aus<br />
Kalifornien, denn alle waren mit einer individuellen,<br />
teils fortlaufenden Nummer<br />
etikettiert. Mindestens bis zum Jahr 1916<br />
wurden Insekten über diese Firma bezogen<br />
(Anonymus o. J.).<br />
Zusammenfassend betrachtet ist die<br />
Sammlung der exotischen Libellen des<br />
NLMH zwar klein, enthält jedoch einige<br />
interessante historische Belege und in<br />
Sammlungen nicht häufig zu findende Arten.<br />
Umso bedauerlicher ist das Fehlen einiger<br />
Fundorte, welche sich auch nicht rekonstruieren<br />
ließen.<br />
Danksagung<br />
Herzlich bedanken möchte ich mich bei<br />
Christiane Schilling und Annina Böhme<br />
für die freundliche Betreuung in den Räumen<br />
des NLMH, Sylvain Hodvina für die<br />
Unterstützung bei der Entzifferung historischer<br />
Etiketten, Rosser Garrison und<br />
Joachim Hoffmann für die Hilfe bei speziellen<br />
Bestimmungsfragen sowie letzteren<br />
und Lavinia Schardt für die kritische<br />
Durchsicht des Manuskriptes.<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
38 Malte Seehausen<br />
Literatur<br />
Anonymus (o. J.): Insektenzugänge im Landesmuseum<br />
Hannover von 1902 bis 1950. –<br />
Unveröffentlicht, Niedersächsisches Landesmuseum<br />
Hannover.<br />
Dijkstra, Klaas-Douwe B.; Lewington, Richard<br />
(2006): Field guide to the Dragonflies of<br />
Britain and Europe. – British Wildlife Publishing,<br />
Dorset.<br />
Dijkstra, Klaas-Douwe B.; Matushkina, Nataly<br />
(2009): Kindred spirits: “Brachythemis<br />
leucosticta”, Africa’s most familiar dragonfly,<br />
consists of two species (Odonata: Libellulidae).<br />
– International Journal of Odonatology<br />
12 (2): 237-256.<br />
Dijkstra, Klaas-Douwe B.; Bechly, Günther;<br />
Bybee, Seth M.; Dow, Rory A.; Dumont,<br />
Henri J.; Fleck, Günther; Garrison, Rosser<br />
W.; Hämäläinen, Matti; Kalkman, Vincent<br />
J.; Karube, Haruki; May, Michael L.; Orr,<br />
Albert G.; Paulson, Dennis R.; Rehn, Andrew<br />
C.; Theischinger, Günther; Trueman,<br />
John W. H.; van Tol, Jan; von Ellenrieder,<br />
Natalia; Ware, Jessica (2013): The classification<br />
and diversity of dragonflies and damselflies<br />
(Odonata). – Zootaxa 3703 (1): 36 – 45.<br />
Dow, Rory A. (2009): Chlorogomphus magnificus.<br />
– In: IUCN Red List of Threatened Species,<br />
www.iucnredlist.org/details/163814/0<br />
(20.10.2013).<br />
Fraser, Frederic Charles (1929): A Revision of<br />
the Fissilabioidea (Cordulegasteridae, Petaliidae<br />
and Petaluridae), Part 1: Cordulegasteridae.<br />
– Memoirs of the Indian Museum 9:<br />
69 – 167, Plates IX-XIII.<br />
Fritze, Adolf (1894): Die Fauna der Liu-Kiu<br />
Insel Okinawa. – Zoologische Jahrbücher,<br />
Abteilung Systematik, Geographie und Biologie<br />
der Thiere 7: 852 – 926.<br />
Fritze, Adolf (1904): III. Naturhistorische<br />
Abteilung. – In: Jahrbuch des Provinzial-<br />
Museums zu Hannover umfassend die Zeit<br />
1. April 1901 – 1904: 9 – 12; Hannover.<br />
Garrison, Rosser W. (1990): A Synopsis of the<br />
Genus Hetaerina with descriptions of four<br />
new species (Odonata: Calopterygidae). –<br />
Transactions of the American Entomological<br />
Society 116, 1: 175 – 259.<br />
Gehler, Alexander (1995): Libellenliste<br />
NLMH. – Unveröffentlicht,<br />
Niedersächsisches Landesmuseum Hannover.<br />
Heckmann, Charles W. (2008): Encyclopedia<br />
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Hoffmann, Joachim (2009): Summary catalogue<br />
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370 – 382.<br />
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Nachrichten 17: 58 – 62.<br />
Karsch, Ferdinand (1891b): Uebersicht der von<br />
Herrn Dr. Paul Preuss in Deutsch-Westafrika<br />
1890 gesammelten Odonaten. – Entomologische<br />
Nachrichten 17: 65 – 81.<br />
Karsch, Ferdinand (1893): Die Insecten der<br />
Berglandschaft Adeli im Hinterlande von<br />
Togo (Westafrika) nach dem von den Herren<br />
Hauptmann Eugen Kling (1888 und<br />
1889) und Dr. Richard Büttner (1890 und<br />
1891) gesammelten Materiale, 1. Abteilung:<br />
Apterygota, Odonata, Orthoptera Saltatoria,<br />
Lepidoptera Rhopalocera; Berlin.<br />
Karsch, Ferdinand (1898): Odonaten von Misahöhe<br />
(Landschaft Agome im Togohinterlande)<br />
gesammelt von Ernst Baumann. –<br />
Entomologische Nachrichten 24: 342 – 347.<br />
Karsch, Ferdinand (1899a): Odonaten von<br />
Johann-Albrecht-Höhe (Nord-Kamerun),<br />
gesammelt von Herrn Leopold Conradt. –<br />
Entomologische Nachrichten 25: 161 – 176.<br />
Karsch, Ferdinand (1899b): Neue Odonaten<br />
aus Ost- und Süd-Afrika mit Einschluss des<br />
Seengebietes. – Entomologische Nachrichten<br />
25: 369 – 382.<br />
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– Gustav Fischer; Stuttgart.<br />
Lee, Seung-Mo (2001): The dragonflies of Korean<br />
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Lieftinck, Maurits Anne (1934): An annotated<br />
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Treubia 14, 4: 377 – 462.<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Exotische Libellen (Odonata) in der Sammlung des Niedersächsischen Landesmuseums Hannover<br />
39<br />
Makitan, Tabita (2013): New record of Amphiaeschna<br />
ampla (Rambur, 1842) from Java.<br />
– Agrion 17 (2): 42 – 43.<br />
Okudaira, Masaya; Sugimura, Mitsutoshi; Ishida,<br />
Shozu; Kojima, Keizo; Ishida, Katsuyoshi;<br />
Aoki,Takashi (2001): Dragonflies of the<br />
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20: 1 – 73.<br />
Selys Longchamps, Edmond de (1883): Les<br />
Odonates du Japon. – Annales de la Société<br />
Entomologique de Belgique 27: 82 – 143.<br />
Ude, Hermann (1894): Jahresbericht der Naturhistorischen<br />
Gesellschaft zu Hannover für<br />
die Geschäftsjahre 1891/92 und 1892/93,<br />
42 und 43; Hannover.<br />
Ude, Hermann (1900): Jahresbericht der Naturhistorischen<br />
Gesellschaft zu Hannover für<br />
die Geschäftsjahre 1897/98 und 1898/1899,<br />
48 und 49; Hannover.<br />
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Odonatology 8, 1: 107 – 168.<br />
Arbeit eingereicht: 15.01.2014<br />
Arbeit angenommen: 25.06.2014<br />
Anschrift des Verfassers:<br />
Malte Seehausen<br />
Museum Wiesbaden, Naturhistorische<br />
Sammlungen, Friedrich-Ebert-Allee 2,<br />
65185 Wiesbaden<br />
malte.seehausen@museum-wiesbaden.de<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
40<br />
Sensationsfund von NGH-Mitglied<br />
<strong>Naturhistorica</strong> 153<br />
• Neufunde von Eiszeit-Geschieben auf dem<br />
Deister-Kamm<br />
• Ontogenetische Stadienbestimmung bei<br />
Mammut-Unterkiefern<br />
• Neubewertung des oberjurassischen irregulären<br />
Seeigels Pygurus (Echinoidea)<br />
• Die Rippe die ein Kiefer ist<br />
• Karl Ludwig Giesecke (1761 – 1833)<br />
• Georg Siegmund Otto Lasius (1752 – 1833)<br />
• 11 000 Jahre Vegetationsentwicklung in der<br />
südlichen Lüneburger Heide<br />
• Phytoparasitische Kleinpilze im Stadtwald<br />
Eilenriede, Hannover<br />
• Pflanzenkunde als Liebhaberei<br />
• Das „Wernigeröder Modell“<br />
200 S., 15 €<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
41<br />
Die Fischfauna der Bäche und Gräben im<br />
Hochwasserrück haltebecken Salzderhelden<br />
(Landkreis Northeim, Niedersachsen)<br />
Jürgen Rommelmann<br />
Die Fischfauna der Bäche und Gräben im<br />
Hochwasserrück haltebecken Salzderhelden<br />
Abstract<br />
The fish fauna present in brooks and ditches<br />
in the area of the flood control basin<br />
Salzderhelden in the District of Northeim,<br />
Lower Saxony, was investigated in August<br />
2004. The nature reserve is of great importance<br />
to the surrounding region as a<br />
breeding/resting/feeding habitat for birds.<br />
The investigation was intended as a guide<br />
for the further ecological development of<br />
aquatic fauna in the region. Twelve species<br />
of fish and one species of crayfish were<br />
found in 14 sampling points. The brooks<br />
and ditches were mostly thinly populated,<br />
in four sampling points no fish stock<br />
could be found. The cause is considered to<br />
be the predominantly unnatural morphological<br />
condition of the waters as well as<br />
the inadequate connection to other waters.<br />
The record of the Nine-spined Stickleback<br />
(Pungitius pungitius) proves that albeit the<br />
species has its focus of distribution in the<br />
lowland, it is selectively a stable occurrence<br />
in the natural area „Leine-Weserbergland“.<br />
Einleitung<br />
Im Rahmen fischfaunistischer Untersuchungen<br />
wurde im August 2004 im<br />
Hochwasserrückhaltebecken Salzderhelden<br />
(Landkreis Northeim, Niedersachsen) eine<br />
Bestandserfassung der Fischfauna durchgeführt.<br />
Dabei wurden ausschließlich kleine<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
42 Jürgen Rommelmann<br />
Fließgewässer und Gräben untersucht, die<br />
das Gebiet durchziehen und zur Leine entwässern.<br />
Aufgrund der besonderen Bedeutung<br />
für den Naturschutz sollte damit eine<br />
Referenz erstellt werden, um die weitere<br />
Entwicklung und Bedeutung des Gebietes<br />
für die Fischfauna zu dokumentieren und<br />
zukünftig bewerten zu können.<br />
Geografische Lage, naturräumliche Beschreibung<br />
Das Hochwasserrückhaltebecken Salzderhelden<br />
(HWRB) liegt in der Leineaue<br />
zwischen den Städten Northeim und Einbeck<br />
im Landkreis Northeim (Niedersachsen).<br />
Es wurde zwischen 1972 und 1994<br />
eingerichtet und umfasst eine Fläche von<br />
ca. 1 000 ha mit einem Einstauvolumen<br />
von bis zu 37,4 Mill. m 3 . Das Gebiet ist<br />
in 5 Polderflächen unterteilt, die je nach<br />
Wasseraufkommen geflutet werden, wobei<br />
der südliche Polder 5 nur in Extremfällen<br />
überschwemmt wird. Das HWRB wird mit<br />
2 200 km 2 von gut ⅓ des gesamten Niederschlagseinzugsgebiets<br />
der Leine zwischen<br />
Quelle und Mündung (6 500 km 2 )1<br />
gespeist.<br />
Mit der Verordnung vom 25.08.1995<br />
wurde der Polder 1 (523 ha im nördlichen<br />
Teil des HWRB) als Naturschutzgebiet<br />
(NSG) ausgewiesen (Amtsblatt des<br />
Reg.-Bez. Braunschweig Nr. 19, S. 171,<br />
Nr. 20/2000 vom 30.10.2000, S. 259). Es<br />
gehört zum größten zusammenhängenden<br />
Wiesen- und Feuchtwiesengebiet im südlichen<br />
Niedersachsen. Südlich grenzen die<br />
Naturschutzgebiete „Leineniederung Salzderhelden“<br />
(497 ha) und „Northeimer Seenplatte<br />
(80 ha) an und stellen zusammen<br />
ein Gebiet von hervorragender Bedeutung<br />
als Brut-, Rast- und Nahrungsbiotop für<br />
seltene und vom Aussterben bedrohte Vogelarten<br />
dar.<br />
Naturräumlich gehört das HWRB zur<br />
Haupteinheit Leine-Ilme-Senke, das sich<br />
aus dem Leinegraben zwischen Eichenberg<br />
und Northeim und der nordwestlich<br />
anschließenden Ilme-Senke zusammensetzt<br />
(Meynen & Schmitthüsen 1962).<br />
In der Zuordnung zu Fischregionen<br />
gehört die Leine im HWRB zur Hasel-<br />
Rhitralregion des Tieflands, während die<br />
Nebengewässer überwiegend zur Forellenregion<br />
gerechnet werden (Mosch 2008).<br />
Methodik<br />
Die Untersuchung wurde im August<br />
2004 nur in ganzjährig Wasser führenden<br />
Fließgewässern und Gräben durchgeführt,<br />
die aufgrund ihrer Größe (max.<br />
3 m breit) mit einem batteriebetriebenen<br />
Elektrofischfanggerät effektiv befischt<br />
werden konnten. Im August 2004 wurden<br />
insgesamt 14 Gewässerstrecken mit<br />
einer Gesamtlänge von 1 125 m befischt<br />
(Abb. 1, Tab. 1). Der Salzgraben bei Sülbeck<br />
konnte wegen des hohen Salzgehalts<br />
nicht elektrisch befischt werden. Drei Probestrecken<br />
(PS 11, 13, 14) liegen außerhalb<br />
des HWRB, wurden eber aufgrund ihrer<br />
funktionalen Zugehörigkeit (Oberlauf der<br />
Bölle) oder Nähe zum HWRB bzw. NSG<br />
einbezogen.<br />
Die Befischungen wurden mit einem<br />
batteriebetriebenen Elektrofischfanggerät<br />
der Marke DEKA 3000 Lord (Hersteller:<br />
DEKA-Gerätebau, Impulsstrom)<br />
durchgeführt. Die durch den Fangstrom<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Die Fischfauna der Bäche und Gräben im Hochwasserrück haltebecken Salzderhelden<br />
43<br />
Abb. 1: Lage des Hochwasserrückhaltebeckens<br />
Salzderhelden mit Probestrecken innerhalb des<br />
Untersuchungsgebietes.<br />
PS 1 – 14 = Probestrecken der Elektrobefischung<br />
(Beschreibung vgl. Tabelle 1)<br />
Kartenquellen: Übersichtskarten: stepmap.de;<br />
Karte mit Abgrenzung des HWRB/NSG:<br />
www.umweltkarten.niedersachsen.de/Gebiete<br />
(Januar 2014); Detailkarten: Topografische Karte<br />
1 : 50000 (Landesvermessung Niedersachsen)<br />
Nördlicher Teil des Untersuchungsgebiets<br />
Südlicher Teil des Untersuchungsgebiets<br />
Abb. 2: Probestrecke 4. Immenser Bach mit<br />
geringer Wasserführung im zeitigen Frühjahr<br />
Abb. 3: Probestrecke 5. Zulaufgraben zum Salzgraben<br />
bei Sülbeck mit Deichunterführung im<br />
Hintergrund.<br />
betäubten bzw. darauf reagierenden Fische<br />
wurden nach Artzugehörigkeit erfasst<br />
und entsprechend den Größenkategorien<br />
der Erfassungsbögen des Landesamtes<br />
für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit<br />
(LAVES), Dezernat Binnenfischerei,<br />
zugeordnet, protokolliert und anschließend<br />
in das Gewässer zurückgesetzt.<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
44 Jürgen Rommelmann<br />
Tab. 1 Charakterisierung und morphologische Beschreibung der Befischungsstrecken.<br />
Erläuterungen: Charakterisierungsmerkmale in Anlehnung an die Kriterien der Erfassungsbögen für Fischkartierungen<br />
des Niedersächsischen Landesamtes für Ökologie, Dezernat Binnenfischerei (Gewässertyp, Naturnähe, Abfluss),<br />
PS = Probestrecke; Einordnung des Gewässertyps nach Rasper (2001).<br />
Name Gewässertyp Naturnähe<br />
Befischungsstrecke<br />
in m Breite in m Tiefe in cm<br />
Immenser Bach PS 1 Bach naturfern † 100 5 100 – 150<br />
Immenser Bach PS 2 Bach naturfern 50 4 100 – 150<br />
Seitengraben am Immenser<br />
Bach PS 3<br />
Wiesengraben naturfern 75 0,5 – 1 20 – 30<br />
Immenser Bach PS 4 Bach bedingt naturnah 100 1 10 – 20<br />
Zulaufgraben zum<br />
Salzgraben PS 5<br />
Graben am östl. Ortsrand<br />
von Drüber PS 6<br />
Drüberscher Bach zw.<br />
Deich / Drüber PS 7<br />
Drüberscher Bach zw.<br />
Deich / Mündung PS 8<br />
Stöckheimer Bach unterhalb<br />
Kaskade PS 9<br />
Stöckheimer Bach zwischen<br />
Deich und Mündung PS 10<br />
Bölle oberhalb von<br />
Hollenstedt PS 11<br />
Wiesengraben naturfern 75 1,5 30 – 40<br />
Wiesengraben naturfern 25 1,5 60 – 80<br />
Bach naturfern 100 2,5 20 – 30<br />
Bach naturfern 100 1 20 – 30<br />
Bach naturfern 100 1,5 20 – 30<br />
Bach bedingt naturnah 100 1,5 20 – 30<br />
Bach naturnah 100 2,5 – 3 20 – 30<br />
Bölle zwischen Deich und<br />
Mündung PS 12<br />
Bach naturfern 100 2 – 2,5 30 – 50<br />
Zulaufbach zum Mühlenkanal<br />
PS 13<br />
Altarm zwischen Leine und<br />
Rhume PS 14<br />
Bach naturfern 60 2 50 – 60<br />
Bach bedingt naturnah 40 2,5 – 3 30 – 40<br />
†<br />
Kriterien für die Bewertung der Naturnähe entsprechend den Vorgaben zu den Protokollbögen<br />
des Niedersächsischen Landesamtes für Ökologie: 1 = natürlich; 2 = naturnah, 3 = bedingt naturnah,<br />
4 = naturfern, 5 = sehr naturfern, 6 = extrem naturfern.<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Die Fischfauna der Bäche und Gräben im Hochwasserrück haltebecken Salzderhelden<br />
45<br />
Strömung<br />
sehr langsam bis stehend<br />
sehr langsam bis stehend<br />
stehend<br />
mittel bis gering<br />
mittel<br />
Bemerkungen<br />
Starke Beschattung durch dichtes Uferweidengebüsch; schlammiges Substrat<br />
Keine Ufergehölze, sehr starker Braunalgenbewuchs des schlammigen Substrats<br />
Keine Ufergehölze, Röhrichtbewuchs des Vorjahres füllt gesamtes Gewässerbett<br />
aus, schlammiges Substrat<br />
Stellenweise Beschattung durch Ufergehölze, starker Braunalgenbewuchs des<br />
kiesigen bis schlammigen Substrats<br />
Keine Ufergehölze, schlammiges Substrat<br />
stehend<br />
mittel<br />
Röhrichtbewuchs des Vorjahres füllt gesamtes Gewässerbett aus, dichte Algenbestände<br />
auf der Wasseroberfläche<br />
Keine Ufergehölze, schlammiges Substrat<br />
mittel<br />
mittel<br />
mittel<br />
mittel bis langsam<br />
mittel<br />
schnell<br />
langsam<br />
Trotz vereinzelter Ufergehölze überwiegt das Bild eines technisch ausgebauten<br />
tiefliegenden Profils mit wenig naturnahen Strukturen, Substrat steinig bis sandig<br />
Befischungsstrecke direkt unterhalb einer Betonkaskade, keine Ufergehölze,<br />
schlammiges Substrat mit fast flächendeckendem Braunalgenüberzug<br />
Stellenweise Ufergehölze, Weiden reichen bis zur Niedrigwasserlinie und bilden<br />
Wurzelvorhänge mit Unterstandsmöglichkeiten, Substrat steinig bis sandig<br />
Charakteristika eines Kerbtales, dichter Altbaumbestand überwiegend an beiden<br />
Ufern, viele natürliche Strukturen (Unterstände, Kolke) und kleinräumig wechselnde<br />
Substrate (steinig bis sandig)<br />
Obere Hälfte der Befischungsstrecke frisch geräumt ohne Unterstandsmöglichkeiten,<br />
keine Ufergehölze; nicht geräumter Abschnitt einzelne Ufergehölze und dichtes<br />
Röhricht, Gewässergrund mit Feinsediment- und Faulschlammauflage<br />
Ufer ohne Gehölze mit dichten Phalaris-Beständen, Gewässergrund stellenweise<br />
dicht mit fädigen Grünalgen bewachsen<br />
Einseitig dichter Gebüschsaum, der stellenweise in den Wasserkörper reicht,<br />
Bodengrund tiefgründig schlammig, sowohl anorganischer als auch organischer<br />
Schlamm; Befischung wegen Nichtbegehbarkeit abgebrochen.<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
46 Jürgen Rommelmann<br />
Ergebnisse<br />
Artenspektrum und Gefährdung<br />
Insgesamt wurden 12 Fischarten und<br />
eine Krebsart nachgewiesen (Tab. 2). Davon<br />
gelten zwei Arten in Niedersachsen<br />
als stark gefährdet (Aal und Elritze), drei<br />
als gefährdet (Bachforelle, Groppe, Hecht)<br />
und die übrigen Arten als potenziell gefährdet<br />
(Bachschmerle, Schleie) bzw. nicht<br />
gefährdet. Der Kamberkrebs stammt ursprünglich<br />
aus Nordamerika und wurde<br />
Ende des 19. Jahrhunderts in Europa eingeführt,<br />
er hat sich inzwischen flächendeckend<br />
ausgebreitet hat.<br />
Die Groppe wird in Anhang II der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie<br />
(FFH-RL)<br />
geführt. Sie gehört damit zu den Arten<br />
von gemeinschaftlichem Interesse, für deren<br />
Erhaltung besondere Schutzgebiete<br />
ausgewiesen werden müssen. Konkrete<br />
artspezifische Schutzmaßnahmen sind<br />
die Erhaltung bzw. Wiederherstellung<br />
Abb. 4: Probestrecke 6. Graben am östlichen<br />
Ortsrand von Drüber mit geschlossener Wasserlinsendecke.<br />
Abb. 6: Probestrecke 8. Drüberscher Bach<br />
zwischen Deich und Mündung in die Leine<br />
Abb. 5: Probestrecke 7. Drüberscher Bach als<br />
Lebensraum des Neunstachligen Stichlings.<br />
Abb. 7: Probestrecke 9. Stöckheimer Bach mit<br />
Kaskade und oberhalb komplett befestigtem Uferbett<br />
am östlichen Ortsrand von Stöckheim.<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Die Fischfauna der Bäche und Gräben im Hochwasserrück haltebecken Salzderhelden<br />
47<br />
der Durchgängigkeit und Naturnähe der<br />
Wohngewässer sowie der Gewässergüteklasse<br />
von nicht schlechter als II2. Weitere<br />
detaillierte Angaben zum Schutz der Art<br />
finden sich in den Vollzugshinweisen zum<br />
Schutz von Fischarten in Niedersachen<br />
(Laves 2011).<br />
Vorkommen in den Probestrecken<br />
Bis auf wenige Ausnahmen waren<br />
die meisten Probestrecken eher dünn<br />
oder gar nicht besiedelt (Tab. 3). In vier<br />
Abb. 10: Probestrecke 12. Untere Probestelle der<br />
Bölle vor der Mündung in die Geschiebesperre.<br />
Abb. 8: Probestrecke 10. Untere Probestelle am<br />
Stöckheimer Bach zwischen Deich und Mündung<br />
in die Leine.<br />
Abb. 11: Probestrecke 13. Zulaufbach zum<br />
Mühlenkanal am westlichen Rand des Naturschutzgebietes<br />
„Wasservogelreservat Northeimer<br />
Seenplatte“<br />
Abb. 9: Probestrecke 11. Naturnahes Bachbett<br />
an der oberen Probestelle der Bölle oberhalb von<br />
Hollenstedt.<br />
Abb. 12: Probestrecke 14. Alt-/Seitenarm der<br />
Leine südlich von Hollenstedt.<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
48 Jürgen Rommelmann<br />
Probestrecken 1, 3, 4 (Abb. 2), 6 (Abb. 4)<br />
wurden keine Fische festgestellt obwohl<br />
hier aufgrund der Gewässergröße durchaus<br />
Vorkommen zu erwarten gewesen wären.<br />
In den übrigen Probestrecken entsprach<br />
das Artenspektrum nur teilweise dem<br />
von Bächen der Forellenregion. Gleichzeitig<br />
kamen aber auch Arten vor, die untypisch<br />
für kleine Bäche sind. So traten<br />
z. B. im Oberlauf der Bölle (PS 11, Abb. 9)<br />
neben den Bachforellen und Groppen auch<br />
große Aale in einer für die Gewässergröße<br />
hohen Nachweisdichte auf. Ausgesprochen<br />
euryöke (weit verbreitete) Spezies wie<br />
der Dreistachlige Stichling waren zwar<br />
punktuell häufig, wie z. B. im naturfernen<br />
Stöckheimer Bach unterhalb der Kaskade<br />
(PS 9, Abb. 7), kamen aber sonst eher vereinzelt<br />
oder maximal in niedrigen Nachweisdichten<br />
vor.<br />
Tab. 2 Fischartenspektrum (einschließlich Krebse)<br />
Erläuterungen: Rote Liste Deutschland (RL-D nach Freyhof 2009) 0-3 wie RL-NI; V = Vorwarnliste;<br />
* = ungefährdet; ♦ = nicht bewertet; Rote Liste Niedersachsen (RL-NI nach Laves 2008); 0 = ausgestorben<br />
oder verschollen; 1 = vom Aussterben bedroht; 2 = stark gefährdet; 3 = gefährdet; 4 = potenziell gefährdet,<br />
5 = nicht gefährdet, n.b. = nicht bewertet; F = Fremdfischart; FFH-Anhänge: Listung einer Art in den<br />
Anhängen II, IV, V der FFH-Richtlinie<br />
Gefährdung und FFH-Status<br />
Fischart Familie RL-D RL- NI FFH-Anhänge<br />
Aal Anguilla anguilla Anguillidae ♦ 2<br />
Bachforelle Salmo trutta (fario) † Salmonidae * 3<br />
Bachschmerle Barbatula barbatula Cobitidae * 4<br />
Elritze Phoxinus phoxinus Cyprinidae * 2<br />
Flußbarsch Perca fluviatilis Percidae * 5<br />
Dreist. Stichling Gasterosteus aculeatus Gasterosteidae * 5<br />
Groppe Cottus gobio Cottidae * 3 II<br />
Gründling Gobio gobio Cyprinidae * 5<br />
Hasel Leuciscus leuciscus Cyprinidae * 5<br />
Hecht Esox lucius Esocidae * 3<br />
Neunst. Stichling Pungitius pungitius Gasterosteidae * 5<br />
Schleie Tinca tinca Cyprinidae * 4<br />
Kamberkrebs Orconectes limosus Astacidae F<br />
12 Fischarten (eine Krebsart)<br />
†<br />
Freyhof (2009) verwendet die Bezeichnung forma fario nicht, da Bach-, Meer-, Seeforelle nach seiner<br />
Auffassung ökologische Formen und keine Arten/Unterarten darstellen (Zusammenfassung unter Salmo<br />
trutta). Hier wird die noch geläufige Bezeichnung f. fario (z. B. in der Roten Liste gefährdeter Fische in<br />
Niedersachsen, Laves 2008) verwendet und in Klammern gesetzt.<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Die Fischfauna der Bäche und Gräben im Hochwasserrück haltebecken Salzderhelden<br />
49<br />
Abb. 13 Elritzen, hier ein Männchen im Brutkleid,<br />
kamen in größerer Zahl an den unteren Probestellen<br />
der Bölle und des Stöckheimer Baches<br />
vor. Jungfische nutzen die Seitengewässer als<br />
Lebensraum.<br />
Abb. 14 Die unerwartet geringe Zahl von Groppen<br />
im Oberlauf der naturnahen Bölle (PS 11) kann<br />
durch den erhöhten Frassdruck zahreicher Aale<br />
verursacht worden sein.<br />
Abb. 15 Der Hasel als namensgebende Art der<br />
Fischregion der Leine im Bereich des Hochwasserrückhaltebeckens<br />
nutzt die Nebengewässer wenig<br />
und wurde nur vereinzelt im Unterlauf der Bölle<br />
und des Stöckheimer Baches (PS 10, 12) gefangen.<br />
Abb. 16 Schleien wurden nur als Einzeltiere u.a.<br />
im Zulaufbach des Mühlenkanals (PS 14) gefangen.<br />
Elritzen (Abb. 13) traten im Stöckheimer<br />
Bach, der Bölle und im Drüberschen<br />
Bach (PS 8, Abb. 6; PS 10, Abb. 8; PS 12,<br />
Abb. 6) auf, erreichten aber nur in den<br />
nahe der Leine liegenden Probestrecken<br />
(PS 10, 12) höhere Nachweisdichten. Da<br />
es sich überwiegend um Jungfische handelte,<br />
ist davon auszugehen, dass diese aus der<br />
Leine stammten und die Nebengewässer<br />
temporär nutzen.<br />
Groppen (Abb. 14) kamen jeweils in beiden<br />
Probestrecken des Stöckheimer Baches<br />
und der Bölle (PS 9 – 12, Abb. 6 – 9)<br />
in niedrigen Nachweisdichten vor, davon<br />
in den naturfernen Probestellen 9 und 12<br />
nur als Einzelnachweise.<br />
Aale wurden in den PS 10 – 14 (Abb.<br />
10 – 12) nachgewiesen und erreichten nur<br />
in den beiden Probestrecken der Bölle (PS<br />
11, 12) relativ höhere Nachweisdichten.<br />
Hasel (Abb. 15), Hecht und Schleie<br />
(Abb. 16)konnten an den jeweiligen Fundorten<br />
(PS 1; 8, Abb. 6; 10, Abb. 8; 12, Abb.<br />
10; 13, Abb. 11) nur als Einzeltiere nachgewiesen<br />
werden.<br />
Der Neunstachlige Stichling wurde mit<br />
drei Individuen nur an der oberen Probestelle<br />
des Drüberschen Baches (PS 7, Abb.<br />
5) gefangen.<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
50 Jürgen Rommelmann<br />
Tab. 3 Fangergebnisse der Elektrobefischung in den einzelnen Probestrecken 1 – 14.<br />
Erläuterungen: Die Größenklassifizierung erfolgt in Anlehnung an die Vorgaben in den Erfassungsbögen des LAVES, Dezernat Binnenfischerei;<br />
Angabe der Individuenzahl der registrierten Fische in den jeweiligen Spalten. Brut (j/n) = ja/nein.<br />
Brut Größenklassen [cm]<br />
Probestrecke Art (j/n) 3 –
Die Fischfauna der Bäche und Gräben im Hochwasserrück haltebecken Salzderhelden<br />
51<br />
11 Bölle oberhalb von<br />
Hollenstedt<br />
12 Bölle zwischen<br />
Deich und Mündung<br />
13 Zulaufbach zum<br />
Mühlenkanal<br />
14 Altarm zwischen<br />
Leine und Rhume<br />
Groppe n 8 8<br />
Hasel n 1 1<br />
3-st. Stichling n 15 15<br />
Aal 3 5 8<br />
Bachforelle n 14 14<br />
Groppe n 4 4<br />
38<br />
3-st. Stichling n 12 12<br />
Aal 3 4 7<br />
Bachforelle n 1 1<br />
Elritze j 35 35<br />
53<br />
Groppe n 1 1<br />
Gründling n 3 3<br />
Hasel n 1 1<br />
Hecht n 1 1<br />
Aal 1 2 3<br />
Flussbarsch n 6 4 10<br />
Schleie n 1 1 2<br />
15<br />
Kamberkrebs 1 1<br />
Aal 2 2 3<br />
10 Bachforellen mit 12 cm Länge<br />
Befischungsstrecke zu je 50 % frisch geräumt<br />
und nicht geräumt. Im geräumten Abschnitt<br />
drei Aale sowie mehrere Schwärme kleiner Elritzen<br />
(nicht mitgezählt)<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
52 Jürgen Rommelmann<br />
Diskussion<br />
Der überwiegend naturferne morphologische<br />
Zustand der Untersuchungsgewässer<br />
und die z. T. geringe Wasserführung<br />
oder mangelhafte Durchgängigkeit zwischen<br />
den Gewässern boten den Fischen<br />
keinen oder nur bedingt geeigneten, artgerechten<br />
Lebensraum. Eine Ausnahme<br />
bildete die Bölle oberhalb von Hollenstedt,<br />
die in einem überwiegend naturnahen Zustand<br />
war und einen guten Bachforellenbestand<br />
aufwies. Ungewöhnlich war die vergleichsweise<br />
niedrige Nachweisdichte von<br />
Groppen in diesem Bereich. Möglicherweise<br />
bestand durch die zahlreichen Aale<br />
ein erhöhter Fraßdruck auf die bodenbewohnende<br />
Kleinfischart, die in dem kleinen<br />
Bach wenig Ausweich- und Fluchtmöglichkeiten<br />
hatte.<br />
Die von Bahlo (1988) vor 26 Jahren<br />
durchgeführte Untersuchung zur Fischfauna<br />
kleiner Fließgewässer im Landkreis<br />
Northeim ist eine wichtige Referenz zur<br />
Einordnung und zum Vergleich der vorliegenden<br />
Funde. Er untersuchte von den<br />
hier erfassten Gewässern ebenfalls die Bölle<br />
sowie den Stöckheimer Bach (von ihm<br />
als Raute bezeichnet). Dabei stellte er in<br />
der Bölle Bachneunaugen, Bachforellen,<br />
Groppen, Rotaugen, Döbel und Aale fest.<br />
Für den Stöckheimer Bach wurden keine<br />
Artvorkommen angegeben. Im Vergleich<br />
mit den Ergebnissen dieser Untersuchung<br />
wurden in der Bölle demnach keine<br />
Bachneunaugen mehr nachgewiesen. Der<br />
Stöckheimer Bach ist dagegen artenreicher<br />
geworden, wobei zu berücksichtigen ist,<br />
dass die Artenvielfalt bachaufwärts deutlich<br />
abnahm und nur in der mündungsnahen<br />
Probestrecke durch die Nähe zur Leine<br />
deutlich mehr Arten vorkamen als in<br />
der naturfernen Strecke am Ortsrand von<br />
Stöckheim.<br />
Der Neunstachlige Stichling hat in Niedersachsen<br />
seinen Verbreitungsschwerpunkt<br />
im Tiefland. Aus dem Weser-Leinebergland<br />
liegen nach den älteren Angaben<br />
von Gaumert (1986) wenige Nachweise<br />
aus der Leine und Rhume mit Nebengewässern<br />
vor. Im Fischartenatlas für<br />
Deutschland und Österreich3 sind aktuell<br />
für die Landkreise Göttingen und Northeim<br />
sechs Nachweise mit dem Status<br />
„unscharfe Daten“ aufgeführt. Darunter<br />
sind Fundorte in der Sieber bei Hattorf,<br />
in einem Seitenbach der Leine nordwestlich<br />
von Nörten-Hardenberg sowie in der<br />
Leine im Stadtgebiet Göttingen. Ein weiterer<br />
Fundort liegt westlich von Stöckheim<br />
in einem Zufluß zum Stöckheimer Bach,<br />
ebenfalls mit dem Status „unscharfe“ Daten.<br />
Alle genannten Fundorte machen deutlich,<br />
dass die Leine (und Nebengewässer<br />
wie die Rhume bzw. Oder) wichtige Ausbreitungsgewässer<br />
für den Neunstachligen<br />
Stichling im südniedersächsischen Raum<br />
sind. Dies zeigen auch weitere Nachweise,<br />
die der Autor in Nebengewässern der Leine<br />
(Weende, Grone) im Raum Göttingen<br />
fand.<br />
Zusammenfassung<br />
Im August 2004 wurde die Fischfauna<br />
der Bäche und Gräben im Hochwasserrückhaltebecken<br />
Salzderhelden im<br />
Landkreis Northeim (Niedersachsen)<br />
untersucht. Das Naturschutzgebiet im<br />
Rückhaltebecken hat eine überregionale<br />
Bedeutung vor allem als Brut-, Rastund<br />
Nahrungsbiotop für Vögel. Die<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Die Fischfauna der Bäche und Gräben im Hochwasserrück haltebecken Salzderhelden<br />
53<br />
Untersuchung soll eine Referenz für die<br />
weitere ökologische Entwicklung des Gebiets<br />
in Bezug auf die Fischfauna darstellen.<br />
In 14 Probestrecken wurden 12 Fisch- und<br />
eine Krebsart nachgewiesen. Davon gelten<br />
zwei Arten in Niedersachsen als stark gefährdet<br />
(Aal, Elritze) und drei Arten als<br />
gefährdet (Bachforelle, Groppe, Hecht).<br />
Die Groppe wird als Anhang-II-Art der<br />
FFH-Richtlinie mit besonderem Schutzstatus<br />
geführt. Die Probestrecken waren<br />
überwiegend dünn besiedelt oder wiesen<br />
in vier Probestrecken keine Fischfauna auf.<br />
Als Ursachen werden der vorwiegend naturferne<br />
morphologische Zustand, eine<br />
z. T. unzureichende Wasserführung oder<br />
mangelhafte Durchgängigkeit der Gewässer<br />
angenommen. Lediglich die Bölle ist<br />
oberhalb von Hollenstedt strukturell naturnah<br />
und weist einen guten Bachforellenbestand<br />
auf. Im Vergleich zu einer vor<br />
26 Jahren durchgeführten Untersuchung<br />
ergaben sich Übereinstimmungen sowie<br />
deutliche Abweichungen der Fischpopulationen<br />
in den untersuchten Gewässern.<br />
Die Nachweise des im Leine-Weserbergland<br />
wenig verbreiteten Neunstachligen<br />
Stichlings im Drüberschen Bach zeigt zusammen<br />
mit dem aus dem Fischartenatlas<br />
bekannten Vorkommen eine punktuelle<br />
Verbreitung in den Landkreisen Göttingen<br />
und Northeim.<br />
Literatur<br />
Bahlo, Klaus (1988): Die Fischfauna kleiner<br />
Fließgewässer im Landkreis Northeim (Südniedersachsen)<br />
mit Anmerkungen zu ihrer<br />
Gefährdung.- Braunschweiger Naturkundliche<br />
Schriften 3, 1: 121 – 135.<br />
Freyhof, Jörg (2009): Rote Liste der im Süßwasser<br />
reproduzierenden Neunaugen und<br />
Fische (Cyclostomata & Pisces). – Naturschutz<br />
und Biologische Vielfalt 70 (1):<br />
291 – 316. – Cornol, Berlin.<br />
Gaumert, Detlev (1986): Kleinfische in Niedersachsen<br />
– Hinweise zum Artenschutz.<br />
Mitteilungen aus dem Niedersächsischen<br />
Landesamt für Wasserwirtschaft, Heft 4. –<br />
Hildesheim.<br />
Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit<br />
(Laves, Hrsg., 2008):<br />
Vorläufige Rote Liste der Fische, Neunaugen<br />
und Krebse in Niedersachsen (Stand 2008).<br />
Unveröffentlichte Liste des LAVES, Dezernat<br />
für Binnenfischerei: 1 S. – Hannover.<br />
Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit<br />
(Laves, Hrsg., 2011): Vollzugshinweise<br />
zum Schutz von Fischarten in<br />
Niedersachsen. – Fischarten des Anhangs II<br />
der FFH-Richtlinie und weitere Fischarten<br />
mit Priorität für Erhaltungs- und Entwicklungsmaßnahmen<br />
– Koppe, Groppe oder<br />
Mühlkoppe (Cottus gobio). – Niedersächsische<br />
Strategie zum Arten- und Biotopschutz:<br />
13 S., unveröffentlicht. – Hannover.<br />
Meynen, Emil; Schmitthüsen, Josef (1962):<br />
Handbuch der naturräumlichen Gliederung<br />
Deutschlands, Bd. II. Bundesanstalt für Landeskunde<br />
und Raumforschung. – Bonn.<br />
Mosch, Eva Christine (2008): Fischfaunistische<br />
Referenzerstellung und Bewertung der<br />
niedersächsischen Fließgewässer vor dem<br />
Hintergrund der EG-Wasserrahmenrichtlinie.<br />
Zwischenbericht des LAVES: S. 1 – 47.<br />
– Hannover.<br />
Rasper, Manfred (2001): Morphologische<br />
Fließgewässertypen in Niedersachsen –<br />
Leitbilder und Referenzgewässer. Hrsg.:<br />
Niedersächsisches Landesamt für Ökologie.<br />
– Hildesheim.<br />
Endnoten<br />
1 www.nlwkn.niedersachsen.de/portal/<br />
live.php?navigation_id=8412&article_<br />
id=41451&_psmand=26 ( Januar 2014)<br />
2 Vgl. Steckbrief FFH-Art Groppe:<br />
www.ffh-gebiete.de/arten-steckbriefe/fische/<br />
details.php?dieart=1163 ( Januar 2014)<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
54<br />
3 www.fischfauna-online.de/cms2.0/index.php<br />
?option=com_biodiversity&task=show&cid=<br />
40116&Itemid=75 (Stand: Mai 2014)<br />
Arbeit eingereicht: 10.04.2014<br />
Arbeit angenommen: 25.06.2014<br />
Anschrift des Verfassers:<br />
Jürgen Rommelmann<br />
c/o LIMNA Wasser & Landschaft<br />
Rosdorfer Weg 14<br />
37073 Göttingen<br />
E-Mail: info@limna.de<br />
Geheimnisvoll und rätselhaft<br />
<strong>Naturhistorica</strong> 152<br />
• Die rätselhaften Grottenkrebse der Blue<br />
Holes: Sind sie vielleicht doch eher Insekten?<br />
Erste Forschungsergebnisse liegen vor.<br />
• Die Ilex-Minierfliege in Hannover<br />
• Vegetation eines Hainbuchen-Niederwaldes<br />
bei Wittenburg<br />
• Insekten aus dem Ober-Jura in Norddeutschland<br />
• Wolf, Luchs & Co. – Ein Bestimmungsschlüssel<br />
anhand der Halswirbel<br />
• Vom Jurameer bis zur heutigen Nordsee<br />
• Das Meereskrokodil Steneosaurus aus dem<br />
Oberen Jura Hannovers<br />
198 S., bisheriger Preis 12 €, jetzt nur 9 €.<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
55<br />
Flora und Florenwandel im Stadtgebiet<br />
Hildesheim<br />
Werner Müller<br />
Zusammenfassung<br />
Ziel der vorliegenden Untersuchung ist<br />
es, die Arbeit an der Erfassung sämtlicher<br />
wildwachsender Gefäßpflanzen der<br />
Stadt Hildesheim in den Jahren 1993 bis<br />
1998 vorzustellen (Phase 1), die weitere<br />
Entwicklung der Flora in den Folgejahren<br />
zwischen 2002 und 2007 (Phase 2) sowie<br />
zwischen 2010 und 2012 (Phase 3) zu<br />
verfolgen und mit den ersten Ergebnissen<br />
(Phase 1) zu vergleichen. Die insgesamt<br />
hohe Anzahl von zunächst 960 nachgewiesenen<br />
Arten konzentriert sich ebenso auf<br />
die Industrie- und Siedlungszentren der<br />
Innenstadt wie auch auf die naturnahen<br />
Flächen an der Peripherie des Stadtgebietes.<br />
Die nachfolgenden Untersuchungen<br />
der Phasen 2 und 3 belegen eine überraschende<br />
Dynamik im Kommen und Gehen<br />
der Arten, von denen weitere 93 für<br />
die Stadt Hildesheim nachgewiesen werden<br />
konnten. Auch erfuhren eine Reihe<br />
ursprünglich seltener Vertreter innerhalb<br />
weniger Jahre eine außerordentlich rasche<br />
Ausbreitung. So bot es sich an, der Frage<br />
nach den Ursachen dieses Florenwandels<br />
nachzugehen und hierbei die Faktoren Klima<br />
und Boden näher zu beleuchten.<br />
Abstract<br />
The intention behind the presented study<br />
is to show the work and recording of<br />
all the vascular plants growing wild within<br />
the town of Hildesheim during the years<br />
1993 – 1998 (phase 1), to pursue the further<br />
development of the flora in the following<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
56 Werner Müller<br />
years between 2002 and 2007 (phase 2), as<br />
well as between 2010 and 2012 (phase 3)<br />
and to compare these with the first results<br />
(phase 1). The high number of initially 960<br />
recorded species come from the industrial<br />
and residential areas of the town centre as<br />
well as from peripheral areas of the town<br />
with natural growth. The following studies<br />
of phase 2 – 3 show a surprising activity<br />
in the coming and going of species from<br />
which a further 93 can be registered for the<br />
town of Hildesheim. A number of previously<br />
rare examples have shown an exceptionally<br />
rapid increase within just a few years.<br />
So one must question the cause of this<br />
floral behaviour and examine more closely<br />
the factors Climate and Soil.<br />
Zur Topographie<br />
Das Stadtgebiet Hildesheim mit seinen<br />
ca. 100 000 Einwohnern liegt im Grenzbereich<br />
zwischen dem südniedersächsischen<br />
Berg- und Hügelland und der Börde, die<br />
zur norddeutschen Tiefebene überleitet.<br />
Seine höchste Erhebung hat das 92 km²<br />
große Areal mit 281 m üNN am Aussichtsturm<br />
des Sonnenberges. Von hier fällt die<br />
Fläche bis auf 70 m üNN am Flussbett der<br />
Innerste ab, die in einer Länge von knapp<br />
13 km die Stadt in Nord-Süd-Richtung<br />
durchquert. Neben weiteren Wasserläufen<br />
wie Trillkebach und Beuster, Kupferstrang<br />
und Beeke ist das Siedlungsgebiet von einem<br />
Netz aus Park- und Wallanlagen,<br />
Friedhöfen und eingeschlossenen Gehölzen<br />
sowie Grünzonen durchzogen, die ca.<br />
27 % der Stadtfläche einnehmen. Hier liegen<br />
sechs Naturschutzgebiete mit einer<br />
Ausdehnung von 384,5 ha und an der Peripherie<br />
13 unter Landschaftsschutz gestellte<br />
Waldflächen von insgesamt 1330 ha.<br />
Betrachten wir die Nutzungsanteile des<br />
Siedlungsraumes innerhalb der Stadtgrenze,<br />
so fällt zunächst mit 3347 ha (= 36,3<br />
%) die Landwirtschaft ins Auge (Abb. 1).<br />
Eine Ursache liegt in den Gebietsreformen<br />
von 1965 und vor allem 1975, die das<br />
Stadtgebiet um fast das Vierfache seiner<br />
Ausdehnung wachsen ließen. Der Zugewinn<br />
betraf nicht zuletzt die Ackerflächen<br />
der Börde, während Wiesen und Weiden<br />
weitgehend auf die Uferbereiche der durch<br />
Schwermetalle belasteten Innerste beschränkt<br />
bleiben. An Umfang übertrifft die<br />
von der Landwirtschaft genutzte Fläche<br />
die Summe von Verkehrs- und Siedlungsanteilen<br />
(952 ha und 2002 ha).<br />
Hervorzuheben bleibt als Grünland der<br />
ehemalige Standortübungsplatz im Norden<br />
der Stadt, der mit seiner Ausdehnung<br />
von 276 ha durch die Fauna-Flora-Habitatrichtlinie<br />
einen besonderen Schutz erhielt,<br />
da er einer Vielfalt gefährdeter Tiere<br />
(z. B. dem Urzeitkrebs Triops cancriformis)<br />
und Pflanzen (u. a. Orchideen) geeignete<br />
Lebensräume bietet.<br />
Schließlich darf der hohe Waldanteil<br />
Hildesheims mit einer Ausdehnung von<br />
1872 ha (= 20,3 % des Gesamtareals) nicht<br />
unerwähnt bleiben. Er verweist auf die<br />
besondere Lage der Stadt am Rande des<br />
Mittelgebirges und markiert die Höhenzüge.<br />
Ihre charakteristischen Schichtkämme<br />
führen vom Buntsandstein des Hildesheimer<br />
Waldes mit seinen Hainsimsen-Buchenwäldern<br />
zum unteren und oberen Muschelkalk<br />
am Gall-, Rotts-, Lerchen- und<br />
Finkenberg, auf dem die Haargersten- und<br />
Seggen-Buchenwälder stehen, und weiter<br />
zum oberen Keuper von Mast- und Steinberg<br />
und den Jurakalken des Knebelmassivs.<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Abb. 1: Nutzungsanteile der Stadtfläche in Prozent<br />
Flora und Florenwandel im Stadtgebiet Hildesheim<br />
57<br />
Bebaute Fläche<br />
Abb. 1 Nutzungsanteile<br />
der Stadtfläche in Prozent.<br />
Verkehrsfläche<br />
Öffentliche Grünanlagen<br />
Landwirtschaftsfläche<br />
Wald<br />
Gewässer<br />
Sonstige<br />
0,00% 10,00% 20,00% 30,00% 40,00%<br />
Erste Phase der Kartierung<br />
Während noch bis ins letzte Jahrhundert<br />
eine floristische und vegetationskundliche<br />
Erforschung urbaner Lebensräume in<br />
Deutschland kaum Beachtung fand, führten<br />
die gründlichen Untersuchungen von<br />
Scholz (1956) und Kunick (1974) in Berlin<br />
zu einem ersten Durchbruch (Sukopp &<br />
Wittig 1993). Inzwischen sind zahlreiche<br />
Stadtfloren erschienen, so für Duisburg<br />
(Düll & Kützelnigg 1987), Darmstadt<br />
( Jung 1992), Bremen (Nagler & Cordes<br />
1993), Greifswald (König 2005), Leipzig<br />
(Gutte 2006), Coesfeld (Hübschen 2007),<br />
Weimar (Kämpfe 2009) oder Hamburg<br />
(Poppendieck et al. 2010).<br />
Seit 1993 begannen auch in Hildesheim<br />
eine Arbeitsgruppe des Ornithologischen<br />
Vereins und weitere interessierte Mitarbeiter,<br />
alle Gefäßpflanzen der Stadt möglichst<br />
exakt in einem Punktraster zu erfassen.<br />
Wegen der zahlreichen, häufig wechselnden<br />
Kleinstlebensräume gerade innerhalb<br />
von Siedlungsflächen schien ein Rasternetz<br />
auf Quadrantenbasis für eine genaue Darstellung<br />
zu grobmaschig, deshalb wurden<br />
als Koordinaten die Gauß-Krüger-Feldlinien<br />
mit Quadratfeldgrößen von 1 km ×<br />
1 km zugrunde gelegt. Sie finden sich sowohl<br />
auf Messtischblättern als auch in<br />
der amtlichen Stadtkarte Hildesheims<br />
1 : 15 000.<br />
Bei der Stadtgröße von 93 km² (seit<br />
2004 noch 92 km²) ergaben sich insgesamt<br />
113 (112) Felder, da die peripheren Rasterquadrate<br />
von dem Grenzverlauf der Stadt<br />
nicht selten durchschnitten und dadurch<br />
verkleinert wurden. Das Bemühen zielte<br />
darauf, bis 1998 den gesamten Artenbestand<br />
aller Quadratfelder möglichst vollständig<br />
einzufangen und zu beschreiben.<br />
Die Ergebnisse führten zu der ersten Flora<br />
von Hildesheim, Müller (2001).<br />
Erste Ergebnisse<br />
Insgesamt konnten am Ende der Untersuchungen<br />
960 Sippen (Arten und Unterarten)<br />
dokumentiert werden. Für eine jede<br />
beschreibt eine Punktrasterkarte ihr Vorkommen<br />
im Stadtbereich. Weitere Informationen<br />
über die Vergesellschaftung jeder<br />
Sippe, die nachgewiesene Bestandsgröße<br />
und erklärende Hinweise über Herkunft,<br />
morphologische bzw. ökologische Besonderheiten<br />
einzelner Arten, ihre Bedeutung<br />
für Medizin und Pharmazie, Bestimmungshilfen<br />
etc. schließen sich an (vgl. als<br />
Beispiel Abb. 2). Welche Verteilung weisen<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
58 Werner Müller<br />
Zu Abb. 2:<br />
84 • • • •<br />
83 • • • • • •<br />
82 • • • • • •<br />
81 • • • • • •<br />
80 • • •<br />
79 • • • • •<br />
78 • • • • • • •<br />
77 • • • •<br />
76 • •<br />
75 • • • •<br />
74<br />
73<br />
58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71<br />
Abb. 2 Punktrasterkarte vom Graugrünen Gänsefuß.<br />
Grün = Wald; Ocker (rot) = bebaute Fläche;<br />
Abb. 5:<br />
Gelb = Grünland, Acker.<br />
84<br />
83<br />
Chenopodium glaucum L. – Graugrüner Gänsefuß.<br />
Vorkommen: 82 An Ufern und 51 auf 66 Äckern; 46 auf feuchten,<br />
81 nitratreichen Böden, 41 besonders 70 in der Börde,<br />
auf 80 Zuckerrübenäckern, die 77 mit Klärschlamm<br />
gedüngt 79 sind. 46 52<br />
Vergesellschaftung: Mit Arten der Erdrauch-Wolfsmilch-Gesellschaften,<br />
in Zweizahn-Knöterich-Ufer-<br />
78 41<br />
77 41<br />
gesellschaften mit Rotem Gänsefuß (Chenopodium<br />
rubrum), 76 Vielsamigem Gänsefuß (Chenopodium<br />
polyspermum) 75<br />
und Dreiteiligem Zweizahn (Bidens<br />
tripartita).<br />
74<br />
Bestand: 73 Verbreitet (42 %). Bestandsentwicklung<br />
wird<br />
58<br />
durch<br />
59 60<br />
Düngung<br />
61 62 63<br />
gefördert.<br />
64 65 66 67 68 69 70 71<br />
Bemerkungen: Ein Therophyt, der als halotolerante<br />
Art auch auf salzbelasteten Böden wächst.<br />
Besondere Kennzeichen: Blätter oben kahl und<br />
dunkelgrün, unten weißlich bemehlt.<br />
nun die nachgewiesenen Sippen auf den<br />
113 Rasterfeldern auf?<br />
Die durchschnittliche Artenzahl liegt<br />
bei 265 Vertretern, d. h. je km² konnten –<br />
gemittelt – 265 Arten registriert werden.<br />
In 29 Feldern (= 33,3 %) lag die Anzahl<br />
bei über 300.<br />
Diese Flächen liegen 1. in den Siedlungs-<br />
und Industriezentren der Innenstadt<br />
mit einer Vielzahl wechselnder<br />
Kleinbiotope, 2. in den naturnahen Bereichen,<br />
vor allem den Wäldern mit benachbartem<br />
Grünland oder Halbtrockenrasen.<br />
84 258 121 129 130<br />
83 317 319 338 180 199 222 139 99 59<br />
82 272 368 338 311 342 304 246 165 149<br />
81 87 105 287 184 319 231 367 269 279 170 219 135<br />
80 116 188 181 370 306 268 414 239 222 195 149 161 115<br />
79 149 179 301 373 314 275 372 335 252 278 228 185 114<br />
78 145 333 257 332 286 310 297 352 240 265 386 360 271 <strong>156</strong><br />
77 258 222 317 365 317 261 299 336 299 203 313 254 142<br />
76 183 245 211 246 221 246 250 188 263 297 242<br />
75 227 227 223 285 211 182 176 215 271<br />
74 86 226 194 205<br />
73 <strong>156</strong> 132<br />
58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71<br />
Abb 3 Anzahl der Sippen, die in den einzelnen<br />
Quadratfeldern nachgewiesen wurden. Die Randfelder,<br />
die nicht die volle Größe besitzen, sind<br />
grau unterlegt.<br />
Die artenarmen Rasterfelder beschränken<br />
sich auf die ackerbaulich genutzten Flächen<br />
der Braunschweig-Hildesheimer und<br />
Calenberger Lössbörde mit geringer Diversität<br />
der Pflanzengesellschaften (Abb.<br />
3).<br />
Besondere Beachtung verdient, dass mit<br />
307 Sippen fast ein Drittel aller nachgewiesenen<br />
Arten in nur 1 % – 4 % aller<br />
Rasterfelder gefunden wurde, d. h. für die<br />
Stadt Hildesheim als extrem selten einzustufen<br />
ist. Lediglich 146 Sippen (= 15,2 %)<br />
besiedeln wenigstens 60 % des Gebietes.<br />
Wie steht es nun um den Bestand der in<br />
Niedersachsen gefährdeten Arten der „Roten<br />
Liste“?<br />
Den Untersuchungen lag die bei der Veröffentlichung<br />
der Flora von Hildesheim<br />
Tab. 1 Anzahl der Rote-Liste-Arten (nach<br />
Gefährdungskategorien geordnet) und Anteil der<br />
Neophyten. 1 = vom Aussterben bedroht;<br />
2 = stark gefährdet; 3 = gefährdet;<br />
4 = potenziell gefährdet.<br />
Gefährdungskategorien 1 2 3 4<br />
Sippenzahl 7 47 121 2<br />
davon Neophyten 1 – 2 9 10 2<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Abb. 5:<br />
• •<br />
75 • • • •<br />
74<br />
73<br />
58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71<br />
Flora und Florenwandel im Stadtgebiet Hildesheim<br />
Abb. 6:<br />
59<br />
84<br />
83<br />
82 51 66 46<br />
81 41 70<br />
80 77<br />
79 46 52<br />
78 41<br />
77 41<br />
76<br />
75<br />
74<br />
73<br />
58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71<br />
Abb. 4 Quadtratfelder mit hohem Neophytenanteil.<br />
84<br />
83 8<br />
82 11<br />
81 4 8 6<br />
80 7<br />
79<br />
78<br />
77 7<br />
76 12 5 15 13<br />
75 9 9 13<br />
74 9 10<br />
73<br />
58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71<br />
Abb. 5 Quadratfelder mit niedrigem Neophytenanteil.<br />
Abb. 8:<br />
(Müller 2001) gültige Aufstellung von<br />
Garve (1993) zugrunde. Während der Anteil<br />
bedrohter Arten für Niedersachsen und<br />
Bremen bei 46 % der nachgewiesenen Sippen<br />
lag, wurden für Hildesheim nur 177<br />
(= 18,4 %) als gefährdet eingestuft. Ihre<br />
Zuordnung zu den jeweiligen Kategorien<br />
nennt Tab. 1. Die einzelnen Vertreter wurden<br />
jeweils nur in weniger als 20 Rasterfeldern<br />
nachgewiesen, lediglich die Echte<br />
Schlüsselblume (Primula veris) begegnete<br />
in 24, der Niederliegende Krähenfuß (Coronopus<br />
squamatus) in 25 und das Echte Eisenkraut<br />
(Verbena officinalis) sogar in 35.<br />
Quadratfeldern (= 31 %).<br />
Die Frage nach den Stadtbereichen<br />
mit hohem Anteil gefährdeter Arten<br />
führt ausschließlich zu den naturnahen<br />
84 2<br />
Lebensräumen: 83 7 Giesener 9 1 Teiche, 5 die Wälder<br />
82 auf Muschel- 2 5 und 7 2 Jurakalken 3 2 (Gallund<br />
81 Finkenberg) 6 5 mit 2 6 ihren 10 4 Halbtrockenrasen<br />
80 sowie 1 2 der 3 Knebel. 4 7 14 3 1<br />
3 2<br />
79 Anders 1 2 stellen 2 6 sich 7 3 die 4 seit 1500 1 eingewanderten<br />
78 2 1 bzw. 2 eingetragenen 4 6 3 1 1 Neophyten<br />
77 (Neubürger) 2 1 dar, deren 2 5 Anteil 1 bei 193<br />
Sippen 76 (= 20,1 2 1 %) 7 liegt und 2 3 den 1 Landesdurchschnitt<br />
75 2 1<br />
von<br />
3<br />
16,4 % deutlich<br />
2 4<br />
übersteigt.<br />
Besonders reich ist diese Gruppe in<br />
74 2 2 1 1<br />
73<br />
der Nord- und Innenstadt vertreten, wo<br />
58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71<br />
ausgedehnte Ruderalflächen vorherrschen,<br />
sowie im Ortsteil Sorsum (Abb. 4). Demgegenüber<br />
zeigen die naturnahen Wälder<br />
im Südwesten der Stadt, ebenso das NSG<br />
Giesener Teiche und auch die Ackerflächen<br />
einen nur geringen Neophytenanteil<br />
(Abb. 5).<br />
Zweite und dritte Phase der Kartierung<br />
Die Folgejahre nach Erscheinen der<br />
Flora von Hildesheim (Müller 2001) boten<br />
eine überraschende Entwicklung, mit der<br />
kaum jemand gerechnet hatte: In einem<br />
ständigen Kommen und Gehen von Arten<br />
zeigte die Flora bei einzelnen Vertretern<br />
eine ungeahnte Dynamik. So konnten<br />
zwischen 2002 und 2007 insgesamt 80 neue<br />
Sippen nachgewiesen werden, die sich auf<br />
60 der 112 Rasterfelder verteilen. Während<br />
Wälder und Äcker sich als weitgehend<br />
artenstabile Zonen darstellten, zeichneten<br />
sich Veränderungen im Stadtkern aus und<br />
betrafen die Randbezirke nur dort, wo sich<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
60 Werner Müller<br />
Tab. 2 Die 13 neu nachgewiesenen Arten in den Jahren 2010 bis 2012<br />
1 Venuskamm (Scandix pecten-veneris): 05.06.2010, 8 Ex. am Gallberg,<br />
Rasterfläche (RF) 62/80 (Müller)<br />
2 Filz-Segge (Carex tomentosa): Juni 2010, Dominanzbestand auf 1,5 m² am Gallberg,<br />
RF 62/79 (Burgdorf )<br />
3 Gekielter Lauch (Allium carinatum): 05.08.2010, 6 Ex. am Einlauf des Eselgraben in die<br />
Innerste, RF 64/80 (Burgdorf )<br />
4 Japanisches Liebesgras (Eragrostis multicaulis): 08.08.2010, ca. 100 Ex. an der Bavenstedter<br />
Straße, RF 66/81 (Feder, Bremen)<br />
5 Bastard-Lichtnelke (Silene x hampeana): 16.08.2010, 15 Ex. im Hafenbereich,<br />
RF 63/83 (Hofmeister)<br />
6 Müller-Stendelwurz (Epipactis muelleri): Sommer 2011, 1 Ex. am Westhang des Gallberges,<br />
RF 61/79 (Kunitz, Eberholzen)<br />
7 Echter Alant (Inula helenium): 20.07.2011, wenige Ex. am Innerste-Ufer, RF 65/78 (Burgdorf )<br />
8 Sichelblättriges Hasenohr (Bupleurum falcatum): 03.08.2011, ca. 20 Ex. am Kamm und<br />
Nordfuß des Galgenberges, RF 68/78 (Bruns, Grein)<br />
9 Großer Odermennig (Agrimonia procera): Sommer 2010 und 2011, zerstreut am Waldweg<br />
nahe der Beuster im Südwald, RF 59/75 und 60/75 (Grein)<br />
10 Pimpernuss (Staphylea pinnata): September 2011, 4 Sträucher, dazu Jungwuchs auf dem<br />
Galgenberg, RF 67/78 (Lieb)<br />
11 Dreiteiliger Ehrenpreis (Veronica triphyllos): seit 2010 (Grein), Mai 2012 (Müller) in nur<br />
1 Ex. am Gallberg, nahe Kammweg an einem Rapsfeld, RF 62/80<br />
12 Flachblättrige Mannstreu (Eryngium planum): 07.07.2012, ebenfalls 2013, ca. 25 Triebe an<br />
der Breslauer Straße auf einem Grünstreifen nördlich der Bahnlinie, RF 63/80 (Grein)<br />
13 Peruanische Blasenkirsche (Physalis peruviana): Oktober 2012, 4 Ex. auf Schuttfläche im<br />
Bereich des Nordfriedhofs, RF 65/81 (Kunitz, Eberholzen)<br />
Industrie- und Gewerbebetriebe niedergelassen<br />
hatten. Das zentrale Rasterfeld<br />
(64/80) mit Güterbahnhof, Industrie- und<br />
Wallanlagen, Friedhof, Schulhöfen und<br />
Gärten galt bereits in der Flora von Hildesheim<br />
(Müller 2001) mit 414 Sippen als<br />
das artenreichste der Stadt (Abb. 3). Hier<br />
konnten weitere 13 Sippen nachgewiesen<br />
werden – die höchste Zuwachsrate aller<br />
Quadratfelder.<br />
Angesichts dieser Beobachtungen war<br />
es angezeigt, dem alten Florenbestand von<br />
2001 eine neue Kartierung vergleichend<br />
gegenüberzustellen. Sie erschien im Jahre<br />
2010 in derselben Schriftenreihe Band 6,<br />
betitelt „Neues zur Flora von Hildesheim“<br />
(Müller 2010).<br />
Der Arbeit wurde das alte Grundmuster<br />
der Kartierung im Gauß-Krüger-Koordinatensystem<br />
zugrunde gelegt. Der Anspruch<br />
zielte nun nicht mehr darauf, alle<br />
Sippen erneut zu erfassen. Vielmehr richtete<br />
sich das Augenmerk auf die Arten, die<br />
• seit 2002 für das Stadtgebiet neu nachgewiesen<br />
werden konnten,<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Flora und Florenwandel im Stadtgebiet Hildesheim<br />
61<br />
Abb. 6:<br />
• in der Flora von Hildesheim (Müller<br />
2001) als „sehr selten“ (in nur 1 % – 4 %<br />
der 113 (112) Rasterfelder dokumentiert)<br />
oder als „selten“ (in 5 % – 9 % der<br />
Rasterfelder vertreten) bezeichnet worden<br />
waren,<br />
• durch eine auffallend rasche Ausbreitung<br />
auffielen.<br />
Die letzten Untersuchungen erfolgten in<br />
den Jahren 2010 bis 2012. In diesem relativ<br />
kurzen Zeitraum konnte der Artenbestand<br />
der Stadt um weitere 13 Sippen erweitert<br />
werden (Tab. 2). Fassen wir alle seit Beginn<br />
der Untersuchungen 1993 registrierten<br />
84<br />
Sippen zusammen, so wurden bislang 1053<br />
83 8<br />
Arten (mit Unterarten) nachgewiesen.<br />
82 11<br />
81 4 8 6<br />
80 7<br />
Ergebnisse 79<br />
und Analysen<br />
78<br />
77 Die 7 vorliegende Kartierung eröffnet die<br />
Möglichkeit, 76 12 5 15 den gegenwärtigen 13 Florenbestand<br />
75 der 9 Stadt 9 von 13 2012 mit dem Stand<br />
aus 74 der ersten 9 10 Veröffentlichung der Flora<br />
von 73 Hildesheim (Müller 2001) zu vergleichen.<br />
58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71<br />
Hierbei darf nicht übersehen werden, dass<br />
bereits seit dem Erscheinen der „Physischen<br />
Briefe“ des Hildesheimer Jesuiten<br />
und Mathematikers Joseph Anton Cramer<br />
(1792) zahlreiche Veröffentlichungen<br />
zur Hildesheimer Flora unsere Kenntnis<br />
über die Pflanzenwelt der Stadt wesentlich<br />
bereichert hatten. So listete die Publikation<br />
Neues zur Flora von Hildesheim<br />
(Müller 2010) einen Verlust von 170 vermissten<br />
bzw. ausgestorbenen Arten (= 16,3<br />
%) auf. Von diesen konnten in den Jahren<br />
2011 – 2012 mit dem Venuskamm (Scandix<br />
pecten-veneris) und der Filz-Segge (Carex<br />
tomentosa) zwei Arten wiederentdeckt werden.<br />
Die neuen Arten<br />
Im Zeitraum zwischen 2001 und 2012<br />
wurden insgesamt 93 Arten neu entdeckt.<br />
Sie verteilen sich vor allem auf die Innenstadtbereiche<br />
(Abb. 6). Der Südwesten mit<br />
Abb. 8:<br />
84 2<br />
83 7 9 1 5<br />
82 2 5 7 2 3 2<br />
81 6 5 2 6 10 4 3 2<br />
80 1 2 3 4 7 14 3 1<br />
79 1 2 2 6 7 3 4 1<br />
78 2 1 2 4 6 3 1 1<br />
77 2 1 2 5 1<br />
76 2 1 7 2 3 1<br />
75 2 1 3 2 4<br />
74 2 2 1 1<br />
73<br />
58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71<br />
Abb. 6 Verteilung der 93 neu nachgewiesenen<br />
Sippen auf die einzelnen Rasterfelder.<br />
Abb. 9:<br />
84<br />
83 5 1<br />
82 1 1 1<br />
81 2 1<br />
80 1 2<br />
79 1 2 1<br />
78 1<br />
77<br />
76 1<br />
75<br />
74<br />
73<br />
58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71<br />
Abb. 7 Anzahl der neu entdeckten Arten aus der<br />
Roten Liste in den einzelnen Rasterfeldern.<br />
Abb. 12:<br />
83 • • • • •<br />
82<br />
<strong>Naturhistorica</strong><br />
• • ▲ • • • •<br />
Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014<br />
81 • • • • ▲ • • • •<br />
80 • • • ▲ ▲ ▲ •<br />
79 ▲<br />
84
62 Werner Müller<br />
dem Hildesheimer Wald, ebenso der Osten<br />
mit der Börde und dem Knebelmassiv lassen<br />
einen nur geringen Artenzuwachs erkennen.<br />
Unter den 93 Neunachweisen befinden<br />
sich lediglich 34 indigene (seit der Jungsteinzeit<br />
im Land ansässige) Sippen, während<br />
der überwiegende Teil – das sind 59<br />
Arten (= 63,4 %) – aus etablierten oder<br />
unbeständigen Neophyten (Neubürgern)<br />
besteht. Bei der Zuordnung des Sichel-<br />
Hasenohrs (Bupleurum falcatum) erscheint<br />
die Herkunft ungeklärt. Die im Osten beheimatete<br />
Art findet sich in Niedersachsen<br />
fast ausschließlich am Rande des mitteldeutschen<br />
Trockengebietes zwischen Elm<br />
und Bad Harzburg (Garve 1994), ragt hier<br />
allerdings nach Westen bis an die Grenze<br />
Salzgitters (TK 25 3828/4). Ihre nur<br />
2,5 – 3 mm langen, glatten und geflügelten<br />
Spaltfrüchte (Doppelachänen) werden<br />
durch Wind und Tiere verbreitet. Da ist es<br />
durchaus denkbar, dass sich das Hasenohr<br />
über die vorhandene Entfernung von ca. 30<br />
km westwärts ohne Einwirken des Menschen<br />
ausgebreitet hat und für die Hildesheimer<br />
Pflanzenwelt als indigen einzustufen<br />
ist, zumal die Art auch im Alfelder<br />
Raum neu nachgewiesen werden konnte<br />
(Doebel, Alfeld, mündliche Mitteilung.).<br />
Wie hoch ist der Anteil gefährdeter<br />
Sippen der „Roten Liste“? Diese erschien<br />
2004 in einer überarbeiteten Form (Garve<br />
2004), die für unsere weiteren Untersuchungen<br />
sowie die Veröffentlichung Neues<br />
zur Flora von Hildesheim (Müller 2010)<br />
genutzt wurde. Danach gehören aus dem<br />
Zugewinn der 93 neuen Arten nur 18 (=<br />
19,4 %) der aktualisierten Roten Liste an.<br />
Sechs von ihnen sind der Gefährdungskategorie<br />
2 („stark gefährdet“) zugeordnet,<br />
die übrigen 12 der Kategorie 3 („gefährdet“).<br />
Die Wuchsorte verteilen sich auf<br />
14 der 112 Quadratfelder (Abb. 7), sie liegen<br />
überwiegend im Westen und Norden<br />
der Stadt und schließen naturnahe (oligohemerobe)<br />
Lebensräume wie die Giesener<br />
Teiche und den Standortübungsplatz ein.<br />
Neue Fundorte der als „sehr selten“<br />
oder „selten“ eingestuften Sippen<br />
Gemeint sind jene 413 Arten, deren<br />
Vorkommen in der Flora von Hildesheim<br />
(Müller 2001) nur in 1 % – 4 % der Rasterfelder<br />
(= sehr selten) oder in 5 % – 9 %<br />
(= selten) nachgewiesen wurden. 211 dieser<br />
Vertreter (= 51,1 %) hatten weitere Rasterfelder<br />
erobert. Die Beobachtung belegt<br />
eine überraschende Ausbreitungstendenz<br />
gerade auch der im Stadtgebiet raren Arten.<br />
Dennoch verlangt die Aussage eine<br />
nicht unwesentliche Differenzierung. Filtern<br />
wir aus der „Zuwachsrate“ der 211<br />
Sippen die gefährdeten Arten der „Roten<br />
Liste“ heraus, so erhalten wir einen Anteil<br />
von 17,5 %. Bei der Gesamtzahl der 413<br />
Vertreter betrug er jedoch noch 25,9 %.<br />
Demnach steht die Ausbreitungstendenz<br />
der Arten der „Roten Liste“ deutlich hinter<br />
derjenigen der nicht gefährdeten Pflanzen<br />
zurück.<br />
Anders verhält es sich bei den „Neubürgern“<br />
der Stadt, den Neophyten. Ihr Anteil<br />
unter den 413 Sippen beträgt 32,4 %.<br />
In der Ausbreitungsgruppe der 211 Vertreter<br />
liegt aber ihr Bestand bei 37,4 %. Diese<br />
Werte belegen eine um mehr als 13 %<br />
erhöhte Ausbreitungstendenz der Neophyten<br />
(Abb. 8).<br />
Arten mit rascher Ausbreitung<br />
Ein Vergleich der Kartierungsergebnisse<br />
der Flora von Hildesheim (Müller 2001)<br />
mit denen der Publikation Neues zur Flora<br />
von Hildesheim (Müller 2010) bot ein<br />
überraschendes Bild: Bestimmte Arten,<br />
deren Vorkommen ursprünglich in den<br />
Rasterfeldern als nur selten oder spärlich<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Flora und Florenwandel im Stadtgebiet Hildesheim<br />
63<br />
Abb. 8 Prozentualer Anteil der Rote-Liste-Arten<br />
und der Neophyten aus der Gruppe der „seltenen“<br />
und „sehr seltenen“ Sippen in Müller (2001) und<br />
aus dem Anteil der „seltenen“ und „sehr seltenen“<br />
Arten mit neuen Fundorten (=Zuwachsgruppe).<br />
a: Rote-Liste-Arten in Müller( 2001), b: Rote-Liste-<br />
Arten in der Zuwachsgruppe, c: Neophyten in Müller<br />
(2001), d: Neophyten in der Zuwachsgruppe.<br />
eingestuft werden konnte, überzogen anschließend<br />
innerhalb weniger Jahre große<br />
Teile der Stadt. Als Beispiele seien drei<br />
Süßgräser, ein Korbblütler und ein Vertreter<br />
der Nelkengewächse genannt:<br />
• Kleines Liebesgras (Eragrostis minor)<br />
• Mäuseschwanz-Federschwingel (Vulpia<br />
myuros)<br />
• Grüne Borstenhirse (Setaria viridis)<br />
• Schmalblättriges Greiskraut (Senecio<br />
inaequidens)<br />
• Kahles Bruchkraut (Herniaria glabra)<br />
Das Kleine Liebesgras (Abb. 9) besie-<br />
Abb. 9 Kleines Liebesgras (Eragrostis minor).<br />
delte ursprünglich nur 12 % der städtischen<br />
Rasterfelder. Wenige Jahre später<br />
hatte es die gesamte Innenstadt erobert<br />
(Abb. 10). Der Flächenanteil des Federschwingels<br />
(Abb. 11) stieg von 11 % auf<br />
29 % (Abb. 12a), der der Borstenhirse<br />
(Abb. 13) von 10 % auf 23,2 % (Abb. 12b)<br />
und der des Greiskrautes (Abb. 14) von<br />
5 % auf 44 % (Abb. 15a). Ähnlich breitete<br />
sich das Bruchkraut (Abb. 16) von 6 % auf<br />
18 % aus (Abb. 15b). Worin könnten die<br />
Ursachen dieser fast explosiven Vermehrung<br />
liegen?<br />
Mögliche Ursachen des Florenwandels<br />
Faktor Klima<br />
Alle fünf Sippen besiedeln Ruderalflächen<br />
auf eher trockenem Boden, wachsen<br />
häufig in Pflasterfugen oder auch im<br />
Bahnschotter sowie – mit Blick auf das<br />
Greiskraut – an Mauerfüßen, Weg- und<br />
Straßenrändern oder im Industriegelände.<br />
Dem entspricht das ökologische Verhalten<br />
dieser fünf Arten: Es verweist auf ähnliche<br />
Ansprüche (Licht-, Wärme- und Trockniszeiger),<br />
wie sie Ellenberg et al. (1992) mit<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
75<br />
74<br />
73<br />
58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71<br />
64 Werner Müller<br />
Abb. 12:<br />
84<br />
83 • • • • •<br />
82 • • ▲ • • • •<br />
81 • • • • ▲ • • • •<br />
80 • • • ▲ ▲ ▲ •<br />
79 • • • • • ▲ •<br />
78 • • ▲ • • ▲ •<br />
77 ▲ ▲ ▲ • • • •<br />
76 ▲ ▲ • • • • •<br />
75<br />
▲<br />
• • •<br />
74<br />
73<br />
58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71<br />
Abb. 10 Verbreitung des Kleinen Liebesgrases.<br />
= altes, in Müller (2001) genanntes Vorkommen,<br />
Abb. 14 a:<br />
• = neues Vorkommen.<br />
84<br />
83<br />
ihren Zeigerwerten für Licht (L), Temperatur<br />
(T) und Feuchtigkeit (F) in einer<br />
neunstufigen Skala differenziert zur Darstellung<br />
gebracht haben (Tab. 3).<br />
Gegenüber den 1990er-Jahren begann<br />
das dritte Jahrtausend mit trockenen, heißen<br />
und sonnenreichen Sommertagen. Da<br />
drängt sich die Hypothese auf, ob nicht der<br />
oft zitierte Klimawandel zu dieser Entwicklung<br />
beigetragen haben könnte.<br />
82 • ▲ ▲ ▲ ▲ •<br />
81 • ▲ • • ▲ • • •<br />
Abb. 80 11 Mäuseschwanz-Federschwingel • ▲ ▲ (Vulpia<br />
myuros).<br />
79 ▲ ▲<br />
78 ▲ • •<br />
77<br />
Faktor Boden• • • • •<br />
76 • • •<br />
75<br />
Die industrielle Entwicklung sowie<br />
74<br />
der Verkehr gerade in städtischen Bereichen,<br />
dazu die Mineralstoffdüngung in der<br />
73<br />
58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71<br />
Landwirtschaft haben infolge freigesetzter<br />
Abb. 14 a:<br />
84<br />
83<br />
82 • ▲ ▲ ▲ ▲ •<br />
81 • ▲ • • ▲ • • •<br />
80 • ▲ ▲<br />
79 ▲ ▲<br />
78 ▲ • •<br />
77 • • • • •<br />
76 • • •<br />
75<br />
74<br />
73<br />
58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71<br />
Abb. 12a Federschwingel in alten () und neuen<br />
Abb. 14 (•) b: Rasterfeldern.<br />
Abb. 14 b:<br />
84 ▲<br />
83 ▲<br />
82 ▲ ▲ • ▲ •<br />
81 • ▲ ▲ • • ▲<br />
80 ▲ •<br />
79 • • ▲ • •<br />
78<br />
77 • • •<br />
76 • •<br />
75 ▲<br />
74<br />
73<br />
58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71<br />
Abb. 12b Borstenhirse in alten () und neuen<br />
(•) Rasterfeldern.<br />
84 ▲<br />
83 ▲<br />
82 ▲ ▲ • ▲ •<br />
81 <strong>Naturhistorica</strong> Berichte • ▲ der Naturhistorischen ▲ • • Gesellschaft ▲ Hannover <strong>156</strong> · 2014<br />
80 ▲ •<br />
79 • • ▲ • •
Flora und Florenwandel im Stadtgebiet Hildesheim<br />
65<br />
Abb. 17 a:<br />
Abb. 13 Grüne Borstenhirse (Setaria viridis).<br />
Stickstoffoxide eine unmittelbare Auswirkung<br />
auf die Zusammensetzung des<br />
Bodens (Lerch 1991, Sukopp & Wittig<br />
1993). Über das Verhalten der Pflanzen<br />
als Antwort auf die sich ändernden<br />
Standortbedingungen geben auch hier die<br />
Abb. 17 a:<br />
84<br />
83 • • ▲<br />
82 • • • ▲ • • •<br />
81 • • • • ▲ • • • •<br />
80 • • • • ▲ • • • •<br />
Abb. 14 Schmalblättriges Greiskraut<br />
79 • • • • • • ▲ (Senecio<br />
inaequidens).<br />
• •<br />
78 • • • • ▲<br />
77 • • • • •<br />
Zeigerwerte 76 von Ellenberg • • et al. (1992)<br />
Auskunft. 75 Zu berücksichtigen sind die<br />
Stickstoff 74 (N)- und die Reaktionszahl (R),<br />
wobei<br />
73<br />
N 1 als stickstoffarm, N 9 als übermäßig<br />
stickstoffreich, R 1 als stark sauer,<br />
58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71<br />
R 9 als basenreich gilt.<br />
Abb. 17 b:<br />
84<br />
83 • • ▲<br />
82 • • • ▲ • • •<br />
81 • • • • ▲ • • • •<br />
80 • • • • ▲ • • • •<br />
79 • • • • • • ▲ • •<br />
78 • • • • ▲<br />
77 • • • • •<br />
76 • •<br />
75<br />
74<br />
73<br />
58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71<br />
Abb. 15a Greiskraut in alten () und neuen (•)<br />
Abb. 17 Rasterfeldern.<br />
b:<br />
84<br />
83<br />
82 • •<br />
81 • • • ▲ ▲ • • •<br />
80 ▲ ▲<br />
79 • ▲ ▲ ▲<br />
78 •<br />
77 • •<br />
76 •<br />
75<br />
74<br />
73<br />
58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71<br />
Abb. 15b Bruchkraut in alten () und neuen (•)<br />
Rasterfeldern.<br />
84<br />
83<br />
82 • •<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014<br />
81 • • • ▲ ▲ • • •<br />
80 ▲ ▲<br />
79 ▲ ▲ ▲
66 Werner Müller<br />
Abb. 16 Kahles Bruchkraut (Herniaria glabra).<br />
Stark belastete Böden weisen einen erhöhten<br />
Stickstoffanteil auf und führen zu<br />
einer Verschiebung der Reaktionseigenschaften<br />
zu höheren Werten hin (Wittig<br />
1991). Dadurch erfolgt ein sukzessiver<br />
Wandel des Artenspektrums, bei dem Formen<br />
mit höheren Zeigerwerten für R und<br />
N in ihrem Konkurrenzdruck die Vorherrschaft<br />
gewinnen und andere Sippen verdrängen.<br />
Betrachten wir zunächst den Faktor<br />
Stickstoff: Wie bereits dargestellt, gelten z.<br />
Z. im Stadtgebiet 168 Sippen als verschollen<br />
bzw. ausgestorben. Deren Zeigerwerte<br />
für N zeigen, dass es sich weit überwiegend<br />
um Arten stickstoffarmer Böden handelt:<br />
49 % weisen Zeigerwerte von N 1 – N 3<br />
auf, und nur 19 % besiedeln stickstoffreiche<br />
Böden (Abb. 17). Hier könnte eine<br />
wachsende Stickstoffbelastung zu einer<br />
Verdrängung dieser Arten geführt haben.<br />
Ein bemerkenswertes Spektrum weist<br />
die aktuelle Flora (Müller 2010) auf. Zunächst<br />
stellen wir den nach der Kartierung<br />
10 häufigsten Sippen der Stadt die Arten<br />
gegenüber, die nur in einem Quadratfeld<br />
gefunden wurden, keine Wasserpflanzen<br />
sind, nicht zu den Neophyten zählen, da<br />
deren Einbürgerung evtl. noch nicht abgeschlossen<br />
ist, und im Rasterfeld selbst<br />
nicht als Einzelpflanzen oder in geringer<br />
Individuenzahl auftreten (Tab. 4).<br />
Die „top ten“ der im gesamten Stadtbereich<br />
verbreiteten Arten zeigen Stickstoffzahlen<br />
nicht unter 6, ihr gemittelter Wert<br />
(7,7) weist sie als ausgesprochene Stickstoffzeiger<br />
aus. Demgegenüber liegen die<br />
Zeigerwerte der im Stadtgebiet nur sehr<br />
rar vertretenen Sippen zwischen 2 und 5<br />
und erreichen nur in einem Fall eine 6. Ihr<br />
Durchschnittswert beträgt 4,0 (d. h. auf<br />
stickstoffarmen bis nur mäßig stickstoffreichen<br />
Böden).<br />
Die dargestellten Werte lassen eine Anpassung<br />
erkennen, bei der sich auf hohe<br />
Stickstoffzahlen ausgerichtete Arten auf<br />
Kosten von Vertretern mit geringerer<br />
Stickstofftoleranz etablierten.<br />
Signifikante Werte zeigen auch die Reaktionszahlen<br />
(R). Hier fällt vor allem auf,<br />
dass die häufigen Vertreter der Flora zu<br />
70 % ein indifferentes Verhalten (x) aufweisen,<br />
d. h. sie ertragen in einer weiten<br />
Tab. 3 Zeigerwerte für Licht (L), Temperatur (T) und Feuchtigkeit (F) bei ausgewählten Arten mit<br />
starker Ausbreitungstendenz.<br />
Zeigerwerte L T F<br />
Kleines Liebesgras (Eragrostis minor) 8 7 3<br />
Grüne Borstenhirse (Setaria viridis) 7 6 4<br />
Mäuseschwanz-Federschwingel (Vulpia myuros) 8 7 2<br />
Schmalblättriges Greiskraut (Senecio inaequidens) 8 7 3<br />
Kahles Bruchkraut (Herniaria glabra) 8 6 3<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Flora und Florenwandel im Stadtgebiet Hildesheim<br />
67<br />
Artenzahl<br />
40<br />
35<br />
Abb. 17 Stickstoffzahlen<br />
der ausgestorbenen<br />
bzw. verschollenen<br />
Sippen.<br />
30<br />
25<br />
20<br />
15<br />
10<br />
5<br />
0<br />
N 1 N 2 N 3 N 4 N 5 N6 N 7 N 8 N 9<br />
N 1 – N 3: 76 Sippen (49 %) N 7 – N 9: 29 Sippen (19 %)<br />
ökologischen Amplitude eine ebenso saure<br />
wie basische Bodenreaktion. Ein Vergleich<br />
zu den R-Werten der seltenen<br />
Arten erscheint aus diesem Grunde fragwürdig.<br />
Es wird dennoch deutlich, dass die<br />
Bodenverhältnisse der Stadt im Hinblick<br />
auf die Zeigerwerte für R den häufigen reaktionstoleranten<br />
Vertretern der Hildesheimer<br />
Pflanzenwelt einen bevorzugten<br />
Lebensraum bieten.<br />
Tab. 4 Gegenüberstellung häufiger und seltener Arten mit ihren Zeigerwerten für R und N.<br />
Die 10 häufigsten Arten<br />
(in fast allen Rasterfeldern) R N<br />
Seltene Arten<br />
(nur in einem Rasterfeld) R N<br />
Acker-Distel (Cirsium arvense) x 7 Sumpffarn (Thelypteris palustris) 5 6<br />
Löwenzahn (Taraxacum officinale agg.) x 8 Langblättriges Hasenohr<br />
(Bupleurum longifolium)<br />
9 5<br />
Große Brennnessel (Urtica dioica) 7 9 Sumpf-Sternmiere (Stellaria palustris) 4 2<br />
Vogelmiere (Stellaria media) 7 8 Wimper-Segge (Carex pilosa) 5 5<br />
Kriech. Hahnenfuß (Ranunculus repens) x 7 Steife Segge (Carex elata) x 5<br />
Kletten-Labkraut (Galium aparine) 6 8 Hirsen-Segge (Carex panicea) x 4<br />
Einjähr. Rispengras (Poa annua) x 8 Faden-Binse ( Juncus filiformis) 4 3<br />
Gew. Beifuß (Artemisia vulgaris) x 8 Heil-Ziest (Betonica officinalis) x 3<br />
Spitz-Wegerich (Plantago lanceolata) x x Bitterkraut-Sommerwurz<br />
(Orobanche picridis)<br />
Gew. Knäuelgras (Dactylis glomerata) x 6 Stängelumfassendes Hellerkraut<br />
(Thlaspi perfoliatum)<br />
7 5<br />
8 2<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
68<br />
Literatur<br />
Cramer, Josef Anton (1792): Physische Briefe<br />
über Hildesheim und dessen Gegend: 450 S.,<br />
Faksimiledruck 1976. – Hildesheim.<br />
Doebel, Hermann, Alfeld, mündliche Mitteilung.<br />
Düll, Ruprecht.; Kutzelnigg, Herfried. (1987):<br />
Punktkartenflora von Duisburg und Umgebung:<br />
378 S. – Rheurdt.<br />
Ellenberg, Heinz; Weber, Heinrich E.; Düll,<br />
Ruprecht; Wirth, Volkmar; Werner, Willi;<br />
Paulißen, Dirk (1992): Zeigerwerte von<br />
Pflanzen in Mitteleuropa. – Scripta Geobotanica<br />
18: 258 S. – Göttingen.<br />
Garve, Eckhard (1993): Rote Liste der gefährdeten<br />
Farn- und Blütenpflanzen in Niedersachsen<br />
und Bremen. – Informationsdienst<br />
Naturschutz Niedersachsen 13: 37 S. – Hannover.<br />
Garve, Eckhard (1994 a): Atlas der gefährdeten<br />
Farn- und Blütenpflanzen in Niedersachsen<br />
und Bremen. – Natursch. Landschaftspfl.<br />
Nieders. 30/1: 895 S. – Hannover.<br />
Garve, Eckhard (2004 b): Rote Liste und Florenliste<br />
der Farn- und Blütenpflanzen in<br />
Niedersachsen und Bremen. – Informationsdienst<br />
Naturschutz Niedersachsen 24: 1 – 76.<br />
– Hildesheim.<br />
Gutte, Peter (2006): Flora der Stadt Leipzig:<br />
278 S. – Jena.<br />
Hübschen, Josef (2007): Flora von Coesfeld. –<br />
Abhandlungen aus dem Westfälischen Museum<br />
für Naturkunde 69, H.3/4: 356 S. –<br />
Münster.<br />
Jung, Klaus-Dieter (1992): Flora des Stadtgebietes<br />
von Darmstadt: 572 S. – Darmstadt.<br />
Kämpfe, Stefan (2009): Die Flora Weimars<br />
und seiner Umgebung. – Weimarer Schriften.<br />
64: 152 S. – Weimar.<br />
König, Peter (2005): Floren- und Landschaftswandel<br />
von Greifswald und Umgebung:<br />
629 S. – Jena.<br />
Kunick, Wolfram (1974): Veränderungen von<br />
Flora und Vegetation einer Großstadt, dargestellt<br />
am Beispiel von Berlin (West). –<br />
Dissertation TU Berlin.<br />
Lerch, Gerhard (1991): Pflanzenökologie:<br />
535 S. – Berlin.<br />
Müller, Werner (2001): Flora von Hildesheim.<br />
– Natur und Landschaft im Landkreis Hildesheim<br />
3: 366 S. – Hildesheim.<br />
Müller, Werner (2010): Neues zur Flora von<br />
Hildesheim. – Natur und Landschaft im<br />
Landkreis Hildesheim 6: 142 S. – Hildesheim.<br />
Nagler, Andreas; Cordes, Hermann (1993):<br />
Atlas der gefährdeten und seltenen Farnund<br />
Blütenpflanzen im Land Bremen. –<br />
Abhandlungen des Naturwissenschaftlichen<br />
Vereins Bremen 42/2: 161 – 580. – Bremen.<br />
Poppendieck, Hans-Helmut et al. (2010):<br />
Der Hamburger Pflanzenatlas von A bis Z:<br />
568 S. – München.<br />
Scholz, Hildemar (1956): Die Ruderalvegetation<br />
Berlins. – Dissertation Freie Universität<br />
Berlin.<br />
Sukopp, Herbert; Wittig, Rüdiger (1993):<br />
Stadtökologie: 402 S. – Stuttgart.<br />
Wittig, Rüdiger (1991): Ökologie der Großstadtflora:<br />
261 S. – Stuttgart.<br />
Abbildungen 2 – 8, 10, 12, 15:<br />
Geobasisdaten © Stadt Hildesheim<br />
Arbeit eingereicht: 23.08.2013<br />
Arbeit angenommen: 27.06.2014<br />
Anschrift des Verfassers:<br />
Werner Müller<br />
Ahornweg 12<br />
31199 Diekholzen<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
69<br />
Vergleichende Vegetationsuntersuchungen in<br />
einem Buchenwald und einem Hainbuchen-<br />
Niederwald bei Wittenburg, Stadt Elze<br />
(Landkreis Hildesheim)<br />
Max Peters<br />
Vergleichende Vegetationsuntersuchungen in<br />
Buchenwäldern bei Wittenburg<br />
Zusammenfassung<br />
Innerhalb eines nördlich von Wittenburg<br />
(bei Elze im Landkreis Hildesheim)<br />
gelegenen Waldstücks konnte eine klare<br />
Trennung zwischen Buchen-Hochwald<br />
und Hainbuchen-Niederwald ausgemacht<br />
werden. Folglich bot sich eine vergleichende<br />
Vegetationsuntersuchung an, die klären<br />
sollte, welche Pflanzen am Standort<br />
vorkommen und wie sich die Waldtypen<br />
unterscheiden. Über die Ermittlung der<br />
Zeigerwerte (Ellenberg 2001) wurde der<br />
Standort zudem charakterisiert.<br />
Insgesamt konnten 89 Pflanzenarten<br />
festgestellt werden. Elf dieser Pflanzen stehen<br />
auf der Roten Liste und Florenliste<br />
der Farn- und Blütenpflanzen in Niedersachsen<br />
und Bremen (Garve 2004). Der<br />
Vergleich der Ergebnisse der pflanzensoziologischen<br />
Aufnahmen zeigt, dass die<br />
zwei Waldtypen eine sehr unterschiedliche<br />
Struktur aufweisen. Der Niederwald ist um<br />
ein Drittel diverser und die Deckung der<br />
Krautschicht ist wesentlich höher. Zudem<br />
fanden sich zehn der elf geschützten Pflanzenarten<br />
im Niederwald. Aus den ermittelten<br />
Zeigerwerten ist zu schließen, dass<br />
der Boden des Niederwaldes mittelfeucht,<br />
schwach sauer bis schwach alkalisch und<br />
mineralstoffreich ist. Die relative Beleuchtung<br />
beträgt 10 – 20 %. Der Boden im Buchenwald<br />
hingegen ist etwas saurer und<br />
weniger mineralstoffreich. Die relative Beleuchtung<br />
liegt hier in dem für Schattenpflanzen<br />
typischen Bereich von 5 bis 10 %.<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
70 Max Peters<br />
Somit ist ein Einfluss der forstwirtschaftlichen<br />
Nutzung auf den Artenbestand<br />
und dessen Vielfalt festzustellen. Der<br />
Niederwald kann als ein sehr diverser und<br />
individueller Standort beschrieben werden.<br />
Eine fehlende Nutzung könnte zu einem<br />
Rückgang der Artenvielfalt führen,<br />
da die natürliche Sukzession den Zuwachs<br />
von Bäumen und damit einhergehend den<br />
Rückgang von Kräutern und Sträuchern<br />
bedingt. Daher sollte zum Erhalt der individuellen<br />
Biodiversität in verschiedenen<br />
Niederwäldern im Landkreis Hildesheim<br />
ein Konzept für die erneute Nutzung etabliert<br />
werden.<br />
Einleitung<br />
Wittenburg hat eine geschichtsträchtige<br />
Vergangenheit. Der Ort beherbergte<br />
eine Burg und ein Kloster, von dem noch<br />
die große Klosterkirche und einige Wirtschaftsgebäude<br />
erhalten sind. Damit erklärt<br />
sich die frühzeitige Nutzung des<br />
Waldes, da Niederwälder hauptsächlich in<br />
dicht besiedelten Gegenden entstanden, in<br />
denen es schon früh zu Holzmangel kam<br />
(Ellenberg et al. 1996).<br />
Bei der Niederwaldwirtschaft handelt es<br />
sich um eine traditionelle Form der Waldnutzung<br />
(Ellenberg et al. 1996). Dabei erfolgt<br />
die Verjüngung der Bäume nicht über<br />
Sämlinge, sondern über die Austriebe am<br />
Baumstumpf. Die Bäume werden wiederholt<br />
„auf den Stock gesetzt“, und aus dem<br />
Stumpf wachsen mehrere neue Sekundärstämme<br />
(Abb. 1). So wurden der Fortbestand<br />
des Waldes und gleichzeitig die Sicherung<br />
von Brennmaterial gewährleistet.<br />
Durch diese Bewirtschaftungsform werden<br />
Baumarten mit hohem Regenerationsvermögen<br />
wie Hainbuche, Linde, Ahorn,<br />
Esche und Hasel begünstigt. Eichen-,<br />
Ulmen- und Pappelarten sind hingegen<br />
weniger ausschlagsfreudig. Die geringste<br />
Regenerationsfähigkeit besitzt jedoch<br />
die Rotbuche. Daher wurde sie durch die<br />
weite Verbreitung der Niederwaldwirtschaft<br />
in den vergangenen Jahrhunderten<br />
immer mehr zurückgedrängt (Ellenberg et<br />
al. 1996).<br />
Die vorliegende Untersuchung fügt sich<br />
in eine Reihe weiterer Analysen von Niederwäldern<br />
im Landkreis Hildesheim ein<br />
(Hofmeister 2005, Geestmann 2010). Die<br />
Besonderheit bei der vorliegenden Arbeit<br />
besteht darin, dass direkt nebeneinander<br />
zwei unterschiedliche Waldtypen auftreten,<br />
ein Buchen-Hochwald und ein Hainbuchen-Niederwald.<br />
Abb. 1 Wuchsform von Hainbuchen im Niederwald<br />
bei Wittenburg. Ein früherer Kernwuchs<br />
befand sich in der Mitte der Sekundärtriebe.<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Vergleichende Vegetationsuntersuchungen in Buchenwäldern bei Wittenburg<br />
71<br />
Im Fokus steht daher der pflanzensoziologische<br />
Vergleich der zwei Waldtypen.<br />
Beide Waldtypen grenzen unmittelbar aneinander<br />
und sind nur durch einen kleinen<br />
Pfad voneinander getrennt. Es kann davon<br />
ausgegangen werden, dass in beiden<br />
Waldtypen identische oder sehr ähnliche<br />
Standortparameter in Bezug auf Sonneneinstrahlung,<br />
Temperatur, Niederschlag<br />
und die Bodenverhältnisse auftreten. Andererseits<br />
ist der Unterwuchs eines Waldes<br />
mehr oder minder vom Außenklima abgeschirmt<br />
(Ellenberg et al. 1996). Innerhalb<br />
des Waldes herrscht ein bestimmtes<br />
Bestandsklima. Daher sind Faktoren wie<br />
Lichtmangel, Wasserentzug, Luftfeuchtigkeit<br />
oder das durch die Kronenschicht<br />
tropfende Wasser von zentraler Bedeutung.<br />
Zusätzlich wird die Krautschicht<br />
wesentlich von der Bodenbeschaffenheit<br />
beeinflusst, die im Hinblick auf den geologischen<br />
Untergrund als nahezu gleich angesehen<br />
werden kann. Unterschiede in der<br />
Artenzusammensetzung der Krautschicht<br />
müssen daher letztendlich vor allem auf<br />
die jeweilige Waldbewirtschaftung zurückgeführt<br />
werden, da dieser Faktor zu veränderten<br />
biotischen wie abiotischen Verhältnissen<br />
führt.<br />
Material und Methoden<br />
Bei dem zu untersuchenden Standort<br />
handelt es sich um ein ca. 9 ha großes<br />
Waldstück, das ungefähr 200 m nördlich<br />
von Wittenburg gelegen und von Feldern<br />
und Wiesen umgeben ist (Abb. 2). Eine<br />
weitere Einordnung ist möglich, wenn die<br />
Abbildung mit der Übersichtskarte von<br />
Geestmann (2010) verglichen wird. Auch<br />
hier ist das Waldstück nördlich von Wittenburg<br />
und östlich von dem von Geestmann<br />
untersuchten Wald zu erkennen. Der<br />
Ort Wittenburg befindet sich im südlichen<br />
Niedersachsen und gehört zur Stadt Elze<br />
im Landkreis Hildesheim. Geographisch<br />
gesehen liegt der Wald zwischen dem Leinetal<br />
im Osten und dem Osterwald im<br />
Westen. Südlich befindet sich der Harz<br />
und von Wittenburg aus sind bei guter<br />
Sicht auch noch die nördlichsten Ausläufer<br />
des Mittelgebirges zu erkennen. Nördlich<br />
von Wittenburg erstreckt sich zwischen<br />
der Barenburg in Osterwald und der Marienburg<br />
ein Höhenzug namens Finie mit<br />
einer Höhe 110 bis 127 m üNN.<br />
Laut dem Landesamt für Bergbau,<br />
Energie und Geologie (LBEG), dem<br />
Geologischen Dienst für Niedersachsen,<br />
finden sich nördlich von Wittenburg Pararendzinen<br />
(Abb. 3). Pararendzinen weisen<br />
zwischen 2 und 70 % Kalk auf und entwickeln<br />
sich oft auf mineralstoffreichem<br />
Löss. Daher ist auf ihnen generell mit der<br />
Entwicklung anspruchsvollerer Buchenwälder<br />
zu rechnen. Ob sich diese einstellen,<br />
hängt von den regionalen Standortbedingungen<br />
ab. Sie variieren in ihrer<br />
Artenzusammensetzung, lassen sich aber<br />
zur Kalkbuchenwaldgruppe zusammenfassen<br />
(Pott 1993). Diese ist mit dem Waldmeister-Buchenwald<br />
verwandt, der durch<br />
seine Funktion als „Grundassoziation“ keine<br />
für ihn typische Charakterart aufweist.<br />
Der nach dem Bodentyp vermutete Buchenwald<br />
konnte festgestellt werden. Das<br />
untersuchte Waldstück unterteilt sich in<br />
einen etwas steileren Osthang und einen<br />
leichter abfallenden Westhang. Ein Waldweg<br />
verläuft auf dem Hügelkamm und<br />
markiert ungefähr die Grenze zwischen<br />
Ost- und Westseite. Auf dem Osthang<br />
wachsen hauptsächlich Rotbuchen (Fagus<br />
sylvatica), diese Fläche macht ca. ein<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
72 Max Peters<br />
Abb. 2 Übersichts- und Detailkarte des Waldstücks<br />
bei Wittenburg (Stadt Elze, Landkreis Hildesheim).<br />
A: Die westliche Hainbuchen-Niederwald-<br />
Seite; B: Die östliche Buchen-Hochwald-Seite<br />
Viertel des Waldes aus (Abb. 2: B). Dieser<br />
Teil wurde forstwirtschaftlich kaum genutzt,<br />
und es gibt keinen Niederwald. Der<br />
westliche Teil des Waldes hat ein anderes<br />
Erscheinungsbild. Hier wird der Standort<br />
durch jüngere Hainbuchentriebe (Carpinus<br />
betulus) geprägt, die durch die Niederwaldwirtschaft<br />
entstanden sind (Abb.<br />
2: A). Die Unterschiede in Struktur und<br />
Bewuchs zwischen dem Buchenwald und<br />
dem Hainbuchen-Niederwald sind in den<br />
Abbildungen 4 und 5 deutlich zu erkennen.<br />
Im Norden befindet sich ein ca. 300 m<br />
langer und 50 m bis 100 m breiter Ausläufer<br />
des Waldes. Dieses Stück wurde bei der<br />
Untersuchung jedoch nicht berücksichtigt,<br />
da große Störungen durch den Randzoneneffekt<br />
vorliegen (Marder 1983).<br />
Um die in den Waldstücken vorkommenden<br />
Pflanzenarten zu erfassen, wurden<br />
insgesamt dreißig Vegetationsaufnahmen<br />
durchgeführt. Hierbei wurde die pflanzensoziologische<br />
Methode nach Braun-<br />
Blanquet (1964) verwendet. Um sowohl<br />
die Frühjahrsgeophyten als auch die Arten<br />
im Sommer zu ermitteln, gab es zwei Untersuchungsintervalle.<br />
Zunächst wurden<br />
Aufnahmen an 15 Standorten im Zeitraum<br />
vom 11. bis 27. April 2010 durchgeführt.<br />
15 weitere Aufnahmen an denselben<br />
Standorten stammen aus dem Zeitraum<br />
vom 12. bis 25. Juli. Hierbei wurde die klare<br />
Gliederung des Waldes in Ost- und Westhang<br />
berücksichtigt und zehn Flächen auf<br />
der Niederwald-Seite sowie fünf Flächen<br />
auf der Hochwald-Seite analysiert.<br />
Bei den Vegetationsaufnahmen wurde<br />
eine Fläche von 10 × 10 m (100 m 2 ) untersucht<br />
und auf eine physiognomischstrukturelle<br />
Homogenität des Bestandes<br />
geachtet (Dierschke 1994). Es wurden<br />
die von Braun-Blanquet eingeführten<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Vergleichende Vegetationsuntersuchungen in Buchenwäldern bei Wittenburg<br />
73<br />
Pararendzina<br />
Pseudogley-<br />
Parabraunerde<br />
Braunerde<br />
Gley<br />
Wald<br />
Abb. 3 Die Bodentypen<br />
bei Wittenburg<br />
Deckungsgrade genutzt. Die für die Individuenzahl<br />
stehenden Deckungsgrade „+“<br />
und „r“, die in der Literatur unterschiedlich<br />
definiert sind, fanden folgende Anwendung:<br />
das „+“ steht für fünf oder mehr<br />
Individuen, aber einen Deckungsgrad von<br />
unter 1%. Das „r“ steht für weniger als fünf<br />
Individuen, die eine geringere Deckung als<br />
1 % aufweisen. Die weiteren Werte sind 1,<br />
2, 3, 4 und 5 und bezeichnen in dieser Reihenfolge<br />
weniger als 5 %, 5 bis 25 %, 25<br />
bis 50 %, 50 bis 75 % und mehr als 75 %<br />
Deckung. Die Gesamtdeckung wurde auf<br />
jeder Fläche bei der Aufnahme geschätzt<br />
und ebenfalls in Prozent angegeben. Die<br />
Bestimmung der Pflanzen erfolgte mit<br />
entsprechender Literatur im Feld (Rothmaler<br />
1999, Schmeil, Fitschen 2006, Aichele,<br />
Golte-Bechtle 2008). Moose wurden<br />
nicht erfasst. Alle identifizierten Pflanzenarten<br />
wurden anschließend tabellarisiert<br />
und mit ihrer Bedeckung und Standortzugehörigkeit<br />
angegeben (Tab. 1).<br />
Zum einen lassen sich direkt über die<br />
identifizierten Pflanzenarten und deren<br />
individuelles Vorkommen Schlussfolgerungen<br />
ziehen und zum anderen ist eine<br />
Analyse über Zeigerwerte möglich. Die<br />
von Ellenberg (2001) eingeführten Zeigerwerte<br />
beziehen sich auf die drei wichtigsten<br />
Klimafaktoren Licht, Wärme und<br />
Kontinentalität sowie die drei Bodenfaktoren<br />
Feuchtigkeit, Bodenreaktion und<br />
Stickstoffversorgung. Zusätzlich wird das<br />
Verhalten in Abhängigkeit vom Vorkommen<br />
von Salz oder Schwermetallen dargestellt.<br />
Aus entsprechenden Tabellen können<br />
die Werte für die einzelnen Pflanzen<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
74 Max Peters<br />
Abb. 4 Der Buchenwald bei Wittenburg<br />
Abb. 5 Der Niederwald bei Wittenburg<br />
entnommen und ein Standort ökologisch<br />
charakterisiert werden. In dieser Arbeit<br />
wurden die Zeigerwerte aller in Wittenburg<br />
gefundener Pflanzenarten für die<br />
Faktoren Licht, Feuchtigkeit, Bodenreaktion<br />
und Stickstoffversorgung ermittelt und<br />
für Hoch- und Niederwald dargestellt.<br />
Ergebnisse der pflanzensoziologischen Aufnahmen<br />
Es konnten insgesamt 89 verschiedene<br />
Pflanzenarten identifiziert werden. 66<br />
Arten wuchsen auf den 15 ausgewählten<br />
Untersuchungsflächen (Tab. 1), 23 weitere<br />
Pflanzenarten wurden außerhalb dieser<br />
Flächen identifiziert. Diese Arten wuchsen<br />
teilweise an Stellen, die durch ihre Heterogenität<br />
nicht für eine pflanzensoziologische<br />
Aufnahme geeignet waren. Dazu gehörten<br />
etwa Waldwege, kleine Lichtungen<br />
oder der Waldrand. Diese Pflanzenarten<br />
wurden deshalb nicht berücksichtigt.<br />
Durch die pflanzensoziologischen Aufnahmen<br />
konnte ermittelt werden, dass<br />
die Baumschicht auf der Westseite des<br />
Waldstücks wie bereits vermutet von der<br />
Hainbuche (Carpinus betulus) dominiert<br />
wird. Die Baumschicht erreicht eine Höhe<br />
von ca. 8 bis 15 m. An fünf Standorten<br />
kommen jeweils Exemplare der Traubeneiche<br />
(Quercus petraea) und des Feldahorns<br />
(Acer campestre) vor. Zwei Standorte zeigen<br />
auch das Vorkommen der Rotbuche (Fagus<br />
sylvatica). Zusätzlich wurden außerhalb<br />
der Untersuchungsflächen die Hänge-Birke<br />
(Betula pendula), die Süß-Kirsche<br />
(Prunus avium) und die Elsbeere (Sorbus<br />
torminalis) gefunden. Die Baumschicht besteht<br />
also insgesamt aus sieben Baumarten.<br />
Auf der Ostseite kommt hauptsächlich die<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Vergleichende Vegetationsuntersuchungen in Buchenwäldern bei Wittenburg<br />
75<br />
Abb. 6 Das Männliche Knabenkraut (Orchis<br />
mascula)<br />
Abb. 7 Die Waldschlüsselblume (Primula elatior)<br />
Rotbuche (Fagus sylvatica) vor. Die Höhe<br />
beträgt hier zwischen minimal ca. 15 m<br />
und maximal ca. 25 m. Außerdem kommen<br />
die Hainbuche (Carpinus betulus) auf<br />
drei Flächen und die Traubeneiche (Quercus<br />
petraea) an einem Standort vor, die Gesamtzahl<br />
an Baumarten beträgt drei.<br />
Die Strauchschicht auf der Niederwaldseite<br />
zeigt an vier Standorten Exemplare<br />
vom Feldahorn (Acer campestre), der Gewöhnlichen<br />
Esche (Fraxinus excelsior) und<br />
der Gewöhnlichen Mahonie (Mahonia<br />
aquifolium, Neophyt aus dem Westen der<br />
USA), sie ist vermutlich aus einem Garten<br />
eingewandert oder angepflanzt. Zwei weitere<br />
Standorte weisen den Schwarzen Holunder<br />
(Sambucus nigra) auf, und an einem<br />
anderen Standort kommt die Strauchform<br />
der Hainbuche (Carpinus betulus) vor. Insgesamt<br />
kommen in dem Hainbuchen-Niederwald<br />
fünf Straucharten vor, die eine<br />
Höhe von bis zu einem Meter erreichen.<br />
Die Strauchschicht im Buchenwald besteht<br />
aus Hasel (Corylus avellana), Brombeere<br />
(Rubus fruticosus agg.), Himbeere (Rubus<br />
idaeus), Schwarzem Holunder (Sambucus<br />
nigra) und Jungwuchs von Feldahorn (Acer<br />
campestre), Hainbuche (Carpinus betulus),<br />
Rotbuche (Fagus sylvatica) und Gewöhnlicher<br />
Esche (Fraxinus excelsior). Hierbei dominieren<br />
Brombeere, Gewöhnliche Esche<br />
und Hainbuche, die jeweils an vier von fünf<br />
untersuchten Standorten vorkommen. Die<br />
Gesamtzahl an Arten beträgt acht, und<br />
die Sträucher erreichen eine Höhe bis maximal<br />
1,50 m. Die Bedeckung beträgt im<br />
Mittel 15 %.<br />
Die Krautschicht im Niederwald besteht<br />
aus insgesamt 52 Arten. Deren Bedeckung<br />
beträgt im April durchschnittlich 65 % und<br />
im Juli 48,5 %. Die maximale Artenzahl in<br />
einer der untersuchten Fläche beträgt 24,<br />
und die minimale 16. Im Durchschnitt<br />
wurden bei jeder Vegetationsaufnahme<br />
18,4 Pflanzenarten gefunden. Das Gelbe<br />
Windröschen (Anemone ranunculoides)<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
76 Max Peters<br />
Tab. 1 Pflanzenarten der 15 Vegetationsaufnahmen. Untergruppen: a (rechte Spalte) Sträucher, die nur im Buchenwald vorkommen; b (rechte Spalte) Pflanzenarten,<br />
die an fast allen Standorten auf der Niederwaldseite vorkommen; c (rechte Spalte) Pflanzenarten, die sich oftmals ihren Standort mit dem Gelben Eisenhut<br />
(Aconitum lycoctonum) teilen; d (rechte Spalte) Arten die mehrmals mit dem Gold-Hahnenfuß (Ranunculus auricomus) auf einer Fläche wachsen; e (rechte Spalte)<br />
Arten, die mit hoher Stetigkeit nur auf der Buchenwaldseite wachsen; f (rechte Spalte) Pflanzen, die nahezu an allen Standorten in beiden Waldtypen vorkommen.<br />
Hainbuchen-Niederwald Buchen-Hochwald<br />
Standort<br />
9 10 6 5 4 7 8 2 3 1 14 15 12 13 11<br />
Jahreszeit - April - Juli A J A J A J A J A J A J A J A J A J A J A J A J A J A J A J<br />
Pflanze<br />
Acer campestre 1 1 1 1 2 2 1 1 1 2<br />
B. Carpinus betulus 3 4 3 4 3 5 4 5 3 3 3 3 3 4 3 4 3 4 3 4 1 1 3 3 1 2<br />
Fagus sylvatica 2 2 1 1 3 5 4 5 2 3 4 5 4 5<br />
Quercus petraea 2 2 2 2 1 2 1 1 2 2 1 1<br />
Carpinus betulus + 1 1 + 1 2 2 1 1<br />
Str. Fraxinus excelsior 1 1 2 2 2 3 1 1 2 3 + 1 1 1 1<br />
Rubus fruticosus agg. 1 1 + 2 2 3 1 2<br />
Fagus sylvatica 1 1 1 + +<br />
Corylus avellana 1 1<br />
Acer campestre 1 1 + + 1 1 r 1 + r<br />
Mahonia aquifolium + 1 1 1 r r 1 1<br />
Rubus idaeus 1 1<br />
Sambucus nigra + 1 + 1 + +<br />
Anemone ranunculoides 2 1 2 3 3 2 3 2 3 3 1 1<br />
Kr. Galium odoratum 1 2 1 2 1 2 2 2 2 2 2 3 2 3 + 1 + + +<br />
Anemone nemorosa 1 1 2 1 + + r 2 2 +<br />
Mercuralis perennis 1 1 2 2 2 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1<br />
Fraxinus excelsior + + 1 1 1 1 2 1 + 1 + r + 1<br />
Geum urbanum r r 1 + 1 1 + r + r r r<br />
Aconitum lycoctonum 1 1 2 2 3 3 1 2<br />
Primula elatior 1 1 + + r 1 1 +<br />
Lamium purpureum + r + r + r +<br />
Lamiastrum galeobdolon + + r + + + 1 + 1<br />
Acer platanoides + + + r<br />
Stellaria holostea 1 1 1 1 1<br />
Melica uniflora 1 + 1 + +<br />
Galium aparine 2 1 1 1<br />
Lilium martagon 1 1 1 1 1 1 r<br />
Arum maculatum + + + + + + r r<br />
Ranunculus auricomus + 1 + r +<br />
Hedera helix 1 1 1 1<br />
Veronica officinalis r r + r<br />
Aegopodium podagraria r r r r r<br />
Fragaria vesca + r r r<br />
Sorbus aucuparia r r r + + + +<br />
Campanula rapunculoides 1 + + +<br />
Sanicula europaea r r r r<br />
Fagus sylvatica + 1 1 2 + 2 2 2 2 1 2<br />
Untergruppe<br />
a<br />
b<br />
c<br />
d<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Vergleichende Vegetationsuntersuchungen in Buchenwäldern bei Wittenburg<br />
77<br />
Sanicula europaea r r r r<br />
Fagus sylvatica + 1 1 2 + 2 2 2 2 1 2<br />
Carpinus betulus r 1 1 1 1 + 1 1 1 1 1<br />
Rubus fruticosus agg . 1 2 1 1 + r +<br />
Impatiens parviflora 1 1 2 2<br />
Luzula luzuloides 1 1 1 +<br />
Acer campestre + 1 + + 1 + 1 + 1 + 1 + 1 1 2 2 r 1 r r r + +<br />
Viola reichenbachiana + + 1 + + 1 + + + + 1 1 1 + 1<br />
Glechoma hederacea + r r<br />
Hordelymus europaeus + +<br />
Ribes uva-crispa r<br />
Pulmonaria officinalis +<br />
Sambucus nigra + 1<br />
Circaea lutetiana +<br />
Crataegus laevigata +<br />
Mahonia aquifolium r<br />
Rhamnus cathartica 1<br />
Rumex sanguineus +<br />
Orchis mascula 1<br />
Ajuga reptans r<br />
Pulmonaria mollis r<br />
Ranunculus ficaria + +<br />
Geranium robertianum 1<br />
Ulmus glabra r r r r<br />
Vicia sativa r<br />
Alliaria petiolata 2 2<br />
Quercus petraea r r<br />
Carex sylvatica 1<br />
Convallaria majalis 1<br />
Corydalis cava r +<br />
Veronica hederifolia r<br />
Hieracium murorum +<br />
Poa chaixii r +<br />
Hypericum hirsutum r<br />
Poa nemoralis 1 1<br />
Dryopteris filix-mas +<br />
Luzula sylvatica r<br />
Corylus avellana + r<br />
Lonicera caprifolium r r<br />
Luzula multiflora +<br />
Rubus idaeus +<br />
Teucrium scorodonia +<br />
Urtica dioica 1<br />
Bedeckung der Kr. in % 55 50 60 55 80 65 80 50 65 40 75 60 65 55 45 35 65 35 60 30 20 35 20 30 25 35 20 25 15 25<br />
Gesamtanzahl der Arten 16 17 25 21 18 19 17 17 18 16 11 15 12 14 14<br />
Legende: B. = Baumschicht, Str. = Strauchschicht, Kr. = Krautschicht<br />
Bedeckungsgrad: 5 = 76 – 100 %; 4 = 51 – 75 %; 3 = 26 – 50 %; 2 = 6 – 25 %; 1 = 1 – 5 %; + = unter 1 %; r = rar (einmalig)<br />
e<br />
f<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
78 Max Peters<br />
und das Waldveilchen (Viola reichenbachiana)<br />
kamen an allen Standorten vor und<br />
haben somit eine Stetigkeit von 100 %.<br />
Feldahorn (Acer campestre), Buschwindröschen<br />
(Anemone nemorosa) und Waldmeister<br />
(Galium odoratum) zeigen eine Stetigkeit<br />
von 90 %. Die Gewöhnliche Esche (Fraxinus<br />
excelsior) und die Echte Nelkenwurz<br />
(Geum urbanum) sind auf 80 % der Flächen<br />
vertreten, und die Gewöhnliche Goldnessel<br />
(Lamium galeobdolon), das Einblütige<br />
Perlgras (Melica uniflora) und die Waldschlüsselblume<br />
(Primula elatior) kommen<br />
an fünf der zehn Standorte vor. Zwölf weitere<br />
Arten zeigen eine Stetigkeit von über<br />
30 %. Insgesamt hat die Krautschicht eine<br />
sehr heterogene Struktur, und jede Untersuchungsfläche<br />
unterscheidet sich von der<br />
anderen. Mit dem Gelben Eisenhut (Aconitum<br />
lycoctonum), der Türkenbundlilie<br />
(Lilium martagon), dem Männlichen Knabenkraut<br />
(Orchis mascula, Abb. 6) und der<br />
Waldschlüsselblume (Primula elatior, Abb.<br />
7) kommen auf der Westseite des Waldes<br />
vier nach Schmeil und Fitschen (2006) in<br />
Deutschland geschützte Arten vor. Nach<br />
der Roten Liste und Florenliste der Farnund<br />
Blütenpflanzen in Niedersachsen und<br />
Bremen (Garve 2004) gelten folgende sieben<br />
der im Niederwald bei Wittenburg<br />
vorkommenden Pflanzenarten als gefährdet:<br />
• Kategorie 1 – vom Aussterben bedroht:<br />
Männliches Knabenkraut (Orchis mascula)<br />
• Kategorie 3 – gefährdet:<br />
Türkenbundlilie (Lilium martagon),<br />
Waldschlüsselblume (Primula elatior),<br />
Gelber Eisenhut (Aconitum lycoctonum),<br />
Waldhabichtskraut (Hieracium murorum),<br />
Sanikel (Sanicula europaea)<br />
• Kategorie R – extrem selten:<br />
Waldgerste (Hordelymus europaeus)<br />
In der Krautschicht des Buchenwaldes<br />
wurden insgesamt 29 Pflanzenarten identifiziert.<br />
Die Bedeckung beträgt im April<br />
durchschnittlich 20 % und im Juli 30 %.<br />
Bei den Vegetationsaufnahmen wurden in<br />
den untersuchten Quadranten maximal 15<br />
und minimal 11 verschiedene Arten gefunden.<br />
Die Artenzahl pro untersuchter Fläche<br />
beträgt im Mittel 13,2. An allen fünf<br />
Standorten gab es Jungpflanzen der Brombeere<br />
(Rubus fruticosus agg.), der Hainbuche<br />
(Carpinus betulus), der Rotbuche (Fagus<br />
sylvatica) und des Feldahorns (Acer<br />
campestre), wobei die Rotbuche mit einer<br />
durchschnittlichen Bedeckung von 15 %<br />
dominierte. Weiterhin traten das Kleinblütige<br />
Springkraut (Impatiens parviflora,<br />
Neophyt aus Sibirien, ein aggressiver Eindringling)<br />
und die Weiße Hainsimse (Luzula<br />
luzuloides) an vier Untersuchungsflächen<br />
auf, womit eine Stetigkeit von 80 %<br />
besteht. Beim Waldveilchen (Viola reichenbachiana)<br />
konnte eine Stetigkeit von 60 %<br />
ermittelt werden. Die anderen Pflanzen der<br />
Krautschicht treten nur an ein oder zwei<br />
Standorten auf und haben zumeist eine<br />
Bedeckung zwischen 0,5 und 2,5 %. Das<br />
Behaarte Johanniskraut (Hypericum hirsutum)<br />
wurde in einer Vegetationsaufnahme<br />
erfasst. Es zählt nach der Roten Liste<br />
(Garve 2004) als gefährdete Pflanzenart in<br />
der Kategorie 3.<br />
Zusätzlich stehen von den Pflanzen, die<br />
zwar innerhalb des Niederwaldes, aber außerhalb<br />
der Vegetationsaufnahmen gefunden<br />
wurden, drei weitere auf der Roten<br />
Liste nach Garve (2004). Dazu gehören<br />
in der Kategorie 3 – gefährdet: Hartriegel<br />
(Cornus mas), Deutsche Hundszunge (Cynoglossum<br />
germanicum) und Ährige Teufelskralle<br />
(Phyteuma spicatum).<br />
Durch das Umstellen der Tabelle und das<br />
Zusammenführen von Pflanzen, die an den<br />
gleichen Standorten vorkommen, können<br />
mehrere Untergruppen herausgearbeitet<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Vergleichende Vegetationsuntersuchungen in Buchenwäldern bei Wittenburg<br />
79<br />
werden. Diese sind in der Tabelle 1 umrandet<br />
und der Übersicht halber farblich markiert<br />
(grün und blau). Es gibt eine Gruppe<br />
von Sträuchern, die nur im Buchenwald<br />
vorkommen a) (rechte Spalte). Innerhalb<br />
der Krautschicht sind folgende drei Pflanzengruppen<br />
auszumachen: Pflanzenarten,<br />
die an fast allen Standorten auf der Niederwaldseite<br />
vorkommen b) (rechte Spalte),<br />
Arten, die mit hoher Stetigkeit auf<br />
der Buchenwaldseite wachsen e) (rechte<br />
Spalte), und Pflanzen, die nahezu an allen<br />
Standorten innerhalb von beiden Waldtypen<br />
gedeihen f ) (rechte Spalte).<br />
Zusätzlich kann noch zwischen zwei<br />
Varianten von Untergruppen im Hainbuchen-Niederwald<br />
unterschieden werden<br />
(Tab. 2). Zum einen gibt es die Variante<br />
c) (rechte Spalte) mit Pflanzenarten, die<br />
sich oftmals ihren Standort mit dem Gelben<br />
Eisenhut (Aconitum lycoctonum) teilen.<br />
Die Variante d) (rechte Spalte) ist eine Untergruppe,<br />
bei der einige Arten häufig mit<br />
dem Gold-Hahnenfuß (Ranunculus auricomus)<br />
auf einer Fläche wachsen. Somit kann<br />
in dem untersuchten Niederwald die Eisenhut-<br />
und die Goldhahnenfuß-Variante<br />
unterschieden werden.<br />
Ergebnisse zu den Zeigerwerten<br />
Die Zeigerwerte aller Pflanzenarten<br />
wurden gleich gewertet, und anschließend<br />
die qualitativen Mittelwerte für Licht-,<br />
Feuchtigkeits-, Reaktions- und Stickstoffzahl<br />
gebildet. Es konnten auch die Bäume<br />
mit eingerechnet werden, da alle Baumarten<br />
auch als juvenile Pflanzen in der<br />
Strauchschicht vorkamen. Theoretisch darf<br />
man die Zeigerwerte nicht mitteln, weil<br />
es sich um Ordinalzahlen handelt. Dieses<br />
Verfahren ist aber üblich, damit Anhaltspunkte<br />
über den Standort ermittelt werden<br />
können (Geestmann 2010).<br />
Tab. 2<br />
Gemittelte Zeigerwerte der Untergruppen c und d<br />
Eisenhut-<br />
Variante<br />
Goldhahnenfuß-<br />
Variante<br />
gemittelte Zeigerwerte<br />
L F R N L F R N<br />
4,9 6,6 6,3 6,8 5,3 4,9 6,3 5,5<br />
Durchschnittswerte der Arten im<br />
Buchenwald:<br />
Lichtzahl:<br />
4,4 (26) – Halbschattenpflanzen, selten<br />
volles Licht, aber mehr als 10 % r. B.<br />
(relative Beleuchtung)<br />
Feuchtezahl:<br />
5,0 (24) – Frischezeiger, mittelfeuchter<br />
Boden, nie nass oder austrocknend<br />
Reaktionszahl<br />
6,0 (19) – zwischen mäßig sauer und<br />
schwach sauer bzw. schwach alkalisch<br />
Stickstoffzahl:<br />
5,7 (24) – zwischen mäßig und viel<br />
Stickstoff, zu mäßig tendierend<br />
Im Hainbuchen-Niederwald zeigte sich<br />
folgendes:<br />
Lichtzahl:<br />
4,7 (47) – Halbschattenpflanzen, selten<br />
volles Licht, aber mehr als 10 % r. B.<br />
Feuchtezahl:<br />
5,3 (40) – Frischezeiger, mittelfeuchter<br />
Boden, nie nass oder austrocknend<br />
Reaktionszahl:<br />
6,8 (36) – Basenzeiger, schwach<br />
alkalisch, nie auf sauren Böden<br />
Stickstoffzahl:<br />
6,3 (40) – zwischen mäßig und viel<br />
Stickstoff, zu viel tendierend<br />
In Klammern steht jeweils die Anzahl<br />
der dem Mittelwert zugrunde liegenden<br />
Pflanzenarten.<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
80 Max Peters<br />
Insgesamt wird der Buchenwald also als<br />
halbschattiger Ort beschrieben, in dem die<br />
Pflanzen nie im vollen Licht stehen, aber<br />
mindestens 10 % relative Beleuchtung bekommen.<br />
Der Boden ist mittelfeucht und<br />
trocknet nicht aus und wird nicht übermäßig<br />
nass, wobei er an der Schwelle zwischen<br />
mäßig sauer und schwach sauer<br />
steht. Die Stickstoffverfügbarkeit ist eher<br />
mäßig. Der Hainbuchenwald ist genau wie<br />
der Buchenwald ein halbschattiger Standort,<br />
hat aber etwas frischeren Boden. Darüber<br />
hinaus wird ein kalkreicherer Boden<br />
mit größerem Stickstoffvorkommen verzeichnet.<br />
Bei einem zweiten Auswertungsverfahren<br />
wurden nur Zeigerwerte mit einberechnet,<br />
bei denen die dazugehörige Pflanze<br />
an mindestens 40 % der untersuchten<br />
Flächen im jeweiligen Waldtyp vorkommt,<br />
um den dominanteren Arten eine höhere<br />
und Einzelvorkommen eine geringere Gewichtung<br />
zukommen zu lassen.<br />
Für die Buchenwaldseite ergeben sich die<br />
Mittelwerte:<br />
Lichtzahl:<br />
3,7 (11) – Schattenpflanze, meist weniger<br />
als 5 % r. B., auch an helleren Orten<br />
Feuchtezahl:<br />
5,0 (9) – Frischezeiger, mittelfeuchter<br />
Boden, nie nass oder austrocknend<br />
Reaktionszahl:<br />
6,0 (8) – zwischen mäßig sauer und<br />
schwach sauer bzw. schwach alkalisch<br />
Stickstoffzahl:<br />
5,7 (9) – zwischen mäßig und viel<br />
Stickstoff, zu mäßig tendierend<br />
Der Hainbuchen-Niederwald zeigt<br />
folgende Daten:<br />
Lichtzahl:<br />
4,2 (16) – Halbschattenpflanzen, selten<br />
volles Licht, aber mehr als 10 % r. B.<br />
Feuchtezahl:<br />
5,2 (13) – Frischezeiger, mittelfeuchter<br />
Boden, nie nass oder austrocknend<br />
Reaktionszahl:<br />
6,7 (15) – Basenzeiger, schwach<br />
alkalisch, nie auf sauren Böden<br />
Stickstoffzahl:<br />
6,3 (14) – zwischen mäßig und viel<br />
Stickstoff, zu viel tendierend<br />
In Klammern steht jeweils die Anzahl<br />
der dem Mittelwert zugrunde liegenden<br />
Pflanzenarten.<br />
Unter diesen Aspekten ist der Buchenwald<br />
als schattiger Ort zu bezeichnen, in<br />
dem aber durchaus Pflanzen wachsen, die<br />
mehr Licht vertragen können. Die anderen<br />
Werte haben sich, verglichen mit der ersten<br />
Analyse, nicht verändert.<br />
Der Hainbuchen-Niederwald zeigt einen<br />
etwas niedrigeren Wert für die Lichtzahl,<br />
wird aber immer noch als halbschattiger<br />
Standort geführt. Auch hier sind die<br />
weiteren Werte gegenüber der ersten Analyse<br />
nahezu identisch.<br />
Diskussion der pflanzensoziologischen Aufnahmen und<br />
Zeigerwerte<br />
Bei den pflanzensoziologischen Aufnahmen<br />
konnten insgesamt 66 Arten identifiziert<br />
werden, 23 weitere Arten wurden<br />
außerhalb der untersuchten Flächen gefunden.<br />
Diese Artenvielfalt scheint sehr hoch<br />
zu sein, obwohl der Wald nicht besonders<br />
groß ist und auch weitgehend durch umgebende<br />
Felder isoliert wird. Von den insgesamt<br />
nachgewiesenen 89 Arten stehen<br />
elf auf der Roten Liste der Farn- und Blütenpflanzen<br />
in Niedersachsen und Bremen<br />
(Garve 2004). Die geschützten Arten<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Vergleichende Vegetationsuntersuchungen in Buchenwäldern bei Wittenburg<br />
81<br />
machen somit einen Anteil von 12,4 % der<br />
Flora des Waldes aus. Sie konnten in einigen<br />
Fällen sogar in erstaunlich hohen Individuenzahlen<br />
beobachtet werden.<br />
Die Vermutung liegt nahe, dass diese<br />
hohe Diversität und das häufige Vorkommen<br />
schützenswerter Arten auf die Struktur<br />
des Niederwaldes zurückzuführen ist.<br />
Einige Arten sind sogar an Niederwälder<br />
gebunden, und durch die entsprechende<br />
Bewirtschaftung wurde ihre Existenz<br />
erst ermöglicht (Pott 1996). Das durch die<br />
forstwirtschaftliche Nutzung hervorgerufene<br />
Bestandsklima innerhalb des Niederwaldes<br />
mit mehr Licht und Nährstoffen<br />
sorgt für einen grundlegenden Unterschied<br />
zu dem angrenzenden Hochwald, was wiederum<br />
das erhöhte Artenvorkommen bedingt.<br />
Als Konsequenz können innerhalb<br />
von Niederwäldern die gesamten Holzarten<br />
und viele Arten der Krautvegetation<br />
durch andere ersetzt werden. So gingen<br />
alle Eichen-Hainbuchen-Niederwälder in<br />
den nördlichen und nord-östlichen Mittelgebirgen<br />
aus degradierten Buchenwäldern<br />
hervor (Pott 1996). Dieser Umstand<br />
erklärt, dass auch viele Arten einer typischen<br />
Buchenwaldgesellschaft mit hoher<br />
Deckung und Stetigkeit im Niederwald<br />
gefunden werden konnten. Dazu gehören<br />
beispielsweise der Waldmeister (Galium<br />
odoratum), das Buschwindröschen (Anemone<br />
nemorosa) und das Gelbe Windröschen<br />
(Anemone ranunculoides).<br />
Eine Betrachtung der Zeigerwerte ergibt,<br />
dass der Niederwald geringfügig<br />
feuchter ist, aber auch mehr Kalk und<br />
Stickstoff aufweist. Die höhere Nährstoffverfügbarkeit<br />
im Niederwald könnte durch<br />
dessen schnellere Umsetzungsrate innerhalb<br />
der Krautschicht begründet sein. Andererseits<br />
besteht die Möglichkeit, dass das<br />
erhöhte Mineralstoffvorkommen durch die<br />
weniger mächtigen Hainbuchen verursacht<br />
worden ist, die im Schnitt 10 m kleiner als<br />
die Buchen auf dem Osthang sind. Zusätzlich<br />
ist die Lichtzahl im Niederwald höher,<br />
was als ein besonders wichtiger Grund für<br />
das Vorkommen seltener und buchenwalduntypischer<br />
Arten gesehen werden kann.<br />
An vier Standorten im Niederwald wachsen<br />
Pflanzenarten, die typischerweise auf<br />
Lichtungen vorkommen.<br />
Des Weiteren sind zwei verschiedene<br />
Varianten des Hainbuchen-Niederwaldes<br />
ausgemacht worden. Daraus könnte abgeleitet<br />
werden, dass es verschiedene Differentialarten<br />
gibt, die sich innerhalb des<br />
Niederwaldes auf verschiedene Standorte<br />
aufteilen. Zum einen gibt es die Goldhahnenfuß-Variante<br />
(c), zum anderen tritt<br />
die Eisenhut-Variante (d) auf. Vergleicht<br />
man die Zeigerwerte, wird deutlich, dass<br />
die Goldhahnenfuß-Variante auf lichteren,<br />
aber stickstoffärmeren Standorten vorkommt<br />
(Tab. 2). Insgesamt verteilt sich die<br />
Vegetation mosaikartig im Wald, wie es inzwischen<br />
für die meisten Waldstandorte<br />
angenommen wird (Remmert 1985).<br />
Vergleich der beiden Waldtypen<br />
Bei dem Vergleich der zwei Standorte<br />
fällt unmittelbar auf, dass im Hainbuchen-Niederwald<br />
eine höhere Artenvielfalt<br />
herrscht. Insgesamt konnten auf der<br />
Buchenwaldseite 38 Pflanzenarten ermittelt<br />
werden, wenn man die Arten innerhalb<br />
und außerhalb der pflanzensoziologischen<br />
Aufnahmeflächen mitzählt. Der Hainbuchen-Niederwald<br />
hingegen weist 62 Arten<br />
innerhalb und außerhalb der untersuchten<br />
Flächen auf. Der Buchenwald hat somit<br />
eine um ca. ein Drittel geringere Diversität<br />
an Blütenpflanzen. Besonders deutlich<br />
wird dieser Unterschied in der Baumschicht.<br />
Im Niederwald konnten sieben<br />
verschiedene Baumarten identifiziert werden,<br />
im Buchenwald nur drei. Dies liegt<br />
vor allem daran, dass die Rotbuche (Fagus<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
82 Max Peters<br />
sylvatica) in der Lage ist, ihr Kronendach<br />
extrem dicht zu schließen und somit Konkurrenten<br />
ausdunkeln kann. Einige Flächen<br />
im Buchenwald stechen zwar mit<br />
einem überdurchschnittlich hohen Artenvorkommen<br />
hervor, aber dennoch ist auch<br />
die geringste Artenanzahl pro Aufnahme<br />
im Niederwald höher als die höchste Artenzahl<br />
einer solchen Fläche im Buchenwald.<br />
In der Krautschicht des Niederwaldes<br />
ist festzustellen, dass die Bedeckung im<br />
Schnitt 65 % im April und 48,5 % im Juli<br />
beträgt und somit deutlich höher als die<br />
des Buchenwaldes ist. Dieser hat im April<br />
eine Bedeckung von durchschnittlich 20 %,<br />
und im Juli beträgt sie 30 %. Ein Standortvorteil<br />
für Frühjahrsgeophyten im Niederwald<br />
wird also offensichtlich (vgl. Abb. 4<br />
und 5 und Geestmann 2010).<br />
Ein weiterer wichtiger Punkt sind die<br />
vielen schützenswerten Arten. Von den<br />
insgesamt elf Arten, die in Wittenburg<br />
wachsen und auf der Roten Liste der Farnund<br />
Blütenpflanzen in Niedersachsen und<br />
Bremen (Garve 2004) stehen, kommen<br />
zehn auf der Niederwaldseite vor. Nur eine<br />
Art davon wächst im Buchenwald. Diese<br />
Tatsache zeigt deutlich, dass ein wesentlicher<br />
Unterschied besteht und im Niederwald<br />
Pflanzen wachsen können, denen<br />
dies an anderen Stellen nicht möglich ist.<br />
Unter Berücksichtigung von Kriterien wie<br />
Naturschutz und Erhalt der Biodiversität<br />
handelt es sich bei dem Niederwald um<br />
den ökologisch wertvolleren Bestand. Es<br />
gibt zehnmal mehr geschützte Arten und<br />
insgesamt 24 weitere Pflanzen im Niederwald,<br />
die nicht auf der Buchenwaldseite<br />
vorkommen.<br />
Vergleich des untersuchten Niederwaldes<br />
mit anderen Niederwäldern<br />
Beim Vergleich mit anderen Unter-<br />
suchungen von Niederwäldern im Landkreis<br />
Hildesheim zeigt sich zunächst, dass<br />
alle untersuchten Niederwälder eine hohe<br />
Diversität an Pflanzenarten aufweisen und<br />
auch verschiedene in Niedersachsen geschützte<br />
Pflanzen nachgewiesen werden<br />
konnten (Hofmeister 2004, Geestmann<br />
2010).<br />
Dabei ist aber zu beachten, dass jeder<br />
Niederwald einen individuellen Charakter<br />
durch unterschiedliche Zusammensetzung<br />
der Pflanzenarten aufweist. Obwohl<br />
die beiden Niederwaldstücke bei Wittenburg<br />
nur etwa 300 m voneinander entfernt<br />
liegen, haben sich unterschiedliche Pflanzengemeinschaften<br />
gebildet (vgl. Geestmann<br />
2010). Die Niederwälder bei Harsum<br />
nördlich von Hildesheim liegen ca. 20<br />
km entfernt. Auch hier zeigt sich ein individueller<br />
Wald mit gefährdeten Arten,<br />
die nicht in den Wäldern um Wittenburg<br />
nachgewiesen werden konnten.<br />
Insgesamt beträgt die Anzahl schützenwerter<br />
Pflanzen innerhalb der untersuchten<br />
Niederwälder im Raum Hildesheim 23<br />
Arten (Tab. 3). Hierbei wurden jedoch nur<br />
zwei kleine Bereiche untersucht, und es<br />
liegt nahe, dass weitere Standortanalysen<br />
eine steigende Zahl an Pflanzen der Roten<br />
Liste hervorbringen werden.<br />
Zukunftsperspektiven<br />
Im Hainbuchen-Niederwald bei Wittenburg<br />
besteht z. Z. keine Niederwaldwirtschaft.<br />
Er wird lediglich soweit forstwirtschaftlich<br />
betreut, dass Sturmschäden<br />
beseitigt werden. Aber gerade ein regelmäßiges<br />
„Auf-den-Stock-setzen“ bedingt<br />
die hohe Diversität und den höheren Deckungsgrad<br />
des Waldbodens mit Kräutern.<br />
Wenn kein Holzschlag erfolgt, wandelt<br />
sich der Hainbuchen-Niederwald in einen<br />
Buchenwald, da die Buche die konkurrenzstärkere<br />
Art ist (Ellenberg et al.1996).<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Vergleichende Vegetationsuntersuchungen in Buchenwäldern bei Wittenburg<br />
83<br />
Tab. 3 Die Pflanzen der Roten Liste innerhalb der verschiedenen Niederwälder im Landkreis Hildesheim<br />
Kategorie<br />
Wald 1 bei Wittenburg<br />
(diese Arbeit)<br />
1 Männliches Knabenkraut<br />
(Orchis mascula)<br />
Wald 2 bei Wittenburg<br />
(Geestmann 2010)<br />
Männliches Knabenkraut<br />
(Orchis mascula)<br />
Wälder um Harsum<br />
(Hofmeister 2005)<br />
2 Feld-Rose<br />
(Rosa arvensis)<br />
Kleiner Goldstern<br />
(Gagea minima)<br />
3 Türkenbund-Lilie<br />
(Lilium martagon)<br />
Schlüsselblume<br />
(Primula elatior)<br />
Deutsche Hundszunge<br />
(Cynoglossum germanicum)<br />
Wald-Habichtskraut<br />
(Hieracium murorum)<br />
Sanikel<br />
(Sanicula europaea)<br />
Behaartes Johanniskraut<br />
(Hypericum hirsutum)<br />
Hartriegel (Cornus mas)<br />
Gelber Eisenhut<br />
(Aconitum lycoctonum)<br />
Ährige Teufelskralle<br />
(Phyteuma spicatum)<br />
Türkenbund-Lilie<br />
(Lilium martagon)<br />
Schlüsselblume<br />
(Primula elatior)<br />
Deutsche Hundszunge<br />
(Cynoglossum germanicum)<br />
Wilder Birnenbaum<br />
(Pyrus pyraster)<br />
Wunder-Veilchen<br />
(Viola mirabilis)<br />
Gewöhnliche Akelei<br />
(Aquilegia vulgaris)<br />
Flatter-Ulme<br />
(Ulmus laevis)<br />
Breitblättrige Glockenblume<br />
(Campanula latifolia)<br />
Schneidiger Goldstern<br />
(Gagea spathacea)<br />
Fuchs-Knabenkraut<br />
(Dactylorhiza fuchsii)<br />
Bach-Nelkenwurz<br />
(Geum rivale)<br />
Sumpf-Dotterblume<br />
(Caltha palustris)<br />
R<br />
Waldgerste<br />
(Hordelymus europaeus)<br />
Waldgerste<br />
(Hordelymus europaeus)<br />
Raues Veilchen (Viola hirta)<br />
Legende: 1 = vom Aussterben bedroht, 2 = stark gefährdet, 3 – gefährdet, R – extrem selten<br />
Durch die Kopplung ihrer Existenz an<br />
die Standortbedingungen in einem Niederwald<br />
würden dann viele Pflanzenarten<br />
zwangläufig aus dem Wald verschwinden.<br />
Für das Waldstück bei Wittenburg<br />
könnte das den Rückgang von geschützten<br />
Arten wie dem Gelben Eisenhut<br />
(Aconitum lycoctonum), der Türkenbundlilie<br />
(Lilium martagon), dem Männlichen<br />
Knabenkraut (Orchis mascula) oder der<br />
Waldschlüsselblume (Primula elatior) zur<br />
Folge haben. Alle diese Arten sind nicht<br />
im Buchenwald vorhanden, da sie das höhere<br />
Lichtangebot im Niederwald benötigen.<br />
Wie es auch schon Geestmann (2010)<br />
vorschlägt, sollte überlegt werden, ob die<br />
Niederwaldnutzung als Pflegemaßnahme<br />
für den Wald fortgesetzt werden kann.<br />
Da für Brennholz und Holzkohle keine<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
84 Max Peters<br />
ausreichende Nachfrage besteht, das Holz<br />
aber als nachwachsender Rohstoff zum<br />
Heizen genutzt werden könnte, wäre beispielsweise<br />
eine Produktion von Holzpellets<br />
für Heizungen möglich. Dazu eine<br />
Beispielrechnung:<br />
Eine Studie über einen 8,84 ha großen<br />
Niederwald bei Schiltach im Schwarzwald<br />
hat ergeben, dass das Volumen der<br />
dort wachsenden Bäume 2201 Erntefestmeter<br />
(Efm) und umgerechnet 5 723<br />
Schüttraummeter (Srm) beträgt (Suchomel<br />
& Konold 2008). Der aus den Srm-<br />
Mengen berechnete Gesamtheizwert ergibt<br />
5 382 926 kWh, was einer Menge von<br />
538 293 l Heizöl entspricht. Pro Jahr muss<br />
eine Fläche von 0,5 ha geschlagen werden,<br />
damit das typische Niederwald-Freiflächenklima<br />
entsteht und die typische Waldform<br />
erhalten bleibt (Suchomel & Konold<br />
2008). Bei einer Gesamtgröße des Waldes<br />
von knapp 9 ha und einer Wachstumszeit<br />
der Neuaustriebe von ca. 20 Jahren könnte<br />
jedes Jahr die Mindestfläche von 0,5 ha<br />
geschlagen werden. Das Volumen des jährlich<br />
geschlagenen Holzes würde in etwa<br />
318 Srm betragen und somit dem Heizwert<br />
von 299 052 kWh und einer Menge<br />
von 29 905 l Heizöl entsprechen. Der<br />
angenommene durchschnittliche Heizölverbrauch<br />
in Deutschland beträgt 15,4<br />
Liter Heizöl pro Quadratmeter und Jahr,<br />
wenn neben dem Heizen auch die Warmwasserbereitung<br />
mit Heizöl erfolgt (www.<br />
energiesparen-im-haushalt.de). Bei einer<br />
durchschnittlichen Wohnfläche von 120<br />
m 2 ergibt das 1 848 l Heizöl pro Haushalt.<br />
Folglich könnten 16,2 Haushalte mit dem<br />
im Schiltacher Niederwald gewonnenen<br />
Heizmaterial versorgt werden. Angenommen,<br />
die Holzmenge des Niederwaldes bei<br />
Wittenburg wäre identisch zu der in dem<br />
Niederwald bei Schiltach, dann könnten<br />
bei einer Niederwaldfläche von ca. 6,75 ha<br />
alle zwei Jahre 0,5 ha geschlagen werden.<br />
So hätten die geschlagenen Triebe genug<br />
Zeit um nachzuwachsen, und die Niederwaldstruktur<br />
bliebe erhalten. Gleichzeitig<br />
könnten 8,1 Haushalte mit einer Wohnfläche<br />
von 120 m 2 für ein Jahr mit Heizmaterial<br />
versorgt werden.<br />
Dieses Beispiel zeigt, dass Niederwaldwirtschaft<br />
eine interessante Alternative<br />
zum Heizöl darstellen kann, und unter<br />
Berücksichtigung der derzeitigen Diskussion<br />
zur Energiewende bekommt die aufgezeigte<br />
Alternative eine noch größere Bedeutung.<br />
Dazu wäre allerdings die Aufstellung<br />
eines regionalen Nutzungsplans für viele<br />
verschiedene Wälder, Wiesen und Weiden<br />
nötig, der beispielsweise auch die von<br />
Hofmeister (2005) und Geestmann (2010)<br />
untersuchten Wälder mit einschließt. So<br />
könnten zum einen die seltenen Pflanzen<br />
in Niederwäldern erhalten und zum anderen<br />
eine umweltfreundlichere Energiegewinnung<br />
ermöglicht werden. Da dies aber<br />
umfangreiche Investitionen in neue Heizanlagen,<br />
die lokale/regionale Herstellung<br />
von Holzpellets sowie die Koordination<br />
und Zusammenarbeit vieler verschiedener<br />
Träger, Kreise und Gemeinden erfordert,<br />
stellt sich eine praktische Umsetzung als<br />
außerordentlich komplex dar. Einen Versuch<br />
ist es aber wert!<br />
Schluss<br />
Die Untersuchung hat gezeigt, dass der<br />
Niederwald bei Wittenburg ein sehr diverser<br />
Standort mit einer hohen Anzahl<br />
an schützenswerten Pflanzenarten ist. Die<br />
Existenz vieler Pflanzen hängt vom Weiterbestand<br />
dieses lichten und nährstoffreichen<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Vergleichende Vegetationsuntersuchungen in Buchenwäldern bei Wittenburg<br />
85<br />
Waldtyps ab. Leider ist zu befürchten, dass<br />
viele an den Niederwald gebundene Arten<br />
verschwinden werden, weil die Niederwaldwirtschaft<br />
nicht mehr rentabel<br />
ist und nicht mehr praktiziert wird. Eine<br />
Rückumwandlung in den ursprünglichen<br />
Hochwald ist zu erwarten. Um hier einen<br />
wirkungsvollen Naturschutz zu betreiben,<br />
müssten Maßnahmen und Ideen entwickelt<br />
werden, die eine Nutzung von Niederwäldern<br />
wieder rentabel machen. Eine<br />
Produktion von Heizmaterial wie etwa<br />
Holzpellets oder Materialgewinnung für<br />
Biogasanlagen könnte für eine Renaissance<br />
der Niederwaldwirtschaft sorgen. Daher<br />
sollten diese Ideen auf ihre Durchführbarkeit<br />
geprüft werden. Insgesamt besteht die<br />
Möglichkeit, die kulturhistorische Bedeutung<br />
der Niederwälder mit Energiegewinnung<br />
zu verbinden und gleichzeitig einen<br />
Beitrag zum Naturschutz zu leisten.<br />
Ein Vergleich mit anderen Niederwäldern<br />
weist auf den individuellen Charakter<br />
jedes Waldes hin. Für einen effektiven Naturschutz<br />
bedeutet es, dass es nicht ausreicht,<br />
nur einen einzigen Standort zu<br />
schützen. Ein mögliches Konzept für<br />
die erneute Nutzung von Niederwäldern<br />
müsste daher nicht lokal, sondern regional<br />
angelegt werden.<br />
Dank<br />
Diese Arbeit ging aus einer Bachelorarbeit<br />
am Institut für Geobotanik der Leibniz<br />
Universität Hannover aus dem Jahr<br />
2010 hervor. Ich danke Prof. Dr. Hansjörg<br />
Küster, der mir das Thema zur Verfügung<br />
gestellt und mich nach Wittenburg begleitet<br />
hat. Dank gilt auch Dr. Albert Melber,<br />
der die Arbeit als Zweitprüfer begleitete<br />
sowie Dr. Ansgar Hoppe und Stephanie<br />
Müller für die Hilfe bei der Bestimmung<br />
von Pflanzenarten.<br />
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(2008): Was blüht denn da?; Stuttgart.<br />
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Grundzüge der Vegetationskunde;<br />
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Dierschke, Hartmut (1994): Pflanzensoziologie;<br />
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Ellenberg, Heinz ; Weber, Heinrich; Düll,<br />
Ruprecht; Wirth, Volkmar; Werner, Willy;<br />
Paulißen, Dirk (1996): Vegetation Mitteleuropas<br />
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Ellenberg, Heinz (2001): Zeigerwerte von<br />
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Garve, Eckhard (2004): Rote Liste und Florenliste<br />
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Niedersachsen und Bremen, 5. Fassung vom<br />
01.03.2004; Hannover.<br />
Geestmann, Ingo (2010): Vegetation eines<br />
Hainbuchen-Niederwaldes bei Wittenburg.<br />
– <strong>Naturhistorica</strong> – Berichte der<br />
Naturhistorischen Gesellschaft Hannover,<br />
152: 45 – 62; Hannover.<br />
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(2004): Wälder des Tieflandes und der<br />
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Hofmeister, Heinrich (2004): Lebensraum<br />
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Hofmeister, Heinrich (2005): Natur und Landschaft<br />
im Landkreis Hildesheim. Hildesheimer<br />
und Kalenberger Börde. Mitteilungen<br />
der Paul-Feindt-Stiftung, 5: 147 – 152;<br />
Verlag Gebrüder Gerstenberg, Hildesheim.<br />
Mader, Hans-Joachim (1983): Größe von<br />
Schutzgebieten unter Berücksichtigung des<br />
Isolationseffektes; Schriftenreihe des Deutschen<br />
Rates für Landespflege 41: 83 – 85;<br />
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Pott, Richard (1993): Farbatlas Waldlandschaften;<br />
Stuttgart.<br />
Pott, Richard (1996): Biotoptypen; Stuttgart.<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
86<br />
Remmert, Hermann (1985): Was geschieht im<br />
Klimax-Stadium? Naturwissenschaften 72:<br />
505 – 512; Berlin, Heidelberg.<br />
Rothmaler, Werner (1999): Exkursionsflora<br />
von Deutschland. Band 2, Gefäßpflanzen:<br />
Grundband; Berlin.<br />
Schmeil, Otto; Fitschen, Jost (2006): Flora von<br />
Deutschland und angrenzender Länder. 93.<br />
Aufl.; Quelle & Meyer Verlag GmbH & Co;<br />
Wiebelsheim.<br />
Suchomel, Christian; Konold, Werner (2008):<br />
Niederwald als Energiequelle – Chancen<br />
und Grenzen aus Sicht des Naturschutzes.<br />
Berichte der Naturforschenden Gesellschaft<br />
98: 61 – 120; Freiburg.<br />
Internetquellen:<br />
Bildquellen:<br />
Abbildungen 1, 4, 5, 6, 7: Max Peters<br />
Abbildung 2: http://maps.google.de/maps,<br />
verändert<br />
Abbildung 3: http://www.lbeg.niedersachsen.<br />
de, verändert<br />
Arbeit eingereicht: 26.07.2013<br />
Arbeit angenommen: 29.08.2014<br />
Anschrift des Verfassers:<br />
Max Peters<br />
Reuterstraße 26<br />
53115 Bonn<br />
E-Mail: peters@naturschutzgeschichte.de<br />
www. energiesparen-im-haushalt.de:<br />
http://www.energiesparen-im-haushalt.de/<br />
energie/bauen-und-modernisieren/modernisierung-haus/heizung-modernisieren/heizungsanlage-erneuern/oelheizung-erneuern/<br />
heizoelverbrauch-durchschnitt.html,<br />
Zugriff am 17.06.2013<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
87<br />
Ceratiten zweier Teilsammlungen des<br />
Landesmuseums Hannover<br />
Bewertung und Abgleich der Arterfassungen sowie<br />
stratigrafischer Hintergrund<br />
Patrick Strauch<br />
Zusammenfassung<br />
In der vorliegenden Arbeit werden Ceratiten<br />
der Schausammlung des Landesmuseums<br />
Hannover mit denen der Otto-Klages-Sammlung,<br />
beide aus den Schichten<br />
des germanischen Oberen Muschelkalk,<br />
verglichen, anhand der vorhandenen Bestimmungsmerkmale<br />
neu bestimmt und<br />
ggf. bereits vorhandene Ergebnisse verifiziert<br />
oder revidiert. Zu Beginn stehen eine<br />
Einführung in den Stamm der Weichtiere<br />
(Mollusca) und ein Überblick über Ammoniten<br />
mit den wichtigsten Kriterien zur<br />
Unterscheidung von Goniatiten, Ceratiten<br />
und den „echten“ Ammoniten. Außerdem<br />
wird auf die Systematik und Phylogenie<br />
der Ammonoideen eingegangen. Es folgt<br />
eine Beschreibung des Hauptfundortes<br />
der meisten Stücke und eine Faziesbeschreibung<br />
der allgemeinen Stratigrafie der<br />
Trias und des germanischen Oberen Muschelkalk.<br />
Nach einer kurzen Übersicht der<br />
Entwicklung der Ceratiten des Germanischen<br />
Beckens folgen die wichtigsten Daten<br />
über die Klages-Sammlung. Letztlich<br />
konnte die Bestimmung aller Exemplare<br />
bis auf eine Ausnahme durchgeführt und<br />
verifiziert werden.<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
88 Patrick Strauch<br />
Einleitung – Mollusca, Cephalopoda, Ammonoidea<br />
Mollusca<br />
Die Ceratitida gehören neben den Goniatitida<br />
und den Ammonitida zur Unterklasse<br />
der Ammonoidea und zur Klasse der<br />
Kopffüßer (Cephalopoda) und sind daher<br />
in den Stamm der Weichtiere (Mollusca)<br />
einzuordnen. Weitere Vertreter der Weichtiere<br />
neben den Cephalopoden sind u. a.<br />
Schnecken (Gastropoda) und Muscheln<br />
(Lamellibranchiata). Weichtiere sind höhere<br />
protostome Vielzeller, deren Körperform<br />
durch die Anpassung an sehr unterschiedliche<br />
Lebensräume bestimmt wird.<br />
Das hat eine entsprechende Vielfalt zur<br />
Folge (Ziegler 1983). Die ältesten Vertreter<br />
der Weichtiere stammen aus der Zeit<br />
des Unterkambrium (vor ca. 590 – 545<br />
Millionen Jahren). Die grundsätzlichen<br />
Baupläne für viele der rezenten Arten entstanden<br />
bereits im Oberkambrium (vor ca.<br />
520 – 500 Millionen Jahren) und Unterordovizium<br />
(vor ca. 500 – 480 Millionen<br />
Jahren) (Ziegler 2008). Trotz der starken<br />
Differenzierung der verschiedenen Arten<br />
liegt allen Mollusken ein gemeinsamer<br />
Bauplan zu Grunde (Clarkson 1998).<br />
Das bedeutsamste gemeinsame Merkmal<br />
ist die Umgestaltung der Ventralseite oder<br />
Abb. 1 Grundbauplan der Mollusken am Beispiel<br />
einer Gehäuseschnecke (Zeichnung P. Strauch).<br />
auch nur von Teilen derselben zu einem<br />
Kriechorgan, das als Fuß dient und durch<br />
seine Plastizität unterschiedliche Fortbewegungsweisen<br />
zulässt. Bei Schnecken ist<br />
dieser Fuß als breite und flache Kriechsohle<br />
ausgebildet (Abb. 1).<br />
Sowohl rezent als auch fossil stellen die<br />
Weichtiere einen großen Anteil am gesamten<br />
Formenbestand dar (Ziegler 1983).<br />
Mit einer geschätzten Zahl von annähernd<br />
180 000 heute lebender Arten sind Weichtiere<br />
der formenreichste Tierstamm nach<br />
den Arthropoden (Keupp 2000).<br />
Cephalopoda<br />
Die Cephalopoden sind eine seit dem<br />
oberen Kambrium bekannte, hochentwickelte<br />
Klasse der Weichtiere, bei denen<br />
Kopf und Fuß zu einem einheitlichen<br />
Kopffuß verwachsen sind (altgriechisch:<br />
kephale = Kopf, podós = Fuß). Im Kambrium,<br />
als das Leben überwiegend von benthischen<br />
Lebensformen geprägt war, folgten<br />
die Schnecken dem traditionellen Weg,<br />
deren Entwicklung an der allseits bekannten<br />
Schnecke zu beobachten ist, während<br />
die Cephalopoden einen anderen Weg<br />
beschritten. Die freie Wassersäule, insbesondere<br />
im pelagischen Bereich der Meere,<br />
war zu dieser Zeit ein noch weitgehend<br />
freier und konkurrenzarmer Lebensraum,<br />
der den Cephalopoden die Möglichkeit<br />
bot, sich weltweit auszubreiten und die<br />
unterschiedlichsten Nischen zu besiedeln<br />
(Keupp 2000). Die heute lebenden Cephalopoden<br />
sind die am höchsten entwickelte<br />
Ordnung der Mollusken. Eine ursprüngliche<br />
Gruppe der Cephalopoden trug ein<br />
gekammertes, äußeres Gehäuse aus Aragonit<br />
(CaCO 3<br />
), das, wie bei den frühen Ammonoideen,<br />
den Orthoceraten, stabförmig<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Ceratiten zweier Teilsammlungen des Landesmuseums Hannover<br />
89<br />
Abb. 2 Orthoceraten<br />
(stabförmiges Gehäuse) und<br />
Ammoniten (spiralig aufgerolltes<br />
Gehäuse) im Vergleich<br />
(Zeichnung P. Strauch)<br />
oder wie bei den weiter entwickelten Ammonoideen,<br />
spiralig aufgerollt sein kann<br />
(Ziegler 1983) (Abb. 2).<br />
Ammonoidea<br />
Das Gehäuse der Ammonoideen kann<br />
in zwei Abschnitte unterteilt werden, in<br />
die große Wohnkammer, in der der Weichkörper<br />
durch Muskeln befestigt ist, und in<br />
das Phragmokon, dessen kleinere Kammern<br />
durch den Sipho, einen Weichkörperstrang,<br />
miteinander verbunden sind<br />
(Abb. 3). Wie beim rezenten Nautilus wird<br />
das Phragmokon durch Gas-Wasser-Austausch<br />
in den Kammern durch den Sipho<br />
als Auftriebsorgan genutzt (Ziegler 1983).<br />
Die einzelnen Kammern des Phragmokons<br />
werden durch die sog. Septen bzw.<br />
Kammerscheidewände klar voneinander<br />
getrennt (Abb. 3). Bei den frühen Nautiloideen<br />
sind diese Septen relativ geradlinig,<br />
bei den Ammonoideen jedoch deutlich gefältelt<br />
(Ziegler 2008). Die Schale besteht<br />
überwiegend aus aragonitischen Kalkplättchen<br />
(Keupp 2000).<br />
Anhand der Lobenlinien, die durch das<br />
Anwachsen der Septen an die Schaleninnenwand<br />
entstehen, kann die Unterklasse<br />
der Ammonoideen in mehrere Ordnungen<br />
unterteilt werden. Je nach Zähnelung<br />
und Zerschlitzung der Sättel und Loben<br />
auf den Lobenlinien können Goniatiten,<br />
Ceratiten und Ammoniten voneinander<br />
Abb. 3 Aufbau der Gehäuse des Nautilus (links)<br />
und der Ammonoideen (rechts): Bei Nautilus<br />
befindet sich der Sipho mittig des Gehäuses und<br />
ist von den Septen und Kammern umgeben, bei<br />
den Ammonoideen befindet sich der Sipho an der<br />
Außenseite. Septen und Kammern sind in Richtung<br />
der Innenseite des Gehäuses orientiert (Zeichnung<br />
P. Strauch)<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
90 Patrick Strauch<br />
Abb. 4 Die Form der Lobenlinien bei goniatitischen<br />
(a), ceratitischen (b) und ammonitischen (c)<br />
Ammonoideen. Die Zähnelung nimmt im evolutionären<br />
Verlauf zu. Die Pfeile weisen in Richtung der<br />
Gehäusemündung (Zeichnung P. Strauch).<br />
unterschieden werden (Abb. 4). Sättel sind<br />
die Teile der Lobenlinien, die zur Gehäusemündung<br />
vorgewölbt sind, während<br />
Loben in die entgegengesetzte Richtung<br />
weisen. Die Goniatiten hatten ganzrandige<br />
und wenig komplexe Lobenlinien und<br />
kamen vom Devon bis ins Perm vor. Ceratiten<br />
haben Lobenlinien mit gezähnelten<br />
Loben und in der Regel ganzrandigen<br />
Sätteln und traten ausschließlich in<br />
der Trias auf. Die eigentlichen Ammoniten<br />
sensu stricto weisen deutlich komplexere<br />
und stark zerschlitzte Loben und Sättel<br />
auf und waren ausgesprochen erfolgreiche<br />
Meeresbewohner im Jura und in der Kreide<br />
(Ziegler 1983). Die zunehmend komplexere<br />
Ausbildung der Septen hatte wahrscheinlich<br />
eine Erhöhung der Stabilität des<br />
Gehäuses zur Folge (Keupp 2000).<br />
Die Anfangskammer endet mit dem<br />
Proseptum, dessen Anwachslinie an die<br />
Gehäuseschale als Prosutur bezeichnet<br />
wird. Sie unterscheidet sich von allen darauf<br />
folgenden Suturen (Lobenlinien).<br />
Die nächste Sutur bzw. Lobenlinie heißt<br />
Primärsutur. Bei den primitiven Ammonoideen<br />
hat diese beiderseits drei Loben:<br />
den Externlobus (E), den Laterallobus (L)<br />
Abb. 5 Beschriftung der Loben und Sättel am Beispiel<br />
einer goniatitischen Sutur. Die Pfeile weisen<br />
in Richtung der Gehäusemündung.<br />
a: Von links nach rechts zu sehen sind der Externlobus<br />
(E), der Laterallobus (L) und der Internlobus<br />
(I); b: Zeigt die Einschaltung von Adventivloben<br />
(A) und Umbilikalloben (U) (verändert nach Ziegler<br />
2008, Zeichnung P. Strauch).<br />
Abb. 6 Schema der Lobenlinien bei Ceratites:<br />
Ausgehend von links nach rechts beginnt die Lobenlinie<br />
mit dem Externlobus (E), geteilt vom Mediansattel<br />
(m). Darauf folgen der Externsattel (e),<br />
der Laterallobus (L) und die Umbilikalloben (U 1 – 5<br />
),<br />
immer wieder getrennt von den Lateralsätteln<br />
(l). An der Innenseite der Windung befindet<br />
sich der Internlobus (I). Die Pfeile weisen in<br />
Richtung der Gehäusemündung (verändert nach<br />
Wenger 1957, Zeichnung P. Strauch)<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Ceratiten zweier Teilsammlungen des Landesmuseums Hannover<br />
91<br />
und den Internlobus (I) (Ziegler 2008).<br />
Bei den meisten Ammonoideen wird mit<br />
dem Wachstum des Gehäuses, d. h. mit<br />
zunehmender Länge der Septalränder, die<br />
Zahl der Loben durch Einfaltung der Sättel<br />
vermehrt. Loben, die beim Wachstum<br />
zwischen dem Lateral- und dem Externlobus<br />
eingeschaltet werden, heißen Adventivloben<br />
(A). Wenn Loben zwischen<br />
dem Intern- und Laterallobus entstehen,<br />
heißen sie Umbilikalloben (U). Die<br />
zeitliche Reihenfolge der Adventiv- und<br />
Systematik<br />
• Stamm: Mollusca<br />
• Klasse: Cephalopoda<br />
• Unterklasse: Ammonoidea<br />
• Ordnung: Goniatitida<br />
Ceratitida<br />
Ammonitida<br />
(Clarkson 1999)<br />
Umbilikalloben wird durch Ziffern angegeben<br />
(Abb. 5, 6) (Ziegler 1983).<br />
Die Ontogenie der Lobenlinien ist ein<br />
wichtiges Merkmal zur Bestimmung der<br />
Ammonoideen sowie zur Erforschung ihrer<br />
Stammesgeschichte. Da sie Strukturen<br />
auf der Innenseite des Gehäuses sind, kann<br />
man sie nur auf Steinkernen beobachten.<br />
Für die Biostratigraphie sind die Ammonoideen<br />
vom Mitteldevon bis zu ihrem<br />
Aussterben in der Oberkreide hervorragende<br />
Leitfossilien (Ziegler 2008).<br />
Phylogenie<br />
Insgesamt sind über 2000 Ammonoideen-Gattungen<br />
beschrieben, wovon aber<br />
nur eine geringe Formenfülle im Paläozoikum<br />
auftrat. Die primitivste Gruppe der<br />
Ammonoideen – abgesehen von den Bactriten<br />
– sind die auf das Devon beschränkten<br />
Anarcestida, von denen sich im Oberen<br />
Abb. 7 Stammesgeschichte der Ammonoideen<br />
und die Verbreitung ihrer Hauptgruppen. Die<br />
gestrichelten Blasen an den Hauptgruppen verdeutlichen<br />
den Zeitraum und die Intensität der<br />
Ausbreitung. Goniatitida: Devon bis Perm, Ceratitina:<br />
Oberes Perm und Trias, Ammonitina: Jura und<br />
Kreide (verändert nach Ziegler 2008, Zeichnung<br />
P. Strauch).<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
92 Patrick Strauch<br />
Devon eine Unterordnung, die Goniatitina,<br />
ableitet (Ziegler 1982). In beiden Gruppen<br />
sind ähnliche, fast gerade Suturen und ein<br />
knollenförmiger Protoconch, der bei der<br />
Ordnung Anarcestida durch einen perforierten<br />
Nabel gekennzeichnet ist, zu beobachten.<br />
Bei dieser Art entwickelten sich<br />
fortschrittlichere Merkmale, wie das Eindrehen<br />
des Gehäuses und eine erhöhte<br />
Wellung der Suturen, was letztlich zu dem<br />
goniatitischen Zustand führte. Mit etwa<br />
70 Gattungen stellten die Goniatitina die<br />
höchste Anzahl der Ammonoideen im Paläozoikum<br />
dar. Diese paläozoischen Gruppen<br />
lebten vom Devon bis zum Perm. Beim<br />
Massensterben am Ende des Perm war<br />
es nur wenigen Arten der Ordnung Prolecanitida<br />
möglich zu überleben. Aus diesen<br />
entwickelte sich in der Trias die Ordnung<br />
Ceratitida, der mehrere Überfamilien<br />
angehörten. Diese sind landläufig als „Ceratiten“<br />
bekannt (Clarkson 1999). Obwohl<br />
es hierbei um eine kurzlebige, sich nur auf<br />
die Trias beschränkte Gruppe handelt,<br />
brachte sie eine große Formenfülle hervor<br />
(Ziegler 1983). Bei dieser tritt dann die in<br />
Abb. 4b dargestellte ceratitische Sutur auf<br />
und die Skulptur des Gehäuses wird bei einigen<br />
Gruppen zunehmend komplexer.<br />
Ebenfalls in der frühen Trias spaltete<br />
sich die Ordnung der Ammonitida ab,<br />
deren weitere Entwicklungsstadien die<br />
Grundlage aller Ammonoideen nach der<br />
Trias bildeten (Clarkson 1998) (Abb. 7).<br />
Die genaue Herkunft der Ammoniten sensu<br />
stricto, die im Jura und in der Kreide eine<br />
hohe Diversität aufwiesen, ist noch nicht<br />
ganz geklärt, wird aber meist bei den Lytoceratina<br />
in der Oberen Trias vermutet<br />
(Ziegler 1983).<br />
Geologischer Rahmen<br />
Der Lebensraum der Ceratiten aus dem<br />
Germanischen Becken ist an die landschaftsbildenden<br />
Ereignisse der Trias gekoppelt,<br />
einem Erdzeitalter, das vor 250<br />
Millionen Jahren begann und bis vor ungefähr<br />
205 Millionen Jahren andauerte. Die<br />
Trias umfasst somit eine Zeitspanne von<br />
ca. 45 Millionen Jahren und ist die älteste<br />
Einheit des Mesozoikum. In der Trias<br />
waren die Kontinente zum Superkontinent<br />
Pangäa (Abb. 8) zusammengeschlossen<br />
(Stanley 1989).<br />
Durch die besondere, kompakte Anordnung<br />
von Land- und Wassermassen<br />
herrschte ein Klima mit hohen Verdunstungsraten,<br />
das sowohl für den westlichen<br />
Teil der Tethys als auch den zentralen<br />
Teil der Pangäa nachgewiesen werden<br />
kann (Abb. 8). Durch Passatwinde wurde<br />
dem Superkontinent viel Feuchtigkeit<br />
entzogen. Das hatte in der Unteren Trias<br />
ein semiarides bis arides Klima zur Folge,<br />
das erst in der Oberen Trias zunehmend<br />
humider wurde (Faupl 2000). Mit der besonderen<br />
Verteilung der Land- und Wassermassen<br />
entstanden zwei entscheidende<br />
Ablagerungsräume. Zum einen die ozeanischen<br />
Bereiche der Tethys, aus denen sich<br />
die alpinen Trias-Ablagerungen gebildet<br />
haben, und zum anderen die kontinentalen<br />
Bereiche, aus denen die germanischen<br />
Trias-Ablagerungen hervorgegangen sind<br />
(Faupl 2000). Die alpinen Trias-Ablagerungen<br />
unterscheiden sich von den Trias-<br />
Ablagerungen des Germanischen Beckens,<br />
die in Deutschland, Frankreich, Spanien,<br />
in der betischen Kordillere (Andalusisches<br />
Faltengebirge), Polen und zum Teil auch in<br />
Marokko vorzufinden sind (Faupl 2000).<br />
Durch das Zusammenwirken von Sedimentanlieferung,<br />
Subsidenz des Abla gerungsraumes<br />
und Meeresspiegelschwan-<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Ceratiten zweier Teilsammlungen des Landesmuseums Hannover<br />
93<br />
Abb. 8 Verteilung der Landmassen<br />
während der Trias (Zeichnung P. Strauch).<br />
kungen auf den nördlichen Schelfgebieten<br />
der Tethys kam es zur Ablagerung der<br />
Sedimente der Germanischen Trias. Dabei<br />
stieß das Meer in verschiedenen Etappen<br />
von Südosten her durch das südliche<br />
Polen in das sog. Germanische Becken<br />
vor (Stanley 1989). Die Germanische Trias<br />
lässt sich in die für sie charakteristische<br />
stratigrafische Dreigliederung unterteilen:<br />
Buntsandstein, Muschelkalk und Keuper<br />
(Faupl 2000). Während der Unteren Trias<br />
bildeten sich große Mengen terrestrischer<br />
Sedimente. Das änderte sich erst in<br />
der Mittleren Trias, als das Meer große<br />
Teile Mittel- und Nordeuropas überflutete<br />
(Stanley 1989). Im Buntsandstein wurde<br />
Sedimentmaterial in Form von fluviolakustrischen<br />
Sandsteinen, Tonsteinen und<br />
Konglomeraten unter semiariden Klimabedingungen<br />
überwiegend von Süden her<br />
angeliefert, das eine rote Gesteinsfarbe aufweist.<br />
Der Buntsandstein erreichte Mächtigkeiten<br />
von 500 m in der Hessischen Furche<br />
und bis zu 1 000 m in der Baltischen<br />
Furche (Faupl 2000). In der Mittleren Trias<br />
überflutete das Meer große Teile Mittelund<br />
Nordeuropas (Stanley 1989). Dabei<br />
gelangte der Muschelkalk während Meeresspiegelhochständen<br />
(Transgressionen)<br />
über die Oberschlesische und Ostkarpatische<br />
Pforte zur Ablagerung. Dieser ist<br />
dünnschichtig und führt zahlreiche Muschel-<br />
und Brachiopodenlagen, deshalb erhielt<br />
er die Bezeichnung Muschelkalk. Zur<br />
Zeit des Mittleren Muschelkalk wurde die<br />
östliche Verbindung zur Tethys geschlossen.<br />
In der Folge bildeten sich Evaporite,<br />
die heute als „Salinarfolge“ bekannt sind.<br />
Danach folgte während des Oberen Muschelkalk<br />
wiederum eine Transgression, in<br />
der Wasser aus Südwesten durch die burgundische<br />
Pforte in das Gebiet vordrang.<br />
Der Muschelkalk erreichte eine Mächtigkeit<br />
von bis zu 500 m (Faupl 2000). Beim<br />
Übergang vom Muschelkalk zum Keuper<br />
kam es aufgrund eines Absenkens des<br />
Meeresspiegels (Regression) zu einer Verringerung<br />
des marinen Einflusses im mitteleuropäischen<br />
Bereich (Stanley 1989).<br />
Die Ablagerungen des Keuper bestehen<br />
wieder vermehrt aus terrigenem Material,<br />
das von Norden und Nordosten her angeliefert<br />
wurde.<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
94 Patrick Strauch<br />
Abb. 9 Profilschnitt durch den Elm von WSW nach<br />
NNE (Quelle: Kartenserver des Niedersächsischen<br />
Bodeninformationssystems [NIBIS])<br />
(Zeichnung P. Strauch).<br />
Der Elm<br />
Der Elm ist ein bis zu 326 m üNN bewaldeter<br />
Höhenzug inmitten einer fruchtbaren<br />
Lößlandschaft zwischen Harz und<br />
Flechtinger Höhenzug und liegt etwa<br />
20 km südöstlich von Braunschweig. Er<br />
besteht zum größten Teil aus den Muschelkalken<br />
der Unteren Trias. Vom Liegenden<br />
zum Hangenden finden sich der<br />
Untere Muschelkalk mit einer Mächtigkeit<br />
von ungefähr 15 m, der Mittlere Muschelkalk<br />
mit einer Mächtigkeit von ungefähr<br />
25 m und der Obere Muschelkalk,<br />
der eine Mächtigkeit von 30 m aufweist.<br />
Am Rand des Elm, und damit in den topografisch<br />
niedriger gelegenen Regionen,<br />
liegt der Obere Muschelkalk aufgeschlossen<br />
vor. Im Zentrum des Elm findet man<br />
den Unteren Muschelkalk und vereinzelt<br />
in Vertiefungen Röt (Oberer Buntsandstein)<br />
aufgeschlossen (Abb. 9). Im Unteren<br />
Muschelkalk finden sich heute mehrere<br />
aufgegebene Steinbrüche. Viele Jahre<br />
dienten diese Steinbrüche zum Abbau des<br />
Muschelkalk, der als Naturwerkstein zum<br />
Bau von Kirchen und Profanbauten genutzt<br />
wurde. Bis in die Neunziger Jahre<br />
des letzten Jahrhunderts wurden zudem<br />
beispielsweise im Steinbruch Hemkerode<br />
jeden Tag bis zu 1 300 Tonnen Gestein gebrochen<br />
und per Seilbahn zum Elm-Kalkwerk<br />
in Hemkerode transportiert, in dem<br />
es zu Branntkalk, Düngekalk und Kalk für<br />
die Bauindustrie verarbeitet wurde. Gesteine,<br />
die einen geringeren Kalkgehalt aufwiesen,<br />
wurden in der Zementherstellung<br />
verwendet. So belief sich die Jahresproduktion<br />
des Elm-Kalkwerks insgesamt auf<br />
etwa 75 000 Tonnen Dünge- und Baukalk<br />
und ungefähr 100 000 Tonnen Portland-<br />
Zement. Neben dem Nutzen für die Bauindustrie<br />
ist der Elm aufgrund seiner Vielfalt<br />
an Fossilien auch für die Paläontologie<br />
von großer Bedeutung (Abb. 10).<br />
Im Unteren Muschelkalk von Hemkerode<br />
am Elm finden sich Brachiopoden (Coenothyris<br />
vulgaris), Muscheln (Gervilleia<br />
socialis), Schnecken (Loxonema fritschi, Undularia<br />
scalata) und Vermes (Spirorbis valata,<br />
Serpula sp.). Im Oberen Muschelkalk<br />
finden sich u. a. Schnecken, Kahnfüßer,<br />
Muscheln, Brachiopoden, Knospenstrahler,<br />
Seeigel und Kopffüßer, zu denen auch<br />
die in dieser Arbeit behandelten Exemplare<br />
gehören (Krüger 1999).<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Ceratiten zweier Teilsammlungen des Landesmuseums Hannover<br />
95<br />
Legende<br />
Abb. 10 Geologische Karte der Elm-Region, Quelle: Wikipedia.<br />
Die Ceratiten<br />
Zur Großgruppe der Ceratiten zählen<br />
sowohl die Ceratiten des Oberen Muschelkalk<br />
als auch die Ceratiten aus den<br />
Sedimenten der alpinen Trias. Die Ceratiten<br />
des Oberen Muschelkalk können<br />
mit Recht eine Sonderstellung unter den<br />
Ammonitengattungen beanspruchen, da<br />
sie sich in ihrem Habitus von allen anderen<br />
unterscheiden (Riedel 1916). Die ersten<br />
Einwanderungen von Ammonoideen<br />
in das Germanische Becken erfolgten<br />
zur Zeit des Oberen Buntsandstein mit<br />
der Meeresverbindung zur Tethys über die<br />
Ostkarpaten-Pforte. So ist die Gattung<br />
Beneckeia in nahezu dem gesamten Unteren<br />
Muschelkalk bis in die Schaumkalkbänke<br />
im ganzen Germanischen Becken<br />
vertreten. Während des Unteren Muschelkalk<br />
folgten noch viele weitere Zuwanderungen<br />
von zahlreichen Cephalopoden-<br />
Gattungen, die meisten Arten sind jedoch<br />
nur in der Pfortennähe vorzufinden, das<br />
könnte auf starke Salinitätsschwankungen<br />
zurückzuführen sein. Lediglich die Gattungen<br />
Beneckeia und Germanonautilus<br />
konnten sich erfolgreich über das gesamte<br />
Becken ausbreiten, da sie wohl deutlich<br />
unempfindlicher gegenüber den wechselnden<br />
Salzgehaltskonzentrationen waren. Im<br />
Mittleren Muschelkalk, als der Wasseraustausch<br />
mit dem offenen Ozean stark eingeschränkt<br />
war, dampfte ein Großteil des<br />
Meerwassers im Germanischen Becken<br />
ein, in dessen Folge sich an den Randbereichen<br />
des Beckens Gips und im Beckeninneren<br />
mächtige Steinsalzlager bildeten.<br />
Dadurch herrschten in dem stark übersalzenen<br />
Germanischen Becken lebensfeindliche<br />
Bedingungen. Mit der neuen Meeresverbindung<br />
des Germanischen Beckens<br />
zur Tethys über die Burgundische Pforte<br />
folgte zu einem späteren Zeitpunkt jedoch<br />
eine Neubesiedlung aus dieser Richtung.<br />
Verschiedene Arten der Gattung<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
96 Patrick Strauch<br />
Germanonautilus und später auch Ceratites<br />
atavus atavus, die Stammart der Ceratiten,<br />
konnten sich daher im Germanischen<br />
Becken ausbreiten. Daher stellen die Ceratiten<br />
die wichtigsten Fossilien zur Untergliederung<br />
des germanischen Oberen<br />
Muschelkalk dar. Ceratites entwickelte sich<br />
zu einer auf das Germanische Becken beschränkten<br />
Gattung, deren zahlreiche Arten<br />
sich im gesamten Oberen Muschelkalk<br />
ausbreiteten. Ausgehend von Ceratites atavus<br />
atavus entwickelten sich kleine Arten<br />
mit Gabelrippen auf der Wohnkammer (C.<br />
pulcher, C. robustus). In der weiteren Entwicklung<br />
der Ceratiten verschwanden die<br />
Gabelrippen allmählich und es blieben nur<br />
Arten, die sich durch glatte oder bedornte<br />
Einfachrippen auszeichneten (z. B. C. compressus).<br />
Die Entwicklung ging weiter über<br />
Arten mit simplen Einfachrippen auf der<br />
Wohnkammer (z. B C. evolutus) bis hin zu<br />
solchen mit spitzen Randdornen (z. B. C.<br />
spinosus). Die Durchschnittsgröße nahm<br />
dabei ausgehend von Ceratites atavus atavus<br />
bis hin zu Ceratites spinosus allmählich<br />
von 7 auf über 25 cm zu. Aufgrund einer<br />
danach folgenden Größenabnahme wird<br />
von einer Verbrackung des Muschelkalkmeeres<br />
ausgegangen, wodurch es zu einem<br />
Vorstoß von brackwasserbewohnenden<br />
Tieren und der Verdrängung der Ceratiten<br />
im Muschelkalkmeer kam. Aus Ceratites<br />
enodis und C. laevigatus entwickelten<br />
sich dann wieder Arten mit Einfachrippen<br />
bis hin zu Arten mit kräftig ausgebildeten<br />
Wulstrippen (C. nodosus). Diesen folgten<br />
– am Ende der Entwicklung der Ceratiten<br />
– große, scheibenförmige Arten mit<br />
schwach ausgeprägten Rippen (C. dorsoplanus,<br />
C. semipartitus; Urlichs 1999). Im Verlauf<br />
des zweiten Entwicklungszyklus nahm<br />
der Enddurchmesser allmählich von etwa<br />
15 auf über 40 cm zu. Über den Zeitraum<br />
von 4 Millionen Jahren konnte sich Ceratites<br />
im Oberen Muschelkalk mit etwa 40<br />
Arten im nahezu gleichbleibenden Milieu<br />
entwickeln.<br />
Die Otto-Klages-Sammlung<br />
„Meine Steine sind mein Leben. Jahrmillionen<br />
sind in ihnen eingeschlossen.<br />
Und dann der beglückende Augenblick:<br />
Dieses Leben im Kern der versteinerten<br />
Kruste als erster wiederzusehen! Können<br />
Sie das verstehen?“ Diese Worte sprach<br />
Otto Klages über seine Sammlung, die der<br />
königsluttersche Kaufmann in lebenslanger<br />
Arbeit zusammengesucht, getauscht<br />
und teilweise gekauft hatte. Sie zählt zu<br />
einer der schönsten geologischen Privatsammlungen<br />
Deutschlands und umfasst<br />
insgesamt über zwanzigtausend Fossilien,<br />
Steine und Minerale, die z. T. aus seiner<br />
heimatlichen Umgebung um Königslutter,<br />
aus Europa aber auch aus der ganzen Welt<br />
stammen. Zusammen mit Fachleuten hat<br />
Otto Klages viele Stücke aus seiner Sammlung<br />
bestimmt und beschrieben. Neben<br />
seiner Tätigkeit als Sammler wollte er die<br />
Wunder, die sich ihm täglich offenbarten,<br />
anderen vermitteln. Die Bevölkerung, insbesondere<br />
die Jugend und angehende Wissenschaftler,<br />
sollten an seiner Welt teilhaben.<br />
So schenkte er Teile seiner Sammlung<br />
Schulen, Museen und Universitäten in<br />
ganz Deutschland. Einen Großteil dieser<br />
Sammlung kaufte das Landesmuseum<br />
Hannover nach seinem Tod im Jahre 1982<br />
von seiner Witwe. Über 2000 besonders<br />
ausgesuchte Stücke überreichte er im Jahr<br />
1972 seiner Vaterstadt Königslutter, die<br />
sich bis vor kurzem in einem der schönsten<br />
alten Brauhäuser der Stadt, dem 1670<br />
erbauten Fachwerkhaus im „Sack 1“ befanden.<br />
Dort faszinierten sie viele Jahre unzählige<br />
Besucher. Seit dem 30. April 2013<br />
befindet sich dieser Teil der Sammlung in<br />
der Obhut des FEMO (Freilicht- und Erlebnismuseum<br />
Ostfalen e. V.) und ist in<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Ceratiten zweier Teilsammlungen des Landesmuseums Hannover<br />
97<br />
einem von der Stadt Königslutter sanierten<br />
und dem FEMO zur Verfügung gestellten<br />
Barock-Fachwerkgebäude in Königslutter<br />
in der Straße „An der Stadtkirche 1“ zu besichtigen.<br />
Zu den ansehnlichsten Stücken<br />
der Otto-Klages-Sammlung zählt u. a. ein<br />
mächtiger Stromatolith aus dem Unteren<br />
Buntsandstein vom Heeseberg, ein unregelmäßig<br />
geformter Knollenquarzit aus<br />
tertiären Braunkohlesanden von Helmstedt<br />
und eine Platte Crinoideenkalkstein<br />
aus dem Oberen Muschelkalk von Erkerode<br />
am Elm, die mit den Stielgliedern der<br />
Seelilie Encrinus liliiformis übersät ist.<br />
Fossilisation<br />
Eine wesentliche Voraussetzung für die<br />
Fossilwerdung eines Organismus ist die<br />
Einlagerung in das Sediment des Meeresbodens<br />
(Keupp 2000). Erst am Ende des<br />
taphonomischen Pfades erfolgt die Einbettung<br />
in das Sediment, sofern der Organismus<br />
bis dahin nicht zerstört wurde.<br />
Nach der Einbettung setzt die Fossil-Diagenese<br />
ein. Die Diagenese eines Fossils ist<br />
ein überwiegend sedimentologisch-chemisch<br />
gesteuerter Prozess, der in der Lage<br />
ist, die Form und Erhaltung eines jeden<br />
Fossils sowie die ursprüngliche Zusammensetzung<br />
zu verändern. Dabei spielen<br />
Skelett- bzw. Hartteilmaterial, die Skelettarchitektur<br />
(Dichte und Struktur) und das<br />
Sedimentgefüge eine große Rolle, da durch<br />
diese Faktoren bestimmte chemische Vorgänge<br />
tiefgreifende diagenetische Veränderungen<br />
an Organismenresten bewirken<br />
können. Sie können den Chemismus und<br />
die Feinstruktur der Hartteile verändern<br />
und sogar zur vollständigen Auflösung der<br />
Skelettreste führen. Zu den für die Ammonoideen<br />
vermutlich wichtigsten Prozessen<br />
der Fossil-Diagenese zählen Kompaktion<br />
und Deformation, Lösung, Substanzerhaltung,<br />
isochemische Fossil-Diagenese,<br />
allochemische Fossil-Diagenese sowie<br />
die Ausbildung von Steinkernen (Amler<br />
2012).<br />
Die Kompaktion, ein erster Schritt der<br />
Diagenese, ist ein Vorgang, bei dem das Sediment<br />
durch Entwässerung an Volumen<br />
verliert und die einzelnen Komponenten,<br />
wie z. B. Sedimentkörner und Hartteile<br />
von Organismen, näher zusammenrücken.<br />
Dabei werden Fossilien komprimiert<br />
und/oder deformiert. Bei Ammonoideen<br />
hat dieser Vorgang zur Folge, dass vor allem<br />
die Formen, deren Längsachse senkrecht<br />
oder schräg zur Sedimentoberfläche<br />
orientiert ist, verändert werden. Gehäuse<br />
der gleichen Art können dabei, je nach<br />
ihrer Lage im Sediment, unterschiedliche<br />
Verzerrungen erfahren. Entsprechend ihrer<br />
chemischen Löslichkeit können Hartteile,<br />
in Abhängigkeit vom pH-Wert, vollständig<br />
aufgelöst werden. Besonders Aragonit<br />
löst sich sehr schnell, Calcit dagegen ist<br />
deutlich stabiler gegenüber Lösungsprozessen<br />
(Amler 2012). Damit eine aragonitische<br />
Perlmuttschale von Ammonoideen,<br />
deren dichte, rhombische Kristallstruktur<br />
in der unbelebten Natur als Hochdruck-<br />
Mineral vorkommt, stofflich und strukturell<br />
erhalten bleibt, müssen besondere Verhältnisse<br />
bei der Fossilisation gegeben sein.<br />
Um eine Auflösung und Umkristallisation<br />
zu vermeiden, muss bei möglichst konstanten<br />
und niedrigen Temperaturen frühzeitig<br />
ein Austausch von Porenwasser-Lösungen<br />
im Sediment verhindert werden (Keupp<br />
2000). Daher tritt eine Substanzerhaltung<br />
häufig in Tonsteinen auf, in denen die<br />
Durchlässigkeit für Porenwässer stark herabgesetzt<br />
ist (Amler 2012). In den meisten<br />
Fällen, in denen eine sog. „Schalenerhaltung“<br />
vorliegt, ist das ursprüngliche Aragonit-Material<br />
während der Fossil-Diagenese<br />
jedoch ausgetauscht worden. Dieser<br />
Vorgang wird auch als isochemische Fossil-Diagenese<br />
bezeichnet. Dabei bleibt der<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
98 Patrick Strauch<br />
Kalk zwar erhalten, jedoch wird das organisch<br />
gebildete Aragonit gelöst und durch<br />
die thermodynamisch stabile Kristallmodifikation<br />
des Kalks, den Kalzit, ersetzt. Einen<br />
weiteren Prozess der Fossilisation stellt<br />
die allochemische Fossil-Diagenese dar.<br />
Bei dieser können Aragonitschalen und die<br />
Reste von organischen Substanzen durch<br />
Mineralien mit einer anderen chemischen<br />
Zusammensetzung ersetzt werden. Zu den<br />
häufigsten Austauschprozessen gehören<br />
die Verkieselung, die Phosphatisierung und<br />
die Verkiesung. Bei der Verkieselung findet<br />
ein gegenseitiger Austausch von Kalk und<br />
der nicht kristallinen, wasserhaltigen Kieselsäure<br />
(Opal, SiO 2<br />
× nH 2<br />
O), die bei Änderungen<br />
des pH-Wertes entgegengesetzte<br />
Stabilitäten aufweisen, statt. Kalk fällt in<br />
einem schwach basischen Milieu aus und<br />
geht im sauren Bereich in Lösung über. Bei<br />
der Phosphatisierung erfolgt der Ersatz der<br />
Aragonitschale durch Kalziumphosphat in<br />
Form von Apatit. Neben der Schale können<br />
dabei jedoch auch resistentere organische<br />
Bestandteile, vor allem innerhalb des<br />
Phragmokons, wie z. B. die Pellicula oder<br />
der Sipho, erhalten bleiben. Voraussetzung<br />
für die Bildung von Kalziumphosphat ist<br />
ein saures und anaerobes Milieu, wie es<br />
in abgeschlossenen Hohlräumen gegeben<br />
ist, in denen Bakterien die Ausfällung von<br />
Kalziumphosphat initiieren. Ein weiterer<br />
Vorgang der Fossilisation, der ebenfalls unter<br />
sauerstofffreien Bedingungen stattfindet,<br />
ist die Verkiesung. Dabei reduzieren<br />
Schwefelbakterien das Sulfat von organischen<br />
Verbindungen, wobei in dessen Folge<br />
Schwefelwasserstoff (H 2<br />
S) als Produkt<br />
der Atmung der Bakterien freigesetzt wird.<br />
Zusammen mit Metallionen kann es dabei<br />
zur Ausfällung von Metallsulfiden („Kiese“),<br />
wie Pyrit, kommen (Keupp 2000).<br />
Damit es zu einer Steinkern-Bildung<br />
kommen kann, muss der Innenraum des<br />
Gehäuses nach und nach im Lockersediment<br />
mit dem umgebenden Sediment<br />
gefüllt werden, was meist durch Risse in<br />
der Schale sowie durch natürliche Öffnungen<br />
induziert wird. Die dabei entstehende<br />
Ausfüllung entspricht im vollständigen<br />
Zustand exakt dem ehemaligen<br />
Innenraum des Gehäuses und gibt damit<br />
auch vollständig, allerdings im Negativ, die<br />
Merkmale der Gehäuse-Innenseite wieder.<br />
Diesen „Ausguss“ bezeichnet man als<br />
Steinkern. Bei Ammonoideen entsteht so<br />
Abb. 11 Prinzipien der<br />
Fossil-Diagenese mit<br />
Substanzerhaltung (a, b)<br />
und Steinkern-Abdruck-<br />
Bildung (c, d)<br />
(Zeichnung P. Strauch).<br />
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Ceratiten zweier Teilsammlungen des Landesmuseums Hannover<br />
99<br />
ein Innenabdruck aller Gehäusemerkmale,<br />
wie die Anwachslinien von Septen, Rippen<br />
und Stacheln. Im verfestigten Sediment, in<br />
dem keine weitere Veränderung des Fossils<br />
erfolgt, würden demnach Steinkern (innen)<br />
und Abdruck der Schalenoberfläche<br />
(außen) noch durch die Dicke der Schale<br />
getrennt werden. Falls das Schalenmaterial<br />
durch zirkulierende Porenwässer aufgelöst<br />
würde, bliebe zunächst der Hohlraum der<br />
ehemaligen Schale als solcher erhalten. In<br />
diesem Hohlraum kann nun entweder Ersatzmaterial<br />
durch allochemische Fossil-<br />
Diagenese ausgefällt und der Hohlraum<br />
neu ausgefüllt werden oder der Hohlraum<br />
kann, keine diagenetische Auflast vorausgesetzt,<br />
erhalten bleiben (Amler 2012)<br />
(Abb. 11).<br />
Material und Methoden<br />
Zu dieser Arbeit wurden 7 Steinkerne<br />
von Ceratiten aus der Sammlung des Niedersächsischen<br />
Landesmuseums Hannover<br />
bereitgestellt. Davon stammen 3 Exemplare<br />
aus der Otto-Klages-Sammlung<br />
und weitere 4 Exemplare aus der ehemaligen<br />
Schausammlung des Niedersächsischen<br />
Landesmuseums Hannover. Die<br />
Exemplare wurden makroskopisch begutachtet<br />
und mit Hilfe eines Messschiebers<br />
vermessen. Wo das menschliche Auge auf<br />
seine Grenzen stieß, wurde je nach Bedarf<br />
eine Lupe oder ein Mikroskop von der Firma<br />
Zeiss, Model „Stemi DRC“, hinzugezogen.<br />
Die Fotos wurden mit der digitalen<br />
Spiegelreflexkamera „Canon EOS 600D“<br />
gemacht und anschließend mit Hilfe des<br />
Bildbearbeitungsprogramms „Photoshop<br />
CS3“ freigestellt und bearbeitet. Als Textverarbeitungsprogramm<br />
stand „Microsoft<br />
Office Word 2007“ zur Verfügung. Die<br />
Begutachtung der Exemplare erfolgte aufbauend<br />
auf der Arbeit „Die Ceratiten des<br />
germanischen Muschelkalks“ von Rolf<br />
Wenger (1957). Nach Bedarf wird auch auf<br />
die Arbeiten von Riedel (1916) und Philippi<br />
(1901) zurückgegriffen. Nach Wenger<br />
(1957) sind für taxonomische Zwecke bei<br />
Ceratites folgende Merkmale hierarchisch<br />
geordnet brauchbar: Skulpturtyp, Größe<br />
und Querschnitt, Involution und Scheibenzunahme,<br />
Dichte und Intensität der<br />
Skulptur und Skulptureigentümlichkeiten<br />
(Wenger 1957).<br />
Da bei den vorliegenden Exemplaren<br />
teilweise eine nur mäßig gute Erhaltung<br />
vorliegt, wichtige Merkmale zerstört oder<br />
stark verzerrt sind und die Wohnkammerfüllung<br />
nicht mehr erhalten ist, wurden nur<br />
ausgewählte Werte bei der Auswertung berücksichtigt.<br />
Die hier anwendbaren Werte<br />
sind DK, h 2<br />
, h 3<br />
, h 4<br />
, Nw 1<br />
, Nw 2<br />
(Abb. 12).<br />
Der einzige Gehäuseparameter, der daraus<br />
errechnet werden kann, ist die Scheibenzunahme.<br />
Die anderen nach Wenger relevanten<br />
Werte zur taxonomischen Bestimmung<br />
können aufgrund des Zustands der Steinkerne<br />
leider nicht berechnet werden. Lediglich<br />
bei Exemplar 3, Ceratites intermedius<br />
aus der ehemaligen Schausammlung<br />
des Landesmuseums Hannover, und Exemplar<br />
7, Ceratites compressus aus der Otto-<br />
Klages-Sammlung, sind die Wohnkammerfüllungen<br />
noch erhalten. Da diese<br />
Wohnkammerfüllung bei Exemplar 3 aber<br />
eine starke Deformation aufweist und bei<br />
Exemplar 7 – aufgrund der bei dem Vergleichsstück<br />
fehlenden Wohnkammerfüllung<br />
– keine Relevanz hat, wird diese nicht<br />
berücksichtigt. Für die Berechnung der<br />
Scheibenzunahme wurde folgende Formel,<br />
nach der Beschreibung von Wenger<br />
(1957), herangezogen:<br />
Scheibenzunahme: S= [(h 2<br />
/DK) × 100]<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
100 Patrick Strauch<br />
Abb. 12 Verdeutlichung der Messwerte an den<br />
Steinkernen (verändert nach Wenger 1957, Zeichnung<br />
P. Strauch).<br />
DE: Enddurchmesser<br />
DK: Durchmesser des Phragmokons<br />
h 1<br />
, h 2<br />
, h 3<br />
, h 4<br />
: Windungshöhe<br />
Nw 1<br />
, Nw 2<br />
: Nabelweite<br />
Die Scheibenzunahme ist das Verhältnis<br />
vom Durchmesser zur Höhe der letzten<br />
Windung. Zwar soll nach Wenger<br />
(1957), aufgrund des größeren Messwertes<br />
und eines daraus resultierenden kleineren<br />
Fehlers, hierfür der Enddurchmesser<br />
(DE) gemessen werden, jedoch ist dies aufgrund<br />
der nicht vorhandenen Wohnkammerfüllungen<br />
nicht möglich, deshalb wird<br />
auf den Phragmokon-Durchmesser zurückgegriffen.<br />
Neben den oben angegebenen<br />
Messwerten wird auch die Ausbildung<br />
der Lobenlinien – sofern Artcharakteristika<br />
vorhanden sind – zum Vergleich und<br />
letztendlich zur Artbestimmung herangezogen.<br />
Zusammenfassend werden in dieser<br />
Arbeit zur Arterfassung und zum Abgleich<br />
die folgenden Merkmale herangezogen:<br />
Skulpturtyp (bzw. dessen Innenabdruck<br />
am Steinkern), Größe, Scheibenzunahme,<br />
Dichte und Intensität der Skulptur, die<br />
Ausbildung der Lobenlinien und, sofern<br />
vorhanden, Skulptureigentümlichkeiten.<br />
Ergebnisse<br />
Die Ceratiten aus der<br />
Schausammlung des<br />
Landesmuseums Hannover<br />
Exemplar 1 – Ceratites nodosus<br />
Dieser Ceratit, zuvor als Ceratites nodosus<br />
Brugiere bestimmt, stammt aus der<br />
ehemaligen Schausammlung des Landesmuseums<br />
Hannover (Inventarnummer:<br />
105.318) und wurde in Versbach bei Würzburg<br />
in Bayern in den Schichten des Oberen<br />
Muschelkalk gefunden. Ein Großteil<br />
der Wohnkammerfüllung ist abgebrochen<br />
und nicht mehr vorhanden. Es handelt sich<br />
ausschließlich um den Steinkern, Schalenstücke<br />
sind nicht erhalten. Die sinistrale<br />
(linke) Seite befindet sich in einem mäßig<br />
gut erhaltenen Zustand, auf der dextralen<br />
(rechten) Seite sind die Skulpturelemente<br />
fast komplett zerstört. Die Farbe<br />
ist größtenteils graubraun, mit Anteilen<br />
helleren Ockers. Stellenweise sind rostrote<br />
Areale zu erkennen. Der Durchmesser<br />
(D 2<br />
) des Steinkerns beträgt 13,2 cm, der<br />
sich mit 4,5 cm auf die Strecke h 4<br />
und 3,0<br />
cm auf die Strecke Nw 2<br />
und 5,7 cm auf<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Ceratiten zweier Teilsammlungen des Landesmuseums Hannover<br />
101<br />
Abb. 13 Ceratites nodosus aus der Schausammlung<br />
des Landesmuseums Hannover, Inventarnummer:<br />
105.318. a: sinistrale Seite, b: dextrale Seite,<br />
c: ventrale Seite.<br />
die Strecke h 2<br />
verteilt (Tab. 1). Der Rücken<br />
dieses Exemplars wird in Richtung<br />
der Mündung deutlich breiter. Die inneren<br />
Windungen weisen flache, eng beieinander<br />
stehende Einfachrippen auf, die<br />
sich in Richtung der Mündung zu weiter<br />
auseinander stehenden kräftigeren Flankenwülsten<br />
entwickeln. Besonders bei der<br />
Rückenansicht des Steinkerns fallen sie ins<br />
Auge. Das Gehäuse wirkt insgesamt sehr<br />
wuchtig und kompakt. Während die Einfachrippen<br />
in den inneren Windungen<br />
noch eine leichte Sichelform aufweisen,<br />
sind die Einfachrippen zur Mündung hin<br />
eher geradlinig (Abb. 13). Die Lobenlinien<br />
sind eindeutig ceratitisch (Abb. 14). Auf<br />
den Loben ist eine klare Zähnelung zu erkennen,<br />
während die Sättel eine glatte und<br />
runde Struktur aufweisen.<br />
Der Externlobus (E), bestückt mit vier<br />
Zähnchen auf jeder Seite, befindet sich<br />
auf der lateralen Seite des Steinkerns und<br />
wird durch den Mediansattel (m) halbiert.<br />
In Richtung des Nabelrandes folgt der<br />
Abb. 14 Exemplarische Lobenlinie von Ceratites<br />
nodosus (Exemplar 1) aus der Schausammlung des<br />
Landesmuseums Hannover (Zeichnung P. Strauch).<br />
Externsattel (e), der mit Abstand den breitesten<br />
Sattel der Lobenlinie darstellt. Er<br />
befindet sich zum Großteil noch auf dem<br />
Rücken. Darauf folgt der erste Laterallobus<br />
(L). Dieser ist der breiteste und höchste<br />
Lobus der Lobenlinie und ist mit 14<br />
Zähnchen versehen. Der darauf folgende<br />
erste Lateralsattel (l 1<br />
) ist deutlich schmaler,<br />
aber etwas höher als der Externsattel.<br />
Dem ersten Lateralsattel folgt der Umbilikallobus<br />
U 2<br />
. Dieser ist wieder etwas kleiner<br />
als der ihm vorangehende Lobus und ist<br />
mit 3 Zähnchen bestückt. Darauf folgt der<br />
zweite Lateralsattel (l 2<br />
) und der Umbilikallobus<br />
U 4<br />
, der 3 Zähnchen aufweist. Das<br />
letzte wirklich erkennbare und ausgeprägte<br />
Merkmal der Lobenlinie ist der Sattel (l 3<br />
)<br />
nach dem Umbilikallobus U 4<br />
, der in seiner<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
102 Patrick Strauch<br />
Tab 1 Messwerte und errechnete Gehäuseparameter<br />
von Ceratites nodosus<br />
h 2<br />
h 3<br />
h 4<br />
Nw 1<br />
Nw 2<br />
DK<br />
Scheibenzunahme<br />
5,7 cm<br />
5,0 cm<br />
4,5 cm<br />
5,0 cm<br />
3,0 cm<br />
13,0 cm<br />
43,85 cm<br />
Größe kaum noch von dem Sattel zwischen<br />
U 2<br />
und U 4<br />
zu unterscheiden ist. Dem<br />
letzten Sattel (l 3<br />
) folgt der Umbilikallobus<br />
U 5<br />
, der nur noch kleine Zähnchen bis hin<br />
zum Nabelrand aufweist. Insgesamt finden<br />
sich auf der Lobenlinie sowohl 4 Loben als<br />
auch 4 kräftig und deutlich ausgebildete<br />
Sättel (Abb. 14). Die rote Markierung auf<br />
dem Steinkern verdeutlicht den Verlauf der<br />
ceratitischen Sutur. Wahrscheinlich wurde<br />
er zuvor als Schaustück und zu pädagogischen<br />
Zwecken genutzt.<br />
Exemplar 2 – Ceratites compressus<br />
Dieser Ceratit wurde zuvor als Ceratites<br />
compressus bestimmt und stammt ebenfalls<br />
aus der ehemaligen Schausammlung<br />
des Landesmuseums Hannover (Inventarnummer:<br />
105.336). Er wurde in Diemarden<br />
bei Göttingen in Niedersachsen in<br />
den Schichten des Oberen Muschelkalk<br />
gefunden. Auch bei diesem Exemplar ist<br />
ein großer Teil der Wohnkammerfüllung<br />
weggebrochen und nicht mehr vorhanden.<br />
Die sinistrale Seite befindet sich in relativ<br />
gut erhaltenem Zustand. Die letzte Windung<br />
vor der fehlenden Wohnkammerfüllung<br />
ist gut zu erkennen. Die inneren<br />
Windungen sind mit Gestein verfüllt, wodurch<br />
eine Skulptur nicht zu erkennen ist.<br />
Auf der dextralen Seite wurde die Struktur<br />
komplett zerstört. Der größte Teil des<br />
Steinkerns ist grau und an einigen Stellen<br />
ocker bis hellbraun (Abb. 15). Der Durchmesser<br />
(DK) des Steinkerns beträgt 7,0<br />
cm, der sich mit 2,8 cm auf die Strecke<br />
Abb. 15 Ceratites compressus aus der Schausammlung<br />
des Landesmuseums Hannover, Inventarnummer:<br />
105.336. a: sinistrale Seite, b: dextrale<br />
Seite, c: ventrale Seite (Bauchseite).<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Ceratiten zweier Teilsammlungen des Landesmuseums Hannover<br />
103<br />
h 4<br />
und 1,8 cm auf die Strecke Nw 2<br />
und<br />
2,4 cm auf die Strecke h 2<br />
verteilt. Außerdem<br />
konnte ein Wert für die Nabelweite<br />
Nw 1<br />
mit 2,0 cm gemessen werden (Tab.<br />
2). Der Rücken dieses Exemplars wird in<br />
Richtung der Mündung deutlich breiter.<br />
Die inneren Windungen, soweit erkennbar,<br />
weisen eine sehr flache Skulptur auf. Das<br />
Gehäuse wirkt im Vergleich zu Ceratites<br />
nodosus ebenfalls kompakt, jedoch deutlich<br />
schmaler und oval gerundet, da die flachen<br />
Wulstrippen gegen die Externseite flach<br />
auslaufen.<br />
Auf den Loben ist wie bei Exemplar 1<br />
eine sehr feine, aber deutliche Zähnelung<br />
zu erkennen, während die Sättel auch bei<br />
diesem Exemplar eine glatte und runde<br />
Struktur aufweisen. Die Lobenlinie (Abb.<br />
16) beginnt ausgehend vom Mediansattel<br />
(m), der den Externlobus (E) halbiert.<br />
Dieser Externlobus ist mit 3 Zähnchen besetzt.<br />
Dem Externlobus folgt der Externsattel<br />
(e), der sich etwa zur Hälfte auf dem<br />
Rücken des Exemplars befindet. Er ist der<br />
breiteste Sattel der Lobenlinie. Ihm folgt<br />
der Laterallobus (L), der mit 12 Zähnchen<br />
bestückt ist. Der darauf folgende Sattel (l 1<br />
)<br />
ist schmaler und etwas höher als der Externsattel<br />
(e). Darauf folgt der Umbilikallobus<br />
U 2<br />
, auf dem 6 Zähnchen zu erkennen<br />
sind. Nach einem weiteren Sattel (l 2<br />
) folgt<br />
der Umbilikallobus U 4<br />
, der ebenfalls mit 6<br />
Zähnchen bestückt ist. Nach einem Sattel<br />
(l 3<br />
), der dem vorigen sehr ähnlich ist,<br />
folgt der Umbilikallobus U 6<br />
, ebenfalls mit<br />
6 Zähnchen versehen. Dem Umbilikallobus<br />
U 6<br />
folgt ein letzter Sattel (l 4<br />
), der zu<br />
dem Umbilikallobus U 7<br />
überleitet. U 7<br />
ist<br />
jedoch noch kein voll ausgebildeter Lobus,<br />
sondern nur eine Reihe von Zähnchen, die<br />
unter dem Nabelrand verschwindet. Auch<br />
dieses Exemplar diente vermutlich in einer<br />
Ausstellung pädagogischen Zwecken, da<br />
eine der ceratitischen Suturen mit einem<br />
feinen schwarzen Stift zur Verdeutlichung<br />
nachgezogen wurde. Die Messwerte sind<br />
in Tab. 2 dargestellt.<br />
Exemplar 3 – Ceratites intermedius<br />
Bei diesen Exemplaren handelt es sich<br />
um zuvor als Ceratites intermedius bestimmte<br />
Ceratiten aus der ehemaligen<br />
Schausammlung des Landesmuseums<br />
Hannover (Inventarnummer: 105.334),<br />
die in den Giesener Bergen bei Hildesheim<br />
südöstlich von Hannover in den Ceratitenschichten<br />
gefunden wurden. In den<br />
großen Steinblock sind insgesamt 4 Steinkerne<br />
von C. intermedius eingebettet (Abb.<br />
17a bis 17d). Neben diesen Steinkernen<br />
Tab. 2 Messwerte und errechnete Gehäuseparameter<br />
von Ceratites compressus<br />
Abb. 16 Lobenlinie des Exemplars 2, Ceratites<br />
compressus, aus der Schausammlung des Landesmuseums<br />
Hannover (Zeichnung P. Strauch)<br />
h 2<br />
h 3<br />
h 4<br />
Nw 1<br />
Nw 2<br />
DK<br />
Scheibenzunahme<br />
2,8 cm<br />
2,7 cm<br />
2,4 cm<br />
2,0 cm<br />
1,8 cm<br />
7,0 cm<br />
40,00 cm<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
104 Patrick Strauch<br />
Abb. 17 Steinkerne von Ceratites<br />
intermedius (a – d, Inventarnummer:<br />
105.334) und<br />
Schalenerhaltung der Muschel<br />
Gervilleia substriata (e, f).<br />
Abb. 18 Lobenlinie des Exemplars 3, Ceratites<br />
intermedius, aus der Schausammlung des Landesmuseums<br />
Hannover (Zeichnung P. Strauch).<br />
Tab. 3 Messwerte und errechnete Gehäuseparameter<br />
von Ceratites intermedius<br />
h 2<br />
h 3<br />
h 4<br />
Nw 1<br />
Nw 2<br />
DK<br />
Scheibenzunahme<br />
3,5 cm<br />
2,9 cm<br />
2,4 cm<br />
2,8 cm<br />
2,8 cm<br />
8,7 cm<br />
39,8 cm<br />
finden sich noch zwei Fossilien von Gervilleia<br />
substriata (Lamellibranchiata; e, f ),<br />
bei denen es sich höchstwahrscheinlich um<br />
eine Schalenerhaltung handelt, da konzentrische<br />
Anwachssäume zu erkennen sind.<br />
Auf dem Bild ist dem Betrachter bei dem<br />
größten Exemplar von Ceratites intermedius<br />
(a) die sinistrale Seite zugewandt, das<br />
ist auch bei dem Exemplar (b) oben rechts<br />
der Fall. Die beiden unteren Exemplare<br />
(c, d) liegen mit der dextralen Seite nach<br />
oben. Bis auf das größte Exemplar (a) liegen<br />
die übrigen Exemplare teils bedeckt in<br />
der Matrix eingebettet, daher erfolgt die<br />
Artbestimmung ausschließlich am Exemplar<br />
(a). Die umgebende Matrix hat eine<br />
graubraune Farbe, während die Steinkerne<br />
und Schalen der Fossilien einen eher<br />
dunkelgrauen Farbton aufweisen. Die Besonderheit<br />
bei diesen Exemplaren ist eine<br />
relativ gute, wenn auch leicht deformierte<br />
Erhaltung der Wohnkammerfüllungen<br />
(Abb. 17). Bei Exemplar (a) sind Risse am<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Ceratiten zweier Teilsammlungen des Landesmuseums Hannover<br />
105<br />
Phragmokon zu erkennen. Deutlich zu sehen<br />
ist der abrupte Übergang von dem mit<br />
ceratitischen Suturen gekennzeichneten<br />
Phragmokon zur suturlosen Wohnkammer.<br />
Das Gehäuse ist involut. Auf der sinistralen<br />
Seite von Exemplar (a) können<br />
schwache Knötchen auf der Externseite<br />
des Phragmokons sowie schwach angedeutete<br />
Lateralwülste ertastet werden. Die<br />
Wohnkammerfüllung ist leicht deformiert<br />
und nicht komplett erhalten. Der Durchmesser<br />
des Phragmokons (DK) des Steinkerns<br />
von Exemplar (a) beträgt 8,7 cm, der<br />
sich mit 2,4 cm auf die Strecke h 4<br />
und 2,8<br />
cm auf die Strecke Nw 2<br />
und 3,5 cm auf die<br />
Strecke h 2<br />
verteilt (Tab. 3). Die Lobenlinie<br />
weist auch hier wieder gezackte Loben und<br />
glatte Sättel auf.<br />
Ein wichtiger Unterschied zu den zuvor<br />
untersuchten Exemplaren ist jedoch<br />
die Ausbildung der Lobenlinien. Bei diesem<br />
Exemplar befindet sich ein großer<br />
Teil des Externsattels nicht wie bei Ceratites<br />
nodosus oder Ceratites compressus auf<br />
dem Rücken, sondern auf der Flanke des<br />
Steinkerns, was daraus resultiert, dass das<br />
Exemplar, im Vergleich zu Ceratites nodosus,<br />
insgesamt sehr viel flacher und der<br />
Rücken deutlich schmaler ist. Weiterhin<br />
fällt auf, dass die Lobenlinien nicht wie<br />
bei den anderen Exemplaren in einem Lot<br />
zum Nabelrand gewachsen sind, sondern<br />
eine gegen den Nabel ansteigende Form<br />
aufweisen. Der Externlobus (E), bestückt<br />
mit 5 Zähnchen auf jeder Seite, befindet<br />
sich auf der ventralen Seite des Steinkerns<br />
und wird durch den Mediansattel (m) halbiert.<br />
In Richtung des Nabelrandes folgt<br />
dem Externlobus (E) der Externsattel (e),<br />
der der breiteste der Lobenlinie ist und<br />
sich auf der lateralen Seite des Phragmokons<br />
befindet. Darauf folgt der Laterallobus<br />
(L), der mit 9 Zähnchen bestückt ist.<br />
Dieser ist der breiteste und höchste Lobus<br />
der Lobenlinie. Der darauf folgende Sattel<br />
(l 1<br />
) ist geringfügig schmaler, aber deutlich<br />
höher als der Externsattel (e) und geht in<br />
den Umbilikallobus U 2<br />
über, der 5 Zähnchen<br />
aufweist. Darauf folgt ein weiterer<br />
Sattel (l 2<br />
), der in den Umbilikallobus U 4<br />
übergeht. Dieser weist nur noch 3 Zähnchen<br />
auf und geht in einen weiteren Sattel<br />
(l 3<br />
) über. Diesem Sattel folgt eine Anordnung<br />
von schwer definierbaren Zacken<br />
oder vielleicht sogar weiteren Loben und<br />
Sätteln. Der genaue Sachverhalt ist nicht<br />
zu erkennen.<br />
Exemplar 4 – Ceratites sp.<br />
Dieses Exemplar stammt ebenfalls aus<br />
der ehemaligen Schausammlung des Landesmuseums<br />
Hannover (Inventarnummer:<br />
105.319). Gefunden wurde es in Völkerode<br />
in Niedersachsen im Oberen Muschelkalk.<br />
Es handelt sich hierbei um einen Steinkern,<br />
der aufgeschnitten und so präpariert<br />
wurde, dass die Innenseite betrachtet<br />
werden kann. In Abb. 19a ist die sinistrale<br />
Seite des Steinkerns zu sehen. Wie bei<br />
den vorherigen Exemplaren ist auch hier<br />
die Wohnkammerfüllung weggebrochen.<br />
Bei genauerer Betrachtung ist kein Übergang<br />
vom Phragmokon zur suturlosen<br />
Wohnkammer zu erkennen, sodass davon<br />
ausgegangen werden muss, dass auch ein<br />
Teil des Phragmokons nicht mehr vorhanden<br />
ist. Die dextrale Seite wurde so stark<br />
deformiert, dass ihre Skulptur nicht mehr<br />
erkennbar ist. Zudem sind die inneren<br />
Windungen auch hier durch Gestein ausgeprägt.<br />
Lediglich einige Lobenlinien mit<br />
ceratitischer Sutur sind noch zu erkennen<br />
(Abb. 19b). Mit dem Mikroskop lässt sich<br />
im Ansatz die Zähnelung auf den Loben<br />
erkennen, während die Sättel, wie für Ceratiten<br />
charakteristisch, eine runde Struktur<br />
aufweisen. Der Steinkern ist graubraun<br />
mit einigen helleren Flecken. Bei der Betrachtung<br />
der Innenseite lassen sich deutlich<br />
die einzelnen ehemaligen Kammern<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
106 Patrick Strauch<br />
Abb. 19 Außen- und Innenansicht eines aufgeschnittenen<br />
Steinkerns von Ceratites sp., Inventarnummer:<br />
105.319.<br />
a: sinistrale Seite, b: Innenansicht, markiert sind<br />
hier die teils mit Calcit verfüllten Hohlräume in<br />
den Kammern.<br />
des Phragmokons und die Septen erkennen.<br />
In den inneren Windungen sind in<br />
der Innenansicht kleine Hohlräume der<br />
nur halb verfüllten Kammern zu sehen, in<br />
denen es zum Wachstum von Calcit-Kristallen<br />
gekommen ist. Besonders gut ist die<br />
drusenhafte Ausbildung der Kristalle unter<br />
dem Mikroskop zu erkennen. Der Durchmesser<br />
des Steinkerns an der breitesten<br />
Stelle beträgt 9,3 cm.<br />
Die Ceratiten aus der<br />
Otto-Klages-Sammlung<br />
Exemplar 5 – Ceratites nodosus<br />
Das Exemplar wurde zuvor als Ceratites<br />
nodosus (Inventarnummer nicht<br />
vorhanden) bestimmt. Gefunden wurde<br />
es in Königslutter am Elm. Es handelt<br />
sich bei diesem Fossil um einen mit<br />
Austernschalen übersäten Steinkern, bei<br />
dem ein Teil der Wohnkammerfüllung<br />
weggebrochen ist. Die Farben des Steinkerns<br />
reichen von hellbraunen bis hin zu<br />
beigefarbenen Stellen mit einem leichten<br />
Ockerton. Die Austernschalen erscheinen<br />
in einem Graubraun (Abb. 20). Der<br />
Durchmesser (D 2<br />
) des Steinkerns beträgt<br />
12,9 cm, der sich mit 4,2 cm auf die Strecke<br />
h 4<br />
und 3,1 cm auf die Strecke Nw 2<br />
und<br />
5,6 cm auf die Strecke h 2<br />
verteilt (Tab. 4).<br />
Sowohl die sinistrale als auch die dextrale<br />
Seite des Steinkerns sind gut erhalten.<br />
Dennoch sind die Lobenlinien dieses Exemplars<br />
nicht komplett zu erkennen, da sie<br />
von den Austernschalen verdeckt werden.<br />
Nur stellenweise ist eine ceratitische Lobenlinie<br />
zu erkennen. Insgesamt macht der<br />
Steinkern einen wuchtigen und kompakten<br />
Eindruck. Trotz der Austernschalen<br />
lässt sich eine kräftig ausgebildete Skulptur<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Ceratiten zweier Teilsammlungen des Landesmuseums Hannover<br />
107<br />
Abb. 20 Ceratites nodosus aus der Schausammlung<br />
des Landesmuseums Hannover. a: sinistrale<br />
Seite, b: dextrale Seite, c: ventrale Seite.<br />
Tab. 4 Messwerte und errechnete Gehäuseparameter<br />
von Ceratites nodosus (Exemplar 5)<br />
h 2<br />
h 3<br />
h 4<br />
Nw 1<br />
Nw 2<br />
DK<br />
Scheibenzunahme<br />
5,6 cm<br />
0,0 cm<br />
4,2 cm<br />
0,0 cm<br />
3,1 cm<br />
12,9 cm<br />
43,41 cm<br />
mit Flankenwülsten ertasten und in der lateralen<br />
Ansicht auch gut erkennen. Lediglich<br />
in Richtung der Mündung, nach dem<br />
Übergang des Phragmokons in die Wohnkammer,<br />
lässt die kräftige Skulptur deutlich<br />
nach. Die Breite des Steinkerns wird<br />
ebenfalls geringer und es wirkt, als wäre die<br />
Wohnkammerfüllung nicht nur weggebrochen,<br />
sondern der noch vorhandene Teil<br />
der Wohnkammer stark deformiert und<br />
erodiert worden.<br />
Exemplar 6 – Ceratites nodosus<br />
Dieser Ceratit, im Jahr 1993 durch<br />
R. Ernst bestimmt als Ceratites nodosus,<br />
stammt aus der Otto-Klages-Sammlung<br />
(Inventarnummer: 52221) und wurde in<br />
Northeim in der Nähe von Göttingen<br />
(Niedersachsen) in den Schichten des<br />
Oberen Muschelkalk, genauer in den Oberen<br />
Ceratitenschichten, gefunden. Wie bei<br />
den meisten anderen Exemplaren ist auch<br />
hier ein großer Teil der Wohnkammerfüllung<br />
weggebrochen und nicht mehr vorhanden.<br />
Es handelt sich ausschließlich um<br />
den Steinkern, Schalenstücke sind nicht<br />
mehr vorhanden. Die sinistrale Seite befindet<br />
sich in einem relativ gut erhaltenen<br />
Zustand. Die Skulpturelemente sind<br />
zumindest auf der äußeren Windung gut<br />
zu erkennen. Ein Teil der noch vorhandenen<br />
Wohnkammerfüllung, ein Stück<br />
der vorletzten Windung und ein kleines<br />
Stück auf der lateralen Seite des Steinkerns<br />
sind ebenfalls weggebrochen. Einige<br />
Lobenlinien lassen sich jedoch noch<br />
sehr gut erkennen. Auf der dextralen Seite<br />
sind die Skulpturelemente zumindest<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
108 Patrick Strauch<br />
Abb. 21 Ceratites nodosus aus der Otto-Klages-<br />
Sammlung, Inventarnummer: 52221. a: sinistrale<br />
Seite, b: dextrale Seite, c: ventrale Seite.<br />
Abb. 22 Lobenlinie des Exemplars 6, Ceratites<br />
nodosus, aus der Otto-Klages-Sammlung (Zeichnung<br />
P. Strauch).<br />
Tab. 5 Messwerte und errechnete Gehäuseparameter<br />
von Ceratites nodosus (Exemplar 6)<br />
h 2<br />
h 3<br />
h 4<br />
Nw 1<br />
Nw 2<br />
DK<br />
Scheibenzunahme<br />
3,6 cm<br />
3,1 cm<br />
2,5 cm<br />
3,3 cm<br />
2,8 cm<br />
8,9 cm<br />
40,45 cm<br />
in den inneren Windungen zerstört und<br />
auch die Lobenlinien sind nicht mehr gut<br />
erhalten. Die Farbe ist größtenteils graubraun,<br />
teilweise hellbraun (Abb. 21). Der<br />
Durchmesser (DK) des Steinkerns beträgt<br />
8,9 cm, der sich mit 2,5 cm auf die Strecke<br />
h 4<br />
und 2,8 cm auf die Strecke Nw 2<br />
und 3,6<br />
cm auf die Strecke h 2<br />
verteilt (Tab. 5). Der<br />
Rücken dieses Exemplars wird in Richtung<br />
der Mündung deutlich breiter. Wie schon<br />
bei Ceratites nodosus aus der Schausammlung<br />
des Landesmuseums Hannover weist<br />
die Skulptur flache, eng beieinander stehende<br />
Einfachrippen auf, die sich in Richtung<br />
der Mündung zu weiter auseinander<br />
stehenden Flankenwülsten entwickeln. Besonders<br />
bei der Sicht auf den Rücken des<br />
Steinkerns fallen sie ins Auge. Das Gehäuse<br />
wirkt auch bei diesem Exemplar insgesamt<br />
sehr wuchtig und kompakt. In Richtung<br />
der Mündung nimmt die Breite des<br />
Rückens zu (Abb. 21a, b, c). Die Lobenlinien<br />
sind auch hier eindeutig ceratitisch.<br />
Auf den Loben ist eine deutliche Zähnelung<br />
zu erkennen, während die Sättel eine<br />
glatte und runde Struktur aufweisen (Abb.<br />
22).<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Ceratiten zweier Teilsammlungen des Landesmuseums Hannover<br />
109<br />
Die Lobenlinie beginnt von der ventralen<br />
Außenkante in Richtung Nabelrand<br />
mit dem Externlobus, der auf Abb. 22 mit<br />
2 Zähnchen bestückt ist. Die Zahl der<br />
Zähnchen auf dem Externlobus (E) variiert<br />
bei den Lobenlinien und bewegt sich<br />
zwischen 2 und 4. Einige der Lobenlinien<br />
sind auf der Ventralseite lokal stark deformiert,<br />
sodass die genaue Zahl nicht<br />
immer eindeutig zu bestimmen ist. Der<br />
Externlobus (E) wird von dem Mediansattel<br />
(m) halbiert. In Richtung des Nabelrandes<br />
folgt der Externsattel (e), der auch<br />
bei diesem Exemplar den breitesten Sattel<br />
auf den Lobenlinien darstellt. Er befindet<br />
sich zum großen Teil auf dem Rücken des<br />
Steinkerns. Dem Externsattel folgt der Laterallobus<br />
(L). Dieser ist der breiteste und<br />
höchste Lobus der Lobenlinie und ist mit<br />
10 Zähnchen versehen. Der darauf folgende<br />
Sattel (l 1<br />
) ist deutlich schmaler und bei<br />
diesem Exemplar kleiner als der Externsattel.<br />
Dem ersten Lateralsattel folgt der Umbilikallobus<br />
U 2<br />
. Er ist etwas kleiner als der<br />
ihm vorangehende Laterallobus (L) und ist<br />
mit 6 Zähnchen bestückt. Darauf folgt ein<br />
weiterer Sattel (l 2<br />
), der in den Umbilikallobus<br />
U 4<br />
übergeht und 3 Zähnchen aufweist.<br />
Das letzte wirklich erkennbare und<br />
ausgeprägte Merkmal der Lobenlinie ist<br />
der darauf folgende Sattel (l 3<br />
), der in den<br />
nicht ganz ausgebildeten Umbilikallobus<br />
U 5<br />
übergeht und nur aus einer Aneinanderreihung<br />
von Zacken besteht. Insgesamt<br />
finden sich auf der Lobenlinie sowohl 4<br />
Loben als auch 4 kräftig und deutlich ausgebildete<br />
Sättel.<br />
Exemplar 7 – Ceratites compressus<br />
Dieses Exemplar wurde zuvor als Ceratites<br />
compressus bestimmt und stammt<br />
ebenfalls aus der Otto-Klages-Sammlung<br />
(Inventarnummer: 52064). Es wurde<br />
in Schöningen am Elm in Niedersachsen<br />
in den Schichten des Oberen Muschelkalk<br />
gefunden. Bei diesem Exemplar ist<br />
die Wohnkammerfüllung komplett erhalten.<br />
Die sinistrale Seite ist in einem gut<br />
erhaltenen Zustand. Die letzte Windung<br />
vor der Wohnkammerfüllung ist gut zu<br />
Abb. 23 Ceratites compressus aus der Otto-<br />
Klages-Sammlung, Inventar-Nr.: 52064. a: sinistrale<br />
Seite, b: dextrale Seite, c: ventrale Seite.<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
110 Patrick Strauch<br />
Tab. 6 Messwerte und errechnete Gehäuseparameter<br />
von Ceratites compressus (Exemplar 7)<br />
Abb. 24 Lobenlinie des Exemplars 7, Ceratites<br />
compressus, aus der Otto-Klages-Sammlung<br />
(Zeichnung P. Strauch).<br />
h 2<br />
h 3<br />
h 4<br />
Nw 1<br />
Nw 2<br />
DK<br />
Scheibenzunahme<br />
2,6 cm<br />
5,0 cm<br />
2,0 cm<br />
2,5 cm<br />
1,9 cm<br />
6,5 cm<br />
40,00 cm<br />
erkennen. Die inneren Windungen sind<br />
mit Gestein verfüllt. Außerdem lassen sich<br />
Stücke von 3 Austernschalen erkennen.<br />
Eine davon befindet sich auf der Sinistralseite<br />
der Wohnkammer und geht ein wenig<br />
auf die Ventralseite über. Ebenfalls auf der<br />
Wohnkammer, aber weiter in Richtung der<br />
Mündung, befinden sich zwei kleine Fragmente<br />
von den übrigen beiden Austernschalen<br />
(Abb. 23a). Auch die dextrale Seite<br />
ist in einem recht gut erhaltenen Zustand.<br />
Es lassen sich sowohl Skulptur als auch<br />
Lobenlinien auf der äußersten Windung<br />
beobachten (Abb. 23b). Der größte Teil des<br />
Steinkerns ist grau und an einigen Stellen<br />
ocker bis hellbraun. Stellenweise treten<br />
auch rostrote Flecken auf. Der Durchmesser<br />
(DK) des Steinkerns beträgt 6,5 cm,<br />
der sich mit 2,0 cm auf die Strecke h 4<br />
und<br />
1,9 cm auf die Strecke Nw 2<br />
und 2,6 cm<br />
auf die Strecke h 2<br />
verteilt (Tab. 6). Insgesamt<br />
wirkt der Steinkern sehr schmal und<br />
oval gerundet. In Richtung der Mündung<br />
nimmt die Breite des Rückens minimal zu.<br />
Die Skulptur auf den inneren Windungen<br />
ist stärker ausgeprägt als auf den äußeren.<br />
Sie besteht aus anfangs deutlichen Einfachrippen,<br />
die in Richtung der Mündung<br />
flacher werden und gegen die Externseite<br />
auslaufen. Dadurch wirkt der Steinkern<br />
oval gerundet (Abb. 23c).<br />
Auf einigen wenigen Loben lassen sich<br />
kleine Zähnchen erkennen, während die<br />
Sättel auch bei diesem Exemplar eine glatte<br />
und runde Struktur aufweisen. Aufgrund<br />
des mäßigen Erhaltungsgrades weisen die<br />
meisten Loben keine Zähnelung auf. Die<br />
Lobenlinie – ausgehend vom Rücken des<br />
Exemplars – beginnt mit dem Externlobus<br />
(E), der durch den Mediansattel (m)<br />
halbiert wird. Darauf folgt der Externsattel<br />
(e). Der Laterallobus (L) ist mit wahrscheinlich<br />
6 oder mehr Zähnchen bestückt,<br />
eine genaue Zahl lässt sich aufgrund des<br />
mäßigen Erhaltungsgrades nicht angeben.<br />
Dem Laterallobus folgt ein Sattel (l 1<br />
), der<br />
deutlich größer und etwas breiter als der<br />
Externsattel (e) ist und in den Umbilikallobus<br />
U 2<br />
überleitet. Die Anzahl der Zähnchen<br />
ist auf dem Exemplar nicht zu erkennen.<br />
Darauf folgt ein weiterer Sattel (l 2<br />
),<br />
der den Umbilikallobus U 2<br />
von dem Umbilikallobus<br />
U 4<br />
trennt. Auch auf dem Umbilikallobus<br />
U 4<br />
sind keine Zähnchen zu erkennen.<br />
Es folgt ein letzter Sattel (l 3<br />
), der<br />
in den nicht ausgebildeten Umbilikallobus<br />
U 5<br />
übergeht. Insgesamt finden sich auf<br />
der Lobenlinie sowohl 4 Loben, als auch<br />
4 kräftig und deutlich ausgebildete Sättel<br />
(Abb. 24).<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Ceratiten zweier Teilsammlungen des Landesmuseums Hannover<br />
111<br />
Diskussion: Abgleich der Arterfassungen<br />
Ceratites nodosus: Vergleich von<br />
Exemplar 1 aus der Schausammlung<br />
des Landesmuseums Hannover mit<br />
Exemplar 5 aus der Otto-Klages-<br />
Sammlung<br />
Bei Exemplar 1, Ceratites nodosus, ist es<br />
möglich, die bisherige Artbestimmung<br />
anhand der aufgenommenen Merkmale<br />
und im Vergleich mit Exemplar 5 aus<br />
der Otto-Klages-Sammlung zu bestätigen.<br />
Bei beiden Exemplaren fällt eine kräftige<br />
Skulptur durch Wulstrippen auf, die<br />
sich bis zur Externseite fortsetzen sowie<br />
ähnliche Werte für die Größe der Steinkerne.<br />
In Richtung der Mündung nimmt<br />
der Abstand dieser Wulstrippen zueinander<br />
ab. Bei Betrachtung der Scheiben- und<br />
Windungszunahme fallen ebenfalls übereinstimmende<br />
Werte auf. Auch aus der<br />
Literatur können hier bestätigende Daten<br />
herangezogen werden. Nach Philippi<br />
(1901) beträgt der Wert für die Scheibenzunahme<br />
bei Ceratites nodosus 42 cm, und<br />
Wenger (1957) gibt für die Scheibenzunahme<br />
einen Bereich von 39 bis 48 cm an.<br />
Demnach decken sich die in dieser Arbeit<br />
errechneten Ergebnisse für C. nodosus<br />
(43,85 cm, s. Tab. 1; 43,41 cm, s. Tab. 4)<br />
mit denen in der Literatur. Nach Philippi<br />
(1901) sind die Lobenlinen für die nodosus-Gruppe<br />
artcharakteristisch. Da Exemplar<br />
5 mit Austernschalen übersät ist, lassen<br />
sich die Lobenlinien leider nicht im<br />
Ganzen erkennen und können somit nicht<br />
für einen Vergleich herangezogen werden.<br />
Aus diesem Grund wurde ein weiteres Exemplar<br />
der Art Ceratites nodosus, Exemplar<br />
5 aus der Otto-Klages-Sammlung, hinzugezogen.<br />
Die Lobenlinien sind an dem<br />
Steinkern dieses Exemplars gut zu erkennen<br />
(Abb. 25b) und somit für einen Vergleich<br />
geeignet. Wichtig ist dabei das Vorhandensein<br />
von 4 großen und vollständig<br />
ausgebildeten Sätteln auf der Außenseite<br />
der Lobenlinien, das stellt ein wichtiges<br />
charakteristisches Merkmal für die Zuordnung<br />
zur nodosus-Gruppe dar. Ein weiterer,<br />
wichtiger Aspekt für die Zuordnung<br />
zur Art Ceratites nodosus ist die Position des<br />
Externlobus, der sich zu einem großen Teil<br />
auf dem Rücken des Steinkerns befindet.<br />
Erst bei älteren, flacheren Typen der C.-<br />
nodosus-Gruppe, wie Ceratites semipartitus,<br />
wandert der Externlobus auf die Flanke<br />
(Philippi 1901).<br />
Abb. 25 Die Exemplare von Ceratites nodosus aus<br />
der Schausammlung des Landesmuseums Hannover<br />
mit der Inventarnummer: 105.318 (a) und aus<br />
der Otto-Klages-Sammlung (b) im Vergleich (jeweils<br />
sinistrale Seite).<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
112 Patrick Strauch<br />
Ceratites compressus: Vergleich von<br />
Exemplar 2 aus der Schausammlung<br />
des Landesmuseums Hannover mit<br />
Exemplar 7 aus der Otto-Klages-<br />
Sammlung<br />
Auch bei Exemplar 2, Ceratites compressus,<br />
ist eine Bestätigung der bisherigen<br />
Artbestimmung anhand der aufgenommenen<br />
Merkmale und des Vergleichs mit<br />
Exemplar 7, Ceratites compressus aus der Otto-Klages-Sammlung,<br />
zu verzeichnen. Um<br />
einen Artenvergleich vorzunehmen, wird<br />
zunächst die Skulptur näher betrachtet. Bei<br />
beiden Exemplaren finden sich schwach<br />
ausgebildete Einfachrippen, die gegen die<br />
Externseite flach auslaufen. Dadurch entsteht<br />
der Eindruck, dass die Gehäuse oval<br />
gerundet sind. Bei Exemplar 2, dem Ceratiten<br />
aus der ehemaligen Schausammlung<br />
des Landesmuseums Hannover, ist<br />
die Ausbildung der Skulptur, wahrscheinlich<br />
aufgrund stärkerer Erosionsereignisse<br />
und eines wesentlich höheren Abrollungsgrades,<br />
schwächer, aber vorhanden. In Abb.<br />
26 wird dieser Eindruck noch bestätigt, das<br />
kann aber auch an den durch die Skulptur<br />
bedingten Schatten auf dem Exemplar von<br />
Ceratites compressus aus der Otto-Klages-<br />
Sammlung liegen. Außerdem ergeben sich<br />
bei dem Vergleich der Gehäuseparameter<br />
sowie der Größe der Steinkerne übereinstimmende<br />
Ergebnisse. Auch hier kann in<br />
„Die Ceratiten des oberen deutschen Muschelkalks“<br />
von Philippi (1901) der bestätigende<br />
Wert von 42 cm für die Scheibenzunahme<br />
gefunden werden. Die von Wenger<br />
(1957) angegebenen Werte für die Scheibenzunahme<br />
von 36 cm bis 46 cm decken<br />
sich mit den eigenen Ergebnissen (40 cm,<br />
s. Tab. 5). Eine Verwechslung von Ceratites<br />
compressus mit einem jungen Exemplar<br />
eines Ceratites nodosus ist hier auszuschließen,<br />
da die Skulpturausbildung eindeutig<br />
ist. Bei dem Vergleich der Skulpturen<br />
fällt bei beiden Exemplaren von Ceratites<br />
compressus die sehr flache und wenig ausgeprägte<br />
Skulptur auf, bei der die flachen<br />
Einfachrippen zur Außenseite hin auslaufen.<br />
Zwar treten diese Einfachrippen<br />
auch bei Ceratites nodosus auf, laufen jedoch<br />
nicht aus, sondern bilden bis zur Außenseite<br />
reichende kräftige und ausgeprägte<br />
Wulstrippen. Bei Ceratites compressus sind<br />
lediglich kleine dünne Knötchen, die nicht<br />
mit den Einfachrippen in Verbindung<br />
Abb. 26 Die Exemplare von Ceratites compressus<br />
aus der Schausammlung des Landesmuseums<br />
Hannover (a) und aus der Otto-Klages-Sammlung<br />
(b) im Vergleich (jeweils sinistrale Seite).<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Ceratiten zweier Teilsammlungen des Landesmuseums Hannover<br />
113<br />
stehen, aufzufinden. Weiterhin nimmt die<br />
Skulptur bei Ceratites compressus zur Mündung<br />
hin ab. Bei Ceratites nodosus hingegen<br />
nimmt die Skulptur zur Mündung hin zu.<br />
Ceratites intermedius: Vergleich von<br />
Exemplar 3 aus der Schausammlung<br />
des Landesmuseums Hannover mit<br />
Exemplar C. intermedius aus dem<br />
Geologischen Institut der Universität<br />
Tübingen, Sammlung Dr. Linck<br />
Aufgrund der ungünstigen Position der<br />
anderen Exemplare in der Matrix erfolgte<br />
die Bestimmung nur an dem größten Exemplar<br />
von Ceratites intermedius (Abb. 27).<br />
Geplant war es, aufgrund fehlender Vergleichstücke<br />
der Art Ceratites intermedius<br />
in der Otto-Klages-Sammlung, einen nahen<br />
Verwandten mit ähnlichen Merkmalen<br />
zum Vergleich heranzuziehen. Zwar<br />
waren zwei Exemplare eines Ceratites dorsoplanus<br />
in der Otto-Klages-Sammlung<br />
aufzufinden, jedoch war der Erhaltungszustand<br />
bei beiden Exemplaren für einen<br />
Vergleich unzureichend. Daher wird bei<br />
diesem Exemplar auf Literaturangaben zurückgegriffen.<br />
Der Ceratit wirkt sehr flach<br />
und scheibenförmig. Außerdem befindet<br />
sich der Externsattel zum großen Teil auf<br />
der Lateralseite und nicht mehr auf dem<br />
Rücken des Steinkerns. Das ist ein Merkmal,<br />
das auf einen Entwicklungstrend in<br />
Richtung Ceratites semipartitus hinweist<br />
(Philippi 1901) und schließt eine Zugehörigkeit<br />
zur nodosus-Gruppe aus. Um weitere<br />
Hinweise zu erhalten, wurde zusätzlich<br />
auf die Beschreibungen und die Abbildungen<br />
aus „Die Germanischen Ceratiten“<br />
von Wenger (1957) zurückgegriffen. Nach<br />
Wenger ist für diese Art ein schmaler und<br />
oft flachrückiger Phragmokon charakteristisch,<br />
der schwache Externknoten trägt.<br />
Dabei sind Lateralwülste nur angedeutet<br />
oder nicht vorhanden. Ceratites intermedius<br />
wird relativ groß und weist eine involute<br />
Form auf (Wenger 1957) (Abb. 27).<br />
Den Angaben von Wenger folgend ist<br />
die Art Ceratites semipartitus hier aber auszuschließen,<br />
da diese nach seiner Auffassung<br />
keine Externknoten auf dem Phragmokon<br />
hat und den Externlobus weit auf<br />
der Flanke trägt. Bei Exemplar 3 sind aber<br />
deutliche Externknoten auszumachen und<br />
auch der Externlobus befindet sich, aufgrund<br />
des flachen Rückens, nicht auf der<br />
Abb. 27 Ceratites intermedius aus der Schausammlung<br />
des Landesmuseums Hannover (a) im<br />
Vergleich mit einem Ceratites intermedius aus<br />
dem Geologischen Institut Tübingen (b) aus der<br />
Sammlung Dr. Linck (Wenger 1957, Tafel 18 Fig. 1)<br />
(jeweils sinistrale Seite).<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
114 Patrick Strauch<br />
Flanke, sondern noch auf der ventralen<br />
Seite. Weiterhin liegt der Literaturwert<br />
von Wenger für die Scheibenzunahme bei<br />
Ceratites semipartitus zwischen 48 cm und<br />
53 cm, also weit über dem am vorliegenden<br />
Objekt gemessenen Wert von 39,8 cm (s.<br />
Tab. 3). Zwar liegt der eigene Wert auch<br />
nicht in dem von Wenger für Ceratites intermedius<br />
angegebenen Bereich von 43 cm<br />
bis 45 cm, jedoch ist diese Abweichung<br />
wahrscheinlich auf die Verformung des<br />
Ceratiten oder auf die Vermutung, dass es<br />
sich hierbei um ein junges Exemplar handelt,<br />
zurückzuführen. Die Beschreibungen<br />
von Wenger (1957) decken sich gut mit<br />
der eigenen Beschreibung von Exemplar<br />
3. Aufgrund dieser Tatsache und der oben<br />
genannten Aspekte ist die Bestimmung als<br />
Ceratites intermedius zu bestätigen (Abb.<br />
27). Ceratites intermedius ist aufgrund einer<br />
Namensüberschneidung mit einem Ammoniten<br />
im Jahre 1987 zu Ceratites weyeri<br />
umbenannt worden.<br />
Ceratites sp., Exemplar 4<br />
aus der Schausammlung des<br />
Landesmuseums Hannover<br />
Bei diesem Stück muss angemerkt werden,<br />
dass die Messungen aufgrund des<br />
nicht ersichtlichen Übergangs des Phragmokons<br />
zur Wohnkammer nicht zur Artbestimmung<br />
anhand der Kriterien von<br />
Wenger (1957) herangezogen werden<br />
können, deshalb wurden keine weiteren<br />
Messungen an diesem Exemplar durchgeführt.<br />
Eine aussagekräftige Skulptur ist<br />
nicht festzustellen und verlässliche Werte<br />
zur Errechnung von Gehäuseparametern<br />
können nicht aufgenommen werden. Die<br />
Lobenlinien sind, wenn überhaupt, nur z.<br />
T. und stark deformiert vorzufinden, aber<br />
immer noch als ceratitische Struktur zu<br />
erkennen. Die Zugehörigkeit der Art zur<br />
Gattung Ceratites ist zwar möglich, jedoch<br />
ist die genaue Art weiterhin nicht zu bestimmen.<br />
Ausblick<br />
Es konnten alle bisherigen Artbestimmungen<br />
bestätigt werden, auch wenn dieses<br />
Unterfangen zunächst relativ schwer<br />
fiel. Die Arbeit an Steinkernen ist, da diese<br />
in der Regel starker Deformation und<br />
Erosion ausgesetzt sind, nicht immer einfach.<br />
Wichtige Merkmale sind oft zerstört,<br />
verzerrt oder gar nicht mehr zu erkennen<br />
und deshalb ist eine exakte Artbestimmung<br />
oft nicht möglich. Aktuelle Literatur<br />
befasst sich mit phylogenetischen Aspekten<br />
und dem Sexualdimorphismus bei<br />
Ceratiten. Dabei sind besonders die Arbeiten<br />
von Rein (2003) und Urlichs (2006) zu<br />
nennen, die sich in der jüngeren Vergangenheit<br />
ausführlicher mit den Ceratiten<br />
des Germanischen Beckens beschäftigt<br />
haben. Daraus ergeben sich für die junge<br />
Ceratiten-Forschung neue Möglichkeiten,<br />
die sich besonders auf eine Korrelation<br />
zwischen den Ceratiten des germanischen<br />
Oberen Muschelkalk und der alpinen Trias<br />
beziehen. Innerhalb einer Art können unterschiedliche<br />
Ausprägungen im Hinblick<br />
auf Größe und Skulptur im adulten Stadium<br />
auftreten. Infolgedessen wurden Merkmale<br />
eines Geschlechtsdimorphismus vermutlich<br />
fälschlicherweise als Merkmale für<br />
eine andere Art angesehen (Urlichs 2006).<br />
Erstmals war es Müller (1969) möglich, einen<br />
„Eierbeutel“ in der Wohnkammer von<br />
Ceratites evolutus und damit ein Weibchen,<br />
nachzuweisen. Ebenso gibt es Hinweise<br />
darauf, dass es sich bei den Arten Ceratites<br />
armatus und Ceratites münsteri nicht<br />
um zwei verschiedene Arten, sondern um<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Ceratiten zweier Teilsammlungen des Landesmuseums Hannover<br />
115<br />
die verschiedenen Geschlechter einer Art<br />
handelt (Rein 2003). Die Aufstellung der<br />
Arten sollte zukünftig unter Berücksichtigung<br />
dieser neuen Kenntnisse stattfinden,<br />
um eine korrekte Korrelation zwischen den<br />
Ceratiten des germanischen Oberen Muschelkalk<br />
und der alpinen Trias durchführen<br />
zu können.<br />
Danksagung<br />
Mein Dank gilt Dr. Annette Richter<br />
(Landesmuseum Hannover) für die Anregung,<br />
Betreuung und Prüfung dieser Arbeit,<br />
in deren Verlauf sie mir jederzeit kritisch<br />
und konstruktiv mit Rat und Tat zur<br />
Seite stand. Ich danke auch Prof. Dr. Carsten<br />
Brauckmann (Technische Hochschule<br />
Clausthal-Cellerfeld) für die Prüfung dieser<br />
Arbeit. Ebenso danke ich Annina Böhme<br />
(Landesmuseum Hannover) für die<br />
Unterstützung und die Bereitstellung aller<br />
für die Fotografien relevanten Materialien.<br />
Außerdem danke ich meinen Freunden,<br />
Kommilitonen und Kollegen, die mir<br />
in dieser Phase unterstützend zur Seite gestanden<br />
haben. Auch meiner Mutter Sabine<br />
Strauch, meinen Großeltern Heike und<br />
Jürgen Twickeler und meiner Freundin<br />
Viktoria Nebieridze gilt mein Dank für die<br />
Unterstützung während des Studiums.<br />
Literatur<br />
Amler, Michael (2012): Allgemeine Paläontologie.<br />
WBG; Darmstadt.<br />
Bachmann, Gerhard H. (1999): Stratigraphie<br />
der Germanischen Trias. – In: Hauschke,<br />
Norbert; Wilde, Volker: Trias: Eine ganz<br />
andere Welt. Pfeil-Verlag; München.<br />
Clarkson, Euan N. K. (1998): Invertebrate<br />
Palaeontology and Evolution (4th Ed.).<br />
Wiley; New York.<br />
Faupl, Peter (2000): Historische Geologie.<br />
UTB; Stuttgart.<br />
Hauschke, Norbert; Wilde, Volker (1999):<br />
Trias: Eine ganz andere Welt. Pfeil-Verlag;<br />
München.<br />
Keupp, Helmut (2010): Ammoniten: Paläobiologische<br />
Erfolgsspiralen. Jan Thorbecke<br />
Verlag; Stuttgart.<br />
Krüger, Fritz J. (1983): Geologie und Paläontologie:<br />
Niedersachsen zwischen Harz und<br />
Heide. Gondrom Verlag; Stuttgart.<br />
Philippi, Emil (1901): Die Ceratiten des oberen<br />
deutschen Muschelkalks – in: Paläontologische<br />
Abhandlungen N. F., 4: 34 – 457.<br />
Verlag Gustav Fischer; Jena.<br />
Rein, Siegfried (2003): Zur Biologie der Ceratiten<br />
der spinosus-Zone. Veröffentlichungen<br />
Naturkundemuseum; Erfurt.<br />
Riedel, Adolf (1916): Beiträge zur<br />
Paläontologie und Stratigraphie der Ceratiten<br />
des deutschen Oberen Muschelkalks.<br />
Dissertation; Berlin<br />
Stanley, Steven, M. (1989): Historische Geologie.<br />
Spectrum Verlag; Heidelberg/Berlin/<br />
Oxford.<br />
Urlichs, Max (1999): Cephalopoden im Muschelkalk<br />
und Lettenkeuper des Germanischen<br />
Beckens. – In: Hauschke, Norbert;<br />
Wilde, Volker: Trias: Eine ganz andere Lebewelt.<br />
Pfeil-Verlag; München.<br />
Urlichs, Max (2006): Dimorphismus bei Ceratites<br />
aus dem Germanischen Oberen Muschelkalk<br />
und Revision einiger Arten. Staatliches<br />
Museum für Naturkunde; Stuttgart.<br />
Weber, Karl-Friedrich (2005): Infoblatt zur<br />
Otto-Klages-Sammlung. Niedersächsisches<br />
Landesmuseum Hannover.<br />
Wenger, Rolf (1957): Die germanischen<br />
Ceratiten. – In: Paleonthografica, A, 108:<br />
57 – 129. Schweizerbart; Stuttgart.<br />
Ziegler, Bernhard (1983): Einführung in die<br />
Paläobiologie, Teil 2: Spezielle Paläontologie.<br />
Schweizerbart; Stuttgart.<br />
Ziegler, Bernhard (2008): Paläontologie: Vom<br />
Leben in der Vorzeit. Schweizerbart; Stuttgart.<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
116<br />
Abbildungsverzeichnis<br />
Gretarsson (2013): Geologische Karte der<br />
Elm-Region http://upload.wikimedia.org/<br />
wikipedia/commons/c/c2/Elm_Asse_Dorm_<br />
geol.png (12.07.2014). Lizenzen: GNU Free<br />
Documentation Licence, CC BY-SA 3.0.<br />
Arbeit eingereicht: 26.03.2014<br />
Arbeit angenommen: 26.08.2014<br />
Anschrift des Verfassers:<br />
Patrick Strauch<br />
Schlegelstraße 20<br />
30625 Hannover<br />
E-Mail: patrick.strauch@ymail.com<br />
Glossar<br />
Adventivlobus Lobus, der sich zwischen<br />
Externlobus und Laterallobus befindet<br />
Amonoideen ausgestorbene Teilgruppe der<br />
marin lebenden Kopffüßer (Cephalopoden)<br />
Aragonit ist dem Calcit sehr ähnlich, weist<br />
jedoch ein orthorhombisches Kristallgitter<br />
auf; Umwandlung von Calcit zu Aragonit<br />
durch Diagenese<br />
Benthal/benthisch Lebensraum am Boden<br />
eines Gewässers bzw. Bezeichnung einer<br />
Lebensweise<br />
Evaporite Salzsteine, die durch das Verdunsten<br />
salzhaltiger wässriger Lösungen<br />
entstehen<br />
Externknoten sicht- und fühlbare Erhebungen<br />
auf der Außenseite der Steinkerne von<br />
Ammonoideen<br />
Externlobus Lobus an der Außenseite des<br />
Gehäuses<br />
fluviolakustrisch Ablagerungsart durch fluviatile<br />
Sedimente (aus Flüssen) und Seen<br />
(lakustrisch)<br />
Germanische Trias geologische Supergruppe<br />
aus dem Mesozoikum: Buntsandstein,<br />
Muschelkalk, Keuper<br />
Germanisches Becken Sedimentationsgebiet<br />
in West- und Mitteleuropa, erstreckte<br />
sich im Perm und in der Trias von England<br />
bis an die Ostgrenze Polens<br />
Ichnofossilien Spurenfossilien, z. B. Grabgänge<br />
von Würmern, Dinosaurierfährten<br />
Internlobus Lobus auf der Innenseite der<br />
Gehäusewindung<br />
Laterallobus Lobus auf der Seitenfläche des<br />
Gehäuses<br />
Lobus spitz oder in Zähnchen zulaufende<br />
Krümmungen der Lobenlinien, die von der<br />
Mündung wegzeigen<br />
Pelagial/pelagisch uferferne Wasserbereiche<br />
eines Sees oder Meeres bzw. Bezeichnung<br />
einer Lebensweise<br />
Phragmokon der in Kammern geteilte<br />
Raum hinter der Wohnkammer<br />
Primärsutur die älteste typische Lobenlinie<br />
der ersten Kammer<br />
Proseptum septenartige Verdickung vor<br />
dem Protoconch bei Ammonoideen<br />
Prosutur die Lobenlinie, die direkt an der<br />
Anfangskammer gelegen ist<br />
Protoconch Anfangskammer, Larvalgehäuse<br />
bei Weichtieren<br />
Protostomie Entwicklung des Urmundes<br />
zum Mund, Neudurchbruch des Afters<br />
Sattel rundliche Krümmung der Lobenlinie,<br />
die Richtung Gehäusemündung weist<br />
Septen Kammerscheidewände zwischen<br />
den Kammern im Gehäuse<br />
Subsidenz bezeichnet in der Geologie den<br />
Vorgang einer Absenkung. Dies kann lokal<br />
oder auch großräumig (mehrere Zehntausend<br />
bis mehrere Millionen Quadratkilometer)<br />
stattfinden<br />
Sutur Lobenlinie<br />
Taphonomie Lehre von der Fossilisation.<br />
Untersuchung von Prozessen, die nach dem<br />
Tod eines Organismus stattfinden/stattgefunden<br />
haben<br />
Transgression/Regression Vorrücken bzw.<br />
Zurückweichen der Küstenlinie, bedingt<br />
durch Anstieg bzw. Absenkung des Meeresspiegels<br />
Umbilikallobus Lobus, der zwischen dem<br />
Laterallobus und dem Internlobus gelegen<br />
ist<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
117<br />
Nathanael Gottfried Leske (1751 – 1786)<br />
und sein klassisches Naturalienkabinett<br />
Gerd Ibler<br />
Vor über 260 Jahren, am 22. Oktober<br />
1751, wurde in Muskau an der Lausitzer<br />
Neiße Nathanael Gottfried Leske<br />
geboren. Er legte ein umfangreiches<br />
Naturalienkabinett an, das heute im<br />
Natio nal Museum of Ireland aufbewahrt<br />
wird. Er starb nur 35-jährig am 25. November<br />
1786 in Marburg.<br />
Zusammenfassung<br />
Nathanael Gottfried Leske hat sich bereits<br />
als Schüler für die Schönheit der Natur,<br />
die Vielfalt der Formen und Farben<br />
ihrer Geschöpfe und die Gestaltung der<br />
Mineralwelt interessiert und begeistert. Er<br />
reifte zum ambitionierten Naturwissenschaftler,<br />
der sich als Professor für Naturgeschichte<br />
und Ökonomie an der Universität<br />
Leipzig auch für den wirtschaftlichen<br />
und gesellschaftlichen Fortschritt der unterdrückten<br />
Landbevölkerung einsetzte.<br />
Das Sammeln von Naturalien war seine<br />
große Leidenschaft, wodurch die Zusammenstellung<br />
einer einzigartigen Kabinettkollektion,<br />
bestehend aus Mineralien und<br />
Gesteinen sowie Wirbeltieren, Vögeln,<br />
Amphibien, Fischen, Insekten und wirbellosen<br />
Tieren möglich war. Vor allem war<br />
es sein Bestreben, die naturwissenschaftlichen<br />
Erkenntnisse jener Zeit zu erweitern<br />
und das allgemeine Verständnis für die<br />
Vorgänge und Gegebenheiten in der Natur<br />
zu fördern. Nach seinem frühen Tod<br />
im Alter von nur 35 Jahren wurde seine<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
118 Gerd Ibler<br />
reichhaltige Naturaliensammlung, die unter<br />
dem Namen „Museum Leskeanum“<br />
von dem deutschen Mineralogen Dietrich<br />
Ludwig Gustav Karsten katalogisiert worden<br />
war, nach Dublin/Irland verkauft. Leskes<br />
Mineraliensammlung existiert noch<br />
heute und wird im Zentralmagazin des<br />
dortigen National Museum of Ireland verwahrt.<br />
Gesellschaftliche Stellung<br />
Universitätsprofessor in Leipzig für<br />
Naturgeschichte (1774) und Ökonomie<br />
(1775), ordentlicher Professor der Naturgeschichte<br />
und Kameralwissenschaften<br />
(Verwaltungs- und Finanzwissenschaft)<br />
in Marburg (1786), Mineraloge<br />
und Geologe, ab 1780 Herausgeber des<br />
„Leipziger Magazins zur Naturkunde und<br />
Oekonomie“, seit 1774 Mitglied der Gesellschaft<br />
Naturforschender Freunde zu<br />
Berlin, 1778 Ehrenmitglied und kurzfristig<br />
Sekretär der Ökonomischen Gesellschaft<br />
zu Leipzig, Mitglied der Kaiserlichen<br />
freien ökonomischen Gesellschaft zu<br />
St. Petersburg, Mitglied der Königlichen<br />
Schwedischen patriotischen Gesellschaft<br />
zu Stockholm, Mitglied der Gesellschaft<br />
sittlicher und landwirtschaftlicher Wissenschaften<br />
zu Burghausen in Bayern, Mitglied<br />
der Physiographischen Gesellschaft<br />
zu Lund in Schweden, Mitglied der Königlichen<br />
Societät der Ärzte zu Paris, Mitglied<br />
des Museums zu Paris, Mitglied der<br />
Abb. 1 Porträt um 1785 des Mineralogen Nathanael<br />
Gottfried Leske (1751 – 1786) auf dem Titelblatt<br />
des „Museum Leskeanum“ von Dietrich Ludwig<br />
Gustav Karsten, Band 1, Leipzig, 1789.<br />
Naturforschenden Gesellschaft zu Zürich,<br />
Mitglied der Gesellschaft zum Nutzen der<br />
Wissenschaften und Künste zu Frankfurt,<br />
Mitglied der Oberlausitzischen Gesellschaft<br />
der Wissenschaften zu Görlitz, Mitglied<br />
der Oberlausitzer Bienengesellschaft<br />
in Diehsa bei Görlitz, korrespondierendes<br />
Mitglied der Königlichen Gesellschaft der<br />
Wissenschaften zu Göttingen, auswärtiges<br />
Mitglied der Königlichen Gesellschaft der<br />
Wissenschaften in Böhmen (Löper 1786;<br />
Andert & Prescher 1977; Stets 1995).<br />
Herkunft und Ausbildung<br />
Nathanael Gottfried Leske wurde am<br />
22. Oktober 1751 in Muskau (heute: Bad<br />
Muskau) in der Oberlausitz geboren. Sein<br />
Vater, Gottfried Leske (1725 – 1796), geboren<br />
am 14. November 1725 in Rastenburg,<br />
Ostpreußen (jetzt: Ketrzyn, Polen),<br />
war Magister und von 1750 bis 1757 Archidiakon<br />
an der deutschen und Pfarrer an<br />
der wendischen Kirche von Muskau. Im<br />
Jahr 1757 zog er um nach Königswartha<br />
bei Bautzen. Hier blieb er bis 1776. Vermutlich<br />
wegen seiner unkonventionellen<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Nathanael Gottfried Leske (1751 – 1786) und sein klassisches Naturalienkabinett<br />
119<br />
Ansichten musste er den Ort verlassen und<br />
ging 1783 nach Polen, wo er schließlich<br />
evangelischer Seelsorger in Neuhof (Nowodwor,<br />
heute: Nowy Dwór) in der Nähe<br />
Warschaus wurde. Er war ein sehr gelehrter<br />
und redlicher Mann. Seine Mutter, Johanna<br />
Christiana Dorothea Leske, war<br />
eine geborene Popp.<br />
In seiner Kindheit war Nathanael Gottfried<br />
Leske einem unachtsamen Kindermädchen<br />
überlassen, das ihn vernachlässigte,<br />
und folglich wuchs ein empfindlicher<br />
Junge heran mit einer Rückgratverkrümmung,<br />
die ihm große Beschwerden bereitete.<br />
Leske besuchte keine öffentliche Schule,<br />
sondern erhielt von seinem Vater Privatunterricht.<br />
Zur Weiterbildung schickte sein<br />
Vater ihn in das Waisenhaus nach Halle,<br />
einem Teil der Franckeschen Stiftungen.<br />
Wegen seines schlechten Gesundheitszustandes<br />
musste er jedoch schon vor Ablauf<br />
der Jahresfrist nach Hause zurückkehren.<br />
Er wurde weiterhin von seinem Vater unterrichtet<br />
bis zum Alter von siebzehn Jahren.<br />
Dann wurde er für befähigt gehalten,<br />
das Studium an der Universität in Leipzig<br />
aufzunehmen.<br />
Am 19. Mai 1769 ließ sich Nathanael<br />
Gottfried Leske an der Universität Leipzig<br />
für das Studium der Medizin immatrikulieren.<br />
Später studierte er auch Naturwissenschaften<br />
und Philosophie an<br />
der Universität Leipzig. Seine Liebe für<br />
Naturgeschichte wurde bereits zu Hause<br />
gefördert und brachte ihn schon bald<br />
in Kontakt mit Christian Gottlieb Ludwig<br />
(1709 – 1773), Professor der Medizin<br />
und ein wohlbekannter Botaniker, bei dem<br />
er Botanik studierte. Ludwig sah in Leske<br />
einen förderungswürdigen Studenten und<br />
unterstützte ihn finanziell, um ihm das erstrebte<br />
Studium zu ermöglichen. Vorlesungen<br />
über Mineralogie hörte Leske bei Professor<br />
Johann Carl Gehler (1732 – 1796).<br />
Am 27. Februar 1773 erlangte Leske den<br />
akademischen Grad eines Medicinae Baccalaureus<br />
und am 17. Februar 1774 wurde<br />
ihm die Würde eines Magisters der Philosophie<br />
zuteil. Ab 1774 betätigte sich Leske<br />
als Autor für naturwissenschaftliche<br />
Schriften, womit er großen Erfolg hatte.<br />
Im Herbst 1774 stellte Leske bei Kurfürst<br />
Friedrich August III. von Sachsen<br />
(1750– 1827) den Antrag auf Einrichtung<br />
einer außerordentlichen Professur für Naturgeschichte<br />
an der Universität Leipzig.<br />
Am 14. Dezember 1774 wurde der Antrag<br />
bewilligt und Leske erhielt die Professur<br />
für Naturgeschichte mit einem Jahresgehalt<br />
von 200 Reichstalern zugesprochen.<br />
Am 18. März 1775 unterschrieb Leske die<br />
entsprechende Verpflichtungserklärung<br />
der Universität Leipzig. Bereits am 22. Februar<br />
1775 hielt Leske seine Antrittsrede<br />
über philosophische Betrachtungen der<br />
Naturgeschichte.<br />
Am 9. Februar 1778 wurde Leske die<br />
ordentliche Professur für Ökonomie mit<br />
200 Reichstalern Jahresgehalt verliehen.<br />
Die entsprechende Verpflichtungserklärung<br />
der Universität Leipzig unterzeichnete<br />
Leske am 2. September 1778. Bereits am<br />
25. Juli 1778 hielt Leske seine Antrittsvorlesung.<br />
Nathanael Gottfried Leske wohnte<br />
in Leipzig, Am Brühl. 1778 zog er in<br />
den Barthelhof am Markt um. 1779 lernte<br />
Leske Eleonore Sophia Maria Müller<br />
(1757– 1831) kennen, die er am 16. Januar<br />
1780 heiratete. Sie war die einzige Tochter<br />
des Leipziger Buchhändlers und Verlegers<br />
Johann Gottfried Müller. Das Ehepaar<br />
Leske hatte drei Kinder. Am 27. November<br />
1781 wurde der Sohn Wilhelm geboren,<br />
der jedoch bereits am 13. Dezember 1781<br />
starb. Am 30. März 1784 wurde der zweite<br />
Sohn Karl Wilhelm geboren. Die Tochter<br />
Eleonore Wilhelmina wurde am 7. Januar<br />
1786 geboren.<br />
Nach dem Tod seines Schwiegervaters<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
120 Gerd Ibler<br />
Johann Gottfried Müller im Winter 1782<br />
musste Leske dessen Verlag und Buchhandlung<br />
übernehmen. Unter dem Zeitbedarf<br />
für diese zusätzliche Aufgabe litt seine<br />
Arbeit für die Wissenschaften.<br />
Der Landgraf Wilhelm IX. von Hessen-Kassel<br />
(1743 – 1821) berief Leske<br />
im Herbst 1786 zum ordentlichen Professor<br />
der Finanzwissenschaft und Ökonomie<br />
nach Marburg. Am 7. November<br />
1786 machte er sich mit seiner Familie<br />
und seiner gesamten Habe auf den Weg<br />
nach Marburg. Bei strengem Frost verunglückte<br />
seine Reisekutsche bereits etwa 2<br />
Meilen nach dem Aufbruch von Leipzig.<br />
Obwohl von allen am Unfall Beteiligten<br />
niemand verletzt zu sein schien, musste<br />
Nathanael Gottfried Leske mit seiner<br />
Familie für mehrere Stunden in der<br />
bitteren Kälte ausharren, bis Hilfe vom<br />
Nachbardorf eintraf. Dank dieser Helfer<br />
konnte die Familie Leske die nächste Poststation<br />
Rippach erreichen und dort übernachten.<br />
Am Tag darauf feierten sie den<br />
Geburtstag seiner Frau, doch später wurde<br />
ihm unwohl und sie eilten nach Kassel,<br />
um in ärztliche Behandlung zu kommen.<br />
Er litt unter Atemnot und starken<br />
Unterleibsschmerzen. Der kranke Leske<br />
stellte sich beim Landgrafen Wilhelm<br />
IX. vor, der ihn sofort von seinem Leibarzt,<br />
dem Medicus Fischer, behandeln ließ.<br />
Dann entließ er ihn zur Weiterreise nach<br />
Marburg. Von seinem Marburger Freund,<br />
dem Hofrath und Leibarzt Ernst Gottfried<br />
Baldinger (1738 – 1804), wurde er<br />
herzlich empfangen, der den ernsthaft erkrankten<br />
Leske überredete, sich von dem<br />
hervorragenden Arzt Hofrath Michaelis<br />
behandeln zu lassen. Leske hoffte auf gesundheitliche<br />
Besserung und traf Vorbereitungen,<br />
um an der Universität Marburg ab<br />
27. November mit Vorlesungen zu beginnen.<br />
Doch am 25. November nachts verschlimmerte<br />
sich sein Zustand und er starb<br />
plötzlich früh morgens um 2 Uhr, erst 35<br />
Jahre alt. Am 27. November 1786 wurde<br />
er in Marburg bestattet. Er hinterließ eine<br />
verzweifelte Witwe und zwei kleine Kinder,<br />
den zwei Jahre und acht Monate alten<br />
Sohn Karl Wilhelm und die erst zehn Monate<br />
alte Tochter Eleonore Wilhelmina.<br />
Die Professur in Marburg wahrzunehmen,<br />
war ihm nicht mehr vergönnt (Löper 1786;<br />
Andert & Prescher 1977; Sweet 1967).<br />
Leskes Freundschaft mit dem Mineralogen<br />
Abraham Gottlob Werner<br />
1769 begann Abraham Gottlob Werner<br />
(1749 – 1817) mit dem Studium an<br />
der Bergakademie Freiberg in Sachsen<br />
(Student Nr. 52). Am 5. Juni 1771 schrieb<br />
sich Werner als Studierender der Rechtswissenschaften,<br />
der Philosophie, der Mineralogie<br />
und für neuere Sprachen an der<br />
Universität Leipzig ein. Auch er besuchte<br />
Professor Johann Carl Gehlers Vorlesungen<br />
über Mineralogie. Bei dieser Gelegenheit<br />
trafen die Mineralogiestudenten<br />
Leske und Werner vermutlich zusammen<br />
und wurden aufgrund ihres gemeinsamen<br />
Interesses für Mineralogie und Geologie<br />
bald gute Freunde. Begünstigt durch das<br />
gleiche Interessengebiet und eifrige Studien<br />
der Naturwissenschaften verband<br />
die beiden eine enge Freundschaft, die von<br />
beiden durch persönliche Besuche und mit<br />
regem Briefverkehr gepflegt wurde und<br />
bis zu Leskes Tod 1786 anhielt. Im wissenschaftlichen<br />
Altbestand der Universitätsbibliothek<br />
der Technischen Universität<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Nathanael Gottfried Leske (1751 – 1786) und sein klassisches Naturalienkabinett<br />
121<br />
Abb. 2 Porträt des Mineralogen Abraham Gottlob<br />
Werner (1749 – 1817).<br />
Bergakademie Freiberg werden 132 Briefe<br />
Leskes an Werner und 71 Briefe Werners<br />
an Leske aus den Jahren 1774 bis 1786<br />
aufbewahrt (schriftliche Mitteilung der<br />
TU Freiberg 24.4.2014). Werner setzte bis<br />
Michaelis 1774 sein Studium an der Universität<br />
Leipzig fort. Im Jahr 1775 wurde<br />
er durch den Kurator der Bergakademie,<br />
Berghauptmann Pabst von Ohain, als Inspektor<br />
und Lehrer für das „Mineralogische<br />
Kolleg“ berufen. Ab 1776 lehrte Werner als<br />
Professor der Geognosie (Geologie), der<br />
Oryktognosie (Mineralogie) und des Bergwesens<br />
an der Bergakademie Freiberg. Obwohl<br />
die beiden bei Professor J. C. Gehler<br />
gemeinsam Mineralogie studiert hatten,<br />
betrachtete Leske seinen Freund Werner<br />
als seinen Lehrer in Mineralogie. Werner<br />
hatte wohl ein charismatisches Wesen, das<br />
seine Freunde und Zuhörer in Bann zog<br />
und seine neue Lehre über die äußerlichen<br />
Kennzeichen der Fossilien (Mineralien)<br />
und sein Festhalten am sogenannten Neptunismus<br />
zunächst unwidersprochen akzeptierten<br />
(Abb. 2).<br />
Der Naturforscher Leske<br />
als Autor<br />
Nathanael Gottfried Leske hat von 1772<br />
bis 1786 insgesamt 38 wissenschaftliche<br />
Veröffentlichungen verfasst (Andert &<br />
Prescher 1977).<br />
1779 wurde die erste Auflage von Leskes<br />
zweibändigem, mit zahlreichen Illustrationen<br />
versehenem Werk „Anfangsgründe der<br />
Naturgeschichte“ veröffentlicht (Abb. 3).<br />
Abb. 3 Titelseite der „Anfangsgründe der Naturgeschichte<br />
von Nathanael Gotfried Leske. Erster<br />
Teil. Algemeine Natur- und Tiergeschichte mit 12<br />
Kupfertafeln. Zwote verbesserte und viel vermehrte<br />
Ausgabe“, Leipzig, 1784.<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
122 Gerd Ibler<br />
Leske schrieb das naturkundliche Buch<br />
als Anleitung für Studierende und für<br />
den Schulunterricht, als auch für Naturliebhaber.<br />
Es wird die allgemeine und die<br />
spezielle Naturgeschichte der drei Naturreiche<br />
– Pflanzenreich, Tierreich und Mineralien<br />
– beschrieben. Bei der Systematik<br />
hat er sich weitgehend an die Lehre des<br />
schwedischen Naturforschers und Botanikers<br />
Carl von Linné (1707 – 1778) gehalten.<br />
Leske benutzte wie Werner und andere<br />
Zeitgenossen den Begriff Fossilien nicht<br />
nur für paläontologische Lebensspuren in<br />
Gesteinen, sondern auch allgemein für Mineralien.<br />
In der zweiten Ausgabe der „Anfangsgründe<br />
der Naturgeschichte“ von 1784<br />
hat Leske als aktuellstes Werk der naturgeschichtlichen<br />
Bücherkunde die „Deliciae<br />
Cobresianae“ des Augsburger Naturforschers<br />
Joseph Paul von Cobres<br />
(1746 – 1823) erwähnt. Die Erstausgabe<br />
von Leskes „Anfangsgründe der Naturgeschichte“<br />
(Leipzig 1779) war Bestandteil<br />
der berühmten Büchersammlung zur Naturgeschichte<br />
des Ritters von Cobres in<br />
Augsburg (Pfeuffer 2011).<br />
Im Jahr 1780 gründete Leske zusammen<br />
mit den Leipziger Professoren Karl<br />
Friedrich Hindenburg (1741 – 1808) und<br />
Christlieb Benedict Funk (1736 – 1786)<br />
eine Zeitschrift, die er unter dem Titel<br />
„Leipziger Magazin zur Naturkunde und<br />
Oekonomie“ herausgab. In der Schriftenreihe<br />
wurden Abhandlungen zur Naturkunde,<br />
Naturgeschichte, Chemie etc. veröffentlicht.<br />
Von 1781 bis 1786 wurde die<br />
Zeitschrift unter dem Namen „Leipziger<br />
Magazin für Naturkunde, Mathematik<br />
und Ökonomie“ herausgegeben. Nach seinem<br />
Tod 1786 wurde die wissenschaftliche<br />
Zeitschrift von einer Gelehrtengesellschaft<br />
unter dem Titel „Leske Magazin zur Naturkunde<br />
und Oekonomie“ weiter publiziert.<br />
Abb. 4 Porträt des Mineralogen Dietrich Ludwig<br />
Gustav Karsten (1768 – 1810) nach einem Stich von<br />
Samuel Halle.<br />
Im Jahr 1782 unternahm Leske eine<br />
naturkundliche Forschungsreise in die<br />
Oberlausitz. Seine Frau, die sein Interesse<br />
für Naturgeschichte teilte und seine<br />
Forschungstätigkeit unterstützte, begleitete<br />
ihn auf dieser Reise und übernahm<br />
das Sammeln von Pflanzen und die Pflege<br />
des Herbariums. Leske fasste seine Reiseeindrücke<br />
und -erfahrungen in Form von<br />
Briefen, geschrieben zwischen dem 29.<br />
Mai 1782 und dem 26. September 1782,<br />
zusammen und veröffentlichte sie 1785 als<br />
Buch unter dem Titel „Reise durch Sachsen<br />
in Rücksicht der Naturgeschichte und<br />
Ökonomie“.<br />
Im Wissenschaftszweig der Paläontologie<br />
bleibt der Name Leske gegenwärtig<br />
aufgrund der Beschreibung und Bestimmung<br />
mehrerer Gattungen und Arten fossiler<br />
Seeigel (Klasse Echinoidea) aus dem<br />
Stamm Echinodermata (Stachelhäuter)<br />
durch Nathanael Gottfried Leske, nämlich<br />
Holectypus depressus Leske, Discoides<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Nathanael Gottfried Leske (1751 – 1786) und sein klassisches Naturalienkabinett<br />
123<br />
subucula Leske, Conulus albogalerus Leske,<br />
Galerites vulgaris Leske, Conoclypus conoideus<br />
Leske, Clypeus plotii Leske, Holaster<br />
subglobosus Leske, Echinocorys ovatus Leske,<br />
Echinocorys scutatus Leske, Cardiaster ananchytes<br />
Leske, Hemipneustes striatoradiatus<br />
Leske, Micraster coranguinum Leske, Temnopleurus<br />
toreumaticus Leske, Echinus toreumaticus<br />
Leske (Richter 1981).<br />
Zu Ehren seines verstorbenen deutschen<br />
Kollegen Leske benannte der französische<br />
Naturforscher Charles Desmoulins<br />
(1798 – 1875) im Jahr 1837 einen Seeigel<br />
Micraster leskei (Andert & Prescher 1977).<br />
Mit seinem Forschergeist und den<br />
gewonnenen Erkenntnissen aus Naturbeobachtung<br />
und Erfahrung im Gelände<br />
vor Ort war Leske einer der Wegbereiter<br />
für die Begründung der Geologie als eigenständiger<br />
Zweig der Naturwissenschaften.<br />
Das Mineralienkabinett des Herrn Nathanael Gottfried Leske,<br />
katalogisiert als „Museum Leskeanum“ von dem Mineralogen<br />
Dietrich Ludwig Gustav Karsten<br />
Leske war nicht nur ein akribischer<br />
Naturforscher, sondern auch ein leidenschaftlicher<br />
Sammler von Mineralien und<br />
zoologischen Objekten. Auf Bitten Leskes<br />
erhielt er von seinem Freund Werner<br />
wiederholt Mineraliensendungen aus dem<br />
Erzgebirge. Die naturwissenschaftlichen<br />
Sammlungen dienten als Demonstrationsmaterial<br />
bei seinen Vorlesungen für die<br />
Studierenden. Auch Leskes Frau Eleonore<br />
Sophia sammelte Mineralien für ihr eigenes<br />
Kabinett, das Werner gelegentlich mit<br />
der Gabe kleiner Mineralstufen ergänzte.<br />
Nach dem allzu frühen Tod des Naturwissenschaftlers<br />
Leske verfasste der Mineraloge<br />
und Oberbergrat in Berlin Dietrich<br />
Ludwig Gustav Karsten (1768 – 1810), ein<br />
Schüler des berühmten Professors der Mineralogie<br />
an der Bergakademie Freiberg,<br />
Abraham Gottlob Werner, im Auftrag der<br />
Witwe Leske eine Dokumentation über<br />
das sehr umfangreiche Mineralienkabinett<br />
und die zoologischen Sammlungen von<br />
Nathanael Gottfried Leske, das sog. „Museum<br />
Leskeanum“. Karsten war damals<br />
preußischer Bergkadett und sein zuständiger<br />
Dienstherr und Mitbegründer der<br />
sächsischen Bergakademie in Freiberg, der<br />
preußische Minister und Leiter des preußischen<br />
Bergwesens, Friedrich Anton von<br />
Heynitz (Heinitz, 1725 – 1802), genehmigte<br />
Karstens Freistellung für die Katalogisierung<br />
von Leskes zoologischen und<br />
mineralogischen Sammlungen in Marburg.<br />
Karsten bewältigte diese umfangreiche Arbeit<br />
von Anfang Mai bis November 1788.<br />
Im Frühjahr 1789 konnte er das Manuskript<br />
für den Sammlungskatalog abschließen.<br />
Es ist erstaunlich, dass Karsten diese<br />
anspruchsvolle Aufgabe bereits als 20-Jähriger<br />
mit dem nötigen Erfahrungsschatz,<br />
der höchsten Sorgfalt und großer Ausdauer<br />
meistern konnte.<br />
Die Veröffentlichung der Sammlungsbestände<br />
als Katalog sollte dazu dienen, einen<br />
geeigneten Käufer für die naturkundlichen<br />
Sammlungen zu finden. Karsten publizierte<br />
das Werk 1789 in drei Bänden (Abb. 4).<br />
In Band 1 wurde Leskes zoologische<br />
Sammlung, die nach dem System von<br />
Carl von Linné geordnet war, in lateinischer<br />
Sprache beschrieben (Vol. 1: Regnum<br />
animale). Der zoologische Teil bestand<br />
aus insgesamt 4642 Exemplaren,<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
124 Gerd Ibler<br />
Abb. 5 Titelseite des Buches „Des Herrn Nathanael<br />
Gottfried Leske hinterlassenes Mineralienkabinet<br />
systematisch geordnet und beschrieben, auch<br />
mit vielen wissenschaftlichen Anmerkungen und<br />
mehreren äussern Beschreibungen der Fossilien<br />
begleitet“ von Dietrich Ludwig Gustaf Karsten,<br />
erster Band, Leipzig, 1789.<br />
Abb. 6 Titelseite des mineralogischen Teils des<br />
„Museum Leskeanum, Regnum Minerale“ von<br />
D. L. Gustavus Karsten, Vol. II., Teil 1, Leipzig, 1789.<br />
geordnet nach folgenden Abteilungen: 86<br />
Wirbeltiere, 161 Vögel, 120 Amphibien,<br />
72 Fische, 2773 Insekten und 1430 Würmer,<br />
Muscheln, Stachelhäuter und andere<br />
Wirbellose. – Als ehemaliger Schüler des<br />
Naturforschers Johann Reinhold Forster<br />
(1729 – 1798) an der Universität Halle war<br />
Karsten durchaus befähigt, auch den zoologischen<br />
Sammlungsbestand zu bestimmen<br />
und zu katalogisieren.<br />
Die Abhandlung des mineralogischen<br />
Teils von Leskes Sammlungen verfasste<br />
Karsten in deutscher Sprache und füllte<br />
zwei Bände mit der Beschreibung der<br />
Exponate, veröffentlicht in Leipzig im<br />
Jahr 1789 (Vol. 2, Pars 1, 2: Regnum minerale;<br />
Nebentitel: Des Herrn Nathanael<br />
Gottfried Leske hinterlassenes Mineralienkabinett).<br />
Vol. 2 erschien 1798 in englischer<br />
Übersetzung von George Mitchell in<br />
Dublin (Abb. 5).<br />
Leske hat seine Mineraliensammlung<br />
nach den 1778 gegebenen Empfehlungen<br />
seines Kollegen Werner in fünf Teilbereiche<br />
gegliedert. Abweichend von Werners<br />
Lehre hat Leske auch das Ordnungssystem<br />
des schwedischen Chemikers Torbern<br />
Olof Bergman (1735 – 1784) nach der chemischen<br />
Zusammensetzung der Minerale<br />
angewandt. Aufgrund seiner Erkenntnisse,<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Nathanael Gottfried Leske (1751 – 1786) und sein klassisches Naturalienkabinett<br />
125<br />
die er während seiner Reise durch die<br />
Oberlausitz im Jahr 1782 bei Beobachtungen<br />
an verschiedenen Basaltvorkommen<br />
gewonnen hatte, war Leske abweichend<br />
von Werner überzeugt, dass Basalte vulkanischen<br />
Ursprungs sind. Mit dieser Meinung<br />
hat sich Leske vom Neptunisten zum<br />
Vulkanisten (Plutonisten) gewandelt.<br />
Karsten nahm 1788 eine strikte Umordnung<br />
der fünf Teilsammlungen vor, entsprechend<br />
den Prinzipien Werners unter<br />
Beseitigung der Einteilung nach Bergmans<br />
chemisch orientiertem System und widerrief<br />
den vulkanischen Ursprung des Basaltes<br />
in der Suiten- und Gesteinssammlung.<br />
Er ordnete den mineralogischen Sammlungsbestand<br />
nach den systematischen<br />
Grundsätzen seines Lehrers Abraham<br />
Gottlob Werner in fünf Teile, und zwar<br />
die Kennzeichensammlung, geordnet nach<br />
den äußerlichen Kennzeichen der Fossilien<br />
(Mineralien), bestehend aus 580 Nummern,<br />
die oryktognostische Sammlung (die<br />
systematische mineralogische Sammlung),<br />
bestehend aus 3268 Nummern, die geognostische<br />
Sammlung zur Gebirgskunde<br />
(die petrografische Sammlung), bestehend<br />
aus 1098 Nummern, die mineralogischgeografische<br />
oder Suiten-Sammlung,<br />
bestehend aus 1909 Nummern, und die<br />
ökonomische Sammlung, bestehend aus<br />
474 Nummern. Sie diente zur Information<br />
über die Verwendung der verschiedenen<br />
Mineralien und Gesteine (Andert & Prescher<br />
1977; Hoppe 1985, 1987) (Abb. 6).<br />
Leskes berühmte Mineraliensammlung,<br />
die sich von 1790 bis 1792 in der Philipps-Universität<br />
Marburg für Lehrzwecke<br />
befand, bestand nach Karstens Katalog<br />
aus insgesamt 7329 Beleg- und Schaustücken.<br />
Überdies besaß Leske eine Dublettensammlung<br />
mit 700 Exemplaren – ein<br />
großartiges Monument intensivster Sammelleidenschaft<br />
und einer bewundernswerten<br />
Begeisterung für die geowissenschaftliche<br />
Forschung und Entwicklung<br />
im 18. Jahrhundert.<br />
Dietrich Ludwig Gustav Karsten trug<br />
mit der Einrichtung und Katalogisierung<br />
von Leskes Mineralienkabinett nach Werners<br />
Grundsätzen wesentlich dazu bei, die<br />
Lehre des sächsischen Mineralogen Abraham<br />
Gottlob Werner zu verbreiten. Mit<br />
diesem Werk erfolgte Karstens Durchbruch<br />
als sachverständiger Mineraloge und<br />
seine volle Anerkennung unter den Fachgelehrten.<br />
Leskes Mineralienkabinett (Leskean Cabinet) bei der<br />
Royal Dublin Society in Dublin/Ireland<br />
Richard Kirwan (1733 – 1812), ein irischer<br />
Mineraloge, Geologe, Chemiker und<br />
Naturphilosoph, der von Abraham Gottlob<br />
Werners Theorien beeinflusst war, veröffentlichte<br />
sein erstes Werk „Elements of<br />
Mineralogy“ 1784 in London. 1787 nach<br />
Dublin zurückgekehrt, wurde er aktives<br />
Mitglied der Dublin Society und Gründungsmitglied<br />
der Royal Irish Academy<br />
in Dublin. Von 1799 bis zu seinem Tod<br />
1812 war Kirwan Präsident der Royal Irish<br />
Academy. Er stand in Briefkontakt mit<br />
vielen prominenten Wissenschaftlern in<br />
Kontinentaleuropa, so auch mit Abraham<br />
Gottlob Werner, den er an der Bergakademie<br />
in Freiberg/Sachsen besuchte, obwohl<br />
er bei ihm nicht studiert hatte.<br />
Der Ire Kirwan hatte vernommen,<br />
dass das „Museum Leskeanum“, die naturwissenschaftlichen<br />
Sammlungen des<br />
Nathanael Gottfried Leske, verkauft werden<br />
sollte. Er setzte sich sofort dafür ein,<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
126 Gerd Ibler<br />
Abb. 7 Ein 1813 postum gemaltes Porträt des<br />
irischen Mineralogen Richard Kirwan (1733 – 1812),<br />
dargestellt von dem irischen Kunstmaler William<br />
Cuming (1769 – 1852). Das Bildnis befindet sich bei<br />
der Royal Irsih Academy in Dublin/Irland. Die Bildveröffentlichung<br />
erfolgt mit freundlicher Genehmigung<br />
der Royal Irish Academy, Dublin.<br />
diese Schätze nach Irland zu holen. Es<br />
schien ihm sehr wichtig, und er war überzeugt,<br />
dass eine so vortreffliche Mineraliensammlung<br />
möglichst für Lehrzwecke<br />
bei der Dublin Society erworben werden<br />
sollte. Er nutzte seine Verbindungen zum<br />
Irish House of Commons (Unterhaus), um<br />
Geld zum Kauf der Leske-Sammlung zu<br />
erwirken. Das irische Parlament bewilligte<br />
die Summe von £ 1200, die schließlich<br />
auf £ 1350 erhöht wurde, so dass Kirwan<br />
Leskes Mineraliensammlung, bestehend<br />
aus 7329 (lt. Karsten 1789) bzw. 7331 Einzelstücken<br />
(lt. George Mitchell 1798), im<br />
Jahr 1792 für die Dublin Society (Ökonomische<br />
Sozietät in Dublin) endlich kaufen<br />
konnte. Die Kollektion bestand aus<br />
Mineralien, Gesteinen und Fossilien. Alle<br />
Sammlungsstücke trugen kennzeichnende<br />
Etiketten versehen mit Nummern, die mit<br />
Karstens Katalog übereinstimmten. Das<br />
sogenannte Leskean Museum wurde in einem<br />
großen Saal des Gebäudes der Dublin<br />
Society an der Hawkins Street in Dublin<br />
im November 1792 untergebracht und<br />
verblieb dort bis 1815. Die neu erworbene<br />
Sammlung war für das große Publikum<br />
zu gewissen Zeiten zugänglich, für diejenigen<br />
aber, welche Mineralogie studierten,<br />
stand sie jederzeit offen. Kirwan teilte<br />
seine Arbeitszeit zwischen der Royal Irish<br />
Academy und der Dublin Society auf, wobei<br />
er bei der Dublin Society überwiegend<br />
mit der Leskean Collection of Minerals beschäftigt<br />
war. In Dankbarkeit für seine<br />
Bemühungen um Beschaffung und Einrichtung<br />
des Leskean Cabinet of Minerals<br />
wurde Kirwan 1794 von der Dublin Society<br />
eine goldene Ehrenmedaille verliehen<br />
und im Auftrag der Society von dem irischen<br />
Porträtmaler Hugh Douglas Hamilton<br />
(1739 – 1808) porträtiert. 1796 wurde<br />
Kirwan für seine Verdienste zum Mitglied<br />
der Royal Society of Edinburgh gewählt<br />
(Sweet 1967) (Abb. 7, 10).<br />
Mit dem Verkauf der Sammlungen nach<br />
Dublin (1792) und der Veröffentlichung<br />
der zweiten Ausgabe von Richard Kirwans<br />
Lehrbuch der Mineralogie „Elements of<br />
Mineralogy“ in zwei Bänden (London,<br />
Dublin, 1794, 1796) fand Werners Lehrgebäude<br />
auch im englischen Sprachraum<br />
Anerkennung und zahlreiche prominente<br />
Anhänger. Die deutsche Übersetzung aus<br />
dem Englischen besorgte Lorenz Florenz<br />
Friedrich von Crell (1744 – 1816) unter<br />
dem Titel „Anfangsgründe der Mineralogie“<br />
(Berlin 1796/1799 ; Neues bergmännisches<br />
Journal 1802). Karsten hatte Kirwans<br />
Erstausgabe der „Elements of Mineralogy“<br />
(Edinburgh, 1784) scharf kritisiert. In<br />
der deutlich veränderten Neuauflage seines<br />
mineralogischen Lehrbuches berücksichtigte<br />
Kirwan die neu gewonnenen Erkenntnisse<br />
aus der nach Dublin geholten<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Nathanael Gottfried Leske (1751 – 1786) und sein klassisches Naturalienkabinett<br />
127<br />
Leske-Sammlung und dem Karsten-Katalog<br />
„Museum Leskeanum“ mit wiederholten<br />
Hinweisen auf das Wernersche System<br />
(Abb. 8).<br />
George Mitchell (1766 – 1803) übersetzte<br />
Karstens Katalog „Museum Leskeanum“<br />
ins Englische. Die Druckausgabe „A<br />
description of the Minerals in the Leskean<br />
Museum by Dietrich Ludwig Gustavus<br />
Karsten … Translated by George Mitchell“<br />
erschien 1798 in Dublin. Mitchell hat an<br />
der Universität Dublin studiert und war<br />
dann im Museum der Dublin Society tätig,<br />
ohne dort eine feste Anstellung zu haben.<br />
Er war auch kein Mitglied der Society oder<br />
der Royal Irish Academy, doch er beschäftigte<br />
sich intensiv mit der Leskean Collection,<br />
die von der Dublin Society 1792 erworben<br />
worden war. Für die Übersetzung<br />
von Karstens Katalog über Leskes Mineralienkabinett<br />
erhielt Mitchell auf Veranlassung<br />
von Richard Kirwan eine Zuwendung<br />
von £ 100. Kirwan war verantwortlich für<br />
die Mineraliensammlung und musste Rechenschaft<br />
ablegen über die Richtigkeit<br />
der Übersetzung.<br />
Mitchell war der Meinung, dass Nathanael<br />
Gottfried Leskes Mineraliensammlung<br />
neben dem Sammlungsbestand der<br />
Bergakademie in Freiberg/Sachsen und<br />
dem Mineralienkabinett des kurfürstlich<br />
sächsischen Berghauptmanns Karl Eugen<br />
(Carl Eugenius) Pabst von Ohain (1718-<br />
1784) eines der perfektesten Monumente<br />
für den bestehenden mineralogischen Erkenntnisstand<br />
repräsentiert (Sweet 1967).<br />
Die von der Dublin Society mit übernommenen<br />
zoologischen Sammlungsbestände<br />
aus dem „Museum Leskeanum“<br />
wurden während des 19. Jahrhunderts in<br />
die Sammlungen des National Museum of<br />
Ireland integriert und taxonomisch geordnet.<br />
Da nur wenige Sammlungsstücke Originaletiketten<br />
tragen, ist es schwer, die von<br />
Leske gesammelten Objekte im Einzelnen<br />
Abb. 8 Titelseite der „Elements of Mineralogy“<br />
by Richard Kirwan, 2. Ausgabe, Vol. I, Earths and<br />
Stones, London, 1794.<br />
zu erkennen. Die Leske-Sammlung insgesamt<br />
bildete das Kernstück der Sammlungen<br />
des späteren Naturgeschichtlichen<br />
Museums (Natural History Museum) in<br />
Dublin.<br />
William Higgins (1763 – 1825), ein<br />
Chemiker aus London, der mit Richard<br />
Kirwan befreundet war, folgte ihm 1792<br />
nach Dublin. Im Juni 1795 wurde Higgins<br />
von der Dublin Society zum Professor<br />
der Chemie und Mineralogie berufen<br />
und gleichzeitig zum Kurator des Leskean<br />
Museum bestellt. Ab diesem Zeitpunkt<br />
war Higgins für die Betreuung der<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
128 Gerd Ibler<br />
Abb. 9 Porträt des Mineralogen Karl Ludwig Giesecke<br />
(Sir Charles Lewis Giesecke, 1761 – 1833) aus<br />
dem Jahr 1813 von dem schottischen Porträtmaler<br />
Sir Henry Raeburn (1756 – 1823). Das Bildnis hängt<br />
im Versammlungsraum der Royal Dublin Society,<br />
Dublin/Irland.<br />
Museumssammlungen im Haus der Dublin<br />
Society an der Hawkins Street verantwortlich.<br />
Der Mineraloge Robert Jameson (1774-<br />
1854) aus Schottland (Professor der Naturgeschichte<br />
an der Universität Edinburgh,<br />
1804 – 1854, und Gründer der Wernerian<br />
Natural History Society am 12. Januar 1808<br />
in Edinburgh) besichtigte am 1. Juli 1797<br />
zusammen mit Richard Kirwan und George<br />
Mitchell das Leskean Mineral Museum<br />
in Dublin. Jameson blieb bis einschließlich<br />
10. Juli in Dublin und besuchte nun<br />
täglich das Leskesche Mineralienkabinett.<br />
Im September 1800 reiste Jameson nach<br />
Freiberg in Sachsen, um an der dortigen<br />
Bergakademie bei Abraham Gottlob Werner<br />
Mineralogie und Bergwesen zu studieren<br />
(Student Nr. 552). 1802 kehrte er nach<br />
Edinburgh zurück. 1804 wurde er zum<br />
Vorsitzenden der Abteilung für Naturgeschichte<br />
an der Universität Edinburgh<br />
gewählt und behielt diesen Posten für die<br />
nächsten fünfzig Jahre. Am 5. März 1812<br />
wurde Robert Jameson zum Professor der<br />
Mineralogie bei der Dublin Society ernannt.<br />
Aus ungeklärten Gründen trat er<br />
diese Dienststellung in Dublin jedoch nie<br />
an. Der Lehrstuhl für Mineralogie blieb<br />
unbesetzt bis schließlich der deutsche Forschungsreisende<br />
Karl Ludwig Giesecke<br />
(1761 – 1833) am 27. Januar 1814 zum<br />
Professor der Mineralogie berufen wurde<br />
und nicht der Geologe Thomas Weaver<br />
(1773 – 1855), ausgebildet von 1790 bis<br />
1794 an der Bergakademie Freiberg (Student<br />
Nr. 349), der eigentliche Favorit für<br />
diesen Posten. Bei dieser Wahl erhielt Giesecke<br />
46 Stimmen mehr als Weaver.<br />
Im Jahr 1798 immatrikulierte sich George<br />
Mitchell als Student an der Bergakademie<br />
in Freiberg (Student Nr. 506), da zu<br />
jener Zeit beabsichtigt war, eine ähnliche<br />
Bergakademie in Dublin zu gründen. Kirwan<br />
förderte dieses Projekt in der Absicht,<br />
von Zeit zu Zeit eine Anzahl Studenten<br />
nach Freiberg zu schicken, um sie dort<br />
über Mineralogie und das Bergwesen unterrichten<br />
zu lassen. Beeinflusst durch dieses<br />
Vorhaben hat sich Robert Jameson im<br />
Jahr 1800 selbst als Student bei Abraham<br />
Gottlob Werner in Freiberg eingetragen.<br />
In Freiberg traf Jameson seinen Freund<br />
Mitchell wieder. In Deutschland vertiefte<br />
sich ihre Freundschaft und Mitchell konnte<br />
den Aufenthalt in Freiberg nur durch<br />
die Anwesenheit Jamesons durchstehen.<br />
Mitchell war bei den dortigen Studenten<br />
sehr beliebt und seine Arbeit wurde höchst<br />
geschätzt. Jameson musste von seinem<br />
Kommilitonen Johann Friedrich Lampert<br />
(1777 – 1846, auswärtiges Mitglied der<br />
1808 in Edinburgh gegründeten Wernerian<br />
Natural History Society) aus einem Brief<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Nathanael Gottfried Leske (1751 – 1786) und sein klassisches Naturalienkabinett<br />
129<br />
vom 24. Oktober 1802 erfahren, dass Mitchell<br />
schwer erkrankt sei.<br />
Lampert verbrachte 1802 einige Zeit<br />
mit dem kranken Mitchell in London.<br />
Das harte Leben, das den Studenten in<br />
Freiberg abverlangt wurde, und besonders<br />
der strenge Winter des Jahres 1802 setzten<br />
ihm gesundheitlich sehr zu. Körperlich<br />
erschöpft starb George Mitchell Anfang<br />
1803 im Alter von nur 37 Jahren.<br />
Der Mineraloge Karl Ludwig Giesecke<br />
und Leskes Mineraliensammlung<br />
Im Jahr 1814 erwarb die Dublin Society<br />
das Leinster House in Dublin. Der Umzug<br />
der Gesellschaft in das neue repräsentative<br />
Gebäude erfolgte 1815. Die Mineraliensammlung<br />
Leskes (Leskean Museum, Leskean<br />
Collection) wurde ebenfalls in das neue<br />
Domizil verlagert und verblieb dort bis<br />
1862. Der aus Augsburg stammende Mineraloge<br />
und Naturforscher Karl Ludwig<br />
Giesecke (alias Johann Georg Metzler)<br />
fungierte seit Januar 1814 als Professor der<br />
Mineralogie bei der Dublin Society und<br />
war als Konservator des Museums verantwortlich<br />
für den Umzug der Leske-Sammlung<br />
ins Leinster House. Zwischen 1815<br />
und 1817 reinigte und ordnete Giesecke<br />
die Mineraliensammlung Leskes und ergänzte<br />
das Mineralienkabinett mit seinen<br />
in Grönland von 1806 bis 1813 gesammelten<br />
Mineralien, die er der Dublin Society<br />
als Geschenk überließ. Da Giesecke<br />
im Jahr 1801 bei Dietrich Ludwig Gustav<br />
Karsten in Berlin und anschließend<br />
bei Abraham Gottlob Werner in Freiberg<br />
theoretische Kenntnisse über Mineralogie<br />
und Geologie erworben hatte, ist mit großer<br />
Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass<br />
er als Anhänger von Werners Theorien<br />
und Systematisierung die Leske-Sammlung<br />
in Verbindung mit seiner Sammlung<br />
von Grönland-Mineralien nach Werners<br />
Grundsätzen geordnet und eingeteilt haben<br />
dürfte. Nach diesen Wernerschen<br />
Prinzipien hat Giesecke früher bereits andere<br />
Sammlungen geordnet und arrangiert.<br />
Diese einzigartige Mineraliensammlung<br />
war dann Bestandteil des Museums der<br />
Dublin Society. Die Dublin Society wurde<br />
im Jahr 1821 zur Royal Dublin Society<br />
erhoben. Giesecke war nicht nur Konservator<br />
seit 1814, sondern auch Direktor des<br />
Museums der Royal Dublin Society von<br />
1819 bis zu seinem Tod im Jahr 1833. Als<br />
Zeichen des Respekts und in Würdigung<br />
seiner Verdienste als Wissenschaftler für<br />
die Royal Dublin Society blieb das Museum<br />
nach seinem Tod für zwei Wochen geschlossen<br />
(Ibler 2010, 2011) (Abb. 9).<br />
Leskes Mineraliensammlung (Leskean Museum)<br />
im National Museum of Ireland, Dublin<br />
1862 wurden die Sammlungen vom Museum<br />
in Leinster House in ein neues Gebäude<br />
des Museum of Science and Art,<br />
Dublin in der Kildare Street umgesiedelt<br />
und waren dort bis 1908 in der Mineralienschau<br />
ausgestellt.<br />
Von 1908 bis 1962 wurde die Leske-<br />
Sammlung wiederum ausgelagert in Räume,<br />
die sich neben dem Natural History<br />
Museum in der Merrion Street befanden.<br />
Nach dem Abriss der Ausstellungsräume<br />
neben dem Natural History Museum im<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
130 Gerd Ibler<br />
Abb. 10 Leskes klassisches Mineralienkabinett<br />
wurde nach dem Ankauf 1792 im großen Saal des<br />
Gebäudes der Dublin Society an der Hawkins Street<br />
in Dublin ausgestellt. 1815 erfolgte der Umzug der<br />
Sammlung ins Leinster House der Dublin Society<br />
und wurde dort von dem deutschen Mineralogen<br />
Karl Ludwig Giesecke neu geordnet und ergänzt.<br />
Jahr 1962 wurde Leskes Mineraliensammlung<br />
in Kisten verpackt und im Royal<br />
Hospital in Kilmainham, einem Dubliner<br />
Vorort, eingelagert. 1979 wurde das Royal<br />
Hospital restauriert und in eine Galerie für<br />
moderne Kunst umgewidmet. Die dort befindliche<br />
Leske-Sammlung musste wiederum<br />
weichen und wurde von 1979 bis 1991<br />
in Kisten in Daingean, County Offaly eingelagert.<br />
1991 erwarb das Natural History<br />
Museum ein neues Gebäude in Beggars<br />
Bush, Dublin 4. 1992 wurde die noch in<br />
Kisten verpackte Mineraliensammlung<br />
nach Beggars Bush gebracht und eingelagert.<br />
Im Jahr 2013 wurden die Mineralien<br />
schließlich aus den Kisten genommen, in<br />
Schubladen gepackt und in das neue Gebäude<br />
des National Museum of Ireland in<br />
Swords, County Dublin, transportiert. In<br />
diesem jüngsten Domizil befindet sich das<br />
Zentralmagazin für alle Museumssammlungen,<br />
die z. Z. nicht ausgestellt werden.<br />
Die Leske-Sammlung gehörte der Royal<br />
Dublin Society bis 14. August 1877, als<br />
das Museum unter den Vorgaben des „Science<br />
and Art Museums Act, 1877“ (Gesetz<br />
von 1877 für das Wissenschafts- und<br />
Kunstmuseum in Dublin) in Staatsbesitz<br />
überging. Das neue Museum hieß dann<br />
Science & Art Museum, Dublin. Heute ist<br />
das Museum unter dem Namen National<br />
Museum of Ireland bekannt. Die historische<br />
Mineraliensammlung von Nathanael<br />
Gottfried Leske befindet sich gegenwärtig<br />
eingelagert mit der Forschungssammlung<br />
des Irischen Nationalmuseums im Museumsmagazin<br />
in Swords, County Dublin<br />
(Sweet 1967; schriftliche Mitteilung von<br />
Nigel Monaghan 4.4.2014).<br />
Während der vielen Wechsel der Museumsträger<br />
wurde die Mineraliensammlung<br />
Leskes meistens von einschlägigen Fachkuratoren<br />
betreut. Bedauerlicherweise fehlten<br />
zwischen 1899 und 1981 geologische oder<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Nathanael Gottfried Leske (1751 – 1786) und sein klassisches Naturalienkabinett<br />
131<br />
mineralogische Kuratoren, weshalb sich in<br />
dieser Zeitspanne Zoologen um die Leske-<br />
Sammlung kümmerten.<br />
Leskes Mineralienkabinett hat von 1786<br />
bis heute insgesamt schon 228 Jahre überdauert.<br />
Nach Auskunft der Museumsleitung<br />
wird gerade an der Digitalisierung<br />
der Museumsbestände gearbeitet. Auch<br />
die Mineraliensammlung Leskes soll in<br />
die Datenbank aufgenommen werden. Auf<br />
diese Weise ist der Sammlungsbestand gesichert<br />
und es bleibt künftigen Wissenschaftlern<br />
vorbehalten, die historischen<br />
Leske- und Giesecke-Sammlungen auszuwerten<br />
und zu bearbeiten.<br />
Ausblick<br />
Es ist erstaunlich, mit welcher Anziehungskraft<br />
und Faszination die Persönlichkeit<br />
von Abraham Gottlob Werner<br />
(1749 – 1817) an der Bergakademie Freiberg<br />
auf seine Schüler der Geognosie,<br />
Oryktognosie und des Bergwesens wirkte.<br />
Seine Lehre über die Bestimmung der<br />
Mineral- und Gesteinswelt war, die fünf<br />
menschlichen Sinne bewusst einzusetzen,<br />
um über die äußerlichen Kennzeichen der<br />
Fossilien eine lebendige Anschauung des<br />
Fundstückes zu erhalten. Werner hat eine<br />
ganze Generation von Geowissenschaftlern<br />
verschiedener Nationalitäten unterrichtet<br />
und ausgebildet, die Ende des 18.<br />
Jahrhunderts und Anfang des 19. Jahrhunderts<br />
dann europaweit an Universitäten,<br />
Hochschulen, Akademien, Museen und<br />
anderen wissenschaftlichen Institutionen<br />
tätig waren und seine Grundsätze, sein systematisches<br />
Ordnungsprinzip und seine<br />
Nomenklatur weiter verbreiteten. Die Erdwissenschaften<br />
haben mit Werner und<br />
seinen Schülern wesentliche Fortschritte<br />
gemacht und eine rasante Entwicklung<br />
genommen, die für die Erkenntnisse der<br />
Naturgeschichte von enormer Bedeutung<br />
waren. Für die Geologie und Mineralogie<br />
herrschte Aufbruchsstimmung verbunden<br />
mit eifrigem Pioniergeist für die Erforschung<br />
der Natur mit ihren Bodenschätzen.<br />
Es war eine sehr fruchtbringende Zeit<br />
für die Entwicklung der Geowissenschaften.<br />
Es wäre wünschenswert, dass die überlieferten<br />
Sammlungsbestände aus Leskes<br />
historischen Funden in Dublin neu arrangiert<br />
und der Öffentlichkeit zugänglich<br />
gemacht werden. Könnte das nicht eine<br />
attraktive Herausforderung an heutige Mineralogen<br />
mit naturhistorischen Ambitionen<br />
sein?<br />
Danksagung<br />
Für die hilfsbereite Unterstützung der<br />
Recherchen in Irland gilt der besondere<br />
Dank des Autors Nigel T. Monaghan, Keeper<br />
of the Natural History Division of The<br />
National Museum of Ireland, Dublin und<br />
Siobhán Fitzpatrick, Librarian of the Royal<br />
Irish Academy, Dublin. Angela Kugler-Kießling,<br />
Verwalterin des Nachlasses<br />
von Abraham Gottlob Werner im wissenschaftlichen<br />
Altbestand der Universitätsbibliothek<br />
der Technischen Universität<br />
Bergakademie Freiberg, sei für ihre hilfreichen<br />
Auskünfte herzlich gedankt. Für<br />
wertvolle Hinweise gebührt Michael Leh<br />
aus der Oberlausitz ein herzliches Dankeschön.<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
132 Gerd Ibler<br />
Literatur<br />
Andert, Werner & Prescher, Hans (1977):<br />
Nathanael Gottfried Leske (1751 – 1786).<br />
Zum 225. Geburtstag des ersten Erforschers<br />
der Naturkunde und Ökonomie der<br />
Oberlausitz und Theoretikers der Landwirtschaftswissenschaft.<br />
– Sächsische Heimatblätter,<br />
23. Jg. 1977; Dresden, Karl-Marx-<br />
Stadt, Leipzig.<br />
Berry, Henry F. (1915): A History of the Royal<br />
Dublin Society. – Longmans, Green and<br />
Co.; London.<br />
Burns, Duncan Thorburn (2012): Richard<br />
Kirwan (1733 – 1812), chemist, barrister and<br />
philosopher: an exemplar of good practice in<br />
his time as for today. – Science at the Royal<br />
Irish Academy: 12 – 19; Dublin.<br />
Giesecke, Carl Ludwig (Charles Lewis)<br />
(1832): A descriptive catalogue of a new<br />
collection of minerals in the Museum of the<br />
Royal Dublin Society, to which is added an<br />
Irish mineralogy. – Royal Dublin Society:<br />
268, R. Graisberry; Dublin.<br />
Hoffmann, Christian A. S. (1802): Einige litterarische<br />
Notizen über die Verbreitung des<br />
Wernerschen Systems der Mineralogie im<br />
Auslande. – Neues bergmännisches Journal:<br />
477 – 494; Freyberg.<br />
Hoppe, Günter (1985): Dietrich Ludwig Gustav<br />
Karsten (1768-1810), Mineraloge und<br />
Bergbeamter in Preußen. – Veröffentlicht<br />
in der Zeitschrift Leben und Wirken deutscher<br />
Geologen im 18. und 19. Jahrhundert:<br />
71 – 92; Leipzig.<br />
Hoppe, Günter (1987): D. L. G. Karstens Museum<br />
Leskeanum, die früheste publizierte<br />
Anwendung der Lehre A. G. Werners auf<br />
eine Sammlung. – Abhandlungen und Berichte<br />
des Naturkundemuseums in Görlitz,<br />
60, 2 : 72 – 78.<br />
Ibler, Gerd (2010): Karl Ludwig Giesecke<br />
(1761 – 1833). Das Leben und Wirken eines<br />
frühen europäischen Gelehrten. Protokoll<br />
eines merkwürdigen Lebensweges. – Mitteilungen<br />
der Österreichischen Mineralogischen<br />
Gesellschaft,<strong>156</strong>: 37 – 114; Wien.<br />
Ibler, Gerd (2011): Karl Ludwig Giesecke<br />
(1761 – 1833) – Zur Erinnerung<br />
an den Augsburger Theaterdichter,<br />
Forschungsreisenden und Mineralogen. –<br />
<strong>Naturhistorica</strong> 153: 73 – 93; Hannover.<br />
Lausitzisches Magazin, 5 – 8, 1772 – 1775;<br />
11, 1778; Görlitz.<br />
Löper, Christian Philipp Gabriel (1786):<br />
Etwas zur Lebensgeschichte des bisherigen<br />
Herausgebers dieses Magazins: Nathanael<br />
Gottfried Leske. – Leipziger Magazin zur<br />
Naturkunde und Oekonomie, Band 1786:<br />
504 – 520: Leipzig, Dessau.<br />
Lüschen, Hans (1979): Die Namen der Steine.<br />
Das Mineralreich im Spiegel der Sprache. –<br />
Ott Verlag; Thun.<br />
Monaghan, Nigel (1984): Collectors, Collections<br />
& Museums of Note, No. 42. The<br />
Geological Collections of the National<br />
Museum of Ireland. – Geological Curator, 3:<br />
528 – 536; London.<br />
Monaghan, Nigel T. (1992): Geology in the<br />
National Museum of Ireland. – Geological<br />
Curator, 5, 7: 275 – 282; London.<br />
Monaghan, Nigel (2012): Kirwan the mineralogist.<br />
– Science at the Royal Irish Academy,<br />
2012: 20 – 25; Dublin.<br />
Niedermayr, Gerhard (1988): „Nichts ist auf<br />
der Welt Schöneres …“ – Zur Geschichte<br />
des Mineraliensammelns. – Begeisterung im<br />
Bürgertum: 20 – 25. – Veröffentlicht im offiziellen<br />
Katalog der 25. Mineralientage München<br />
vom 14. bis 16. Oktober 1988: Wer<br />
sammelt … macht Geschichte; München.<br />
Otto, Gottlieb Friedrich (1802): Lexikon der<br />
seit dem funfzehenden Jahrhunderte verstorbenen<br />
und jetzlebenden oberlausizischen<br />
Schriftsteller und Künstler, 441 – 446, gedruckt<br />
bey Burghart; Görlitz.<br />
Pfeuffer, Renate (2011): … der milden Mutter<br />
Natur mehr Freunde und Bewunderer<br />
zu gewinnen … – Ausstellung zum 200.<br />
Todes tag des Augsburger Pfarrers Gottlieb<br />
Tobias Wilhelm (1758 – 1811), des Autors<br />
der „Unterhaltungen aus der Naturgeschichte“.<br />
– Eine Veröffentlichung der Staats- und<br />
Stadtbibliothek; Augsburg.<br />
Richter, Andreas E. (1981): Handbuch des<br />
Fossiliensammlers. – Kosmos Gesellschaft<br />
der Naturfreunde. – Franckh’sche Verlagshandlung;<br />
Stuttgart.<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
Nathanael Gottfried Leske (1751 – 1786) und sein klassisches Naturalienkabinett<br />
133<br />
Schiffner, Carl (1935): Aus dem Leben alter<br />
Freiberger Bergstudenten. – Verlagsanstalt<br />
Ernst Mauckisch; Freiberg.<br />
Schmidt, Peter (1987): Aus der Korrespondenz<br />
N. G. Leske – A. G. Werner unter besonderer<br />
Berücksichtigung der Lausitz, der Mineraliensammlungen<br />
und der Gelehrtenbeziehungen,<br />
1774 – 1786. – Abhandlungen und<br />
Berichte des Naturkundemuseums Görlitz,<br />
60, 2: 79 – 87.<br />
Stets, Rolf (1995): Gottfried Leske<br />
1751 – 1786. – In: Lebensbilder, Persönlichkeiten<br />
des Oberlausitzer Lebens, Teil 1,<br />
Muskauer Heide. Verfasser : Smers, Hanspeter.<br />
Hrsg. Landratsamt des Niederschlesischen<br />
Oberlausitzkreises; 20 – 21: Görlitz.<br />
Sweet, Jessie M. (1967): Robert Jamesons’s<br />
Irish Journal, 1797. Appendix II: The Leskean<br />
Museum. – In: Annals of Science, 23, 2:<br />
97 – 126; Edinburgh.<br />
Sweet, Jessie M. (1967): The Wernerian<br />
Natural History Society in Edinburgh. –<br />
Freiberger Forschungshefte: 205 – 218;<br />
Freiberg.<br />
White, Terence de Vere (1955): The Story of<br />
the Royal Dublin Society. – The Kerryman<br />
Limited; Dublin.<br />
Wyse Jackson, Patrick N. (2009): Kirwan,<br />
Richard (1733 – 1812). – Dictionary of Irish<br />
Biography, 5: 234 – 235; Cambridge.<br />
Arbeit eingereicht: 07.08.2014<br />
Arbeit angenommen: 30.10.2014<br />
Anschrift des Verfassers:<br />
Gerd Ibler<br />
Alfonsstraße 14<br />
86157 Augsburg<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
134<br />
Hannovers große Attraktion einmal anders<br />
Der Große Garten Herrenhausen<br />
Ein nicht sehr langer Weg nach<br />
Herrenhausen und sieben kurze Wege<br />
im Großen Garten<br />
von Prof. Dr. Joachim Knoll<br />
In diesem Jubiläumsband 150 widmet sich<br />
der Autor einem der schönsten europäischen<br />
Barockgärten auf spezielle Weise. Sieben<br />
Spaziergämge führen zu bekannten und weniger<br />
bekannten Stellen, immer unterhaltsam,<br />
immer fundiert und gewürzt mit Liebe<br />
zum historischen Detail, vermischt mit ein<br />
wenig Ironie.<br />
152 S., bisheriger Preis 24,80 €,<br />
jetzt nur 12 €.<br />
Vielfalt in Niedersachsen<br />
<strong>Naturhistorica</strong> 151<br />
Wenn Sie schon immer etwas wissen<br />
wollten über …<br />
• Temperaturkurven-Ermittlung mit Hilfe<br />
der Abfolge von Mikrofossilien in einem<br />
Bohrprofil,<br />
• Meereskrokodile am Lindener Berg,<br />
• illegal verfüllte Höhlen bei Bad Pyrmont,<br />
• das erfüllte Liebesleben des Aronstabs,<br />
• Libellen in Niedersachsen oder<br />
• Sklavenhalterei bei Ameisen,<br />
… sollten Sie diesen Band unbedingt lesen!<br />
160 S., bisheriger Preis 17,80 €,<br />
jetzt nur 8 €.<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
135<br />
Die Naturhistorische Gesellschaft Hannover<br />
Gesellschaft zur Pflege der Naturwissenschaften · Gegründet 1797<br />
Die Naturhistorische Gesellschaft Hannover versteht sich als eine Vereinigung<br />
von Menschen jeden Alters mit besonderem Interesse an der Natur und<br />
den Naturwissenschaften.<br />
Ein kurzer Blick zurück<br />
Im Jahr 1797 gründeten 25 Herren<br />
und eine Dame aus der Bürgerschaft der<br />
Stadt Hannover eine Lesegesellschaft.<br />
Sie schafften gemeinsam kostspielige Bücher<br />
an, die den Mitgliedern dann reihum<br />
zur Verfügung standen. Daraus entstand<br />
im Laufe des 19. Jahrhunderts eine<br />
Initiativen der NGH<br />
· Treibende Kraft für die Errichtung des<br />
„Museums für Kunst und Wissenschaft“<br />
(das heutige Künstlerhaus)<br />
· Gründungsmitglied des Niedersächsischen<br />
Landesmuseums Hannover<br />
· Gründung des Zoologischen Gartens<br />
Die NGH heute<br />
Nach über 215 Jahren verfolgt die<br />
NGH immer noch die gleichen Ziele.<br />
Sie bedient sich dabei allerdings zeitgemäßer<br />
Methoden und beschäftigt sich<br />
mit aktuellen Fragen. In Berichten,<br />
Exkursionen und Vorträgen geht es um<br />
naturwissenschaftliche Themen –<br />
unter anderem aus der<br />
umfangreiche Bibliothek.<br />
Aus dieser Lesegesellschaft ging 1801<br />
die „Naturhistorische Gesellschaft in<br />
Hannover“ hervor. Sie hatte sich das Ziel<br />
gesetzt, „bei allen Bevölkerungsschichten<br />
eine genauere Kenntnis der Naturpro ducte<br />
hiesiger Lande zu befördern“.<br />
· Bau eines Schlachthofs in Hannover<br />
· Mitwirkung in einer „Commission für<br />
die allgemeine Gesundheitspflege“<br />
· Gründungsmitglied des Niedersächsischen<br />
Heimatbundes<br />
· Geologie<br />
· Paläontologie<br />
· Archäologie<br />
· Botanik<br />
· Zoologie<br />
· Landschaftskunde<br />
· Technik<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
136<br />
Die jährlich erscheinende <strong>Naturhistorica</strong><br />
– Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft<br />
Hannover ist das wissenschaftliche<br />
Sprachrohr der NGH. Sie befasst sich mit<br />
den verschiedensten Bereichen der Naturwissenschaften<br />
und nicht zuletzt mit dem<br />
Schutz der Umwelt. Dabei werden auch<br />
die besonderen Verhältnisse in Hannover<br />
berücksichtigt. Besonders begehrt sind die<br />
geologischen Wanderkarten.<br />
Der Natur unmittelbar begegnen kann<br />
man auf den etwa zehn pro Jahr stattfindenden<br />
Exkursionen. Vom Frühjahr bis in<br />
den Herbst führen sie zu den unterschiedlichsten<br />
Zielen und werden von Fachleuten<br />
geleitet. Dabei kommen biologische,<br />
geologische sowie techno logische Themen<br />
zur Sprache, aber auch kulturgeschichtlich<br />
interessante Stätten werden besichtigt.<br />
Die NGH möchte dazu beitragen, über<br />
die Notwendigkeit und die Ergebnisse<br />
naturwissenschaftlicher Forschung zu<br />
informieren. Dies geschieht vor allem<br />
durch Vorträge im Winterhalbjahr, denen<br />
sich spannende Diskussionen anschließen.<br />
Vorstand und Beirat<br />
Vorstand<br />
Gewählt 2014<br />
1. Vorsitzender: Dr. Dieter Schulz<br />
2. Vorsitzender: Prof. Dr. Hansjörg Küster<br />
Schatzmeister: Ole Schirmer<br />
Schriftführer:<br />
Dr. Franz-Jürgen Harms (Geowissensch.)<br />
Prof. Dr. Hansjörg Küster (Botanik)<br />
Dr. Annette Richter (Paläontologie,<br />
Geologie, Zoologie)<br />
Dr. Dieter Schulz (Biologie)<br />
Beirat<br />
Birga Behrendt<br />
Dr. Heiner Engel<br />
Prof. Dr. Bernd Haubitz<br />
Dr. Wolfgang Irrlitz<br />
Prof. Dr. Klaus D. Jürgens<br />
Dr. Hans Albert Roeser<br />
Ludger Schmidt<br />
Dr. Renate Schulz<br />
Dr. Stephan Veil<br />
Klaus Wöldecke<br />
Naturhistorische Gesellschaft Hannover<br />
Gesellschaft zur Pflege<br />
der Naturwissen schaften<br />
Willy-Brandt-Allee 5<br />
30169 Hannover<br />
Germany<br />
Telefon (0511) 9807-871<br />
Fax (0511) 9807-879<br />
E-Mail: info@N-G-H.org<br />
www.N-G-H.org<br />
<strong>Naturhistorica</strong> Berichte der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover <strong>156</strong> · 2014
<strong>Naturhistorica</strong> <strong>156</strong> · 2014<br />
Die Themen in diesem Heft:<br />
· Verfallen Sie in Panik, wenn Wespen Ihren Kuchen<br />
oder Eisbecher ansteuern? Wenn Sie aufgeregt<br />
nach ihnen schlagen, kann die Bekanntschaft<br />
durchaus unfreundlich sein. Unser Jugendpreisgewinner<br />
Phil Bussemas kennt die Wespen, er<br />
hat über 5 000 gesammelt, bestimmt, kartiert<br />
und wieder freigelassen.<br />
· Die größte einheimische Solitärbienenart, die<br />
Blauschwarze Holzbiene Xylocopa violacea, ist<br />
nun auch in Hannover gesichtet worden.<br />
· Manche Sammlungsstücke liegen lange in den<br />
Magazinen der Museen, bevor sie überprüft und<br />
bestimmt werden, so z. B. auch die exotischen<br />
Libellen im Landesmuseum Hannover.<br />
· Auch in den kleinsten Bächen und Gräben gibt es<br />
Fische, wie die Arbeit über das Hochwasserrückhaltebecken<br />
Salzderhelden zeigt.<br />
· Hainbuchen-Niederwälder haben gegenüber<br />
Buchenwäldern eine deutlich artenreichere Flora.<br />
Da die traditionelle Bewirtschaftung heute nicht<br />
mehr praktiziert wird, wandeln sie sich unweigerlich<br />
in artenärmere Buchenwälder um. Was kann<br />
getan werden?<br />
· Pflanzenkartierungen in Städten fanden lange Zeit<br />
kaum Beachtung. In den letzten Jahrzehnten hat<br />
sich das geändert. Für Hildesheim liegt nun eine<br />
Arbeit vor, die sich nicht nur mit der Kartierung,<br />
sondern auch mit dem Florenwandel der letzten<br />
20 Jahre befasst.<br />
· In die Reihe der Aufarbeitung von Sammlungsmaterial<br />
im Landesmuseum Hannover fügt sich die<br />
Arbeit über Ceratiten gut ein.<br />
· Wer war Nathanael Gottfried Leske?<br />
Phil Bussemas<br />
Die sozialen Faltenwespen in Bielefeld<br />
Eine Untersuchung zu ihrer Verbreitung<br />
unter Berücksichtigung ihres Auftretens<br />
in heimischen Bäckereien<br />
7<br />
Rolf Witt<br />
Erstnachweis der Blauschwarzen Holzbiene<br />
Xylocopa violacea Linné 1758 in Hannover<br />
(Hymenoptera: Apidae)<br />
25<br />
Malte Seehausen<br />
Exotische Libellen (Odonata) in der<br />
Sammlung des Landesmuseums Hannover<br />
29<br />
Jürgen Rommelmann<br />
Die Fischfauna der Bäche und Gräben im<br />
Hochwasserrückhaltebecken Salzderhelden<br />
(Landkreis Northeim, Niedersachsen)<br />
41<br />
Werner Müller<br />
Flora und Florenwandel im<br />
Stadtgebiet Hildesheim<br />
55<br />
Max Peters<br />
Vergleichende Vegetationsuntersuchungen<br />
in einem Buchenwald und einem<br />
Hainbuchen-Niederwald bei Wittenburg,<br />
Stadt Elze (Landkreis Hildesheim)<br />
69<br />
Patrick Strauch<br />
Ceratiten zweier Teilsammlungen<br />
des Landesmuseums Hannover<br />
Bewertung und Abgleich der Arterfassungen<br />
sowie stratigrafischer Hintergrund<br />
87<br />
Gerd Ibler<br />
Nathanael Gottfried Leske (1751 – 1786)<br />
und sein klassisches Naturalienkabinett<br />
117<br />
www.<strong>Naturhistorica</strong>.de ISSN 1868-0828