Sichere Vertragsgestaltung bei Problemimmobilien
Sichere Vertragsgestaltung bei Problemimmobilien
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Prof. Dr. Peter Limmer (Hrsg.)<br />
<strong>Sichere</strong> <strong>Vertragsgestaltung</strong><br />
<strong>bei</strong> <strong>Problemimmobilien</strong><br />
Tagungsband<br />
Mit Beiträgen von:<br />
Landgerichtspräsident Prof. Dr. Michael Huber<br />
Notar Dr. Adolf Reul<br />
Prof. Dr. Klaus Tiedtke<br />
Notar Prof. Dr. Stefan Hügel<br />
Notar Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz
Band 10<br />
10. Wissenschaftliches Symposium<br />
des Instituts für Notarrecht an der Universität Würzburg 2010<br />
Tagungsband: „<strong>Sichere</strong> <strong>Vertragsgestaltung</strong> <strong>bei</strong> <strong>Problemimmobilien</strong>“<br />
Herausgeber (Eigenverlag):<br />
Deutsche Notarrechtliche Vereinigung e. V.<br />
Gerberstraße 19<br />
97070 Würzburg<br />
Tel: 0931/35576-0<br />
Fax: 0931/35576-225<br />
e-mail: notrv@dnoti.de<br />
Internet: www.notrv.de<br />
ISBN 978-3-9811150-4-8
Die im Jahr 1997 gegründete Deutsche Notarrechtliche Vereinigung<br />
fördert die wissenschaftliche Behandlung und Erforschung aller notarrelevanten<br />
Rechtsfragen sowohl des formellen als auch des materiellen<br />
Rechts einschließlich der <strong>Vertragsgestaltung</strong>, der Geschichte des Notariats<br />
sowie des notariellen Berufsrechts.<br />
Zur Verwirklichung dieser Aufgabe hat die Deutsche Notarrechtliche<br />
Vereinigung Anfang 2000 durch Abschluss eines Kooperationsvertrages<br />
mit der Universität Würzburg das Institut für Notarrecht an der Universität<br />
Würzburg gegründet.<br />
Zu den zahlreichen Projekten dieses Instituts gehört auch die jährliche<br />
Abhaltung eines wissenschaftlichen Symposiums. Wissenschaftliche<br />
Tagungen, die sich mit den Fragen der notariellen Praxis beschäftigen,<br />
sind bislang vergleichsweise selten. Mit dem jährlichen Symposium des<br />
Instituts für Notarrecht soll daher ein Beitrag zum Gedankenaustausch<br />
zwischen Wissenschaft und kautelarjuristischer Praxis geleistet werden.<br />
Das zehnte wissenschaftliche Symposium des Instituts für Notarrecht<br />
am 18. Juni 2010 stand im Zeichen sicherer <strong>Vertragsgestaltung</strong> <strong>bei</strong><br />
<strong>Problemimmobilien</strong>. Das Risiko von Insolvenz- und Gläubigeranfechtung<br />
hinsichtlich Immobilienübertragungen wurde zunächst aus<br />
richterlicher Sicht untersucht. Im Anschluss wurden aus notarieller<br />
Perspektive Hinweise zur Vermeidung des Insolvenzrisikos durch entsprechende<br />
Gestaltung von Grundstückskaufverträgen gegeben. Gegenstand<br />
des Symposiums waren auch die nach der neuen Erbschaftsteuer<br />
geltenden Befreiungstatbestände mit Blick auf die Zuwendung<br />
eines Familienheims. Der Mietkauf wurde unter dogmatischen wie unter<br />
gestalterischen Gesichtspunkten beleuchtet. Zum Abschluss wurden<br />
sozialrechtliche Aspekte im Zusammenhang mit Immobilienübertragungen<br />
behandelt. Das große Interesse der Teilnehmer äußerte sich<br />
nicht nur in einer hohen Teilnehmerzahl, sondern auch in lebhaften Diskussionen.<br />
Insoweit dürfte auch die nun vorliegende Schriftfassung der<br />
Referate auf reges Interesse der Fachwelt stoßen. Den Referenten<br />
sowie allen, die zur gelungenen Organisation des Symposiums <strong>bei</strong>getragen<br />
haben, sei für das Gelingen der Tagung an dieser Stelle herzlicher<br />
Dank gesagt!<br />
Würzburg, im Juni 2010<br />
Prof. Dr. Peter Limmer
Inhaltsverzeichnis<br />
Risiko von Insolvenz- oder Gläubigeranfechtung nach<br />
(wirklich?) unentgeltlich übertragener Immobilie – zugleich<br />
ein Beitrag zum Umfang notarieller Belehrungspflichten 6<br />
Prof. Dr. Michael Huber,<br />
Präsident des LG Passau<br />
Insolvenzrisiko <strong>bei</strong> Abwicklung eines<br />
Grundstückskaufvertrages<br />
– Hinweise zur <strong>Vertragsgestaltung</strong> – 26<br />
Dr. Adolf Reul,<br />
Notar, Neu-Ulm<br />
Die Zuwendung eines Familienheims nach der<br />
Erbschaftsteuerreform 2008/2009 71<br />
Prof. Dr. Klaus Tiedtke,<br />
Universität Würzburg, Vorsitzender des INotR Würzburg<br />
Mietkauf und ähnliche Verträge 109<br />
Prof. Dr. Stefan Hügel,<br />
Notar, Weimar, Präsident der Notarkammer Thüringen<br />
Mitglied des Vorstands der NotRV
Hausübertragung zwischen Pflegeheim und Hartz IV 138<br />
Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz,<br />
Notar, Regen<br />
Mitglied des Vorstands des INotR Würzburg
Risiko von Insolvenz- oder Gläubigeranfechtung nach<br />
(wirklich?) unentgeltlich übertragener Immobilie – zugleich<br />
ein Beitrag zum Umfang notarieller Belehrungspflichten<br />
Prof. Dr. Michael Huber,<br />
Präsident des LG Passau<br />
Seite<br />
I. Überblick zur Gefahrenlage <strong>bei</strong> unentgeltlicher Zuwendung...8<br />
1. Konkurrenz Einzelgläubigeranfechtung und<br />
Insolvenzanfechtung ................................................................8<br />
a) Gläubigeranfechtung nach dem AnfG...............................8<br />
b) Insolvenzanfechtung .........................................................9<br />
c) Kollisionsnormen: §§ 16 – 18 AnfG.................................10<br />
d) Konsequenzen für die Belehrungspflicht des Notars<br />
gemäß § 17 BeurkG........................................................10<br />
2. Konkurrenz zwischen „Schenkungs-" und Vorsatzanfechtung..............................................................................11<br />
a) Ausgangspunkte..............................................................11<br />
b) Grundregel zur Konkurrenz.............................................11<br />
c) Praktische Konsequenzen ..............................................12<br />
II. Grundlagen der „Schenkungsanfechtung“..............................13<br />
1. Strukturen <strong>bei</strong> § 134 InsO und § 4 AnfG................................13<br />
a) Übereinstimmung im objektiven Tatbestand...................13<br />
b) Unterschiede in der dogmatischen Konstruktion der<br />
Anfechtungsfristen...........................................................14<br />
2. Maßgeblicher Zeitpunkt <strong>bei</strong> Grundstücksgeschäften.............15<br />
III. Begriff der Unentgeltlichkeit ......................................................16<br />
1. Ausgangspunkte.....................................................................16<br />
2. Praxistypische Problemstellungen zur Abgrenzung...............17<br />
IV. Gläubigerbenachteiligung und wertausschöpfende<br />
Belastung .....................................................................................18<br />
6
1. Ausgangspunkte ....................................................................18<br />
2. Konsequenzen für die notarielle Praxis .................................19<br />
V. „Grenzüberschreitender“ Abschluss-Fall ................................20<br />
1. Ausgangspunkte ....................................................................20<br />
a) Übersichtsblick auf die „Grenzüberschreitungen“...........20<br />
b) Sachverhalt ganz konkret ...............................................20<br />
2. Urteilsanalyse in Rätseln und Denksportaufgaben................21<br />
3. Blick auf die Konsequenzen nach gleicher Methode .............23<br />
7
I. Überblick zur Gefahrenlage <strong>bei</strong> unentgeltlicher Zuwendung<br />
Das Ausmaß des Anfechtungsrisikos <strong>bei</strong> einer unentgeltlichen Zuwendung<br />
erschließt sich durch Betrachtung der Konkurrenzlagen<br />
zwischen Gläubigeranfechtung und Insolvenzanfechtung einerseits (1.)<br />
und „Schenkungs-“ und Vorsatzanfechtung andererseits (2.).<br />
1. Konkurrenz Einzelgläubigeranfechtung und Insolvenz-<br />
anfechtung<br />
a) Gläubigeranfechtung nach dem AnfG<br />
Eine Gläubigeranfechtung nach dem AnfG gibt es nur außerhalb des<br />
Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners, wie unmittelbar<br />
aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 AnfG folgt. Eine Anfechtungsberechtigung<br />
steht allerdings nur einen Gläubiger im Sinn des § 2 AnfG<br />
zu; Voraussetzungen dieser Vorschrift sind<br />
- ein fälliger Zahlungsanspruch gegen den Schuldner (sog. Hauptanspruch),<br />
- ein vollstreckbarer Titel darüber (für nur vorläufig vollstreckbare<br />
Schuldtitel und Vorbehaltsurteile gilt § 14 AnfG) und<br />
- die Unzulänglichkeit des Schuldnervermögens für die Befriedigung<br />
des Gläubigers (sog. Subsidiarität der Einzelgläubigeranfechtung 1 ).<br />
Zweck einer solchen Gläubigeranfechtung ist es, dem einzelnen<br />
Gläubiger unter bestimmten, eng begrenzten Voraussetzungen den<br />
Vollstreckungszugriff auf Gegenstände wieder zu erschließen, die sein<br />
Schuldner anfechtbar weggegeben hat. Folglich begründet das Anfechtungsrecht<br />
ein unmittelbar auf dem Gesetz beruhendes Schuldverhältnis<br />
zwischen dem Gläubiger der befriedigungsbedürftigten<br />
Forderung (Anfechtungsberechtigten) und dem Empfänger der anfechtbaren<br />
Leistung (Anfechtungsgegner).<br />
Nach dieser – in Rechtsprechung und Schrifttum herrschenden –<br />
schuldrechtlichen Theorie hat der Gläubiger Anspruch darauf, dass sich<br />
der Anfechtungsgegner im Verhältnis zu ihm so behandeln lässt, als<br />
gehöre der anfechtbar veräußerte Gegenstand noch zum Vermögen<br />
1 BGH, Urt. v. 16.08.2007 – IX ZR 63/06, ZIP 2007, 1717 = ZInsO 2007, 934.<br />
8
des Vollstreckungsschuldners. 2 Zum Inhalt des Anfechtungsanspruchs<br />
heißt es deshalb in § 11 Abs. 1 S. 1 AnfG auch folgerichtig, dass das,<br />
was durch die anfechtbare Rechtshandlung aus dem Vermögen des<br />
Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben ist, dem<br />
Gläubiger zur Verfügung gestellt werden muss, soweit es zu dessen<br />
Befriedigung erforderlich ist. Aus Letzterem folgt die sachliche Begrenzung<br />
des Anfechtungsanspruchs als Hilfs- und Nebenrecht der<br />
befriedigungsbedürftigen Forderung des Gläubigers, also ein inhaltlich<br />
begrenzter Zugriff.<br />
b) Insolvenzanfechtung<br />
Im Insolvenzverfahren über das Vermögen eines Schuldners ist zur<br />
Insolvenzanfechtung nach §§ 129 ff. InsO grundsätzlich – nämlich im<br />
sogenannten Regelinsolvenzverfahren (§§ 1 – 216 InsO) – nur der Insolvenzverwalter<br />
befugt, wie sich unmittelbar aus dem Wortlaut des<br />
§ 129 Abs. 1 InsO ergibt. Besonderheiten gelten im Insolvenzplanverfahren<br />
(§§ 217 ff., 259 Abs. 3 InsO), <strong>bei</strong> Eigenverwaltung (§§ 270, 271<br />
InsO) und im vereinfachten Insolvenzverfahren (§§ 311 ff., 313 InsO).<br />
Zweck der Insolvenzanfechtung ist die Mehrung der Masse zugunsten<br />
der Gesamtheit aller Insolvenzgläubiger. Der Anfechtungsanspruch<br />
richtet sich folglich (ohne Begrenzung) auf Rückgewähr des (gesamten)<br />
anfechtbar erlangten Gegenstandes in die Masse. Auch insoweit gilt<br />
nach hM die schuldrechtliche Theorie, nach der aus dem Anfechtungsrecht<br />
der InsO ein schuldrechtlicher Anspruch auf Rückgewähr des<br />
weggegebenen Gegenstandes folgt, der mit der Insolvenzeröffnung<br />
aufgrund eines gesetzlichen Schuldverhältnisses entsteht und zugleich<br />
fällig wird; die Unterschiede zur sog. haftungsrechtlichen Theorie 3 sind<br />
vom Elfen<strong>bei</strong>nturm der Wissenschaft aus betrachtet zweifellos sehr<br />
interessant, aus Sicht der Praxis durch die Rechtsprechung des für das<br />
Insolvenzrecht zuständigen IX. Zivilsenats des BGH aber weitgehend<br />
eingeebnet. 4<br />
Wie wichtig es ist, die unterschiedlichen Zwecke von Gläubiger- und<br />
Insolvenzanfechtung richtig zu erfassen und <strong>bei</strong> der Subsumtion auseinander<br />
zu halten, wird der Abschlussfall zeigen.<br />
2 Näher zur Dogmatik Huber, AnfG, 10. Aufl. 2006, vor § 1 Einf. Rn. 23 ff.<br />
3 Vgl. dazu Henckel, in: Jaeger, InsO, 1. Aufl. 2008, § 143 Rn. 32.<br />
4 Näher dazu Gottwald/Huber, Insolvenzrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2010, § 52 Rn. 3, 7.<br />
9
c) Kollisionsnormen: §§ 16 – 18 AnfG<br />
Die Abgrenzung zwischen Einzelgläubiger- und Insolvenzanfechtung<br />
regeln §§ 16 – 18 AnfG. Für den hier erörterten Zusammenhang kommt<br />
es auf folgende Grundsätze an:<br />
- Ab Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Schuldners ist eine<br />
Einzelgläubigeranfechtung ausgeschlossen, eine solche Klage<br />
wäre unzulässig; das folgt im Umkehrschluss aus § 16 Abs. 1 S. 1<br />
AnfG.<br />
- Ein rechtshängiger Gläubigeranfechtungsprozess wird mit<br />
Insolvenzeröffnung unterbrochen, kann aber vom Insolvenzverwalter<br />
aufgenommen werden, § 17 Abs. 1 S. 2 AnfG.<br />
- Die eigentliche „Pointe“ ergibt sich freilich aus Absatz 2 dieser<br />
Vorschrift. Danach kann der Insolvenzverwalter den Klageantrag<br />
nach Maßgabe der § 143, 144 und 146 der InsO erweitern; der<br />
Anfechtungsgegner kommt dann sozusagen „vom Regen in die<br />
Traufe“. Denn in einem solchen Fall stellt der Insolvenzverwalter<br />
die Klage vom inhaltlich (gemäß dem Schuldtitel) begrenzten Zugriff<br />
um auf Rückgewähr des (gesamten) anfechtbar weggegebenen<br />
Gegenstandes; § 17 Abs. 2 AnfG enthält damit einen<br />
zulässigen (gesetzlich geregelten) Fall der Klageänderung, zusätzlich<br />
zu dem in Absatz 1 Satz 2 geregelten (gesetzlich zulässigen)<br />
Fall der Parteiänderung.<br />
d) Konsequenzen für die Belehrungspflicht des Notars gemäß<br />
§ 17 BeurkG.<br />
Bei unentgeltlichem Erwerb wird der Notar über das Risiko einer<br />
Gläubigeranfechtung – also über die von einem einzelnen Gläubiger<br />
möglicherweise ausgehende Gefahrenlage – ohnehin standardmäßig<br />
belehren. Ist außerdem auch auf das Risiko einer Insolvenzanfechtung<br />
hinzuweisen, also auf die Rechtslage in der Insolvenz des Zuwendenden?<br />
Nein – meint eine weit verbreiteten Meinung aus grundsätzlichen<br />
Erwägungen heraus, 5 während das andere Autoren durchaus<br />
kritisch sehen. 6 Und welche Position verdient den Vorzug? Nun – einer<br />
Antwort darauf bedarf es an dieser Stelle nicht. Denn die zitierten einschlägigen<br />
Anfechtungstatbestände entsprechen sich vollkommen,<br />
5 Vgl. insbes. den Grundlagenaufsatz von Gauter, DNotZ 2004, 421, 423 ff.<br />
6 ZB Reul/Heckschen/Wienberg, Insolvenzrecht in der Kautelarpraxis, 2006, S. 130 ff.<br />
10
weshalb eine Erörterung des § 4 AnfG genügt, die des § 134 InsO<br />
keinen zusätzlichen Ertrag zu bringen vermöchte.<br />
Auf einem ganz anderen Blatt steht, ob über das Ausmaß der Gefahrenlage<br />
mit Blick auf § 17 Abs. 2 AnfG belehrt werden sollte. Meiner<br />
Meinung nach ist das zu bejahen, damit die Beteiligte die „rechtliche<br />
Tragweite des Geschäfts“ zutreffend erfassen können; denn jetzt geht<br />
es nicht um das Anfechtungsrisiko an sich, sondern um die unterschiedlichen<br />
Rechtsfolgen der (sachlich identischen) Anfechtungstatbestände.<br />
Notwendig ist folglich ein Hinweis darauf, dass es einen umfangmäßig<br />
(inhaltlich nach dem noch unbefriedigten Hauptanspruch eines<br />
Gläubigers) begrenzten Anfechtungsanspruch nur außerhalb des Insolvenzverfahrens<br />
gibt.<br />
2. Konkurrenz zwischen „Schenkungs-“ und Vorsatzanfechtung<br />
a) Ausgangspunkte<br />
Die dazu einschlägigen Vorschriften zur Anfechtung innerhalb und<br />
außerhalb des Insolvenzverfahrens decken sich vollkommen: Es entsprechen<br />
§ 134 InsO dem § 4 AnfG (dazu sogleich noch näher) und<br />
§ 133 InsO dem § 3 AnfG; Absätze 2 der <strong>bei</strong>den zuletzt genannten Vorschriften<br />
betreffen den entgeltlichen Erwerb, der im Rahmen dieses<br />
Beitrags außer Betracht bleibt. 7<br />
b) Grundregel zur Konkurrenz<br />
„Schenkungs-“ und Vorsatzanfechtung stehen – ohne Vorrang oder<br />
Ausschluss – selbständig nebeneinander. Deshalb ist eine außerhalb<br />
der 4-Jahresfrist vorgenommene unentgeltliche Leistung innerhalb der<br />
10-Jahresfrist anfechtbar, wenn auch nur unter den strengeren Voraussetzungen<br />
der Vorsatzanfechtung. Die Probleme liegen dann <strong>bei</strong>m Beweis<br />
des subjektiven Tatbestands, wozu die Kernfragen lauten: Wann<br />
folgt alleine schon aus der „Unentgeltlichkeit“ ein Indiz für den<br />
Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners und/oder die Kenntnis<br />
des anderen Teils (Zuwendungsempfängers) davon, welche Beweiskraft<br />
käme dem zu und gibt es noch andere Beweisanzeichen?<br />
7 Ausführlich zur Anfechtbarkeit von Grundstückskaufverträgen durch Gläubiger des<br />
Verkäufers nach § 133 Abs. 2 InsO bzw. § 3 Abs. 2 AnfG vgl. Amann, DNotZ 2010,<br />
246 ff.<br />
11
Wollte man das näher betrachten, wäre ein ganz anderes, sehr weites<br />
Feld zu beschreiten. Dafür fehlt es hier an Raum und Zeit, weshalb die<br />
Erkenntnis genügen muss, dass das Anfechtungsrisiko innerhalb der 4-<br />
Jahresfrist unabwendbar (zu den nur vermeintlich wirksamen Gegenstrategien<br />
s. u. III), das innerhalb der 10-Jahresfrist jedoch wenigstens<br />
begrenzbar ist. Aber wie?<br />
c) Praktische Konsequenzen<br />
Oder anders gefragt: Was sind die praktischen Konsequenzen aus<br />
diesem Befund für den Umfang notarieller Belehrungspflichten? Und<br />
noch präziser gefragt: Soll nach den Beweggründen für die Zuwendung<br />
und umgekehrt nach Anhaltspunkten des anderen Teils für mögliche<br />
Liquiditätsengpässe des Schuldners (Zuwendenden, Veräußerers) geforscht<br />
werden soll? Wären Feststellungen dazu, oder – anders ausgedrückt<br />
– zu den Erwartungen der Vertragsparteien hinsichtlich der<br />
„Geschäftsgrundlage“ überhaupt hilfreich? Und wofür und warum könnte<br />
das so sein?<br />
In der Tat müssen aus meiner Sicht – trotz der zum Teil kompromisslos<br />
geäußerten gegenteiligen Position 8 – solche Umstände in jedem Einzelfall<br />
sorgfältig geprüft werden. Denn daraus können sich (prophylaktisch)<br />
treffliche Argumente ergeben, die später einer Vorsatzanfechtung nach<br />
§ 3 Abs. 1 AnfG (bzw. § 133 Abs. 1 InsO) entgegengehalten werden<br />
können. Und dazu bedenke man zweierlei:<br />
Erstens die lange (theoretisch) 10-jährige Anfechtungsfrist! Was im<br />
Zeitpunkt des Rechtsgeschäfts an dazu maßgeblichen Tatsachen nicht<br />
„gesichert“ ist, wird sich mit wachsendem zeitlichen Abstand kaum mehr<br />
verlässlich rekonstruieren lassen, wie die (bestimmt nicht nur richterliche)<br />
Erfahrung lehrt. Und zweitens: Beim Beweis des subjektiven Tatbestandes<br />
der Vorsatzanfechtung – also <strong>bei</strong>m Beweis von inneren Tatsachen<br />
– geht es immer um Indizien und ihre Bewertung im anfechtungsrechtlich<br />
maßgeblichem Zeitpunkt, also um die <strong>bei</strong> Vornahme<br />
der Rechtshandlung (näher unten II 1 b). Sie muss zwar der anfechtungsberechtigte<br />
Gläubiger beweisen, aber wer wagt schon eine<br />
Prognose, welche Überzeugung sich der Richter aufgrund freier Beweiswürdigung<br />
(§ 286 Abs. 1 ZPO) verschaffen wird? Deshalb kommt<br />
es für den Anfechtungsgegner (Zuwendungsempfänger) darauf an, die<br />
Beweiskraft möglicher Indizien zu erschütten. Und dafür gilt als Regel:<br />
8 Vgl. zB Amann, aaO S. 261.<br />
12
Jedes Beweisanzeichen für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des<br />
Schuldners und die Kenntnis des anderen Teils davon kann schon dann<br />
entkräftet sein, wenn die Wirkungen der Handlung zu einer Zeit eintreten,<br />
zu der aus Sicht des Empfängers keine ernstlichen Zweifel an<br />
der Liquidität des Schuldners zu bestehen brauchten. 9<br />
Liegt es deshalb nicht nahe, die – hinsichtlich Gläubigerbenachteiligungsvorsatz<br />
und/oder Kenntnis davon – „gutgläubigen“<br />
Beteiligten zu schützen, also durch Darlegung der entsprechenden Tatsachen<br />
in der Urkunde den Erwerb gegen eine spätere Vorsatzanfechtung<br />
resistent zu machen? Und da<strong>bei</strong> ist auch noch zu beachten,<br />
dass es <strong>bei</strong> Vornahme der angefochtenen Rechtshandlung nicht darauf<br />
ankommt, ob überhaupt schon Gläubiger (geschweige denn unbefriedigte<br />
Gläubiger) des Zuwendenden vorhanden sind. 10 Feststellungen,<br />
aus denen sich später (!) Argumente gegen einen<br />
Gläubigerbenachteiligungsvorsatz bzw. gegen eine Kenntnis des<br />
anderen Teils davon herleiten lassen, bedürfen also gerade keines<br />
konkreten Hintergrundes, weshalb danach auch nicht geforscht zu<br />
werden braucht! Schon deshalb ist die oft dringlich vorgetragene<br />
Warnung übertrieben, der Notar müsse sich davor hüten, durch Befragung<br />
des Zuwendenden oder Veräußerers über dessen Vermögenslage<br />
einen Beitrag zur Bösgläubigkeit des Käufers zu leisten und sich so<br />
selbst unversehens in die Gefahr einer Beihilfe zur Vollstreckungsvereitelung<br />
zu manövrieren.<br />
II. Grundlagen der „Schenkungsanfechtung“<br />
1. Strukturen <strong>bei</strong> § 134 InsO und § 4 AnfG<br />
a) Übereinstimmung im objektiven Tatbestand<br />
Begrifflich korrekt muss man zwar von „Anfechtung unentgeltlicher<br />
Leistungen“ sprechen; „Schenkungsanfechtung“ passt schon deshalb<br />
nicht, weil – anders als <strong>bei</strong> einer Schenkung im Sinn des § 516 BGB –<br />
weder eine vertragliche Einigung über die Unentgeltlichkeit noch eine<br />
Bereicherung des Empfängers vorausgesetzt wird. Allerdings ist der<br />
untechnische Begriff der „Schenkungsanfechtung“ nach wie vor gebräuchlich.<br />
9<br />
Ausführlich Gottwald/Huber (o. Fn. 4), § 49 Rn. 19 ff.<br />
10<br />
BGH, Urt. v. 13.08.2009 – IX ZR 159/06, DNotZ 2010, 286 = NZI 2010, 768 m. Anm.<br />
Huber.<br />
13
Beide Vorschriften nach InsO und AnfG sind deckungsgleich und verfolgen<br />
denselben Zweck. Er besteht darin, freigiebige Zuwendungen<br />
des Schuldners, die dieser innerhalb der Anfechtungsfrist vorgenommen<br />
hat, im Interesse der Gesamtheit der Insolvenzgläubiger oder des anfechtungsberechtigten<br />
Gläubigers rückgängig zu machen. Dafür verlangt<br />
der objektive Tatbestand – neben einer (wenigstens) mittelbaren<br />
Gläubigerbenachteiligung – lediglich Unentgeltlichkeit der Leistung (zum<br />
Begriff sogleich näher), wo<strong>bei</strong> „gebräuchliche Gelegenheitsgeschenke“<br />
ausgenommen sind freilich nur solche „geringen Werts“; es kommt also<br />
nicht darauf an, was die Beteiligten oder der Urkundsnotar oder später<br />
der Richter – entsprechend ihrem eigenen Vermögenszuschnitt – als<br />
„gebräuchlich“ ansehen. Subjektive Anfechtungsvoraussetzungen gibt<br />
es nicht. Das hängt mit der Schwäche des unentgeltlichen Erwerbs<br />
zusammen und ist systemimmanent; denn auch sonst gewährt unsere<br />
Rechtsordnung dem Empfänger einer unentgeltlichen Leistung eine nur<br />
schwächere Rechtsstellung (vgl. §§ 528, 529, 816 Abs. 1 S. 2, 2287,<br />
2325 BGB).<br />
Bei <strong>bei</strong>den Anfechtungstatbeständen gilt eine jeweils 4-jährige Anfechtungsfrist,<br />
die durch Rückwärtsrechnung ab Insolvenzantrag bzw.<br />
gerichtlicher Geltendmachung bestimmt wird. Dass die Rechtshandlung<br />
innerhalb dieses Zeitraums vorgenommen wurde, vermutet das Gesetz<br />
zu Lasten des Anfechtungsgegners, der folglich Gegenteiliges zu beweisen<br />
hat; für den hier behandelten Problembereich verbirgt sich<br />
dahinter indessen kein Problem, weil die einschlägigen Daten (Beurkundungsgeschäft/Eintragungsantrag/Grundbuchvollzug)<br />
leicht feststellbar<br />
und deshalb nicht streitig sein werden.<br />
b) Unterschiede in der dogmatischen Konstruktion der<br />
Anfechtungsfristen<br />
Wesentliche Unterschiede bestehen jedoch in der Dogmatik der Anfechtungsfristen:<br />
Die des AnfG ist nämlich eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist,<br />
es gibt keine zusätzliche Ausübungs-, keine Verjährungsfrist<br />
wie <strong>bei</strong> § 146 InsO. Wird also die Anfechtbarkeit von einem Einzelgläubiger<br />
nicht innerhalb der 4-jährigen Anfechtungsfrist im Sinn des § 7<br />
Abs. 1 AnfG „gerichtlich geltend gemacht“, erlischt der Anfechtungsanspruch,<br />
was der Richter von Amts wegen zu prüfen hat; allerdings<br />
kann die Anfechtungsfrist – ein in der Praxis sehr bedeutsamer Fall –<br />
auch durch Duldungsbescheid nach § 191 AO gewahrt werden. 11<br />
11 Ausführlich dazu Huber (o. Fn. 2), § 7 Rn. 17 ff.<br />
14
Für den Notar empfiehlt es sich, auf diese dogmatischen Unterschiede<br />
hinzuweisen, weil darin ein „gefahrerhöhender“ Umstand mit großer<br />
Bedeutung innerhalb des § 17 Abs. 2 AnfG liegt. Das Anfechtungsrisiko<br />
endet eben nicht automatisch mit Ablauf der 4-jährigen Anfechtungsfrist,<br />
wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet<br />
wird; denn dann hat ein Insolvenzverwalter noch innerhalb der<br />
Verjährungsfrist des § 146 Abs. 1 InsO (das sind drei, gemäß § 199<br />
Abs. 1 BGB zu berechnende Jahre!) Zeit, die Anfechtbarkeit gerichtlich<br />
geltend zu machen; erst nach deren Ablauf seht dem Empfänger ein<br />
Leistungsverweigerungsrecht zu (§ 214 Abs. 1 BGB). Nur die Rechtshandlung<br />
selbst muss in diesen Fällen innerhalb der Anfechtungsfrist<br />
liegen.<br />
2. Maßgeblicher Zeitpunkt <strong>bei</strong> Grundstücksgeschäften<br />
Bei einem Grundstücksgeschäft handelt es sich um einen sogenannten<br />
mehraktigen Rechtserwerb, weshalb an sich § 140 Abs. 1 InsO bzw. § 8<br />
Abs. 1 AnfG einschlägig wären. Nach diesen Vorschriften kommt es auf<br />
den den Rechtserwerb vollendenden Akt an; maßgeblich wäre insoweit<br />
grundsätzlich die Eintragung der Rechtsänderung im Grundbuch. Bei<br />
Grundstücksgeschäften gilt aber nach Absatz 2 der genannten Vorschriften<br />
eine wichtige Ausnahme in zweifacher Hinsicht: Satz 1 dieser<br />
Bestimmungen verlagert den maßgeblichen Zeitpunkt vor auf den Eintragungsantrag<br />
des Erwerbers, wo<strong>bei</strong> gemäß Satz 2 der Vorschriften<br />
sogar dessen Antrag auf Eintragung einer Vormerkung genügt, und<br />
zwar auch ohne spätere Auflassung. 12 Grundlage und Voraussetzung<br />
dafür ist aber das Entstehen einer gesicherten Rechtsposition des Erwerbers,<br />
also dass die Fortsetzung des Eintragungsverfahrens nach<br />
Antragstellung allein von ihm abhängt.<br />
Fraglich ist insoweit, ob auch der Eintragungsantrag des Notars wegen<br />
dessen Rücknahmebefugnis kraft Parteivereinbarung bzw. nach § 15<br />
GBO iVm § 24 Abs. 3 BNotO genügt, wozu bekanntlich Streit herrscht.<br />
Während die höchstrichterliche Rechtsprechung 13 und der überwiegende<br />
Teil des Schrifttum 14 verneinen, möchte es eine Minderheitenmeinung<br />
genügen lassen. 15 Der herrschenden Auffassung ist schon aus<br />
12<br />
BGH, Urt. v. 11.12.2009 – IX ZR 203/06 DNotZ 2010, 294.<br />
13<br />
BGH, Urt. v. 19.05.2009 – IX ZR 129/06, DNotZ 2009, 844 = MittBayNot 2010, 228 m.<br />
zusti. Anm. Huber<br />
14<br />
Vgl. statt näher MünchKommInsO-Kirchhof, 2. Aufl. 2008, § 140 Rn. 41.<br />
15<br />
Vgl. zB Amann, DNotZ 2010, 246, 256 ff. m. w. Nachw.<br />
15
Gründen der Rechtsklarheit zuzustimmen. Nur so lässt sich außerdem<br />
die daraus folgende Beschränkung der Anfechtbarkeit rechtfertigen;<br />
umgekehrt liegt darin kein unbilliges Erfordernis, weil es der potentielle<br />
Anfechtungsgegner selbst in der Hand hat, seine Privilegierung her<strong>bei</strong>zuführen.<br />
Es kommt also nicht darauf an, ob der Schuldner (Zuwendender,<br />
Veräußerer) selbst den Eintragungsantrag des anderen<br />
Teils zurücknehmen hätte können bzw nach materiellem Recht hätte<br />
dürfen oder ob der Notar einem solchen Verlangen entsprechen hätte<br />
müssen.<br />
Wie relevant die Zeitspanne zwischen Eintragungsantrag des anderen<br />
Teils und der Eintragung der Rechtsänderung im Grundbuch wirklich ist,<br />
lässt sich nicht allgemein, sondern nur im Einzelfall beantworten; maßgeblich<br />
sind die Verhältnisse vor Ort, insbesondere wie schnell das<br />
jeweilige Grundbuchamt ar<strong>bei</strong>tet. Anfechtungsrechtlich kommt es auf<br />
die beschriebene Zeitspanne freilich immer an zwei, strategisch sehr<br />
wichtigen Stellen an. Das ist zum einen die schon erörterte Anfechtungsfrist,<br />
zum anderen sind das aber auch die subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen<br />
<strong>bei</strong> § 133 Abs. 1 InsO bzw. § 3 Abs. 1 AnfG;<br />
denn Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners und die Kenntnis<br />
des anderen Teils davon müssen – wie schon bemerkt – für den<br />
Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung festgestellt werden. Fehlt<br />
also <strong>bei</strong>spielsweise die Kenntnis des anderen Teils <strong>bei</strong>m Eintragungsantrag,<br />
erlangt er sie aber noch vor der Eintragung, so schadet das,<br />
wenn ihm der Eintragungsantrag keine gesicherte Rechtsposition verschaffen<br />
konnte. Ein solches Ergebnis wäre nicht nur für die Vertragspartei,<br />
sondern auch für den Notar ziemlich ernüchternd, weil dann die<br />
Ursache letztlich in seiner <strong>Vertragsgestaltung</strong> läge. Folglich empfiehlt es<br />
sich für den Notar, die Vertragsparteien über diese zweifellos<br />
komplizierten rechtlichen Zusammenhänge zu belehren und eine Entscheidung<br />
des Erwerbers her<strong>bei</strong>zuführen, ob er die beschriebene<br />
Privilegierung durch einen eigenen Eintragungsantrag realisieren<br />
möchte.<br />
III. Begriff der Unentgeltlichkeit<br />
1. Ausgangspunkte<br />
Bei der Abgrenzung entgeltlich/unentgeltlich ist zunächst auf die begrifflichen<br />
Unterschiede für Zwei- und für Drei-Personen-Verhältnisse zu<br />
achten. In der notariellen Praxis geht es typischerweise um die zuerst<br />
genannte Variante; <strong>bei</strong> solchen Austauschverträgen besteht die Unent-<br />
16
geltlichkeit in der Aufgabe eines Vermögenswerts des Verfügenden (im<br />
anfechtungsrechtlichen Sprachgebrauch: Schuldners) zugunsten des<br />
Zuwendungsempfängers ohne kompensierende (den empfangenen<br />
Vermögenswert ausgleichende) Gegenleistung.<br />
Im Drei-Personen-Verhältnis, also <strong>bei</strong> Einschaltung eines Dritten in den<br />
Zuwendungsvorgang, kommt es gerade nicht darauf an, ob der<br />
Schuldner selbst einen Ausgleich für seine Leistung erhalten hat; maßgeblich<br />
ist vielmehr, ob der Empfänger seinerseits eine Gegenleistung<br />
erbringen muss. Entgeltlichkeit ist deshalb <strong>bei</strong>spielsweise gegeben,<br />
wenn der Empfänger für die Zuwendung des Schuldners mit dessen<br />
Einverständnis eine ausgleichende Gegenleistung an den Dritten bewirkt,<br />
zB gegen Sicherheitenbestellung diesem ein Darlehen gewährt. 16<br />
Unentgeltlichkeit liegt demgegenüber <strong>bei</strong>spielsweise vor, wenn der Zuwendende<br />
(Schuldner) die durch eine Grundschuld gesicherte<br />
Forderung tilgt und da<strong>bei</strong> den dinglich haftenden Dritten 17 vom Regress<br />
freistellt, und das, obwohl er dadurch selbst von seiner eigenen Schuld<br />
gegenüber dem Grundpfandgläubiger (Bank) frei wurde. 18 Hauptanwendungsfälle<br />
für ein Drei-Personen-Verhältnis sind Tilgung oder<br />
Besicherung fremder Schuld. 19<br />
2. Praxistypische Problemstellungen zur Abgrenzung.<br />
Unentgeltlichkeit liegt im Zwei-Personen-Verhältnis vor <strong>bei</strong><br />
- „ehebedingter Zuwendung“, weil darauf – jedenfalls anfechtungsrechtlich<br />
betrachtet – kein Anspruch besteht, 20 und zwar unabhängig<br />
von der familienrechtlichen Einordnung und unabhängig<br />
davon, dass im Einzelfall die Ehegatten die Zuwendung als<br />
familienrechtlich geboten ansehen werden;<br />
- „freiwilligem Zugewinnausgleich“ aus demselben Grund (kein Anspruch,<br />
wie im übrigen schon aus dem Adjektiv „freiwillig“ folgt),<br />
wo<strong>bei</strong> sich dann zusätzlich meist die lebensnahe Frage stellen<br />
16<br />
BGH, Urt. v. 25.06.1992 – IX ZR 4/91, NJW 1992, 2421.<br />
17<br />
Im entschiedenen Fall (Fundstelle nächste Fn) war das seine Tochter, der er das<br />
Grundstück zuvor unentgeltlich, aber unanfechtbar (weil außerhalb der Anfechtungsfrist)<br />
übereignet hatte.<br />
18<br />
BGH, Urt. v. 04.03.1999 – IX ZR 63/98, BGHZ 141, 96, 100 ff. = NJW 1999, 1549.<br />
19<br />
Näher dazu Gottwald/Huber (o. Fn. 4), § 49 Rn. 13.<br />
20<br />
HM im Anfechtungsrecht, vgl. MünchKommInsO-Kirchhof (o. Fn. 14), § 134 Rn. 36;<br />
Huber (o. Fn. 2), § 4 Rn. 35.<br />
17
18<br />
wird, wie ein Schuldner, der seine Gläubiger nicht befriedigen kann,<br />
einen Zugewinn erzielt haben könnte; 21<br />
- Übertragung „gegen“ Einräumung eines Nießbrauchs, was deshalb<br />
keine „Gegenleistung“ für die Grundstücksübertragung darstellt,<br />
weil das den Vorteil für den mit dem Grundstück Beschenkten<br />
lediglich mindert, nicht jedoch ausgleicht. 22<br />
Entgeltlichkeit kann aber <strong>bei</strong> Übernahme der persönlichen Haftung für<br />
grundpfandrechtlich gesicherte Forderungen gegeben sein, weil dann<br />
der Übernehmer nicht nur mit dem übernommenen Grundstück,<br />
sondern auch mit seinem übrigen Vermögen haftet, sofern Letzteres<br />
nicht praktisch wertlos ist. 23<br />
Für die notarielle Praxis folgt daraus: Das Bemühen der Beteiligten, die<br />
Zuwendung als entgeltlich erscheinen zu lassen, ist oft vergebens. Der<br />
Notar wird in den genannten Beispielen über die Rechtslage zu belehren<br />
haben, im zuletzt genannten Fall mit dem Hinweis, dass eine<br />
Entgeltlichkeit nur in Betracht kommt, wenn die vom Erwerber übernommene<br />
persönliche Haftung werthaltig ist.<br />
IV. Gläubigerbenachteiligung und wertausschöpfende<br />
Belastung<br />
1. Ausgangspunkte<br />
Die wichtigsten Grundsätze zu diesem (sowohl für die Insolvenzanfechtung<br />
wie) für die Gläubigeranfechtung sehr wichtigen und praxisrelevanten<br />
Bereich sind: 24<br />
- Bei einer wertausschöpfenden Belastung fehlt es an einer<br />
objektiven Gläubigerbenachteiligung, weil <strong>bei</strong> einer Zwangsversteigerung<br />
durch dinglich berechtigte Gläubiger vom Erlös die vorrangigen<br />
Belastungen und die Verfahrenskosten abzuziehen<br />
21<br />
Trefflich insoweit OLG München, Urt. v. 20.05.2003 – 23 U 4260/02, ZVI 2003, 650;<br />
dazu Huber, EWiR 2004, 361.<br />
22<br />
BGH, Urt. v. 04.03.1999 – IX ZR 63/98, BGHZ 141, 96, 102 = NJW 1999, 1549.<br />
23<br />
BGH, Urt. v. 20.10.2005 – IX ZR 276/02, ZIP 2006, 387 = MittBayNot 2006, 224.<br />
24<br />
Ausführlich zur Gläubigeranfechtung <strong>bei</strong> unentgeltlicher Übertragung eines (angeblich)<br />
wertausschöpfend belasteten Grundstücks – allerdings aus Sicht eines anfechtungsberechtigten<br />
Gläubigers – Huber, ZfJR 2008, 313.
wären, für den anfechtungsberechtigten Gläubiger also nichts mehr<br />
übrig bliebe. Ein Anfechtungsrisiko besteht dann nicht.<br />
- Maßgeblich sind aber nicht die nominalen Belastungen, also nicht<br />
die eingetragenen Grundschuldbeträge, sondern die realen Verhältnisse.<br />
- Valutierten die Grundschulden nämlich nicht mehr voll, so hatte der<br />
Schuldner Rückgewähransprüche gegen die dinglichen Gläubiger,<br />
die zur Befriedigung hätten herangezogen werden können; sind<br />
diese mit weggegeben worden, ist die Grundstücksübertragung<br />
insgesamt anfechtbar.<br />
- Es kommt also auf die tatsächliche Höhe der gesicherten<br />
Forderungen und sodann darauf an, ob diese den Wert des Grundstücks<br />
übersteigen, und zwar <strong>bei</strong>des im maßgeblichen Zeitpunkt (s.<br />
dazu oben II 2).<br />
- Trotz wertausschöpfender Belastung liegt aber eine Gläubigerbenachteiligung<br />
vor, wenn die <strong>bei</strong> Übertragung bestehenden Belastungen<br />
vom Schuldner (!) vertragsgemäß im Nachhinein beseitigt<br />
werden sollen. 25<br />
- Ist nur mittelbare Gläubigerbenachteiligung erforderlich, wie in den<br />
hier erörterten Fällen (§ 4 AnfG, § 134 InsO), folgt das aber ohnehin<br />
schon daraus, dass der Zuwendungsempfänger (späterer Anfechtungsgegner)<br />
die Belastungen nicht mit eigenen Mitteln beseitigt<br />
hat und sich deshalb auf die frühere wertausschöpfende<br />
Belastung ohnehin nicht berufen darf.<br />
2. Konsequenzen für die notarielle Praxis<br />
Über diese komplizierte Rechtslage hat der Notar zu belehren, wenn die<br />
Vertragsbeteiligten erkennbar von einer wertausschöpfenden Belastung<br />
ausgehen oder darauf abzielen, also auf eine Unanfechtbarkeit aus<br />
diesem Grund „hoffen“; denn sonst können sie die rechtliche Tragweite<br />
des Geschäfts nicht erfassen, was zu Irrtümern und Zweifel führen wird.<br />
Das gilt insbesondere im letzten Beispiel, also <strong>bei</strong> einer in der Vertrags-<br />
25<br />
BGH, Urt. v. 19.05.2009 – IX ZR 129/06, DNotZ 2009, 844 = MittBayNot 2010, 228 m.<br />
zusti. Anm. Huber.<br />
19
urkunde übernommenen Verpflichtung des Zuwendenden zur nachträglichen<br />
Beseitigung der Belastungen.<br />
V. „Grenzüberschreitender“ Abschluss-Fall<br />
1. Ausgangspunkte<br />
a) Übersichtsblick auf die „Grenzüberschreitungen“<br />
Die wichtigste Grenzüberschreitung besteht darin, dass wir mit dem nun<br />
zu behandelnden, höchstrichterlich entschiedenen Fall 26 aus dem<br />
Problemfeld der unentgeltlichen Zuwendung hinüber wechseln in das<br />
der Vorsatzanfechtung; und auch dort passt das Adjektiv „grenzüberschreitend“<br />
gleich in dreifacher Hinsicht. Denn es geht um einen<br />
notariellen Kaufvertrag mit einer ganz speziellen Verrechnungsabrede<br />
zwischen den Vertragsparteien (bürgerlich-rechtliches Feld), wo<strong>bei</strong> auf<br />
dem Vorplatz die Gläubiger (spätere Kläger) mit ihrem uneinbringlichen<br />
Titel gegen den Schuldner (Verkäufer) postiert sind (vollstreckungsrechtliche<br />
Seite), während sich das eigentliche Kampfgeschehen<br />
zwischen Gläubigern und Käufer im Wege des Gläubigeranfechtungsprozesses<br />
vor Gericht – über drei Instanzen mit Verlängerung infolge<br />
Zurückverweisung (!) – vollzieht (anfechtungsrechtliche Seite). Ein –<br />
freilich nicht wirklich schwieriges – viertes Feld bleibt hier der Einfachheit<br />
halber außer Betracht: Bei Prozessbeginn war der Käufer schon<br />
verstorben, weshalb sich die Klage gegen seine Erben als Rechtsnachfolger<br />
(nach § 15 AnfG) richtete.<br />
b) Sachverhalt ganz konkret<br />
Eine Bauträgerfirma (Schuldnerin) hatte zwei ihrer Eigentumswohnungen<br />
an ihren Architekten veräußert, der nach den Vereinbarungen<br />
in der Notarurkunde gegen den Kaufpreisanspruch mit seinen<br />
zum Teil aber noch gar nicht fälligen (!) Honorarforderungen aufrechnen<br />
durfte. Die Gläubiger (spätere Kläger) pfändeten nun aufgrund ihres <strong>bei</strong><br />
der Schuldnerin uneinbringlichen Titels diese Kaufpreisforderung und<br />
verlangten vom Erwerber Zahlung. Der beklagte Architekt stützte seinen<br />
Klageabweisungsantrag auf das Erlöschen des Kaufpreisanspruchs<br />
infolge Aufrechnung, wogegen die Kläger die Anfechtbarkeit der Verrechnungsabrede<br />
einwendeten.<br />
26 BGH, Urt. v. 23.10.2008 – IX ZR 202/07, NZI 2009, 67 m. Anm. Huber.<br />
20
Den Durchblick zu diesem komplizierten Fall bringt (hoffentlich) nachstehende<br />
Skizze:<br />
2. Urteilsanalyse in Rätseln und Denksportaufgaben<br />
- Der Sachverhalt ist an sich kein Rätsel, sondern ein typischer Fall<br />
zur Vereitelung des Vollstreckungszugriffs durch Zusammenwirken<br />
von Schuldner und späterem Anfechtungsgegner, insbesondere<br />
wegen der Verrechnungsabrede mit (zum Teil) noch nicht fälligen<br />
Honoraransprüchen.<br />
- Schon ein Rätsel ist freilich, wie diese <strong>Vertragsgestaltung</strong> dem<br />
Notar wirklich als unbedenklich erscheinen konnte. Denn es ging<br />
ersichtlich darum, nicht nur die <strong>bei</strong>den letzten, der Schuldnerin verbliebenen<br />
werthaltigen Vermögensgegenstände (zwei Eigentumswohnungen)<br />
dem Gläubigerzugriff zu entziehen, sondern auch den<br />
aus dem Veräußerungsgeschäft resultierenden Kaufpreisanspruch.<br />
Das war so offensichtlich, dass im späteren Gläubigeranfechtungsprozess<br />
die Anfechtbarkeit im Wege der Vorsatzanfechtung gemäß<br />
21
22<br />
§ 3 Abs. 1 AnfG in <strong>bei</strong>de Richtungen (Wohnungsverkauf wie Verrechnungsabrede)<br />
an sich „unstreitig“ war.<br />
- Die Denksportaufgabe für die Anwälte der Gläubiger war nun:<br />
Worauf zugreifen – auf den Kaupreisanspruch oder auf den weggegebenen<br />
Vermögensgegenstand (Eigentumswohnungen)?<br />
- Die Wahl fiel auf ersteres. Warum – darüber ließe sich gewiss trefflich,<br />
freilich nachträglich wenig ertragreich spekulieren. Bekannt ist<br />
jedenfalls das Ergebnis: Der beschrittene Weg war der falsche!<br />
Doch warum?<br />
- Dieses zugegen nicht einfache Rätsel wäre in zwei Denkschritten<br />
aufzulösen gewesen, von denen die Rechtanwälte – ganz augenscheinlich<br />
– nur einen gegangen sind:<br />
- Als erstes war nach der Rechtslage in der Insolvenz der<br />
Schuldnerin zu fragen. In diesem Fall hätte deren Insolvenzverwalter<br />
den Kaufpreisanspruch durch eine Zahlungsklage zur Masse<br />
gezogen und sich gegenüber dem Anfechtungsgegner (beklagten<br />
Architekten) auf die Unzulässigkeit der Aufrechnung nach § 96<br />
Abs. 1 Nr. 3 InsO berufen. Dieser Methode hat der Gesetzgeber<br />
bewusst als die einfachere zugunsten der Gesamtheit aller Insolvenzgläubiger<br />
kreiert. Die Anwälte der Kläger haben nun offenbar<br />
gemeint, entsprechend vorgehen zu können; das war freilich –<br />
wie sich sogleich zeigen wird – voreilig.<br />
- Denn zunächst wäre der zweite, der entscheidende Denkschritt<br />
anzuschließen gewesen, nämlich: Ist diese Systematik wirklich auf<br />
die Gläubigeranfechtung außerhalb des Insolvenzverfahren übertragbar?<br />
Und für die Antwort darauf wäre nach dem Zweck der<br />
Gläubigeranfechtung zu fragen gewesen. Aber <strong>bei</strong>des war offenbar<br />
ein unlösbares Rätsel – neben<strong>bei</strong> bemerkt auch für die Tatgerichte;<br />
Letzteres ist freilich nur schwacher Trost für die Anwälte, wie die<br />
Schlussbemerkungen erweisen werden.<br />
- Und wie lautet nun des Rätsels Lösung für den zweiten Denkschritt?<br />
Ist das System nach InsO nun auf das AnfG übertragbar?<br />
Nein – sagt der hohe IX. Zivilsenat des BGH! Und warum nicht?<br />
- Anzufechten gewesen wäre die Vermögensverschiebung zwischen<br />
Schuldnerin und Architekt, also die Eigentumsübertragung selbst.,
weil es Zweck der Einzelgläubigeranfechtung ist (wie bereits einleitend<br />
dargelegt), dem anfechtungsberechtigten Gläubiger <strong>bei</strong>m<br />
Dritten denjenigen Vollstreckungszugriff wieder zu erschließen, der<br />
durch die anfechtbare Vermögensverschiebung (hier: Weggabe der<br />
Eigentumswohnungen) <strong>bei</strong>m Schuldner vereitelt wurde. Darum<br />
ging es aber <strong>bei</strong> dem gewählten Vorgehen (Zahlungsklage) gerade<br />
nicht. Vielmehr machten die Kläger den Kaufpreisanspruch – das<br />
Surrogat für den veräußerten Gegenstand – geltend. Das<br />
scheiterte aber schon daran, dass dieser wegen der im Notarvertrag<br />
vereinbarten Verrechnungsbefugnis niemals als Zugriffsobjekt<br />
zur Verfügung stand. Denn der Kaufpreisanspruch konnte zwar vor<br />
der Verrechnung, die ihn zum Erlöschen brachte, gepfändet<br />
werden, der Drittschuldner hätte dem Pfändungspfandgläubiger indessen<br />
einredeweise analog §§ 412, 404 BGB entgegenhalten<br />
können, dass die Forderung im Wege der Verrechnung getilgt<br />
werden sollte.<br />
- Und noch präziser auf den Punkt gebracht: Während <strong>bei</strong> der Insolvenzanfechtung<br />
mehrere Rechtshandlungen selbst <strong>bei</strong> gleichzeitiger<br />
Vornahme oder gegenseitiger wirtschaftlicher Ergänzung<br />
stets selbständig anfechtbar sind, ist Bezugspunkt <strong>bei</strong> der Einzelgläubigeranfechtung<br />
immer nur der Gesamtvorgang, der die Weggabe<br />
des Gegenstands aus dem Schuldnervermögen und damit<br />
die Vereitelung einer Zugriffsmöglichkeit bezweckt. Deshalb kam<br />
hier (außerhalb der Insolvenz) eine isolierte Anfechtbarkeit der Verrechnungsabrede<br />
ohne Anfechtung des zugrunde liegenden<br />
schuldrechtlichen Geschäfts (notarieller Kaufvertrag) nicht in Betracht.<br />
27<br />
3. Blick auf die Konsequenzen nach gleicher Methode<br />
- Obgleich also der Anfechtungsanspruch der Kläger aus § 3 Abs. 1<br />
AnfG unzweifelhaft bestand, wurde das Berufungsurteil aufgehoben<br />
und die Klage abgewiesen. Wenn das keine Überraschungsentscheidung<br />
nach § 139 Abs. 2 ZPO war! Warum also<br />
hat das Revisionsgericht nicht zurückverwiesen, sondern selbst in<br />
der Sache entschieden? Dazu meinte der Senat, gerichtliche Hinweise,<br />
die einem neuen, wesentlich verändertem Prozessziel<br />
27 Rechtsprechungsgrundsätze bestätigt durch BGH, Urt. v. 11.03.2010 – IX ZR 104/09,<br />
ZIP 2010, 793 = EWiR 2010, 379 (Huber): Keine isolierte Gläubigeranfechtung der<br />
Abtretung eines Kostenerstattungsanspruchs ohne Anfechtung des zugrunde<br />
liegenden Prozessvergleichs.<br />
23
24<br />
dienten, seien nach § 139 ZPO nicht geboten, zumal eine Klageänderung<br />
in der Revisionsinstanz ohnehin ausscheide.<br />
- Das wiederum erscheint mir als prozessuales Rätsel. Denn schon<br />
die Tatrichter hätten – <strong>bei</strong> richtiger Rechtsanwendung – darauf<br />
hinweisen müssen, dass das erstrebte Ziel mit dem konkreten<br />
Klageantrag aus Rechtsgründen (!) nicht zu erreichen ist – ein von<br />
den Parteien bislang erkennbar übersehener Gesichtspunkt (§ 139<br />
Abs. 2 ZPO); dann hätten sich die Kläger auf die Grundlagen der<br />
Gläubigeranfechtung nach dem AnfG besinnen und die<br />
Konsequenzen daraus ziehen können. Deshalb wäre eine Zurückverweisung<br />
zur Behebung des Rechtsfehlers des Gerichts (Verletzung<br />
der materiellen Prozessleitungspflicht) erforderlich gewesen,<br />
nachdem die entscheidungserhebliche Rechtsfrage weder<br />
vom Landgericht noch vom Oberlandesgericht erkannt worden war.<br />
Aber was hilft dieser Zwischenruf jetzt noch? Nichts – „roma locuta,<br />
causa finita“!<br />
- Doch mit seiner Entscheidung stellte der Senat den Klägervertretern<br />
eine neue Denksportaufgabe nach dem Motto: „Was nun,<br />
Gläubiger? Wie ist der Anspruch durchzusetzen?“ Und darauf gibt<br />
es nur eine Antwort: Mit einer neuen auf Duldung der Zwangsvollstreckung<br />
in die anfechtbar weggegebenen Eigentumswohnungen<br />
gerichteten Anfechtungsklage.<br />
- Doch für den neuen Prozess ergab sich daraus zugleich eine<br />
weitere neue Hürde. Da der Notarvertrag vom 30.06.1999 (!)<br />
datierte, war der Ablauf der 10-jährigen Anfechtungsfrist <strong>bei</strong> Erlass<br />
des Revisionsurteils am 23.10.2008 (!) nicht mehr fern, folglich<br />
höchste Eile geboten. Hoffentlich haben die Klägervertreter erkannt,<br />
dass die Anfechtungsfrist als materiell-rechtliche Ausschlussfrist<br />
(siehe oben II 1 b) nur so gewahrt werden kann und<br />
muss.<br />
- Wenn nicht, sind die Konsequenzen kein Rätsel. Denn dann<br />
handelt es sich um einen Haftungsfall. Dass den Tatgerichten derselbe<br />
Rechtsfehler (falsche Zweck- und Zielbestimmung des<br />
Gläubigeranfechtungsprozesses) unterlaufen war, entlastet die<br />
Anwälte nicht. Denn nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung<br />
ist es gerade die Pflicht von Rechtsanwälten, „mit Rücksicht<br />
auf das auch <strong>bei</strong> den Richtern nur unvollkommene menschliche<br />
Erkenntnisvermögen und die niemals auszuschließende
Möglichkeit eines Irrtums … nach Kräften dem Aufkommen von<br />
Irrtümern und Versehen des Gerichts entgegenzuwirken.“ 28<br />
- Und nun die Schlussfrage: Was gilt für die notariellen Belehrungspflichten?<br />
Nichts anderes – wie letztlich aus § 17 BeurkG folgt.<br />
28 BGH, Urt. v. 18.12.2008 – IX ZR 179/07, NJW 2009, 987; die Verfassungsbeschwerde<br />
dagegen blieb erfolglos, vgl. BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats),<br />
Beschl. v. 22.04.2009 – 1 BvR 368/09, NJW 2009, 2945.<br />
25
Insolvenzrisiko <strong>bei</strong> Abwicklung eines<br />
Grundstückskaufvertrages<br />
– Hinweise zur <strong>Vertragsgestaltung</strong> –<br />
Dr. Adolf Reul,<br />
Notar, Neu-Ulm<br />
Seite<br />
A. Problemstellung ..........................................................................28<br />
B. Vermeidung des Insolvenzrisikos durch <strong>Vertragsgestaltung</strong> 29<br />
I. Vermeidung von (ungesicherten) Vorleistungen....................29<br />
II. Bestellung einer Vormerkung.................................................29<br />
1. Anspruch auf Erfüllung eines vormerkungsgesicherten<br />
Anspruchs .......................................................................29<br />
2. Umfang der Sicherungswirkung......................................30<br />
3. Neuerliche Auflassung und Kostenpauschale des<br />
Insolvenzverwalters.........................................................33<br />
4. § 878 BGB und die Verfügungsbefugnis des<br />
Insolvenzverwalters.........................................................36<br />
III. Lastenfreistellung mittels unechtem Vertrag zugunsten<br />
Dritter......................................................................................39<br />
IV. Lastenfreistellung <strong>bei</strong> Abwicklung über Notaranderkonto......40<br />
V. Eigentümerzustimmung..........................................................43<br />
VI. Kosten der Lastenfreistellung.................................................44<br />
VII. <strong>Vertragsgestaltung</strong> und Insolvenzverwalteranfechtung .........44<br />
1. Folgen der Anfechtung....................................................45<br />
2. Anfechtungsfristen ..........................................................45<br />
3. Gläubigerbenachteiligung ...............................................45<br />
4. Bösgläubigkeit des Anfechtungsgegners........................47<br />
5. Maßgeblicher Zeitpunkt...................................................47<br />
6. Insbesondere Immobilienrecht........................................48<br />
26
7. Antrag auf Eintragung einer Vormerkung,<br />
Antragstellung durch den Notar ......................................48<br />
8. Folgen für den Anfechtungsgegner.................................51<br />
9. Anfechtungssichere <strong>Vertragsgestaltung</strong>? .......................53<br />
a) Problem: Subjektive Kenntnis als<br />
Anfechtungsvoraussetzung.......................................53<br />
b) Bargeschäft...............................................................54<br />
c) Bestellung einer Vormerkung....................................56<br />
d) Direktzahlung zur Lastenfreistellung.........................57<br />
e) Abwarten des kritischen Zeitraums von drei<br />
Monaten ....................................................................59<br />
f) Sonstige Anfechtungstatbestände............................60<br />
aa) Schenkungsanfechtung, Vorsatzanfechtung ....60<br />
bb) Anfechtung entgeltlicher Leistungen mit<br />
nahestehenden Personen................................62<br />
g) Sonderfall: Lastenfreistellung <strong>bei</strong><br />
wertausschöpfend belasteten Grundstücken............63<br />
h) Sicherung des Anfechtungsrisikos nur im Einzelfall .65<br />
VIII. Sonderfall: Insolvenz eines wegzufertigenden Gläubigers ....66<br />
1. Löschungsbewilligung des Insolvenzschuldners oder<br />
des Insolvenzverwalters..................................................66<br />
2. Insbesondere Löschung einer Sicherungsgrundschuld..66<br />
C. Zusammenfassung .....................................................................69<br />
27
A. Problemstellung<br />
Die Frage nach einem Insolvenzrisiko <strong>bei</strong> Abwicklung eines Grundstückskaufvertrages<br />
ist allgegenwärtig. Meistens stellt sich die Frage im<br />
Fall der Insolvenz des Verkäufers. Dieselbe Fragestellung besteht aber<br />
gleichermaßen in der Käuferinsolvenz sowie – wenngleich wesentlich<br />
seltener – in der Insolvenz eines abzulösenden Gläubigers. Jedenfalls<br />
in der Theorie gibt es auch den Sonderfall einer Insolvenz des beurkundenden<br />
Notars. Gott sei Dank spielt dieser Fall in der Praxis so gut<br />
wie keine Rolle. Im Nachfolgenden soll deshalb hierauf nicht eingegangen<br />
werden.<br />
Das Insolvenzrisiko <strong>bei</strong> Abwicklung eines Grundstückskaufvertrages<br />
wird deutlich, wenn man sich die Rechtsfolgen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />
über das Vermögen eines Vertragsbeteiligten vergegenwärtigt:<br />
- Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens verliert der Schuldner die<br />
Befugnis, über sein zur Insolvenzmasse gehörendes Vermögen zu<br />
verfügen (§ 80 InsO). Eine etwa von ihm erklärte Auflassung oder<br />
Löschungsbewilligung kann im Grundbuch nicht mehr vollzogen<br />
werden. Notwendig ist eine Mitwirkung des Insolvenzverwalters.<br />
- Bei gegenseitigen Verträgen, <strong>bei</strong> denen zum Zeitpunkt der<br />
Insolvenzeröffnung weder der Schuldner noch dessen Vertragspartner<br />
seine Leistungspflichten vollständig erfüllt hat, steht dem<br />
Insolvenzverwalter nach § 103 InsO ein Wahlrecht zu, die Erfüllung<br />
des Vertrages abzulehnen. 1<br />
- Gläubiger des Schuldners, deren Forderungen zum Zeitpunkt der<br />
Insolvenzeröffnung noch nicht vollständig befriedigt wurden, droht<br />
das Risiko, lediglich mit der Insolvenzquote befriedigt zu werden<br />
und den Rest ihrer Forderung zu verlieren (§§ 38, 159 InsO).<br />
- Gläubiger des Schuldners, deren Forderungen zum Zeitpunkt der<br />
Insolvenzeröffnung bereits ganz oder teilweise erfüllt worden sind,<br />
droht das Risiko einer Insolvenzverwalteranfechtung und damit die<br />
Rückgabe des Erlangten an die Insolvenzmasse (§§ 129 ff. InsO).<br />
- Wurde zugunsten eines Gläubigers des Schuldners lediglich eine<br />
Sicherheit, insbesondere eine Vormerkung, bestellt und erfolgte<br />
dies einen Monat vor dem Antrag auf Insolvenzeröffnung (bzw. 3<br />
Monate im vereinfachten Insolvenzverfahren, § 312 Abs. 1 S. 3<br />
1<br />
Vgl. zu den Rechtsfolgen des Insolvenzverwalterwahlrechts: BGHZ 150, 353 = DNotZ<br />
2002, 648.<br />
28
InsO), ist die Sicherheitenbestellung nach § 88 InsO aufgrund<br />
Rückschlagssperre unwirksam. 2<br />
B. Vermeidung des Insolvenzrisikos durch Vertrags-<br />
gestaltung<br />
Bei all diesen Risiken stellt sich die Frage, wie die notarielle <strong>Vertragsgestaltung</strong><br />
diesen Risiken begegnet bzw. begegnen kann und ob und<br />
wenn ja welche Sonderregelungen ggf. vorzusehen sind.<br />
I. Vermeidung von (ungesicherten) Vorleistungen<br />
1. Hinweis: (Ungesicherte) Vorleistungen sind zu vermeiden<br />
Ungesicherte Vorleistungen sind – wie sonst auch – soweit als möglich<br />
zu vermeiden. Damit lässt sich das Risiko vermeiden, dass der Vertragspartner<br />
des Insolvenzschuldners lediglich mit der Insolvenzquote<br />
befriedigt wird. Weiter wird damit von vornherein vermieden, dass das<br />
Insolvenzverwalterwahlrecht nach § 103 InsO entsteht.<br />
Die Vermeidung einer ungesicherten Vorleistung entspricht ständiger<br />
Vertragspraxis der Notare und bedarf von daher an dieser Stelle keiner<br />
besonderen Erwähnung. Es kann auf die einschlägige Rechtsprechung<br />
und Literatur sowie auf die veröffentlichten Formulierungsmuster verwiesen<br />
werden. 3<br />
II. Bestellung einer Vormerkung<br />
2. Hinweis: Es sollte möglichst frühzeitig die Eintragung einer<br />
Vormerkung beantragt werden<br />
1. Anspruch auf Erfüllung eines vormerkungsgesicherten<br />
Anspruchs<br />
Wesentliches Sicherungsinstrument in der Insolvenz eines Vertragsbeteiligten<br />
ist die Bestellung einer Vormerkung gem. §§ 883, 888 BGB.<br />
2<br />
Vgl. zu den Rechtsfolgen der Rückschlagssperre: BGH ZInsO 2006, 261, 262 f. = ZIP<br />
2006, 479 = DNotZ 2006, 514.<br />
3<br />
Vgl. BGH NJW 1995, 330, 331; NJW 1996, 3009, 3010; BGH DNotZ 2008, 280;<br />
Ganter/Hertel/Wöstmann, Handbuch der Notarhaftung, 2. Auflage 2009, Würzburger<br />
Notarhandbuch, 2. Auflage 2009; Becksches Notarhandbuch, 5. Auflage 2009.<br />
29
Nach § 106 InsO muss der Insolvenzverwalter vormerkungsgesicherte<br />
Ansprüche aus der Insolvenzmasse befriedigen.<br />
Im Einzelnen schützt die (rechtzeitige) Bestellung einer Vormerkung<br />
nach § 106 InsO vor dem Insolvenzverwalterwahlrecht. 4 Vormerkungsgesicherte<br />
Ansprüche sind insolvenzfest.<br />
Indirekt schützt die Vormerkung damit auch gegen den Wegfall der Verfügungsbefugnis<br />
des Schuldners nach § 80 InsO. Verfügungen des<br />
Insolvenzschuldners sind zwar wegen § 80 InsO weiterhin unwirksam.<br />
Der durch die Vormerkung Gesicherte hat aber wegen § 106 InsO ein<br />
erzwingbares Recht gegenüber dem Insolvenzverwalter auf die<br />
geschuldete Leistung. Er braucht sich vom Verwalter nicht auf die<br />
Insolvenzquote verweisen zu lassen. Soweit eine Gegenleistung vereinbart<br />
wurde, muss diese der Vormerkungsgläubiger in voller Höhe erbringen.<br />
Auch wird der Gläubiger durch § 106 InsO nicht besser gestellt,<br />
als er ohne Eröffnung des Insolvenzverfahrens stehen würde. Einwendungen<br />
und Einreden nach den allgemeinen Vorschriften bleiben<br />
daher bestehen. 5 Der durch die Vormerkung gesicherte Anspruch kann<br />
während des Insolvenzverfahrens gegen den Verwalter eingeklagt und<br />
vollstreckt werden. 6 Der gesicherte Anspruch muss vom Insolvenzverwalter<br />
wie außerhalb der Insolvenz erfüllt werden. 7 Auch nach Anzeige<br />
der Masseunzulänglichkeit bleibt der Insolvenzverwalter zur Auflassung<br />
verpflichtet. 8 Erfüllt der Verwalter nicht, macht er sich schadensersatzpflichtig.<br />
9<br />
2. Umfang der Sicherungswirkung<br />
Die Sicherungswirkung der Vormerkung in der Insolvenz steht und<br />
fällt mit dem ihr zugrunde liegenden Anspruch. Insolvenzschutz gewährt<br />
die Vormerkung da<strong>bei</strong> auch, wenn es sich <strong>bei</strong> dem vormerkungs-<br />
4<br />
Amann, MittBayNot 2004, 165 f.; Uhlenbruck, § 106 Rn. 33; Jaeger/Henckel, KO,<br />
9. Aufl., Stand 1988, § 24 Rn. 32.<br />
5<br />
Frankfurter Kommentar zur InsO/Wegener, § 106 Rn. 15; MünchKomm-InsO/Ott,<br />
§ 106 Rn. 19; Uhlenbruck/Berscheid, § 106 Rn. 23.<br />
6<br />
Jaeger/Henckel, § 24 Rn. 33.<br />
7<br />
OLG Stuttgart MittBayNot 2005, 162, 165; MünchKomm-InsO/Hefermehl, § 55<br />
Rn. 134.<br />
8<br />
OLG Stuttgart, MittBayNot 2005, 162, 165.<br />
9<br />
OLG Hamm ZIP 2006, 1911 = ZinsO 2006, 1276.<br />
30
gesicherten Anspruch nach § 883 Abs. 1 S. 2 BGB um einen künftigen 10<br />
oder bedingten 11 Anspruch handelt.<br />
Es genügt, wenn die Eintragung einer Vormerkung <strong>bei</strong>m Grundbuchamt<br />
beantragt wurde. 12 Über § 91 Abs. 2 InsO gelten die Vorwirkungen des<br />
§ 878 BGB entsprechend. 13 Anders ist es dagegen, wenn der Antrag auf<br />
Eintragung der Vormerkung nur durch den Schuldner, nicht aber auch<br />
durch den Gläubiger gestellt wurde. Soweit der Insolvenzverwalter den<br />
Antrag gegenüber dem Grundbuchamt zurücknimmt, was er jederzeit<br />
könnte, besteht kein Schutz für den Gläubiger.<br />
Schließlich gilt der Vormerkungsschutz des § 106 InsO auch für den Fall<br />
des „Wiederaufladens einer erloschenen Vormerkung“ 14 als auch im<br />
Falle der Erweiterung des Sicherungsumfangs der Vormerkung 15<br />
ohne neuerliche Eintragung im Grundbuch (Bewilligung genügt).<br />
Entscheidend ist, dass dieses „Wiederaufladen“ oder diese „Erweiterung“<br />
der Vormerkung stets vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />
bzw. Anordnung von Sicherungsmaßnahmen nach § 21 Abs. 2 Nr. 2<br />
InsO erfolgt (§ 91 InsO). 16<br />
Erlischt dagegen der mit der Vormerkung gesicherte Anspruch, fällt<br />
wegen der Akzessorietät der Vormerkung auch der Insolvenzschutz<br />
des § 106 Abs. 1 InsO weg. Die eingetragene Vormerkung sichert<br />
daher im Falle des Rücktritts vom Kaufvertrag nicht den Anspruch<br />
auf Rückzahlung des Kaufpreises 17 . Allein die Buchposition aufgrund<br />
der noch eingetragenen Vormerkung gewährt gegenüber dem<br />
Löschungsanspruch des Insolvenzverwalters wegen Grundbuchunrichtigkeit<br />
keinerlei Zurückbehaltungsrechte wegen § 273 BGB 18 .<br />
Der Umfang der Sicherungswirkung ist nach § 106 Abs. 1 S. 2 InsO<br />
beschränkt. Diese Vorschrift stellt zunächst klar, dass die Vormerkung<br />
10<br />
BGH, DNotZ 2002, 275, m. Anm. Preuß = ZfIR 2001, 998; Assmann, ZfIR 2002, 11;<br />
Fritsche, DZWiR 2002, 92; a. A. Mitlehner, ZIP 2008, 896, 897.<br />
11<br />
BGH, NJW 2003, 2744, 2746 = DNotZ 2004, 123; Uhlenbruch/Berscheid, § 106<br />
Rn. 7.<br />
12<br />
BGH NZI 2010, 190 = ZInsO 2010, 225.<br />
13<br />
BGH, NJW 1998, 2134 = DNotZ 1999, 126 = BGHZ 138, 179; LG Aachen, ZInsO<br />
2002, 937; Heidelberger Kommentar zur InsO/Marotzke, § 106 Rn. 9 f.<br />
14<br />
BGHZ 143, 175 = NJW 2000, 805 = DNotZ 2000, 639<br />
15<br />
BGH NJW 2008, 578 = RNotZ 2008, 222, m. Anm. Heggen, RNotZ 2008, 213;<br />
m. Anm. Mitlehner, ZIP 2008, 896; m. Anm. Kesseler, NZI 2008, 327.<br />
16<br />
Mitlehner, ZIP 2008, 896.<br />
17<br />
BGH, NJW 2009, 1414 = MittBayNot 2009, 250.<br />
18<br />
BGH, NJW 2009, 1414 = MittBayNot 2009, 250.<br />
31
auch dann wirkt, wenn der spätere Gemeinschuldner dem Gläubiger<br />
gegenüber weitere Verpflichtungen übernommen hat und diese nicht<br />
oder nicht vollständig erfüllt sind. Namentlich <strong>bei</strong>m noch nicht vollständig<br />
erfüllten Bauträgervertrag ordnet die Vorschrift des § 106 Abs. 1<br />
S. 2 InsO aber weiter an, dass der Erwerber aufgrund der Vormerkung<br />
lediglich den mittels Vormerkung gesicherten Anspruch auf dingliche<br />
Rechtsänderung, hier also allein die Grundstücksübereignung verlangen<br />
kann. Im Übrigen wird das Wahlrecht des Verwalters nach § 103 InsO<br />
durch § 106 InsO nicht ausgeschlossen, so dass der Insolvenzverwalter<br />
das Wahlrecht im Hinblick auf die Herstellung des Hauses bzw. der<br />
Eigentumswohnung durchaus noch geltend machen kann. 19 Für den<br />
Bauträgervertrag bedeutet dies, dass dieser einheitliche Vertrag in<br />
einen insolvenzfesten und einen dem Verwalterwahlrecht unterworfenen<br />
Teil gespalten wird. 20 Auch die sonstigen Leistungen des Insolvenzschuldners<br />
wie insbesondere die Altlastenbeseitigung oder die Übernahme<br />
der Erschließung werden von der Vormerkungswirkung nicht<br />
erfasst. Diese Leistungen sind auch nach materiellem Recht nicht vom<br />
Vormerkungsschutz der §§ 883, 888 BGB erfasst. Andererseits bleibt<br />
das Insolvenzverwalterwahlrecht wegen § 106 InsO ausgeschlossen,<br />
wenn die zusätzlichen Leistungspflichten bereits vollständig erfüllt<br />
wurden. 21<br />
Wegen § 106 Abs. 1 S. 2 InsO nicht vom Insolvenzschutz einer eingetragenen<br />
Vormerkung erfasst ist <strong>bei</strong> der Grundstücksübertragung der<br />
Anspruch auf lastenfreie Übertragung von Eigentum. 22 Gesichert<br />
über § 106 InsO ist zunächst nur der Anspruch auf dingliche Rechtsänderung,<br />
d. h. auf Eigentumsumschreibung. Von § 106 InsO wie auch<br />
von der eingetragenen Vormerkung nicht erfasst sind von vornherein<br />
solche Belastungen, die im Range der eingetragenen Vormerkung vorgehen.<br />
23 Vormerkungsschutz besteht dagegen gegenüber den im<br />
19 Uhlenbruck/Berscheid, § 106 Rn. 38; Wudy, MittBayNot 2000, 489, 497;<br />
MünchKomm-InsO/Ott, 2002, § 106 Rn. 24 ff.; Frankfurter Kommentar-InsO/Wegener,<br />
3. Aufl. 2002, § 106 Rn. 16 ff., insbesondere 19; Jaeger/Henckel, § 24 Rn. 40; Smid,<br />
InsO, § 103 Rn. 14; Hess/Weis/Wienberg, § 106 Rn. 32, jew. m. w. N.<br />
20 BGH, NJW 1978, 1437; NJW 1981, 991; OLG Koblenz, NZM 2007, 607; OLG<br />
Stuttgart, ZInsO 2004, 1087; Uhlenbruck/Berscheid, § 106 Rn. 39. Siehe zur Vormerkungslösung<br />
im Bauträgervertrag: Thode, ZNotP 2004, 210 ff.<br />
21 OLG Karlsruhe ZIP 1986, 1404; Uhlenbruck/Berscheid, § 106 Rn. 38.<br />
22 BGH, ZIP 1994, 1705 = NJW 1994, 3231; OLG Koblenz VersR 1982, 250; BayObLG<br />
2004, 206 = MittBayNot 2004, 206, 207; Braun/Kroth, § 106 Rn. 8. Amann,<br />
MittBayNot 2004, 165; 2005, 111; Kesseler, MittBayNot 2005, 108; Hamburger<br />
Kommentar zum Insolvenzrecht/Ahrendt, § 106 Rn. 15; Gottwald/Huber,<br />
Insolvenzrechtshandbuch, § 38 Rn. 17.<br />
23 Amann, MittBayNot 2004, 165; 2005, 111; Kesseler, MittBayNot 2005, 108.<br />
32
Range nach der Vormerkung eingetragenen Rechten. 24 § 106 InsO gibt<br />
dem Vertragspartner des Schuldners nicht mehr Rechte, als er außerhalb<br />
des Insolvenzverfahrens hätte. Auch dann aber sichert die eingetragene<br />
Vormerkung nicht den Anspruch auf Lastenfreistellung<br />
gegenüber vor der Vormerkung eingetragenen Belastungen. 25<br />
Soweit das Insolvenzverwalterwahlrecht wegen § 106 Abs. 1 S. 2 InsO<br />
jedenfalls zum Teil weiter besteht und der Verwalter die Vertragserfüllung<br />
ablehnt, bestimmen sich die Rechtsfolgen nach § 105 InsO.<br />
Der Wert der vormerkungsgesicherten Leistung wird gem. §§ 133, 157<br />
BGB bzw. im Rahmen der §§ 315, 316 BGB ermittelt. 26 Der Teil der<br />
Leistung, dessen Erfüllung der Verwalter ablehnt, stellt eine einfache<br />
Insolvenzforderung dar. Der Gläubiger ist Insolvenzgläubiger (§ 38<br />
InsO) und lediglich mit der Insolvenzquote zu befriedigen. Sein Zurückbehaltungsrecht<br />
mit der Gegenleistung für diesen Teil nach § 320 BGB<br />
kann er jedoch gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend machen.<br />
Das Zurückbehaltungsrecht nach § 320 BGB wird durch § 103 InsO in<br />
der Insolvenz des Vertragspartners nicht ausgeschlossen. 27<br />
3. Neuerliche Auflassung und Kostenpauschale des Insolvenz-<br />
verwalters<br />
Auch im Falle des Vormerkungsschutzes nach § 106 InsO bleibt es<br />
da<strong>bei</strong>, dass der Schuldner wegen § 80 InsO mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />
keine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis mehr<br />
24 Unklar BGH WM 2006, 918: Nach dieser Entscheidung folgt die Verpflichtung des<br />
Käufers, das Eigentum frei von Rechten Dritter zu übertragen, regelmäßig bereits aus<br />
dem Gesetz (§ 434 BGB a.F.; §§ 433 Abs. 1 S. 2, 435 BGB n.F.). Diese Pflicht könne<br />
auch insolvenzrechtlich nicht von einer Pflicht zur bloßen Eigentumsübertragung getrennt<br />
werden. Eine Vergleichbarkeit mit den Fällen, in denen der BGH teilbare<br />
Leistungsverpflichtungen angenommen habe (vgl. zum Bauträgerkonkurs BGHZ 150,<br />
353 ff; zum Werklieferungsvertrag BGHZ 147, 28) sei nicht gegeben. Der auf den<br />
Rechtsmangel entfallende Minderwert könne deshalb der Masse nicht zugeordnet<br />
werden. M.E. ist diese Entscheidung abzulehnen. Sie ist mit § 106 Abs. 1 S. 2 InsO<br />
nicht vereinbar. Auch sonst ist der Insolvenzschuldner z.B. von Gesetz wegen verpflichtet,<br />
eine Sache frei von Sachmängeln zu übertragen (§§ 433 Abs. 1 S. 2, 434<br />
BGB). Besonderen Schutz gewährt hier eine Vormerkung außerhalb des<br />
Insolvenzverfahrens nicht. Gleiches gilt dann erst recht <strong>bei</strong> Anwendung des § 106<br />
InsO im Insolvenzverfahren.<br />
25 Kesseler, MittBayNot 2005, 108 ff.<br />
26 BGH NJW 1981, 991, 993; OLG Koblenz, NZM 2007, 607;OLG Stuttgart, MittBayNot<br />
2005, 162, 165; Grziwotz/Koeble/Schmitz, Handbuch Bauträgerrecht, 2004, 5. Teil<br />
Rn. 22 ff.; s. dazu auch Kesseler, RNotZ 2004, 176, 193 ff., 209 ff.<br />
27 MünchKomm-InsO/Huber, § 103 Rn. 62; Uhlenbruck/Berscheid, § 103 Rn. 1,<br />
m. w. N.; vgl. dazu BGH ZIP 2005, 1972, 1973 ff.; BGHZ 68, 379, jew. m. w. N.<br />
33
hat. Eine etwa von ihm bereits vor der Insolvenzeröffnung erklärte Auflassung<br />
kann daher nicht mehr im Grundbuch vollzogen werden, es sei<br />
denn, es wurde bereits Antrag auf Eintragung <strong>bei</strong>m Grundbuchamt gestellt<br />
und der Schutz des § 878 BGB greift ein. Scheidet § 878 BGB aus,<br />
ist eine Mitwirkung des Insolvenzverwalters erforderlich, sei es, dass er<br />
eine neue Auflassung erklärt, sei es, dass er die Auflassung des<br />
Schuldners nach §§ 184, 185 BGB genehmigt.<br />
Ob der Insolvenzverwalter hierzu verpflichtet ist, richtet sich danach, ob<br />
der Anspruch auf dingliche Rechtsänderung des Vertragspartners des<br />
Schuldners mittels Vormerkung gesichert ist. Nur in diesem Fall gewährt<br />
§ 106 InsO einen ggf. auch gerichtlich durchsetzbaren Anspruch<br />
gegenüber dem Insolvenzverwalter.<br />
Ein häufiger Streitpunkt sind hier<strong>bei</strong> die Kosten der neuerlichen Auflassung<br />
bzw. der Nachgenehmigung. Die in Grundstückskaufverträgen<br />
übliche Klausel, wonach der Käufer die Kosten des Vollzugs trägt, erfasst<br />
diesen Fall nicht. Bei den Kosten der erneuten Auflassung handelt<br />
es sich um Kosten, die zusätzlich zu den vertraglich vereinbarten<br />
Kosten entstehen. Insoweit sind die vertraglichen Bestimmungen nach<br />
den Vorstellungen der Beteiligten (ergänzend) auszulegen. 28 § 448<br />
Abs. 2 BGB regelt zwar die kaufvertragliche Kostentragungslast zu<br />
Lasten des Käufers, ist jedoch für die Frage der Kostentragungslast<br />
einer zweiten Auflassung bzw. Genehmigung nicht anwendbar. Denkbar<br />
ist die Auslegung, dass § 106 Abs. 1 Satz 1 InsO auch die Frage der<br />
Kostentragung zu Lasten der Masse regelt. Nach anderer Ansicht enthält<br />
§ 106 InsO keine diesbezügliche Regelung; vielmehr sei mangels<br />
spezieller Regelung von der allgemeinen Regelung der Kostenordnung<br />
in Form der Gesamtschuldnerschaft und der hälftigen Kostentragung<br />
<strong>bei</strong>der Beteiligter auszugehen. 29 Ggf. scheint es zum Zwecke der Vermeidung<br />
weiterer Verzögerungen empfehlenswert, dass der Käufer<br />
gegenüber dem Insolvenzverwalter erklärt, diese Kosten insgesamt zu<br />
tragen. Denkbar ist ebenso, dass der Käufer diese Kosten ohne Anerkennung<br />
einer Rechtspflicht übernimmt und später gegenüber dem<br />
Insolvenzverwalter einklagt.<br />
In der Praxis ist es schließlich nicht selten, dass die Insolvenzverwalter<br />
ihre Erfüllungswahl von der Zahlung einer Kostenpauschale abhängig<br />
machen. Zu unterscheiden ist hier<strong>bei</strong> danach, ob ein Insolvenzver-<br />
28 Kesseler, RNotZ 2004, 176, 194.<br />
29 Kesseler, RNotZ 2004, 176, 194.<br />
34
walterwahlrecht überhaupt besteht oder wegen Eintragung einer Vormerkung<br />
nach § 106 InsO gerade ausgeschlossen ist.<br />
Bei einem vormerkungsgesicherten Anspruch ist das Begehren einer<br />
solchen Kostenpauschale unzulässig. Nach § 106 InsO muss der Insolvenzverwalter<br />
einen vormerkungsgesicherten Anspruch erfüllen,<br />
andernfalls macht er sich schadensersatzpflichtig 30 .<br />
Die Vergütung des Insolvenzverwalters ist grundsätzlich in den §§ 63,<br />
64 InsO geregelt. Danach hat der Insolvenzverwalter einen Anspruch<br />
auf Vergütung für seine Geschäftsführung und auf Erstattung angemessener<br />
Auslagen. Im Einzelnen werden die Vergütung und die zu<br />
erstattenden Auslagen des Verwalters durch das Insolvenzgericht festgesetzt,<br />
§ 64 Abs. 1 InsO. Nähere Regelungen zur Insolvenzverwaltervergütung<br />
enthält insoweit die Insolvenzverwaltervergütungsverordnung,<br />
die auf Grundlage der Ermächtigung des § 65 InsO ergangen<br />
ist. 31<br />
Auch die Kostenpauschale nach §§ 170, 171 InsO kann nicht beansprucht<br />
werden. Eine solche Pauschale gibt es nur <strong>bei</strong> der Verwertung<br />
von Gegenständen der Insolvenzmasse, die mit Absonderungsrechten<br />
belastet sind. Außerhalb des Anwendungsbereichs der §§ 165<br />
ff. InsO besteht demgegenüber kein gesetzlicher Anspruch auf eine<br />
Kostenpauschale für die Insolvenzmasse. Insbesondere besteht ein<br />
solcher Anspruch auch nicht <strong>bei</strong> einer freihändigen Veräußerung von<br />
zur Insolvenzmasse gehörenden Gegenständen durch den Insolvenzverwalter.<br />
In diesem Fall ist es vielmehr so, dass der Verwertungserlös<br />
selbst unmittelbar in die Insolvenzmasse gelangt, mithin eine besondere<br />
Kostenpauschale zugunsten der Insolvenzmasse von vornherein nicht<br />
in Betracht kommt. Nicht anders ist die Rechtslage <strong>bei</strong> der Erfüllung<br />
eines vormerkungsgesicherten Anspruchs. Die Vormerkung begründet<br />
als Sicherungsrecht eigener Art nach § 106 InsO einen insolvenzfesten<br />
Anspruch auf Befriedigung aus der Insolvenzmasse und nicht lediglich<br />
ein Recht auf abgesonderte Befriedigung (§ 165 InsO). Wegen § 119<br />
InsO kann diese Vormerkungswirkung auch nicht vertraglich ausgeschlossen<br />
oder beschränkt werden.<br />
Besteht dagegen kein Vormerkungsschutz und gilt § 103 InsO uneingeschränkt,<br />
ist gegen die Zulässigkeit einer zusätzlichen Forderung<br />
nach einer Kostenpauschale nichts einzuwenden. Hier<strong>bei</strong> handelt es<br />
30 OLG Hamm, ZIP 2006, 1911.<br />
31 BGBl. I 1998, 2205.<br />
35
sich dann um eine Erfüllungsablehnung, die mit einem Angebot auf<br />
Abschluss eines neuen Vertrages oder Änderungsvertrages verknüpft<br />
ist. 32<br />
Wird vom Insolvenzverwalter die Erklärung der Auflassung bzw. Nachgenehmigung<br />
von der Zahlung einer Kostenpauschale abhängig gemacht,<br />
scheint es auch hier zum Zwecke der Vermeidung weiterer Verzögerungen<br />
angezeigt zu sein, diese Kosten ohne Anerkennung einer<br />
Rechtspflicht zu tragen und später gegenüber dem Insolvenzverwalter<br />
einzufordern.<br />
4. § 878 BGB und die Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters<br />
3. Hinweis: Löschung der Vormerkung erst nach Vollzug der Eigentumsumschreibung<br />
und Überprüfung der Berechtigung des<br />
handelnden Insolvenzverwalters im Zeitpunkt des Grundbuchvollzugs<br />
Die Eintragung eines Insolvenzvermerks im Grundbuch nach § 32 InsO<br />
verhindert einen gutgläubigen Erwerb. Fehlt dagegen ein solcher Vermerk,<br />
ist ein gutgläubiger Erwerb möglich (§§ 81, 91 InsO, 878, 892<br />
BGB).<br />
Umgekehrt besteht dagegen kein guter Glaube an der Verfügungsbefugnis<br />
des Insolvenzverwalters infolge des eingetragenen Insolvenzvermerks.<br />
33 Der Vermerk kann weder über die Zugehörigkeit des Grundstücks<br />
zur Insolvenzmasse noch über das Bestehen eines Insolvenzverfahrens<br />
Auskunft geben. Auch die Verfügungsbefugnis des Verwalters<br />
lässt sich mit dem Vermerk nicht nachweisen, da der Insolvenzverwalter<br />
den Grundbesitz jederzeit formlos freigeben kann.<br />
Ungenügend ist ebenso, allein auf die Vorlage des Originals der Bestellungsurkunde<br />
des Insolvenzverwalters zu vertrauen (§ 56 Abs. 2<br />
InsO). An die Bestellungsurkunde des Insolvenzverwalters sind anders<br />
als <strong>bei</strong>spielsweise an das Testamentsvollstreckerzeugnis keinerlei<br />
Rechtswirkungen, insbesondere auch nicht ein Gutglaubensschutz geknüpft.<br />
34<br />
32<br />
MünchKomm-InsO/Huber, § 103 Rn. 159.<br />
33<br />
Kesseler, RNotZ 2004, 176, 214.<br />
34<br />
Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 56 Rn. 86; MünchKomm-BGB/Schramm, 3. Aufl.,<br />
§ 172 Rn. 18.<br />
36
Äußerst umstritten ist, ob dem Insolvenzverwalter <strong>bei</strong> Veräußerung<br />
eines zur Insolvenzmasse gehörenden Grundstückes für den Fall des<br />
Wegfalls seiner Verfügungsberechtigung die Vorwirkungen des § 878<br />
BGB zugute kommen. Ein solcher Wegfall der Verfügungsberechtigung<br />
liegt dann vor, wenn entweder das Insolvenzverfahren insgesamt aufgehoben<br />
wurde oder wenn in der Person des Insolvenzverwalters ein<br />
Wechsel stattgefunden hat.<br />
Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist der Insolvenzverwalter<br />
(ebenso wie der Nachlassverwalter oder der Testamentsvollstrecker)<br />
nach § 80 Abs. 1 InsO Inhaber der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis<br />
und damit „Berechtigter“ i. S. d. § 878 BGB. Verliert der Insolvenzverwalter<br />
etwa durch Beendigung des Amtes durch Abwahl oder Verfahrensaufhebung<br />
seine Verfügungsbefugnis, will die h. M. in der<br />
Rechtsprechung 35 § 878 BGB weder direkt noch entsprechend anwenden.<br />
Die wohl herrschende Gegenmeinung in der Literatur befürwortet<br />
dagegen im Interesse des Vertrauensschutzes zugunsten des<br />
Erwerbers die Anwendung des § 878 BGB wie im Fall der Entziehung<br />
der Verfügungsbefugnis. 36 Auch neuere Gerichtsentscheidungen folgen<br />
dieser Auffassung. 37 Zuletzt hat sich mit dieser Frage das AG Rostock<br />
auseinandergesetzt. 38 Nach Auffassung des AG Rostock ist der<br />
Vertragspartner des Insolvenzverwalters mit seinem Vertrauen auf<br />
dessen bestehende Verfügungsbefugnis ebenso schützenswert wie der<br />
Vertragspartner eines Rechtsinhabers, der aufgrund eigener Rechtsposition<br />
verfügt und über § 878 BGB <strong>bei</strong> späterem Wegfall geschützt ist.<br />
Würde man sich der anderen Ansicht anschließen, wären jedwede<br />
Verfügungen eines Vollmachtsinhabers, Nachlasspflegers, Zwangsverwalters,<br />
Betreuers usw. jedes Mal zu hinterfragen bzw. anzuzweifeln.<br />
Die herrschende Ansicht in der Literatur ist überzeugend. Es besteht ein<br />
unabweisbares Bedürfnis für einen Schutz nach der Art des § 878 BGB:<br />
Würde man die Analogie ablehnen, wäre der Grundstücksverkehr mit<br />
35 OLG Celle DNotZ 1953, 158 = NJW 1953, 945; KG OLG 26, 2; BayObLG NJW 1956,<br />
1279; MittBayNot 1999, 82 = Rpfleger 1999, 25; OLG Frankfurt OLGZ 1980, 100;<br />
OLG Köln MittRhNotK 1981, 139; LG Osnabrück KTS 1972, 202.<br />
36 Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, Rn. 124; Palandt/Bassenge, § 878 BGB Rn. 11;<br />
Staudinger/Gursky, BGB, 2000, § 878 Rn. 57; MünchKomm-BGB/Wacke, 3. Aufl.<br />
1997, § 878 BGB Rn. 13 a. E.; Bauer/v. Oefele, GBO, 1999, § 19 GBO Rn. 272 f.;<br />
Däubler, JZ 1963, 591; Böhringer, BWNotZ 1984, 137 und BWNotZ 1985, 102; Heil,<br />
RNotZ 2001, 269; Zahn, MittRhNotK 2000, 89, 108; Kesseler, RNotZ 2004, 176, 218.<br />
37 OLG Brandenburg VIZ 1995, 365, 366 = OLG NL 1995, 127 bezüglich staatlicher<br />
Verwalter sowie LG Neubrandenburg MDR 1995, 491 zur Aufhebung der Gesamtvollstreckung.<br />
38 RNotZ 2004, 405 = NotBZ 2004, 203.<br />
37
einem amtlichen Verwalter praktisch lahm gelegt. Dem Erwerber könnte<br />
vor seiner Eintragung die Entrichtung seiner Gegenleistung und dem<br />
Verwalter vor Erhalt der Gegenleistung die Erklärung der Einigung und<br />
die Bewilligung der Eintragung des Erwerbers nicht zugemutet<br />
werden. 39<br />
Trotz dieser ganz herrschenden Ansicht in der Literatur ist dem Notar zu<br />
raten, im Rahmen seiner <strong>Vertragsgestaltung</strong> weiterhin die in der Rechtsprechung<br />
vorherrschende gegenteilige Ansicht zu berücksichtigen. Von<br />
daher dürfte jedem Vertragspartner eines Insolvenzverwalters (oder<br />
eines Nachlassverwalters oder Testamentsvollstreckers) dringend zu<br />
empfehlen sein, Leistungen erst zu erbringen, wenn die Verfügung der<br />
anderen Seite vollzogen ist. 40 Bei im Grundbuch einzutragenden<br />
Rechten bzw. Löschungen sollte man sich überzeugen, dass auch zum<br />
Zeitpunkt des Grundbuchvollzugs der handelnde Insolvenzverwalter<br />
noch verfügungsbefugt war. 41 Alternativ bietet sich eine Abwicklung<br />
über Notaranderkonto an<br />
Wird diese Rechtsprechung nicht beachtet und kommt es zu einem<br />
Wechsel in der Person des Insolvenzverwalters, so besteht für den<br />
Käufer das Risiko, dass er den Kaufpreis bezahlt, ohne dass sein<br />
Eigentumserwerb letztlich sichergestellt ist. 42 Problematisch wird die<br />
Situation erst recht, wenn mit der Eigentumsumschreibung auf den<br />
Käufer mangels anderweitiger Zwischeneintragungen dessen Vormerkung<br />
im Grundbuch gelöscht wird. Aufgrund der Nichtanwendung<br />
des § 878 BGB ist die Eigentumsumschreibung unwirksam. Mit<br />
Löschung der Vormerkung fällt der Schutz der §§ 883, 888 BGB, 106<br />
InsO weg. Von daher sollte die Löschung einer Auflassungsvormerkung<br />
erst erfolgen, wenn sich der Notar erneut vom Bestehen der Verfügungsbefugnis<br />
des handelnden Insolvenzverwalters überzeugt hat. 43<br />
Die übliche Regelung im Kaufvertrag, wonach die Auflassungsvormerkung<br />
mit Eigentumsumschreibung gelöscht wird, wenn keine<br />
Zwischenrechte eingetragen sind, sollte hier ausdrücklich keine Anwendung<br />
finden.<br />
39<br />
Staudinger/Gursky, § 878 Rn. 57 a. E.; Bauer/v. Oefele-Kössinger, GBO, § 19<br />
Rn. 173.<br />
40<br />
Ebenso Schöner/Stöber, 124.<br />
41<br />
Kesseler, ZNotP 2008, 117 ff.<br />
42<br />
Grziwotz/Everts/Heinemann/Koller, Rn. 413; Schöner/Stöber, Grundbuchrecht,<br />
14. Auflage, Rn. 124.<br />
43<br />
Grziwotz/Everts/Heinemann/Koller, Rn. 413; Kesseler, ZNotP 2008, 117, 119;<br />
Kesseler, ZNotP 2008, 117, mit Formulierungsvorschlag für eine Vollzugsanweisung<br />
an den Notar.<br />
38
III. Lastenfreistellung mittels unechtem Vertrag zugunsten Dritter<br />
4. Hinweis: Keine Zahlungen zum Zwecke der Lastenfreistellung an<br />
den Verkäufer, sondern immer direkt an den abzulösenden<br />
Gläubiger<br />
Der Anspruch auf Lastenfreistellung ist trotz Eintragung einer Vormerkung<br />
wegen § 106 Abs. 1 S. 2 InsO nicht insolvenzfest. Die Vormerkung<br />
gewährt in der Insolvenz keinen stärkeren Schutz als außerhalb<br />
des Insolvenzverfahrens. Auch hier sind vor der Vormerkung eingetragene<br />
Belastungen vorrangig zu befriedigen.<br />
Bewährtes Gestaltungsinstrument ist hier die Vereinbarung eines unechten<br />
Vertrags zugunsten Dritter, nämlich der abzulösenden<br />
Gläubiger. 44 Da der Insolvenzverwalter Verträge so übernehmen muss,<br />
wie sie der Insolvenzschuldner geschlossen hat, ist der Insolvenzverwalter<br />
an die Abrede über die Lastenfreistellung gebunden. Die hierfür<br />
benötigten Beträge aus dem Kaufpreis fallen nicht in die Insolvenzmasse.<br />
Es gilt dasselbe wie in der Einzelzwangsvollstreckung. Danach<br />
sind <strong>bei</strong> einem unechten Vertrag zugunsten Dritter zwar Pfändungen<br />
gegen den Versprechensempfänger (Verkäufer) möglich. Sie verschaffen<br />
dem Pfändungsgläubiger aber keine stärkere Rechtsposition,<br />
als sie der Versprechensempfänger hatte. 45 Eine Änderung der<br />
Leistungsbestimmung wäre zwar durch eine Vereinbarung zwischen<br />
dem Versprechensempfänger (Verkäufer) und dem Versprechenden<br />
(Käufer) jederzeit möglich. 46 Aufgrund der Pfändung könnte der<br />
Pfändungsgläubiger anstelle des Verkäufers eine solche Vereinbarung<br />
treffen, bedürfte aber hierzu der Mitwirkung des versprechenden<br />
Käufers. Dieser wird zur Mitwirkung nicht bereit sein. Der Käufer ist<br />
damit geschützt, indem er sich der Mitwirkung verweigert.<br />
Auch die Rechtsprechung erkennt diese Gestaltungsmöglichkeit als<br />
„insolvenzsicher“ an. 47 Der BGH spricht insoweit von einer „treuhänderischen<br />
Zweckbindung“ des Kaufpreisanspruchs, die die<br />
Pfändungsgläubiger des Verkäufers und damit auch der Insolvenzver-<br />
44<br />
Hoffmann, NJW 1987, 3153, 3154; Hertel, in: Würzburger Notarhandbuch, 2. Auflage<br />
2009, Teil 2 Kap. 2 Rn. 137 ff.<br />
45<br />
BGH, DNotZ 1998, 626 = WM 1998, 40, 41.<br />
46<br />
Staudinger/Jagmann, BGB, 13. Aufl. 1995, § 328 BGB Rn. 52.<br />
47<br />
BGH, WM 1985, 238, 240 = NJW 1985, 1155; BGH, DNotZ 1998, 626 = NJW 1998,<br />
746 = WM 1998, 40, m. Anm. Albrecht, DNotZ 1998, 631; BGH, DNotZ 2000, 752 =<br />
NJW 2000, 1270 = WM 2000, 264; ebenso Kirchhof, WM Sonder<strong>bei</strong>lage Nr. 2/2005,<br />
1, 9.<br />
39
walter gegen sich gelten lassen müssen. 48 Das Zahlungsverbot nach<br />
§§ 23 Abs. 1 S. 3 und 28 Abs. 3 InsO ist insoweit also nicht zu beachten<br />
(unabhängig von der Frage, ob die Leistung an den Dritten durch den<br />
Insolvenzverwalter wegen inkongruenter Deckung nach § 131 InsO ggf.<br />
angefochten werden kann.)<br />
IV. Lastenfreistellung <strong>bei</strong> Abwicklung über Notaranderkonto<br />
Haben die Beteiligten eines Grundstückkaufvertrages Kaufpreiszahlung<br />
über Notaranderkonto vereinbart, stellt sich die Frage, wie ein etwaiger<br />
Widerruf der Verwahrungsanweisung durch den Insolvenzverwalter oder<br />
den anderen Teil mit dem Ziel der Rückzahlung des hinterlegten Geldes<br />
zu werten ist. Grundsätzlich erlöschen mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />
Aufträge, Geschäftsbesorgungsverträge und Vollmachten, die<br />
sich auf das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen beziehen<br />
(§§ 115 ff., 119 InsO).<br />
Nach einhelliger Ansicht fällt das verwahrte Geld nicht in die Insolvenzmasse,<br />
da alleiniger Kontoinhaber der Notar ist. 49 Fraglich ist jedoch, ob<br />
das „Treuhandverhältnis“ 50 zur Verwahrung mit der Insolvenzeröffnung<br />
nach § 116 InsO erloschen ist. 51 Der BGH hatte dies für den inhaltsgleichen<br />
§ 23 KO bejaht. 52 Die notarrechtliche Literatur ist jedoch ganz<br />
48<br />
Davon abzugrenzen ist der Fall einer bloßen (nicht treuhänderischen) Zweckbindung<br />
im Rahmen einer Schuldbefreiung. Nach Ansicht der Rechtsprechung gehören<br />
Schuldbefreiungsansprüche, obwohl sie wegen § 399 1. Alt. BGB nur an den Drittgläubiger<br />
abgetreten werden können und deshalb nach § 851 Abs. 1 ZPO unpfändbar<br />
sind, zur Insolvenzmasse. Dem Schuldner könne es nicht gestattet werden, eigene<br />
Vermögenswerte einem Einzelgläubiger unanfechtbar zu übertragen, indem er lediglich<br />
eine Zwischenperson einschaltet und für die von dieser zu erbringende Leistung<br />
als Zweckbindung die Befriedigung des von ihm ausgewählten Gläubigers vereinbart.<br />
BGH, WM 2001, 1476, 1477 = DNotZ 2001, 850 = NJW-RR 2001, 1490; Kirchhof,<br />
Sonder<strong>bei</strong>lage WM Nr. 2/2005, 1, 9. Der dieser Entscheidung zugrunde liegende Fall<br />
einer Schuldbefreiung kann mit dem Fall der Lastenfreistellung im Rahmen eines<br />
Kaufvertrages nicht verglichen werden. Die dort vereinbarte Zweckbindung führte zum<br />
einen zu keiner Verringerung der Verbindlichkeiten des Gläubiger (Verkäufers). Zum<br />
anderen aber erfolgte dort die Zweckbindung wohl nicht im Interesse des Zahlenden,<br />
während hier die Zahlung zur Lastenfreistellung gerade im Interesse des zahlenden<br />
Käufers erfolgt. Insoweit fehlt es an einer treuhänderischen Bindung.<br />
49<br />
Vgl. Ziff. 6 der Anderkontenbedingungen; Arndt/Lerch/Sandkühler, BNotO, 5. Aufl.<br />
2003, § 23 BNotO Rn. 166; Winkler, BeurkG, 15. Aufl. 2003, § 54c BeurkG Rn. 50.<br />
50<br />
Vgl. zum Aussonderungsrecht des Treugebers in der Insolvenz des Treuhänders <strong>bei</strong><br />
bloß schuldrechtlichem Treuhandverhältnis: BGH ZNotP 2003, 382; s. dazu Kesseler,<br />
ZNotP 2003, 368.<br />
51<br />
Siehe dazu Dornis, Kaufpreiszahlung auf Notaranderkonto, 2004, Dissertation<br />
Tübingen, S. 89 ff.<br />
52<br />
BGH NJW 1962, 1201.<br />
40
überwiegend der Auffassung, dass diese Entscheidung heute nicht<br />
mehr so ergehen würde, da sie noch von der mittlerweile überholten<br />
Auffassung einer privat-rechtlichen Natur der Verwahrung („Treuhandvertrag“)<br />
ausgeht; die hoheitliche Verwahrung nach § 23 BNotO sei<br />
keine Geschäftsbesorgung im Sinne § 23 KO oder des § 116 InsO. 53<br />
Nach Ansicht von Sandkühler 54 werden allerdings die Verwahrungsanweisungen<br />
wirkungslos, wenn der Insolvenzverwalter die Erfüllung<br />
nach § 103 InsO ablehnt; damit verknüpft Sandkühler aber wohl nur die<br />
früher vom BGH zum Insolvenzverwalterwahlrecht vertretene, nunmehr<br />
jedoch ausdrücklich aufgegebene Erlöschenstheorie mit den Rechtsfolgen<br />
des § 54c Abs. 3 BeurkG.<br />
In den Kommentaren zur Insolvenzordnung wird die Verwahrungsanweisung<br />
für das Notaranderkonto nicht ausdrücklich behandelt. 55<br />
§ 116 InsO setzt jedoch einen Geschäftsbesorgungsvertrag im Sinne<br />
des § 675 BGB voraus. Dazu gehört zwar der Vertrag mit einem<br />
Rechtsanwalt, aber nicht das Rechtsverhältnis gegenüber einem Notar,<br />
da der Notar öffentlich-rechtlich tätig wird, § 1 BNotO. Soweit die<br />
Kommentarliteratur davon ausgeht, dass von der Vorschrift des § 116<br />
InsO = § 23 KO a. F. auch die Tätigkeit des Notars erfasst ist, 56 subsumiert<br />
diese nur dann die Verträge mit einem Notar unter die Bestimmung<br />
des § 116 InsO = § 23 KO, „sofern der Notar nicht als Amtsperson<br />
<strong>bei</strong> der Beurkundung von Rechtsgeschäften tätig wird“. Dieser<br />
Ansicht ist auch für das notarielle Verwahrungsverhältnis zu folgen. Sie<br />
gilt erst Recht aufgrund Einführung der Vorschriften der BNotO und des<br />
BeurkG. Danach ist jedwede notarielle Tätigkeit öffentlich-rechtlicher<br />
Natur und kann demgemäß nicht Gegenstand vertraglicher Vereinbarungen<br />
sein. Von daher verbietet sich von selbst, die Bestimmungen<br />
der §§ 115 ff. InsO auf den Notar im Rahmen dessen hoheitlicher Tätigkeit<br />
anzuwenden. Um eine solche hoheitliche Tätigkeit handelt es sich<br />
53 Armbrüster/Preuß/Renner, § 54b BeurkG Rn. 93; Hertel, in: Eylmann/Vaasen, § 23<br />
BNotO Rn. 44; Kawohl, Notaranderkonto, 1995, Rn. 119; Weingärtner/Schöttler,<br />
DONot, 7. Aufl. 1995, Rn. 182; ebenso wohl Winkler, § 54b BeurkG Rn. 50; a. A.<br />
Bräu, Verwahrungstätigkeit des Notars, 1992, Rn. 255.<br />
54 Arndt/Lerch/Sandkühler, § 23 BNotO Rn. 166.<br />
55 Auch Ganter, DNotZ 2004, 421, 429 ff., geht im Rahmen seiner Darstellung zu den<br />
notariellen Amtspflichten in der Insolvenz eines Urkundsbeteiligten <strong>bei</strong> Kaufpreisabwicklung<br />
über Notaranderkonto auf dieses Problem nicht ein.<br />
56 Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze, 17. Aufl. 1997, § 23 Anm. 1a; Kuhn/Uhlenbruck,<br />
KO, 11. Aufl. 1994, § 23 Rn. 2; Frankfurter Kommentar zur InsO/Wegener, § 116<br />
Rn. 14.<br />
41
aber insbesondere auch <strong>bei</strong> seiner notariellen Verwahrung nach § 23<br />
BNotO. 57<br />
Der Fall der Rückzahlung und/oder der Insolvenz eines Beteiligten<br />
dürfte in aller Regel in der Verwahrungsanweisung selbst nicht behandelt<br />
werden. Nach der gesetzlichen Regelung des § 54c Abs. 3<br />
BeurkG ist der einseitige Widerruf durch einen Verwahrungsbeteiligten<br />
(hier durch den Insolvenzverwalter für den Käufer) grundsätzlich nur<br />
dann beachtlich, wenn er sich darauf stützt, dass das zugrunde liegende<br />
Rechtsverhältnis unwirksam oder rückabzuwickeln ist. Nicht ausreichend<br />
aber ist es, wenn der einseitige Widerruf <strong>bei</strong>spielsweise mit der<br />
Einrede des nicht erfüllten Vertrages nach § 320 BGB oder mit einem<br />
Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB begründet wird. 58 Die<br />
Erfüllungsablehnung durch den Insolvenzverwalter nach § 103 InsO<br />
genügt dafür nicht. Der Vertrag verliert lediglich seine Durchsetzbarkeit.<br />
59 Unabhängig von einem etwaigen Insolvenzverwalterwahlrecht<br />
dürfte m. E. der einseitige Widerruf in Anlehnung an den Rechtsgedanken<br />
des § 54d Ziff. 2 BeurkG aber jedenfalls in der Insolvenz<br />
eines Beteiligten dann beachtlich sein, wenn andernfalls der Vertragspartner<br />
des Schuldners mit seinem Anspruch auf die Gegenleistung<br />
oder aus § 103 Abs. 2 InsO nur auf die Insolvenzquote verwiesen<br />
werden würde und ihm daher ein unwiederbringlicher Schaden droht.<br />
Etwas anderes gilt wiederum im Falle des § 106 InsO <strong>bei</strong> Eintragung<br />
einer Vormerkung am Grundbesitz des Schuldners.<br />
Rechtsfolge eines beachtlichen Widerrufs nach §§ 54c Abs. 3, 54d<br />
BeurkG ist aber nur, dass der Notar eine Auszahlung unterlässt und die<br />
Verwahrung in dem Zustand anhält, indem sie sich <strong>bei</strong>m Widerruf befindet;<br />
das Geld ist nicht etwa an den Widerrufenden oder an den Einzahlenden<br />
zurückzuzahlen. 60<br />
57 Unrichtig daher die Einordnung der „Tätigkeit als Rechtsanwalt oder Notar“ generell<br />
ohne weitere Differenzierung unter die Geschäftsbesorgungsverträge <strong>bei</strong><br />
Smid/Meyer, § 116 InsO Rn. 2. Im Ergebnis ebenso Dornis, Kaufpreiszahlung auf<br />
Notaranderkonto, 2004, Dissertation Tübingen, S. 91 ff. Er begründet dies allerdings<br />
mit einer fehlenden Vergleichbarkeit der Vorschriften über die notarielle Verwahrung<br />
mit dem Anwendungsbereich der §§ 115, 116 InsO.<br />
58 LG Berlin, DNotZ 1981, 318; LG Lüneburg, DNotZ 1989, 651;<br />
Eylmann/Vaasen/Hertel, § 54 c BeurkG Rn. 20; Winkler, § 54c Rn. 33.<br />
59 BGH DNotZ 2003, 648; Braun/Kroth, § 103 Rn. 5 ff.<br />
60 Arndt/Lerch/Sandkühler, § 23 BNotO Rn. 135; Eylmann/Vaasen/Hertel, § 54c BeurkG<br />
Rn. 23; Winkler, § 54c BeurkG Rn. 39; Brambring, ZfIR 1999, 333, 340; Haug, Amtshaftung<br />
des Notars, 2. Aufl. 1997 Rn. 719; a.A. KG DNotZ 1998, 204 = DNotI-Report<br />
1999, 230 noch zu einem Fall vor Inkrafttreten des § 54c BeurkG; ebenso KG DNotI-<br />
Report 1999, 153 = DNotZ 1999, 99 = ZNotP 2000, 121; KG DNotI-Report 2002, 175.<br />
42
Im Falle eines beachtlichen Widerrufs oder eines drohenden unwiederbringlichen<br />
Schadens ist der Notar gehindert, eine Auszahlung oder<br />
Rückzahlung vom Notaranderkonto vorzunehmen, solange ihm keine<br />
übereinstimmende Weisung <strong>bei</strong>der Vertragsbeteiligter vorliegt, § 54c<br />
Abs. 3 BeurkG. Die darin liegende Verweigerung der Amtstätigkeit sollte<br />
der Notar den Beteiligten mit einem nach § 15 Abs. 2 BNotO beschwerdefähigen<br />
Vorbescheid mitteilen. Nobile officium ist da<strong>bei</strong> ein Hinweis<br />
auf die Beschwerdemöglichkeit <strong>bei</strong>m zuständigen Landgericht. Ein<br />
solcher Vorbescheid ist darüber hinaus aber auch dann angezeigt,<br />
wenn der Notar aufgrund der Unbeachtlichkeit eines einseitigen Widerrufs<br />
Auszahlungen vom Notaranderkonto entsprechend der vertraglichen<br />
Anweisungen vornehmen will. 61<br />
V. Eigentümerzustimmung<br />
Für die Lastenfreistellung ist nach §§ 1183 BGB, 27 GBO weiter die<br />
Zustimmung des Eigentümers erforderlich. Hier<strong>bei</strong> handelt es sich um<br />
eine Verfügung über die dingliche Anwartschaft des Eigentümers auf<br />
den Erwerb eines Grundpfandrechts nach §§ 1163, 1177 BGB. 62 In der<br />
Insolvenz des Grundstückseigentümers ist deshalb eine Zustimmung<br />
des Insolvenzverwalters erforderlich. 63 Ob hier § 878 BGB gilt, ist<br />
streitig. 64 Da es für die Beurteilung der Zustimmungsberechtigung<br />
jedoch auf den Zeitpunkt der Löschung ankommt, 65 genügt die Zustimmungserklärung<br />
des neuen Eigentümers, wenn die Löschung erst<br />
nach Eigentumsumschreibung erfolgt. 66 Eine Mitwirkung des Insolvenzverwalters<br />
des Verkäufers bedarf es dann nicht. 67 Der Notar sollte auf<br />
jeden Fall aber die Zustimmung des Käufers und der finanzierenden<br />
Bank zu dem beschriebenen Verfahren einholen.<br />
61<br />
BayObLG MittBayNot 1995, 331; OLG Frankfurt DNotZ 1992, 61; OLG Schleswig<br />
DNotZ 1993, 67; Eylmann/Vaasen/Hertel, § 23 BNotO Rn. 49.<br />
62<br />
BayObLGZ 1973, 220; Staudinger/Wolfsteiner, BGB, § 1183 Rn. 7;<br />
Palandt/Bassenge, BGB, § 1183 Rn. 4<br />
63<br />
Palandt/Bassenge, BGB, § 1183 Rn. 3; MünchKomm-BGB/Eickmann, § 1183 Rn. 10.<br />
64<br />
Verneinend: RGZ 52, 411, 416; Meikel/Böttcher, Grundbuchrecht, 9. Auflage 2002,<br />
§ 27 Rn. 84; Soergel/Konzen, BGB, § 1183 Rn. 4; Palandt/Bassenge, BGB, § 878<br />
Rn. 4; bejahend: Staudinger/Wolfsteiner, BGB, § 1183 Rn. 12; MünchKomm-<br />
BGB/Eickmann, § 1183 Rn. 11.<br />
65<br />
Meikel/Böttcher, Grundbuchrecht, 9. Aufl. 2004, § 87 Rn. 82; Demharter, Grundbuchordnung,<br />
26. Aufl. 2005, § 27 Rn. 15; KG OLGE 4, 493; 25, 380.<br />
66<br />
LG Düsseldorf MittRhNotK 1984, 124; Staudinger/Wolfsteiner, § 1183 Rn. 12;<br />
Meikel/Böttcher, § 27 Rn. 82.<br />
67<br />
Siehe dazu und zur Frage der Leistung des Kaufpreises vor Fälligkeit: DNotI-Gutachten<br />
Nr. 66725 vom April 2006; ebenso Armbrüster/Preuß/Renner, § 54b BeurkG<br />
Rn. 99.<br />
43
VI. Kosten der Lastenfreistellung<br />
5. Hinweis: Zahlung der Kosten der Lastenfreistellung aus dem<br />
Kaufpreis<br />
Regelmäßig ist im Kaufvertrag vereinbart, dass der Verkäufer die<br />
Kosten der Lastenfreistellung trägt, insbesondere also die Grundbuchkosten.<br />
Trägt das Grundbuchamt die Löschung der vom Käufer nicht<br />
übernommenen Rechte ein und bleibt der Verkäufer die Kosten<br />
schuldig, handelt es sich da<strong>bei</strong> um eine einfache Insolvenzforderung.<br />
Das Grundbuchamt ist Insolvenzgläubiger. Ein Rückgriff auf den Käufer<br />
ist nur zulässig, wenn die Grundbuchanträge auch in seinem Namen<br />
gestellt wurden ( § 2 Nr. 1 KostO). Verlangt das Grundbuchamt jedoch<br />
nach § 8 Abs. 2 KostO einen Kostenvorschuss für die Löschung,<br />
scheitert diese, wenn der Verkäufer den Vorschuss nicht <strong>bei</strong>bringt. Im<br />
Ergebnis müsste dann der Käufer diese Kosten übernehmen. Hat er<br />
den Kaufpreis noch nicht gezahlt, kann er zwar gegenüber dem Insolvenzverwalter<br />
das Zurückbehaltungsrecht des § 320 BGB geltend<br />
machen. Hat er dagegen schon bezahlt, steht ihm nur eine einfache<br />
Insolvenzforderung gegen den Verkäufer zu. Die Eintragung einer<br />
Vormerkung schützt den Käufer wegen § 106 Abs. 1 S. 2 InsO insoweit<br />
nicht.<br />
In der Praxis dürfte sich empfehlen, auf dieses Risiko hinzuweisen<br />
und Lösungsmöglichkeiten vorzuschlagen. In Betracht kommt entweder,<br />
dass der Käufer berechtigt ist, die entsprechenden Beträge aus<br />
dem Kaufpreis einzubehalten und direkt an das Grundbuchamt und<br />
Notar zu bezahlen (Zahlung dieser Kosten in Anrechnung auf dem<br />
Kaufpreis als unechter Vertrag zugunsten Dritter) bzw. eine Hinterlegung<br />
eines Teils des Kaufpreises in Höhe der Grundbuch- und Notarkosten<br />
auf Notaranderkonto und Zahlung aus dem Notaranderkonto.<br />
VII. <strong>Vertragsgestaltung</strong> und Insolvenzverwalteranfechtung<br />
Fraglich ist letztlich, inwieweit diese „übliche“ <strong>Vertragsgestaltung</strong> auch<br />
vor einer etwaigen Insolvenzverwalteranfechtung Bestand hat. Nach<br />
§§ 129 ff. InsO kann der Insolvenzverwalter Rechtshandlungen, die die<br />
Gläubiger des Schuldners benachteiligen, anfechten.<br />
44
1. Folgen der Anfechtung<br />
Folge einer Gläubigeranfechtung ist die Duldung der Zwangsvollstreckung<br />
in den anfechtbar weggegebenen Gegenstand (§ 11 AnfG).<br />
Bei der Insolvenzverwalteranfechtung ist der Gegenstand zur Insolvenzmasse<br />
zurückzugewähren (§ 143 InsO).<br />
2. Anfechtungsfristen<br />
Angefochten werden können Rechtshandlungen, die innerhalb bestimmter<br />
gesetzlicher Fristen vorgenommen wurden. Es ist eine Rückrechnung<br />
vorzunehmen (§§ 7 Abs. 1 AnfG; 136 InsO).<br />
Für die Insolvenzanfechtung von Bedeutung ist vor allem der kritische<br />
Drei-Monats-Zeitraum vor Stellung eines Insolvenzantrags. Rechtshandlungen<br />
innerhalb dieses Zeitraums können nach den §§ 130 – 132<br />
InsO wegen kongruenter oder inkongruenter Deckung bzw. wegen unmittelbarer<br />
Gläubigerbenachteiligung angefochten werden. Auf einen<br />
Vorsatz, die Gläubiger zu benachteiligen, kommt es nicht an. Entsprechende<br />
Anfechtungstatbestände gibt es im AnfG nicht.<br />
3. Gläubigerbenachteiligung<br />
Grundvoraussetzung jeder Anfechtung ist eine Gläubigerbenachteiligung<br />
(§§ 1 Abs. 1 AnfG, 129 InsO). Entscheidend ist, ob sich<br />
die Befriedigungsmöglichkeit der Gläubiger ohne die anfechtbare<br />
Rechtshandlung günstiger gestaltet hätte. 68 Anfechtbar ist danach etwa<br />
die Veräußerung von Vermögensgegenständen unter Wert, eine ehebedingte<br />
Zuwendung, 69 aber auch die Bestellung einer Vormerkung. 70<br />
Für die Frage, auf welchen Zeitpunkt <strong>bei</strong> der Gläubigerbenachteiligung<br />
abzustellen ist, ist zwischen einer mittelbaren und unmittelbaren<br />
Gläubigerbenachteiligung zu unterscheiden. Grundsätzlich genügt<br />
eine bloß mittelbare Gläubigerbenachteiligung (§§ 130, 131, 133 Abs. 1<br />
InsO; 3 Abs. 1 AnfG).<br />
68<br />
BGH NJW 1980, 1580; HK-InsO/Kreft, 5. Aufl., § 129 Rn. 36; Uhlenbruck/Hirte, InsO,<br />
§ 129 Rn. 91.<br />
69<br />
BGH NJW 1999, 1033; NJW 1983, 1611; Braun/de Bra, InsO, 3. Aufl., § 134 Rn. 25.<br />
70<br />
HambKomm /Rogge, § 129 Rn. 4 ff.; Gottwald/Huber, Insolvenzrechtshandbuch, § 46<br />
Rn. 19.<br />
45
Eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung ist gegeben, wenn die (angefochtene)<br />
Rechtshandlung noch keinen Nachteil für die Gläubiger<br />
bewirkt, aber die Grundlage für einen weiteren die Gläubiger benachteiligenden<br />
Ablauf bildet. Nicht erforderlich ist, dass die hinzutretenden<br />
weiteren Umstände selbst durch die angefochtene Rechtshandlung<br />
mitverursacht wurden. 71 Maßgeblich, ob eine mittelbare<br />
Gläubigerbenachteiligung vorliegt, ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen<br />
Verhandlung in der Tatsacheninstanz. 72 Eine nachträgliche Wertsteigerung<br />
eines Grundstücks etwa aufgrund geänderter Marktlage, <strong>bei</strong><br />
dem zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses Leistung und Gegenleistung<br />
noch gleichwertig gegenüber standen, kann danach genügen. 73<br />
Bei einer unmittelbaren Gläubigerbenachteiligung (§§ 132, 133 Abs. 2<br />
InsO, 3 Abs. 2 AnfG) ist die Benachteiligung allein anhand der angefochtenen<br />
Rechtshandlung zu beurteilen (z. B. Verkauf einer Sache<br />
des Schuldners unter Wert; einseitige Vermögensopfer). Maßgeblich ist<br />
der Zeitpunkt der Vollendung der Rechtshandlung. 74<br />
Eine Gläubigerbenachteiligung liegt nicht vor, wenn es sich um die<br />
Weggabe eines wertausschöpfend belasteten Gegenstandes<br />
handelt. Dies ist der Fall, wenn der veräußerte Gegenstand mit bevorrechtigt<br />
zu befriedigenden Absonderungsrechten belastet ist und im<br />
Falle einer Verwertung der gesamte Erlös an diese Gläubiger geht bzw.<br />
für die Kosten des Zwangsversteigerungsverfahrens hätte aufgewendet<br />
werden müssen. 75 Für die Gläubigerbefriedigung ist dieser Gegenstand<br />
wertlos. 76 Maßgeblich kommt es da<strong>bei</strong> nicht auf die Höhe der dinglichen<br />
Belastungen an, sondern auf die Höhe der mit den Grundpfandrechten<br />
gesicherten Forderungen. Soweit nämlich die Grundpfandrechte nicht<br />
valutieren, bieten sie dem Insolvenzverwalter eine Möglichkeit, diese zu<br />
verwerten. Handelt es sich um Hypotheken, stehen dem Schuldner in<br />
Höhe der nicht mehr valutierten Teile Eigentümergrundschulden zu.<br />
Handelt es sich um Grundschulden, bestehen Ansprüche auf Rückgewähr<br />
der nicht valutierten Grundschulden gegen den Grundschuldgläubiger<br />
zu. 77<br />
71<br />
BGH ZIP 2000, 238.<br />
72<br />
OLG Hamburg NZI 2001, 424; Uhlenbruck/Hirte, InsO, § 129 Rn. 128.<br />
73<br />
BGH NJW 1996, 3341, 3342.<br />
74<br />
HambKomm/Rogge, 3. Aufl. § 129 Rn. 41; Uhlenbruck/Hirte, InsO, 12. Aufl. § 129<br />
Rn. 124.<br />
75<br />
BGH WM 2006, 490; ZInsO 2007, 778; JurBüro 2008, 269; ZInsO 2009, 1249, 1251.<br />
76<br />
BGH WM 2006, 490 = MittBayNot 2006, 224 = RNotZ 2006, 200, m. Anm. Kesseler;<br />
Bitter, in FS. Karsten Schmidt, 2009, 123 ff.<br />
77<br />
BGH NJW 1984, 2890, 2891; NJW 1996, 3341, 3342.<br />
46
Anders ist es, wenn der Schuldner selbst z. B. <strong>bei</strong> der Übertragung des<br />
Grundstücks noch bestehende Belastungen im Nachhinein vertragsgemäß<br />
beseitigt, 78 oder wenn die den Belastungen zugrunde liegenden<br />
Verbindlichkeiten aus den Nutzungen des dem Anfechtungsgegner<br />
übertragenen Gegenstandes zurückgeführt werden. Auch diese<br />
Nutzungsmöglichkeiten werden von einer Anfechtung erfasst. 79 In<br />
<strong>bei</strong>den Fällen kann daher eine zunächst objektiv gegebene wertausschöpfende<br />
Belastung ausscheiden.<br />
4. Bösgläubigkeit des Anfechtungsgegners<br />
Grundsätzlich knüpfen sämtliche Anfechtungstatbestände an eine Bösgläubigkeit<br />
des Anfechtungsgegners an. Dieser muss die Zahlungsunfähigkeit,<br />
den Insolvenzantrag bzw. den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz<br />
des Schuldners oder auch nur die Gläubiger benachteiligende<br />
Wirkung kennen. Bei nahestehenden Personen gem. § 138 InsO<br />
(§§ 130 Abs. 3, 131 Abs. 2 S. 2, 132 Abs. 3 InsO), aber auch in bestimmten<br />
anderen Fällen wird diese Kenntnis vermutet (§§ 133 Abs. 1<br />
S. 2 InsO, 3 Abs. 1 S. 2 AnfG).<br />
Eine Ausnahme besteht lediglich im Fall der Schenkungsanfechtung<br />
nach § 134 AnfG und im Falle der Anfechtung wegen inkongruenter<br />
Deckung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 InsO. Erbringt der Anfechtungsgegner<br />
keine Gegenleistung, ist er nicht schützenswert.<br />
Leistungen, auf die der Anfechtungsgegner keinen Anspruch hat, sind<br />
nach der Intention des Gesetzgebers von vornherein unter Gläubigerschutzgesichtspunkten<br />
zu missbilligen. Eine Bösgläubigkeit des<br />
Anfechtungsgegners ist dann nicht erforderlich.<br />
5. Maßgeblicher Zeitpunkt<br />
Für den Lauf der Anfechtungsfristen ist auf den Zeitpunkt der Vornahme<br />
der Rechtshandlung abzustellen. Nach §§ 8 Abs. 1 AnfG, 140 Abs. 1<br />
InsO ist dies der Zeitpunkt, in dem ihre rechtlichen Wirkungen eintreten.<br />
Entscheidend ist derjenige, in dem der Anfechtungsgegner durch die<br />
78 BGH ZInsO 2009, 1249 = MittBayNot 2010/ Heft 3 mit Anm. Huber: Ein Grundstück<br />
mit Verkehrswert von 495.000,00 € und einer grundpfandrechtlich gesicherten Darlehensforderung<br />
i.H.v. 744.000,00 € wurde für 400.000,00 € verkauft. Der Käufer bezahlte<br />
den Kaufpreis unmittelbar an die Grundpfandrechtsgläubigerin. Das Grundpfandrecht<br />
wurde nur i.H.v. 350.000,00 € zur Sicherung der eigenen Kaufpreisschuld<br />
dinglich übernommen und darüberhausgehend gelöscht.<br />
79 BGH NJW 1996, 3341, 3342.<br />
47
Rechtshandlung eine Stellung erlangt, die im Falle der Insolvenzeröffnung<br />
– die Anfechtung hinweggedacht – beachtet werden müsste. 80<br />
Der Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung markiert gleichzeitig<br />
den maßgeblichen Zeitpunkt für das Vorliegen der subjektiven Tatbestandsmerkmale<br />
der Anfechtung. 81 Eine spätere Kenntnis ist<br />
unschädlich. 82<br />
6. Insbesondere Immobilienrecht<br />
Besondere Bedeutung haben im Immobilienrecht die §§ 8 Abs. 2 S. 1<br />
AnfG und 140 Abs. 2 S. 1 InsO. Der anfechtungsrechtlich maßgebliche<br />
Zeitpunkt wird vorverlegt, wenn Eintragungen im Grundbuch oder einem<br />
vergleichbaren Register erforderlich sind. Voraussetzung ist, dass<br />
- die übrigen Voraussetzungen für das Wirksamwerden der Rechtshandlung<br />
erfüllt sind,<br />
- die Willenserklärung des Schuldners bindend geworden ist, und<br />
- der andere Teil den Antrag auf Eintragung der Rechtsänderung<br />
gestellt hat.<br />
7. Antrag auf Eintragung einer Vormerkung, Antragstellung durch<br />
den Notar<br />
6. Hinweis: Stellung des Antrags auf Eintragung einer Vormerkung<br />
(auch) durch den Käufer selbst<br />
Nach §§ 8 Abs. 2 S. 2 AnfG, 140 Abs. 2 S. 2 InsO wird dieser Zeitpunkt<br />
noch weiter vorverlegt, soweit lediglich Antrag auf Eintragung einer<br />
Vormerkung gestellt wird. Entscheidend ist, wann der Anfechtungsgegner<br />
durch die angefochtene Rechtshandlung eine gesicherte<br />
Rechtsstellung erlangt hat, die <strong>bei</strong> Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />
beachtet werden müsste. 83 Dies ist der Fall, wenn zugunsten des Anfechtungsgegners<br />
im Grundbuch des Schuldners eine Vormerkung eingetragen<br />
ist oder wenn dieser die Eintragung einer Vormerkung be-<br />
80<br />
Gesetzesbegründung, BT-Drs. 12/2443, 166.; MünchKomm-InsO/Kirchhof, 2. Aufl.,<br />
§ 140 Rn. 1 HK-InsO/Kreft, 5. Aufl., § 140 Rn. 2.<br />
81<br />
MünchKomm-InsO/Kirchhof, 2. Aufl., § 130 Rn. 32; HambKomm/Rogge, 3. Aufl.,<br />
§ 130 Rn. 16.<br />
82<br />
BGH ZIP 2008, 930; HambKomm/Rogge, 3. Aufl., § 130 Rn. 16; MünchKomm-<br />
InsO/Kirchhof, 2. Aufl., § 130 Rn. 32; HK-InsO/Kreft, 5. Aufl., § 130 Rn. 22.<br />
83<br />
Gesetzesbegründung, BT-Drs. 12/2443, 166.; MünchKomm-InsO/Kirchhof, 2. Aufl.,<br />
§ 140 Rn. 1 HK-InsO/Kreft, 5. Aufl., § 140 Rn. 2.<br />
48
antragt hat und der vorgemerkte oder vorzumerkende Anspruch entstanden<br />
ist (§§ 91 Abs. 2 InsO, 878 BGB). Nach § 106 InsO ist ein vormerkungsgesicherter<br />
Anspruch insolvenzfest. Auf eine bindende Auflassungserklärung<br />
und damit auf das Vorliegen eines Anwartschaftsrechts<br />
kommt es nicht an. § 8 Abs. 2 S. 2 AnfG und § 140 Abs. 2 S. 2<br />
InsO sind so zu lesen, dass Satz 1 sich hier auf die bindende materielle<br />
Bewilligung der Vormerkung als Willenserklärung des Schuldners bezieht.<br />
84<br />
Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, bleibt es <strong>bei</strong> den §§ 8 Abs. 1<br />
AnfG, 140 Abs. 1 InsO. Maßgeblich kommt es dann auf die Grundbucheintragung<br />
an. 85<br />
Grundsätzlich kann der Antrag für den anderen Teil i.S.d. § 140 Abs. 2<br />
S. 1 InsO auch durch einen Stellvertreter gestellt werden. Zulässig ist<br />
ebenso die Antragstellung durch den Notar. 86 Ein Antrag des Notars,<br />
den dieser (nur) auf der Grundlage des § 15 GBO stellt, genügt nach<br />
Ansicht des BGH für § 140 Abs. 2 S. 2 InsO nicht. 87 Eine Antragstellung<br />
gem. § 15 GBO vermittle dem „anderen Teil“ keine gesicherte Rechtsposition,<br />
denn der Notar könne einen solchen Antrag ohne Zustimmung<br />
des Berechtigten ohne weiteres wieder nach § 24 Abs. 3 S. 1 BNotO<br />
zurücknehmen. 88<br />
In der Literatur wird dieser Rechtsprechung zum Teil gefolgt, 89 zum Teil<br />
aber auch heftig widersprochen. 90<br />
Die §§ 15 GBO, 24 Abs. 3 BNotO geben dem Notar eine umfassende<br />
Vollzugsvollmacht. Eine solche Vollmacht könnte auch rechtsgeschäftlich<br />
erteilt werden und z. B. die Befugnis enthalten, Vollzugsanträge<br />
84<br />
BGH vom 10.12.2009, Az. IX ZR 203/06.<br />
85<br />
MünchKomm-InsO/Kirchhof, 2. Aufl., § 140 Rn. 29; HK-InsO/Kreft, 5. Aufl., § 140<br />
Rn. 9.<br />
86<br />
BGHZ 166,125, 133; BGH ZIP 2001, 933, 935 = NJW 2001, 2477, 2479; HK-<br />
InsO/Kreft, 5. Aufl., § 140 Rn. 10; MünchKomm-InsO/Kirchhof, 2. Aufl., § 140 Rn. 40;<br />
Hess/Weis/Wienberg, Insolvenzordnung, 2. Aufl., § 140 Rn. 31.<br />
87<br />
BGH ZIP 2001, 933, 935 = NJW 2001, 2477; MittBayNot 2009, 61; MittBayNot 2010,<br />
Heft 3, m. Anm. Huber; unklar dagegen BGH v. 10.12.2009, Az. IX ZR 203/06.<br />
88<br />
BGH ZIP 2001, 933, 935; MittBayNot 2009, 61, m. abl. Anmerkung Kesseler.<br />
89<br />
HK-InsO/Kreft, 5. Aufl., § 140 Rn. 10; MünchKomm-InsO/Kirchhof, 2. Aufl. § 140<br />
Rn. 41; Huber, MittBayNot 2010, Heft 3.<br />
90<br />
Kesseler, MittBayNot 2009, 62; Amann, DNotZ 2010, 246, 254 ff.; in diese Richtung<br />
aber auch die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 12/2443, 166; und Teile der Literatur:<br />
Uhlenbruck/Hirte, InsO, § 140 Rn. 12; Paulus, in: Kübler/Prütting, Insolvenzordnung,<br />
§ 140 Rn. 8; Hess/Weis/Wienberg, Insolvenzordnung, 2. Aufl., § 140 Rn. 31.<br />
49
zurückzunehmen. Vergleicht man die Rechtslage mit einem Anwartschaftsrecht,<br />
<strong>bei</strong> dem auf Seiten des Berechtigten ebenso ein Bevollmächtigter<br />
handelt, ist festzustellen, dass hier niemand auf die Idee<br />
kommt, am Bestehen eines Anwartschaftsrechts zu zweifeln. Auch in<br />
diesem Fall aber müsste der Berechtigte bzw. „der andere Teil“ besorgen,<br />
seine Rechtsstellung ohne eigenes Zutun durch bloße Antragsrücknahme<br />
des Bevollmächtigten wieder zu verlieren. 91 Würde man hier<br />
dem BGH folgen, müsste konsequenterweise <strong>bei</strong>m Handeln eines Vertreters<br />
mit umfassender Vollmacht das Bestehen eines Anwartschaftsrechts<br />
ebenso verneint werden. Dies geschieht – soweit ersichtlich –<br />
jedoch nirgends. 92 Entscheidend für das Vorliegen eines Anwartschaftsrechts<br />
ist allein, dass der Vollrechtserwerb nicht mehr durch eine widersprechende<br />
Verfügung des Veräußerers oder den Verlust seiner Verfügungsbefugnis<br />
gefährdet ist. 93 Unerheblich für das Vorliegen eines<br />
Anwartschaftsrechts ist, dass der Anwartschaftsberechtigte selbst durch<br />
eigenes Handeln sein Recht gefährden oder beseitigen kann. Es kommt<br />
deshalb nicht darauf an, ob der Berechtigte selbst handelt oder durch<br />
einen Dritten aufgrund rechtsgeschäftlicher bzw. gesetzlicher Vollmacht<br />
oder aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung vertreten wird.<br />
Ist aber schon das Bestehen eines Anwartschaftsrechts für den Berechtigten<br />
nicht davon abhängig, ob für ihn ein Vertreter handelt oder<br />
nicht, gilt dies erst recht im Rahmen der Anwendung der §§ 8 Abs. 2,<br />
140 Abs. 2 InsO, wo es auf das Vorliegen eines Anwartschaftsrechts<br />
gar nicht ankommt. Entscheidend ist, dass der Schuldner den Rechtserwerb<br />
des Berechtigten nicht mehr verhindern kann, sei es aufgrund<br />
Vorliegens eines Anwartschaftsrechts, sei es aufgrund der zumindest<br />
(vom Notar) beantragten Vormerkung. Eine Antragstellung durch den<br />
Notar nach § 15 GBO genügt daher. 94<br />
Für die Praxis ist indessen die gefestigte gegenteilige Rechtsprechung<br />
des BGH zu beachten. Andernfalls droht dem Anfechtungsgegner nicht<br />
nur das Risiko, dass erst mit Eigentumsumschreibung die Anfechtungsfristen<br />
zu laufen beginnen. Gefahr droht vielmehr auch und vor allem<br />
deshalb, weil dann hinsichtlich seiner Bösgläubigkeit ebenfalls erst der<br />
Zeitpunkt der Eigentumsumschreibung maßgeblich ist. Damit diese<br />
schädlichen anfechtungsrechtlichen Konsequenzen ausbleiben, wird der<br />
91<br />
Ebenso Amann, DNotZ 2010, 246, 254 ff.<br />
92<br />
Vgl. etwa Medicus, DNotZ 1990, 275; MünchKomm-BGB/Kanzleiter, 5. Aufl. § 925<br />
Rn. 35 ff.<br />
93<br />
MünchKomm-BGB/Kanzleiter, 5. Aufl. § 925 Rn. 35.<br />
94<br />
Ebenso Kesseler, MittBayNot 2009, 62; Amann, DNotZ 2010, 246, 254 ff.<br />
50
Notar zumindest sicherheitshalber stets ausdrücklich (auch) den Käufer<br />
einen eigenen Antrag auf Eintragung der Vormerkung stellen lassen. 95<br />
Aus grundbuchrechtlicher Sicht problematisch ist, ob neben dem Antrag<br />
des Notars gleichzeitig ein eigener Antrag des Käufers zulässig ist. Die<br />
Rechtsprechung und Teil der Literatur bejahen die Zulässigkeit. 96<br />
Überwiegend wird dies aber verneint. 97<br />
8. Folgen für den Anfechtungsgegner<br />
In der Gläubigeranfechtung kann sich der Anfechtungsgegner wegen<br />
der Erstattung einer Gegenleistung oder wegen eines Anspruchs, der<br />
infolge der Anfechtung wiederauflebt, nur an den Schuldner halten (§ 12<br />
AnfG). Für Forderungen des Anfechtungsgegners aus anderen, vom<br />
anfechtbaren Erwerbstatbestand unabhängigen Rechtsgründen gilt § 12<br />
AnfG nicht. Der Anfechtungsgegner kann diese Forderungen nach den<br />
allgemeinen Regeln geltend machen. 98<br />
In der Insolvenz richten sich die Rechtsfolgen für den Anfechtungsgegner<br />
nach § 144 InsO. Zwei Fälle sind zu unterscheiden:<br />
§ 144 Abs. 1 InsO erfasst den Fall, dass durch die anfechtbare Rechtshandlung<br />
eine Verbindlichkeit des Schuldners getilgt worden ist, die<br />
ihrerseits in nicht anfechtbarer Weise begründet wurde (Anfechtung nur<br />
des Verfügungsgeschäfts) oder die gegenüber dem Anfechtungsgegner<br />
nicht oder nicht wirksam angefochten wurde 99 . Gibt der Anfechtungsgegner<br />
das aufgrund einer anfechtbaren Leistung Erlangte an die Insolvenzmasse<br />
zurück, lebt seine Forderung wieder auf (§ 144 Abs. 1<br />
InsO). Zugleich mit der Forderung leben auch ihre unanfechtbar begründeten<br />
Sicherheiten auf. Bei akzessorischen Sicherheiten geschieht<br />
dies automatisch. Nicht akzessorische Sicherheiten bleiben bestehen.<br />
Wurden sie schon zurückgegeben, sind sie neu zu begründen 100 .<br />
95 In diesem Sinne Huber, MittBayNot 2010, Heft 3.<br />
96 BGHZ 71, 349 = DNotZ 1978, 696; BayObLG DNotZ 1989, 364; DNotZ 1989, 366,<br />
367; Demharter, GBO, § 31 Rn. 9; Bauch, Rpfleger 1982, 457; Nieder, NJW 1984,<br />
329.<br />
97 Schöner/Stöber, Rn. 183; Meikel/Böttcher, GBO, 10. Auflage 2009, § 15 Rn. 30;<br />
Winkler, BeurkG, 16. Auflage 2008, § 53 Rn. 8; Amann, DNotZ 2010, 246, 258.<br />
98 Huber, AnfG, 10. Aufl. § 12 Rn. 9.<br />
99 HK-InsO/Kreft, 5. Aufl. § 144 Rn. 2; MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 144 Rn. 3 und 5;<br />
Uhlenbruck/Hirte, InsO, § 144 Rn. 1 ff.<br />
100 HK-InsO/Kreft, 5. Aufl. § 144 Rn. 3 m. w. N.<br />
51
§ 144 Abs. 2 InsO erfasst die Anfechtung eines schuldrechtlich verpflichtenden<br />
Vertrages selbst 101 . Betroffen sind davon vor allem Anfechtungen<br />
nach §§ 132, 133 InsO. Hat der Anfechtungsgegner auf<br />
Grund des anfechtbaren Vertragsschlusses eine Gegenleistung erbracht,<br />
ist die Gegenleistung aus der Insolvenzmasse (nur) zu erstatten,<br />
soweit sie in dieser noch unterscheidbar vorhanden oder die Masse um<br />
ihren Wert bereichert ist. Darüber hinaus kann der Empfänger der anfechtbaren<br />
Leistung die Forderung auf Rückgewähr der Gegenleistung<br />
nur als Insolvenzgläubiger geltend machen (§ 144 Abs. 2 Satz 2 InsO).<br />
Nach § 144 Abs. 2 Satz 1, 2. Alt. InsO darf die Anfechtung nicht zu einer<br />
Bereicherung der Insolvenzmasse führen. Die Anfechtung gewährt<br />
einen Anspruch nur auf das, „was aus dem Vermögen des Schuldners<br />
herausgekommen ist“. Sonstige Vorteile – etwa Verwendungen auf den<br />
anfechtbar erhaltenen Gegenstand oder Wertsteigerungen des anfechtbar<br />
erworbenen Gegenstandes unter Einsatz eigener Mittel – dürfen<br />
dem Anfechtungsgläubiger nicht zugutekommen. 102 § 144 Abs. 2 Satz 1<br />
InsO ist dagegen nicht anwendbar, wenn der Anfechtungsgegner die<br />
Masse von einer Verbindlichkeit befreit hat. Die Insolvenzmasse (§ 35<br />
Abs. 1 InsO) ist allein das dem Schuldner gehörende Aktivvermögen.<br />
Dieses wird nicht vergrößert, wenn der Anfechtungsgegner Verbindlichkeiten<br />
des späteren Schuldners übernimmt. Der künftigen Masse fließt<br />
nichts zu. Eine befreiende Schuldübernahme wirkt sich allein auf die<br />
Summe der Insolvenzforderungen (§ 38 InsO) aus. Dieser Umstand ist<br />
ebenso wenig mit Mitteln der Masse auszugleichen wie andere Aufwendungen,<br />
die der Anfechtungsgegner im Zusammenhang mit dem<br />
angefochtenen Vertrag tätigt. Ein Ausgleich erfolgt allein über § 144<br />
Abs. 2 Satz 2 InsO (einfache Insolvenzforderung) 103 .<br />
Anderes gilt jedoch, wenn Verbindlichkeiten gegenüber einem Grundpfandrechtsgläubiger<br />
getilgt werden. Entscheidungen zur InsO liegen<br />
zwar nicht nicht vor. Grundpfandrechtsgläubiger sind jedoch nach § 49<br />
101<br />
MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 144 Rn. 13; Kreft, § 144 Rn. 4; Uhlenbruck/Hirte, InsO,<br />
§ 144 Rn. 9.<br />
102<br />
BGH, NJW 1984, 2890; NJW 1996, 3341, 3342; Huber, AnfG, 10. Aufl. 2006, § 11<br />
Rn. 32; Zeuner, Die Anfechtung in der Insolvenz, 2. Aufl. 2007, Rn. 496;<br />
MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 144 Rn. 17; HambKomm/Rogge, § 144 Rn. 21 f.; HK-<br />
InsO/Kreft, § 144 Rn. 5 – jew. m. w. N.; in diesem Sinne ebenso Jaeger/Henckel,<br />
InsO, § 143 Rn. 144 ausdrücklich für einen Anspruch auf Verwendungsersatz im<br />
Rahmen des § 143 InsO im Fall der Ablösung von Grundpfandrechten; a. A. aber RG<br />
WarnR 1927 Nr. 101, wenn Zahlungen zur Befreiung aus der Pfandhaft in Anrechnung<br />
der für den Schuldner bestimmten Gegenleistung erfolgten.<br />
103<br />
BGH vom 27.9.2007, Az.: IX ZR 74/06 = BeckRS 2007, 16641.<br />
52
InsO bevorrechtigt zu befriedigen. M. E. stellt die Ablösung eines Absonderungsrechts<br />
von daher eine vorrangig zu berücksichtigende<br />
Massebereicherung i. S. d. § 144 Abs. 2 Satz 1 InsO dar. Ähnlich entschied<br />
der BGH zum AnfG. Dort erkannte er in den vom Anfechtungsgegner<br />
abgelösten Grundpfandrechten ebenfalls bevorrechtigt zu befriedigende<br />
Aufwendungsersatzansprüche. 104<br />
9. Anfechtungssichere <strong>Vertragsgestaltung</strong>?<br />
Abschließend stellt sich die Frage, ob und wenn ja wie das Problem der<br />
Anfechtung nach dem AnfG bzw. der InsO <strong>bei</strong> der <strong>Vertragsgestaltung</strong><br />
für den Notar in den Griff zu bekommen ist. Gibt es also eine anfechtungssichere<br />
<strong>Vertragsgestaltung</strong>? Besondere Gefahren drohen <strong>bei</strong><br />
denjenigen Anfechtungstatbeständen, die eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung<br />
genügen lassen, es also ausreicht, wenn sich die<br />
gläubigerbenachteiligende Wirkung erst nachträglich herausstellt, etwa<br />
durch bloße Wertsteigerungen des anfechtbar übertragenen Grundstücks<br />
aufgrund geänderter Marktlage. 105<br />
a) Problem: Subjektive Kenntnis als Anfechtungsvoraussetzung<br />
Um es gleich vorweg zu nehmen: Eine zu 100 % „anfechtungssichere“<br />
<strong>Vertragsgestaltung</strong> gibt es nicht. Praktisch alle Tatbestände einer<br />
Gläubiger- oder Insolvenzverwalteranfechtung setzen voraus, dass der<br />
Anfechtungsgegner bösgläubig ist. Sanktioniert wird mit dem Anfechtungsrecht<br />
also die „verwerfliche Gesinnung“ des Anfechtungsgegners.<br />
Erst jüngst hat der BGH erneut seine Auffassung bestätigt,<br />
dass es für einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz als weitere Voraussetzung<br />
einer Anfechtung nicht darauf ankommt, ob es bereits im Zeitpunkt<br />
der Vornahme der später angefochtenen Rechtshandlung überhaupt<br />
Gläubiger gibt oder nicht. 106 Ob eine solche „verwerfliche Gesinnung“<br />
<strong>bei</strong>m Schuldner besteht und ob der Anfechtungsgegner davon<br />
Kenntnis hat, vermag der Notar nicht zu beurteilen und kann er mittels<br />
<strong>Vertragsgestaltung</strong> auch nicht beeinflussen. Eher umgekehrt droht die<br />
Gefahr, dass der Notar etwa durch eine zu ausführliche Belehrung erst<br />
104<br />
BGH NJW 1996, 3341, 3342; NJW 1984, 2890, 2892; NJW 1976, 1398, 1401;<br />
Amann, DNotZ 2010, 246, 261 ff.<br />
105<br />
BGH NJW 3341, 3342.<br />
106<br />
Ständige Rspr., zuletzt BGH MittBayNot 2010, 149 m. abl. Anm. Lotter; BGH WM<br />
1964, 1166, 1167; WM 1987, 881, 882; WM 1955, 407, 412; RGZ 26, 11, 13; OLG<br />
Dresden ZInsO 2007, 497, 499; MünchKomm-InsO/Kirchhof, 2. Aufl. § 133 Rn. 16.<br />
53
die Voraussetzungen der Anfechtbarkeit <strong>bei</strong>m Anfechtungsgegner<br />
schafft. 107<br />
Dennoch gibt es Möglichkeiten, zumindest teilweise das Anfechtungsrisiko<br />
zu minimieren. Es geht da<strong>bei</strong> vor allem um Fälle, in denen die<br />
Gefahr einer Anfechtung wegen einer kongruenten Deckung droht<br />
(§ 130 InsO). Hier erhält der potenzielle Anfechtungsgegner aus dem<br />
Vermögen des Schuldners eine Sicherung oder Befriedigung<br />
(Deckung), auf die er einen Anspruch hat (kongruent). 108 Eine mittelbare<br />
Gläubigerbenachteiligung genügt. Angefochten werden können solche<br />
kongruenten Deckungsgeschäfte allerdings nur, wenn sie innerhalb der<br />
letzten drei Monate vor dem Antrag auf Insolvenzeröffnung vorgenommen<br />
wurden .<br />
b) Bargeschäft<br />
7. Hinweis: In kritischen Situationen Einholung eines Wertgutachtens<br />
empfehlen<br />
Bei einem Bargeschäft gelangt an die Stelle des veräußerten Gegenstandes<br />
unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in das Vermögen<br />
des Schuldners. Nach § 142 InsO kann ein Bargeschäft nur unter den<br />
Voraussetzungen einer Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO angefochten<br />
werden. Diese Wertungen können auf die Gläubigeranfechtung<br />
nach dem AnfG übertragen werden. Dort fehlt eine ausdrückliche<br />
Regelung zum Bargeschäft. 109<br />
Gleichwertigkeit liegt vor, wenn lediglich eine Vermögensumschichtung<br />
gegeben ist, also der Leistungsaustausch nicht zu einer unmittelbaren<br />
Gläubigerbenachteiligung führt. 110 „Unmittelbar“ ist der Leistungsaustausch<br />
<strong>bei</strong> einer Zug-um-Zug-Leistung oder im Falle eines engen zeitlichen<br />
Zusammenhangs mit der Vorleistung des Schuldners. Rechtzeitig<br />
ist eine Gegenleistung im Grundstücksverkehr, wenn z. B. der Kaufpreis<br />
innerhalb der üblichen Zahlungsfristen von zwei bis vier Wochen bezahlt<br />
107<br />
Ganter, DNotZ 2004, 421 427; siehe zur Belehrung Reul/Heckschen/Wienberg, Insolvenzrecht<br />
in der Kautelarpraxis, S. 130 ff.<br />
108<br />
OLG Stuttgart ZInsO 2002, 986.<br />
109<br />
Huber, AnfG, 10. Aufl., § 1 Rn. 42.<br />
110<br />
HambKomm/Rogge, § 142 Rn. 10; HK/Kreft, InsO, § 142 Rn. 7.<br />
54
wird. 111 Wird auf die Vorleistung des Schuldners die Gegenleistung nur<br />
verzögert erbracht, liegt kein Bargeschäft vor 112 .<br />
Ein Bargeschäft scheidet ebenso aus, wenn der Kaufpreis nicht an den<br />
Verkäufer geleistet wird, sondern unmittelbar dessen Verbindlichkeiten<br />
gegenüber Dritten beglichen werden 113 . Übernimmt allerdings der<br />
Käufer <strong>bei</strong>m Kauf eines Grundstücks unter Anrechnung auf den Kaufpreis<br />
auf dem Grundstück lastende Grundpfandrechte, soll ein Bargeschäft<br />
vorliegen. 114 M. E. spricht nichts dagegen, diese Überlegungen<br />
auch auf den Fall der Lastenfreistellung durch Direktzahlung anzunehmen.<br />
Dafür streitet der Aspekt, dass es stets um die Befriedigung<br />
von absonderungsberechtigten Gläubigern geht, die in der Insolvenz bevorrechtigt<br />
zu befriedigen sind (§ 49 InsO). Rechtsprechung liegt hierzu<br />
noch nicht vor.<br />
Auf die Frage der Gleichwertigkeit der sich gegenüberstehenden<br />
Leistungen hat der Notar regelmäßig keinen Einfluss. In der Regel kann<br />
er auch nicht sicher beurteilen, ob die vereinbarte Gegenleistung dem<br />
Marktwert entspricht. Hier kann in kritischen Situationen die vorherige<br />
Einholung eines Sachverständigengutachtens sinnvoll sein. Steht eine<br />
Vorsatzanfechtung im Raum, nützt dieses auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses<br />
eingeholte Wertgutachten allerdings nichts. Bei der Vorsatzanfechtung<br />
genügt eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung. Maßgebender<br />
Zeitpunkt ist der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung im<br />
Anfechtungsprozess. Bloße nachträgliche Wertsteigerungen können<br />
also genügen. 115<br />
8. Hinweis: Von Stundungsabreden absehen<br />
Im Rahmen der <strong>Vertragsgestaltung</strong> kann der Notar aber darauf Einfluss<br />
nehmen, ob es zu einem „unmittelbaren“ Leistungsaustausch kommt<br />
oder nicht. Von daher sollte von Stundungsabreden abgeraten<br />
werden. 116<br />
111 Huber, AnfG, 10. Aufl., § 3 Rn. 46 ff.; MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 142 Rn. 20;<br />
Reul/Heckschen/Wienberg, Insolvenzrecht in der Kautelarpraxis, 148.<br />
112 HK/Kreft, InsO, § 142 Rn. 5; siehe zum Bargeschäft BGH NJW 2006, 2701 = BGHZ<br />
167, 190.<br />
113 MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 142 Rn. 4a; Jenn, ZfIR 2009, 174, 181; Kesseler,<br />
RNotZ 2004, 176, 192.<br />
114 HambKomm /Rogge, § 142 Rn. 12; Kübler/Prütting/Tintelnot, InsO, 2001, § 142<br />
Rn. 12.<br />
115 BGH NJW 1996, 3341, 3342.<br />
116 Schumacher-Hey, RNotZ 2004, 543, 551.<br />
55
9. Hinweis: Eintragung einer Vormerkung erst nach Sicherstellung<br />
des Kaufpreises auf Notaranderkonto<br />
Vorsorge zu treffen ist auch <strong>bei</strong> der Bestellung einer Vormerkung, da<br />
darin eine Vorleistung des Schuldners liegen kann. Hier kann z.B. bestimmt<br />
werden, den Antrag auf Eintragung einer Vormerkung erst zu<br />
stellen nach Einzahlung des Kaufpreises auf Notaranderkonto. 117<br />
Geschieht dies nicht, ist zum einen fraglich, ob noch ein unmittelbarer<br />
gleichwertiger Leistungsaustausch im Sinne eines Bargeschäfts nach<br />
§ 142 InsO gegeben ist. Darüber hinaus droht hier der Vorwurf einer<br />
strafbaren Bankrotthandlung nach §§ 283 ff. StGB. Betroffen ist davon<br />
auch der Notar. Nach Auffassung des RG kann sich dieser nach § 283<br />
Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar machen, wenn er die Eintragung einer Vormerkung<br />
veranlasst, ohne dass die Zahlung des Kaufpreises gesichert<br />
ist. 118<br />
c) Bestellung einer Vormerkung<br />
Für eine anfechtungssichere <strong>Vertragsgestaltung</strong> ist auch an dieser<br />
Stelle zuvörderst der Hinweis zu geben, möglichst frühzeitig den Antrag<br />
auf Grundbuchvollzug, zumindest aber den Antrag auf Eintragung einer<br />
Vormerkung zu stellen.<br />
Wichtig ist die Vormerkung zum einen wegen § 106 InsO, um das Verwalterwahlrecht<br />
auszuschließen und einen erzwingbaren Anspruch<br />
gegen die Masse zu begründen.<br />
Bedeutung hat die Vormerkung aber auch für das Anfechtungsrecht. Mit<br />
der Bestellung einer Vormerkung wird damit nach §§ 8 Abs. 2 AnfG, 140<br />
Abs. 2 InsO zum einen aber weiter erreicht, dass möglichst frühzeitig<br />
die Anfechtungsfristen zu laufen beginnen. Zum andern wird damit der<br />
Zeitpunkt festgelegt, auf den es für das Vorliegen einer unmittelbaren<br />
Gläubigerbenachteiligung und einer „verwerflichen Gesinnung“ des Anfechtungsgegners<br />
ankommt. Eine Anfechtung scheidet danach aus,<br />
wenn der z.B. der Käufer erst nach Stellung des Antrag auf Eintragung<br />
117 Vgl. Heckschen, MittBayNot 1999, 11, 15 f.; Heckschen, MittRhNotK, 1999, 11, 16;<br />
Schumacher-Hey, RNotZ 2004, 543, 551; Krauß, Immobilienkaufverträge in der<br />
Praxis, Rn. 884.<br />
118 RG DRiZ 34, 315; Stree/Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl. 2001, § 283<br />
Rn. 4; Jursnik, MittBayNot 1999, 125 (139).<br />
56
der Vormerkung gestellt wurde (§§ 8 Abs. 2 S. 2 AnfG, 140 Abs. 2 S. 2<br />
InsO) bösgläubig wird. 119<br />
Um diese Vorwirkungen der Vormerkung und ihrer Antragstellung<br />
rechtssicher zu gestalten, ist Voraussetzung allerdings – wie oben dargestellt<br />
-, dass der Anfechtungsgegner (= Käufer) selbst den Antrag<br />
<strong>bei</strong>m Grundbuchamt stellt. Eine Antragstellung durch den Notar wird<br />
von der momentanen Rechtsprechung des BGH – entgegen der hier<br />
vertretenen Ansicht – wohl nicht für ausreichend erachtet. 120 Dies ist <strong>bei</strong><br />
der <strong>Vertragsgestaltung</strong> und <strong>bei</strong>m Vollzug zu berücksichtigen.<br />
d) Direktzahlung zur Lastenfreistellung<br />
10. Hinweis: Direktzahlungen an Gläubiger des Schuldners nur<br />
zum Zwecke der Lastenfreistellung von Grundpfandrechtsgläubigern<br />
(nicht sonstiger Gläubiger)<br />
Ein besonderes Anfechtungsrisiko droht möglicherweise, wenn zum<br />
Zwecke der Lastenfreistellung der Kaufpreis ganz oder teilweise unmittelbar<br />
an abzulösende Grundpfandrechtsgläubiger geleistet wird. Ob<br />
ein Bargeschäft vorliegt, ist offen. Für einen – nicht grundpfandrechtlich<br />
gesicherten – Gläubiger, an den die Zahlungen durch den Leistenden<br />
anstelle des späteren Insolvenzschuldners erbracht werden, handelt es<br />
sich regelmäßig um eine anfechtbare inkongruente Deckung im Sinne<br />
des § 131 InsO. Der Gläubiger als Leistungsempfänger hat nur Anspruch<br />
auf Zahlung durch seinen Schuldner selbst, nicht aber auf<br />
Zahlung durch Dritte 121 . Anfechtungsgegner ist der Zahlungsempfänger,<br />
nicht aber der Zahlende 122 . Da<strong>bei</strong> ist das Vorliegen einer inkongruenten<br />
Deckung weiter ein starkes Beweisanzeichen dafür, dass der Schuldner<br />
mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz handelte und der Anfechtungsgegner<br />
dies wusste. 123<br />
119 BGH ZIP 2008, 930; HambKomm/Rogge, 3. Aufl., § 130 Rn. 16; MünchKomm-<br />
InsO/Kirchhof, 2. Aufl., § 130 Rn. 32; HK-InsO/Kreft, 5. Aufl., § 130 Rn. 22.<br />
120 BGH ZIP 2001, 933, 935 = NJW 2001, 2477; MittBayNot 2009, 61; MittBayNot 2010,<br />
Heft 3, m. Anm. Huber; unklar dagegen BGH v. 10.12.2009, Az. IX ZR 203/06; anders<br />
dagegen die Schlussfolgerungen von Amann im Hinblick auf die vorgenannte Entscheidung<br />
vom 10.12.2009, DNotZ 2010, 246, 254 ff.<br />
121 BGH NJW 1999, 3636; ZIP 2003, 356, 358; ZIP 2006, 290 = NJW 2006, 1348; Gottwald/Huber,<br />
Insolvenzrechtshandbuch, § 51 Rn. 59 und § 47 Rn. 48;<br />
HambKomm/Rogge, § 129 Rn. 32; MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 129 Rn. 49.<br />
122 BGH NJW 1999, 3636; ZIP 2003, 356, 358; ZIP 2006, 290; ZIP 2007, 1162 = ZfIR<br />
2008, 78; zuletzt BGH NZI 2008, 167 = DNotZ 2008, 454.<br />
123 BGH ZInsO 2006, 94; HambKomm /Rogge, § 133 Rn. 32.<br />
57
Ob eine solche Anfechtung wegen inkongruenter Deckung auch gegenüber<br />
grundpfandrechtlich gesicherten Gläubigern, an die Zahlungen<br />
zum Zwecke der Lastenfreistellungen erbracht werden, Platz greift, ist<br />
wiederum danach zu beurteilen, ob damit eine Gläubigerbenachteiligung<br />
einher geht. Anders als in den vom BGH entschiedenen Fällen, ist<br />
<strong>bei</strong> Grundstückskaufverträgen mit einer Direktzahlung zur Lastenfreistellung<br />
Empfänger der Drittzahlungen ein nach § 49 InsO<br />
bevorrechtigter Grundpfandrechtsgläubiger. Eine Gläubigerbenachteiligung<br />
dürfte somit ausscheiden.<br />
Der BGH bejaht im Falle einer Drittzahlung neben einer Anfechtung<br />
gegenüber dem Zahlungsempfänger ausnahmsweise auch eine gegenüber<br />
dem Zahlenden 124 unter dem Aspekt einer Vorsatzanfechtung nach<br />
§ 133 Abs. 1 InsO. Der Zahlende (Angewiesener) und der Zahlungsempfänger<br />
sind dann Gesamtschuldner nach § 426 BGB auf Rückgewähr<br />
der Leistungen zur Insolvenzmasse gem. § 143 InsO.<br />
Eine Vorsatzanfechtung greift freilich nur, wenn der Schuldner <strong>bei</strong><br />
Abschluss der Verrechnungsabrede (hier <strong>bei</strong> Abschluss des Kaufvertrages<br />
mit der Vereinbarung über die Direktzahlung) mit dem Vorsatz<br />
gehandelt hat, seine Gläubiger zu benachteiligen und wenn dem Käufer<br />
dieser Benachteiligungsvorsatz bekannt war. Der BGH bejaht einen<br />
solchen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz, wenn der Schuldner <strong>bei</strong><br />
Vornahme der Rechtshandlung die Benachteiligungen der Gläubiger im<br />
Allgemeinen als Erfolg seiner Rechtshandlung gewollt oder als<br />
mutmaßliche Folge – sei es auch als unvermeidliche Nebenfolge eines<br />
an sich erstrebten anderen Vorteils – erkannt und gebilligt hat. Ein<br />
Schuldner, der seine Zahlungsunfähigkeit kennt, handelt in aller Regel<br />
mit Benachteiligungsvorsatz 125 . Auch wenn im Verhältnis zwischen dem<br />
Schuldner und dem Zahlungsempfänger eine inkongruente Deckung<br />
gegeben ist, in der ein erhebliches Beweisanzeichen für eine Kenntnis<br />
von dem Benachteiligungsvorsatz des Schuldners liegt 126 , ist diese<br />
Indizwirkung hier ohne Bedeutung 127 . Der Angewiesene als Zahlender<br />
muss sich die an die Inkongruenz anknüpfenden Beweiswirkungen nicht<br />
anrechnen lassen.<br />
124 BGH NZI 2008, 167 = DNotZ 2008, 454<br />
125 BGHZ 155, 75, 83 f., BGH NZI 2008, 167.<br />
126 BGH NJW 2006, 1348.<br />
127 BGH NZI 2008, 167, 169 f.<br />
58
M. E dürften im Regelfall die Voraussetzungen einer solchen Vorsatzanfechtung<br />
nach § 133 InsO nicht gegeben sein. Die Direktzahlung <strong>bei</strong><br />
einem Grundstückskaufvertrag zum Zwecke der Lastenfreistellung ist<br />
ein „üblicher Geschäftsvorgang.“ 128 Hieraus kann nicht die Absicht des<br />
Insolvenzschuldners entnommen werden, seine Gläubiger zu benachteiligen.<br />
Eine Anfechtung ist dagegen zu bejahen, wenn eine Direktzahlung an<br />
nicht grundpfandrechtlich gesicherte Gläubiger des Verkäufers geht.<br />
Diese haben kein bevorrechtigtes Befriedigungsrecht. Von einer solchen<br />
<strong>Vertragsgestaltung</strong> ist dringend abzuraten.<br />
e) Abwarten des kritischen Zeitraums von drei Monaten<br />
11. Hinweis: Nur <strong>bei</strong> Notverkäufen/in Zweifelsfällen: Fälligkeit des<br />
Kaufpreises oder Auszahlungen vom Notaranderkonto erst nach<br />
Ablauf des kritischen 3-Monats-Zeitraums<br />
Besonders hoch ist das Risiko einer Insolvenzverwalteranfechtung nach<br />
§§ 130 – 131 InsO wegen kongruenter oder inkongruenter Deckung in<br />
den letzten drei Monaten vor dem Insolvenzantrag. Hier genügt grundsätzlich<br />
eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung. Ebenso können nach<br />
§ 132 InsO Rechtsgeschäfte des Schuldners innerhalb dieser letzten<br />
drei Monate vor dem Insolvenzeröffnungsantrag wegen unmittelbarer<br />
Gläubigerbenachteiligung <strong>bei</strong> Bösgläubigkeit des Anfechtungsgegners<br />
angefochten werden. Erfasst sind davon z. B. Notverkäufe weit unter<br />
Wert, mit denen der Schuldner fehlende Liquidität zu gewinnen sucht.<br />
Eine Anfechtung nach §§ 130, 131 InsO greift hier nicht in jedem Fall. 129<br />
Insolvenzschutz kann zunächst dadurch erreicht werden, dass eine<br />
gleichwertige Gegenleistung erbracht und dies mittels Wertgutachten<br />
bestätigt wird. Eine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung liegt im Zeitpunkt<br />
der Vornahme der Rechtshandlung dann nicht vor.<br />
Das Anfechtungsrisiko kann hier weiter dadurch minimiert werden, dass<br />
Leistungen des Anfechtungsgegners erst nach Ablauf von drei Monaten<br />
fällig gestellt werden oder Auszahlungen vom Notaranderkonto erfolgen.<br />
Damit wird gleichzeitig verhindert, dass z. B. der Vormerkungsschutz<br />
infolge Rückschlagssperre nach § 88 InsO unwirksam wird. Stehen sich<br />
128 BGH NZI 2008, 167, 170.<br />
129 MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 132 Rn. 1.<br />
59
ei Vornahme der Rechtshandlung Leistung und Gegenleistung gleichwertig<br />
gegenüber, scheidet eine Anfechtung aus. Nachträgliche Wertverschiebungen<br />
spielen keine Rolle.<br />
Im Hinblick auf die Fälligkeitsmitteilung bzw. auf die Auszahlung vom<br />
Notaranderkonto könnte z. B. darauf abgestellt werden, <strong>bei</strong>m örtlich zuständigen<br />
Insolvenzgericht (§§ 3 InsO, 12, 13 ZPO) nachzufragen, ob<br />
ein Insolvenzantrag gestellt wurde oder nicht. Hierüber könnte der Notar<br />
eine Eigenurkunde errichten. Ggf. kann als weitere Fälligkeitsvoraussetzung<br />
die Tatsache des fehlenden Insolvenzantrags nach Ablauf von<br />
drei Monaten vereinbart werden. Dies erscheint m.E. aber nicht<br />
zwingend. Soweit dies nicht der Fall ist und die Fälligkeit nach drei<br />
Monaten mitgeteilt wird, ist es dann Sache des Käufers, ob er – trotz<br />
Insolvenzantrag innerhalb von drei Monaten und entsprechenden<br />
Risikohinweises des Notars – den Kaufpreis bezahlt oder nicht. Ob ihm<br />
in diesem Fall ein Zurückbehaltungsrecht nach § 321 BGB zusteht, ist<br />
denkbar. Die eingetragene Vormerkung genügt als Sicherheit wohl<br />
nicht, wenn das Risiko der Anfechtbarkeit besteht.<br />
Bei Abwicklung über Notaranderkonto muss der Notar entscheiden, ob<br />
er auszahlt oder nicht. Hier muss m.E. als Auszahlungsvoraussetzung<br />
vereinbart werden, dass zum Zeitpunkt der Auszahlung (nach drei<br />
Monaten) <strong>bei</strong>m örtlich zuständigen Insolvenzgericht kein Insolvenzantrag<br />
gestellt wurde. Andernfalls ist der Käufer nicht geschützt.<br />
f) Sonstige Anfechtungstatbestände<br />
Von vornherein keine Rolle spielt der 3-Monats-Zeitraum <strong>bei</strong> der<br />
Gläubigeranfechtung nach dem AnfG. Nach Ablauf dieser drei Monate<br />
kommt nur noch eine Anfechtung wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung,<br />
wegen einer unentgeltlichen Leistung bzw. wegen entgeltlichen<br />
Leistungen mit nahestehenden Personen in Betracht (§§ 133,<br />
134 InsO). Gleiches gilt nach dem AnfG.<br />
Einen besonderen Schutz vor dem Anfechtungsrisiko außerhalb dieses<br />
3-Monats-Zeitraums kann die <strong>Vertragsgestaltung</strong> praktisch nicht leisten:<br />
aa) Schenkungsanfechtung, Vorsatzanfechtung<br />
Bei einer vorsätzlichen Gläubigerbenachteiligung oder <strong>bei</strong> einer Anfechtung<br />
wegen Unentgeltlichkeit genügt eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung.<br />
Die Anfechtungsfrist beträgt <strong>bei</strong> der Schenkungs-<br />
60
anfechtung vier Jahre und <strong>bei</strong> der Vorsatzanfechtung zehn Jahre. In<br />
<strong>bei</strong>den Fällen scheidet ein Schutzbedürfnis des Anfechtungsgegners<br />
von vornherein weitgehend aus:<br />
Der Anfechtungsgegner erbringt entweder schon gar keine Gegenleistung<br />
und bedarf deshalb <strong>bei</strong> der Schenkungsanfechtung keines besonderen<br />
Schutzes.<br />
Oder der Anfechtungsgegner ist im Falle der Vorsatzanfechtung wegen<br />
seiner Bösgläubigkeit per se nicht schützenswert. Dies gilt namentlich<br />
auch in dem Fall, dass der Anfechtungsgegner zunächst im Rahmen<br />
eines Bargeschäfts eine unmittelbare und gleichwertige Gegenleistung<br />
erbringt. Kommt es nachträglich zu Wertsteigerungen des anfechtbar<br />
übertragenen Grundstücks (mittelbare Gläubigerbenachteiligung) und<br />
greift eine Vorsatzanfechtung Platz, hilft das Vorliegen eines Bargeschäfts<br />
nichts. Unter den Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung<br />
kann auch ein Bargeschäft angefochten werden (§ 142 InsO).<br />
Ist in einem solchen Fall die Anfechtung statthaft und ist der anfechtbar<br />
erworbene Grundbesitz an die Masse zurückzugewähren (§ 143 InsO),<br />
kann ein (gewisser) Schutz für den Anfechtungsgegner jedoch dann<br />
erreicht werden, wenn der Anfechtungsgegner zumindest die von ihm<br />
erbrachte Gegenleistung bevorrechtigt zurückerhält und nicht lediglich<br />
auf die Insolvenzquote verwiesen ist. Eine solche bevorrechtigte Befriedigung<br />
steht dem Anfechtungsgegner aber nur zu, wenn er aus<br />
eigenen Mitteln eine Wertsteigerung des anfechtbar weggegebenen<br />
Grundstücks erreicht hat. Dies ist z. B. der Fall, wenn er selbst absonderungsberechtigte<br />
Gläubiger befriedigt hat. Derartige Wertsteigerungen<br />
aufgrund Verwendung eigener Mittel dürfen der Insolvenzmasse<br />
nicht zugute kommen und sind bevorrechtigt zurückzuerstatten.<br />
130<br />
Für die <strong>Vertragsgestaltung</strong> folgt hieraus, soweit als möglich die Gegenleistung<br />
zur Lastenfreistellung zu verwenden. Gelingt dies nicht, weil<br />
etwa Teile des Kaufpreises nicht für die Lastenfreistellung benötigt<br />
werden, und werden diese Zahlungen an den späteren Insolvenzschuldner<br />
erbracht, bleibt es da<strong>bei</strong>, dass diese Teile der Gegenleistung<br />
nur als einfache Insolvenzforderungen geltend gemacht werden können<br />
und nur mit der Insolvenzquote befriedigt werden. Hier kann die <strong>Vertragsgestaltung</strong><br />
keinen weiteren Schutz gewähren.<br />
130<br />
BGH NJW 1996, 3341, 3342; NJW 1984, 2890, 2892; NJW 1976, 1398, 1401;<br />
Amann, DNotZ 2010, 246, 261 ff.<br />
61
) Anfechtung entgeltlicher Leistungen mit nahestehenden Personen<br />
Bei einer Anfechtung einer entgeltlichen Leistung mit nahestehenden<br />
Personen ist Voraussetzung eine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung.<br />
Es gilt eine zwei-jährige Anfechtungsfrist. Es kommt<br />
auf den Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung an. Liegt eine<br />
solche unmittelbare Gläubigerbenachteiligung in diesem Zeitpunkt nicht<br />
vor, droht dem redlichen Gläubiger, der nur beabsichtigt, das zu erhalten,<br />
was ihm nach dem Vertrag zusteht (kongruente Deckung), kein<br />
Risiko. Auch hier kann es hilfreich sein, wenn zum Nachweis der<br />
Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung ein Wertgutachten<br />
eingeholt wird.<br />
Nachfolgende Wertsteigerungen, wie sie <strong>bei</strong> einer mittelbaren<br />
Gläubigerbenachteiligung seinen Rechtserwerb gefährden könnten, sind<br />
dann für den Anfechtungsgegner ohne Bedeutung.<br />
Freilich droht auch hier die Gefahr, dass der Insolvenzverwalter seine<br />
Anfechtung mit einer Vorsatzanfechtung begründet. Bedingter Vorsatz<br />
genügt. 131 Festzustellen ist da<strong>bei</strong> allerdings, dass der Schuldner, der<br />
nur seine Verbindlichkeiten gegenüber dem Gläubiger erfüllt, nicht<br />
schon mit Benachteiligungsvorsatz handelt. Für die Vorsatzanfechtung<br />
ist <strong>bei</strong> kongruenten Deckungsgeschäften stets ein unlauteres Verhalten<br />
des Schuldners zu fordern. 132 Das Bewusstsein, infolge der Erfüllung<br />
einer Verpflichtung nicht alle Gläubiger befriedigen zu können, reicht<br />
nicht aus. Selbst der Schuldner, der seine Überschuldung kennt, dem<br />
es aber mehr auf die Erfüllung seiner Vertragspflichten als auf die<br />
Schädigung der übrigen Gläubiger ankommt, handelt nicht mit Benachteiligungsvorsatz.<br />
133 Vorsätzlich handelt der Schuldner dagegen,<br />
wenn es ihm weniger auf die Erfüllung seiner Verbindlichkeiten als auf<br />
die Schädigung der übrigen Gläubiger durch Beseitigung von Zugriffsobjekten<br />
oder auf die Begünstigung seines Vertragspartners an-<br />
131 BGH MittBayNot 2010, 149; NJW 2006, 2701, 2702; ZInsO 2007, 819, 820; Kirchhof,<br />
in: MünchKomm-InsO, § 132 Rn. 13 ff.; Uhlenbruck/Hirte, § 133 Rn. 12 ff.<br />
132 BGHZ 12. 232, 238; Huber, AnfG, 10. Aufl., § 3 Rn. 36; Kirchhof, in: MünchKomm-<br />
InsO, § 132 Rn. 33 ff.; Uhlenbruck/Hirte, § 133 Rn. 18 ff.<br />
133 BGH NJW 1991, 2144, 2145; Huber, AnfG, 10. Aufl., § 3 Rn. 36; Kirchhof, in:<br />
MünchKomm-InsO, § 132 Rn. 33a; vgl. dazu aber BGH MittBayNot 2010, 149,<br />
m. Anm. Lotter.<br />
62
kommt. 134 Dies kann der Fall sein, wenn der Schuldner an einen<br />
Gläubiger ein Grundstück verkauft, um dem Gläubiger die Möglichkeit<br />
zu geben, mittels Aufrechnung seine offenen Forderungen zu tilgen.<br />
Hier droht eine Anfechtung wegen inkongruenter Deckung nach § 131<br />
InsO mit dem Argument, der Gläubiger habe keine Anspruch auf Befriedigung<br />
mittels Aufrechnung. Ebenso droht ggf. eine Vorsatzanfechtung<br />
nach § 133 Abs. 1 und Abs. 2 InsO. Die Aufrechnung ist<br />
nach § 96 Abs 1 Nr. 3 InsO in <strong>bei</strong>den Fällen unzulässig. 135 Keine Anfechtung<br />
droht in diesem Fall mangels Gläubigerbenachteiligung, wenn<br />
der Käufer, zu dessen Gunsten die Aufrechnungslage hergestellt wurde,<br />
insolvenzbeständiges Sicherungseigentum hatte. 136 Gleiches gilt, wenn<br />
der Käufer als Grundpfandrechtsgläubiger absonderungsberechtigt und<br />
damit vorrangig zu befriedigen ist (§ 49 InsO).<br />
Zu beachten ist hier die Beweislastumkehr nach §§ 3 Abs. 2 AnfG, 133<br />
Abs. 2 S. 2 InsO. Auch <strong>bei</strong> einem kongruenten Deckungsgeschäft hat<br />
der Anfechtungsgegner seine Redlichkeit zu beweisen. 137<br />
g) Sonderfall: Lastenfreistellung <strong>bei</strong> wertausschöpfend belasteten<br />
Grundstücken<br />
12. Hinweis: Bewirken der Lastenfreistellung <strong>bei</strong> (wertausschöpfend)<br />
belasteten Grundstücken nur mit eigenen Mitteln des<br />
Käufers bzw. mittels Schuldübernahme unmittelbar gegenüber<br />
dem abzulösenden Gläubiger; ggf. Vereinbarung eines Rücktrittsrechts<br />
Werden wertausschöpfend mit Grundpfandrechten belastete Grundstücke<br />
veräußert, liegt keine Gläubigerbenachteiligung vor.<br />
Grundsätzlich droht kein Anfechtungsrisiko, wenn der Käufer die<br />
Lastenfreistellung vollständig durch eigene Mittel bewirkt oder er den<br />
Grundbesitz mit allen Belastungen unter Anrechnung auf den Kaufpreis<br />
übernimmt. 138<br />
134<br />
BGH NJW 1969, 1719; NJW 1984, 1893, 1898; NJW 1994, 2893, 2895; OLG<br />
Dresden ZIP 2003, 1052, 1053; Kirchhof, in: MünchKomm-InsO, § 132 Rn. 33a;<br />
Uhlenbruck/Hirte, § 133 Rn. 19.<br />
135<br />
BGH NZI 2004, 620; NZI 2009, 67, mit Anm. Huber.<br />
136<br />
BGH NZI 2004, 620.<br />
137<br />
Huber, AnfG, 10. Aufl., § 3 Rn. 64.<br />
138<br />
Vgl. BGH DNotZ 2009, 844 = MittBayNot 2010, Heft 3 mit Anm. Huber.<br />
63
Anders ist es, wenn die Lastenfreistellung dagegen (teilweise) noch<br />
durch den Verkäufer mit eigenen Mitteln bewirkt wird oder dieser einen<br />
(teilweisen) Forderungsverzicht mit den abzulösenden Gläubigern aushandelt.<br />
139 Bleibt der Kaufpreis hinter dem Verkehrswert zurück, liegt<br />
trotz wertausschöpfender Belastung eine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung<br />
vor, die zur Anfechtung berechtigt. 140 Auch eine mittelbare<br />
Gläubigerbenachteiligung ist gegeben, denn hier hat der Käufer die<br />
Lastenfreistellung gerade nicht mit eigenen Mitteln beseitigt. 141 Allein<br />
das Vorliegen einer wertausschöpfenden Belastung im Zeitpunkt der<br />
Veräußerung genügt also nicht, um ein Anfechtungsrisiko auszuschließen.<br />
Bei einer mittelbaren Gläubigerbenachteiligung (z. B. §§ 3<br />
Abs. 1, 4 AnfG, 130, 131, 133 Abs. 1, 134 InsO), reicht es aus, wenn<br />
diese erst in der letzten mündlichen Tatsacheninstanz feststeht.<br />
Zuvörderst ist hier im Rahmen der <strong>Vertragsgestaltung</strong> und -abwicklung<br />
darauf zu achten, möglichst früh den anfechtungsrechtlich maßgeblichen<br />
Zeitpunkt für die Vornahme der Rechtshandlung (Lauf der Anfechtungsfrist)<br />
als auch für die Bösgläubigkeit des Anfechtungsgegners<br />
festzulegen. Es sollte daher so schnell als möglich Antrag auf Eintragung<br />
einer Vormerkung gestellt werden (§ 140 Abs. 2 S. 1 InsO). Im<br />
Hinblick auf die entgegenstehende Rechtsprechung sollte da<strong>bei</strong> nicht<br />
allein auf eine Antragstellung durch den Notar vertraut werden. Vielmehr<br />
sollte ausdrücklich ein eigener Antrag des Erwerbers (Käufers) neben<br />
oder anstelle des Antrags des Notars gestellt werden. 142<br />
Inwieweit in dieser Konstellation im Übrigen das Anfechtungsrisiko<br />
mittels <strong>Vertragsgestaltung</strong> in den Griff zu bekommen ist, ist letztlich<br />
davon abhängig, welcher konkrete Anfechtungstatbestand droht:<br />
Soweit <strong>bei</strong> den einzelnen Anfechtungstatbeständen eine unmittelbare<br />
Gläubigerbenachteiligung genügt (§§ 132, 133 Abs. 2 InsO, 3 Abs. 2<br />
AnfG), besteht ein Risiko nicht, wenn die Lastenfreistellung ohne Mitwirkung<br />
des Verkäufers erreicht wird, z. B. durch eine vollständige<br />
Schuldübernahme der dinglich gesicherten Forderungen durch den<br />
Käufer und einem Forderungsverzicht der Gläubiger unmittelbar im Verhältnis<br />
zwischen Käufer und Gläubiger. Es ist darauf abzustellen, dass<br />
es allein der Vertragspartner des Schuldners ist, der die Lastenfrei-<br />
139 Vgl. dazu Amann, DNotZ 2010, 246 ff.<br />
140 BGH DNotZ 2009, 844 = MittBayNot 2010, Heft 3 mit Anm. Huber.<br />
141 Huber, MittBayNot 2010, Heft 3.<br />
142 BGH ZIP 2001, 933, 935 = NJW 2001, 2477; MittBayNot 2009, 61; MittBayNot 2010,<br />
Heft 3, m. Anm. Huber; unklar dagegen BGH v. 10.12.2009, Az. IX ZR 203/06.<br />
64
stellung mit eigenen Mitteln bewirkt, nicht aber der Schuldner. 143 Nur<br />
dann kann sich der Vertragspartner auf die wertausschöpfende Belastung<br />
berufen. Zum Schutz des Käufers ist im Vertrag ein Rücktrittsrecht<br />
zu vereinbaren für den Fall, dass sich ein solcher Forderungsverzicht<br />
der Gläubiger nicht realisieren lässt.<br />
Genügt dagegen eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung, wie etwa <strong>bei</strong><br />
einer Anfechtung wegen kongruenter oder inkongruenter Deckung,<br />
droht Gefahr lediglich für den kritischen Drei-Monats-Zeitraum (§§ 130,<br />
131 InsO). Mittels Hinausschieben der Fälligkeit bzw. des Zeitpunkts der<br />
Auszahlung vom Notaranderkonto kann hier das Anfechtungsrisiko<br />
vermieden werden.<br />
Eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung genügt ebenso <strong>bei</strong> einer Vorsatzanfechtung.<br />
Da hier aber eine 10-jährige Anfechtungsfrist besteht<br />
und auch Bargeschäfte von einer Anfechtung nicht ausgenommen sind<br />
(§§ 3 Abs. 1 AnfG, 133 Abs. 1 InsO), bringt hier eine Hinausschieben<br />
der Fälligkeit bzw. eine im Zeitpunkt der Vertragsdurchführung erbrachte<br />
gleichwertige Gegenleistung nichts. Eine Anfechtung wegen<br />
später eintretender Wertsteigerungen ist dadurch nicht ausgeschlossen.<br />
Ist indessen vertraglich vorgesehen, dass der spätere Anfechtungsgegner<br />
Leistungen zum Zwecke der Lastenfreistellung (nur) an abzulösende<br />
Gläubiger erbringt, hat er im Falle der Anfechtung dann einen<br />
auch in der Insolvenz bevorrechtigt zu befriedigenden Anspruch auf<br />
Aufwendungsersatz. Damit sichert die <strong>Vertragsgestaltung</strong> immerhin<br />
einen Ersatz dieser Aufwendungen. Werden Leistungen jedoch (auch)<br />
an den späteren Insolvenzschuldner selbst erbracht, können diese nach<br />
einer Anfechtung lediglich als einfache Insolvenzforderungen geltend<br />
gemacht werden. Mehr kann die <strong>Vertragsgestaltung</strong> in diesem Fall nicht<br />
leisten. Ein weiterer Schutz ist in diesem Fall der Vorsatzanfechtung<br />
mangels Schutzbedürftigkeit des bösgläubigen Anfechtungsgegners<br />
auch nicht angezeigt.<br />
h) Sicherung des Anfechtungsrisikos nur im Einzelfall<br />
Die vorstehenden Überlegungen gelten nicht standardmäßig für jeden<br />
Vertrag. In Betracht kommen diese Regelungen vielmehr nur dann,<br />
wenn ein Anfechtungsrisiko virulent ist. Dies ist z.B. der Fall <strong>bei</strong> einem<br />
Notverkauf, wenn allen Beteiligten die kritische finanzielle Situation des<br />
Verkäufers bekannt ist, die Beteiligten aber gleichwohl auf dem Ver-<br />
143 BGH NJW 1984, 2890, 2892; NJW 1996, 3341; Huber, AnfG, 10. Aufl. § 1 Rn. 41.<br />
65
tragsschluss bestehen. Wollen die Beteiligten nicht ein etwaiges Insolvenzverfahren<br />
und den Vertragsschluss mit dem Insolvenzverwalter<br />
abwarten, bieten die vorstehenden Überlegungen zumindest einen teilweisen<br />
Schutz vor den Rechtsfolgen einer Anfechtung. Ein weiterer<br />
Schutz ist weder möglich noch angezeigt. Eine Anfechtung ist dann nur<br />
noch <strong>bei</strong> Vorsatz und einer verwerflichen Gesinnung des Anfechtungsgegners<br />
denkbar. Die Beteiligten sind dann nicht schutzwürdig.<br />
VIII. Sonderfall: Insolvenz eines wegzufertigenden Gläubigers<br />
Soll ein im Grundbuch eingetragenes beschränktes dingliches Recht<br />
gelöscht werden, ist nach materiellem Recht dafür eine Aufgabeerklärung<br />
des Berechtigten gem. § 875 BGB sowie die Löschung des<br />
Rechts im Grundbuch erforderlich. Die Löschung im Grundbuch selbst<br />
erfolgt aufgrund Löschungsbewilligung des Berechtigten nach § 19<br />
GBO.<br />
1. Löschungsbewilligung des Insolvenzschuldners oder des<br />
Insolvenzverwalters<br />
Fäll das wegzufertigende Recht in die Insolvenzmasse fällt, ist die<br />
Aufgabeerklärung und Löschungsbewilligung Insolvenzverwalters erforderlich.<br />
Dies beurteilt sich nach §§ 35, 36 InsO. In die Insolvenzmasse<br />
fallen Grundpfandrechte, subjektiv-persönliche Reallasten 144 und<br />
der Nießbrauch, Dienstbarkeiten und ein dingliches Wohnungsrecht<br />
dagegen nur dann, wenn nach § 1092 BGB die Übertragung der Ausübung<br />
gestattet ist.<br />
Ist für die Erteilung der Löschungsbewilligung der Insolvenzverwalter<br />
zuständig, stellt sich wiederum die Frage, ob dieser auch verpflichtet ist,<br />
die Löschungsbewilligung zu erteilen. Dies ist der Fall, wenn der<br />
Löschungsanspruch mittels Vormerkung gesichert ist (§ 106 Abs. 1 S. 1<br />
InsO). Andernfalls ist der Löschungsanspruch nur eine einfache Insolvenzforderung,<br />
in Geld umzurechnen und mit der Insolvenzquote zu<br />
befriedigen (§§ 38, 45, 159 InsO).<br />
2. Insbesondere Löschung einer Sicherungsgrundschuld<br />
Handelt es sich <strong>bei</strong> dem wegzufertigenden Recht um eine Sicherungsgrundschuld,<br />
stellt sich weiter die Frage, ob der Insolvenzverwalter an<br />
144 Vgl. Schöner/Stöber, Rn. 1313.<br />
66
die Abreden der Sicherungsvereinbarung gebunden ist und das Recht<br />
ohne weitere Gegenleistung löschen lassen muss oder ob er die Grundschuld<br />
in Höhe ihres Nominalwertes zuzüglich Zinsen und Nebenleistung<br />
unabhängig von diesen Vereinbarungen verwerten kann (durch<br />
freihändige Veräußerung oder im Wege der Zwangsversteigerung nach<br />
§ 1147 BGB). Regelmäßig wird de Löschungsanspruch <strong>bei</strong> einer<br />
Sicherungsgrundschuld nicht mit einer Vormerkung gesichert. § 106<br />
InsO hilft also nicht weiter.<br />
Im Grunde ist davon auszugehen, dass der Insolvenzverwalter im<br />
Rahmen seiner Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nach § 80 InsO<br />
darin frei ist, ob und wenn ja unter welchen Bedingungen er zur Insolvenzmasse<br />
gehörende Rechte aufgibt und deren Löschung bewilligt.<br />
Andererseits ist der Insolvenzverwalter gehalten, das zur Insolvenzmasse<br />
gehörende Vermögen des Schuldners zum Zwecke der gleichmäßigen<br />
Gläubigerbefriedigung bestmöglich zu verwerten (§§ 1, 159<br />
InsO). Er wird daher bestrebt sein, für die Löschung eines Rechts eine<br />
möglichst hohe „Gegenleistung“ zu erhalten.<br />
Wurde <strong>bei</strong> Bestellung des Rechts für den späteren Insolvenzschuldner<br />
gleichzeitig ein Anspruch auf Aufgabe und Löschung des Rechts zugunsten<br />
des Grundstückseigentümers vereinbart, handelt es sich um<br />
einen einfachen schuldrechtlichen Anspruch, der eine nicht privilegierte<br />
Insolvenzforderung nach § 38 InsO begründet. Der Insolvenzverwalter<br />
ist an die Vereinbarung nicht gebunden. Anders ist die Rechtslage dagegen,<br />
wenn der Anspruch auf Aufgabe und Löschung ein<br />
Absonderungs- oder Aussonderungsrecht nach §§ 47 ff. InsO begründet<br />
oder mittels Vormerkung gesichert ist (§ 106 InsO).<br />
Wird ein Recht zur Sicherung einer schuldrechtlichen Forderung bestellt,<br />
ist jedoch anerkannt, dass dieses Recht Treuhandcharakter hat<br />
(Sicherungstreuhand). Der Gläubiger hält das Recht nur treuhänderisch<br />
zur Sicherheit. Nach h.M. besteht auf Grund dieses Sicherungscharakters<br />
in der Insolvenz des Gläubigers = Sicherungsnehmers =<br />
Treuhänders für den Sicherungsgeber = Treugeber ein Aussonderungsrecht<br />
nach § 47 InsO. Danach kann er seinen Rückgewähranspruch<br />
gegen den Insolvenzverwalter unter denselben Voraussetzungen<br />
geltend machen wie vor der Insolvenz des Sicherungsnehmers 145 . Bei<br />
Sicherungsgrundschulden hat der an sich nur schuldrechtlich wirkende<br />
145<br />
Clemente, Recht der Sicherungsgrundschuld, 4. Aufl. 2008, Rn. 1024; MünchKomm-<br />
InsO/Ganter, § 47 Rn. 341, 375.<br />
67
Rückgewähranspruch damit (ausnahmsweise) „Aussonderungskraft“ 146<br />
Der Insolvenzverwalter ist danach an die zwischen Insolvenzschuldner<br />
und Sicherungsgeber getroffene Sicherungsabrede gebunden 147 .<br />
Voraussetzung für die Geltendmachung des Aussonderungsrechts ist<br />
die Erfüllung der gesicherten Forderung oder die Tatsache, dass der<br />
zwischen den Parteien vereinbarte Sicherungszweck auf andere Weise<br />
entfallen ist 148 . Bis dahin kann der Insolvenzverwalter des Sicherungsnehmers<br />
die Zurückgabe der Sicherheit verweigern 149 .<br />
Allerdings schränkt der BGH diese allgemeinen Grundsätze zur<br />
Sicherungstreuhand im Liegenschaftsrecht nunmehr dahingehend ein,<br />
dass dort ein Aussonderungsrecht des „Treugebers“ immer nur dann<br />
besteht, wenn der Anspruch des Treugebers auf Änderung der dinglichen<br />
Rechtslage durch Vormerkung gesichert ist 150 . Die Entscheidung<br />
betraf das Volleigentum, nicht dagegen eine Sicherungsgrundschuld. In<br />
der Entscheidung hat es der BGH ausdrücklich offengelassen, ob diese<br />
Grundsätze auch auf diejenigen dinglichen Rechte an Grundstücken<br />
anwendbar sind, die – wie Mobilien – außerhalb des Grundbuchs übertragen<br />
werden können 151 . Insoweit unterscheidet der BGH selbst<br />
zwischen Buch- und Briefrechten. Unklar ist daher, ob diese Entscheidung<br />
auch auf Sicherungsgrundschulden Anwendung findet 152 . Die<br />
überwiegende Ansicht in der Literatur verneint dies 153 . Dieser Auffassung<br />
ist zu folgen 154 . Bei Grundschulden, zumal <strong>bei</strong><br />
Sicherungsgrundschulden, existiert im Rechtsverkehr von vornherein<br />
146 MünchKomm-InsO/Ganter, § 47 Rn. 341, 371 ff.; Kreft/Lohmann, InsO, § 47 Rn. 21;<br />
Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht/Büchler, § 47 Rn. 32, 39.<br />
147 Clemente, Recht der Sicherungsgrundschuld, Rn. 1024.<br />
148 MünchKomm-InsO/Ganter, § 47 Rn. 375; Kreft/Lohmann, InsO, § 47 Rn. 21;<br />
Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht/Büchler, § 47 Rn. 39.<br />
149 MünchKomm-InsO/Ganter, § 47 Rn. 375;<br />
150 BGHZ 155, 227 = DNotZ 2004, 128 = NJW 2003, 3414; zustimmend MünchKomm-<br />
InsO/Ganter, § 47 Rn. 390c; Armbrüster, DZWiR 2003, 485 ff.; Pause/Vogel, NZBau<br />
2009, 10, 11; vgl. auch BGHZ 166, 319 = DNotZ 2006, 685 zur fehlenden Insolvenzfestigkeit<br />
des gesetzlichen Löschungsanspruchs nach § 1179a BGB, s. hierzu ausf.<br />
Schmucker, FS Wolfsteiner, 189 ff.<br />
151 BGHZ 55, 227.<br />
152 Bejahend Pause/Vogel, NZBau 2009, 10, 11, ohne die Frage weiter zu<br />
problematisieren. Undifferenziert in diese Richtung ebenso MünchKomm-<br />
InsO/Ganter, § 47 Rn. 390c; Frankfurter Kommentar zur InsO/Joneleit/imberger, § 47<br />
Rn. 41, Braun/Bäuerle, InsO, § 47 Rn. 65.<br />
153 Leitzen, ZfIR 2008, 823, 824 f.; Stürner, KTS 2004, 259, 264 ff.; Fleckner, ZIP 2004,<br />
585, 590; Bitter, WM 2003, 2068, 2069 f.: „über das Ziel hinaus geschossen;“<br />
Jaeger/Henckel, InsO § 47 Rn. 79; Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 50 Rn. 40;<br />
Clemente, Die Sicherungsgrundschuld, Rn. 1024; BeckOK-BGB/Rothe, 2. Auflage<br />
2007, § 1192 Rn. 242.<br />
154 Leitzen, ZfIR 2008, 823, 824 f.<br />
68
kein Vertrauen, dass der Vermögenswert zum Eigenvermögen des Inhabers<br />
gehöre, so dass es in keiner Weise durch Gläubigerschutzgesichtspunkte<br />
gerechtfertigt wäre, den Wert der Sicherheit dem<br />
Eigentümer auf Dauer vorzuenthalten 155 . Im Ergebnis muss daher der<br />
Insolvenzverwalter die Vorgaben der Sicherungsvereinbarung beachten<br />
und die Sicherungsgrundschuld löschen lassen, wenn die zugrunde<br />
liegende Forderung getilgt ist.<br />
C. Zusammenfassung<br />
Das Insolvenzrisiko nimmt auch vor einer notariellen <strong>Vertragsgestaltung</strong><br />
nicht halt. Berücksichtigt der Notar allerdings die allgemeinen Grundsätze<br />
einer jeden notariellen <strong>Vertragsgestaltung</strong>, so ist das Insolvenzrisiko<br />
für die Beteiligten zumindest teilweise beherrschbar. Besondere<br />
Bedeutung hat auch hier die Bestellung einer Vormerkung. Sie vermeidet<br />
nicht nur das Insolvenzverwalterwahlrecht, sondern hat auch<br />
Bedeutung im Zusammenhang mit der Gläubiger- und der Insolvenzverwalteranfechtung.<br />
Bereits die Stellung des Antrags auf Eintragung<br />
einer Vormerkung <strong>bei</strong>m Grundbuchamt verschiebt den Zeitpunkt für den<br />
Lauf der Anfechtungsfristen nach vorne. Maßgeblich ist dieser Zeitpunkt<br />
ebenso für die subjektive Kenntnis des Anfechtungsgegners. Eine Antragstellung<br />
durch den Notar genügt nach hier vertretener Ansicht.<br />
Anderer Ansicht ist dagegen die Rechtsprechung. Sicherheitshalber<br />
sollte deshalb stets ein eigener Antrag des Käufers (Anfechtungsgegners)<br />
gestellt werden. Bei einem Bargeschäft und einer unmittelbaren,<br />
gleichwertigen Gegenleistung scheidet eine Anfechtung grundsätzlich<br />
aus. Hilfreich kann hier ein Wertgutachten sein. Durch Vermeidung<br />
von Vorleistungen und Stundungsabreden, aber auch durch<br />
Hinausschieben der Fälligkeit oder des Zeitpunkts für Auszahlungen<br />
vom Notaranderkonto lässt sich das Anfechtungsrisiko weiter einschränken.<br />
Besondere Vorkehrungen sind auch <strong>bei</strong> der Veräußerung<br />
wertausschöpfend belasteter Grundstücke angezeigt. Wegen seiner<br />
subjektiven Komponente lässt sich das Anfechtungsrisiko durch <strong>Vertragsgestaltung</strong><br />
jedoch insgesamt nicht vermeiden. Handelt der<br />
Schuldner mit Benachteiligungsvorsatz und ist der Vertragspartner bösgläubig,<br />
ist der Vertragspartner insoweit nicht schutzwürdig. Auch ein an<br />
sich nicht anfechtbares Bargeschäft ist danach anfechtbar, wenn eine<br />
mittelbare Gläubigerbenachteiligung hinzukommt. Durch unmittelbare<br />
Leistungen an abzulösende Gläubiger kann aber zumindest insoweit<br />
eine bevorrechtigte Befriedigung der eigenen Aufwendungen im Falle<br />
155 Bitter, WM 2003, 2068, 2070.<br />
69
der Anfechtung abgesichert werden. Dies gilt auch im Falle der Vorsatzanfechtung.<br />
Die <strong>Vertragsgestaltung</strong> kann jedoch keinen besonderen<br />
Schutz nach einer Insolvenzverwalteranfechtung gewähren, wenn<br />
Leistungen unmittelbar an den späteren Insolvenzschuldner erbracht<br />
werden. Kein besonderes Insolvenzrisiko besteht in der Insolvenz eines<br />
abzulösenden Grundpfandrechtsgläubigers. Hier ist der Insolvenzverwalter<br />
an die Sicherungsabreden des Schuldners gebunden.<br />
70
Die Zuwendung eines Familienheims nach der<br />
Erbschaftsteuerreform 2008/2009<br />
Prof. Dr. Klaus Tiedtke,<br />
Universität Würzburg, Vorsitzender des INotR Würzburg<br />
Seite<br />
A. Einführung ...................................................................................73<br />
B. Überblick über die einzelnen Befreiungstatbestände .............73<br />
I. Lebzeitige Zuwendung eines Familienheims unter<br />
Ehegatten, § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG...................................73<br />
1. Anwendungsbereich........................................................73<br />
2. Familienheim...................................................................74<br />
a) Nutzung zu eigenen Wohnzwecken .........................74<br />
b) Bebaute Grundstücke im Sinne des § 181 Abs. 1<br />
Nr. 1 – 5 BewG..........................................................75<br />
3. Umfang der Befreiung.....................................................76<br />
II. Erwerb des Familienheims von Todes wegen durch den<br />
Ehepartner, § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG .................................80<br />
1. Erwerb von Todes wegen ...............................................80<br />
2. Sinn und Zweck der Regelung........................................81<br />
3. Begünstigte Objekte........................................................81<br />
4. Eigennutzung durch den Erblasser bis zum Erbfall ........82<br />
5. Bestimmung zur unverzüglichen Selbstnutzung durch<br />
den Erwerber...................................................................82<br />
6. Ausschluss der Steuerbefreiung – Begünstigungs-<br />
transfer ............................................................................83<br />
7. Nachträglicher Wegfall der Steuerbefreiung...................84<br />
III. Erwerb des Familienheims von Todes wegen durch Kinder<br />
oder Kinder verstorbener Kinder, § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG 86<br />
1. Sinn und Zweck der Regelung........................................86<br />
2. Voraussetzungen ............................................................86<br />
71
72<br />
3. Umfang der Steuerbefreiung...........................................87<br />
4. Nachträglicher Wegfall der Steuerbefreiung ...................89<br />
C. Zweifelsfragen <strong>bei</strong> der Auslegung einzelner Tatbestände......89<br />
I. Im Rahmen der lebzeitigen Übertragung nach § 13 Abs. 1<br />
Nr. 4a ErbStG – Lebensmittelpunkt <strong>bei</strong>der oder eines<br />
Ehegatten – ............................................................................89<br />
II. Im Rahmen des Erwerbs von Todes wegen nach<br />
§ 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG......................................................91<br />
1. Definition des Familienheims i.S.d.<br />
§ 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG ..............................................91<br />
2. Umfang der Selbstnutzung durch den Erwerber.............94<br />
3. Umfang der entfallenden Steuerbefreiung ......................95<br />
4. Zwingende Gründe..........................................................96<br />
a) Beim Erblasser..........................................................96<br />
b) Beim Erwerber ..........................................................98<br />
D. Folgerungen für die notarielle Gestaltungspraxis.................102<br />
I. Lebzeitige Übertragung eines Familienheims als<br />
Gestaltungsmittel..................................................................102<br />
II. Nießbrauchsgestaltungen ....................................................104<br />
III. Teilungsanordnung oder Vorausvermächtnis ......................105<br />
IV. Ausgleich von Belastungsunterschieden <strong>bei</strong> der<br />
Testamentsgestaltung..........................................................105<br />
V. Ausschluss und Kürzung des Schuldenabzugs ...................106<br />
E. Fazit .......................................................................................107
A. Einführung<br />
Bereits nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG a.F. war die Übertragung eines<br />
zu eigenen Wohnzwecken genutzten Familienheims schenkungsteuerfrei.<br />
Daran hat sich durch die Reform des Erbschaftsteuer- und<br />
Schenkungsteuerrechts 2008/2009 nichts geändert. Während bislang<br />
nur die lebzeitige Zuwendung eines Familienheims unter Ehegatten<br />
steuerfrei war, gewährt der durch die Erbschaftsteuerreform neu geschaffene<br />
§ 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG auch <strong>bei</strong>m Erwerb von Todes<br />
wegen durch den überlebenden Ehepartner oder Lebenspartner eine<br />
vollständige Steuerbefreiung. Der Gesetzgeber knüpft diese allerdings<br />
an strengere Bedingungen. Im Zuge der Erbschaftsteuerrechtsreform<br />
hat er erstmals auch den Erwerb eines Familienheims von Todes wegen<br />
durch Kinder oder Kinder verstorbener Kinder von der Erbschaftsteuer<br />
befreit, soweit die Wohnfläche der Wohnung 200 qm nicht übersteigt,<br />
§ 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG. Eine lebzeitige Zuwendung, wie sie für Ehegatten<br />
nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG steuerbefreit ist, bleibt hingegen<br />
<strong>bei</strong> Kindern und Enkeln weiterhin voll steuerpflichtig.<br />
Die neuen Befreiungstatbestände werfen zahlreiche Fragen auf, die im<br />
Folgenden erörtert werden sollen.<br />
B. Überblick über die einzelnen Befreiungstatbestände<br />
I. Lebzeitige Zuwendung eines Familienheims unter Ehegatten,<br />
§ 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG<br />
1. Anwendungsbereich<br />
Die Zuwendung eines Familienwohnheims zwischen Ehegatten bleibt<br />
schenkungsteuerfrei, und zwar künftig auch für eingetragene Lebenspartner<br />
und für Objekte, die sich in einem Mitgliedstaat der EU oder<br />
einem Staat des EWR befinden. Die Begünstigung gilt nur für Übertragungen<br />
unter Lebenden und während bestehender Ehe. Sie kann bis<br />
zur Rechtskraft der Scheidung (also auch noch im Rahmen von<br />
Scheidungsvereinbarungen) in Anspruch genommen werden. Es<br />
kommen alle in § 7 Abs. 1 ErbStG aufgeführten Erwerbsvorgänge in<br />
Betracht. Nicht begünstigt ist daher eine Schenkung auf den Todesfall<br />
(§ 2301 BGB); nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG gilt diese als Erwerb von<br />
Todes wegen.<br />
73
Die Zuwendung kann in der Übertragung von Alleineigentum oder Miteigentum<br />
bestehen oder durch Geldzuwendungen zum Zwecke des<br />
Kaufs oder der Herstellung erfolgen sowie zur Tilgung von Verbindlichkeiten<br />
gegeben werden, die der andere Ehegatte im Zusammenhang<br />
mit der Anschaffung oder Herstellung des Familienwohnheims begründet<br />
hat. In welchem Güterstand die Eheleute leben, ist unerheblich.<br />
Auch eine Übertragung unter Nießbrauchsvorbehalt ist unschädlich. 1<br />
Im Gegensatz zur Zuwendung von Familienheimen von Todes wegen<br />
(§ 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG) braucht der Beschenkte das Objekt<br />
weder für einen bestimmten Zeitraum in seinem Eigentum zu halten,<br />
noch ist es erforderlich, dass er es nach der Schenkung weiter zu<br />
eigenen Wohnzwecken nutzt. Voraussetzung ist lediglich, dass das<br />
Objekt im Übertragungszeitpunkt als Familienheim genutzt wird.<br />
2. Familienheim<br />
Entgegen der bisherigen Fassung spricht das Gesetz nicht vom<br />
„Familienwohnheim,“ sondern von einem „Familienheim.“ Den<br />
Gesetzesmaterialien kann eine Begründung für diese Begriffsmodifizierung<br />
nicht entnommen werden. Maßgeblich ist jedoch, dass sich<br />
auch die Definition geändert hat: Nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a a.F. war das<br />
Familienwohnheim ein zu eigenen Wohnzwecken genutztes Haus oder<br />
eine zu eigenen Wohnzwecken genutzte Eigentumswohnung. Nach der<br />
Neuregelung gilt als Familienheim ein bebautes Grundstück im Sinne<br />
von § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BewG, soweit darin eine Wohnung zu<br />
eigenen Wohnzwecken genutzt wird.<br />
a) Nutzung zu eigenen Wohnzwecken<br />
Wesentliches Kriterium des Familienheims ist die Nutzung zu eigenen<br />
Wohnzwecken. Das setzt voraus, dass die Ehegatten die Wohnung<br />
gemeinsam, ggf. mit zum Haushalt gehörenden Familienmitgliedern,<br />
insbesondere Kindern, Enkeln, Eltern und Schwiegereltern, nicht nur<br />
vorübergehend bewohnen. Das Familienheim wird nicht durch eine gemeinsame<br />
Widmung der Eheleute, sondern durch eine tatsächliche<br />
gemeinsame Nutzung begründet. In der Wohnung muss sich der Mittelpunkt<br />
des familiären Lebens <strong>bei</strong>der Ehegatten oder Lebenspartner be-<br />
1 Viskorf, in: Viskorf/Knobel/Schuck, ErbStG, 3. Aufl. (2009), § 13 Rn. 39.<br />
74
finden. 2 Dies ist auch dann zu bejahen, wenn einer der Ehegatten<br />
berufsbedingt während der Woche an seinem Beschäftigungsort lebt<br />
und sich nur am Wochenende und während der ar<strong>bei</strong>tsfreien Zeit in der<br />
gemeinsamen Wohnung aufhalten kann. 3<br />
Der Lebensmittelpunkt der Ehegatten kann jedoch nur in einer<br />
Wohnung liegen. 4 Zweitwohnungen, Ferien- oder Wochenendhäuser<br />
stellen demnach kein Familienheim dar und sind insofern nicht steuerfrei<br />
nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG. 5 Schließlich will der Gesetzgeber,<br />
was bereits der Begriff „Familienheim“ deutlich macht, nicht jede von<br />
Ehegatten bewohnbare Immobilie steuerfrei stellen, sondern ausschließlich<br />
den Kernbereich der ehelichen Lebensgemeinschaft. 6<br />
Bei einem gemeinsamen Umzug der Eheleute wird die neue Wohnung<br />
zum Familienheim, die bislang bewohnte ist damit nicht mehr befreit.<br />
Hier<strong>bei</strong> ist zu berücksichtigen, dass es <strong>bei</strong> § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG<br />
keinen Objektverbrauch gibt, die Ehepartner können also während der<br />
Ehe mehrmals bebaute Grundstücke übertragen, sofern diese zum<br />
Zeitpunkt der Zuwendung jeweils als Familienheim zu qualifizieren sind.<br />
Die Voraussetzungen einer Steuerbefreiung liegen daher nicht vor,<br />
wenn die Übertragung erfolgen soll, bevor die Ehegatten die Wohnung<br />
bezogen haben, etwa weil noch Renovierungsar<strong>bei</strong>ten vorab erforderlich<br />
waren; 7 zu diesem Zeitpunkt befindet sich ihr Lebensmittelpunkt<br />
noch in ihrer bisherigen Wohnung.<br />
b) Bebaute Grundstücke im Sinne des § 181 Abs. 1 Nr. 1 – 5 BewG<br />
Nach neuer Rechtslage ist jedes bebaute Grundstück i.S.d. § 181 Abs.1<br />
Nr. 1–5 BewG begünstigt, soweit sich darauf ein Familienheim befindet.<br />
Mit der neuen Formulierung trug der Gesetzgeber zunächst der Kritik<br />
2<br />
R 43 Abs. 1 S. 1 ErbStR 2003; vgl. auch Hardt, ZEV 2004, 408, 409; Kapp/Ebeling,<br />
ErbStG, 12. Aufl., 52.Erg.-Lfg. (2008), § 13 Rn. 38; Kien-Hümbert, in: Moench,<br />
ErbStG, 49.Erg-Lfg., § 13 Rn. 27 f.<br />
3<br />
Vgl. Geck, ZEV 2008, 557, 558.<br />
4<br />
Kien-Hümbert, in: Moench (Fn. 2), § 13 Rn. 27; Viskorf, in: Viskorf/Knobel/Schuck<br />
(Fn. 1), § 13 Rn. 39.<br />
5<br />
R 43 Abs. 1 S. 10 ErbStR 2003; Geck, ZEV 2006, 108; Kien-Hümbert, in: Moench<br />
(Fn. 2), § 13 Rn. 27; Meincke, ErbStG, 15. Aufl., § 13 Rn. 20; Schumann, DStR 2009,<br />
197, 198; Viskorf, in: Viskorf/Knobel/Schuck (Fn. 1), § 13 Rn. 39; a.A.<br />
6<br />
Herrmann/B.Michel, in: Wilms/Jochum, ErbStG, 37. Erg.-Lfg.,§ 13 Rn. 42; Jülicher, in:<br />
Troll/Gebel/Jülicher,ErbStG, 38. Erg.-Lfg (2009), § 13 Rn. 69.<br />
Vgl. BT-Drs. 13/901, 157; BT-Drs. 13/1558, 176.<br />
7<br />
A.A. Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher (Fn. 5), § 13 Rn. 62.<br />
75
am bisherigen Wortlaut des Gesetzes Rechnung, der als „ungenau“ 8<br />
bezeichnet wurde; Zuwendungsgegenstand ist nach dem Zivilrecht nicht<br />
ein Haus, wie die bisherige Gesetzesfassung meinte, sondern ein<br />
Grundstück, das mit einem oder mehreren Wohnungen bebaut ist. Angesichts<br />
dieser Ungenauigkeit bestanden Zweifel, ob mit dem bisherigen<br />
Begriff „Eigentumswohnung“ nur die nach dem WEG verselbständigte<br />
Eigentumswohnung gemeint war oder jede im Eigentum des<br />
Zuwenders befindliche Wohnung.<br />
Diese Ungenauigkeiten sind nunmehr beseitigt. Mit der Bezugnahme<br />
auf § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BewG steht außer Frage, dass die Steuerbefreiung<br />
Ein- und Zweifamilienhäuser, Mietwohngrundstücke,<br />
Wohnungs- und Teileigentum, Geschäftsgrundstücke und gemischt<br />
genutzte Grundstücke in gleicher Weise erfasst. Damit hat der Gesetzgeber<br />
klargestellt, dass die Eigenart des Gebäudes für die Frage der<br />
Steuerbefreiung unerheblich ist, wenn es sich um eines der genannten<br />
Objekte handelt. Die Steuerbefreiung bezieht sich nach ihrem Sinn und<br />
Zweck nicht nur auf das Gebäude, sondern auch auf das Grundstück,<br />
dessen wesentlicher Bestandteil es nach § 94 Abs. 1 Satz 1 BGB ist.<br />
Auch übergroße Grundstücke sind uneingeschränkt begünstigt. Eine<br />
dem § 72 Abs. 2 BewG und dem § 74 Satz 1 2. Halbsatz BewG einschränkende<br />
Regelung fehlt hier. In welchem Umfang allerdings diese<br />
Grundstücke steuerbefreit sind, hängt davon ab, in welcher Weise sie<br />
als Familienheim genutzt werden. Unbebaute Grundstücke sind von der<br />
Vergünstigung ausgeschlossen, Gebäude auf fremdem Grund und<br />
Boden gelten dagegen als bebaute Grundstücke.<br />
3. Umfang der Befreiung<br />
War eine selbstständige Wohnung in einem Zwei- oder Dreifamilienhaus<br />
vermietet, hat die Finanzverwaltung 9 die Steuerfreiheit bisher ganz versagt,<br />
also eine Aufteilung in einen selbst genutzten begünstigten Teil<br />
und einen fremd vermieteten abgelehnt. Um die Steuerfreiheit auch in<br />
derartigen Fällen zu erhalten, war es erforderlich, die Immobilie vor der<br />
Übertragung gegebenenfalls in Eigentumswohnungen aufzuteilen.<br />
Nach der Neufassung des § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG ist die Zuwendung<br />
eines bebauten Grundstücks i.S.d. § 181 Abs. 1 Nr.1-5 BewG steuerfrei,<br />
8 Geck, ZEV 1996, 107, 108; Hardt, ZEV 2004, 408; Tiedtke/Wälzholz, ZEV 2000, 19.<br />
9 R 43 Abs. 1 ErbStR 2003.<br />
76
soweit darin eine Wohnung zu eigenen Zwecken genutzt wird. Der<br />
Gesetzgeber hat damit eine anteilige Freistellungsregelung getroffen. 10<br />
Damit ist der frühere Meinungsstreit 11 zu der Frage, ob die Steuerbefreiung<br />
<strong>bei</strong> teilweiser Fremdvermietung ganz (Alles- oder- Nichts-<br />
Prinzip) oder nur anteilig zu versagen war, überholt. Die Formulierung<br />
„soweit“ spricht für eine anteilige Freistellungsregel. In der Gesetzesbegründung<br />
werden die Änderungen in § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG zwar als<br />
„redaktionelle Anpassung“ 12 bezeichnet und im Übrigen nicht weiter<br />
erörtert. Das widerlegt indes keinesfalls die vorliegende Auslegung, die<br />
bereits vor der Erbschaftsteuerreform dem Normzweck Geltung verschaffte<br />
13 und nunmehr durch den eindeutigen Wortlaut der Vorschrift<br />
bestätigt wird.<br />
Wird ein Ein- oder Zweifamilienhaus vollständig von den Ehegatten zu<br />
eigenen Wohnzwecken genutzt, so ist die gesamte Zuwendung steuerfrei.<br />
Ist dies jedoch nicht der Fall, muss das zivilrechtlich einheitliche<br />
Eigentum nach dem Nutzungs- und Funktionszusammenhang in einen<br />
eigen genutzten und einen fremd vermieteten oder gewerblich genutzten<br />
Teil aufgeteilt werden. Dies geschieht grundsätzlich nach dem<br />
Verhältnis der Wohn- und Nutzflächen. Hierdurch wird einerseits verhindert,<br />
dass Vermögensteile steuerfrei sind, die nicht den Kernbereich<br />
der ehelichen Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft berühren.<br />
Andererseits ermöglicht die Neuregelung eine steuerliche Begünstigung<br />
dieses Kernbereichs <strong>bei</strong> Gebäuden, in denen die Wohnnutzung neben<br />
der gewerblichen und beruflichen Nutzung insgesamt nicht mehr überwiegt.<br />
Damit ist eine eigen genutzte Wohnung auch dann steuerfrei, wenn sie<br />
sich in einem Anwesen befindet, das überwiegend fremd vermietet ist<br />
oder gewerblich genutzt wird. 14 Bei der räumlichen Abgrenzung des<br />
10 Vgl. auch Richter/Viskorf/Philipp, DB 2009, Beilage Nr. 2 zu Heft Nr.6, S. 10.<br />
11 Vgl. BFH vom 26.2.2009 – II R 69/06, BStBl. II 2009, 480, 481, FG Rheinland-Pfalz,<br />
Urteil vom 18.02.1999, EFG 1999, 619; FG Nürnberg, Urteil vom 5.10.2006,<br />
IV 292/2003, EFG 2007, S. 207; Hardt; ZEV 2004, 408, 409; Jülicher, in:<br />
Troll/Gebel/Jülicher (Fn.5), § 13 Rn. 65; Lemaire, EFG 2007, 209; Tiedtke/Wälzholz,<br />
ZEV 2000, 19,20; Wälzholz, FR 2007, 638, 641.<br />
12 BT – Drs. 16/11107, 10.<br />
13 Vgl. BFH vom 26.2.2009 – II R 69/06, BStBl. II 2009, 480, 481; Tiedtke/Wälzholz,<br />
ZEV 2000, 19,20; Wälzholz, FR 2007, 638.<br />
14 Diese Auffassung wird nunmehr von der Finanzverwaltung geteilt, vgl. die Erlasse der<br />
obersten Finanzbehörden der Länder zur Anwendung der geänderten Vorschriften<br />
des Erbschaftsteuer-und Schenkungsteuergesetzes vom 25.06.2009, Abschnitt 3<br />
77
Familienheims ist nicht erforderlich, dass es sich um jeweils abgeschlossene<br />
Wohnungen i.S.d. § 181 Abs. 9 BewG handelt. Eine<br />
Wohnung i.S. dieser Regelung ist <strong>bei</strong> einer Wohneinheit gegeben, die<br />
zwar nach Größe, Ausstattung und Abgeschlossenheit den Wohnungsbegriff<br />
erfüllt. Es kann aber auch die Zusammenfassung mehrerer<br />
Wohnungen i.S.d. § 181 Abs. 9 BewG in einem Objekt als Familienheim<br />
gelten, wenn sich die tatsächliche Wohnnutzung über mehrere solcher<br />
Einheiten erstreckt. 15 Entscheidend ist der Nutzungs- und Funktionszusammenhang.<br />
Erforderlich ist jedoch, dass die jeweiligen Einheiten<br />
räumlich abgrenzbar sind. Bewohnen die Ehegatten gemeinsam im<br />
dritten Stock eine Wohnung und nutzen sie im Erdgeschoss einen<br />
Fitnessraum mit Sauna, so ist auch dieser steuerbefreit. Das Gleiche<br />
gilt, wenn Ehegatten mehrere Wohnungen in einem Haus gemeinsam<br />
nutzen oder weitere Wohnungen in dem von ihnen bewohnten Hausanwesen<br />
nahen Angehörigen oder einer angestellten Haushaltshilfe zur<br />
Verfügung stellen, falls diese Personen mit den Ehegatten einen gemeinsamen<br />
Hausstand führen. Es ist unerheblich, ob dies entgeltlich<br />
oder unentgeltlich geschieht und das Nutzungsrecht auf einem dinglichen<br />
Wohnrecht beruht. 16 Garagen, Dachböden und Keller nehmen an<br />
der Steuerbefreiung ebenso teil. 17 Eine Garage ist selbst dann steuerbefreit,<br />
wenn sie in unmittelbarer Nähe zur ehelichen Wohnung, jedoch auf<br />
einem anderen Grundstück liegt. 18<br />
Fraglich ist, ob ein Ar<strong>bei</strong>tszimmer, das sich in der gemeinsamen<br />
Wohnung der Ehegatten befindet, nach der neuen Rechtslage <strong>bei</strong> der<br />
Berechnung der steuerfreien Nutzfläche zu berücksichtigen ist. Bislang<br />
galt es als unschädlich. 19 Bei strenger Beurteilung des Nutzungs- und<br />
Funktionszusammenhangs wäre dies grundsätzlich zu verneinen.<br />
Andererseits ist die Aufspaltung des Zuwendungsgegenstandes in<br />
steuerfreies und steuerpflichtiges Vermögen auf abgrenzbare Teile zu<br />
begrenzen. 20 Das Ar<strong>bei</strong>tszimmer bleibt jedoch trotz seiner Nutzung zu<br />
beruflichen Zwecken Teil der ehelichen Wohnung. Als solcher wird er<br />
Abs. 2 Satz 11 (BStBl. I 2009, 713, 716) und Schmitt, in: Tiedtke, ErbStG (2009), § 13<br />
Rn. 125.<br />
15 Viskorf, in: Viskorf/Knobel/Schuck (Fn.1), § 13 Rn. 38.<br />
16 BFH, Urteil vom 26.02.2009 – II R 69/06, BStBl. II 2009, 480,481 = DStR 2009, 575,<br />
576 = ZEV 2009, 257 mit Anmerkung von Schlünder/Geißler.<br />
17 Geck, ZEV 1996, 107, 108.<br />
18 Hardt, ZEV 2004, 408, 410; Kien-Hümbert, in: Moench (Fn. 2), § 13 Rn. 27.<br />
19 FG Nürnberg, Urteil vom 05.10.2006 – IV 292/2003, 2007,207; H 43 ErbStH 2003;<br />
Handzik, DStZ 1999, 416, 417; Herrmann/B.Michel, in: Wilms/Jochum (Fn. 5), § 13<br />
Rn. 42; Kapp/Ebeling (Fn. 2), § 13 Rn. 38.4; Kien-Hümbert, in: Moench (Fn. 2), § 13<br />
Rn.28; Weinmann, ZEV 1995, 102.<br />
20 Vgl. Tiedtke/Wälzholz, ZEV 2000, 19, 20.<br />
78
ausdrücklich von der Steuerbefreiung erfasst. Jedenfalls ist die Nutzung<br />
zu anderen als Wohnzwecken unschädlich, wenn sie, wie <strong>bei</strong> der<br />
Nutzung eines Ar<strong>bei</strong>tszimmers, von untergeordneter Bedeutung ist. 21<br />
Dementsprechend ist auch ein im Wohnbereich belegenes häusliches<br />
Ar<strong>bei</strong>tszimmer der Wohnnutzung der Ehegatten zuzurechnen, wenn es<br />
an den Ar<strong>bei</strong>tgeber eines Ehegatten vermietet ist. 22<br />
Die unentgeltliche gewerbliche oder freiberufliche Mitbenutzung der<br />
Wohnung ist grundsätzlich unschädlich, wenn die Wohnnutzung überwiegt.<br />
Für Arztpraxen oder Anwaltskanzleien, die sich in einem – ansonsten<br />
privat genutzten – Zweifamilienhaus befinden, kommt es somit<br />
auf den Einzelfall an. Nur wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, nehmen<br />
sie an der Steuerbefreiung teil. Eine gewerbliche oder freiberufliche<br />
Nutzung außerhalb der eigenen Wohnung, eine Fremdvermietung oder<br />
unentgeltliche Überlassung weiterer, in dem Grundstück vorhandener<br />
Wohnungen an Kinder oder Eltern ist nicht begünstigt. 23<br />
Beispiel 1 24<br />
Der Ehemann (M) schenkt seiner Ehefrau (F) das Eigentum am Grundstück<br />
mit einem dreigeschossigem Wohngebäude und einem eingeschossigem<br />
Anbau. Im EG, im l. OG und im Dachgeschoss befinden<br />
sich je eine Wohnung von 100 qm. Im gleich großen Anbau liegen<br />
Praxisräume, die M freiberuflich nutzt. Die Wohnungen sind über ein<br />
gemeinsames Treppenhaus zugänglich, die Praxis hat einen separaten<br />
Eingang. In dem Haus wohnen M und F mit ihren Kindern im EG und l.<br />
OG und die Mutter der F im DG. Sie führen einen gemeinsamen Haushalt.<br />
Ein Raum im DG ist an eine familienfremde Pflegekraft vermietet,<br />
die F <strong>bei</strong> der Betreuung ihrer Mutter unterstützt. Der Grundbesitzwert<br />
beträgt 1,2 Mio. €.<br />
Die Vergünstigung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG ist dem Umfang<br />
nach beschränkt auf die eigenen Wohnzwecken dienende Wohnung.<br />
Nicht begünstigt sind alle fremd vermieteten oder anderen Zwecken der<br />
Ehegatten dienenden Grundstücksteile. Daraus folgt, dass alle Grund-<br />
21 Vgl. Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zur Anwendung der<br />
geänderten Vorschriften des Erbschaftsteuer-und Schenkungsteuergesetzes vom<br />
25.06.2009, Abschnitt 3 Abs. 2 Satz 8 und 9 BStBl. I 2009, 713, 715).<br />
22 BFH, Urteil vom 26.02.2009 – II R 69/06, BStBl. II 2009, 480 = DStR 2009, 575.<br />
23 Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zur Anwendung der geänderten<br />
Vorschriften des Erbschaftsteuer-und Schenkungsteuergesetzes vom 25.06.2009,<br />
Abschnitt 3 Abs. 2 Satz 12 (BStBl. I 2009, 713, 715).<br />
24 In Anlehnung an Viskorf, in: Viskorf/Knobel/Schuck (Fn. 1), § 13 Rn. 45.<br />
79
stücksteile, die F zu Wohnzwecken nutzt, steuerfrei bleiben. Es ist unerheblich,<br />
ob die einzelnen Wohneinheiten jeweils als abgeschlossene<br />
Wohnungen i.S.d. § 181 Abs. 9 BewG anzusehen sind. Selbst wenn<br />
dies so wäre und F im bewertungsrechtlichen Sinne mehrere<br />
Wohnungen von M erhalten hätte, kommt es allein auf den Umfang der<br />
tatsächlichen Wohnnutzung durch F an; ein Familienheim kann auch<br />
aus mehreren Wohnungen im bewertungsrechtlichen Sinne bestehen.<br />
Da F zusammen mit Angehörigen (Mutter und Kindern) über alle<br />
Etagen einen gemeinsamen Haushalt geführt hat, umfasst die für die<br />
Steuerbefreiung maßgebliche Wohnnutzung der F alle Wohnräume des<br />
Hauses, also insgesamt 300 qm. Die Überlassung von Räumen an<br />
Pflegkräfte ist ebenfalls unschädlich. 25<br />
Nicht begünstigt sind die im Anbau durch M freiberuflich genutzten<br />
Praxisräume.<br />
Eine flächenweise Aufteilung ergibt damit eine der Schenkungsteuer<br />
unterliegende Zuwendung des M an die F i. H.v. (1.200 000 € : 400 qm)<br />
x 100 qm = 300.000 €, die allerdings im Hinblick auf den Ehegattenfreibetrag<br />
(§ 16 ErbStG) in Höhe von 500.000 € ebenfalls steuerfrei bleibt.<br />
II. Erwerb des Familienheims von Todes wegen durch den Ehe-<br />
partner, § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG<br />
1. Erwerb von Todes wegen<br />
Nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG ist nunmehr erstmalig (mit Wirkung<br />
vom 01.01.2009 an) auch der Erwerb von Todes wegen des Eigentums<br />
oder Miteigentums an einem im Inland oder in einem Mitgliedstaat der<br />
EU oder einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums belegenen<br />
bebauten Grundstück i.S. d. § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BewG durch den<br />
überlebenden Ehegatten oder den überlebenden Lebenspartner steuerfrei.<br />
Ein derartiger Erwerb ist gegeben, wenn der Erwerber Erbe, Miterbe<br />
oder Vermächtnisnehmer wird. Dies gilt auch für eine Schenkung<br />
auf den Todesfall und für einen Erwerb i.S.d. § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG.<br />
Wird das Familienheim also als Abfindung für einen Pflichtteils- oder<br />
Vermächtnisanspruch an den anderen Ehegatten übertragen, ist diese<br />
Zuwendung ein Erwerb von Todes wegen. 26<br />
25 Vgl. Viskorf, in: Viskorf/Knobel/Schuck (Fn. 1), § 13 Rn. 46.<br />
26 Geck, ZEV 2008, 557, 559.<br />
80
2. Sinn und Zweck der Regelung<br />
Die Gesetzesbegründung 27 nennt ausdrücklich zwei Ziele der<br />
Steuerfreistellung von Wohneigentum für Ehegatten und Lebenspartner:<br />
den Schutz des gemeinsamen familiären Lebensraumes und die<br />
Lenkung in Grundvermögen schon zu Lebzeiten des Erblassers. Vor<br />
dem Hintergrund der Finanzmarktentwicklung des Jahres 2008 diene<br />
die Steuerbefreiung dazu, das Familiengebrauchsvermögen krisenfest<br />
zu erhalten. Ein in diesem Sinne besonders geschütztes Familiengebrauchsvermögen<br />
sei <strong>bei</strong> Ehegatten und Lebenspartnern stets anzunehmen.<br />
28<br />
Ob diese Begründung ausreicht, eine willkürliche Ungleichbehandlung<br />
zu vermeiden, muss bereits heute in Frage gestellt werden, 29 weil die<br />
sachliche Steuerbefreiung des § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG für das<br />
Familienheim nicht auf die (nochmals deutlich angehobenen) persönlichen<br />
Freibetrage angerechnet, sondern zusätzlich zu diesen gewährt<br />
wird. Damit ist das Familienheim als privat genutztes Grundvermögen<br />
gegenüber anderem Vermögen privilegiert, ohne dass Gründe des Gemeinwohls<br />
erkennbar sind, die dies rechtfertigen können.<br />
3. Begünstigte Objekte<br />
Soweit es um die Art der begünstigten Objekte (bebaute Grundstücke),<br />
ihre Belegenheit und den Umfang der Steuervergünstigung geht, kann<br />
auf die Ausführungen zu § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG verwiesen werden.<br />
Auch hier gewährt der Gesetzgeber eine anteilige Steuerbefreiung. Das<br />
Familieheim ist begünstigt, „soweit“ der Erblasser darin bis zum Erbfall<br />
eine Wohnung zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat. Eine teilweise<br />
Fremdvermietung oder gewerbliche Nutzung ist somit auch im Rahmen<br />
des § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG steuerunschädlich. Der Erwerber erhält<br />
die Steuerfreiheit also nur für die vom Erblasser zu eigenen Wohnzwecken<br />
genutzten Teile des jeweiligen Anwesens, soweit er sie tatsächlich<br />
selbst nutzen wird. Ist der überlebende Ehegatte lediglich Miterbe,<br />
kommt ihm die Steuerbefreiung nur in Höhe seiner Erbquote zugute.<br />
30<br />
27<br />
BT - Drs. 16/11107, 10.<br />
28<br />
BT - Drs. 16/11107, 10.<br />
29<br />
Vgl. Mayer, ZEV 2009, 439; Steiner, ErbStB 2009, 123; Viskorf, in: Viskorf/Knobel/<br />
Schuck (Fn. 1) § 13 Rn. 49:<br />
30<br />
Geck, ZEV 2008, 557, 559.<br />
81
Zweitwohnungen, Ferien- oder Wochenendhäuser sind auch <strong>bei</strong> einer<br />
Übertragung eines Familienheimes von Todes wegen ausgeschlossen.<br />
Dies beruht darauf, dass das begünstigte Objekt jedenfalls zu Lebzeiten<br />
des Erblassers dessen Lebensmittelpunkt sein muss.<br />
4. Eigennutzung durch den Erblasser bis zum Erbfall<br />
Grundsätzlich muss der Erblasser das jeweils zu vererbende Wohneigentum<br />
bis zum Erbfall bewohnen. § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG lässt<br />
allerdings eine Ausnahme zu: Die Steuerbefreiung tritt auch dann ein,<br />
wenn der Erblasser das Familienheim verlassen hat, jedoch nur, wenn<br />
er aus zwingenden Gründen an der Selbstnutzung gehindert war. Diese<br />
Ausnahmeregelung stellt eine Erleichterung gegenüber der Zuwendung<br />
unter Lebenden dar. Dort muss der Zuwendende zwingend bis zum<br />
Vollzug der Zuwendung das Familienheim zu Wohnzwecken nutzen.<br />
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz hat der Gesetzgeber <strong>bei</strong>m Vorliegen<br />
zwingender Gründe lediglich für den Erwerb von Todes wegen<br />
vorgesehen.<br />
Welche Gründe als derart zwingend anzusehen sind, dass sie eine anerkannte<br />
Hinderung des Erblassers an einer Selbstnutzung des Eigenheims<br />
darstellen, ist zweifelhaft. Im Zusammenhang mit dem überlebenden<br />
Ehegatten fordert der Gesetzgeber 31 das Vorliegen von<br />
„objektiven Gründen“ und nennt als Beispiele die Pflegebedürftigkeit.<br />
Auf die Frage, wie der unbestimmte Rechtsbegriff der zwingenden<br />
Gründe auszulegen ist und ob darunter auch wirtschaftliche und<br />
persönliche Gründe fallen können, werde ich später eingehen.<br />
5. Bestimmung zur unverzüglichen Selbstnutzung durch den Er-<br />
werber<br />
Die Steuerbefreiung setzt weiter voraus, dass das Familienheim <strong>bei</strong>m<br />
erwerbenden Ehegatten unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen<br />
Wohnzwecken bestimmt ist. Es genügt also nicht, dass der überlebende<br />
Ehegatte bis zum Zeitpunkt des Erbfalles seinen Lebensmittelpunkt in<br />
dem Wohneigentum des Erblassers hatte. Er muss ihn dort auch bestimmungsgemäß<br />
belassen. Das ist ein weiterer wesentlicher Unterschied<br />
zur Steuerbefreiung <strong>bei</strong> Zuwendungen unter Lebenden nach<br />
§ 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG. Danach muss der Beschenkte das Objekt<br />
weder für einen bestimmten Zeitraum in seinem Eigentum halten, noch<br />
31 BT - Drs. 16/11107, 10.<br />
82
ist erforderlich, dass er die Wohnung nach der Schenkung weiter zu<br />
eigenen Wohnzwecken nutzt. Es genügt vielmehr, dass das Objekt im<br />
Übertragungszeitpunkt als Familienheim gedient hat.<br />
Eine unverzügliche Selbstnutzung ist nicht mehr gegeben, falls die<br />
Wohnung fremd vermietet war oder leer stand. Eine bestimmte zeitliche<br />
Vorgabe kann nicht gemacht werden, da es auf die Besonderheiten des<br />
Einzelfalles ankommt. Dem Erwerber ist eine angemessene Überlegungsfrist<br />
zu gewähren, die in der Regel mindestens drei Monate beträgt.<br />
32 Unschädlich dürfte es sein, wenn der Erwerber zunächst eine<br />
umfassende Sanierung bzw. Renovierung des Gebäudes vornimmt oder<br />
die Kündigungsfrist seiner bisherigen Wohnung abwartet. 33<br />
Entscheidend ist, dass keine längere Zeitspanne verstreicht, als sie zur<br />
Instandsetzung der Wohnräume erforderlich ist.<br />
6. Ausschluss der Steuerbefreiung – Begünstigungstransfer<br />
Die Steuerbefreiung ist nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 2 ErbStG ausgeschlossen,<br />
soweit der Erwerber das begünstigte Vermögen auf Grund<br />
einer letztwilligen Verfügung oder einer rechtsgeschäftlichen Verfügung<br />
des Erblassers auf einen Dritten übertragen muss (Begünstigungstransfer).<br />
Das Gleiche gilt, wenn ein Erbe im Rahmen der Teilung des<br />
Nachlasses begünstigtes Vermögen auf einen Miterben überträgt, nicht<br />
aber, wenn dies außerhalb oder nach bereits erfolgter Nachlassteilung<br />
geschieht 34 . Die Zehnjahresfrist beginnt in derartigen Fällen auch dann<br />
mit dem Erbfall, wenn die Erbauseinandersetzung erst einige Jahre<br />
danach erfolgt. 35<br />
Korrespondierend zur anteiligen Freistellungsregel hat der Gesetzgeber,<br />
wie die Formulierung „soweit“ zeigt, eine anteilige Ausschlussregel<br />
konzipiert. Der Erbe soll die Steuerbefreiung nur insoweit nicht erhalten,<br />
als er das Familienheim oder Teile davon an Dritte weiter übertragen<br />
muss. Hat also ein Ehepaar ein dem Erblasser gehörendes Zweifamilienhaus<br />
bewohnt, und ist die als Erbin eingesetzte Ehefrau auf<br />
Grund eines Vermächtnisses verpflichtet, eine der Wohnungen an einen<br />
Dritten zu übereignen, dann kann sie nur für das ihr verbleibende<br />
Wohnungseigentum Steuerbefreiung beanspruchen. Das Gleiche gilt,<br />
wenn sie Teile des Hausgrundstücks abtrennen lässt und diese einem<br />
32 Steiner, ErbStB 2009, 123, 127.<br />
33 Viskorf, in: Viskorf/Knobel/Schuck (Fn. 1), § 13 Rn. 54.<br />
34 Viskorf, in: Viskorf/Knobel/Schuck (Fn. 1), § 13 Rn. 80.<br />
35 Mayer, ZEV 2009, 2009, 439, 444.<br />
83
Miterben, etwa dem gemeinsamen Sohn, herausgibt. Die Vorschrift<br />
bewirkt, dass nur in den Genuss der Steuerbefreiung kommt, wer das<br />
Grundstück tatsächlich erhält und auch die persönlichen Voraussetzungen<br />
der Befreiungsnorm erfüllt. Für den Ersterwerber sind damit<br />
keine Nachteile verbunden; er kann die Belastung, die sich aus der<br />
Weitergabeverpflichtung ergibt, <strong>bei</strong> seinem Nachlass abziehen.<br />
Überträgt ein Erbe erworbenes begünstigtes Vermögen im Rahmen der<br />
Teilung des Nachlasses auf einen Dritten und erhält der Erwerber dafür<br />
nicht begünstigtes Vermögen, das der Dritte vom Erblasser erworben<br />
hat, dann erhöht sich gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 4 ErbStG der Wert<br />
des begünstigten Vermögens des Dritten um den Wert des dem Erben<br />
hingegebenen Vermögens, höchstens jedoch um den Wert des von<br />
diesem erhaltenen Vermögens. Diese – nahezu unverständliche – Vorschrift<br />
soll bewirken, dass der Dritte so gestellt wird, als habe er von<br />
Anfang an begünstigtes Vermögen (vom Erblasser) erhalten.<br />
Andererseits erhöht sich der Wert des Nachlasses <strong>bei</strong>m Erben um die<br />
Gegenleistung, die er von dem Dritten erlangt.<br />
Beispiel 2<br />
M wird von seiner Ehefrau F allein beerbt. Sie ist jedoch mit dem Vermächtnis<br />
beschwert, das Familienheim (180 qm) an ihre Tochter T zu<br />
übertragen, die unverzüglich dort einzieht.<br />
F kann die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 2 ErbStG nicht<br />
in Anspruch nehmen, weil sie das Familienheim aufgrund des Vermächtnisses<br />
auf T übertragen muss. T erhält die Vergünstigung nach<br />
§ 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG unmittelbar, da ein Erwerb von Todes wegen<br />
gemäß § 3 ErbStG gegeben ist.<br />
Abwandlung<br />
T ist enterbt, macht aber gegenüber ihrer Mutter F den Pflichtteil<br />
geltend. Zur Abgeltung dieses Anspruchs erhält sie das Familienheim.<br />
Da T das begünstigte Objekt erlangt, steht ihr (und nicht F) die Steuerbefreiung<br />
nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG zu.<br />
7. Nachträglicher Wegfall der Steuerbefreiung<br />
Nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG fällt die Steuerbefreiung mit<br />
Wirkung für die Vergangenheit weg, wenn der Erwerber das Familien-<br />
84
heim innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb nicht mehr zu Wohnzwecken<br />
selbst nutzt, es sei denn, er ist aus zwingenden Gründen an<br />
einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert. Die Steuerbefreiung<br />
entfällt nicht nur zeitanteilig, sondern vollständig, also auch<br />
dann, wenn die Nutzung kurz vor dem Ende der Zehnjahresfrist aufgegeben<br />
wird.<br />
Die Bedingung der zehnjährigen Selbstnutzung begründet der Gesetzgeber<br />
wie folgt: „Der Schutz des gemeinsamen familiären Lebensraumes<br />
gebietet es jedoch andererseits, die Steuerbefreiung davon<br />
abhängig zu machen, dass der überlebende Ehegatte oder Lebenspartner<br />
das Familienheim auch tatsächlich zu eigenen Wohnzwecken<br />
nutzt. Gibt er diese Nutzung innerhalb von zehn Jahren auf, ist ein<br />
solcher Schutz nicht mehr geboten.“ 36 Bezeichnend da<strong>bei</strong> ist, dass der<br />
Gesetzgeber diese Behaltensfrist <strong>bei</strong> Erwerben vom verstorbenen Ehegatten<br />
mit dem Schutz des gemeinsamen familiären Lebensraumes<br />
begründet. Nach dem Ableben eines Ehegatten wird man sicherlich<br />
nicht mehr von einem gemeinsamen familiären Lebensraum sprechen<br />
können. Im Schrifttum 37 wird daher teilweise angenommen, die zehnjährige<br />
Selbstnutzungsobliegenheit sei vor allem deshalb normiert<br />
worden, um Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit der Steuerfreistellung<br />
zu begegnen. Schließlich sei die Steuerbefreiung des privat<br />
genutzten Wohneigentums unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung<br />
i.S.d. Art. 3 GG als kritisch zu bewerten.<br />
Ein Verstoß gegen die Nutzungsfrist von zehn Jahren ist die Veräußerung,<br />
Vermietung oder der Leerstand des Familienheims. Der Erwerber<br />
ist verpflichtet, diese Ereignisse dem Finanzamt anzuzeigen 38 .<br />
Da das ErbStG keine eigenständige Anzeigepflicht vorsieht, folgt dies<br />
aus § 153 Abs. 2 AO, der eine allgemeine Anzeigepflicht anordnet,<br />
wenn die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung oder sonstige<br />
Steuervergünstigung nachträglich ganz oder teilweise wegfallen. Es<br />
findet dann eine Nachversteuerung statt. Ein bestandskräftiger Steuerbescheid<br />
ist nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu ändern.<br />
Es müssen <strong>bei</strong> der zehnjährigen Behaltensfrist hinsichtlich der<br />
Nutzungsintensität die gleichen Maßstäbe gelten wie für die Frage, ob<br />
ein Familienheim vorliegt, allerdings mit der Maßgabe, dass das Wohneigentum<br />
nunmehr nur noch von einem Ehegatten bewohnt wird. Das<br />
36 BT – Drs. 16/11107, 10.<br />
37 Geck, ZEV 2008, 557, 558.<br />
38 Vgl. dazu Mannek/Höne, ZEV 2009, 329,331.<br />
85
edeutet, dass es nicht ausreicht, wenn der länger lebende Ehepartner<br />
die bisherige Familienwohnung als Zweitwohnung weiternutzt, seinen<br />
Lebensmittelpunkt jedoch inzwischen in einer anderen Wohnung hat.<br />
Ein Verlassen des Familienheims durch den überlebenden Ehegatten ist<br />
nur dann unschädlich, wenn dieser durch zwingende Gründe an einer<br />
Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert ist.<br />
Was unter diesem unbestimmten Rechtsbegriff zu verstehen ist, werde<br />
ich später im Rahmen der Zweifelfragen ( C II, 4) erörtern.<br />
III. Erwerb des Familienheims von Todes wegen durch Kinder oder<br />
Kinder verstorbener Kinder, § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG<br />
1. Sinn und Zweck der Regelung<br />
Ähnlich wie die Steuerbefreiung von Wohneigentum für Ehegatten dient<br />
nach der Gesetzesbegründung 39 auch die Freistellung des Erwerbs von<br />
Todes wegen durch Kinder oder Enkel dem Schutz des gemeinsamen<br />
familiären Lebensraumes und dem Ziel der Lenkung in Grundvermögen<br />
schon zu Lebzeiten des Erblassers. Die Regelung soll nach dem Willen<br />
des Gesetzgebers vor dem Hintergrund der Finanzmarktentwicklung<br />
des Jahres 2008 ebenfalls einen Beitrag dazu leisten, das Familiengebrauchsvermögen<br />
krisenfest zu erhalten. 40 Die begrenzte Steuerbefreiung<br />
soll sicherstellen, „dass Wohnungseigentum bis zu einer bestimmten<br />
Grenze an die Kinder steuerfrei vererbt werden kann, wenn<br />
der Erbe ansonsten wegen seiner Erbschaftsteuerverpflichtungen zur<br />
Veräußerung gezwungen wäre.“ 41<br />
2. Voraussetzungen<br />
Die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG setzt voraus, dass<br />
es sich <strong>bei</strong> dem von Todes wegen erlangten Wohneigentum um das<br />
Familienheim des Erblassers gehandelt und er dieses bis zum Erbfall zu<br />
eigenen Zwecken genutzt hat oder aus zwingenden Gründen an der<br />
Nutzung gehindert war. Die Wohneinheit muss <strong>bei</strong>m Erwerber schließlich<br />
unverzüglich zur eigenen Nutzung bestimmt sein. Es muss sich um<br />
ein bebautes Grundstück i. S. d. § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BewG<br />
handeln, das entweder im Inland, in einem EU-Mitgliedstaat oder in<br />
einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraumes belegen ist.<br />
39 BT – Drs. 16/11107, 10.<br />
40 BT – Drs. 16/11107, 11.<br />
41 BT – Drs. 16/11107, 11.<br />
86
Begünstigt ist nur der Erwerb von Todes wegen (Erbe, Vermächtnis,<br />
Auflage, Schenkung von Todes wegen) durch Kinder oder Kinder verstorbener<br />
Kinder im Sinne der Steuerklasse I. Nr. 2. Keine Steuerbefreiung<br />
ist demnach zu gewähren, wenn der Erblasser seinen Sohn zum<br />
Erben eingesetzt und dessen Tochter das von ihm bewohnte Familienheim<br />
im Rahmen eines Vermächtnisses zugewandt hat. Sind <strong>bei</strong>de<br />
Kinder des Erblassers Miterben eines Familienheims zu gleichen Teilen<br />
geworden, so kann die Steuerbefreiung nur beanspruchen, wer auch<br />
tatsächlich unverzüglich einzieht.<br />
3. Umfang der Steuerbefreiung<br />
Auch <strong>bei</strong>m Erwerb von Todes wegen durch Kinder oder Kinder verstorbener<br />
Kinder sieht das Gesetz nur eine anteilige Freistellung vor.<br />
Die Steuerfreiheit wird also lediglich für die vom Erblasser zu eigenen<br />
Wohnzwecken genutzten Teile des jeweiligen Anwesens gewährt,<br />
soweit sie <strong>bei</strong>m Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen<br />
Wohnzwecken bestimmt sind und die Wohnfläche der Wohnung 200<br />
Quadratmeter nicht übersteigt. Die Begrenzung der Wohnfläche ist als<br />
Freibetrag zu verstehen. 42 Das bedeutet, dass lediglich der Teil der<br />
Wohnfläche, der 200 qm übersteigt, der Besteuerung unterliegt.<br />
Die Formulierung des Gesetzes („soweit“) spricht für die Annahme eines<br />
Freibetrages. Hätte der Gesetzgeber stattdessen mit der Wohnflächengrenze<br />
eine abschließende Voraussetzung für die Steuerbefreiung<br />
normieren wollen, <strong>bei</strong> deren Nichtvorliegen das Familienheim insgesamt<br />
erbschaftsteuerpflichtig ist, hätte er die Begriffe „sofern“ oder „wenn“<br />
verwendet. 43<br />
In der Gesetzesbegründung 44 heißt es, eine nur begrenzte Freistellung<br />
für Kinder trage der grundsätzlich geringeren Bindung erwachsener<br />
Kinder an ihre Eltern Rechnung. Bei der Begrenzung auf 200 qm hat der<br />
Gesetzgeber typisierend eine nach seiner Ansicht noch angemessene<br />
Größenordnung für Familienheime zugrunde gelegt. Da<strong>bei</strong> soll die<br />
Orientierung an einer Quadratmeterzahl den regional bestehenden<br />
Unterschieden der Grundstückswerte Rechnung tragen. 45<br />
42 Geck, ZEV 2008, 557, 559; Richter/Viskorf/Philipp, DB 2009, Beilage Nr. 2 zu Heft<br />
Nr.6, S. 10; Tiedtke/Schmitt, NJW 2009, 2632, 2639.<br />
43 Geck, ZEV 2008, 557, 559.<br />
44 BT – Drs. 16/11107, 11.<br />
45 BT – Drs. 16/11107, 11.<br />
87
Wie <strong>bei</strong>m Erwerb vom Ehegatten oder Lebenspartner ist die Steuerbefreiung<br />
ausgeschlossen, soweit der Erwerber das begünstigte Vermögen<br />
auf Grund einer letztwilligen Verfügung des Erblassers auf einen<br />
Dritten übertragen muss oder im Rahmen der Teilung des Nachlasses<br />
begünstigtes Vermögen an einen Miterben herausgibt, § 13 Abs. 1<br />
Nr. 4c S. 2 und 3 ErbStG.<br />
Die Beschränkung der Steuerbefreiung auf 200 m² ist objekt-, und nicht<br />
personenbezogen 46 . Auch <strong>bei</strong> einer Wohnfläche von 400 m² und zwei<br />
Miterben zu je ½ beschränkt sich die begünstigte Wohnfläche auf 200<br />
m² mit der Maßgabe, dass jeder Miterbe lediglich einen hälftigen Anteil<br />
an der begünstigten Wohnfläche von 200 m² erwirbt. 47<br />
Beispiel 3<br />
Erblasser E hinterlässt seinen <strong>bei</strong>den Kindern A und B je zur Hälfte ein<br />
bis dahin von ihm selbst genutztes Einfamilienhaus mit einem Grundbesitzwert<br />
von 450.000 Euro und einer Wohnfläche von 300 m². Beide<br />
Kinder nutzen das Haus nach dem Tod des Erblassers mehr als 10<br />
Jahre.<br />
Es sind insgesamt nur 200 m² Wohnfläche begünstigt. Hier<strong>bei</strong> ist auf die<br />
Wohnung des Erblassers abzustellen. Die begünstigte Fläche entspricht<br />
also 2/3 der Gesamtwohnfläche. Bei jedem Kind sind folglich von dem<br />
hälftigen Grundbesitzwert von 225.000 Euro nur 2/3, also 150.000 Euro<br />
befreit. 48<br />
Beispiel 4<br />
Erblasser E vererbt seiner Ehefrau F und seiner Tochter T je zur Hälfte<br />
ein bis dahin selbstgenutztes Einfamilienhaus mit einem Grundbesitzwert<br />
von 600.000 Euro und einer Wohnfläche von 300 m². Beide nutzen<br />
das Haus mehr als zehn Jahre nach dem Erbfall.<br />
Der hälftige Erwerb der F ist in voller Höhe befreit (300.000 Euro), da<br />
§ 13 Abs. 1 Nr.4b ErbStG keine Wohnflächenbegrenzung vorsieht. Der<br />
46<br />
Tiedtke/Schmitt, NJW 2009, 2632, 2639; Viskorf, in: Viskorf/Knobel/Schuck (Fn. 1),<br />
§ 13 Rn. 67.<br />
47<br />
Vgl. Mayer, ZEV 2009, 439, 41; Schmitt, in: Tiedtke, ErbStG (2009), § 13 Rn. 188; a.<br />
A. Meincke, ErbStG, 15. Aufl. (2009), § 13 Rn. 29; Schumann, DStR 2009, 197, 200;<br />
Steiner, ErbStB 2009, 123, 128.<br />
48<br />
Vgl. Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zur Anwendung der<br />
geänderten Vorschriften des Erbschaftsteuer-und Schenkungsteuergesetzes vom<br />
25.06.2009, H 4 (BStBl. I 2009, 713, 718).<br />
88
hälftige Erwerb der T (300.000 Euro), ist nur zu 2/3 (200.000 Euro) befreit,<br />
da § 13 Abs. 1 Nr.4c ErbStG die Befreiung auf eine Wohnfläche<br />
von 200 m² begrenzt. Dies entspricht 2/3 der Gesamtfläche von 300<br />
m². 49<br />
4. Nachträglicher Wegfall der Steuerbefreiung<br />
Auch <strong>bei</strong>m Erwerb von Todes wegen durch Kinder oder Enkel entfällt<br />
die Steuerbefreiung rückwirkend, wenn der Erwerber das Familienheim<br />
innerhalb von zehn Jahren nicht mehr zu Wohnzwecken selbst nutzt, es<br />
sei denn, er ist aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung gehindert.<br />
Ein Verstoß gegen die Selbstnutzungsfrist von zehn Jahren liegt<br />
vor, wenn das Familienheim längere Zeit leer steht, veräußert oder<br />
fremd vermietet wird. Für die Frage, wann ein zwingender Grund in<br />
diesem Sinne vorliegt, gelten die gleichen Erwägungen wie im Rahmen<br />
des § 13 Abs.1 Nr. 4b ErbStG. Zwingend sind nach der Gesetzesbegründung<br />
solche Umstände, die eine Selbstnutzung objektiv unmöglich<br />
machen, was <strong>bei</strong>spielsweise angenommen werden kann, wenn der<br />
Erwerber stirbt oder pflegebedürftig ist, nicht hingegen <strong>bei</strong> einem freiwilligen<br />
Wechsel in ein Seniorenheim oder einem beruflich veranlassten<br />
Wohnortwechsel.<br />
C. Zweifelsfragen <strong>bei</strong> der Auslegung einzelner Tatbestände<br />
I. Im Rahmen der lebzeitigen Übertragung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a<br />
ErbStG – Lebensmittelpunkt <strong>bei</strong>der oder eines Ehegatten –<br />
Umstritten ist, ob im maßgeblichen Übertragungszeitpunkt <strong>bei</strong>de Ehegatten<br />
in der Wohnung ihren Lebensmittelpunkt haben müssen oder ob<br />
es ausreicht, wenn jedenfalls der Erwerber dort wohnt. Es geht in<br />
diesen Fällen insbesondere um die Frage, ob die Steuerbefreiung auch<br />
dann zu gewähren ist, wenn die Ehegatten bereits zum Zeitpunkt der<br />
Zuwendung dauerhaft getrennt leben oder der übertragende Ehegatte<br />
aus beruflichen Gründen seinen Lebensmittelpunkt an einen anderen<br />
Ort verlegt hat. Das FG Berlin 50 und auch der BFH 51 haben dies zur<br />
49 Vgl. Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zur Anwendung der<br />
geänderten Vorschriften des Erbschaftsteuer-und Schenkungsteuergesetzes vom<br />
25.06.2009, H 4 (BStBl. I 2009, 713, 718).<br />
50 Urteil 28.01.2003 – 5 K 5257/01, DStRE 2004, 217.<br />
51 Urteil vom 26.02.2009 – II R 69/06, BStBl. II 2009, 480, 481 = DStR 2009, 575, 576 =<br />
ZEV 2009, 257 mit Anmerkung von Schlünder/Geißler.<br />
89
alten Rechtslage bejaht, wenn die Wohnung ursprünglich die gemeinsame<br />
Wohnung der Eheleute war, später aber infolge der<br />
Trennung nur noch von einem Ehegatten mit Kindern bewohnt wird.<br />
Schließlich sei unter dem Begriff Familie auch ein mit einem gemeinsamen<br />
Kind zusammenlebender Ehegatte zu verstehen. Auch im<br />
Fall des Getrenntlebens diene die Übertragung des Hauses dem Ausgleich<br />
des während der Ehezeit gemeinsam Erwirtschafteten. 52 Das<br />
Schrifttum 53 ist dem weitgehend gefolgt.<br />
Gleichwohl ist dieser Auffassung ist nicht zuzustimmen. 54 Wenn § 13<br />
Abs. 1 Nr. 4a ErbStG <strong>bei</strong> Zuwendungen unter lebenden Ehegatten von<br />
der Nutzung „zu eigenen Wohnzwecken“ spricht, ist davon auszugehen,<br />
dass sich dies nicht lediglich auf einen, sondern auf <strong>bei</strong>de Ehegatten<br />
bezieht, also vorausgesetzt wird, dass <strong>bei</strong>de die Wohnung im Zeitpunkt<br />
der Zuwendung tatsächlich nutzen. Zweck der Befreiung ist „der Schutz<br />
des gemeinsamen familiären Lebensraums“. 55 Von einem gemeinsamen<br />
familiären Lebensraum kann <strong>bei</strong> dauerhaft Getrenntlebenden<br />
jedoch nicht die Rede sein.<br />
Dementsprechend geht auch die Finanzverwaltung sowohl in den Erbschaftsteuerrichtlinien<br />
56 als auch in den gleichlautenden Erlassen 57 der<br />
obersten Finanzbehörden der Länder zur Anwendung der geänderten<br />
Vorschriften des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes vom<br />
25.06.2009 in Abschnitt 3, Abs. 2 Satz 1 davon aus, dass ein bebautes<br />
Grundstück nur als Familienheim gelte, „soweit darin eine Wohnung<br />
gemeinsam zu eigenen Wohnzwecken genutzt wird.“<br />
Abwandlung von Beispiel 1<br />
M hat sich von F getrennt und ist aus dem Familienheim ausgezogen.<br />
Nach Ansicht der Finanzverwaltung 58 und der hier vertretenen Auffassung<br />
liegen die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung der F<br />
52<br />
FG Berlin, Urteil 28.01.2003 – 5 K 5257/01, DStRE 2004, 217, 218;.<br />
53<br />
Herrmann/B.Michel, in: Wilms/Jochum (Fn. 5), § 13 Rn.42; Meincke (Fn.47), § 13<br />
Rn. 20; Schlünder/Geißler, DStR 2006, 260, 261, Schumann, DStR 2009, 197, 199;<br />
Viskorf, in: Viskof/Knobel/Schuck (Fn.1), § 13 Rn. 39 m.w.N.<br />
54<br />
Götz, FamRB 2005, 186; Schmitt, in: Tiedtke (Fn. 47), § 13 Rn. 114.<br />
55<br />
BT-Drs. 16/11107, 12.<br />
56<br />
R 43 Abs. 1 Satz 3 ErbStR 2003.<br />
57<br />
BStBl. I 2009, 713, 715.<br />
58<br />
R 43 Abs. 1 Satz 3 ErbStR 2003; gleichlautende Erlassen der obersten<br />
Finanzbehörden der Länder zur Anwendung der geänderten Vorschriften des<br />
90
nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG nicht vor. Folgt man der Rechtsprechung<br />
des BFH, 59 scheitert die Befreiung der Grundstücksschenkung<br />
des Ehemannes M an seine Frau dagegen nicht daran, dass<br />
M seinen Lebensmittelpunkt an einen anderen Ort verlegt hat.<br />
Die Zuwendung eines Familienheims ist auch dann nicht privilegiert,<br />
wenn der verfügende Ehegatte aus gesundheitlichen Gründen die gemeinsame<br />
Wohnung verlassen musste und zum Zeitpunkt der Übertragung<br />
in einem Pflegeheim lebt. Anders als in § 13 Abs. 1 Nr. 4b<br />
ErbStG enthält das Gesetz für Zuwendungen unter Lebenden keine<br />
Ausnahme für den Fall, dass der zuwendende Ehegatte „aus<br />
zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken<br />
gehindert war.“<br />
Eine Eigennutzung liegt dagegen auch dann vor, wenn die Übertragung<br />
gegen Vorbehaltsnießbrauch erfolgt. Schließlich nutzt der beschenkte<br />
Ehegatte das Wohneigentum aufgrund ehelicher Gemeinschaft mit. 60<br />
Die Nutzungsbeschränkung durch den Vorbehaltsnießbrauch ist unerheblich,<br />
weil bereits die Übertragung des Familienheims ohne vorbehaltene<br />
Nutzung begünstigt ist.<br />
II. Im Rahmen des Erwerbs von Todes wegen nach § 13 Abs. 1<br />
Nr. 4b ErbStG<br />
1. Definition des Familienheims i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG<br />
§ 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG nimmt hinsichtlich der Definition des<br />
Familienheims nicht auf § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG Bezug, sondern<br />
wählt eine eigene Formulierung. Danach gilt als Familienheim jedes<br />
bebaute Grundstück, soweit der Erblasser darin bis zum Erbfall eine<br />
Wohnung zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat oder <strong>bei</strong> der er aus<br />
zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken<br />
gehindert war und die <strong>bei</strong>m Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu<br />
eigenen Wohnzwecken bestimmt ist.<br />
Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes vom 25.06. 2009, Abschnitt 3 Abs. 2<br />
Satz 1 (BStBl. I 2009, 713, 715.<br />
59 Urteil vom 26.02.2009 –II R 69/06, BStBl. II 2009, 480; ebenso Viskorf, in:<br />
Viskorf/Knobel/Schuck (Fn. 1), § 13 Rn. 39 und 46.<br />
60 Geck, ZEV 1996, 107, 108; Kapp/Ebeling (Fn. 2), 13 Rn. 38.4; Tiedtke/Schmitt, NJW<br />
209, 2632, 2633; Viskorf, in: Viskorf//Knobel/Schuck (Fn. 1), § 13 Rn. 39.<br />
91
Wollte man hierin eine für § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG eigenständige<br />
Definition des Begriffes Familienheim sehen, wäre es nicht erforderlich,<br />
dass der erwerbende Ehegatte die Wohnung des vererbenden Ehegatten<br />
bewohnt hat; es käme lediglich darauf an, dass die Wohnung <strong>bei</strong><br />
ihm unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt<br />
ist. Dann könnte eine Ehefrau, die sich von ihrem Ehemann viele<br />
Jahre vor dessen Ableben getrennt hat, das von ihm allein bewohnte<br />
Anwesen steuerfrei erben, wenn sie nur bereit wäre, unverzüglich einzuziehen.<br />
Gestützt auf den Wortlaut des § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG wird demgemäß<br />
sowohl in der Rechtslehre 61 als auch von der Finanzverwaltung<br />
die Ansicht vertreten, es werde nicht verlangt, dass der Erwerber im<br />
Zeitpunkt des Todes des vorverstorbenen Ehegatten das begünstigte<br />
Objekt bereits bewohnt habe. Es reiche vielmehr aus, wenn er sich erst<br />
nach dem Tod seines Ehegatten dafür entscheide, seinen Lebensmittelpunkt<br />
in dem Familienheim neu zu begründen. So heißt es in Abschnitt<br />
4, Abs. 2 Satz 4 und 5 der Erlasse 62 der obersten Finanzbehörden<br />
der Länder zur Anwendung der geänderten Vorschriften des<br />
Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes vom 25.06.2009: „Der<br />
überlebende Ehegatte oder Lebenspartner muss in der erworbenen<br />
Wohnung unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, die Nutzung zu<br />
eigenen Wohnzwecken aufnehmen.“<br />
Diese Auslegung ist für die Steuerpflichtigen günstig. Sie sollte daher<br />
nicht in Frage gestellt werden. Gleichwohl ist sie bedenklich 63 . Die Bedenken<br />
ergeben sich aus dem Begriff des Familienheims, der dem § 13<br />
Abs. 1 Nr. 4a ErbStG zugrunde liegt.<br />
Im Rahmen dieser Vorschrift ist es für die Frage, ob ein Familienheim<br />
vorliegt, zwingend erforderlich, dass sich in der Wohnung der Mittelpunkt<br />
des familiären Lebens <strong>bei</strong>der Ehegatten oder Lebenspartner befindet.<br />
Die Ehegatten müssen also auch im Zeitpunkt der Zuwendung<br />
die Wohnung gemeinsam zu eigenen Wohnzwecken nutzen (vgl. oben<br />
C I.).<br />
In § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG wollte der Gesetzgeber zwar weitere<br />
Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung formulieren. Es kann aber<br />
61<br />
Schumann, DStR 2009, 197, 199; Viskorf, in: Viskorf/Knobel/Schuck (Fn. 1), § 13<br />
Rn. 52.<br />
62<br />
BStBl. I 2009, 713, 716.<br />
63<br />
Vgl. Tiedtke/Schmitt, NJW 2632, 2635.<br />
92
davon ausgegangen werden, dass er einen Begriff innerhalb einer Vorschrift<br />
nicht unterschiedlich definiert hat, sondern den Begriff des<br />
Familienheims im Rahmen des § 13 ErbStG einheitlich verwenden will.<br />
Dafür spricht auch die Gesetzesbegründung, 64 nach welcher § 13<br />
Abs. 1 Nr. 4b ErbStG dem Schutz des gemeinsamen familiären Lebensraumes<br />
dient. Obwohl dies in § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG nicht ausdrücklich<br />
kodifiziert ist, setzt das voraus, dass der begünstigte Ehegatte in<br />
den familiären Wohnräumen bis zum Erbfall oder zumindest solange<br />
wohnen muss, bis der Erblasser diese aus zwingenden Gründen verlässt.<br />
65 Hat der überlebende Ehegatte das Wohneigentum des Erblassers<br />
bereits zuvor verlassen, handelt es sich nicht mehr um ein<br />
Familienheim.<br />
Wegen der vom Gesetzgeber gewollten Parallelität von Nr. 4a und<br />
Nr. 4b wird demgegenüber im Schrifttum vereinzelt 66 sogar eine entgegen<br />
gesetzte Schlussfolgerung gezogen. Die Finanzverwaltung solle<br />
zukünftig (auch) <strong>bei</strong> § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG auf das Erfordernis einer<br />
gemeinsamen Wohnnutzung <strong>bei</strong>der Ehegatten im Übertragungszeitpunkt<br />
verzichten. Dieser Ansicht ist nicht zuzustimmen 67 . Sie ist weder<br />
mit dem Gesetzeswortlaut noch mit dem Willen des Gesetzgebers vereinbar.<br />
Etwas anderes gilt, wenn der Ehemann das ihm gehörende gemeinsam<br />
bewohnte Einfamilienhaus verlässt, weil er in einem Pflegeheim betreut<br />
werden muss, und seine gesunde und rüstige Ehefrau mit ihm in das<br />
Heim gezogen ist, um ihn besser pflegen zu können. Dann kann sie<br />
später, wenn sie nach dem Ableben ihres Mannes in die Wohnung<br />
zurückziehen möchte, die Steuerbefreiung beanspruchen. Nicht zu<br />
fordern ist, dass der überlebende Ehegatte auch noch im Zeitpunkt des<br />
Erbfalles das Wohneigentum zu eigenen Wohnzwecken nutzt; hat der<br />
Erblasser die gemeinsame Wohnung aus zwingenden Gründen verlassen,<br />
fehlt es bereits deshalb an einem gemeinsamen familiären<br />
Lebensraum.<br />
Die Voraussetzungen der Steuerbefreiung liegen auch dann nicht vor,<br />
wenn der Erblasser zum Zeitpunkt der Eheschließung seine Wohnung<br />
bereits verlassen hat und kurz vor seinem Ableben im Seniorenheim<br />
heiratet. Da<strong>bei</strong> ist es unerheblich, ob er mit seiner Ehefrau vor der Ehe-<br />
64 BT - Drs. 16/11107, 10.<br />
65 Schmitt, in: Tiedtke (Fn. 47), § 13 Rn.139.<br />
66 Schumann, DStR 2009, 197, 199.<br />
67 Tiedtke/Schmitt, NJW 2009, 2632, 2635.<br />
93
schließung in seiner Wohnung zusammengelebt hat. Ein gemeinsames<br />
Familienheim setzt jedenfalls voraus, dass Erblasser und Erbin darin<br />
bereits als Ehegatten gelebt haben.<br />
2. Umfang der Selbstnutzung durch den Erwerber<br />
Fraglich ist, ob die beabsichtigte unverzügliche Selbstnutzung im<br />
gleichen Umfang erfolgen muss wie zu Lebzeiten des Erblassers. Kann<br />
also eine Ehefrau, die mit ihrem Ehemann ein Zweifamilienhaus alleine<br />
bewohnt hat, die volle Steuerbefreiung beanspruchen, wenn sie bereits<br />
zum Zeitpunkt des Erbfalles oder kurze Zeit später konkrete Pläne hat,<br />
nur eine der <strong>bei</strong>den Wohnungen zu bewohnen und die andere zu vermieten?<br />
Nach dem Gesetzeswortlaut ist das erlangte Wohneigentum<br />
„soweit“ steuerbefreit, als der Erblasser darin bis zum Erbfall eine<br />
Wohnung zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat oder <strong>bei</strong> der er aus<br />
zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken<br />
gehindert war und die <strong>bei</strong>m Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu<br />
eigenen Wohnzwecken bestimmt ist.<br />
Bei grammatikalischer Auslegung ist davon auszugehen, dass sich die<br />
in der Formulierung „soweit“ zum Ausdruck kommende anteilige Freistellung<br />
nicht nur auf den Umfang der Selbstnutzung durch den Erblasser,<br />
sondern auch auf die Bestimmung zur Selbstnutzung <strong>bei</strong>m Erwerber<br />
bezieht. Ausgehend vom Wortlaut der Vorschrift wird daher im<br />
Schrifttum 68 eine Steuerbefreiung nur angenommen, „soweit die<br />
Wohnung <strong>bei</strong>m Erwerber unverzüglich zu eigenen Wohnzwecken bestimmt<br />
ist.“ Diese Auslegung entspricht auch der Wertung des Gesetzgebers,<br />
der in § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 3 ErbStG ausdrücklich bestimmt<br />
hat, dass der Ehegatte die Steuerbefreiung nicht in Anspruch nehmen<br />
kann, soweit er das begünstigte Vermögen auf Grund einer letztwilligen<br />
Verfügung oder einer rechtsgeschäftlichen Verfügung des Erblassers<br />
auf einen Dritten übertragen muss. Wenn die Steuerbefreiung <strong>bei</strong><br />
demjenigen eingeschränkt wird, der zur Weiterübertragung von Teilen<br />
des Familienheims verpflichtet ist, dann muss dies erst Recht gelten,<br />
wenn ein Erwerber freiwillig handelt. Schließlich kann die steuerrechtliche<br />
Privilegierung nicht weiter reichen, als dies zum Schutz des vom<br />
Erwerber tatsächlich genutzten Lebensraumes erforderlich ist. 69<br />
68<br />
Richter/Viskorf/Philipp, DB 2009, Beilage Nr. 2 zu Heft Nr.6, S. 10; Schmitt, in:<br />
Tiedtke (Fn. 47), § 13 Rn. 151.<br />
69<br />
Tiedtke/Schmitt, NJW 2009, 2632, 2636.<br />
94
Der entgegen gesetzten Ansicht 70 , nach der jede auch teilweise Fremdvermietung<br />
oder –nutzung sowie Leerstand oder Nutzung zu anderen<br />
als Wohnzwecken begünstigungsschädlich sein solle, ist daher nicht<br />
zuzustimmen.<br />
3. Umfang der entfallenden Steuerbefreiung<br />
Fraglich ist auch, ob und in welchem Umfang die Steuerbefreiung wegfällt,<br />
wenn innerhalb der zehnjährigen Nutzungsfrist der begünstigte<br />
Ehegatte nicht die Nutzung des gesamten Familienwohnheims aufgibt,<br />
sondern nur flächenmäßig einen Teil davon, wenn er also eine<br />
Wohnung eines bislang insgesamt genutzten Zweifamilienhauses vermietet<br />
oder ein als Gartenfläche genutztes Grundstück eigenständig<br />
veräußert. Der Gesetzeswortlaut ist, was den Umfang der entfallenen<br />
Steuerbefreiung anbelangt, nicht eindeutig. Das Gesetz sagt nicht, dass<br />
die Steuerbefreiung wegfällt, „soweit“ der Erwerber das Familienheim<br />
innerhalb von zehn Jahren nicht mehr zu Wohnzwecken selbst nutzt,<br />
sondern dass die Steuerbefreiung wegfällt, „wenn“ der Erwerber das<br />
Familienheim innerhalb von zehn Jahren nicht mehr zu Wohnzwecken<br />
selbst nutzt. Andererseits kann hieraus nicht zwingend gefolgert<br />
werden, dass der Gesetzgeber einen generellen und nicht nur einen<br />
anteiligen Wegfall der Steuerbefreiung regeln wollte. Für den Wegfall<br />
der Steuerbefreiung kann im Ergebnis nichts anderes gelten als für ihre<br />
Gewährung zum Zeitpunkt des Erwerbs. Der Gesetzgeber hat für das<br />
Familienheim eine anteilige Freistellungsregelung geschaffen. Die<br />
Steuerbefreiung orientiert sich am Umfang, zu dem ein bebautes<br />
Grundstück tatsächlich zu eigenen Wohnzwecken genutzt wird. Das gilt<br />
auch, wenn es um die Selbstnutzung des Familienheims durch den<br />
erwerbenden Ehegatten geht. Das Prinzip der anteiligen Freistellung ist<br />
schließlich im Rahmen des Wegfalls der Steuerbefreiung nach § 13<br />
Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG fortzusetzen. 71 Das bedeutet, die Steuerbefreiung<br />
fällt nachträglich nur weg, soweit der Erwerber das Gebäude<br />
nicht mehr selbst nutzt. Hat also der Ehegatte eine Wohnung seines<br />
bislang selbst genutzten Zweifamilienhauses vermietet oder veräußert,<br />
so fällt die Steuerbefreiung lediglich für diese nachträglich weg 72 . Dieses<br />
Ergebnis ist auch sachgerecht und entspricht der verfassungsrechtlichen<br />
Rechtfertigung der steuerlichen Begünstigung des Familien-<br />
70<br />
Viskorf, in: Viskorf/Knobel/Schuck (Fn. 1), § 13 Rn. 55.<br />
71<br />
Schmitt, in: Tiedtke (Fn. 47), § 13 Rn 174.<br />
72<br />
Steiner, ErbStB 2009, 123, 127; a.A. Viskorf, in: Viskorf/Knobel/Schuck (Fn. 1), § 13<br />
Rn. 55.<br />
95
heims 73 . Die Steuerbefreiung fällt mit Wirkung für die Vergangenheit<br />
weg, die Bewertung des Grundstücks orientiert sich also am Zeitpunkt<br />
des Erbfalles. Vermögensminderungen bleiben daher genauso wie<br />
Wertsteigerungen außer Betracht.<br />
4. Zwingende Gründe<br />
Den Begriff der zwingenden Gründe verwendet das Gesetz mehrmals.<br />
Er ist <strong>bei</strong>m Erblasser, aber auch <strong>bei</strong>m Erwerber beachtlich, soweit es<br />
um den Erwerb eines Familienheims von Todes wegen durch den<br />
überlebenden Ehegatten oder durch Kinder und Kinder verstorbener<br />
Kínder geht. Es handelt sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der<br />
zahlreiche Zweifelsfragen aufwirft, die, solange die Rechtsprechung sie<br />
nicht beantwortet hat, die Rechtssicherheit beeinträchtigen können.<br />
a) Beim Erblasser<br />
Als zwingende Gründe kommen nur solche in Betracht, die es dem<br />
Erblasser unmöglich machen, im bisherigen Familienheim weiterhin<br />
seinen Lebensmittelpunkt zu belassen. Dazu zählen vor allem gesundheitliche<br />
Einschränkungen, die umfassende Betreuung erfordern und<br />
einen weiteren Verbleib in der Familienwohnung als nicht länger zumutbar<br />
erscheinen lassen. Dies ist etwa der Fall, wenn der pflegebedürftige<br />
Erblasser zu seinen Kindern oder in ein Pflegeheim zieht.<br />
Im Schrifttum 74 wird vereinzelt darauf hingewiesen, dass <strong>bei</strong> der Pflegebedürftigkeit<br />
die Pflegestufe 3 vorliegen müsse. Dieser Auffassung ist<br />
nicht zuzustimmen 75 . Sie wird auch von der Finanzverwaltung nicht<br />
vertreten; die gleich lautenden Erlasse 76 der obersten Finanzbehörden<br />
der Länder zur Anwendung der geänderten Vorschriften des Erbschaftsteuer-<br />
und Schenkungsteuergesetzes vom 25.06.2009 stellen jeweils<br />
nur auf die Pflegebedürftigkeit des Erwerbers ab, fordern also nicht die<br />
Pflegestufe 3. Dieser kommt daher nicht mehr als eine Indizwirkung<br />
zu 77 . Bei der Frage der Pflegebedürftigkeit muss vielmehr jeweils im<br />
Einzelfall geprüft werden, ob es zumutbar ist, dass der Erwerber aufgrund<br />
seines Gesundheitszustandes weiterhin in seinem Familienheim<br />
verbleiben kann oder ob dies nicht der Fall ist. Da<strong>bei</strong> sollten die An-<br />
73 Tiedtke/Schmitt, NJW 209, 2632, 2638.<br />
74 Schumann, DStR 2009, 197, 199.<br />
75 Tiedtke/Schmitt, NJW 2009, 2632, 2638.<br />
76 BStBl. I 2009, 713, 716.<br />
77 Steiner, ErbStB 2009, 123, 127; Tiedtke/Schmitt, NJW 2009, 2632, 2638.<br />
96
forderungen nicht überspannt werden, da im Regelfall niemand ohne<br />
zwingenden Grund ins Pflegeheim geht 78 .<br />
Ein zwingender Grund ist auch zu bejahen, wenn der Erblasser aufgrund<br />
einer neu aufgetretenen Behinderung in eine behindertengerechte<br />
Wohnung umziehen muss. 79<br />
Es fragt sich aber, ob dies auch dann zu bejahen ist, wenn ein gesunder<br />
und rüstiger Senior freiwillig in ein Altersheim wechselt. Bei einer lediglich<br />
freiwilligen Änderung der Lebensplanung kommt eine Steuerbefreiung<br />
gerade nicht in Betracht. 80 Bei der Beurteilung des Gesundheitszustandes<br />
ist in diesen Fällen eine Grenzziehung fließend und die<br />
Festlegung bestimmter Kriterien äußerst problematisch. In der Praxis<br />
wird es außerdem schwierig sein, im Zeitpunkt des Erbfalles zu klären,<br />
wie der Gesundheitszustand und die Vitalität des Erblassers waren, als<br />
dieser den Wohnungswechsel vornahm.<br />
Wird der Erblasser erst pflegebedürftig, nachdem er das Familienheim<br />
verlassen hat, dann wird man zu Recht darauf hinweisen, dass er früher<br />
oder später sowieso das Familienheim hätte verlassen müssen. In<br />
diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, zu welchem Zeitpunkt<br />
die Verhinderung aus zwingenden Gründen vorgelegen haben<br />
muss: zum Zeitpunkt des Verlassens des Familienheims oder zum Zeitpunkt<br />
des Erbfalles? Aus der Formulierung des Gesetzestextes lässt<br />
sich dies nicht zweifelsfrei entnehmen. Aus dem Sinn und Zweck der<br />
Vorschrift ergibt sich jedoch, dass die Hinderungsgründe bereits vorliegen<br />
müssen, wenn der Erblasser die Wohnung verlässt. 81 Schließlich<br />
setzt der Begriff Familienheim voraus, dass das jeweilige Wohneigentum<br />
der Mittelpunkt des familiären Lebens <strong>bei</strong>der Ehegatten ist. Dies ist<br />
jedoch nicht der Fall, wenn ein Ehegatte oder Lebenspartner die<br />
Wohnung dauerhaft verlassen hat<br />
In der Rechtslehre 82 wird die Ansicht vertreten, die Steuerbefreiung des<br />
§ 13 Abs. 1 Nr. 4b und Nr. 4c ErbStG entfalle, wenn der verstorbene<br />
Ehegatte seinen Haushalt wegen einer Heimunterbringung oder aus<br />
sonstigen zwingenden Gründen bereits zu seinen Lebzeiten aufgelöst<br />
78 Viskorf, in: Viskorf/Knobel/Schuck (Fn. 1), § 13 Rn. 53.<br />
79 Schumann, DStR 2009, 197,199<br />
80 Richter/Viskorf/Philipp, DB 2009, Beilage Nr. 2 zu Heft Nr.6, S. 10; Schmitt, in:<br />
Tiedtke (Fn. 47), § 13 Rn. 145; Steiner, ErbStB 2009, 123, 126.<br />
81 Schmitt, in: Tiedtke (Fn. 47), § 13 Rn. 146.<br />
82 Viskorf, in: Viskorf/Knobel/Schuck (Fn. 1), § 13 Rn. 53, 59 und 72.<br />
97
und die Wohnung an Dritte vermietet hat. Mit der Fremdvermietung<br />
habe er seinen familiären Lebensraum aufgegeben. Etwas anderes<br />
gelte nur, wenn dem verstorbenen Ehegatten oder Lebenspartner seine<br />
Wohnung bis zuletzt zur Verfügung stehe. Dem ist nicht zuzustimmen.<br />
Bereits aus dem Wortlaut des § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG folgt das<br />
Gegenteil: Dort wird eine Wohnung, <strong>bei</strong> der der Erblasser aus<br />
zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken<br />
gehindert war, einem Familienheim gleichgestellt, das dieser bis zum<br />
Erbfall zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat. Eine anschließende Vermietung<br />
ist dann genauso unschädlich wie ein Leerstand. Dies ist anerkannt,<br />
wenn der Erwerber die Eigennutzung aus zwingenden Gründen<br />
aufgeben musste. 83 Für den Erblasser kann daher nichts anderes<br />
gelten.<br />
Denkbar seien, heißt es wiederholt im Schrifttum 84 auch andere berufliche,<br />
wirtschaftliche oder private Gründe, die zwingend einer Selbstnutzung<br />
der Wohnung durch den Erblasser entgegenstehen. So könne<br />
auch der Wohnungswechsel in einen weiter entfernt liegenden Ar<strong>bei</strong>tsort,<br />
die Pflege eines (weit entfernt wohnenden) Angehörigen oder der<br />
Umstand ein zwingender Hinderungsgrund sein, dass der Erblasser<br />
nicht in der Lage sei, die Kosten des Familienheims aus den laufenden<br />
Einnahmen zu decken. Diese Auffassung ist zwar verständlich, mit dem<br />
Willen des Gesetzgebers aber nicht vereinbar. Danach müssen<br />
objektive Gründe vorliegen, die dem Erblasser das selbständige Führen<br />
eines Haushalts unmöglich machen. Demnach kommt es nicht darauf<br />
an, ob es dem Erblasser zuzumuten ist, an einem bestimmten Wohnort<br />
seinen Wohnsitz zu belassen.<br />
b) Beim Erwerber<br />
Als zwingende Gründe <strong>bei</strong>m Erwerber kommen – wie <strong>bei</strong>m Erblasser –<br />
ebenfalls nur solche in Betracht, die eine Nutzung der Wohnung zu<br />
eigenen Wohnzwecken objektiv unmöglich machen. In diesen Fällen ist<br />
eine anschließende unentgeltliche Überlassung, Vermietung oder der<br />
Verkauf des Familienheims unschädlich. Das gilt – jedenfalls nach der<br />
Auffassung der Finanzverwaltung 85 – auch dann, wenn der überlebende<br />
83<br />
Viskorf, in: Viskorf/Knobel/Schuck (Fn.1), § 13 Rn. 56.<br />
84<br />
Steiner, ErbStB 2009, 123, 126; Viskorf, in: Viskorf/Knobel/Schuck (Fn. 1) § 13<br />
Rn. 53.<br />
85<br />
Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zur Anwendung der geänderten<br />
Vorschriften des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes vom 25.06.2009,<br />
Abschnitt 4, Abs. 2 Satz 5 und Abs. 6 Sätze 9 ff. (BStBl. I 2009, 713, 716, 717); a.A.<br />
Steiner, ErbStB 2009, 123, 127; Viskorf, in Viskorf/Knobel/Schuck (Fn. 1), § 13<br />
98
Ehegatte oder Lebenspartner aus objektiv zwingenden Gründen schon<br />
im Zeitpunkt des Erwerbs an der Nutzung zu eigenen Wohnzwecken<br />
gehindert war, er z.B. bereits selbst in einem Pflegeheim lebt. Entfallen<br />
die Hinderungsgründe innerhalb der Zehnjahresfrist, muss der Erwerber<br />
die Nutzung des Familienheims unverzüglich nach ihrem Wegfall zu<br />
eigenen Wohnzwecken aufnehmen und bis zum Ablauf des Zehnjahreszeitraums<br />
oder dem erneuten Eintritt objektiv zwingender Gründe<br />
ausüben. Anderenfalls fällt die Steuerbefreiung rückwirkend weg.<br />
Fraglich ist, ob dies auch dann gilt, wenn der Erwerber das Familienheim<br />
bereits veräußert hat, als tatsächlich zwingende Hinderungsgründe<br />
vorlagen. 86 Eine erneute Nutzung ist hier regelmäßig nicht mehr<br />
möglich. Eine Nachversteuerung würde in diesem Fall jedenfalls dann<br />
eine unbillige Härte darstellen, wenn der Wegfall der objektiven<br />
Hinderungsgründe unvorhersehbar ist und vom Erwerber nicht beeinflusst<br />
werden kann, etwa <strong>bei</strong> einer schweren Pflegebedürftigkeit. Der<br />
Erwerber müsste, obwohl objektive Hinderungsgründe vorliegen, seine<br />
Veräußerungsabsicht bis zum Ablauf der Zehnjahresfrist aufschieben,<br />
wenn er nicht das Risiko einer unvorhergesehenen Nachversteuerung<br />
eingehen möchte. Dieser Auffassung ist daher nicht zuzustimmen 87 .<br />
Ist andererseits der Wegfall der Hinderungsgründe absehbar, etwa<br />
wenn <strong>bei</strong> einem Minderjährigen die Vollendung des 18. Lebensjahres<br />
noch innerhalb der Zehnjahresfrist liegt, kann der Zweck der Steuerbefreiung,<br />
das Familienheim krisenfest zu erhalten, noch erreicht werden.<br />
Das ist indes nicht der Fall, wenn das Familienheim in der Annahme<br />
dauerhafter objektiver Verhinderung bereits veräußert wurde.<br />
Es ist daher sachgerecht, danach zu differenzieren, ob der Wegfall der<br />
objektiven Hinderungsgründe im Zeitpunkt der Veräußerung vorhersehbar<br />
war. Ist dies der Fall, führt eine Veräußerung zur Nachversteuerung,<br />
anderenfalls bleibt es <strong>bei</strong> der Steuerbefreiung.<br />
Rn. 54; sie meinen, die zwingenden Gründe suspendierten nur das Erfordernis der<br />
vollen zehnjährigen Selbstnutzung, änderten aber nichts am Grundtatbestand, der<br />
gemäß dem Begünstigungszweck der Norm zwingend voraussetze, dass das<br />
begünstigte Objekt nach dem Erwerb zum Familienheim des Erwerbers werden<br />
könne und auch tatsächlich zu einem solchen werde. Sei der überlebende Ehegatte<br />
daher von Anfang an an der Selbstnutzung verhindert, müsse die Steuerbefreiung<br />
daher selbst dann versagt werden, wenn dies aus zwingenden Gründen geschehe.<br />
86 Bejahend Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zur Anwendung der<br />
geänderten Vorschriften des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes vom<br />
25.06.2009, Abschnitt 4 Abs. 2 Satz 11 (BStBl. I 2009, 713, 717).<br />
87 Tiedtke/Schmitt, NJW 2632, 2637.<br />
99
Ein zwingender Grund ist <strong>bei</strong>spielsweise ferner anzunehmen, wenn das<br />
Wohnobjekt infolge eines Umstandes, den der Erwerber nicht zu vertreten<br />
hat, vollständig zerstört oder zumindest für längere Zeit unbewohnbar<br />
wurde. Das Gleiche muss gelten, wenn das Familienheim<br />
gegen den Willen des Erwerbers enteignet wird.<br />
Fraglich ist indes, ob ein zwingender Grund vorliegt, wenn das<br />
Familienheim im Rahmen einer Zwangsvollstreckungsmaßnahme verwertet<br />
wird und der Erwerber in diesem Zusammenhang sein Eigentum<br />
daran verliert. Veräußert ein Erwerber das Familienheim selbst, um<br />
Schulden zu tilgen, stellt dies keinen zwingenden Grund dar. Die<br />
Rechtslage kann nicht anders sein, wenn auf Grund der Schulden Vollstreckungsmaßnahmen<br />
eingeleitet werden. 88 Handelt es sich um<br />
Verbindlichkeiten, die im Zusammenhang mit der Anschaffung oder dem<br />
Erwerb des Eigenheims stehen, führt der Wegfall der Steuerbefreiung<br />
ohnehin dazu, dass § 10 Abs. 6 ErbStG einem Schuldenabzug nicht<br />
mehr entgegensteht. Hat der Erwerber die Schulden jedoch anderweitig<br />
begründet, und greifen seine Gläubiger jetzt im Wege der Zwangsvollstreckung<br />
auf das Familienheim zu, so ist er genauso wenig schutzwürdig<br />
wie der Erbe anderer Vermögenswerte, die er infolge der<br />
Zwangsvollstreckung verliert. Zweck der Steuerbefreiung ist es, das<br />
Familienheim krisenfest zu erhalten. 89 Dieser Zweck kann jedenfalls<br />
nicht mehr erreicht werden, wenn das jeweilige Wohnungseigentum<br />
Opfer der Schulden des Erwerbers wird.<br />
Auch <strong>bei</strong>m Erwerber kann es um die Frage gehen, ob berufliche Veränderungen<br />
die Annahme eines zwingenden Grundes rechtfertigen.<br />
Wird etwa der länger lebende Ehegatte durch seinen Ar<strong>bei</strong>tgeber von<br />
München nach Hamburg versetzt, so ist es ihm in der Regel unmöglich,<br />
das in München belegene Familienheim weiter zu eigenen Wohnzwecken<br />
zu nutzen. Hier<strong>bei</strong> ist allerdings zu berücksichtigen, dass die<br />
verfassungsrechtliche Rechtfertigung der besonderen Verschonung des<br />
familiären Wohneigentums nur enge Ausnahmen zulässt. Eine<br />
Änderung der Lebenssituation ist daher nur dann als zwingend anzusehen,<br />
wenn der Betroffene objektiv keinen Einfluss hierauf hat. Bei<br />
einer Änderung der Lebensplanung ist dies hingegen nicht der Fall.<br />
Obwohl einzelne Abgeordnete auf die Problematik der beruflichen Versetzung<br />
hingewiesen haben, werden in der Gesetzesbegründung 90 als<br />
88 Schmitt, in: Tiedtke (Fn. 47), § 13 Rn. 168.<br />
89 BT – Drs. 16/11107, 10.<br />
90 BT – Drs. 16/11107, 10.<br />
100
Beispiele für zwingende Gründe lediglich der Tod oder die Pflegebedürftigkeit<br />
des Erwerbers genannt.<br />
Nach dem Willen des Gesetzgebers müssen „objektive Gründe vorliegen,<br />
die das selbständige Führen eines Haushaltes in dem erworbenen<br />
Eigenheim unmöglich machen.“ Der Gesetzgeber stellt also<br />
für die Ausnahme von der zehnjährigen Eigennutzung allein darauf ab,<br />
ob der Erwerber in der Lage ist, einen Haushalt selbständig zu führen,<br />
nicht jedoch darauf, ob dem Erwerber zuzumuten ist, an einem bestimmten<br />
Wohnort seinen Wohnsitz zu belassen. Deshalb können<br />
beruflich veranlasste Wohnsitzwechsel grundsätzlich nicht berücksichtigt<br />
werden. Sie führen daher zu einem Wegfall der ursprünglichen<br />
Steuerbefreiung. 91<br />
Fraglich ist allerdings, ob eine Zwischenvermietung während eines<br />
beruflich bedingten Auslandsaufenthalts steuerunschädlich sein kann,<br />
wenn der Auslandsaufenthalt lediglich vorübergehender Natur ist und<br />
die Selbstnutzung anschließend unverzüglich aufgenommen wird. Das<br />
ist im Ergebnis zu bejahen. Zwar ist der Erwerber auch <strong>bei</strong> einer derartigen<br />
Gestaltung keinesfalls aus zwingenden Gründen an einer<br />
Selbstnutzung der Wohnung gehindert. 92 Die Steuerfreiheit beruht aber<br />
darauf, dass es <strong>bei</strong> dieser und ähnlichen Konstellationen von vornherein<br />
an einer endgültigen Aufgabe der Selbstnutzung fehlt; wer, aus welchen<br />
Gründen auch immer, die von ihm selbst genutzte Wohnung vorübergehend<br />
leer stehen lässt oder vermietet, gibt die Selbstnutzung nicht,<br />
wie es die gesetzliche Regelung fordert, endgültig auf, wenn er von<br />
Anfang an die Absicht hat, die Selbstnutzung zu eigenen Zwecken anschließend<br />
wieder aufzunehmen 93 .<br />
Ein Umzug anlässlich einer späteren Wiederverheiratung ist dagegen<br />
nicht steuerunschädlich. 94 Eine derartige Veränderung der Lebensplanung<br />
ist ausschließlich subjektiv geprägt. Dass Art. 6 Abs. 1 GG Ehe<br />
und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung<br />
stellt, ändert daran nichts.<br />
Im Rahmen des Erwerbs eines Familienheims durch Kindern und Kinder<br />
verstorbener Kinder (§ 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG kommt es insbesondere<br />
91 Schmitt, in: Tiedtke (Fn. 47), § 13 Rn. 171.<br />
92 So aber Schumann, DStR 2009, 197, 199.<br />
93 Tiedtke/Schmitt, NJW 2009, 2632, 2638.<br />
94 Tiedtke/Schmitt, NJW 2009, 2632, 2639; a. A. Mayer, ZEV 2009, 439, 440;<br />
Schumann, DStR 2009, 197, 200; Steiner, ErbStB 2009, 123, 127.<br />
101
darauf an, ob ein zwingender Grund gegeben ist, wenn sich der Erwerber<br />
aufgrund seiner Berufsausbildung oder seines Studiums in einer<br />
anderen Stadt aufhalten muss. Grundsätzlich ist dies zu verneinen. 95<br />
Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Steuerbefreiung des<br />
Familienheims lässt nur enge Ausnahmen zu. Berufsausbildung und<br />
Studienwahl sind Fragen der persönlichen und damit autonom<br />
motivierten Lebensplanung, begründen hingegen keine objektiven<br />
Hinderungsgründe. Hält sich der Student oder Auszubildende regelmäßig<br />
an den Wochenenden während der ausbildungs- bzw. vorlesungsfreien<br />
Zeit in dem Wohneigentum auf, kann i.d.R. eine Selbstnutzung<br />
zu eigenen Wohnzwecken noch bejaht werden, jedenfalls<br />
dann, wenn noch weitere Familienangehörige in der Wohnung ihren<br />
Lebensmittelpunkt haben.<br />
Objektiv zwingende Gründe liegen ebenfalls vor, wenn ein minderjähriges<br />
Kind ein Familienheim erbt. Wird es in einem Waisenhaus oder<br />
in einer Pflegefamilie untergebracht, so liegen objektive Gründe vor, die<br />
ihm das selbständige Führen eines Haushaltes in dem erworbenen<br />
Familienheim unmöglich machen 96 . Das Gleiche gilt, wenn der überlebende<br />
Erziehungsberechtigte, der das Aufenthaltsbestimmungsrecht<br />
ausübt, in einen anderen Ort zieht und das minderjährige Kind ihm deshalb<br />
folgen muss.<br />
D. Folgerungen für die notarielle Gestaltungspraxis<br />
I. Lebzeitige Übertragung eines Familienheims als Gestaltungs-<br />
mittel<br />
Aus der Sicht der Gestaltungspraxis bleibt nach alledem die lebzeitige<br />
Zuwendung eines Familienheims an den Ehegatten oder Lebenspartner<br />
nach wie vor interessant. Sie verdient den Vorzug vor einer Übertragung<br />
von Todes wegen nach § 13 Abs. Nr. 4b ErbStG, weil sie mit keiner<br />
Behaltensfrist und damit auch nicht dem Risiko der Nachversteuerung<br />
verbunden ist. 97 Der Beschenkte muss das Objekt weder für einen bestimmten<br />
Zeitraum in seinem Eigentum halten, noch ist erforderlich,<br />
95 Vgl. Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zur Anwendung der<br />
geänderten Vorschriften des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes vom<br />
25.06.2009, Abschnitt 4, Abs.6 Satz 9 (BStBl. I 2009, 713, 717); Schmitt, in: Tiedtke<br />
(Fn. 47), § 13 Rn. 193.<br />
96 Vgl. Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zur Anwendung der<br />
geänderten Vorschriften des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes, Stand<br />
01.04.2009, Abschnitt 4, Abs.7 Satz 5 BStBl. I 2009, 713, 717).<br />
97 Vgl. Mayer, ZEV 2009, 439, 442; Steiner, ErbStB 2009, 123, 124.<br />
102
dass er die Wohnung nach der Schenkung weiter zu eigenen Wohnzwecken<br />
nutzt. Sowohl eine spätere Veräußerung als auch eine<br />
Nutzungsänderung durch den Begünstigten sind unbeachtlich. Es ist<br />
lediglich erforderlich, dass der Erblasser bis zum Vollzug der Zuwendung<br />
das Familienheim zu Wohnzwecken genutzt hat. Eine Ausnahme<br />
von diesem Grundsatz hat der Gesetzgeber <strong>bei</strong>m Vorliegen<br />
zwingender Gründe lediglich für den Erwerb von Todes wegen vorgesehen.<br />
§ 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG ist eine sachliche Befreiung, die unabhängig<br />
(und damit zusätzlich) vom persönlichen Ehegattenfreibetrag nach § 16<br />
Abs. 1 Nr. 1 ErbStG und dem besonderen Versorgungsfreibetrag nach<br />
§ 17 Abs.1 ErbStG gewährt wird. 98 Eine Wertobergrenze gibt es nicht.<br />
Durch die Übertragung des Familienheims können deshalb Vermögensverschiebungen<br />
in unbegrenzter Höhe schenkungsteuerfrei vorgenommen<br />
werden. Es findet auch keine Angemessenheitsprüfung<br />
statt. Es tritt weder Objektverbrauch ein, noch gibt es eine Objektbeschränkung.<br />
99 Die Ehegatten können daher sowohl ein Familienheim<br />
nacheinander hin und her übertragen als auch im Laufe der Ehe für<br />
mehrere jeweils selbst genutzte Immobilien die Steuerbefreiung in Anspruch<br />
nehmen.<br />
Insoweit kann § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG ein wesentliches Gestaltungsmittel<br />
sein, um eine optimale Verteilung des Familienvermögens<br />
schenkungsteuerfrei zu erreichen. Verkauft die beschenkte<br />
Ehefrau das ihr übertragene Familienheim an ihren Ehemann zurück,<br />
kann ihr aufgrund dieser Gestaltung Bargeld in unbegrenzter Höhe und<br />
außerhalb der persönlichen Freibeträge schenkungsteuerfrei zugewendet<br />
werden, sofern im Einzelfall kein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten<br />
nach § 42 AO gegeben ist. Ein solcher Fall kann<br />
gegebenenfalls eintreten, wenn ein Objekt kurz vor der Übertragung auf<br />
den anderen Ehegatten zum Familienheim wird, die Nutzung zu eigenen<br />
Wohnzwecken dann aber kurze Zeit nach der Zuwendung wieder aufgegeben<br />
wird. 100<br />
98 Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher (Fn. 5), § 13 Rn. 58; Viskorf, in<br />
Viskorf/Knobel/Schuck (Fn. 1) § 13 Rn. 49.<br />
99 Tiedtke/Schmitt, NJW 2009, 2632, 2634. m.w.N.<br />
100 Geck, ZEV 1996, 107,109; Viskorf, in: Viskorf/Knobel/Schuck (Fn. 1), § 13 Rn. 43.<br />
103
II. Nießbrauchsgestaltungen<br />
Dem Wortlaut nach fällt die Steuerbefreiung mit Wirkung für die Vergangenheit<br />
nur weg, wenn der Erwerber innerhalb von zehn Jahren<br />
nach dem Erwerb das Familienheim nicht mehr zu Wohnzwecken selbst<br />
nutzt. Im Schrifttum 101 wird daher die Auffassung vertreten, eine Veräußerung<br />
des Familienheims stelle keinen Verstoß gegen die Zehnjahresfrist<br />
dar, wenn der Erwerber das Familienheim weiter bewohne,<br />
etwa als Mieter, aufgrund eines Wohnrechts oder als Nießbraucher.<br />
Dem ist jedoch nicht zuzustimmen. 102 Der Gesetzgeber wollte Wohneigentum<br />
erbschaftsteuerrechtlich nicht schlechthin privilegieren,<br />
sondern nur in einem familiären Nutzungs- und Funktionszusammenhang.<br />
Mit der zehnjährigen Nutzungsfrist hat er höhere Anforderungen<br />
aufgestellt als <strong>bei</strong> der zehnjährigen Behaltensfrist, etwa für Kulturgüter.<br />
Wenn er über das bloße Behalten hinaus die Selbstnutzung zu eigenen<br />
Wohnzwecken des erlangten Wohneigentums fordert, dann ist damit ein<br />
Nutzen als Eigentümer oder Miteigentümer gemeint. Nach der<br />
Gesetzesbegründung „dient die Regelung dazu, das Familiengebrauchsvermögen<br />
krisenfest zu erhalten.“ 103 Die Veräußerung des<br />
Familienheims ist genau das Gegenteil. Der Erwerber soll mit der<br />
Steuerbefreiung davor geschützt werden, dass er das Familienheim<br />
angesichts der Erbschaftsteuer veräußern muss. Verkauft er es gleichwohl,<br />
verliert seine erbschaftsteuerliche Privilegierung ihre Grundlage.<br />
Die Steuerbefreiung entfällt also, wenn der Erwerber das Familienheim<br />
zwar weiter bewohnt, das Eigentum aber an einen Dritten überträgt.<br />
Es ist deshalb weder ratsam, die Kinder unmittelbar zu Erben einzusetzen<br />
und sie bezüglich des Familienheims mit einem Nießbrauchsvermächtnis<br />
zugunsten des längerlebenden Ehegatten zu belasten noch<br />
den als Erben eingesetzten überlebenden Ehegatten mit dem Vermächtnis<br />
zu beschweren, das Familienheim zwar auf die Kinder zu<br />
übertragen, sich vorab aber einen Vorbehaltsnießbrauch einzuräumen.<br />
In <strong>bei</strong>den Fällen liegen die Voraussetzungen der Steuerbefreiung für<br />
das Familienheim nicht vor, und zwar weder für die Kinder noch für den<br />
überlebenden Ehegatten. Dieser kann die Steuerbefreiung nicht in An-<br />
101<br />
Geck, ZEV 2008, 557, 55; Mayer, ZEV 2009, 439, 443; Steiner, ErbStB 2009, 123,<br />
127.<br />
102<br />
So auch Richter/Viskorf/Philipp, DB 2009, Beilage Nr. 2 zu Heft Nr.6, S. 10; Schmitt,<br />
in: Tiedtke (Fn. 47), § 13 Rn .172; Viskorf, in: Viskorf/Knobel/Schuck (Fn. 1), § 13<br />
Rn. 55.<br />
103<br />
BT – Drs. 16/11107, 10.<br />
104
spruch nehmen, weil er nicht, wie es § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG erfordert,<br />
das Eigentum erwirbt, und den Kindern steht die Vergünstigung<br />
nicht zu, weil es an einer Selbstnutzung durch sie fehlt. Daran ändert<br />
auch der Umstand nichts, wenn sie in das Familienheim einziehen<br />
sollten, es also faktisch selbst nutzen. Dieser Nutzung fehlt eine<br />
gesicherte Rechtsposition. Sie kann jederzeit durch den Nießbraucher<br />
beendet werden. 104 Sie ist deshalb nicht ausreichend.<br />
Testamentsgestaltungen, die nach wie vor das Familienheim durch<br />
Nießbrauchs- oder Wohnrechte aufspalten, sollten daher im Hinblick auf<br />
die Steuerbefreiung nach den § 13 Abs. 1 Nr. 4b und Nr. 4c ErbStG<br />
überprüft werden.<br />
III. Teilungsanordnung oder Vorausvermächtnis<br />
Eheleute übertragen ein Familienheim häufig im Rahmen eines Berliner<br />
Testaments zunächst auf den überlebenden Ehegatten und erst nach<br />
seinem Tod auf die gemeinsamen Kinder als Schlusserben. Steht<br />
bereits zur Zeit der Testamentserrichtung fest, welches Kind das<br />
Familienheim zu eigenen Wohnzwecken nutzen wird, kann dies nach<br />
neuer Rechtslage sowohl durch eine Teilungsanordnung als auch durch<br />
ein (Voraus-)Vermächtnis geschehen 105 . Durch den<br />
Begünstigungstransfer (§ 13 Abs. 1 Nr. 4c Sätze 2-5 ErbStG) ist sichergestellt,<br />
dass die Steuerbefreiung erhält, wer das Familienheim selbst<br />
nutzt.<br />
IV. Ausgleich von Belastungsunterschieden <strong>bei</strong> der Testaments-<br />
gestaltung<br />
Die Steuerbefreiung für das Familienheim im Todesfall kommt nur dem<br />
Erben zugute, der dieses Objekt erlangt. Im Vergleich zu den übrigen<br />
Erben, die z.B. ausschließlich Geld, also kein privilegiertes Vermögen,<br />
erhalten, kann es daher zu erheblichen Belastungsunterschieden<br />
führen, die in vielen Fällen nicht der vom Erblasser gewollten wirtschaftlichen<br />
Gleichstellung entspricht. Deshalb sind <strong>bei</strong> der Testamentsgestaltung<br />
vermehrt die erbschaftsteuerlichen Auswirkungen zu berücksichtigen.<br />
Dies kann einerseits dadurch geschehen, dass der Erblasser<br />
dem Kind, welches die Steuerbefreiung nicht erhält, von vorn herein<br />
mehr nicht privilegiertes Vermögen zuweist. Andererseits ist es auch<br />
ratsam, den begünstigten Erben zugunsten des Benachteiligten mit<br />
104 Mayer, ZEV 2009, 439, 443.<br />
105 Mayer, ZEV 2009, 439, 443.<br />
105
edingten Geldvermächtnissen 106 für den Fall zu beschweren, dass der<br />
Begünstigte die Voraussetzungen der Steuerbefreiung erfüllt, das<br />
Familienheim also insbesondere zehn Jahre selbst nutzt.<br />
Beispiel 5<br />
V wird von K1 und K 2 zu je ½ beerbt. In seinem Nachlass befindet sich<br />
ein selbstgenutztes Familienheim mit einer Wohnfläche von 200 qm<br />
(Wert: 1 Mio. €) und Kapitalvermögen in Höhe von 1,8 Mio €. Das<br />
Testament sieht vor, dass K 1 das Familienheim und 400.000 € erhält.<br />
Den Rest, also 1,4 Mio € Kapitalvermögen, soll K2 erhalten. K1 ist<br />
bereit, das Familienheim unverzüglich selbst zu nutzen.<br />
Der Erwerb von K1 in Höhe von 1,4 Mio € ist unter Berücksichtigung<br />
des persönlichen Freibetrages nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG (400.000<br />
€) insgesamt steuerfrei, falls sie die Selbstnutzung des Familienheims<br />
nicht innerhalb von zehn Jahren ohne zwingenden Grund aufgibt.<br />
K2 kann dagegen von seinen Erwerb in Höhe von 1.4 Mio € lediglich<br />
seinen persönlichen Freibetrag von 400.000 € abziehen und muss von<br />
dem Rest (1,0 Mio €) 19 % Erbschaftsteuer zahlen, so dass ihm nach<br />
Abzug der Steuer davon nur 810.000 € verbleiben, während K1 das<br />
Familienheim im Wert von ebenfalls 1,0 Mio € steuerfrei erhält.<br />
Wenn V seine Kinder K1 und K2 wirtschaftlich gleich behandeln wollte,<br />
hätte er diese unterschiedliche Erbschaftsteuerbelastung <strong>bei</strong> der<br />
Testamentsgestaltung berücksichtigen, also anordnen müssen, dass K1<br />
an K2 vermächtnisweise die Differenz ausgleicht, falls feststeht, dass ihr<br />
die Steuerbefreiung für das Familienheim verbleibt. Da auch diese<br />
Leistung <strong>bei</strong> K2 der Erbschaftsteuer unterliegt, reicht es nicht aus, wenn<br />
K1 lediglich 95.000 € zahlt. K1 müsste vielmehr 104.972 € aufwenden,<br />
um die vom Erblasser gewollte Gleichbehandlung zu bewirken. Nach<br />
Abzug einer Steuer von 19.994 € <strong>bei</strong> K2 verbleibt jedem Kind dann ein<br />
Vermögen in Höhe von 895.028 €.<br />
V. Ausschluss und Kürzung des Schuldenabzugs<br />
Nach § 10 Abs. 6 Satz 1 ErbStG sind Schulden und Lasten nicht abzugsfähig,<br />
soweit sie in wirtschaftlichem Zusammenhang mit Vermögensgegenständen<br />
stehen, die nicht der Besteuerung nach dem<br />
ErbStG unterliegen. Dazu gehören auch die Steuerbefreiungen für die<br />
106 Vgl. Mayer, ZEV 2009, 439, 444.<br />
106
Zuwendung eines Familienheims nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a, Nr. 4b und<br />
Nr.4c ErbStG. Ein Schuldenabzug kommt jedoch in Betracht, wenn die<br />
Steuerbefreiung nachträglich, z.B. wegen Verstoßes gegen die zehnjährige<br />
Haltefrist, wegfällt. Gegebenenfalls ist der Schuldenabzug in der<br />
Wertrelation des begünstigten Familienheims zum Gesamtgebäude<br />
aufzuteilen.<br />
Beispiel 6<br />
Sachverhalt wie im Beispiel 1. Neben dem Grundbesitzwert von 1.2 Mio.<br />
€ gehört zum Nachlass aber ferner ein Bankguthaben von 800.000 €<br />
sowie Erblasserschulden in Höhe von 200.000 €, die mit der Anschaffung<br />
des Grundstücks zusammenhängen.<br />
Der Reinnachlass beträgt<br />
(1,2 Mio. € plus 800.000 € – 200.000 € =)<br />
1.800.000 €<br />
abzüglich Steuervergünstigung nach § 13<br />
Abs. 1 Nr. 4a ErbStG<br />
– 900.000 €<br />
plus Schuldenabzugsbeschränkung nach<br />
§ 10 Abs. 6 Satz 1 ErbStG<br />
(900.000 €: 1.200.000. €) x 200.000 € =<br />
+ 150.000 €<br />
Steuerpflichtiger Erwerb 1.050.000 €<br />
E. Fazit<br />
Die Erbschaftsteuerreform 2008/2009 hat den Anwendungsbereich des<br />
§ 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG für die lebzeitige Übertragung eines<br />
Familienheims erweitert. Die Steuerfreiheit gilt nunmehr nicht nur für<br />
Ehegatten, sondern auch für eingetragene Lebenspartnerschaften und<br />
für solche Grundstücke i.S.d. § 181 Abs. 1 Nr.1 bis 5 BewG, die in<br />
einem Mitgliedstaat der EU oder einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums<br />
belegen sind, soweit darin eine Wohnung zu eigenen<br />
Zwecken genutzt wird. Der Gesetzgeber hat damit eine anteilige Freistellungsregelung<br />
getroffen. Die Steuervergünstigung wird nur für die zu<br />
eigenen Wohnzwecken genutzten Teile des jeweiligen Anwesens gewährt.<br />
Damit hat sich der Meinungsstreit zu der Frage erledigt, ob und in<br />
welchem Umfang eine Steuerbefreiung zu gewähren ist, wenn einzelne<br />
Wohnungen des Gebäudes, in dem sich das Familienheim befindet,<br />
fremd vermietet sind oder gewerblichen Zwecken dienen. Diese<br />
Regelungen sind uneingeschränkt zu begrüßen.<br />
107
Demgegenüber enthalten die Befreiungstatbestände für den Erwerb<br />
eines Familienheims von Todes wegen (§ 13 Abs. 1 Nr. 4b und § 13<br />
Abs. 1 Nr. 4c ErbStG) erhebliche Einschränkungen. Voraussetzung ist<br />
nicht nur, dass der Erblasser das Objekt bis zum Erbfall zu eigenen<br />
Wohnzwecken genutzt hat, sondern auch, dass es <strong>bei</strong>m Erwerber unverzüglich<br />
zur Selbstnutzung bestimmt ist und diese ununterbrochen für<br />
zehn Jahre fortdauert. Dadurch wird der Erwerber mit einem Nachversteuerungsrisiko<br />
belastet. Beim Erwerb von Todes wegen durch Kinder<br />
oder Kinder verstorbener Kinder kommt hinzu, dass das Gesetz die<br />
Steuerfreiheit auf eine Wohnfläche von 200 qm begrenzt.<br />
Unbefriedigend ist ferner, dass häufig geprüft werden muss, ob der<br />
Erblasser oder der Erwerber aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung<br />
gehindert war. Damit kommt es auf unbestimmte Rechtsbegriffe<br />
an, die wegen ihrer schwierigen und zweifelhaften Auslegung<br />
die Rechtssicherheit gefährden können.<br />
Schließlich bestehen gravierende verfassungsrechtliche Bedenken<br />
gegen die Neuregelung. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollen<br />
die Steuervergünstigung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b und Nr. 4c ErbStG<br />
dem „Schutz des gemeinsamen familiären Lebensraums“ und „der<br />
Lenkung in Grundvermögen schon zu Lebzeiten des Erblassers“<br />
dienen. Ob diese Begründung ausreicht, eine willkürliche Ungleichbehandlung<br />
zu vermeiden, muss jedoch in Frage gestellt werden, weil die<br />
sachliche Steuerbefreiung nach diesen Vorschriften für das Familienheim<br />
nicht auf die (nochmals deutlich angehobenen) persönlichen Freibeträge<br />
angerechnet, sondern zusätzlich zu diesen gewährt wird. Damit<br />
ist das Familienheim als privat genutztes Grundvermögen gegenüber<br />
anderem Vermögen privilegiert, ohne dass Gründe des Gemeinwohls<br />
erkennbar sind, die dies rechtfertigen können.<br />
Aus der Sicht der Gestaltungspraxis verdient nach alledem die lebzeitige<br />
Zuwendung eines Familienheims an den Ehegatten oder<br />
Lebenspartner nach wie vor den Vorzug vor einer Übertragung von<br />
Todes wegen nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b und § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG,<br />
weil sie mit keiner Behaltensfrist und damit auch nicht dem Risiko der<br />
Nachversteuerung verbunden ist. Der Beschenkte muss das Objekt<br />
weder für einen bestimmten Zeitraum in seinem Eigentum halten, noch<br />
ist erforderlich, dass er die Wohnung nach der Schenkung weiter zu<br />
eigenen Wohnzwecken nutzt. Es gibt weder eine Wertobergrenze, noch<br />
tritt ein Objektverbrauch ein. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen<br />
aber auch gegen diese Steuerbefreiung.<br />
108
Mietkauf und ähnliche Verträge<br />
Prof. Dr. Stefan Hügel,<br />
Notar, Weimar, Präsident der Notarkammer Thüringen<br />
Mitglied des Vorstands der NotRV<br />
Seite<br />
I. Allgemeines ...............................................................................111<br />
II. Rechtliche Einordnung des Mietkaufs....................................112<br />
1. Definition des sog. Mietkaufs<br />
(Mietvertrag mit Ankaufsrecht).............................................112<br />
2. Abgrenzung zum Ratenzahlungs- und Rentenkaufvertrag..113<br />
III. Der mietvertragliche Teil des Mietkaufvertrages...................113<br />
1. Allgemeines..........................................................................113<br />
2. Beurkundungsbedürftigkeit ..................................................115<br />
3. Mietparteien..........................................................................116<br />
4. Mietdauer .............................................................................117<br />
a) Allgemeine Überlegungen.............................................117<br />
b) Zeitmietvertrag ..............................................................118<br />
c) Mindestlaufzeit durch Kündigungsausschluss ..............118<br />
aa) Ausschluss der außerordentlichen Kündigung .....119<br />
bb) Ausschluss der ordentlichen Kündigung .............119<br />
d) Dauer des Kündigungsausschlusses............................120<br />
aa) Kündigungsausschluss im Individualvertrag.........120<br />
bb) Kündigungsausschluss im Formularvertrag .........120<br />
cc) Ergebnis für den Mietkaufvertrag..........................121<br />
5. Kosten der Instandhaltung und Instandsetzung...................121<br />
a) Allgemeines...................................................................121<br />
b) Überwälzung der gesamten Instandhaltungs- und<br />
Instandsetzungskosten .................................................122<br />
6. Erschließungskosten............................................................123<br />
109
110<br />
7. Rechte des Mieters <strong>bei</strong> Sach- und Rechtsmängeln.............124<br />
8. Kündigung ............................................................................125<br />
9. Mietkaufbedingte zusätzliche Vereinbarungen ....................126<br />
a) Genehmigungsbedürftigkeit des Kaufvertrags..............126<br />
b) Verwendungsabrede hinsichtlich der Miete ..................130<br />
IV. Der kaufrechtliche Teil des Mietkaufvertrages ......................132<br />
1. Allgemeines..........................................................................132<br />
2. Das Ankaufsrecht des Mietkäufers ......................................132<br />
a) Allgemeine Gestaltungsüberlegungen ..........................132<br />
b) Regelung der Vererblichkeit des Ankaufsrechts...........133<br />
c) Regelung der Übertragbarkeit des Ankaufsrechts........134<br />
d) Angebotsfrist .................................................................134<br />
3. Anrechnung der geleisteten Mietzahlungen auf<br />
den Kaufpreis .......................................................................135<br />
a) Totalanrechnung ...........................................................135<br />
b) Teilanrechnung..............................................................135<br />
c) Anrechnung <strong>bei</strong> Mietminderung ....................................136<br />
4. Erschließungskosten............................................................137<br />
V. Schlussbemerkung ...................................................................137
I. Allgemeines<br />
Der Mietkauf ist „in“. In regionalen und überregionalen Immobilienanzeigen<br />
wird damit geworben, dass der Erwerb einer bestimmten Immobilie<br />
auch in Form eines Mietkaufs möglich ist. Manche Makler halten<br />
diesen Vertragstyp geradezu für das Zaubermittel schlechthin, mit dem<br />
ein Kaufinteressent, dem eine übliche Finanzierung durch Kreditinstitute<br />
verwehrt wird, dennoch den Erwerb der eigenen vier Wände realisieren<br />
kann. Nachfragen hinsichtlich einer solchen <strong>Vertragsgestaltung</strong> machen<br />
aber schnell sichtbar, dass keine eindeutigen Vorstellungen hinsichtlich<br />
des Inhalts eines Mietkaufvertrages vorhanden sind. Klar ist immer nur,<br />
dass das Vertragsobjekt zunächst nicht gekauft, sondern unter gleichzeitiger<br />
Einräumung eines Ankaufrechts und Anrechnung der Mietzahlungen<br />
auf den Kaufpreis nur gemietet werden oder der Kaufpreis<br />
abgestottert werden soll. Mangels zahlungsfähiger oder kreditwürdiger<br />
Käufer soll die zum Verkauf stehende Immobilie an einen Interessenten,<br />
der zum jetzigen Zeitpunkt an sich nicht über die notwendigen<br />
finanziellen Mittel zum Kauf verfügt, veräußert werden. Der veräußerungswillige<br />
Eigentümer erhält so einen Käufer für seine zum Verkauf<br />
stehende Immobilie und diesem wird der Ankauf ermöglicht, obwohl<br />
eine Finanzierung durch Kreditinstitute nicht erfolgt. Auf den ersten<br />
Blick erweist sich damit der Mietkauf als der Stein der Weisen.<br />
Wird man als Vertragsgestalter gebeten, den Wunsch nach einem Mietkauf<br />
einer Immobilie vertraglich umzusetzen, fühlt man sich regelmäßig<br />
unwohl. Die wenige Rechtsprechung, die zum Problem Mietkauf ergangen<br />
ist, beschäftigt sich weitgehend mit dem „alten“ steuerlich<br />
motivierten Mietkaufmodell. Einschlägige, vertiefte Literatur war lange<br />
Zeit nicht veröffentlicht 1 . Soweit sich die Literatur überhaupt mit dem<br />
Mietkauf beschäftigt, finden sich nur wenige Zeilen zu diesem Vertragstyp,<br />
die meist deckungsgleich referieren, dass man zwischen<br />
Grundtypen des Mietkaufs unterscheiden könne 2 , nämlich dem Mietvertrag<br />
mit Ankaufsrecht sowie dem Ratenzahlungskaufvertrag. Die sich<br />
aus dieser grundsätzlichen Zweiteilung ergebenden Konsequenzen<br />
werden dann aber nicht mehr erörtert.<br />
Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich ausschließlich mit dem Mietkaufvertrag,<br />
also einem Mietvertrag mit Ankaufsrecht, und nicht mit dem<br />
sog. Ratenzahlungskaufvertrag. Zum einen deshalb, weil dies den<br />
1 Die ersten vertieften Erörterungen finden sich <strong>bei</strong> Salzig, NotBZ 2005, 10 ff. und 54 ff.<br />
2 Z. B. Krauß, Immobilienkaufverträge in der Praxis, Rn. 141.<br />
111
Rahmen der zur Verfügung stehende Zeit <strong>bei</strong> Weitem sprengen würde<br />
und zum anderen deshalb, weil im Zusammenhang mit den sog.<br />
<strong>Problemimmobilien</strong>, die Gegenstand dieses Symposium sind, regelmäßig<br />
der Mietkaufvertrag und nicht der Ratenzahlungskaufvertrag, das<br />
in Frage kommende Gestaltungsmittel ist. Selbstverständlich können<br />
nicht alle im Zusammenhang mit einem Mietkaufvertrag möglicherweise<br />
auftretenden Problem an dieser Stelle dargestellt werden 3 . Der Focus<br />
ist vielmehr auf die gestalterischen Probleme gerichtet, die aus dem<br />
Zusammenspiel von Miet- und Kaufrecht entstehen können. Reine<br />
materiell-rechtliche Fragen des Miet- oder Kaufrechts bleiben weitgehend<br />
unbeachtet.<br />
II. Rechtliche Einordnung des Mietkaufs<br />
1. Definition des sog. Mietkaufs (Mietvertrag mit Ankaufsrecht)<br />
Mietvertrag und Kaufvertrag können nach dem allgemeinen Grundsatz<br />
der Gestaltungsfreiheit beliebig miteinander kombiniert werden. Beim<br />
Mietvertrag mit Ankaufsrecht handelt es sich um einen<br />
gemischttypischen Vertrag, nämlich um einen Mietvertrag, verbunden<br />
mit einem angebotenen oder durch Ausübungserklärung des Mieters<br />
bedingten Kaufvertrag 4 . Mietzahlungen werden da<strong>bei</strong> – zumindest teilweise<br />
– auf den künftig ggf. fälligen Kaufpreis angerechnet 5 . Miet- und<br />
Kaufrecht gelangen <strong>bei</strong> einer solchen Konstruktion aber für jeden Teil<br />
getrennt zur Anwendung 6 . Diese grundsätzliche Trennung ist zutreffend<br />
und vor dem Hintergrund zu sehen, dass während der mietrechtlichen<br />
Phase nicht feststeht, ob ein Kaufvertrag zustande kommt und es<br />
demnach auch <strong>bei</strong> einem reinen Mietvertrag bleiben kann. Kaufrecht gilt<br />
prinzipiell nur für den kaufrechtlichen Teil des Vertrages. Der Mietkauf<br />
ist demnach im Regelfall keine Mischung mehrerer unterschiedlicher<br />
Vertragselemente, sondern eine Koppelung von zwei Verträgen. Bis zur<br />
Ausübung der Kaufoption regeln sich die Rechtsbeziehungen nach<br />
Mietrecht, danach nach Kaufrecht 7 .<br />
3<br />
Ausführlich hierzu Hügel/Salzig, Mietkauf und andere Formen des Grundstücks-<br />
Ratenkaufs, 2. Aufl. 2010.<br />
4<br />
Ebenso Biermann-Ratjen, DNotZ 2007, 791; Palandt/Weidenkaff, Einf. v. § 535 BGB<br />
Rn. 30; instruktiv zu den einzelnen Optionsarten Wagner, NotBZ 2000, 69.<br />
5<br />
BGH NJW 1987, 1069; BGH WM 1990 1307; OLG Köln MittRhNotK 1989, 191;<br />
Palandt/Weidenkaff, Einf. v. § 535 BGB Rn. 30.<br />
6<br />
Palandt/Weidenkaff, Einf. v. § 535 BGB Rn. 30; Ehlert, in: Bamberger/Roth § 535<br />
Rn. 38; Schloßer, MDR 2003, 71.<br />
7 Erman/Jendrek, Vor § 535 Rn. 32.<br />
112
2. Abgrenzung zum Ratenzahlungs- und Rentenkaufvertrag<br />
Der Ratenzahlungskauf unterscheidet sich vom Mietkauf hauptsächlich<br />
dadurch, dass der Kaufvertrag unbedingt abgeschlossen wird und aus<br />
diesem Grund die zumeist für die gesamte Laufzeit feststehenden und<br />
in der Regel monatsweise zu erbringenden Zahlungsraten von Anbeginn<br />
kaufpreistilgenden Charakter haben 8 . Durch die Ratenzahlung<br />
wird der Kaufpreis im Ergebnis gestundet 9 . Beim Ratenzahlungskauf ist<br />
es im Regelfall auch gerechtfertigt, den Käufer bereits mit Vertragsschluss<br />
und Besitzübergang als wirtschaftlichen Eigentümer zu behandeln,<br />
weil anders als <strong>bei</strong>m Mietkauf sein Erwerbswille fest steht.<br />
Der Ratenzahlungskauf ist nicht nur vom Mietvertrag mit Ankaufsrecht,<br />
sondern auch vom Grundstückskauf auf Rentenbasis abzugrenzen 10 .<br />
Dies ist der Erwerb eines Grundstücks mit der Verpflichtung des<br />
Käufers, dem Verkäufer auf eine bestimmte Dauer oder auf Lebenszeit<br />
eine Rente in bestimmter Höhe zu zahlen 11 . Motiv für einen solchen<br />
Vertrag ist entweder der Wunsch des Verkäufers nach einer gesicherten<br />
Altersversorgung oder die mangelnde Bereitschaft oder Fähigkeit des<br />
Käufers, den Kaufpreis über eine Bank zu finanzieren. Der Kaufvertrag<br />
mit Verrentung des Kaufpreises ist meist in Konstellationen anzutreffen,<br />
in denen die Vertragsparteien miteinander verwandt sind.<br />
III. Der mietvertragliche Teil des Mietkaufvertrages<br />
1. Allgemeines<br />
Das Mietrecht zählt üblicherweise nicht zur Kernkompetenz des<br />
Notariats. Aus diesem Grund herrscht <strong>bei</strong> den meisten Notaren eine<br />
gewisse Scheu vor, einen Mietvertrag selbst zu gestalten. Es besteht<br />
vielmehr oft die Versuchung, diesbezüglich ein im Handel oder von einschlägigen<br />
Verbänden vertriebenes Formular heranzuziehen in dem<br />
Vertrauen, dass dieses die aktuellen mietrechtlichen Vorgaben zutreffend<br />
umsetzt. Indes ist <strong>bei</strong> einem solchen Vorgehen zu beachten,<br />
dass die üblichen Formulare der Haus- und Grundstückseigentümervereine<br />
oder der Mietervereine den „normalen“, also nicht mit einem<br />
8 Zustimmend Biermann-Ratjen, DNotZ 2007, 791.<br />
9 Brambring, in: Beck’sches Notarhandbuch, A I Rn. 345; Krauß, Immobilienkaufver-<br />
träge in der Praxis, Rn. 147.<br />
10 Brambring, in: Beck’sches Notarhandbuch, A I Rn. 346 ff. mit Formulierungsvorschlag<br />
in Rn. 348.<br />
11 Siehe hierzu Koenen, MittRhNotK 1994, 329; v. Herzberg, MittRhNotK 1988, 55.<br />
113
Ankaufsrecht verknüpften Wohnungsmietvertrag zum Gegenstand<br />
haben und aus diesem Grund in vielen Details nicht passen. Schließlich<br />
ist zu bedenken, dass die Rechtsprechung zum (Wohnraum-)Mietrecht<br />
ständig im Fluss ist, so dass auf die Aktualität des jeweils verwendeten<br />
Formulars in besonderem Maße geachtet werden muss. Besondere<br />
Aufmerksamkeit verdient in diesem Zusammenhang der Umstand, dass<br />
solche Formulare rechtlich als Allgemeine Geschäftsbedingungen nach<br />
den §§ 305 ff BGB bewertet werden. Gerade im Mietrecht legt aber die<br />
Rechtsprechung bekanntermaßen <strong>bei</strong> der Frage nach der Zulässigkeit<br />
von Allgemeinen Geschäftsbedingungen einen strengen Maßstab an.<br />
Viele Regelungen, die individuell ausgehandelt rechtlich unbedenklich<br />
sind, werden als Allgemeine Geschäftsbedingung rechtlich nicht anerkannt.<br />
Aus diesen Gründen sollte der Notar auf Grundlage des<br />
erfolgten Vorgesprächs, einen eigenen Vorschlag auch für den mietrechtlichen<br />
Teil des von Beteiligten tatsächlich gewünschten Vertrages<br />
machen.<br />
Allgemein empfiehlt es sich, in diesen Mietvertrag nur die wirklich<br />
regelungsbedürftigen Punkte aufzunehmen. Gerade Formularmietverträge<br />
sind oft inhaltlich überladen und damit unübersichtlich. Die bloße<br />
Wiederholung unabdingbarer gesetzlicher Bestimmungen im Wortlaut<br />
oder mietvertraglicher Selbstverständlichkeiten entspricht auch nicht der<br />
sonstigen <strong>Vertragsgestaltung</strong>stechnik der Notare. Ebenso wie in den<br />
sonstigen Rechtsgebieten sollte sich der Notar auf die erforderlichen<br />
vertraglichen Regelungen beschränken. Eine solche Gestaltung erhöht<br />
im Ergebnis die Verständlichkeit und Vertragstreue der Parteien. Aus<br />
diesem Grund vertritt Blank 12 die Ansicht, dass die meisten Verhältnisse<br />
über Wohnraum hinreichend geregelt werden können, wenn die<br />
Parteien Vereinbarungen treffen über<br />
- Vertragsparteien<br />
- Mietgegenstand<br />
- Miete und Betriebskosten<br />
- Zahlungsweise<br />
- Schönheitsreparaturen.<br />
Über diesen Kernbestand hinaus sollte nur noch das geregelt werden,<br />
was die Parteien selbst für regelungsbedürftig halten. Entsprechend<br />
diesem Rat beschränken sich die Ausführungen auf diese wesentlichen<br />
12 Blank, in: Münchener Vertragshandbuch, 5. Aufl. 2003, Band 5, II. Anm. 1.<br />
114
Punkte und erörtern darüber hinaus nur solche Fragen, die sich aus den<br />
Besonderheiten eines Mietkaufs ergeben können.<br />
2. Beurkundungsbedürftigkeit<br />
Beim Mietkauf stellt sich zunächst die Frage, ob und in welchem Umfang<br />
der Vertrag durch einen Notar zu beurkunden ist. Nach § 311 b<br />
Abs.1 BGB bedarf ein Vertrag, durch den sich der eine Teil verpflichtet,<br />
das Eigentum an einem Grundstück zu übertragen oder zu erwerben,<br />
der notariellen Beurkundung. Da der Mietkauf inhaltlich eine Verknüpfung<br />
von einem mietrechtlichen und einem kaufrechtlichen Teil<br />
eines Vertrages über ein Grundstück ist, besteht in der Praxis die Versuchung,<br />
die gesetzliche Formvorschrift des § 311 b Abs.1 BGB nur auf<br />
den kaufrechtlichen Teil des Mietkaufvertrages anzuwenden, den mietrechtlichen<br />
Teil hingegen nur schriftlich zu fixieren.<br />
Nach allgemeiner Auffassung bedarf ein Rechtsgeschäft, das eine<br />
Grundstücksverkaufs- oder Erwerbsverpflichtung enthält, insgesamt der<br />
notariellen Beurkundung 13 . Aus diesem sog. Vollständigkeitsgrundsatz<br />
ergibt sich, dass auch ein Vertrag, der an sich nicht der notariellen Beurkundung<br />
unterliegt, gleichwohl zu beurkunden ist, wenn er mit einem<br />
Grundstückskaufvertrag eine rechtliche Einheit im Sinne eines einheitlichen<br />
Schuldverhältnisses bildet. In der Literatur werden solche Verträge<br />
als zusammengesetzte Verträge bezeichnet 14 . Das Kriterium der<br />
rechtlichen Einheit bestimmt sich nach der Rechtsprechung des BGH<br />
und der überwiegend zustimmenden Literatur 15 danach, ob das eigentlich<br />
formfreie Rechtsgeschäft nach dem Willen auch nur einer der<br />
Parteien, auf den sich die andere Seite einlässt, mit dem beurkundungspflichtigen<br />
Rechtsgeschäft stehen und fallen soll 16 . Hierfür<br />
ist nach Ansicht der Rechtsprechung keine wechselseitige Abhängigkeit<br />
der <strong>bei</strong>den Verträge erforderlich. Es ist vielmehr für die Bejahung der<br />
Beurkundungsbedürftigkeit <strong>bei</strong>der Verträge notwendig und ausreichend,<br />
dass der grundstücksgeschäftliche Teil von dem anderen Vertrag abhängt<br />
17 . Eine umgekehrte Abhängigkeit des als solchen dem § 311 b<br />
BGB nicht unterliegenden Vertrages vom Grundstücksgeschäft be-<br />
13 MünchKommBGB/Kanzleiter, § 311 B Rn. 50; Keim, RNotZ 2005, 102.<br />
14 Statt aller Heckschen, Beck’sches Notarhandbuch, A I Rn. 191; Frank, NotBZ 2003,<br />
211.<br />
15 Palandt/Grüneberg, § 311 b Rn. 32; Gehrlein, in: Bamberger/Roth, § 311 b Rn. 25.<br />
16 BGH DNotZ 2009, 619; BGH NJW 2002, 2559; BGH NJW 2001, 226; BGH NJW<br />
2000, 51.<br />
17 BGH DNotZ 2009, 619; BGH NJW 2002, 2559; OLG Dresden NotBZ 2005, 364;<br />
ausführlich hierzu Opgenhoff, RNotZ 2006, 257 ff.<br />
115
gründet dagegen keinen Beurkundungszwang für <strong>bei</strong>de Verträge 18 . Ob<br />
die Vertragsparteien eine rechtliche Einheit gewollt haben, ist durch<br />
Auslegung zu ermitteln. Da<strong>bei</strong> sind die Begleitumstände einzubeziehen<br />
und die bestehenden Interessen zu berücksichtigen 19 .<br />
Beurteilt man die Fälle eines Mietkaufs vor diesem Hintergrund, kann<br />
man nur zur Beurkundungsbedürftigkeit auch des mietrechtlichen Teils<br />
gelangen 20 . Der verkaufswillige Mietverkäufer wird nämlich zur Einräumung<br />
eines die freie Verfügungsbefugnis über das Grundstück einschränkenden<br />
Ankaufsrechts nur bereit sein, wenn durch den gleichzeitigen<br />
Abschluss des Mietvertrages eine sofort wirksam werdende<br />
Zahlungsverpflichtung des Mietkäufers begründet wird. Der kaufvertragliche<br />
Teil der vertraglichen Abrede ist damit vom Mietvertrag abhängig.<br />
Das Ankaufsrecht und der Mietvertrag sind sogar wirtschaftlich miteinander<br />
verknüpft. Der noch zu zahlende Kaufpreis im Falle der<br />
Ausübung der Kaufoption hängt von der Laufzeit des Mietvertrages ab,<br />
da der Mietzins auf den Kaufpreis (teilweise) angerechnet wird. Im<br />
Übrigen entspricht es dem Willen des Mietverkäufers, das Ankaufsrecht<br />
nur einer Person einzuräumen, die auch das Objekt von ihm anmietet.<br />
Der Mietkäufer anderseits möchte sicherstellen, dass die geleisteten<br />
Mietzahlungen nicht unberücksichtigt bleiben, wenn er das Optionsrecht<br />
ausübt. Diese wechselseitige Abhängigkeit der <strong>bei</strong>den Verträge begründet<br />
zusätzlich die Notwendigkeit einer notariellen Beurkundung des<br />
gesamten Mietkaufvertrages. Dies entspricht im Übrigen auch der<br />
überwiegenden Ansicht 21 <strong>bei</strong> der Frage nach einer Beurkundungsbedürftigkeit<br />
von Leasingverträgen. Ein Mietkaufvertrag über eine Immobilie<br />
ist in jedem Fall beurkundungsbedürftig.<br />
3. Mietparteien<br />
Hinsichtlich der Vertragsparteien bestehen zunächst keine Besonderheiten<br />
im Vergleich zum übrigen Vertragsrecht. Soll das Mietkaufobjekt<br />
18 BGH DNotZ 2009, 619; BGH NJW 2002, 2559.<br />
19 OLG Dresden NotBZ 2005, 364.<br />
20 BGH NJW 1987, 1069; OLG Saarbrücken, Urt. v. 22.3.2007 – 8 U 602/06-160, IMR<br />
2007, 254; OLG Schleswig OLGR 1998, 3; Keim, RNotZ 2005, 107; Bachmayer,<br />
BWNotZ 2004, 32; Basty, DNotZ 1996, 630, 632; Hertel. In: Würzburger Notarhandbuch,<br />
Teil 2, Rn. 490; Grziwotz/Everts/Heinemann/Koller, Grundstückskaufverträge,<br />
Rn. 35; Heckschen, in: Beck’sches Notarhandbuch, A I Rn. 196; Krauß, Immobilienkaufverträge,<br />
Rn. 142; Gehrlein, in: Bamberger/Roth § 311 b Rn. 26; a. A. OLG<br />
Düsseldorf DNotZ 1996, 39, 40 mit der apodiktischen Begründung, der Mietvertrag sei<br />
nicht Inhalt der Vereinbarung des Ankaufsrechts, sondern allenfalls dessen Grundlage.<br />
Zweifelhaft auch OLG Köln MittRhNotK 1989, 191.<br />
21 Vgl. Keim, RNotZ 2005, 107 m.w.N..<br />
116
an mehrere Personen überlassen werden, muss wie üblich geklärt<br />
werden, in welchem Berechtigungsverhältnis diese untereinander<br />
stehen. Mangelt es an einer eindeutigen vertraglichen Festlegung,<br />
müsste dieses durch Auslegung ermittelt werden 22 . Eine solche Auslegung<br />
darf <strong>bei</strong> einem Mietkaufvertrag aber nicht notwendig werden,<br />
weil der mietvertragliche mit dem kaufvertraglichen Teil korrespondiert<br />
und übereinstimmen muss. Es muss berücksichtigt werden, dass die<br />
jetzigen Mietvertragspartner möglicherweise zukünftig Beteiligte eines<br />
Grundstückskaufvertrages werden. Unterschiedliche mietvertragliche<br />
und kaufvertragliche Berechtigungsverhältnisse würden vor diesem<br />
Hintergrund verwirren und möglicherweise zu Komplikationen führen.<br />
Deshalb empfiehlt es sich dringend, mit den Beteiligten abzustimmen, in<br />
welchem Berechtigungsverhältnis mehrere Personen auf Mieter- bzw.<br />
Käuferseite zueinander stehen. Zweckmäßig ist es da<strong>bei</strong>, das für den<br />
Kaufvertrag angedachte Berechtigungsverhältnis auch für den Mietvertrag<br />
vorzusehen.<br />
4. Mietdauer<br />
a) Allgemeine Überlegungen<br />
Das Mietrecht unterscheidet zwischen Mietverhältnissen auf unbestimmte<br />
und bestimmte Zeit. Nach § 542 BGB endet ein Mietverhältnis,<br />
das auf eine bestimmte Zeit eingegangen ist, mit Ablauf dieser Zeit,<br />
ansonsten mit einer Kündigung entsprechend der gesetzlichen Vorschriften.<br />
Eine jederzeit mögliche Kündigung des Mietverhältnisses<br />
entspricht aber in jedem Fall nicht den Vorstellungen der Vertragsparteien<br />
eines Mietkaufvertrages. Vielmehr soll bereits mit Abschluss<br />
des Mietverhältnisses der Mietkäufer Sicherheit im Hinblick auf einen<br />
späteren Eigentumserwerb erlangen. Er möchte Sicherheit davor, dass<br />
der Vermieter vor Ablauf der Kaufangebotsbindungsfrist den Mietvertrag<br />
einseitig zu Fall bringt. Der Mietverkäufer möchte im Gegenzug nicht<br />
einen normalen Mieter haben, sondern jemanden, der den Erwerb der<br />
Immobilie fest im Visier hat und sich nicht einfach innerhalb des Zeitraums,<br />
in dem der Mietverkäufer unwiderruflich an das Kaufvertragsangebot<br />
gebunden ist, ohne wichtigen Grund einseitig vom Mietvertrag<br />
lösen kann. Dem wirtschaftlichen Interesse des Mietverkäufers entspricht<br />
es deshalb in der Regel, wenn das Recht des Mieters zur<br />
Kündigung des Mietverhältnisses für einen bestimmten Zeitraum ausgeschlossen<br />
ist, wo<strong>bei</strong> es naheliegend ist, die Länge dieses Zeitraums<br />
22 MünchKommBGB/Häublein, § 535 Rn. 46.<br />
117
an die Dauer der Bindung des Verkäufers an sein Verkaufsangebot zu<br />
knüpfen.<br />
b) Zeitmietvertrag<br />
Das Interesse <strong>bei</strong>der Parteien an einer Mindestlaufzeit des Mietverhältnisses<br />
könnte durch den Abschluss eines, auf eine bestimmte Zeit fest<br />
und unkündbar abgeschlossenen Mietvertrages verwirklicht werden.<br />
Denkbar wäre zunächst der Abschluss eines sog. Zeitmietvertrags.<br />
Das Gesetz enthält für Mietverhältnisse über Wohnraum besondere<br />
Vorgaben für den Zeitmietvertrag. Danach ist der Abschluss eines<br />
solches Vertrages nur zulässig, wenn einer der gesetzlichen Befristungsgründe<br />
vorliegt. Diese sind in § 575 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BGB und<br />
§ 549 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 BGB sowie in § 549 Abs. 3 BGB enthalten.<br />
Beim typischen Mietvertrag mit Ankaufsrecht über ein Wohnhausgrundstück<br />
liegt aber keiner der gesetzlichen Ausnahmetatbestände vor, die<br />
den Abschluss eines Zeitmietvertrages gestatten würden. Ein Ausnahmetatbestand<br />
kann auch individualvertraglich nicht geschaffen<br />
werden, denn gemäß § 575 Abs. 4 BGB sind zum Nachteil des Mieters<br />
abweichende Vereinbarungen unwirksam.<br />
Die vorbezeichneten Einschränkungen für den Abschluss von Zeitmietverträgen<br />
gelten nur für Wohnraummietverhältnisse. Sie bilden hingegen<br />
für Mietkaufverträge, deren Vertragsgegenstand Gewer<strong>bei</strong>mmobilien<br />
sind, kein Hindernis für den Abschluss von solchen zeitlich<br />
fixierten Mietverträgen. In diesem Bereich kann somit je nach<br />
Interessenlage der Beteiligten ein Zeitmietvertrag die geeignete Gestaltung<br />
sein.<br />
c) Mindestlaufzeit durch Kündigungsausschluss<br />
Das dargestellte Bindungsinteresse würde durch Abschluss eines unbefristeten<br />
Mietvertrages mit einem befristeten, in aller Regel mit der<br />
Bindungsfrist aus dem Kaufvertragsangebot deckungsgleichen <strong>bei</strong>derseitigen<br />
Ausschluss des Rechtes zur Kündigung erreicht. Vor diesem<br />
Hintergrund ist zunächst zu klären, ob das Recht zur Kündigung für<br />
einen bestimmten Zeitraum wirksam ausgeschlossen werden kann.<br />
118
aa) Ausschluss der außerordentlichen Kündigung<br />
Ein Ausschluss des Rechts zur außerordentlichen Kündigung ist wegen<br />
§ 569 Abs.5 BGB zumindest im Hinblick auf nachteilige Wirkungen<br />
gegenüber dem Mieter unwirksam. 23 Im übrigen erscheint es auch sachgerecht,<br />
das Recht auf außerordentliche Kündigung <strong>bei</strong> Vorliegen<br />
wichtiger Gründe, wie <strong>bei</strong> jedem Dauerschuldverhältnis auch, bestehen<br />
zu lassen.<br />
bb) Ausschluss der ordentlichen Kündigung<br />
Das gewünschte Ergebnis einer bestimmten Mindestlaufzeit des Mietvertrages<br />
kann durch einen Verzicht auf eine ordentliche Kündigung<br />
innerhalb eines bestimmten Zeitraums erzielt werden. Eine solche<br />
Konstruktion wurde früher teilweise für unwirksam gehalten, weil sie<br />
einem unzulässigen Zeitmietvertrag im Sinne des § 575 Abs. 1, Abs. 4<br />
BGB gleichzusetzen sei 24 . Diese Frage ist jedoch durch den BGH 25 im<br />
gegenteiligen Sinne entschieden worden. Zur Begründung verweist der<br />
BGH darauf, dass die grundsätzliche Unzulässigkeit des Zeitmietvertrages<br />
eine automatische Beendigung des Wohnraummietverhältnisses<br />
allein durch Zeitablauf, ohne dass der Mieter Kündigungsschutz genießt,<br />
verhindern soll. § 575 Abs. 4 BGB schützt den Mieter demnach<br />
vor dem Verlust der Wohnung, nicht aber vor einer mit Hilfe des befristeten<br />
Kündigungsausschlusses beabsichtigten längeren Bindung an<br />
den Mietvertrag.<br />
Der BGH sieht in einem vertraglich vereinbarten, <strong>bei</strong>derseitigen befristeten<br />
Kündigungsausschluss auch keine für den Mieter nachteilige<br />
Vereinbarung im Sinne des § 573 c Abs. 4 BGB. Durch einen <strong>bei</strong>dseitigen<br />
Kündigungsverzicht würden die gesetzlich einzuhaltenden<br />
Kündigungsfristen nicht verändert, da sich die Frage, mit welcher Frist<br />
das Mietverhältnis gekündigt werden kann, erst stelle, wenn dem<br />
Kündigenden ein Kündigungsrecht zustehe 26 .<br />
23 Blank/Börstinghaus, § 575 Rn. 89.<br />
24 Lammel, WuM 2003, 123 f.<br />
25 BGH, Urteil v. 22.12.2003 – VIII ZR 81/03, NJW 2004, 1448 = NZM 2004, 216 = MDR<br />
2004, 436 = ZMR 2004, 251 mit Anm. Häublein = MietRB 2004, 161 = WuM 2004,<br />
157.<br />
26 BGH, Urteil v. 22.12.2003 – VIII ZR 81/03, NJW 2004, 1448 = NZM 2004, 216 = MDR<br />
2004, 436 = ZMR 2004, 251 mit Anm. Häublein = MietRB 2004, 161 = WuM 2004,<br />
157.<br />
119
d) Dauer des Kündigungsausschlusses<br />
aa) Kündigungsausschluss im Individualvertrag<br />
Die Grundsatzentscheidung des BGH zur Zulässigkeit eines<br />
Kündigungsverzichts 27 hatte einen individuell vereinbarten, zeitlich auf<br />
60 Monate befristeten Kündigungsverzicht (nur des Mieters) zum<br />
Gegenstand. Insgesamt wird man individualvertraglich von einer beliebigen<br />
Dauer ausgehen können, da der Mietvertrag gem. § 544 BGB<br />
jedenfalls nach 30 Jahren kündbar ist und für den Fall der Staffelmietvereinbarung<br />
wegen § 557 a Abs.3 BGB für den Mieter nach Ablauf von<br />
4 Jahren ein Recht zur außerordentlichen Kündigung mit gesetzlicher<br />
Frist besteht.<br />
bb) Kündigungsausschluss im Formularvertrag<br />
Die grundsätzliche Zulässigkeit eines Kündigungsverzichts in Formular-<br />
mietverträgen kann zwischenzeitlich als für die Praxis geklärt<br />
bezeichnet werden. Auch in einem Formularmietvertrag über Wohnraum<br />
kann für einen bestimmten Zeitraum wechselseitig wirksam auf die<br />
ordentliche Kündigung verzichtet werden kann. Sofern sich die Dauer<br />
des Kündigungsverzichts in einem angemessenen Rahmen bewegt,<br />
benachteiligt eine solche Regelung in einem Formularmietvertrag den<br />
Mieter jedenfalls dann nicht unangemessen im Sinne des § 307 BGB,<br />
wenn sie für <strong>bei</strong>de Vertragsseiten gelten soll 28 . Für Formularverträge<br />
sieht der BGH den <strong>bei</strong>derseitigen Kündigungsverzicht dann als unangemessene<br />
Benachteiligung des Mieters an, wenn seine Dauer mehr<br />
als vier Jahre beträgt 29 . Eine solche Vereinbarung benachteilige den<br />
Mieter nämlich nur dann nicht unangemessen, wenn sie zeitlich überschaubar<br />
sei. Da das Gesetz in § 557 a Abs. 3 BGB <strong>bei</strong> Staffelmietverträgen<br />
eine Bindung von 4 Jahren ab Vertragsabschluss 30 vorsehe,<br />
stelle dieser Zeitraum auch die Grenze für eine unangemessene Benachteiligung<br />
<strong>bei</strong> einem formularmäßig vereinbarten Kündigungsverzicht<br />
dar 31 .<br />
27 BGH, Urteil v. 22.12.2003 – VIII ZR 81/03, NJW 2004, 1448 = NZM 2004, 216 = MDR<br />
2004, 436 = ZMR 2004, 251 mit Anm. Häublein = MietRB 2004, 161 = WuM 2004,<br />
157.<br />
28 BGH NJW 2005, 1574 = ZMR 2005, 443; BGH NJW 2004, 3117 = NZM 2004, 733 =<br />
WuM 2004, 542; kritisch hierzu Derleder, NZM 2004, 249; Horst, MDR 2004, 437.<br />
29 BGH NJW 2005, 1574 = ZMR 2005, 443.<br />
30 BGH NJW-RR 2006, 1236 = NZM 2006, 579.<br />
31 BGH NJW 2006, 1059 = ZMR 2006, 270 = NZM 2006, 254.<br />
120
Da der Verzicht jedoch in einem Formularvertrag erfolgt, muss der Vermieter<br />
sicherstellen, dass der Kündigungsausschluss nicht überraschend<br />
i.S.v. § 305 c Abs.1 BGB ist, da widrigenfalls die Klausel nicht<br />
wirksam in den Vertrag einbezogen wurde 32 . In einer notariellen Urkunde,<br />
die eine entsprechende Belehrung durch den Notar sicherstellt,<br />
wird dies regelmäßig kein Problem darstellen. Vorsorglich sollte eine<br />
entsprechende Belehrung im Vertrag enthalten sein.<br />
cc) Ergebnis für den Mietkaufvertrag<br />
Schlussfolgerung für den Mietkauf ist, dass ein wechselseitiger Verzicht<br />
auf eine ordentliche Kündigung sowohl in individuell ausgehandelter als<br />
auch in formularvertraglicher Form, dort aber nur in bestimmten zeitlichen<br />
Grenzen, möglich ist. Für die Gestaltung eines Mietkaufvertrages<br />
lässt sich hieraus ableiten, dass eine individuell ausgehandelte<br />
Regelung die in jedem Fall sichere Variante auch hinsichtlich der Laufzeit<br />
des Kündigungsverzichts ist. In aller Regel dürfte diese Frage tatsächlich<br />
im Rahmen eines Mietkaufvertrages individuell ausgehandelt<br />
werden, weil nämlich die Zeitdauer des Verzichts regelmäßig mit der<br />
Laufzeit des Kaufangebots abgestimmt sein wird, und einen Kern der<br />
Vertragsverhandlungen ausmachen dürfte. Für diesen Fall erscheint es<br />
unbedenklich, wenn der Mietkäufer auch über einen längeren Zeitraum,<br />
<strong>bei</strong>spielsweise 10 Jahre, auf sein Kündigungsrecht verzichtet, sofern<br />
das Kaufangebot des Mietverkäufers für den gleichen Zeitraum gilt.<br />
5. Kosten der Instandhaltung und Instandsetzung<br />
a) Allgemeines<br />
Nach §§ 535 Abs.1, 536 BGB hat der Vermieter dem Mieter die Mietsache<br />
in einem dem vertragsgemäßen Gebrauch entsprechenden Zustand<br />
zu überlassen und sie während der Mietzeit in diesem Zustand zu<br />
erhalten. Ihm obliegt somit die Instandhaltung und Instandsetzung des<br />
Mietobjekts. Unter Kosten der Instandhaltung werden grundsätzlich die<br />
Kosten verstanden, die zur Erhaltung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs<br />
aufgewendet werden müssen, um die durch Abnutzung,<br />
Alterung und Witterungseinwirkung entstehenden baulichen und<br />
sonstigen Mängel ordnungsgemäß zu beseitigen. Bei den Instandsetzungskosten<br />
handelt es sich in der Regel um Kosten aus Reparatur<br />
32 Brock/Lattka, NZM 2004, 729; Streyl, NZM 2005, 363<br />
121
und Wiederbeschaffung 33 . Regelmäßig entspricht es dem Willen der<br />
Vertragsparteien, es nicht <strong>bei</strong> dieser gesetzlichen Grundregel zu belassen,<br />
sondern abweichend hiervon diese Kosten – zumindest teilweise<br />
– auf den Mieter zu übertragen. Gerade <strong>bei</strong> einem Mietkaufvertrag<br />
dürften sich die Beteiligten im Hinblick auf den angedachten Erwerb<br />
der Immobilie durch den Mietkäufer darauf verständigen, dass die<br />
Kosten der Instandhaltung und Instandsetzung vom Mietkäufer getragen<br />
werden sollen. Vor diesem Hintergrund bedarf es einer Untersuchung,<br />
ob und wie dieser Wunsch rechtlich umgesetzt werden kann.<br />
b) Überwälzung der gesamten Instandhaltungs- und Instandsetzungskosten<br />
Eine Verpflichtung des Mieters zur Instandhaltung und Instandsetzung<br />
der Mietsache kann durch eine individuelle vertragliche Regelung begründet<br />
werden, insbesondere dann, wenn sie in die Kalkulation der<br />
Miete eingegangen ist 34 . Auch die formularmäßige Auferlegung der<br />
Kosten für Instandhaltung und Instandsetzung ist nach herrschender<br />
Ansicht jedenfalls für gewerblich genutzten Mietraum möglich, sofern<br />
sich diese Verpflichtung auf Schäden beschränkt, die dem Mietgebrauch<br />
und der Risikosphäre des Mieters zuzuordnen sind 35 . Äußerst<br />
zweifelhaft hingegen ist die formularmäßige vollständige Überwälzung<br />
dieser Kosten auf den Mieter von Wohnraum 36 . An Stelle einer vollständigen<br />
Überwälzung der Kosten für Instandhaltung und Instandsetzung<br />
hat sich vielmehr die Übernahme der sog. Schönheitsreparaturen<br />
durch den Mieter durchgesetzt.<br />
Selbst wenn die vollständige Überwälzung dieser Kosten im Einzelfall<br />
zulässig sein sollte, wird diese Gestaltung regelmäßig nicht den Vorstellungen<br />
der Beteiligten eines Mietkaufvertrages entsprechen.<br />
Solange der Mietkaufvertrag sich im mietvertraglichen Stadium befindet,<br />
wird der Mietkäufer ohne feststehende Erwerbsabsicht kaum bereit sein,<br />
die vollständige Instandhaltung und Instandsetzung zu übernehmen.<br />
Sollte das Ankaufsrecht jedoch wahrgenommen werden, ändert sich<br />
diese Betrachtung. Spätere Instandhaltungs- und Instandsetzungskosten<br />
werden <strong>bei</strong> der Kaufpreisbemessung für das Vertragsobjekt im<br />
33<br />
BGH, Urt. v. 6.4.2005 – XII ZR 158/01, ZMR 2005, 844; Schmidt-Futterer/Eisenschmid,<br />
§ 535 Rn. 64 m.w.N.<br />
34<br />
BGH NJW 2002, 2383; Palandt/Weidenkaff, § 535 BGB Rn. 32.<br />
35<br />
BGH, Urt. v. 6.4.2005 – XII ZR 158/01, ZMR 2005, 844; Schmidt-Futterer/Eisenschmid,<br />
§ 535 Rn. 73 m.w.N.<br />
36<br />
Vgl. Palandt/Weidenkaff, § 535 BGB Rn. 32.<br />
122
Regelfall nicht eingerechnet. Erwirbt der Mietkäufer die Immobilie,<br />
wollen die Parteien regelmäßig wirtschaftlich so gestellt sein, als ob der<br />
Mietkäufer vom Vertragsbeginn an der wirtschaftliche Berechtigte und<br />
Verpflichtete gewesen wäre. Diese Vorstellungen können vertraglich nur<br />
dadurch realisiert werden, dass der Mietverkäufer zunächst die<br />
Instandhaltungs- und Instandsetzungskosten trägt, jedoch eine Erstattungspflicht<br />
für diese Kosten im Falle der Optionsausübung vorgesehen<br />
wird.<br />
6. Erschließungskosten<br />
Im Hinblick auf den möglicherweise zustande kommenden Kaufvertrag<br />
ist eine Regelung dazu angezeigt, welche Vertragspartei etwaige<br />
während der Angebotsphase anfallende Erschließungskosten zu tragen<br />
hat. Die Erschließungskosten hat nach der gesetzlichen Regelung des<br />
§ 535 Abs. 1 S. 3 BGB der Vermieter zu tragen, da die Erschließungskosten<br />
unter das Tatbestandsmerkmal der „Lasten“ fallen 37 . Diese<br />
Lastentragungspflicht kann grundsätzlich – bezogen auf das Innenverhältnis<br />
der Mietvertragsparteien – durch Vereinbarung dem Mieter auferlegt<br />
werden 38 . Dies gilt indes nicht für Wohnraummietverträge, zu<br />
denen der Mietkaufvertrag in den meisten Fällen zählt. In diesem Bereich<br />
können nur die Betriebskosten i.S.v. § 2 BetrKV auf den Mieter<br />
umgelegt werden 39 . Erschließungskosten stellen jedoch keine laufenden<br />
öffentlichen Lasten im Sinne dieser Verordnung dar. Die Vereinbarung<br />
der Umlage anderer Kosten als Betriebskosten ist wegen § 556 Abs. 4<br />
BGB grundsätzlich nichtig. Damit scheidet die Übertragung der Erschließungskosten<br />
auf den Mieter für einen wesentlichen Teil der Mietkauffälle<br />
aus. Aber auch außerhalb der Wohnraummietverhältnisse<br />
begegnet die komplette Abwälzung dieser Lasten im Formularvertrag im<br />
Hinblick auf § 307 Abs. 2 Nr.1 BGB Bedenken 40 . Vor diesem Hintergrund<br />
empfiehlt es sich, die Erschließungskosten entsprechend der<br />
Regelung in § 537 Abs.1 Satz 3 BGB <strong>bei</strong>m Vermieter zu belassen.<br />
Dies dürfte im Regelfall auch den Interessen der Beteiligten entsprechen.<br />
Zwar ist zu berücksichtigen, dass eine mit einer nach Mietvertragsabschluss<br />
erfolgenden Erschließungsmaßnahme verbundene<br />
Wertsteigerung des Wohngrundstücks im Kaufpreis keine Berücksichtigung<br />
finden kann, da dieser im Zeitpunkt der Angebotsangabe<br />
37 Palandt/Weidenkaff, § 535 BGB Rn. 68; Ehlert, in: Bamberger/Roth, § 535 Rn. 206.<br />
38 Palandt/Weidenkaff, § 535 BGB Rn. 69.<br />
39 Ehlert, in: Bamberger/Roth, § 535 Rn 207; Palandt/Weidenkaff, § 556 Rn. 4.<br />
40 Vgl. Ehlert, in: Bamberger/Roth, § 535 Rn. 207.<br />
123
feststeht, und damit die Wertsteigerung im Fall der Annahme des Kaufvertragsangebotes<br />
dem Käufer zugute kommt. Diese Überlegungen<br />
gelten aber eben nur für den Fall der Kaufoptionsausübung. Bleibt der<br />
Mietkäufer normaler Mieter, wird er kaum bereit sein, die Erschließungskosten<br />
für den Vermieter zu übernehmen. Aus diesem<br />
Grund erscheint es sachgerecht, die Pflicht zur Lastentragung der Erschließungskosten<br />
<strong>bei</strong>m Vermieter zu belassen und nur für den Fall des<br />
Ankaufs im kaufvertraglichen Teil eine Freistellung des Mietkäufers<br />
hinsichtlich der Erschließungskosten vorzusehen, die zwischen dem<br />
Vertragsabschluss und der Ausübung des Ankaufsrechts angefallen<br />
sind.<br />
7. Rechte des Mieters <strong>bei</strong> Sach- und Rechtsmängeln<br />
Die Haftung des Vermieters <strong>bei</strong> Vorliegen eines Sachmangels (§ 536<br />
Abs. 1 und 2 BGB) oder eines Rechtsmangels (§ 536 Abs. 3 BGB) ist im<br />
Rahmen eines Wohnraummietverhältnisses zwingend, kann also nicht<br />
zum Nachteil des Mieters eingeschränkt oder gar ausgeschlossen<br />
werden (§ 536 Abs. 4 BGB). Leidet die Mietsache an einem Sach- oder<br />
Rechtsmangel, kann der Mieter die Miete mindern. Wird der Mietkaufvertrag<br />
somit über Wohnraum geschlossen, scheidet eine Abbedingung<br />
des § 536 BGB von vorneherein aus. Etwas anders kann sich im<br />
Einzelfall <strong>bei</strong> einem Mietkaufvertrag über eine Gewer<strong>bei</strong>mmobilie ergeben.<br />
Entgegen den obigen Überlegungen wird <strong>bei</strong>m Mietkauf überlegt, die<br />
Sach- und Preisgefahr auf den Mietkäufer abzuwälzen. Für die Zulässigkeit<br />
einer solchen Abwälzung wird vorgetragen, dass die Stellung<br />
des Mietkäufers der eines Käufers noch mehr angenähert ist als <strong>bei</strong>m<br />
Finanzierungsleasing 41 . Im Leasingrecht wiederum ist anerkannt, dass<br />
die Übertragung der Sach- und Preisgefahr keine unangemessene Benachteiligung<br />
des Leasingnehmers im Sinne von § 307 BGB darstellt<br />
und auch in einem Formularvertrag zulässig ist 42 . Beim Mietkauf erwerbe<br />
der Mietkäufer jedoch in der Regel nach Begleichung aller Raten<br />
das Eigentum am Objekt entweder automatisch oder nach Ausübung<br />
eines Optionsrechts, weshalb er eine erwerbsähnliche Position einnähme<br />
43 . Dieser Ansicht kann in dieser Allgemeinheit indes nicht <strong>bei</strong>getreten<br />
werden. Sie beruht im Wesentlichen darauf, dass – wie auch<br />
sonst weitgehend – nicht zwischen den unterschiedlichen Gestaltungs-<br />
41 Schloßer, MDR 2003, 72.<br />
42 BGH NJW 2004, 1041; v. Westphalen, NJW 2004, 1998.<br />
43 Schloßer, MDR 2003, 71.<br />
124
varianten des Mietkaufs unterschieden wird. Sie ist sicher im Bereich<br />
des Ratenzahlungskaufs zutreffend, da in diesem Bereich der Erwerb<br />
des Vertragsobjekts feststeht. Der Wille der Parteien ist bereits auf den<br />
Erwerb der Immobilie gerichtet. Die Einigung über den Eigentumsübergang<br />
wird regelmäßig bereits im Ratenzahlungsvertrag erklärt, wenn<br />
auch der Vollzug im Grundbuch regelmäßig bis zur vollständigen<br />
Zahlung zurückgehalten wird. Nur vor diesem Hintergrund ist es gerechtfertigt,<br />
den Ratenzahlungskäufer schon als wirtschaftlichen Eigentümer<br />
i.S.v. § 39 AO einzuordnen und <strong>bei</strong> einer Bilanzierung das Wirtschaftsgut<br />
in der Bilanz des Mieters zu aktivieren sowie diesem<br />
eventuell bestehende steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten und<br />
öffentliche Fördermittel zu zugestehen. Bei einem solchen feststehenden<br />
Eigentumsübergang erscheint es gerechtfertigt, die Sach-<br />
und Gegenleistungsgefahr wie <strong>bei</strong>m Leasingvertrag schon zum Beginn<br />
des Ratenzahlungsvertrages auf den Ratenzahlungskäufer übergehen<br />
zu lassen 44 .<br />
Im Bereich des Mietkaufs ist der Erwerb jedoch nur eine – wenn auch<br />
wahrscheinliche – Möglichkeit. Solange jedoch der Mietkäufer sich noch<br />
nicht auf den Erwerb der Immobilie festgelegt hat, findet entsprechend<br />
der aufgezeigten getrennten Beurteilung von Mietvertrag und Kaufvertrag<br />
eine ausschließliche Anwendung mietvertraglicher Vorschriften<br />
statt. Der Mietkäufer steht noch nicht als späterer Eigentümer fest. Er<br />
kann dementsprechend auch noch nicht steuerlich als wirtschaftlicher<br />
Eigentümer angesehen werden. Dementsprechend ist eine klauselmäßige<br />
Überwälzung der Sach- und Preisgefahr nicht möglich. Zulässig<br />
ist sie grundsätzlich im Bereich einer Individualvereinbarung, wo<strong>bei</strong><br />
nochmals darauf hingewiesen werden darf, dass die Einstandspflicht<br />
des Vermieters für Sach- und Rechtsmängel <strong>bei</strong> einem Wohnraummietverhältnis<br />
nicht zum Nachteil des Mieters eingeschränkt oder gar ausgeschlossen<br />
werden kann (§ 536 Abs. 4 BGB). Da Mietkaufverträge im<br />
Regelfall wohl über einen Wohnraum abgeschlossen werden dürften,<br />
erübrigt sich für diesen Bereich die obige Diskussion. Sie kann letztlich<br />
nur für Gewer<strong>bei</strong>mmobilien eine Rolle spielen.<br />
8. Kündigung<br />
Übt der Mietkäufer innerhalb der Ankaufsfrist seine Kaufoption nicht<br />
aus, wird regelmäßig das Interesse des Mietverkäufers am Mietkaufvertrag<br />
mit diesem Vertragspartner erloschen sein. Der Verkauf der Im-<br />
44 Insoweit besteht Übereinstimmung mit Schloßer, MDR 2003, 72.<br />
125
mobilie ist gescheitert, der Mietkäufer hat auf Dauer die Stellung eines<br />
normalen Mieters. In dieser Situation wird der Mietverkäufer häufig das<br />
Interesse haben, die Rechtsbeziehungen zum bisherigen Vertragspartner<br />
zu beenden und sich einen neuen Mietkäufer zu suchen. Hierzu<br />
wäre es notwendig, das noch bestehende Mietverhältnis aufzulösen.<br />
Verhält sich der Mietkäufer vertragsgerecht, besteht für den Mietverkäufer<br />
keine Möglichkeit, das Mietverhältnis zu diesem Zeitpunkt zu<br />
kündigen.<br />
Naheliegend erscheint es deshalb, den Bestand des Mietvertrages vom<br />
Erlöschen des Ankaufsrechts dergestalt abhängig zu machen, das es im<br />
Gleichlauf mit dem Auslauf der Kaufoption erlischt. Eine solche <strong>Vertragsgestaltung</strong><br />
verhindert allerdings § 575 BGB, soweit es sich um<br />
Wohnraum handelt. Danach sind Mietverträge auf bestimmte Zeit nur<br />
unter den in § 575 Abs.1 Nr.1 – 3 BGB genannten Voraussetzungen<br />
zulässig 45 , die regelmäßig <strong>bei</strong> einem Mietkaufvertrag nicht gegeben sein<br />
werden. Eine gegen diese gesetzliche Regelung zum Nachteil des<br />
Mieters abweichende Vereinbarung ist unzulässig. Der Mietvertrag gilt<br />
als auf unbestimmte Zeit abgeschlossen (§ 575 Abs.1 Satz 2 BGB). Bei<br />
einem Mietvertrag über Gewerberäume ist allerdings eine solche Gestaltung<br />
zulässig und sinnvoll, wenn auch nicht von erheblicher Bedeutung,<br />
weil in diesem Bereich eine ordentliche Kündigung grundsätzlich<br />
möglich ist.<br />
Der Mietverkäufer einer Wohnraumimmobilie muss sich somit <strong>bei</strong> Vertragsschluss<br />
darüber bewusst sein, dass er sich für den Fall der Nichtausübung<br />
des Ankaufsrechts nicht vom Vertrag lösen kann, er hinsichtlich<br />
seiner Immobilie mietvertraglich gebunden ist und ihm insoweit nur<br />
das ordentliche, allerdings stark eingeschränkte Kündigungsrecht nach<br />
den §§ 573 ff BGB zusteht.<br />
9. Mietkaufbedingte zusätzliche Vereinbarungen<br />
a) Genehmigungsbedürftigkeit des Kaufvertrags<br />
Zusätzlicher Regelungsbedarf ergibt sich aus dem Umstand, dass der<br />
Mietkäufer die Immobilie mit der Absicht des späteren Erwerbs anmietet.<br />
Es muss aus seiner Sicht sichergestellt sein, dass im Falle der<br />
Ausübung des Ankaufsrechts der Erwerb rechtlich möglich ist und seine<br />
Zahlungen auch als (teilweise) Anzahlung auf den Kaufpreis den Ankauf<br />
45 Siehe Ziffer II 4 b.<br />
126
ealisieren und nicht lediglich als Entgelt für die Gebrauchsüberlassung<br />
angesehen werden. Der Anspruch des Mietkäufers auf Verschaffung<br />
des Eigentums aus dem Ankaufsrecht wird zunächst dadurch abgesichert,<br />
dass hierfür eine Vormerkung im Grundbuch des Grundstückseigentümers<br />
eingetragen wird 46 . Sofern jedoch der Kaufvertrag<br />
einer öffentlich-rechtlichen Genehmigung bedarf, ist die eingetragene<br />
Vormerkung allein kein ausreichender Schutz. Ohne Vorliegen der notwendigen<br />
Genehmigungen kann nicht sicher beurteilt werden, ob der<br />
Mietkäufer auch Eigentümer werden kann. Bis zur Genehmigungserteilung<br />
ist der durch die Ausübung des Ankaufsrechts zustande gekommene<br />
Kaufvertrag schwebend unwirksam 47 . Wird die Genehmigung<br />
unanfechtbar versagt, ist das Rechtsgeschäft nichtig (§134 BGB), da es<br />
einer öffentlich-rechtlichen Verfügungsbeschränkung widerspricht.<br />
An sich würde es naheliegender erscheinen, die für den Kaufvertrag<br />
notwendigen behördlichen Genehmigungen erst einzuholen, wenn der<br />
Mietkäufer sich für den Ankauf entschieden hat, schon um erst dann die<br />
Vollzugsgebühr des § 146 Abs.1 KostO auszulösen. Bei diesem Vorgehen<br />
wäre der Mietkäufer aber <strong>bei</strong> Bestehen einer Genehmigungspflicht<br />
nicht im Hinblick auf den Eigentumserwerb abgesichert. Aus<br />
diesem Grund ist es sinnvoll, die für die Eigentumsumschreibung im<br />
Grundbuch erforderlichen Genehmigungen bereits <strong>bei</strong> Abschluss des<br />
Mietkaufvertrages zu beantragen und auch den Mietvertrag von der<br />
Erteilung dieser Genehmigungen abhängig zu machen. Als mögliche<br />
Genehmigungen kommen insbesondere in Betracht<br />
- sanierungsrechtliche Genehmigung nach § 144 Abs2. BauGB<br />
- landwirtschaftliche Genehmigung nach § 2 Abs.1 GrstVG<br />
- Genehmigung nach § 51 BauGB für Grundstücke im Umlegungsgebiet<br />
- in den neuen Bundesländern die Genehmigung nach § 2 GVO 48 .<br />
Aber auch sonstige privatrechtliche Genehmigungserfordernisse, wie<br />
<strong>bei</strong>spielsweise eine Zustimmungserfordernis nach § 12 WEG <strong>bei</strong> Erwerb<br />
von Wohnungseigentum oder öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche<br />
Vorkaufsrechte können den Erwerb der Mietkaufimmobilie<br />
verhindern. Letztendlich gilt es, wie <strong>bei</strong>m normalen Immobilienkaufver-<br />
46 Siehe hierzu B III 2 a.<br />
47 Vgl. BGH NJW 1995, 318; Schöner/Stöber, Rn. 3805.<br />
48 Zu möglichen weiteren Genehmigungen siehe Schöner/Stöber, Rn.3800 ff; Hügel,<br />
GBO, Verfügungsbeeinträchtigungen Rn. 35 ff; Hertel, in: Würzburger Notarhandbuch,<br />
Teil 2 Rn. 430 ff.<br />
127
trag, abzuklären, ob der Eigentumsumschreibung im Grundbuch rechtliche<br />
Hindernisse entgegen stehen. Insoweit gibt es in diesen Zusammenhang<br />
keine Neuerungen. Die Besonderheit besteht lediglich<br />
darin, dass diese Vollzugstätigkeit bereits <strong>bei</strong> Abschluss des Mietkaufvertrages<br />
zu erfolgen hat. Ebenso wie <strong>bei</strong>m normalen Grundstückskaufvertrag<br />
gilt es zudem, den Mietkäufer vor einer „ungesicherten Vorleistung“<br />
(Miete nur als Entgelt für Gebrauchsüberlassung) zu schützen.<br />
Dies kann nur dadurch erreicht werden, dass der Vollzug des Mietkaufvertrages<br />
durch Inbesitznahme der Mietsache durch den Mietkäufer<br />
davon abhängig gemacht wird, dass der Notar den Beteiligten das Vorliegen<br />
sämtlicher für die Eigentumsumschreibung erforderlicher Genehmigungen<br />
mit Ausnahme der Unbedenklichkeitsbescheinigung des<br />
Finanzamtes mitteilt.<br />
Eine solche <strong>Vertragsgestaltung</strong> ist nicht nur sinnvoll, sondern möglicherweise<br />
vor dem Hintergrund des §§ 18, 17 BeurkG auch geboten.<br />
Nach § 18 BeurkG hat der Notar auf die notwendigen gerichtlichen oder<br />
behördlichen Genehmigungen oder Bestätigungen hinzuweisen und<br />
hierüber einen Vermerk in die Urkunde aufzunehmen. In diesem Zusammenhang<br />
ist nicht nur auf die bloße Tatsache der Genehmigungsbedürftigkeit,<br />
sondern auch auf die Folgen der Genehmigungsversagung<br />
hinzuweisen 49 . Diesem Erfordernis wird ein Hinweis lediglich im<br />
kaufrechtlichen Teil der Urkunde kaum gerecht, da der Mietkäufer die<br />
Auswirkungen einer Genehmigungsversagung in ihrer Gesamtheit auf<br />
den Mietkaufvertrag nur schwer überschauen kann. Eine diesbezügliche<br />
Belehrungspflicht ergibt sich aber wohl zumindest aus § 17 BeurkG.<br />
Die Notwendigkeit einer solchen Absicherung hat jedoch noch weiteren<br />
Einfluss auf die <strong>Vertragsgestaltung</strong>. Grundsätzlich kann das Ankaufsrecht<br />
als Kaufangebot oder als aufschiebend bedingter Kaufvertrag<br />
ausgestaltet werden. Die Besonderheit des Angebots besteht allerdings<br />
gerade darin, dass ein Kaufvertrag über die Immobilie erst mit dessen<br />
Annahme abgeschlossen wird. Vor diesem Hintergrund stellt sich die<br />
Frage, ob für ein Angebot auf Abschluss eines Grundstückskaufvertrages<br />
bereits die für den Vertrag notwendigen Genehmigungen eingeholt<br />
und erteilt werden können. Diese Frage kann für alle erdenklichen<br />
Genehmigungen nicht einheitlich beurteilt werden. Es ergeben<br />
sich jedoch für einige, in der Praxis wichtige Genehmigungen folgende<br />
Überlegungen:<br />
49 Hertel, in: Würzburger Notarhandbuch, Teil 2 Rn. 430.<br />
128
Nach § 2 Abs.1 GVO bedarf die Auflassung und der schuldrechtliche<br />
Vertrag bezüglich eines in den neuen Bundesländern belegenen Grundstücks<br />
der Genehmigung nach der Grundstücksverkehrsordnung. Das<br />
Angebot zu einem solchen Vertrag ist nicht genehmigungspflichtig. Es<br />
ist jedoch als solches auch nicht genehmigungsfähig. Dies ergibt sich<br />
aus § 1 Abs.1 Satz 2 GVO. Nach dieser Bestimmung kann eine Genehmigung<br />
nach der GVO auch schon vor Abschluss des Rechtsgeschäfts<br />
erteilt werden, wenn das im voraus genehmigte Rechtsgeschäft<br />
binnen zwei Jahren nach der Ausstellung der Genehmigung<br />
abgeschlossen wird. Diese Regelung lässt nur den Schluss zu, dass<br />
das Angebot selbst nicht genehmigungsfähig ist, aber für ein Angebot<br />
die Genehmigung eingeholt werden kann, die allerdings nach zwei<br />
Jahren wieder unwirksam wird, wenn es bis dahin nicht angenommen<br />
worden ist. Damit wäre der Mietkäufer nur für zwei Jahre rechtlich<br />
abgesichert. Selbstverständlich besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit,<br />
dass ein erneuter Genehmigungsantrag ebenfalls positiv beschieden<br />
würde. Eine absolute Gewissheit indes bedeutet dies nicht.<br />
Die Genehmigung nach dem Grundstücksverkehrsgesetz kann nach § 2<br />
Abs.1 Satz 3 GrdstVG auch für einen Kaufvertragsentwurf erteilt<br />
werden. Deshalb ist grundsätzlich auch ein Verkaufsangebot genehmigungsfähig<br />
50 . Problematisch kann dies jedoch für Angebote mit<br />
längerer Frist sein. Nach Ansicht des BGH kann aufgrund des Sinnzusammenhangs<br />
des GrdstVG auch eine Vereinbarung, die bereits die<br />
Einzelheiten des Ankaufsrechts regelt, noch nicht als genehmigungsfähig<br />
angesehen werden, wenn das Vorliegen etwaiger Gründe für die<br />
Versagung der Genehmigung (§ 9 GrdstVG) sich umfassend und abschließend<br />
erst im Zeitpunkt der Ausübung des Ankaufsrechts beurteilen<br />
lässt. Dem Sinn und Zweck des GrdstVG (Verhinderung einer<br />
Verschlechterung der Agrarstruktur und Sicherung land- und forstwirtschaftlicher<br />
Betriebe) ist nur – zugleich aber auch hinreichend – Genüge<br />
getan, wenn in diesem Zeitpunkt keine gesetzlichen Versagungsgründe<br />
vorliegen 51 . Damit besteht das Risiko, dass für ein Verkaufsangebot mit<br />
längerer Laufzeit eine Genehmigung nach dem GdstVG nicht erteilt<br />
werden kann.<br />
Diese vorgenannten Probleme lassen sich dadurch vermeiden, dass<br />
das im Mietkaufvertrag enthaltene Kaufangebot nicht in Form eines<br />
Angebots, sondern als aufschiebend bedingter Kaufvertrag konstruiert<br />
wird. Bei dieser Gestaltung wird bereits die endgültige vertragliche<br />
50 Schöner/Stöber, Rn. 3953 m.w.N.<br />
51 BGH MDR 1983, 834.<br />
129
Einigung beurkundet, die genehmigungsfähig im oben dargestellten<br />
Sinne ist. Mit Erteilung der Genehmigung für das vertragliche Rechtsgeschäft<br />
wird dieses rückwirkend von seinem Abschluss an wirksam 52 .<br />
Die Wirksamkeit des Vertrages hängt nicht davon ab, wann der Vertrag<br />
dem Grundbuch zum Vollzug vorgelegt wird. Aus diesem Grund<br />
empfiehlt es sich in jedem Fall, das Ankaufsrecht als bedingten Kaufvertrag<br />
auszugestalten, sofern die Wirksamkeit des Kaufvertrags von<br />
einer Genehmigung abhängig ist.<br />
Bedarf der Kaufvertrag zu seiner Wirksamkeit einer Genehmigung, ist<br />
somit eine Prüfung erforderlich, ob diese vorab für das zukünftige<br />
Rechtsgeschäft oder ein Angebot hierfür eingeholt werden kann und ob<br />
diese auch zeitlich unbefristet erteilt werden kann. Ist dies der Fall oder<br />
ist eine Genehmigung nicht notwendig, kann die Kaufoption auch als<br />
Angebot ausgestaltet werden. Anderenfalls verdient der aufschiebend<br />
bedingte Kaufvertrag den Vorzug. Will man seine <strong>Vertragsgestaltung</strong><br />
nicht einzelfallabhängig in der Grundkonzeption veränderlich haben,<br />
kann als Standardlösung nur der aufschiebend bedingte Kaufvertrag<br />
gewählt werden.<br />
b) Verwendungsabrede hinsichtlich der Miete<br />
Sofern das vertragsgegenständliche Wohnhausgrundstück mit<br />
valutierten Grundpfandrechten belastet ist, bedarf es einer zusätzlichen<br />
Vereinbarung der Beteiligten. Übt der Mietkäufer seine Kaufoption aus,<br />
werden nämlich die bereits geleisteten Mietzahlungen (teilweise) auf<br />
den Kaufpreis angerechnet. Vor allem in den Fällen, in denen die Option<br />
erst nach einem längeren Zeitraum erfolgt, ist zu diesem Zeitpunkt auf<br />
diese Weise bereits ein nicht unerheblicher Teil des vereinbarten Kaufpreises<br />
an den Mietverkäufer geleistet. Valutieren die Grundpfandrechte<br />
noch in einer Höhe, die an den vereinbarten Kaufpreis heranreicht, kann<br />
dies dazu führen, dass die Bank aufgrund des zur Ablösung nicht mehr<br />
ausreichenden Restkaufpreises die Pfandfreigabe nicht erklärt. In einer<br />
solchen Situation ist der lastenfreie Erwerb der Immobilie nicht mehr<br />
sichergestellt, obwohl der Mietkäufer den geschuldeten Kaufpreis erbracht<br />
hat. Dasselbe Problem tritt auf, wenn bereits der vereinbarte<br />
Gesamtkaufpreis nicht zur Lastenfreistellung ausreicht. Dieses Problem<br />
muss durch eine geeignete <strong>Vertragsgestaltung</strong> verhindert werden.<br />
52 BGH NJW 1995, 318.<br />
130
Naheliegend erscheint es, den Mietverkäufer im mietrechtlichen Teil des<br />
Vertrages zu verpflichten, die Miete ausschließlich zur Wegfertigung der<br />
grundpfandrechtsgesicherten Darlehensverbindlichkeiten zu verwenden.<br />
Eine solche, sich auf das Innenverhältnis der Vertragsteile beschränkende,<br />
rein schuldrechtliche Lösung genügt aber den<br />
Sicherungsinteressen des Mietkäufers <strong>bei</strong> einem Mietkauf in der Regel<br />
nicht, auch wenn <strong>bei</strong> Ausübung der Kaufoption die Fälligkeit des Restkaufpreises<br />
davon abhängig gemacht wird, dass dieser zur Lastenfreistellung<br />
ausreicht. Sofern die Lastenfreistellung durch Bezahlung des<br />
geschuldeten Restkaufpreises nicht bewirkt werden könnte, tritt zwar<br />
keine Restkaufpreisfälligkeit ein, jedoch ist der Mietkäufer nicht in<br />
seinem Interesse auf einen lastenfreien Erwerb der Immobile geschützt.<br />
Möglicherweise ist der Kauf insgesamt gefährdet. Aus diesem Grund<br />
sollte sich der gestaltende Notar nicht mit einer Verwendungsabrede der<br />
<strong>bei</strong>den Parteien zufrieden geben.<br />
Die notwendige Sicherheit kann nur dadurch erzielt werden, dass die<br />
Bank des Mietverkäufers bereits <strong>bei</strong> Mietkaufvertragsabschluss beteiligt<br />
wird. Es bietet sich das Einholen einer Lastenfreistellungserklärung der<br />
Bank dergestalt an, wie sie es auch <strong>bei</strong> Bauträgerverträgen nach § 3<br />
Abs.2 MaBV üblich ist 53 . Die Bank gibt eine verpflichtende Erklärung<br />
gegenüber dem Mietkäufer ab, dass sie für den Verkaufsfall das Vertragsobjekt<br />
von den eingetragenen Grundpfandrechten freigeben wird<br />
unter der Voraussetzung, dass der Mietkäufer die nach dem Mietkaufvertrag<br />
geschuldeten Beträge vollständig geleistet hat. Ebenso wie <strong>bei</strong><br />
Bauträgerverträgen wird die Bank diese Erklärung im Regelfall davon<br />
abhängig machen, dass die monatliche Miete auf ein von ihr benanntes<br />
Konto gezahlt wird. Hiergegen bestehen ebenso wie im Bauträgerrecht<br />
54 keine Bedenken. Sofern jedoch die Bank darüber hinaus auch<br />
die Abtretung der geschuldeten Mietbeträge an sich verlangt 55 , ist durch<br />
eine geeignete Gestaltung sicherzustellen, dass sich diese Abtretung<br />
nur auf die Kaltmiete bezieht. Die Nebenkostenvorauszahlung des Mietkäufers<br />
dient nämlich dazu, die Betriebskosten der Immobilie zu begleichen<br />
und nicht zur Rückführung des ausgereichten Kredits. Um den<br />
Mietkäufer mittels einer geeigneten <strong>Vertragsgestaltung</strong> abzusichern,<br />
bietet sich an, diese Freistellungsverpflichtungserklärung der Bank entweder<br />
vor dem Beurkundungstermin einzuholen bzw. den Vollzug des<br />
Mietkaufvertrages vom Vorliegen einer solchen Erklärung abhängig zu<br />
53 Zur Ablösung von Privatgläubigern siehe Vierling, MittBayNot 2009, 78.<br />
54 Siehe z. B. Marcks, MaBV, § 3 Rn. 13 a.<br />
55 Zum Problem eines abgetretenen Mietzinsanspruchs <strong>bei</strong> Beschlagnahme durch<br />
nachrangige Grundpfandrechtsgläubiger siehe BGH DNotZ 2005, 919.<br />
131
machen. Der Notar kann und sollte mit der Einholung der Erklärung<br />
beauftragt sowie verpflichtet werden, das Vorliegen der Erklärung den<br />
Beteiligten mitzuteilen. Auch insoweit kann das Modell der grundstückskaufvertraglichen<br />
Fälligkeitsüberwachung Anwendung finden.<br />
Zusätzlich sollte beachtet werden, dass die Ansprüche des Mietverkäufers<br />
auf die Miete der Pfändung unterliegen. Erfolgt eine Pfändung,<br />
würde die Miete nicht mehr zur Befriedigung der durch das Grundpfandrecht<br />
gesicherten Verbindlichkeiten dienen können. Dementsprechend<br />
ist durch eine geeignete Formulierung sicher zu stellen, dass die Miete<br />
nur zur Begleichung dieser Schulden verwendet werden kann. Dies<br />
könnte auch durch Abtretung der Mietansprüche an die Gläubigerin<br />
vertraglich umgesetzt werden. Das Problem einer unwirksamen Vorausverfügung<br />
des Grundstückseigentümers über die Miete im Hinblick auf<br />
§§ 1192 Abs. 1, 1124 Abs. 2 Abs. 2 BGB stellt sich hier nicht 56 , da die<br />
Miete gerade dem Grundpfandrechtsgläubiger zufließen soll. In jedem<br />
Fall ist hier eine Störfallvorsorge notwendig.<br />
IV. Der kaufrechtliche Teil des Mietkaufvertrages<br />
1. Allgemeines<br />
Übt der Mietkäufer das ihm eingeräumte Ankaufsrecht aus, kommt über<br />
die zunächst angemietete Immobilie ein Kaufvertrag zustande. In<br />
diesem Bereich betritt der Vertragsgestalter wieder gesichertes Terrain.<br />
Die Gestaltung von Grundstückskaufverträgen ist notarieller Alltag. Der<br />
Inhalt des kaufvertraglichen Teils des Mietkaufvertrages entspricht zunächst<br />
den üblichen Kautelen eines Grundstückskaufvertrages. Im<br />
Folgenden werden nur die hiervon abweichenden Gestaltungsgesichtspunkte<br />
angesprochen.<br />
2. Das Ankaufsrecht des Mietkäufers<br />
a) Allgemeine Gestaltungsüberlegungen<br />
Zunächst darf darauf hingewiesen werden, dass das auch als (Ankaufs-)<br />
Option bezeichnete Ankaufsrecht im deutschen Recht nicht als eigenständiges<br />
Rechtsinstitut existiert 57 , sondern im Zusammenhang mit<br />
einem Mietvertrag entweder als Angebot bzw. Angebotsvertrag oder als<br />
56 Vgl. hierzu BGH NJW 2007, 2919.<br />
57 Wagner, NotBZ 2000, 69, 77.<br />
132
aufschiebend bedingter Kauf(Haupt-)vertrag ausgestaltet sein kann.<br />
Angebot bzw. Angebotsvertrag auf der einen Seite und aufschiebend<br />
bedingter Kauf(Haupt-)vertrag auf der anderen Seite bieten sowohl Vor-<br />
als auch Nachteile.<br />
Ein reines und getrennt beurkundetes Verkaufsangebot wird in der Vertragspraxis<br />
in aller Regel schon deshalb nicht in Betracht kommen, weil<br />
der Mietvertrag und das Kaufangebot als einheitliches Rechtsgeschäft<br />
<strong>bei</strong>de der notariellen Beurkundung bedürfen 58 und deshalb aus Kostengründen<br />
und Zweckmäßigkeitsüberlegungen eine einheitliche Beurkundung<br />
nahe liegt. Denkbar ist aber, das Kaufangebot des Mietverkäufers<br />
als Angebot des Mietverkäufers oder als aufschiebend bedingten<br />
Hauptvertrag auszugestalten.<br />
Grundsätzlich ergeben sich keine Unterschiede, die entweder das Angebot/Angebotsvertrag<br />
bzw. den aufschiebend bedingten Kaufvertrag<br />
als einzig richtige Gestaltung nahe legen. Indes können die bereits<br />
erfolgten Erörterungen zu eventuell notwendigen Genehmigungen des<br />
Kaufvertrags an dieser Stelle nicht unberücksichtigt bleiben 59 . Da bestimmte<br />
Genehmigungen nicht für ein Angebot eingeholt werden<br />
können bzw. für ein Angebot nicht zeitlich unbefristet gelten, gibt dieser<br />
Umstand den Ausschlag für eine sachgerechte Gestaltung des Ankaufrechts.<br />
Immer wenn die Wirksamkeit des Vertrags von einer Genehmigung<br />
abhängt, sollte der aufschiebend bedingte Kaufvertrag gewählt<br />
werden, um den Mietkäufer in seinen Erwerbsabsichten abzusichern.<br />
b) Regelung der Vererblichkeit des Ankaufsrechts<br />
Inwieweit das Recht, das Vertragsangebot anzunehmen oder die Option<br />
auszuüben, vererblich ist, muss grundsätzlich durch Auslegung im<br />
Einzelfall ermittelt werden 60 . Die Frage der Vererblichkeit sollte aus<br />
diesem Grunde ausdrücklich im Vertrag geregelt werden. Dies gilt auch<br />
dann, wenn jeder der <strong>bei</strong>den Angebotsempfänger zur Bewirkung eines<br />
Gleichlaufs mit der mietrechtlichen Vorschrift des § 563 a Abs. 1 BGB<br />
sein Recht auf Kaufvertragsannahme aufschiebend bedingt auf den<br />
Zeitpunkt seines Vorversterbens an den anderen Mietkäufer abtritt.<br />
Denn damit ist noch nicht geregelt, was gelten soll, wenn <strong>bei</strong>de Angebotsempfänger<br />
zeitgleich, gleichzeitig oder kurz hintereinander ver-<br />
58 Siehe Ziffer II 2.<br />
59 Siehe Ziffer II 9 a.<br />
60 Wagner, NotBZ 2000, 69, 73 mit weiteren Nachweisen dort in Fn. 43.<br />
133
sterben. Wenn in einer solchen Situation die Angebotsempfänger von<br />
ihren im gemeinsamen Haushalt lebenden Kindern aufgrund Gesetzes<br />
oder aufgrund letztwilliger Verfügung beerbt werden, würde durch die im<br />
Mietkaufvertrag bestimmte Vererblichkeit des Annahmerechts wiederum<br />
ein Gleichlauf zwischen dieser Rechtsposition und der aus dem Mietverhältnis<br />
geschaffen, denn § 563 Abs. 2 S. 1 BGB ordnet zugunsten<br />
der im gemeinsamen Haushalt lebenden Kinder des Mieters hinsichtlich<br />
des Mietvertrages ein Eintritts- bzw. Fortsetzungsrecht an.<br />
c) Regelung der Übertragbarkeit des Ankaufsrechts<br />
Regelungsbedürftig ist auch die Übertragbarkeit der Annahmeposition<br />
des Angebotsempfängers gemäß §§ 413, 398 BGB, da auf den ersten<br />
Blick jedenfalls eine gesetzliche Vorgabe für oder gegen eine Übertragbarkeit<br />
nicht besteht 61 .<br />
Das Ziel einer jeden <strong>Vertragsgestaltung</strong> besteht aber darin, Streitfragen<br />
und Unklarheiten erst gar nicht entstehen zu lassen. Die Frage der<br />
Übertragbarkeit der Annahmeposition des Angebotsempfängers sollte<br />
deshalb im Angebotstext ausdrücklich geregelt sein.<br />
d) Angebotsfrist<br />
Unbedingt regelungsbedürftig ist der Zeitraum, innerhalb dessen der<br />
Mietverkäufer an sein Angebot gebunden ist. Es bestehen hierfür<br />
grundsätzlich keine Vorgaben, so dass die Beteiligten die Dauer frei<br />
vereinbaren können. Gleichwohl erscheint es sinnvoll, die Angebotsfrist<br />
mit den mietrechtlichen Vereinbarungen der Parteien in Übereinstimmung<br />
zu bringen. Verzichten die Beteiligten im mietrechtlichen Teil<br />
<strong>bei</strong>spielsweise auf das Recht der ordentlichen Kündigung für einen bestimmten<br />
Zeitraum 62 , erscheint es in jedem Fall ratsam, dem Mietkäufer<br />
im Gegenzug ein Ankaufsrecht zumindest für diesen Zeitraum einzuräumen.<br />
Ob ein längeres Ankaufsrecht sinnvoll und gewünscht ist, muss<br />
im Einzelfall geklärt werden. Es darf aber nicht übersehen werden, dass<br />
die Laufzeit des Angebots für den Mietkäufer einen der zentralen<br />
Punkte des Mietkaufvertrages darstellt.<br />
61 Wagner, NotBZ 2000, 69, 73.<br />
62 Siehe hierzu B II 6 c.<br />
134
3. Anrechnung der geleisteten Mietzahlungen auf den Kaufpreis<br />
Für die Frage, ob die Kalt- bzw. Nettomiete in voller Höhe oder nur teilweise<br />
auf den Kaufpreis anzurechnen ist, gibt es keine allgemein gültige<br />
Antwort und auch keine rechtliche Faustformel. Über die Anrechnungsgröße<br />
entscheiden letztendlich Marktlage und Verhandlungsführung der<br />
Kaufvertragsparteien. Soweit die Miete nicht auf den Kaufpreis angerechnet<br />
wird, kann man ihr wirtschaftlich die Funktion eines<br />
Bindungsentgeltes oder einer Verzinsung des noch offenen Kaufpreisbetrages<br />
<strong>bei</strong>messen. Auf Grund der aktuellen Marktlage wird insbesondere<br />
in den neuen Bundesländern in vielen Fällen nur eine Vollanrechnung<br />
vertraglich durchsetzbar sein.<br />
Vertragsgestalterisch empfiehlt es sich, die Frage der Anrechnung unmittelbar<br />
im Anschluss an die Kaufpreishöhe zu regeln, da im Falle der<br />
Ausübung der Kaufoption der noch zu zahlende Kaufpreis zu ermitteln<br />
ist. Denkbare und praktisch relevante Anrechnungsvarianten sind:<br />
a) Totalanrechnung<br />
Bei kaum oder nur schwer veräußerbaren Immobilien dürften wohl die<br />
Fallgestaltungen überwiegen, <strong>bei</strong> denen die bis zur Beendigung des<br />
Mietvertrages bzw. der Mietzahlungspflicht tatsächlich an den Verkäufer<br />
bzw. an einen abzulösenden Grundpfandgläubiger gezahlten Kaltmieten<br />
in voller Höhe auf den Kaufpreis angerechnet werden, weil andernfalls<br />
der verkaufswillige Mietverkäufer auf der Immobilie „sitzen bliebe“.<br />
b) Teilanrechnung<br />
Wenn der Mietverkäufer zu einer solchen „Totalanrechnung“ nicht bereit<br />
und angesichts der Marktlage dazu auch nicht faktisch gezwungen ist,<br />
kommt auch eine Teilanrechnung in Betracht. Es bestehen im Hinblick<br />
darauf, dass der Mietkauf Elemente eines Kreditgeschäfts aufweist<br />
grundsätzlich zwei plausible Ansätze dafür, die Kaltmiete in einen auf<br />
den Kaufpreis anzurechnenden und einen nicht anzurechnenden Teil<br />
aufzuteilen. So könnte etwa vereinbart werden, dass die Gesamtkaufpreisschuld<br />
unter Zugrundelegung einer fiktiven Gesamtlaufzeit von z.<br />
B. zwanzig Jahren mit dem gesetzlichen Zinssatz des § 246 BGB zu<br />
verzinsen ist und der auf die einzelnen Monatsmieten entfallende,<br />
betragsmäßig ausgewiesene Zinsanteil nicht auf den Kaufpreis angerechnet<br />
wird. Sofern die Mietzahlungen vom Mietverkäufer zur Wegfertigung<br />
eines Grundpfanddarlehens verwendet werden (müssen), ist<br />
135
es auch denkbar, den in der jeweiligen Monatsmiete fiktiv enthaltenen<br />
Darlehenszinsanteil von der Kaufpreisanrechnung freizustellen. Auch<br />
dieser, über die Laufzeit des Mietvertrages nicht zwingend betragsmäßig<br />
gleichbleibende Zinsanteil (etwa <strong>bei</strong> einem Amortisations- bzw.<br />
Tilgungsdarlehen) müsste in der Monatskaltmiete gesondert ausgewiesen<br />
werden.<br />
c) Anrechnung <strong>bei</strong> Mietminderung<br />
Nicht eindeutig beantworten lässt sich die Frage, wie die Anrechung<br />
erfolgen soll, wenn der Mietkäufer die vereinbarte Miete berechtigterweise<br />
wegen Mängeln des Vertragsgegenstandes gemindert hat. Hier<br />
wird danach zu differenzieren sein, weshalb die Minderung vorgenommen<br />
wurde. Erfolgte die Minderung, weil der Vertragsgegenstand<br />
nicht die vertraglich vereinbarte Beschaffenheit besessen hat, so ist der<br />
einbehaltene Betrag als geleistete Mietzahlung zu bewerten und führt<br />
dementsprechend zu einer Reduzierung des Restkaufpreises. Hat der<br />
Mietkäufer aber nur deswegen die Möglichkeit zur Minderung, weil der<br />
Mietverkäufer während der Mietphase grundsätzlich für die Instandhaltung<br />
und Instandsetzung der Mietsache verantwortlich ist, so ergibt<br />
sich in der Regel ein anderes Ergebnis. Wäre der Vertragsgegenstand<br />
sofort verkauft worden, wäre dieser nachträglich eintretende Mangel in<br />
die Risikosphäre des Käufers gefallen. Deshalb erscheint es sachgerecht,<br />
solche Minderungsbeträge <strong>bei</strong> der Anrechung auf den Kaufpreis<br />
nicht zu berücksichtigen und nur die geminderten, tatsächlich geleisteten<br />
Mietzahlungen auf den Kaufpreis anzurechen.<br />
Ein ähnliches Bild ergibt sich <strong>bei</strong> einer Minderung der Miete wegen einer<br />
Abweichung der tatsächlichen von der vereinbarten Wohnfläche. Bei<br />
Überschreitung der Erheblichkeitsgrenze von 10 % führt dies im Mietrecht<br />
stets zu einem Recht auf Minderung 63 . Beim Kauf einer gebrauchten<br />
Immobilie wird hingegen die Wohn- Nutzfläche regelmäßig<br />
nicht zum Inhalt einer Beschaffenheitsvereinbarung gemacht und berechtigt<br />
<strong>bei</strong> einer Abweichung nur in Ausnahmefällen zu einer<br />
Minderung des Kaufpreises. Aus diesem Grund sind auch die wegen<br />
einer Verminderung der Wohnfläche reduzierten Mietzahlungen nur in<br />
ihrer tatsächlich geleisteten Höhe auf den Kaufpreis anzurechnen, wenn<br />
im kaufvertraglichen Teil eine Haftung des Mietverkäufers für den Zustand<br />
der Immobilie zulässig ausgeschlossen ist.<br />
63<br />
BGH NJW 2004, 1947 = ZMR 2004, 495; OLG Karlsruhe NZM 2002, 218 = ZMR<br />
2003, 183.<br />
136
4. Erschließungskosten<br />
Bei der Frage, welche Kaufvertragspartei ab welchem Zeitpunkt anfallende<br />
Erschließungskosten i.w.S. zu tragen hat, darf zunächst auf die<br />
mietrechtlichen Ausführungen verwiesen werden. Sinnvoll erscheint<br />
eine Regelung, nach der solche Beiträge und Kosten im Außenverhältnis<br />
bis zur Beendigung des Mietverhältnisses der Mietverkäufer und –<br />
sofern die Kaufvertragsannahme erfolgt – nach diesem Zeitpunkt der<br />
Mietkäufer zu tragen hat. Daneben hat jedoch der Käufer dem Verkäufer<br />
im Fall der Kaufvertragsannahme während der Mietzeit verauslagte<br />
Erschließungskosten zu erstatten, da die mit den durchgeführten<br />
Erschließungsmaßnahmen verbundene Wertsteigerung des vertragsgegenständlichen<br />
Grundstücks dem Käufer zugute kommt, ohne dass<br />
dies <strong>bei</strong> der Kaufpreisfestsetzung bereits berücksichtigt werden konnte.<br />
Zur Sicherung des Käufers bietet es sich an, den Freistellungs- bzw.<br />
Erstattungsanspruch des Mietverkäufers an die Kaufpreisfälligkeit zu<br />
koppeln, um zu verhindern, dass der Käufer ohne gesicherten Anspruch<br />
auf lastenfreie Eigentumsübertragung Erschließungskosten tragen<br />
muss. Im Gegenzug kann zur Sicherung des Verkäufers der Vollzug der<br />
Eigentumsumschreibung nicht nur von der Zahlung des Kaufpreises,<br />
sondern darüber hinaus auch von der Erstattung der angefallenen Erschließungskosten<br />
abhängig gemacht werden.<br />
V. Schlussbemerkung<br />
Die vorstehenden Ausführungen dürften deutlich gemacht haben, dass<br />
<strong>bei</strong> der Gestaltung eines Mietkaufvertrages vor allem das Zusammenspiel<br />
der mietrechtlichen Ebene mit der späteren kaufrechtlichen Ebene<br />
besondere Aufmerksamkeit verdient. Soweit das Mietrecht zwingend<br />
eine bestimmte Regelung bedingt, die für den Fall des Zustandekommens<br />
eines Kaufvertrages nicht dem Willen der Vertragsparteien<br />
entspricht, muss für eine Korrektur im kaufrechtlichen Teil gesorgt<br />
werden.<br />
137
Hausübertragung zwischen Pflegeheim und Hartz IV<br />
Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz,<br />
Notar, Regen<br />
Mitglied des Vorstands des INotR Würzburg<br />
Seite<br />
I. Hausübergabe – Vorweggenommene Erbfolge,<br />
Generationengerechtigkeit und notarielle Rechtspflege ......140<br />
1. Vorweggenommene Erbfolge – Instrument der<br />
Generationennachfolge........................................................140<br />
2. Der alte Großvater und die demografische Entwicklung......143<br />
3. Generationengerechtigkeit und Vertragsgerechtigkeit in<br />
der Gesellschaft des Weniger ..............................................146<br />
II. Die Interessenlage <strong>bei</strong> der Hausübertragung und Alternativ-<br />
lösungen ....................................................................................148<br />
1. Die (nicht vereinbaren) Interessen der Beteiligten...............148<br />
2. „Ausstattung“ – der Joker?...................................................153<br />
3. Hausübergabe und Sozialrecht – häufig gestellte Fragen...156<br />
III. Pflegekosten, Versorgungs- und Sozialleistungen ...............157<br />
1. Die Pflegeversicherung statt Wart und Pflege .....................157<br />
a) Versorgung des Hausübergebers als Rechtspflicht?....157<br />
b) Pflegeversicherung als Teilkaskoversicherung und<br />
Pflegegeld .....................................................................159<br />
aa) Deckungslücke trotz Pflegeversicherung..............159<br />
bb) Pflegeverpflichtung und Pflegebedürftigkeit .........160<br />
cc) Haus plus Geld für das Kind?................................167<br />
2. Deckung des verbleibenden Fehlbetrages...........................172<br />
a) Einkommen und Vermögen – Grundsatz der<br />
Subsidiarität...................................................................172<br />
aa) Nachrang und Vermögensplanung .......................172<br />
bb) Sozialhilfeleistungen <strong>bei</strong> stationärer Pflege ..........176<br />
138
cc) Die Grundsicherung im Alter .................................178<br />
b) Verwertung des eigenen Einkommens und<br />
Vermögens....................................................................183<br />
aa) Austragsleistungen als Einkommen?....................183<br />
bb) Familienheim – wie groß darf´s denn sein?..........194<br />
cc) Rückübertragung (§ 528 BGB)..............................198<br />
dd) Die Alternative – behalten, aber Haftung<br />
der Erben ..............................................................215<br />
(1) Die Schenkung auf den Todesfall..................215<br />
(2) Die Haftung der Erben...................................217<br />
c) Hartz IV <strong>bei</strong>m übernehmenden Kind.............................221<br />
IV. Familienrechtliche Unterhaltspflichten...................................225<br />
1. Verwandtenunterhalt für Pflegeheimkosten? .......................225<br />
2. Unterhaltsbedarf der Eltern ..................................................227<br />
3. Leistungsfähigkeit des in Anspruch genommenen Kindes ..233<br />
a) Was bleibt vom Einkommen? .......................................233<br />
b) Hausverkauf für den Elternunterhalt? ...........................240<br />
c) Verwirkung des Elternunterhalts ...................................243<br />
d) Pflegeleistungen statt Zahlung?....................................244<br />
V. Viertes Gebot am Ende?...........................................................244<br />
139
I. Hausübergabe – Vorweggenommene Erbfolge,<br />
Generationengerechtigkeit und notarielle Rechtspflege<br />
1. Vorweggenommene Erbfolge – Instrument der Generationen-<br />
nachfolge<br />
Die vorweggenommene Erbfolge wird üblicherweise als vorzeitige Einräumung<br />
einer dem Übernehmer als potenziellen Erben mit dem<br />
späteren Erbfall verbundenen Rechtsposition definiert. 1 Als Gründe<br />
werden die Vermeidung von Erbstreitigkeiten einschließlich Auslegungsschwierigkeiten<br />
eines Testaments, die sukzessive Heranführung<br />
des Übernehmers an die Verantwortung und die Möglichkeit, den Zeitpunkt<br />
– anders als grundsätzlich <strong>bei</strong>m Tod – selbst zu bestimmen,<br />
sowie die durch den Zehn-Jahreszeitraum mögliche mehrfache Inanspruchnahme<br />
der erbschaftsteuerlichen Freibeträge genannt. 2<br />
Zivilrechtlich handelt es sich meist um eine gemischte Schenkung, eine<br />
Auflagenschenkung oder einen familienrechtlichen Vertrag. 3 Die Einordnung<br />
hat Bedeutung für die Notbedarfseinrede und die Rückforderung.<br />
Hiernach soll es nach h. M. auf das Wertverhältnis des entgeltlichen<br />
und des unentgeltlichen Vertragsteils ankommen. Überwiegt<br />
der Schenkungsteil, so ist es im Hinblick auf die Interessen des<br />
Schenkenden angemessen, dass er den Schenkungsgegenstand von<br />
vornherein behält oder gegen Rückerstattung der Gegenleistung<br />
zurückerhält. Überwiegt der entgeltliche Teil, so fordern die berechtigten<br />
Interessen des (teilweise) Beschenkten, dass er den Zuwendungs-<br />
1 S. nur Bamberger/Roth/Wagner, BGB, 2. Aufl. 2008, § 593a Rn. 4. Vgl. auch von<br />
Hoyenberg, Vorweggenommene Erbfolge, 2010, 1. Kap. Rn. 4 f.<br />
2 S. nur Fey, in: Beck´sches Steuer- und Bilanzrechtslexikon, Stand: 1.1.2010, s. v.<br />
Vorweggenommene Erbfolge Rn. 2 f.; R. Kössinger, in: Nieder/Kössinger, Hdb. der<br />
Testamentsgestaltung, 3. Aufl. 2008, § 6 Rn. 192; Holland, in: Würzburger Notarhandbuch,<br />
2. Aufl. 2010, Teil 2, Kap. 7 Rn. 2 ff.; Jerschke, in: Beck`sches Notarhandbuch,<br />
5. Aufl. 2009, A V Rn. 1; Krauß, Überlassungsverträge in der Praxis,<br />
2. Aufl. 2010, Rn. 7 ff.; Langenfeld, in: Langenfeld/Günther, Grundstückszuwendungen<br />
zur lebzeitigen Vermögensnachfolge, 6. Aufl. 2010, Kap. 1 Rn. 28 ff.;<br />
Mayer, Der Übergabevertrag, 2. Aufl. 2001, Rn. 29; Spiegelberger, Unternehmensnachfolge,<br />
2. Aufl. 2009, Rn. 11 ff. u. http://www.notare.bayern.de/front.php?artID=75<br />
(Stand: 2.6.2010); vgl. auch BGH, DNotZ 1992, 32, 33: Priester, DNotZ 1991, 507,<br />
522 u. Winkler, DNotZ 1998, 547. Zum Hofübergabevertrag als Übergabe des Hofes<br />
auf den Hoferben im Wege der vorweggenommenen Erbfolge s. § 17 Abs. 1 HöfeO<br />
sowie dazu Lange/Kuchinke, Erbrecht, 5. Aufl. 2001, § 53 V 1 (= S. 1354).<br />
3 S. nur Spiegelberger, DStR 2004, 1104; ders., Vermögensnachfolge, 1994, Rn. 1 ff.;<br />
von Hoyenberg, Vorweggenommene Erbfolge, 2010, 1. Kap. Rn. 6 ff. u. Mayer, Der<br />
Übergabevertrag, 2. Aufl. 2001, Rn. 6 ff.; vgl. auch BGH, DNotZ 1988, 364 u. BGH,<br />
MittBayNot 1989, 206.<br />
140
gegenstand herausverlangen bzw. behalten darf und lediglich den<br />
Mehrwert zu erstattet hat, der die Gegenleistung übersteigt. 4<br />
Die Übertragung des Familienheims ist jedoch in den Augen der Beteiligten<br />
mehr als eine lediglich steuerlich motivierte Immobilienübertragung<br />
oder ein juristisch-dogmatisch zu subsumierender Vorgang.<br />
Das meist im Miteigentum der Partner stehende Familienwohnheim 5<br />
bildet regelmäßig den Hauptvermögensgegenstand der Eltern, die<br />
diesen gleichsam in einem Akt des vorweggenommenen Sterbens<br />
(„Übergeben heißt nicht mehr Leben“) auf die nächste Generation übertragen.<br />
Es ist deshalb nicht zufällig, wenn häufig im Zusammenhang mit<br />
der Hausübergabe auch die „standesgemäße Beerdigung“ und die<br />
Tragung der Beerdigungskosten einschließlich eines Leichenschmauses<br />
sowie die Grabpflege mitgeregelt werden. 6 Es handelt sich<br />
um einen Akt der Ordnung der letzten Dinge. 7 Die Protokollierung der<br />
Hausübertragung wird da<strong>bei</strong> nicht als Schenkung seitens der Übergeber<br />
an die dies „mit Dank“ annehmenden Erwerber angesehen; jedenfalls<br />
im ländlichen Bereich wird zwischen den Alten und Jungen hier<strong>bei</strong><br />
genauso gefeilscht wie <strong>bei</strong>m Kuhhandel. Der Notar muss hier mehr<br />
Diplomat als Jurist sein. 8 Oder in moderner Diktion: Er muss als gestaltender<br />
Jurist Vertragsmediation betreiben. 9<br />
Ludwig Thoma hat diesen Vorgang, nämlich das Verbriefen einer Übergabe<br />
vor einem königlich bayerischen Notar und den damit verbundenen<br />
Handel über das Abstandsgeld, die jährlichen<br />
Austragsreichnisse und über die Inventarstücke, welche den Über-<br />
4 S. nur Bamberger/Roth/Gehrlein, BGB, 2. Aufl. 2008, § 516 Rn. 15 u. Palandt/<br />
Weidenkaff, BGB, 69. Aufl. 2010, § 516 Rn. 16; zur Gegenauffassung vgl.<br />
MünchKommBGB/J. Koch, 5. Aufl. 2008, § 516 Rn. 41, wonach der Empfänger<br />
grundsätzlich nur zur Behebung des Notbedarfs verpflichtet ist und ihm lediglich die<br />
Möglichkeit eingeräumt wird, seine Zahlungspflicht durch Rückgabe des erlangten<br />
Gegenstandes Zug um Zug gegen die von ihm geleistete Zahlung abzuwenden.<br />
5 S. Reithmann, zit. nach Lenz/Fuchs, DNotZ (SoH) 1973, 111, 113, der plastisch vom<br />
„Güterstand des ideellen Miteigentums“ spricht, u. dazu Grziwotz, FamRZ 2002,<br />
1669.<br />
6 S. dazu nur Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 14. Aufl. 2008, Rn. 934 § 2 Ziff. 2e u.<br />
von Hoyenberg, Vorweggenommene Erbfolge, 2010, 4. Kap. Rn. 99 ff.<br />
7 Vgl. Thoma, Bauernmoral (1908) in: Gesammelte Werke, 1. Band, 1968, S. 559, 564;<br />
vgl. auch ders., Hochzeit. Eine Bauerngeschichte, in: Gesammelte Werke, 3. Band,<br />
1968, S. 88).<br />
8 So ausdrücklich Kaltenstadler, Liebe – Hochzeit – Heiraten im nordwestlichen Oberbayern,<br />
in: Amperland, 35, 1999, 1 ff.<br />
9 Walz, in: ders. (Hrsg.), Verhandlungstechnik für Notare, 2003, S. 139 ff.<br />
141
gebern noch verbleiben sollten, kenntnisreich geschildert. 10 Im Anschluss<br />
an die jeweilige, nach einigem Hin und Her erfolgte Einigung<br />
der Beteiligten diktiert der Notar in der Erzählung seinem Schreiber: „...<br />
im übrigen sind mit übergeben alle Ein- und Zubehörungen, die<br />
Gesamtheit des Inventars an Haus- und Baumannsfahrnissen, das vorhandene<br />
Vieh, alle Ökonomiegerätschaften, alle Getreide-, Heu-, Stroh-,<br />
Futter-, Holz- und sonstigen Vorräte, die übrigen Mobilien, im Hause<br />
selbstverständlich und alles was wand-, band-, niet- und nagelfest ist.“<br />
Ausgenommen waren drei Kleiderkästen, zwei Truhen mitsamt dem<br />
Inhalt, ein Tisch, eine Bank und zwei Stühle, ein kleiner Schüsselkorb,<br />
vier Holzteller und zwei Schüsseln sowie zwei Bienenstöcke mit den<br />
Bienenschwärmen. Zum Austrag heißt es: „Die Übergeber bedingen<br />
sich als natürlichen Austrag auf Lebensdauer vom Anwesen aus<br />
folgende unentgeltliche Leistungen und Reichnisse: a) Die täglich ihrem<br />
Alter und ihren Gesundheitsverhältnissen entsprechende Kost über<br />
Tisch gemeinsam mit den Übernehmern, wo<strong>bei</strong> ausdrücklich bedungen<br />
wird, dass die Übergeber wöchentlich ein Pfund Rindfleisch erhalten<br />
sollen und in Krankheitsfällen nötigenfalls auch eine leichter verdauliche<br />
Kost ... Außerdem erhalten die Übergeber täglich b) das ganze Jahr das<br />
hindurch von Georgi bis Michaeli zwei Liter gute Milch, die übrige Zeit<br />
einen Liter, c) täglich von Georgi bis Michaeli jeden Jahres ein Ei. Die<br />
übrige Zeit des Jahres fällt dieses Reichnis weg, d) jede Woche am<br />
Samstag zwei roggene Nudeln, e) zu jeder Backzeit einen weißen Laib<br />
Brot, f) an Weihnachten, Ostern, Pfingsten und Kirchweih je zwei Pfund<br />
nicht zu fettes Schweinefleisch, g) jährlich vier Hektoliter Korn, zwei<br />
Hektoliter Weizen, drei Ster einen Meter langes Scheitholz, drei Ster<br />
Prügel, einen Schab gehacktes Wied, zwölf Pfund Schmalz, zehn Pfund<br />
Kaffee, zehn Pfund Zucker, und jährlich den dritten Teil des im Anwesen<br />
gedeihenden Obstes, h) den Übergebern ist das ganze Jahr ein Schaf<br />
in Futter zu halten und gut zu verpflegen.“ Ferner wurden nach altem<br />
Brauch und Herkommen die Kleidungsstücke geschrieben: „(für den<br />
Übergeber) jährlich zwei Hemden, ein Schaber, ein Paar Vorschuhe, ein<br />
Paar Pantoffel, alle zwei Jahre ein Paar neue Schaftstiefel ... (für die<br />
Übergeberin) jährlich zwei Hemden, ein Paar Pantoffel, ein Paar<br />
Schuhe, zwei Schürzen, drei Kilo Flachs, alle zwei Jahre ein wollener<br />
Rock.“ Es folgen dann noch die Schlussbestimmungen, „dass den<br />
Übergebern der unverwehrte Aufenthalt in der Wohnstube, die<br />
Mitbenutzung der Küche und der freie Zugang zum Brunnen zustehen<br />
sollte, dass ihnen auf Verlangen die Kost in des Austragsstüberl<br />
verbracht werden müsste und endlich, dass den Übergebern alle<br />
10<br />
Vgl. Thoma, Hochzeit. Eine Bauerngeschichte, in: Gesammelte Werke, 3. Band,<br />
1968, S. 88, 125 ff.<br />
142
Reichnisse auf eine halbe Stunde Entfernung nachgebracht werden<br />
sollten, wenn sie infolge liebloser Behandlung nicht mehr auf dem<br />
Anwesen bleiben wollten.“ 11<br />
2. Der alte Großvater und die demografische Entwicklung<br />
Es war einmal ein alter Mann, dem waren die Augen trüb geworden, die<br />
Ohren taub und die Knie zitterten ihm. Wenn er nun <strong>bei</strong> Tische saß und<br />
den Löffel kaum halten konnte, schüttete er Suppe auf das Tischtuch,<br />
und es floß ihm auch etwas wieder aus dem Mund. Sein Sohn und<br />
dessen Frau ekelten sich davor. Der alte Großvater setzte sich hinter<br />
den Ofen in die Ecke und aß aus einem hölzernen Schüsselchen, um<br />
auf keinen Fall ins Heim zu müssen. Wie sie da so sitzen, blättert der<br />
kleine Enkel in einem Buch. „Was machst du da?“, fragt der Vater. „Ich<br />
sehe nach, was ich einmal bezahlen muss, wenn der Großvater und ihr<br />
ins Heim kommt.“ Da sahen sich Mann und Frau eine Weile an, fingen<br />
endlich an zu weinen, holten den alten Großvater an den Tisch und<br />
ließen ihn von nun an immer mitessen, sagten auch nichts, wenn er ein<br />
wenig verschüttete. 12 Dieses (hier modernisierte) Märchen vom<br />
Generationenvertrag ist eines der kürzesten in der Sammlung der Gebrüder<br />
Grimm. Wohlverstandenes Eigeninteresse und humane Verpflichtung,<br />
so lehrt es, sind Grundlage des Vertrages zwischen Alt und<br />
Jung. Er wird zunehmend brüchig. Häufig zitierter Grund ist die demografische<br />
Entwicklung. Statistiken belegen, dass der Anteil der Senioren<br />
an der Gesamtbevölkerung in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen<br />
hat. Er wird auch in Zukunft weiter ansteigen: In den<br />
nächsten vier Jahren wird die Gruppe 1 der dann 50- bis 75-Jährigen<br />
knapp 27 Millionen Menschen bzw. ein Drittel der Gesamtbevölkerung<br />
ausmachen. Und bereits in zwanzig Jahren wird es doppelt so viele<br />
ältere Menschen wie Jüngere in Deutschland geben. 13 Die Zahl der<br />
11 Vgl. Thoma, Hochzeit. Eine Bauerngeschichte, in: Gesammelte Werke, 3. Band,<br />
1968, S. 88, 130 ff.; vgl. auch das Aushandeln der Übergabebedingungen durch die<br />
Eltern, während das junge Paar eine „andere Prüfung“ durchführt, <strong>bei</strong> Thoma, Die<br />
Probier, in: Gesammelte Werke, 3. Band, 1968, S. 83, 84 ff.<br />
12 Nach Grimm, Märchen, 1995, S. 51 (in der Erstauflage von 1812 unter Nr. 78).<br />
13 S. nur Otten/Melsheimer, in: APuZ 41/2009 S. 31, 33; Birg, in: APuZ B 20/2003, 6,<br />
7 ff. Vgl. auch den Schlussbericht der Enquete-Kommission „Demographischer<br />
Wandel – Herausforderungen unserer älter werdenden Gesellschaft an den Einzelnen<br />
und die Politik“, BT-Drs: 14/8800; s. auch http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/14/088/<br />
1408800.pdf (Stand: 7.6.2010); Egeler, http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/<br />
Sites/destatis/Internet/DE/Presse/pk/2009/Bevoelkerung/bevoelkerungsentwicklung20<br />
09__Uebersicht,templateId=renderPrint.psml u. für Bayern Kurzidim, BayGT 2010,<br />
3 ff. sowie Steiner, BayGT 2010, 194 ff. S. aber auch Amann, Die großen Alterslügen,<br />
2004, S. 119 ff.<br />
143
pflegebedürftigen alten Menschen soll Schätzungen zufolge schon in<br />
den nächsten zehn Jahren um 50 Prozent auf dann drei Millionen und in<br />
zwanzig Jahren auf fünf Millionen Menschen anwachsen. 14 Selbst wenn<br />
im Rahmen des Pflegerisikos der medizinische Fortschritt berücksichtigt<br />
wird, muss man davon ausgehen, dass fast jeder Dritte aus der<br />
Generation 50plus zu einem Pflegefall wird. Sollen die Betroffenen in<br />
Heimen untergebracht werden, müssten schätzungsweise 50.000<br />
Heime gebaut werden. Gleichzeitig nimmt die Bedeutung der Familie als<br />
soziales Netzwerk kontinuierlich ab. 15 Ein Grund ist das Anwachsen der<br />
Singlehaushalte vor allem in Großstädten; aber auch <strong>bei</strong> bestehenden<br />
Familienbeziehungen wohnen die „Mitglieder“ ar<strong>bei</strong>tsmarktbedingt zu<br />
weit voneinander entfernt, als dass der Verband als Versorgungs- und<br />
Unterstützungssystem noch funktionieren könnte. In der Gesellschaft<br />
der Zukunft wird es somit mehr alte als Junge und mehr Alleinstehende<br />
als Familien geben.<br />
Früher war der ältere Mensch einfach nur ein Greis – anspruchslos und<br />
überwiegend mit den Gebrechen des Alters beschäftigt. Heute heißen<br />
die Greise Senioren 16 oder als Generation 50plus. 17 Alter wird nicht<br />
mehr durch Defizite definiert, aber auch nicht richtigerweise durch die<br />
Wahrnehmung generationenspezifischer Merkmale. 18 Die Alten<br />
regredieren auf einen gleichsam alterlosen Zustand. 19 Dieser stellt eine<br />
Art neuer „Fluchtposition“ dar. Wird die Grenze für das Alter erhöht 20<br />
oder fällt sie ganz, muss ich mich als Betroffener nicht mit Ängsten vor<br />
Schmerz, Krankheit, Einsamkeit, Hinfälligkeit, Demenz und Tod auseinandersetzen.<br />
21 Und ich kann mich dem Generationenkonflikt und<br />
14<br />
S. nur Görnert-Stuckmann, Umzug in die dritte Lebensphase, 2005, S. 13; Otten/<br />
Melsheimer, in: APuZ 41/2009 S. 31, 33 u. Birg, in: APuZ 32/2003, 6. 7 ff. Vgl. auch<br />
Ministerium für Ar<strong>bei</strong>t und Soziales Baden-Württemberg, Familien in Baden-<br />
Württemberg, 2009, S. 2. Teilw. abw. Kruse, Die Zukunft liegt im Alter, 2006, S. 27 f.<br />
S. aber auch Amann, Die großen Alterslügen, 2004, S. 173 ff.<br />
15<br />
S. nur Görnert-Stuckmann, Umzug in die dritte Lebensphase, 2005, S. 14.<br />
16<br />
Klute, in: „Süddeutsche Zeitung“ Nr. 82 v. 10./11.4.2010, S. 3.<br />
17<br />
Vgl. nur http://www.bundesverband50plus.com/ (Stand: 2.6.2010), http://www.forum-fuersenioren.de/<br />
(Stand: 2.6.2010), http://www.fiftypluslifestyle.com.au/ (Stand: 7.6.2010) u.<br />
http://www.50plus-treff.de/ (Stand: 2.6.2010). S. auch Kruse, Die Zukunft liegt im<br />
Alter, 2006, S. 7 ff. u. Niejahr, in: „Das Parlament“, 54. Jg., Nr. 48 v. 22.11.2004, S. 1.<br />
18<br />
Teilw. abw. Görnert-Stuckmann, Umzug in die dritte Lebensphase, 2005, S. 15.<br />
19<br />
Seidl, in: APuZ 49-50/2005, 3, 4 f.; vgl. zum ähnlichen Phänomen des Verschwindens<br />
der Kindheit Postman, Die zweite Aufklärung, 1999, S. 241 ff. u. Bly, Die kindliche<br />
Gesellschaft, 1998, S. 182 ff.<br />
20<br />
S. nur Otten/Melsheimer, in: APuZ 41/2009, 31 f.<br />
21<br />
S. nur Schirrmacher, Das Methusalem-Komplott, 2005, S. 133 f. u. Jakoby, Geheimnis<br />
Sterben, 3. Aufl. 2004, S. 191.<br />
144
letztlich der „Altenaussetzung“ 22 entziehen, muss also nicht befürchten,<br />
dass mich mein Sohn zu entmündigen versucht, wenn ich fast 90 Jahre<br />
alt geworden bin, um in den Besitz des Familienvermögens zu<br />
kommen. 23 Und ich muss nicht die Frage stellen, was wird mit mir geschehen,<br />
wenn ich zum Pflegefall werde? 24<br />
Die Einführung der sozialen Rentenversicherung am Ende des 19.<br />
Jahrhunderts und der Pflegeversicherung 1994 hat dieser Konflikt nur<br />
scheinbar in den Hintergrund treten lassen. 25 Beruhen diese<br />
Sicherungssystem doch auf dem Grundsatz der Umlagenfinanzierung. 26<br />
Die Überforderung der staatlichen Sozialkassen 27 lässt das Thema der<br />
(brüchigen) Familiensolidarität wieder aktuell werden. Oder mit einem<br />
modernen Märchen: „Wir schreiben das Jahr 2035. Rund 49 Prozent<br />
der deutschen Bevölkerung wird älter als 65 Jahre. Viele davon sind<br />
pflegebedürftig, aber es gibt kaum noch jemanden, der sie pflegen<br />
könnte. Da die meisten Älteren allein leben, gibt es kaum noch Unterstützung<br />
für sie. Die Zustände auf Pflegestationen sind erbarmungswürdig.<br />
Die Menschen werden über Schläuche ernährt, weil niemand<br />
die Zeit zum Füttern hat. Sie liegen in Windeln, weil es zu wenige Helfer<br />
gibt, die die alten Herrschaften zu Toilette begleiten. Die meisten<br />
werden mit Beruhigungstabletten versorgt, damit sie sich nicht hin und<br />
her wälzen oder laut jammern. Die Regierung hat ein Gesetz erlassen,<br />
wonach Menschen, die alt und zugleich schwer pflegebedürftig sind,<br />
eine so genannte ’Einschlafpille’ bekommen. Die Angehörigen oder der<br />
gesetzliche Betreuer müssen die Einverständniserklärung unterschreiben,<br />
wenn es die alten Menschen selbst nicht mehr können. Die<br />
meisten schlucken diese Pille widerstandslos. Sie bekommen sie am<br />
Abend. Dann kann man die Toten in der Nacht unauffälliger abholen.“ 28<br />
Die gestiegene Lebenserwartung steht einer gestiegenen Sterblichkeitserwartung<br />
gegenüber. Oder pointierter ausgedrückt: Die Botschaft<br />
lautet: Stirb rechtzeitig, bevor die nachfolgende Generation für dich<br />
22<br />
S. zu ihr nur Wernhart, in: Figl (Hrsg.), Hdb. Religionswissenschaft, 2003, S. 260,<br />
271 f.<br />
23<br />
Zu der Klage des Iophon Flashar, Sophokles, 2000, S. 164.<br />
24<br />
Vgl. Grziwotz, BayGT 2009, 400, 401.<br />
25<br />
So aber Schirrmacher, Das Methusalem-Komplott, 2005, S. 56.<br />
26<br />
S. nur Birg, Die ausgefallene Generation, 2005, S. 120 u. Repnik, in: Teufel (Hrsg.),<br />
Von der Risikogesellschaft zur Chancengesellschaft, 2001, S. 159, 160.<br />
27<br />
So bereits Wehner, in: „Der Spiegel“ Nr. 5 v. 30.1.1978, S. 32 f.<br />
28<br />
Riffert, in: „Kirche im Rundfunk“, 1. Jg., Nr. 10 v. 7.5.2008, S. 329, 333. Vgl. auch<br />
Gronemeyer, Kampf der Generationen, 2004, S. 124 zum „Austherapieren“ im<br />
„Sterbeknast“; Schmähl, in: FS f. Hauser, 2001, S. 180 u. Guha, Von der Entwertung<br />
des Alters, in: Vorgänge 150, 2000, S. 41.<br />
145
aufkommen muss. 29 Dass dies keine Horrorvision ist, belegt die liberale<br />
Gesetzgebung der Niederlande hinsichtlich des Sterbens auf Verlangen.<br />
Immer mehr alte Menschen wechseln aus Holland in grenznahe<br />
deutsche Seniorenheime. 30 Sie haben das Gefühl, sich in ihrer Heimat<br />
dafür rechtfertigen zu müssen, dass sie noch leben und nicht von den<br />
legalen Möglichkeiten der Sterbehilfe Gebrauch machen wollen. Zu alt.<br />
Zu teuer. Der ökonomisch begründete Sterbensdruck scheint zuzunehmen.<br />
Vielleicht ist es deshalb – aus heutiger Sicht – gut, dass das<br />
Märchen „Der alte Großvater und der Enkel“ nicht endet wie andere<br />
Märchen: „Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.“<br />
Dieser Schluss hätte nämlich das schöne Happy-End zerstört. 31<br />
3. Generationengerechtigkeit und Vertragsgerechtigkeit in der<br />
Gesellschaft des Weniger<br />
Die Menschen werden künftig nicht nur älter, sie werden auch ärmer. 32<br />
Der in der Theorie geführte Diskurs über „intergenerationelle Gerechtigkeit“<br />
33 scheint in der Praxis von einer rasch um sich greifenden Entsolidarisierung<br />
überholt zu werden. Der „Kampf der Generationen“ 34 ist<br />
ein gesellschaftliches Problem, 35 aber zunehmend auch ein Problem der<br />
einzelnen Familien. 36 Konkret lautet es: Wohin mit „Oma“ und „Opa“,<br />
wenn sie Pflegefall werden? 37 Und wer muss für die Pflegeheimkosten<br />
aufkommen? Die Versorgung eines alten Menschen ist derzeit noch<br />
29<br />
Vgl. Jakoby, Geheimnis Sterben, 3. Aufl. 2004, S. 150.<br />
30<br />
So Haberer, in: „Kirche und Rundfunk“, 55 Jg., Nr. 6 v. 12.3.2006, S. 89, 91.<br />
31<br />
Ebenso Müller, in: „Süddeutsche Zeitung“ Nr. 185 v. 13.8.2003, S. 11.<br />
32<br />
S. nur Beck, in: „Süddeutsche Zeitung“ Nr. 27 v. 3.2.2005, S. 15; vgl. auch<br />
Gronemeyer, Kampf der Generationen, 2004, S. 86 f.; Welzk, in: „Das Parlament“,<br />
57. Jg., Nr. 31 v. 30.7.2007, S. 1 u. Klingholz, in: „GEO“, Nr. 5/2004, S. 89, 94. Zu<br />
Metropolregionen s. Krautzberger/Selke, UPR 2010, 50 ff.<br />
33<br />
S. insbes. Rawls, Politischer Liberalismus, 2003, S. 81 ff. u. 385 f.<br />
34<br />
Gronemeyer, Kampf der Generationen, 2004, S. 15 ff.; Schirrmacher, Das<br />
Methusalem-Komplott, 2005, S. 56 ff.; Opaschowski, Der Generationenpakt, 2004,<br />
S. 11 ff. u. Fukuyama, in: „Der Spiegel“ Nr. 21/2002, S. 127, 128. S. auch<br />
Butterwegge, http://www.oeko-net.de/Kommune/Kommune01-01/zzbutter.htm (Stand:<br />
2.6.2010); Amrhein/Schlüter, in: APuZ 8/2005, 9, 10 ff; Dallinger, in: APuZ 8/2005,<br />
29 ff.; Wehrspann/Wehrspann, in: APuZ B 27/2003, 3 ff.<br />
35<br />
Zur Generationengerechtigkeit in der Verfassung s. Steiner, NZS 2004, 505, 508 u.<br />
Tremmel, in: APuZ 8/2005, 18 ff. Vgl. auch Kirchhof, KuR 1998, 37.<br />
36<br />
So Ziegler, Familienpflege und Familiensolidarität, Diss. Konstanz, 2000, S. 1; Sigma,<br />
Survey zum Generationenverhältnis in Baden-Württemberg, 1999, S. 23 u. Staudinger,<br />
in: APuZ B 20/2003, 35, 41.<br />
37<br />
S. nur Fröhlingsdorf/Jung/Ludwig/Neumann/Schmidt, in: „Der Spiegel“ Nr. 19 v.<br />
9.5.2005, S. 86 ff.<br />
146
immer vorwiegend Aufgabe der Angehörigen, vor allem der Frauen. 38<br />
Die Angehörigenpflege, d. h. die Entscheidung, die Eltern selbst zu<br />
pflegen, ist regelmäßig mit sozialökonomischen Kosten wie dem Verzicht<br />
auf berufliche Weiterentwicklungsmöglichkeiten oder Einkommen<br />
verbunden. 39 Kostenerwägungen haben nicht zuletzt unter diesem<br />
Aspekt <strong>bei</strong> der Entscheidung für die häusliche oder stationäre Pflege<br />
eine besondere Bedeutung; demgegenüber scheinen moralische Erwägungen<br />
eine eher untergeordnete Rolle zu spielen. 40 Die größte<br />
Bereitschaft zur häuslichen Versorgung besteht <strong>bei</strong> Personen mit<br />
niedrigem Sozialstatus, d. h. im Unterschicht-Milieu. Umgekehrt zeigt<br />
sich die geringste Bereitschaft <strong>bei</strong> einem hohen Sozialstatus mit einem<br />
modernen Lebensentwurf, d. h. im liberal-bürgerlichen Milieu. 41 Die<br />
Solidarität im Nahraum, die Versorgung pflegebedürftiger Angehöriger,<br />
erfordert den Einsatz der gesamten Person und Kontinuität, sie ist deshalb<br />
schwer kündbar. Die Fernraumsolidarität, d. h. das gesellschaftliche<br />
oder soziale Engagement, kann dagegen zeitlich begrenzt geleistet<br />
werden, ist einseitig lösbar, muss nur ausschnittweise erbracht<br />
werden und bietet die Chance auf öffentliche Anerkennung. 42<br />
Umgekehrt ist die Erwartungshaltung der älteren Generation eindeutig:<br />
Über 90 Prozent der Bevölkerung bevorzugen eine Pflege in der<br />
Familie. 43 Die Übersiedlung in ein Altersheim ist für viele Ältere die<br />
schmerzlichste Entscheidung ihres Lebens. Mit dem Verlust der eigenen<br />
vier Wände geht (scheinbar) auch die Selbstbestimmung verloren. 44<br />
Positiv scheint es zu sein, dass auch die Kinder die Familienpflege befürworten,<br />
jedoch nur, wenn sie nicht davon betroffen sind. 45 Es ist des-<br />
38<br />
Görnert-Stuckmann, Umzug in die dritte Lebensphase, 2005, S. 34. S. auch<br />
http://www.aok-bv.de/presse/pressemitteilungen/2009/index_01874.html (Stand: 2.6.2010).<br />
S. dazu auch Beckers, Beratung von pflegenden Angehörigen: Eine queerfeministische<br />
Diskussionsanalyse, Diss. Kassel 2007, 2008, S. 76 ff.<br />
39<br />
Ministerium für Ar<strong>bei</strong>t und Soziales Baden-Württemberg, Familien in Baden-<br />
Württemberg, 2009, S. 14 u. Blinkert/Klie, in: APuZ 12-13/2008, S. 25, 26 ff.<br />
40<br />
Blinkert/Klie, in: APuZ 12-13/2008, S. 25, 28.<br />
41<br />
Zur familienzerstörenden Mobilität s. Ziegler, Familienpflege und Familiensolidarität,<br />
Diss. Konstanz, 2000, S. 15.<br />
42<br />
Blinkert, http://www.soziologie.uni-freiburg.de/Personen/blinkert/ (Stand: 2.6.2010);<br />
vgl. auch Blinkert/Klie, Solidarität in Gefahr, 2004, S. 87 ff.<br />
43<br />
Stosberg, Alter und Familie, 1995, S. 187 u. Ziegler, Familienpflege und Familiensolidarität,<br />
Diss. Konstanz, 2000, S. 33.<br />
44<br />
S. http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/Pdf-Anlagen/Auf-der-<br />
Suche-nach-einem-Heim,property=pdf,bereich=bmfsfj,rwb=true.pdf (Stand:8.6.2010);<br />
Saup, Alter und Umwelt, 1993, S. 57 ff.; Schrep, in: „Der Spiegel“ Nr. 19 v. 9.5.2005,<br />
S. 98.<br />
45<br />
Schütze/Wagner, in: Nauck/Onnen-Isemann (Hrsg.), Familie im Brennpunkt von<br />
Wissenschaft und Forschung, 1995, S. 307, 316 u. Ziegler, Familienpflege und<br />
Familiensolidarität, Diss. Konstanz, 2000, S. 34.<br />
147
halb davon auszugehen, dass die Pflege der Eltern künftig nicht mehr<br />
allein durch Familienangehörige erbracht werden kann. Die Verteilungskämpfe<br />
der Zukunft werden deshalb wohl um bezahlbare und<br />
menschenwürdige Altenheimplätze ausgetragen werden. 46 Und es<br />
scheint so, als würden Verlierer und Gewinner hinsichtlich der Betreuung<br />
in Notlagen nicht von vornherein feststehen. 47 Dies zeigt auch<br />
das Beispiel der Hitzekatastrophe in Chicago von 1995. 48<br />
II. Die Interessenlage <strong>bei</strong> der Hausübertragung und<br />
Alternativlösungen<br />
1. Die (nicht vereinbaren) Interessen der Beteiligten<br />
Die Übertragung von Immobilien 49 im Rahmen der Vermögensnachfolge<br />
ist zum einen durch die Übertragung des Eigentumsrechts auf die<br />
nachfolgende Generation und zum anderen nach ihrer ursprünglichen<br />
Intention auch durch die Versorgung des Übertragenden gekennzeichnet.<br />
Besonders deutlich wird dieses Zusammenspiel der <strong>bei</strong>den<br />
Zwecke <strong>bei</strong> der landwirtschaftlichen Hofübergabe. 50 Ähnlich ist dies <strong>bei</strong><br />
der Übertragung kleinerer Betriebe. Aber auch die Übertragung eines<br />
Hauses oder einer Eigentumswohnung unter Vorbehalt des Nießbrauchs<br />
stellt häufig noch eine Art „Schrumpfungsmodell“ dieser<br />
klassischen Überlassungsfunktionen dar. Ein dritter Zweck kommt meist<br />
hinzu, nämlich die Erhaltung der Immobilie in der Familie, jedenfalls<br />
solange die übertragenden Eltern am Leben sind. Hier spielt schließlich<br />
auch das Bestreben des Übergebers eine Rolle, die Kinder im Rahmen<br />
der Vermögensverteilung einigermaßen gerecht zu behandeln;<br />
allerdings kann <strong>bei</strong> fehlender Einigungsfähigkeit der dritte Zweck, nämlich<br />
der Erhalt der Immobilie, Anlass einer baldigen Übertragung zur<br />
Ausschaltung oder Reduzierung störender Pflichtteilsansprüche sein.<br />
Nur in einer geringen Zahl der Fälle erfolgt über die Berufsausbildung<br />
hinaus eine Ausstattung der Kinder mit einer Immobilie, ohne dass der<br />
Versorgungsaspekt und der Schutz des Familienvermögens eine Rolle<br />
spielen würden. Auch insoweit kann allerdings die dem Kind erkennbare<br />
46<br />
Schirrmacher, Das Methusalem-Komplott, 2005, S. 18.<br />
47<br />
Blinkert/Klie, in: APuZ 12-13/2008, S. 25, 31.<br />
48<br />
Vgl. Klingenberg, Heat Wave, A Social Autopsy of Disaster in Chicago, 2002,<br />
S. 225 ff.<br />
49<br />
Vgl. auch Jerschke, in: Beck´sches Notar-Handbuch, 5. Aufl. 2009, A V Rn. 1 u.<br />
Mayer, Der Übergabevertrag, 2001, § 1 Rn. 29.<br />
50<br />
Ebenso Langenfeld, Grundlagen der <strong>Vertragsgestaltung</strong>, 2. Aufl. 2010, 6. Kap.<br />
Rn. 27.<br />
148
Erwartung der Eltern, im Alter nicht in ein Pflegeheim „abgeschoben“ zu<br />
werden, eine Rolle spielen.<br />
Die traditionellen Übergabezwecke treffen zunehmend auf veränderte<br />
Rahmenbedingungen. Der Alters- und Alternsstrukturwandel, der<br />
familiale Wandel, der Wandel des Ar<strong>bei</strong>tsmarktes und der Ar<strong>bei</strong>tsbedingungen<br />
sowie der Wandel der Lebens- und Ar<strong>bei</strong>tsverhältnisse 51<br />
stellen die bisherigen Determinanten der Generationenbeziehungen in<br />
Frage. Stichworte sind neben der Hochaltrigkeit, dem zunehmenden<br />
Pflegebedarf und neuen Familienstrukturen vor allem der durch die<br />
Berufstätigkeit der Frauen bedingte Rückzug aus der Familienar<strong>bei</strong>t,<br />
veränderte Familienphasen, Ar<strong>bei</strong>tsmarktprobleme älterer Ar<strong>bei</strong>tnehmer,<br />
der Gegensatz von Stadt und Land, der mögliche Ar<strong>bei</strong>tsplatzverlust<br />
sowie die Unsicherheit der jungen Generation, die ihrerseits<br />
durch den Generationenvertrag kaum noch eine soziale Absicherung<br />
hat. Es kommt deshalb zu einem Wandel der Transferleistungen<br />
zwischen den Generationen. 52 Damit wird künftig eine materielle Absicherung<br />
im Alter, die bisher für die meisten Menschen ein Ergebnis<br />
der Erwerbsar<strong>bei</strong>t war und nur zu einem geringen Teil auf der Basis<br />
ererbten Vermögens erfolgte, 53 für die junge Generation kaum noch<br />
erreichbar. Dem steht das von den Medien und der Werbung vermittelte<br />
Bild der gegenwärtigen Gesellschaft von „fröhlichen Alten, spaßbereiten<br />
Konsumenten im Ruhestand, lustigen Witwen mit der Lizenz zum Geldausgeben“<br />
gegenüber. Während in den 60er Jahren der Generationskonflikt<br />
um die Werte der Gesellschaft ging, ist nunmehr der „Kampf um<br />
die Fleischtöpfe“ entbrannt. 54 Es scheint sich um keine kurze Auseinandersetzung<br />
zu handeln, da sich das Generationenverhältnis und<br />
damit die Generationenbeziehungen verlängern. Die gemeinsame<br />
Lebenszeit von Eltern mit ihren Kindern hat sich in den letzten 100<br />
Jahren verdoppelt. Die sog. Bohnenstangenfamilie wird häufig zu<br />
51<br />
Vgl. Backes, in: Walter (Hrsg.), Erstes, zweites, drittes Lebensalter. Perspektiven der<br />
Generationenar<strong>bei</strong>t, 1999, S. 17, 22 ff.<br />
52<br />
Vgl. auch Backes, in: Walter (Hrsg.), Erstes, zweites, drittes Lebensalter.<br />
Perspektiven der Generationenar<strong>bei</strong>t, 1999, S. 17, 22 ff.; ders., in: ZfGG, 29, 1996,<br />
29 ff.; Kaufmann, in: Lüscher/Schultheiß (Hrsg.), Generationenbeziehungen in „postmodernen“<br />
Gesellschaften, 1993, 95 ff. u. Tews, in: Naegele/Tews (Hrsg.), Lebenslagen<br />
im Strukturwandel des Alters, 1993, S. 15 ff.<br />
53<br />
Vgl. Walter, in: Walter (Hrsg.), Erstes, zweites, drittes Lebensalter. Perspektiven der<br />
Generationenar<strong>bei</strong>t, 1999, S. 32, 40.<br />
54<br />
Zutreffend Miegel, Die deformierte Gesellschaft, 2002, S. 70 f. u. Walter, in: Walter<br />
(Hrsg.), Erstes, zweites, drittes Lebensalter. Perspektiven der Generationenar<strong>bei</strong>t,<br />
1999, S. 32.<br />
149
Problemen führen, da sie erhöhte Anforderungen an die wechselseitige<br />
Verträglichkeit von Jung und Alt stellt. 55<br />
Die Ziele der Versorgungssicherheit für den Veräußerer und der Erhalt<br />
des Familienheims <strong>bei</strong>m Erwerber 56 geraten aufgrund der dargestellten<br />
neuen Rahmenbedingungen <strong>bei</strong> Eintritt der Pflegebedürftigkeit des Veräußerers<br />
in vielen Fällen in Konflikt. Hinzu kommt, dass die dritte<br />
Komponente, nämlich die Vermeidung von Streitigkeiten unter den<br />
künftigen Erben wegen der Angst „weichender“ Kinder, später vom<br />
Staat für Pflegekosten der Eltern in Anspruch genommen zu werden,<br />
vielfach nicht mehr zu erreichen ist. Diese möchten im Falle eines Verzichts<br />
auf ihren „Anteil“ an der elterlichen Immobilie die Sicherheit<br />
haben, für etwaige Pflegekosten der Eltern künftig nicht herangezogen<br />
zu werden. Der Übernehmer seinerseits kann sich häufig, insbesondere<br />
wenn er Um- oder Ausbauten vornimmt und diese durch einen Kredit<br />
finanzieren muss, eine weitere Belastung nicht mehr leisten; außerdem<br />
kann er zur Pflege der Eltern nicht seine Erwerbstätigkeit einschränken<br />
und dadurch auf Einnahmen verzichten. Die übergebenden Eltern<br />
möchten ihrerseits zu Hause gepflegt werden; gleichzeitig soll damit<br />
aber kein Verlust staatlicher Leistungen verbunden sein. Ist eine Heimunterbringung<br />
unvermeidlich, sollen sämtliche Kinder einschließlich des<br />
Hausübernehmers dafür nicht aufkommen, insbesondere soll das Haus<br />
nicht veräußert werden müssen.<br />
Moralische Bedenken bestehen <strong>bei</strong> sämtlichen Beteiligten üblicherweise<br />
nicht, da es Aufgabe der Gesellschaft sei, für pflegebedürftige alte<br />
Menschen zu sorgen. Außerdem komme der Staat auch für diejenigen<br />
Personen auf, die ihr Geld mit vollen Händen ausgegeben haben. Wenn<br />
sich die Eltern das Haus unter Verzicht auf Urlaub und sonstige Annehmlichkeiten<br />
nahezu vom Munde abgespart hätten, wäre es sogar<br />
verwerflich, wenn die Gesellschaft von ihnen nunmehr die Veräußerung<br />
der Immobilie zur Finanzierung der Pflegekosten verlangen oder<br />
ersatzweise die Kinder in Anspruch nehmen würde. Die Argumentation<br />
ähnelt derjenigen von Eltern mit einem behinderten und einem nicht<br />
behinderten Kind, die ihre Immobilie dem „gesunden“ Kind ohne eine<br />
Zahlung für die Heimkosten des behinderten Geschwisterteils erhalten<br />
55<br />
Walter, in: Walter (Hrsg.), Erstes, zweites, drittes Lebensalter. Perspektiven der<br />
Generationenar<strong>bei</strong>t, 1999, S. 32, 34.<br />
56<br />
Vgl. Jerschke, in: Beck´sches Notar-Handbuch, 5. Aufl. 2010, A V Rn. 76, der von<br />
Existenzhilfe für den Übernehmer spricht und ihm folgend Langenfeld, Grundlagen<br />
der <strong>Vertragsgestaltung</strong>, 2. Aufl. 2010, 6. Kap. Rn. 41. S. auch Krauß, Überlassungsverträge<br />
in der Praxis, 2. Aufl. 2010, Rn. 788 ff.<br />
150
wollen. 57 Die Rechtsprechung hat diesbezügliche Behindertentestamente<br />
mit der Begründung anerkannt, dass das Bestreben der Eltern,<br />
das behinderte Kind zu versorgen, zu billigen sei. Der gestaltende Jurist<br />
soll <strong>bei</strong> der Übertragung des Familienheims in gleicher Weise sicherstellen,<br />
dass <strong>bei</strong>m Pflegefall der veräußernden Eltern keine Leistungen<br />
an die öffentliche Hand zu erbringen sind. Insoweit besteht zwischen<br />
den Beteiligten Übereinstimmung, auch wenn diese wirtschaftlich den<br />
Versuch einer Einigung zu Lasten Dritter darstellt.<br />
Zwischen den Beteiligten besteht in Wirklichkeit kein Konsens. Die<br />
Eltern möchten eigentlich sichergestellt haben, dass sie, solange es<br />
eben nur geht, in der übertragenen Immobilie, das heißt zu Hause, gepflegt<br />
und nicht ins Pflegeheim abgeschoben werden. Auf Wunsch der<br />
Kinder und aus Angst, ihr zweites Ziel, nämlich den Erhalt des<br />
Familienheims zu gefährden, erklären sie sich damit einverstanden,<br />
dass eine Pflegeverpflichtung zu ihren Gunsten nicht mehr oder nur<br />
noch eingeschränkt bis zu einem bestimmten Gesundheitszustand oder<br />
bis zu einer zeitlichen Höchstgrenze vertraglich geregelt wird. Dies belegt<br />
auch die häufig rückversichernde Frage <strong>bei</strong> Beurkundung des Vertrages<br />
und in Gegenwart des Notars „Aber du pflegst mich doch und<br />
schiebst mich nicht ins Heim ab?“. Die Antwort kommt ebenso selbstverständlich:<br />
„Das ist doch klar“. Auf Rückfrage des Notars, ob dies<br />
auch vertraglich vereinbart werden soll, folgt unverzüglich ein Nein des<br />
Übernehmers, dem die veräußernden Eltern meist nicht mehr widersprechen.<br />
Mitunter haken die Eltern noch einmal nach und erklären dem<br />
Notar, er solle es schon niederschreiben, aber so, dass die „Jungen“<br />
nichts an den Staat zahlen müssen und auch keine staatlichen<br />
Leistungen verloren gehen. Die weichenden Geschwister reklamieren<br />
ebenso häufig, wenn sie an einer Übergabebesprechung zunächst nicht<br />
beteiligt waren und dann Entwürfe erhalten, wieso denn der Notar vergessen<br />
habe, eine umfassende Pflege zu Gunsten der Eltern durch den<br />
Hausübernehmer in den Vertrag aufzunehmen. Sie sind allerdings<br />
ebenso schnell bereit, diesen Anspruch fallen zu lassen, wenn die<br />
Eltern ihnen gegenüber wirksam auf Unterhaltsansprüche verzichten<br />
oder das Übernehmer-Geschwisterteil sie von Ansprüchen des Staates<br />
wegen Pflegebedürftigkeit der Eltern, insbesondere deren Heimunterbringung,<br />
freistellt. Dies kann sich der Übernehmer nur dann leisten,<br />
wenn er die übertragene Immobilie im Ernstfall veräußert, was<br />
wiederum dem Hauptziel der vorweggenommenen Immobilienüber-<br />
57 Vgl. dazu nur Förster, FF 1999, 169; Grziwotz, ZEV 2002, 409; ders., FamRB 2005,<br />
272 f.; Spall, MittBayNot 2001, 249; Weidlich, ZEV 2001, 94 u. Wendt, ZNotP 2008, 2,<br />
3.<br />
151
tragung widerspricht. Da diese häufig an dasjenige Kind erfolgt, das am<br />
längsten <strong>bei</strong> den Eltern geblieben ist, sind es in der Praxis vielfach nicht<br />
diejenigen Geschwister, deren Kinder noch in Ausbildung sind, sondern<br />
Brüder oder Schwestern, die gut verdienen und entweder keine Kinder<br />
oder keine Kinder in Berufsausbildung mehr haben, einen großzügigen<br />
Lebensstandard pflegen und durch eine Inanspruchnahme für Pflegeleistungen<br />
der Eltern einen gewissen sozialen Abstieg befürchten.<br />
Mitunter scheuen Eltern die für sie sicherlich nicht angenehme Diskussion<br />
zwischen den Kindern über die möglichen „Heimkosten der<br />
Eltern“ und übertragen das Familienheim deshalb ohne Hinzuziehung<br />
der weichenden Kinder. Auch damit wird ein Ziel der vorweggenommenen<br />
Erbfolge, nämlich der Streitvermeidung aufgegeben.<br />
Kommt es nach Ablauf von zehn Jahren nach der Übertragung zum<br />
Pflegefall und werden die „übergangenen“ Kinder für Heimkosten<br />
herangezogen, wird wegen der fehlenden Information dem Notar der<br />
Vorwurf eines kollusiven Zusammenwirkens mit dem „Erbschleicher-<br />
Geschwisterteil“ gemacht. Dass ein Kind das (wertvolle) Haus bekommen<br />
hat und dann noch die leer ausgegangenen Geschwister für<br />
Pflegeheimkosten der Eltern aufkommen müssen, erweckt zumindest<br />
auf den ersten Blick den Anschein einer Ungerechtigkeit. Tauscht man<br />
diese durch den Staat aus, hat jedoch kaum noch jemand Bedenken.<br />
Nachdem die mit der vorweggenommenen Erbfolge hinsichtlich des<br />
Familienheims verfolgten Ziele nicht gleichzeitig verwirklicht werden<br />
können, handelt es sich häufig um einen Kompromiss in der Hoffnung,<br />
dass „es schon gut gehen wird“, also der Pflegefall der Eltern nicht eintritt.<br />
Zudem stimmen die beurkundeten rechtlichen Willenserklärungen<br />
und die eigentlichen Interessen der Beteiligten meist nicht überein, so<br />
dass <strong>bei</strong> insoweit auftretenden Problemen die scheinbare Einigung<br />
schnell einem Konflikt weicht. Dies macht die nachfolgende Übersicht<br />
deutlich:<br />
152
Beteiligte Eigentliches Interesse Beurkundete Erklärung<br />
Eltern Umfassende Pflege zu<br />
Hause (kein Abschieben<br />
ins Pflegeheim)<br />
Übernehmer Erhalt der Immobilie und<br />
Freistellung von nicht<br />
mehr finanzierbaren<br />
Weichende<br />
Geschwister<br />
Zahlungen<br />
Unterhaltsverzicht der<br />
Eltern<br />
2. „Ausstattung“ – der Joker?<br />
Wohnrecht ohne/mit<br />
lediglich eingeschränkter<br />
Pflegeverpflichtung<br />
Teilweise Freistellung der<br />
Geschwister von Kosten<br />
der Sozialleistungsträger<br />
(Gegenständlich beschränkter)<br />
Pflichtteilsverzicht und<br />
mitunter ungesicherte<br />
Freistellungsverpflichtung<br />
des Hausübernehmers<br />
bis zu einer bestimmten<br />
Höhe<br />
Als Ausweichlösungen kommen der Verzicht auf die lebzeitige Hausübertragung<br />
und die entgeltliche lebzeitige Übertragung in Betracht. Die<br />
Zuwendung der Immobilie durch Verfügung von Todes wegen hat für<br />
den Übernehmer den Vorteil, dass er zu Lebzeiten der Eltern nicht gezwungen<br />
ist, den unentgeltlich zugewandten Wert der Immobilie für<br />
Pflegekosten aufwenden zu müssen. Allerdings geht <strong>bei</strong> jungen Übergebern<br />
die Möglichkeit verloren, das Haus <strong>bei</strong>m Übernehmer vor dem<br />
Sozialhilferückgriff „in Sicherheit zu bringen“. Zudem entfällt auch die<br />
Möglichkeit der Pflichtteilsminderung und –vermeidung, da <strong>bei</strong> Vollzug<br />
der Übertragung der Pflichtteilsergänzungsanspruch quotal pro Jahr um<br />
1/10 reduziert wird (2325 Abs. 3 Satz 1 BGB) und nach zehn Jahren<br />
sogar voll unberücksichtigt bleibt (§ 2325 Abs. 3 Satz 2 BGB). 58 Der aus<br />
den Zeiten der Eigenheimzulagenförderung bekannte – und von den<br />
Beteiligten nach deren Aussage tatsächlich auch gewollte – Verkauf des<br />
Familienheims durch die Eltern an ein Kind löst die oben beschriebenen<br />
Probleme im Normalfall nicht, da das Kind auf die Rückschenkung des<br />
Geldes, das es kurzfristig finanziert hat, angewiesen ist. Anders kann<br />
dies <strong>bei</strong> einem Notverkauf sein, wenn die Eltern ihrerseits Bankschulden<br />
nicht mehr tragen können und die Versteigerung droht. Als entgeltliche<br />
58<br />
Vgl. dazu nur Gietl, in: Dauner-Lieb/Grziwotz/Hohmann-Dennhardt, Pflichtteilsrecht,<br />
2010, § 2325 Rn. 74 f.<br />
153
„Alternative“ zur vorweggenommenen Erbfolge wird deshalb auch<br />
weniger der Verkauf als die Ausstattung diskutiert.<br />
Dieser Zuwendungsgrund resultiert aus dem Bestreben der Eltern, dem<br />
Kind mit Rücksicht auf eine bestimmte Bedürfnislage eine materielle<br />
Starthilfe in seine Selbstständigkeit zu geben. 59 Nach der gesetzlichen<br />
Definition (§ 1624 BGB) handelt es sich da<strong>bei</strong> um eine Zuwendung der<br />
Eltern an das Kind, die mit Rücksicht auf seine Verheiratung oder die<br />
Erlangung einer selbstständigen Lebensstellung zur Begründung oder<br />
zur Erhaltung der Wirtschaft oder der Lebensstellung erfolgt. 60 Das<br />
Institut der Ausstattung ist wegen der Gewährung von Ausbildungsunterhalt<br />
(§ 1610 Abs. 2 BGB) eigentlich ungebräuchlich geworden. 61<br />
Auch wenn die Ausstattung häufig als Aussteuer <strong>bei</strong> der Eheschließung<br />
erfolgt, ist sie unabhängig von der Eheschließung möglich. 62 Das<br />
Gesetz nimmt die Ausstattung grundsätzlich vom Schenkungsrecht aus.<br />
Dies gilt insbesondere auch für die Rückforderungsrechte der §§ 528 ff.<br />
BGB. Auf sie ist deshalb ferner der Pflichtteilsergänzungsanspruch des<br />
§ 2325 BGB nicht anwendbar. 63 Die Ausstattung ist nach § 2050 Abs. 1<br />
BGB <strong>bei</strong> der Auseinandersetzung zwischen gesetzlichen Erben zur<br />
Ausgleichung zu bringen; allerdings kann der Erblasser etwas anderes<br />
anordnen. Zwingend und unabhängig von der Frist des § 2325 Abs. 3<br />
BGB ist demgegenüber die Ausgleichungspflicht gemäß § 2316 BGB<br />
<strong>bei</strong> der Berechnung des Pflichtteils. 64 Typische Fälle der Ausstattung<br />
sind die Übertragung eines Bauplatzes, eines von den Eltern nicht mehr<br />
benötigten Eigenheims oder einer vermieteten Eigentumswohnung, auf<br />
deren Erträge die Eltern nicht angewiesen sind. 65<br />
59<br />
S. Coester, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2007, § 1624 Rn. 1; Holland, in: Würzburger<br />
Notarhandbuch, 2. Aufl. 2010, Teil 2, Kap. 7 Rn. 24 ff u. Kerscher/Tanck, ZEV<br />
1997, 354, 355. Deshalb scheidet die Zuwendung an einen Minderjährigen regelmäßig<br />
als Ausstattung aus; vgl. Sailer, NotBZ 2002, 81 (a. A. Coester, in: Staudinger,<br />
BGB, Neubearb. 2007, § 1624 Rn. 7).<br />
60<br />
S. dazu auch BGHZ 44, 91; BGH, DNotZ 2008, 124 = FamRZ 2007, 607 = MDR<br />
2007, 1218 = NJW-RR 2007, 1390 = NotBZ 2008, 25 = NZM 2007, 694 = ZEV 2007,<br />
588 u. Jacob, AcP 207, 2007, 198, 217.<br />
61<br />
So Diederichsen, in: Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010, § 1624 Rn. 1. Teilw. abw. Langenfeld/Günther,<br />
Grundstückszuwendungen zur lebzeitigen Vermögensnachfolge,<br />
6. Aufl. 2010, Kap. 7 Rn. 46.<br />
62<br />
Vgl. nur RG, JW 1906, 426.<br />
63<br />
Zur Ausstattung als Gestaltungsmöglichkeit deshalb Knodel, ZRB 2006, 125; s. auch<br />
Langenfeld, Grundlagen der <strong>Vertragsgestaltung</strong>, 2. Aufl. 2010, 6. Kap. Rn. 49 u. von<br />
Hoyenberg, Vorweggenommene Erbfolge, 2010, 3. Kap. Rn. 6.<br />
64<br />
S. nur R. Kössinger, Nieder/Kössinger, Hdb. der Testamentsgestaltung, 3. Aufl. 2008,<br />
§ 21 Rn. 149.<br />
65<br />
Sailer, NotBZ 2002, 81.<br />
154
Die Ausstattung als Vertragstyp wird gerade im Hinblick auf die spätere<br />
Pflegebedürftigkeit der Eltern als Vertragstyp von erheblicher<br />
praktischer Bedeutung in der notariellen Praxis bezeichnet. 66 Auch<br />
wenn es sich grundsätzlich um keine Schenkung handelt, unterliegt die<br />
Ausstattung dennoch der Anfechtung des Gläubigers und des Insolvenzverwalters.<br />
67 Zwar kann eine Ausstattung im Hinblick auf die<br />
heute bestehenden Vermögensverhältnisse über die Berufsausbildung<br />
hinaus gehen, 68 jedoch gilt die Privilegierung, der Nichtanwendung insbesondere<br />
des Schenkungswiderrufs nur für den angemessenen Teil,<br />
also denjenigen Teil, der das den Vermögensverhältnissen der Eltern<br />
entsprechende Maß nicht übersteigt. Auf das Übermaß findet, obwohl<br />
auch insoweit eine Ausstattung vorliegt, das Schenkungsrecht, insbesondere<br />
der Schenkungswiderruf Anwendung. 69 Maßgeblich für die<br />
Ermittlung des Vorliegens einer übermäßigen Ausstattung ist der Zeitpunkt<br />
der Zuwendung. Ein Übermaß liegt sicher dann vor, wenn die<br />
Ausstattung dazu führt, dass die Eltern ihren eigenen standesgemäßen<br />
Unterhalt und die Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten gefährden sowie von<br />
Ausstattungen anderer Kinder absehen müssen.<br />
Ob im Einzelfall eine Ausstattung vorliegt, hängt wesentlich von der<br />
Absicht der zuwendenden Eltern ab. Eine Gewährung zur Begründung<br />
einer Lebensstellung kann auch dann vorliegen, wenn weitere Motive<br />
bestehen. 70 Wollen diese jedoch nur von Kosten entlastet und hinsichtlich<br />
Versorgungsleistungen gesichert sein, handelt es sich um einen<br />
Vertrag der vorweggenommenen Erbfolge und nicht um eine Ausstattung.<br />
71 Umstritten ist, ob eine solche vorliegt, wenn ein Hausgrundstück<br />
mit Mitteln oder Leistungen des Erwerbers renoviert oder ausgebaut<br />
werden soll. 72 Jedenfalls dann, wenn dem geringverdienenden<br />
66 S. nur Albrecht, in: Albrecht/Hertel/Kesseler, Aktuelle Probleme der notariellen<br />
<strong>Vertragsgestaltung</strong> im Immobilienrecht, 2010, S. 100 u. Langenfeld, Grundlagen der<br />
<strong>Vertragsgestaltung</strong>, 2. Aufl. 2010, 6. Kap. Rn. 49. Vgl. auch Krauß, MittBayNot 2005,<br />
349, 350 Fn. 9.<br />
67 Jacob, AcP 207, 2007, 198, 211; Diederichsen, in: Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010,<br />
§ 1624 Rn. 2; Sailer, NotBZ 2002, 81, 82; teilw. abw. Huber, AnfG, 10. Aufl. 2006, § 4<br />
Rn. 23; vgl. auch Meincke, ErbStG, 15. Aufl. 2009, § 7 Rn. 9.<br />
68 So Langenfeld, Grundlagen der <strong>Vertragsgestaltung</strong>, 2. Aufl. 2010, 6. Kap. Rn. 49.<br />
69 So Diederichsen, in: Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010, § 1624 Rn. 2; Schmid, BWNotZ<br />
1971, 29, 30; Sailer, NotBZ 2002, 81, 82; v. Sachsen Gessaphe, in:<br />
MünchKommBGB, 5. Aufl. 2008, § 1624 Rn. 1, der allerdings lediglich den Ausstattungscharakter<br />
hinsichtlich des unangemessenen Teils verneint.<br />
70 Sailer, NotBZ 2002, 81, 85.<br />
71 Ebenso von Hoyenberg, Vorweggenommene Erbfolge, 2010, 1. Kap. Rn. 60.<br />
72 Bejahend LG Mannheim, NJW 1970, 2111 (Wohnungsüberlassung) u. Sailer, NotBZ<br />
2002, 81, 85; a. A. Jerschke, in: Beck´sches Notar-Handbuch, 5. Aufl. 2010, A V<br />
Rn. 38.<br />
155
Kind durch die Übertragung auch das Besitzen und Bewohnen eines<br />
Eigenheims ermöglicht werden soll, kann teilweise eine Ausstattung<br />
gegeben sein. 73 Die Formulierung, dass die Zuwendung auch zur Erlangung<br />
eines selbstständigen Lebens des erwerbenden Kindes<br />
erfolgt, 74 schließt hinsichtlich des als Ausstattung gewährten Teils das<br />
Rückforderungsrecht wegen Notbedarfs des Schenkers aus und wird<br />
deshalb vom Hausübernehmer mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen.<br />
Die Geschwister des Hausübernehmers werden dagegen die<br />
Vereinbarung einer Ausstattung als Typenunehrlichkeit, die zu ihren<br />
Lasten erfolgt, ansehen. Der Umstand, dass über die Zehnjahresfrist<br />
des § 2325 Abs. 3 Satz 2 BGB hinaus die Ausgleichung der Ausstattung<br />
<strong>bei</strong> der Pflichtteilsberechnung zugrunde zu legen ist (§ 2316 Abs. 3<br />
BGB), 75 wird jedenfalls dann, wenn die Eltern hochbetagt und (im<br />
Übrigen) gesund zu Hause versterben, den Hausübernehmer nicht erfreuen.<br />
Dies gilt vor allem dann, wenn die Geschwister einen Erb- oder<br />
zumindest einen auch nur gegenständlich beschränkten<br />
Pflichtteilsverzicht erklärt haben. Erfolgt die Hausübertragung auf einen<br />
Neffen oder eine Nichte kann sie ohnehin nicht als Ausstattung erfolgen,<br />
da diese nicht in den persönlichen Anwendungsbereich des Instituts<br />
fallen, selbst wenn insoweit eine ähnliche Motivationslage vorliegen<br />
kann. Gleiches gilt auch <strong>bei</strong> der Zuwendung an Enkel 76 und Schwiegerkinder.<br />
77 Schließlich scheidet eine Ausstattung aus, wenn das Kind, das<br />
das Haus übernimmt, bereits in beruflich gesicherter Position steht und<br />
selbst Eigentümer einer Immobilie ist.<br />
3. Hausübergabe und Sozialrecht – häufig gestellte Fragen<br />
Die zwischenzeitlich <strong>bei</strong> der Besprechung einer Haus- oder Wohnungsübergabe<br />
zuerst gestellten Fragen der Beteiligten lauten zwischenzeitlich<br />
häufig:<br />
„Was ist, wenn die Eltern ins Pflegeheim müssen?“<br />
„Wer muss dann für die Kosten aufkommen?“<br />
„Muss dann das Haus bzw. die Eigentumswohnung verkauft werden?“<br />
„Was geschieht mit den vereinbarten Leistungen und dem Wohnungsrecht?“<br />
73<br />
Sailer, NotBZ 2002, 81, 85.<br />
74<br />
Vgl. Langenfeld, in: Münchener Vertragshandbuch, Bd. 6, 5. Aufl. 2003, Form. VI.11<br />
§ 2 u. Anm. 2.<br />
75<br />
Vgl. Jerschke, in: Beck´sches Notar-Handbuch, 5. Aufl. 2009, A V Rn. 88. u. DNotI-<br />
Report 2008, 1 ff.<br />
76<br />
Krit. Coester, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2007, § 1624 Rn. 7.<br />
77<br />
LG Mannheim, NJW 1976, 2111.<br />
156
„Muss dafür an den Sozialträger eine umgerechnete Geldleistung erbracht<br />
werden?“<br />
„Was kann man tun, um eine Inanspruchnahme durch den Sozialleistungsträger<br />
zu vermeiden?“<br />
„Ist das Vererben der Immobilie die bessere Lösung?“.<br />
III. Pflegekosten, Versorgungs- und Sozialleistungen<br />
1. Die Pflegeversicherung statt Wart und Pflege<br />
a) Versorgung des Hausübergebers als Rechtspflicht?<br />
Alte Hausüberlassungsverträge unterscheiden sich auch im städtischen<br />
Bereich in einem Punkt kaum von einer landwirtschaftlichen Hofübergabe,<br />
nämlich dem der <strong>bei</strong> Bedarf zu erbringenden Dienstleistungen,<br />
die häufig „Wart und Pflege“ 78 genannt und durch eine Reallast im<br />
Grundbuch gesichert wurden. 79 Der Hausübernehmer verpflichtet sich,<br />
seine Eltern „diesen Hege und Pflege in gesunden und kranken Tagen<br />
angedeihen zu lassen und für den Fall einer bestehenden Notwendigkeit<br />
auch für die Gestellung einer Pflegeperson zu sorgen, so dass eine<br />
umfassende Pflege und Versorgung [der Eltern] gewährleistet ist.“ 80 Zu<br />
dem Recht auf Pflege zählte einst auch der freie Bezug von Arzneimitteln,<br />
ärztliche Versorgung und freier Krankenhausaufenthalt, sofern<br />
solche Leistungen nach ärztlichen Anordnungen notwendig wurden.<br />
Oder noch umfassender wurde vereinbart: „Bei Krankheit oder Altersschwäche<br />
Wart und Pflege, Waschen und Schuheputzen, Besorgung<br />
aller Gänge, besonders zu Arzt, Apotheke, Geistlichen. Falls der Berechtigte<br />
in ein Alters- oder Pflegeheim zieht, sind die Kosten vom<br />
Übernehmer zu tragen.“ 81 Die Weggabe des wesentlichen Vermögens<br />
sollte gleichsam durch die Pflicht zur Gewährung des nicht gedeckten<br />
Lebensbedarfs nach den Verhältnissen der Beteiligten, nach Herkommen<br />
und Ortsüblichkeit kompensiert werden. Das „vermögens-<br />
78<br />
So Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 14. Aufl. 2008, Rn. 1327.<br />
79<br />
BGHZ 130, 342 = DNotZ 1996, 93 = FGPrax 1995, 186 = MDR 1996, 253 = NJW<br />
1995, 2780 = WM 1995, 2033.<br />
80<br />
Vgl. BGH, DNotZ 2002, 702, 703 = FamRZ 2002, 1178 = MDR 2002, 271 =<br />
MittBayNot 2002, 179 = NJW 2002, 440 = NotBZ 2002, 182 = RNotZ 2002, 279 = WM<br />
2002, 598 = ZEV 2002, 116. Krit. Mayer, MittBayNot 2002, 152 ff.<br />
81<br />
So in der Entscheidung des LG München II, MittBayNot 1990, 244, wonach dies in<br />
einem Übergabevertrag vom 18.12.1989 vereinbart wurde.<br />
157
mäßige Ausziehen“ durch die Weggabe der Immobilie zu Lebzeiten 82<br />
wurde durch vertragliche Unterhaltspflicht der Kinder gegenüber ihren<br />
Eltern, die den gesamten nicht gedeckten Lebensbedarf einschließlich<br />
persönlicher Betreuungsleistungen umfasste, abgesichert. Die Zusage<br />
des umfassenden Pflegeanspruchs sollte dem Veräußerer ermöglichen,<br />
weiterhin in „seiner“ Immobilie zu leben und versorgt zu werden. Hinzu<br />
kommt ein zweiter Aspekt, den der BGH 83 in seiner vielfach kritisierten<br />
Entscheidung vom 21.9.2001 angesprochen hat. Die Vorstellung, zum<br />
„Sozialhilfeempfänger“ zu werden, ist den Eltern, die ihr Haus übertragen,<br />
auch heute noch schwer vermittelbar. Bei denjenigen Personen,<br />
die gegenwärtig ihre Immobilien übertragen, handelt es sich um die<br />
Nachkriegsgeneration, die entweder selbst das betreffende Vermögen<br />
erar<strong>bei</strong>tet oder miterlebt hat, wie ihre Eltern unter Verzicht auf Urlaub<br />
und unter Ableistung von Überstunden die Schulden aus der Anschaffung<br />
oder dem Bau der Immobilie bezahlt haben. Ihnen ist die<br />
Vorstellung, auf Sozialhilfeleistungen angewiesen zu sein und zum<br />
„Sozialamt gehen zu müssen“, persönlich unangenehm.<br />
Pflegeverpflichtungen im Zusammenhang mit Hausübertragungen<br />
werden gegenwärtig trotz dieser Interessenlage gar nicht mehr oder nur<br />
noch eingeschränkt vereinbart. Hintergrund ist die Befürchtung, durch<br />
eine entsprechende Klausel könnten die sonst gewährten Leistungen<br />
der Pflegeversicherung verloren gehen. Zudem besteht im Hinblick auf<br />
die Ar<strong>bei</strong>tsmarktlage und eventuelle finanzielle Belastungen durch An-<br />
oder Umbaumaßnahmen Einigkeit darüber, dass der Hausübernehmer<br />
durch die Pflegeverpflichtung nicht zur Kündigung seiner Ar<strong>bei</strong>tsstelle<br />
gezwungen werden soll. Die Versorgungszusage wird deshalb zeitlich<br />
oder im Hinblick auf den Pflegebedarf der Übergeber sowie zusätzlich<br />
örtlich auf die übergebene Immobilie beschränkt. Typisch ist die Pflegepflicht<br />
<strong>bei</strong> Krankheit und Gebrechlichkeit des Veräußerers im übergebenen<br />
Anwesen, soweit es dem Erwerber zumutbar ist, wo<strong>bei</strong> der<br />
Umfang der Leistungen den Erwerber nicht stärker belasten darf, als<br />
dies <strong>bei</strong> Pflegestufe I (§ 15 SGB XI) der Fall ist. 84 Die Verpflichtungen<br />
82 Vgl. zum Spruch „Zieh Dich nicht aus, bevor Du ins Bett gehst!“ nur von Hoyenberg,<br />
Vorweggenommene Erbfolge, 2010, 1. Kap. Rn. 2. S. auch Beck, MittBayNot 1967,<br />
89.<br />
83 BGH, DNotZ 2002, 702, 703 = FamRZ 2002, 1178 = MDR 2002, 271 = MittBayNot<br />
2002, 179 = NJW 2002, 440 = NotBZ 2002, 182 = RNotZ 2002, 279 = WM 2002, 598<br />
= ZEV 2002, 116.<br />
84 S. nur Holland, in: Würzburger Notarhandbuch, 2. Aufl. 2010, Teil 2 Kap. 7 Rn. 85;<br />
Basty, in: Kersten/Bühling, Formularbuch und Praxis der Freiwilligen Gerichtsbarkeit,<br />
22. Aufl. 2008, § 39 Rn. 51 M; Spiegelberger, in: Münchener Vertragshandbuch,<br />
158
uhen ferner, wenn der Berechtigte aufgrund ärztlicher Feststellung<br />
notwendigerweise in einem Heim untergebracht ist. 85 Ein unzulässiger<br />
Vertrag zu Lasten des Sozialleistungsträgers liegt in den letztgenannten<br />
Einschränkungen nicht. 86 Auch die Bedingung, dass die Leistungen nur<br />
zu erbringen sind, wenn der Übernehmer das Pflegegeld erhält, ist zulässig.<br />
87 Zweckmäßigerweise ist jedoch zu differenzieren zwischen denjenigen<br />
Leistungen, für die das Pflegegeld gewährt wird, und denjenigen<br />
der häuslichen Hilfe und Unterstützung, die unabhängig von der Einstufung<br />
in eine Pflegestufe zu erbringen sind. Sie schuldet der Hausübernehmer<br />
auch dann, wenn die Eltern die übrigen Leistungen durch<br />
einen professionellen Pflegedienst oder eine andere Person wie z. B.<br />
ein Geschwisterteil erbringen lassen und dafür das Pflegegeld verwenden.<br />
b) Pflegeversicherung als Teilkaskoversicherung 88 und Pflegegeld<br />
aa) Deckungslücke trotz Pflegeversicherung<br />
Für die Übergeber besteht eine Pflegeversicherung, deren Zweck es ist,<br />
das Risiko der Pflegebedürftigkeit versicherungsrechtlich abzusichern,<br />
damit die Betroffenen nicht auf Sozialhilfeleistungen angewiesen sind. 89<br />
Der Kreis der Versicherten ist mit demjenigen der gesetzlichen<br />
Krankenversicherung identisch (§ 1 Abs. 2 Satz 1 SGB XI). Versicherte<br />
der privaten Krankenversicherungsunternehmen sind verpflichtet, eine<br />
private Pflegeversicherung abzuschließen, deren Leistungsumfang<br />
Bd. 6, 5. Aufl. 2003, Form. VI.3 Anm. 9; Feick, in: Beck´sches Formularbuch Bürgerliches,<br />
Handels- und Wirtschaftsrecht, 10. Aufl. 2010, III C.4 Ziff. 2.<br />
85<br />
S. nur Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 14. Aufl. 2008, Rn. 934 § 2 Nr. 2 d.<br />
86<br />
So aber noch BGH, DNotZ 2002, 702, 705 = FamRZ 2002, 1178 = MDR 2002, 271 =<br />
MittBayNot 2002, 179 = NJW 2002, 440 = NotBZ 2002, 182 = RNotZ 2002, 279 = WM<br />
2002, 598 = ZEV 2002, 116; anders nunmehr BGH, FamRZ 2004, 690 = MittBayNot<br />
2004, 180 = NJW-RR 2003, 577 = NotBZ 2003, 314 = RNotZ 2003, 450 = ZEV 2003,<br />
211 u. BGH, DNotZ 2009, 431 = FamRZ 2009, 598 = MDR 2009, 559 = MietRB 2009,<br />
175 = MittBayNot 2009, 298 = NJW 2009, 1348 = NZM 2009, 251 = Rpfleger 2009,<br />
309 = WuM 2009, 184 = ZEV 2009, 252 = ZMR 2009, 434; vgl. Krüger, ZNotP 2010,<br />
2, 3 f.<br />
87<br />
Vgl. Amann, DNotI-Report 1995, 62, 64 u. Jerschke, in: Beck´sches Notar-Handbuch,<br />
5. Aufl. 2009, A V Rn. 205 u. Langenfeld, in Langenfeld/Günther, Grundstückszuwendungen<br />
zur lebzeitigen Vermögensnachfolge, 6. Aufl. 2010, Kap. 4 Rn. 4.14;<br />
krit. Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 14. Aufl. 2008, Rn. 934 Fn. 3 u. Mayer, ZEV<br />
1997, 176, 179.<br />
88<br />
Als unschön bezeichnet von Birn, in: Otto/Gurgel (Hrsg.), Hdb. des Fachanwalts<br />
Sozialrecht, 2008, Kap. 13 Rn. 55.<br />
89<br />
S. nur Muckel, Sozialrecht, 3. Aufl. 2009, § 9 Rn. 1 u. Schulin, NZS 1994, 433 ff.; vgl.<br />
auch Vigener, NDV 1996, 269.<br />
159
demjenigen der gesetzlichen Pflegeversicherung entspricht (§ 22 Abs. 1<br />
SGB XI). 90<br />
Bei den im Rahmen der Pflegeversicherung gewährten Leistungen<br />
handelt es sich nicht um eine staatliche „Fürsorge“, sondern um letztlich<br />
<strong>bei</strong>tragserkaufte Leistungen einer Sozialversicherung. 91 Ihre Leistungen<br />
sollen die familiäre Pflege und Betreuung ergänzen; <strong>bei</strong> stationärer<br />
Pflege werden die Pflegebedürftigen von pflegebedingten Aufwendungen<br />
entlastet, die Aufwendung für Unterkunft und Unterbringung<br />
haben sie selbst zu tragen (§ 41 Abs. 2 SGB XI). Die Pflegeversicherung<br />
hat nur eine ergänzende Funktion, sie ist keine Vollversorgung.<br />
92 Sie deckt nicht den vollen Bedarf ab, der im Leistungsfall<br />
entsteht, sondern ist auf Pauschalen, d. h. gedeckelte Leistungen beschränkt.<br />
93 Ein über die „Grundpflegesicherung“ hinausgehender Bedarf<br />
muss durch den Pflegebedürftigen selbst oder seine unterhaltspflichtigen<br />
Angehörigen finanziert werden. Erst wenn auch dies nicht<br />
möglich ist, tritt die Sozialhilfe ein. Wie wenig die Pflegeversicherung<br />
das Pflegerisiko „Heimaufenthalt“ tatsächlich abdeckt, zeigt sich daran,<br />
dass ca. 80 Prozent der stationär untergebrachten Pflegebedürftigen auf<br />
eine Finanzierung der Pflege durch den Sozialhilfeträger angewiesen<br />
sind. 94<br />
bb) Pflegeverpflichtung und Pflegebedürftigkeit<br />
Die zentrale Systementscheidung der Pflegeversicherung ist der Vorrang<br />
der häuslichen Pflege (§ 3 SGB XI) vor der stationären Unterbringung.<br />
95 Die Pflegeversicherung soll die Pflegebereitschaft der Angehörigen<br />
unterstützen, damit zum einen die Pflegebedürftigen möglichst<br />
lange in ihrer gewohnten häuslichen Umgebung bleiben können<br />
90<br />
§§ 22 Abs. 1 Satz 1, 23 Abs. 1 Satz 2 SGB XI; zu den diesbezüglichen Anforderungen<br />
s. nur Udsching, SGB XI, 3. Aufl. 2010, § 23 Rn. 17 u. Ladage, in: FS 50<br />
Jahre BSG, 2004, S. 673, 679 ff. Zu Unterschieden s. Bastian, NZS 2004, 76 ff.<br />
91<br />
S. nur Udsching, SGB XI, 3. Aufl. 2010, Einl. Rn. 1; Mayer, ZEV 1997, 176; Rastätter,<br />
ZEV 1996, 281, 286; Weyland, MittRhNotK 1997, 55, 58 f. u. Vaupel, RNotZ 2009,<br />
497, 498.<br />
92<br />
Vgl. auch BVerfG, FamRZ 2003, 1084; Muckel, Sozialrecht, 3. Aufl. 2009, § 9 Rn. 16;<br />
Udsching, SGB XI, 3. Aufl. 2010, Einl. Rn. 1 u. Waltermann, Sozialrecht,<br />
7. Aufl. 2008, Rn. 215.<br />
93<br />
Vgl. § 36 Abs. 3 SGB XI für häusliche Pflegeleistungen, § 37 Abs. 1 Satz 2 SGB XI für<br />
das Pflegegeld und § 43 Abs. 5 SGB XI für die Pflege in vollstationären Einrichtungen.<br />
94<br />
Udsching, SGB XI, 3. Aufl. 2010, Einl. Rn. 1 u. 9.<br />
95<br />
Vgl. KSW/Philipp, 2009, § 3 SGB XI Rn. 1 u. Muckel, Sozialrecht, 3. Aufl. 2009, § 9<br />
Rn. 17.<br />
160
und zum anderen die höheren Kosten einer stationären Pflege und Betreuung<br />
vermieden werden. Der Vorrang der häuslichen Pflege kann<br />
jedoch nicht gegen den Willen der pflegebedürftigen Person durchgesetzt<br />
werden. Die in § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB XI als Ausfluss des auch<br />
durch die Menschenwürde (Art. 1 u. 2 GG) garantierten Selbstbestimmungsrechts<br />
geregelten Entscheidungsfreiheit des Betroffenen<br />
geht vor. 96 Eine Pflegeverpflichtung der Angehörigen, deren Verletzung<br />
zu einer Leistungskürzung führen würde, sieht das Gesetz nicht vor.<br />
Wünscht der Pflegebedürftige eine vollstationäre Pflege („Kinder, ich<br />
halt´s nicht mehr aus. Ich gehe ins Pflegeheim.“), ist eine Leistungskürzung<br />
(§ 43 Abs. 4 SGB XI) nur möglich, wenn die stationäre Versorgung<br />
nicht erforderlich ist. Allerdings erfolgt dies in der Praxis selten.<br />
Meist stellen sich die Kassen einem Wunsch nach stationärer Pflege<br />
nicht in den Weg. 97 Der Vorrang der häuslichen Betreuung gilt zudem<br />
nicht, soweit die Betreuung in einer geeigneten stationären Einrichtung<br />
zumutbar und die ambulante Leistung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten<br />
verbunden ist, wenn für die Kosten der Pflege, die nicht von der<br />
Pflegeversicherung gedeckt sind, ergänzend Hilfe zur Pflege (§§ 61 ff.<br />
SGB XII) beantragt wird. Die Zumutbarkeit bestimmt sich nach den<br />
persönlichen, familiären und örtlichen Umständen. Hierzu zählt insbesondere<br />
auch der Erhalt der Pflege durch einen Angehörigen, die<br />
<strong>bei</strong>m Wechsel in ein Heim nicht mehr möglich ist und deshalb einer<br />
Heimunterbringung gegen den Wunsch des Betroffenen entgegenstehen<br />
kann. Als „Faustregel“ für unverhältnismäßige Mehrkosten der<br />
häuslichen Pflege gegenüber den Kosten einer abgelehnten vollstationären<br />
Unterbringung, die zur Leistungsverweigerung führen<br />
können, wird eine Überschreitung um mehr als 20 % zugrunde gelegt. 98<br />
Die Leistungsberechtigung in der Pflegeversicherung setzt eine Vorversicherungszeit<br />
von zwei Jahren in den letzten zehn Jahren vor der Antragstellung<br />
voraus (§ 33 Abs. 2 Nr. 6 SGB XI). Die Versicherungszeit<br />
muss zum Zeitpunkt der Antragstellung, also nicht <strong>bei</strong> Eintritt des Versicherungsfalls<br />
vorliegen. Der Pflegebedürftige kann deshalb mit der<br />
Antragstellung so lange warten, bis er die erforderliche Vorversicherungszeit<br />
erfüllt hat und auf diese Weise in die Leistungsberechtigung<br />
hinein wächst. 99 Weitere Anspruchsvoraussetzung ist die<br />
96<br />
Udsching, SGB XI, 3. Aufl. 2010, § 3 Rn. 3 u. Muckel, Sozialrecht, 3. Aufl. 2009, § 9<br />
Rn. 17.<br />
97<br />
KSW/Philipp, 2009, § 3 SGB XI Rn. 3 a. E.<br />
98<br />
KSW/Philipp, 2009, § 3 SGB XI Rn. 6.<br />
99<br />
Udsching, SGB XI, 3. Aufl. 2010, § 33 Rn. 6; Plagemann/von der Decken, MAH<br />
Sozialrecht, 3. Aufl. 2009. § 33 Rn. 14; KSW/Philipp, 2009, § 37 SGB XI Rn. 2.<br />
161
Einstufung in eine der Pflegestufen wegen Pflegebedürftigkeit (§§ 14,<br />
15 SGB XI). Der Begriff der Pflegebedürftigkeit 100 hat auch im Rahmen<br />
der Vereinbarung der Versorgungsleistungen <strong>bei</strong> der Immobilienübertragung<br />
Bedeutung. Die Vorgaben des Pflegeversicherungsrechts bestimmen<br />
insoweit auch das Vertragsgefüge. 101 Umstritten ist, ob im<br />
Vertrag eine statische oder dynamische Verweisung auf das Recht der<br />
Pflegeversicherung erfolgen soll. 102 Unabhängig davon hat im Rahmen<br />
der <strong>Vertragsgestaltung</strong> der Begriff der „Pflegebedürftigkeit“ nach den<br />
sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen Bedeutung. Er hat drei<br />
Voraussetzungen, nämlich<br />
- das Vorliegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit<br />
und/oder einer Behinderung,<br />
- deren Ursächlichkeit für einen Hilfebedarf <strong>bei</strong> den gewöhnlich und<br />
regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens<br />
und<br />
- das Erreichen einer bestimmten Qualität des Hilfebedarfs im Hinblick<br />
auf die Dauer der Hilfsbedürftigkeit und den zeitlichen Umfang<br />
der erforderlichen Hilfe.<br />
Knüpft die Verpflichtung zur Erbringung von Versorgungsleistungen an<br />
die Pflegebedürftigkeit im Sinne des Pflegeversicherungsrechts an, ist<br />
zunächst festzustellen, dass der Gesetzgeber weder den Begriff der<br />
Krankheit noch den Begriff der Behinderung dort definiert hat. 103<br />
Allerdings beschreibt das Gesetz <strong>bei</strong>de Voraussetzungen <strong>bei</strong>spielhaft<br />
(§ 14 Abs. 2 SGB XI). Danach liegen Krankheiten oder Behinderungen<br />
<strong>bei</strong> Funktionsstörungen am Stütz- und Bewegungsapparat, Funktionsstörungen<br />
der inneren Organe sowie der Sinnesorgane, Störungen des<br />
100 Vgl. auch BVerfG, NJW 2003, 3044 = NZS 2003, 535.<br />
101 S. nur Mayer, ZEV 1997, 176, 177; Holland, in: Würzburger Notarhandbuch,<br />
2. Aufl. 2010, Teil 2 Kap. 7 Rn. 85 u. Langenfeld, in: Langenfeld/Günther, Grundstückszuwendungen<br />
zur lebzeitigen Vermögensnachfolge, 6. Aufl. 2010, Kap. 4<br />
Rn. 85 u. 4.12.<br />
102 Die statische Verweisung halten Mayer, ZEV 1995, 269, 273; Langenfeld, in: Langenfeld/Günther,<br />
Grundstückszuwendungen zur lebzeitigen Vermögensnachfolge,<br />
6. Aufl. 2010, Kap. 4 Rn. 85 u. Weyland, MittRhNotK 1997, 55, 72 für „seriöser“. Soll<br />
gleichzeitig das Pflegegeld an den Pflegeverpflichteten weitergegeben werden, ist<br />
allein die dynamische Verweisung interessengerecht, da sonst <strong>bei</strong>m Übergeber eine<br />
Versorgungslücke verbleiben kann.<br />
103 Zum Krankheitsbegriff der gesetzlichen Krankenversicherung s. Wilke, in:<br />
Hauck/Noftz, SGB V, Gesetzliche Krankenversicherung, Stand: 2010, § 27 Rn. 4 u.<br />
Lang, in: Becker/Kingreen, SGB V, 2. Aufl. 2010, § 27 Rn. 10 zum<br />
Behinderungsbegriff s. § 2 Abs. 1 SGB IX. Zur Abgrenzung von alterstypischen<br />
Beeinträchtigungen s. nur KSW/Kreikebohm, 2009, § 3 SGB IX Rn. 2.<br />
162
zentralen Nervensystems sowie Antriebs-, Gedächtnis- oder<br />
Orientierungsstörungen, endogenen Psychosen, Neurosen und<br />
geistigen Behinderungen vor. Im Rahmen der sozialen Pflegeversicherung<br />
sind organische Erkrankungen und geistig-seelische Erkrankungen<br />
gleichgestellt, d. h. seelisch kranke Menschen erhalten<br />
Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung, selbst wenn sie<br />
motorisch in der Lage wären, bestimmte Verrichtungen selbst auszuführen.<br />
Sind auch die Versorgungsleistungen in diesen Fällen bereits<br />
geschuldet, führt dies häufig zu Konflikten, wenn das Kind trotz seiner<br />
vollen Berufstätigkeit dem organisch nicht kranken Elternteil, der nach<br />
seiner Meinung „nur nicht will“, Versorgungsleistungen erbringen muss.<br />
Im Rahmen der Pflegeversicherung muss die Krankheit oder Behinderung<br />
alleinige oder zumindest wesentliche Ursache des entstehenden<br />
Hilfebedarfs sein. Krankheit oder Behinderung müssen sich<br />
somit gerade dahingehend auswirken, dass der Betroffene bestimmte<br />
Fähigkeiten motorischer, geistiger oder seelischer Art nicht oder nicht<br />
mehr in vollem Umfang hat. Nicht ausreichend ist, dass bestimmte<br />
Tätigkeiten nur noch erschwert durchgeführt werden können. Ebenso<br />
genügt es nicht, wenn ein Hilfebedarf wegen anderer Defizite besteht,<br />
etwa der Unfähigkeit des überlebenden Vaters zu kochen, die Wäsche<br />
zu machen, Reparaturen an der Kleidung durchzuführen oder zu<br />
bügeln.<br />
Eine weitere Abweichung zwischen dem Begriff der Pflegebedürftigkeit<br />
im Sinne des Sozialversicherungsrechts und der <strong>bei</strong> der vertraglichen<br />
Vereinbarung gewollten Unterstützung ergibt sich daraus, dass nicht<br />
jeglicher Funktionsausfall oder jedes Funktionsdefizit ausreicht, den<br />
Versicherungsfall zu begründen. Bezugspunkt im Rahmen der Pflegeversicherung<br />
sind die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden<br />
Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens, wo<strong>bei</strong> dieser Begriff<br />
wiederum durch den Verrichtungskatalog in § 14 Abs. 4 SGB XI bestimmt<br />
wird. Es handelt sich da<strong>bei</strong> um solche der Grundpflege, nämlich<br />
um die Körperpflege (Waschen, 104 Duschen, Baden, Zahnpflege,<br />
Kämmen, Rasieren, Darm- oder Blasenentleerung), die Ernährung<br />
(mundgerechtes Zubereiten der Nahrung und Nahrungsaufnahme) und<br />
die Mobilität (selbstständiges Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und<br />
Auskleiden, Gehen, Stehen, 105 Treppensteigen, Verlassen und Wieder-<br />
104 Hierzu gehört auch das Haarewaschen (BSG, NZS 2001, 265).<br />
105 Hierzu gehört auch das Liegen und das Sitzen, BSG, NZS 2001, 39; vgl. auch BSG,<br />
NJWE-FER 2000, 68 = NZS 2000, 93.<br />
163
aufsuchen der Wohnung). 106 Davon zu trennen ist der Bereich der hauswirtschaftlichen<br />
Versorgung (Einkaufen, Kochen, Reinigen der<br />
Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung<br />
und Beheizen). 107 Aus dieser Begrenzung der zu berücksichtigenden<br />
Funktionsausfälle auf bestimmte Verrichtungen ergibt sich nochmals,<br />
dass die Pflegeversicherung lediglich einen Teilbereich des Lebens<br />
erfasst. 108 Insbesondere <strong>bei</strong> Demenzerkrankungen geht der tatsächliche<br />
Pflegeaufwand jedoch häufig weit über dem Katalog des § 14 Abs. 4<br />
SGB XI hinaus, und umfasst auch eine soziale Betreuung, nämlich eine<br />
Anleitung, Begleitung und Beaufsichtigung. Beispiel ist die Begleitung<br />
zu Gottesdiensten oder im Rahmen von Spaziergängen. 109 Zudem sind<br />
Hilfeleistungen die nicht im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung<br />
des Lebens im häuslichen Umfeld erforderlich werden, sondern wegen<br />
einer außerhäusigen Berufstätigkeit anfallen, ebenfalls nicht von den<br />
Verrichtungen des täglichen Lebens erfasst. Gleiches gilt für krankheitsspezifische<br />
Pflegemaßnahmen, soweit sie nicht untrennbarer Bestandteil<br />
einer Verrichtung der Grundpflege sind, sowie die für die Übergeber<br />
häufig besonders wichtige Kommunikation. Auch insoweit trifft ein Anknüpfen<br />
der vertraglich zu übernehmenden Versorgungsleistungen an<br />
den Begriff der Pflegebedürftigkeit des Sozialversicherungsrechts häufig<br />
nicht das von den Übergebern Gewollte. Zudem transferiert, wie die<br />
Diskussion über die diesbezügliche Erweiterung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs<br />
gezeigt hat, eine statische Anknüpfung an die derzeitige<br />
Definition 110 die Mängel 111 der sozialen Pflegeversicherung auch ins<br />
Recht der Versorgungsleistungen anlässlich einer Hausübergabe.<br />
Der Versicherungsfall tritt zudem erst ein, wenn der Hilfebedarf auf<br />
Dauer, d. h. voraussichtlich für mindestens sechs Monate, besteht (§ 14<br />
Abs. 1 SGB XI). Ein lediglich vorübergehender Hilfebedarf soll noch<br />
keine Pflegebedürftigkeit auslösen. 112 Auch insoweit besteht der Betreuungsbedarf<br />
der Übergeber bereits unterhalb dieser Schwelle, da sie<br />
106<br />
§ 14 Abs. 4 Nr. 1, Nr. 2 u. Nr. 3 SGB XI.<br />
107<br />
§ 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI; zur Abgrenzung z. B. im Hinblick auf die Intensität der<br />
Hilfeleistungen s. nur BSG, NJWE-FER 2000, 21; BSGE 94, 192 = NZS 2006, 91;<br />
BSG, NZS 2002, 484 = SGb 2002, 570 u. BSG, NZS 2004, 206 = SGb 2004, 194. Zur<br />
Abgrenzung der Kostentragung der häuslichen Krankenpflege zwischen Krankenkasse<br />
und Pflegeversicherung s. nunmehr § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V.<br />
108<br />
Zur Verfassungsgemäßheit BVerfG, NZS 2003, 535 = NJW 2003, 3044; BVerfG,<br />
FamRZ 2003, 1084 u. BSG, NZS 2004, 431.<br />
109<br />
BSG, NVwZ 2001, 959 = NJW 2001, 2197.<br />
110<br />
Vgl. dazu bereits oben Fn. 103.<br />
111<br />
Zur Diskussion s. nur BT-Drs. 16/7439, S. 44 f.; Igel, NJW 2008, 2214, 2219 u.<br />
Udsching, SGb 2007, 694 ff.<br />
112<br />
Zur diesbezüglichen Prognose BSG, NZS 2006, 40.<br />
164
auch <strong>bei</strong> kurzzeitigen und vorübergehenden Erkrankungen auf Hilfe<br />
angewiesen sind. Gleiches gilt, wenn ein Anstieg des Pflegebedarfs für<br />
einen kürzeren Zeitraum als sechs Monate eintritt. Werden die vertraglichen<br />
Leistungen auf den Umfang der Pflegestufe I nach § 15 SGB XI<br />
begrenzt, bleibt der Hausübergeber unversorgt, obwohl er auch keine<br />
Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung erhält. 113<br />
Die Pflegebedürftigkeit wird sozialversicherungsrechtlich entsprechend<br />
dem Umfang des Hilfebedarfs in drei Pflegestufen eingeteilt (§ 15 SGB<br />
XI). Von dieser Einstufung hängt auch die Höhe der zu erwartenden<br />
Leistung ab. Neben dem zeitlichen Aufwand ist auch das Kriterium der<br />
Häufigkeit von Hilfeleistungen von Bedeutung. Der Zeitaufwand, der für<br />
Hilfeleistung erbracht werden muss, hängt zunächst vom Umfang der<br />
Funktionsausfälle und Funktionsdefizite ab, <strong>bei</strong> welchen Verrichtungen<br />
des täglichen Lebens der Betroffene der Hilfe durch Dritte bedarf.<br />
Entscheidend hierfür ist der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger<br />
für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen<br />
Versorgung benötigt. Insofern können die diesbezüglichen Richtwerte<br />
auch für vertragliche Vereinbarungen Anhaltspunkte geben.<br />
Allerdings sind auch im Sozialversicherungsrecht die tatsächlichen<br />
Lebensumstände des zu Pflegenden, seine Gewohnheiten, seine Vorlieben<br />
und Abneigungen zu berücksichtigen. Der Mindestzeitaufwand<br />
beträgt <strong>bei</strong> der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) mindestens 90<br />
Minuten täglich, wo<strong>bei</strong> auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen<br />
müssen (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI), 114 <strong>bei</strong> der Pflegestufe II<br />
(schwer Pflegebedürftige) mindestens drei Stunden täglich, wo<strong>bei</strong><br />
mindestens zwei Stunden auf die Grundpflege entfallen müssen (§ 15<br />
Abs. 3 SGB XI), und <strong>bei</strong> der Pflegestufe III (Schwerstpflegebedürftige)<br />
mindestens fünf Stunden täglich, wo<strong>bei</strong> auf die Grundpflege mindestens<br />
vier Stunden entfallen müssen (§ 15 Abs. 3 Nr. 3 SGB XI). Da da<strong>bei</strong><br />
allein der Hilfebedarf hinsichtlich der in § 14 Abs. 4 SGB XI aufgeführten<br />
Verrichtungen maßgebend ist, 115 kann der tatsächliche Zeitaufwand für<br />
die Versorgung des Übergebers, insbesondere <strong>bei</strong> einer Demenzerkrankung,<br />
erheblich darüber hinausgehen. Ist eine weitergehende<br />
Hilfe vertraglich vereinbart, kann der tatsächliche Zeitaufwand für den<br />
Übernehmer wesentlich größer sein. Zur Feststellung des Zeitaufwands<br />
113 BSG, NZS 1998, 479 = SGb 1999, 303.<br />
114 Deshalb erreicht Basty, in: Kersten/Bühling, Formularbuch und Praxis der Freiwilligen<br />
Gerichtsbarkeit, 22. Aufl. 2008, § 39 Rn. 49 M trotz umfassender Formulierung der<br />
Wart- und Pflegeverpflichtung nicht einmal die Pflegestufe I; dies wird für die Betroffenen<br />
nicht deutlich.<br />
115 BSGE 85, 278 = , NZS 2000, 555 = SGb 2001, 32.<br />
165
wird nunmehr auch die „einfache Behandlungspflege“ berücksichtigt,<br />
wenn sie regelmäßig und auf Dauer untrennbar Bestandteil der Hilfe <strong>bei</strong><br />
den Verrichtungen der Grundpflege ist oder zwangsläufig in einem unmittelbaren<br />
zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit diesen Verrichtungen<br />
vorgenommen werden muss (§ 15 Abs. 3 Satz 2 u. 3 SGB<br />
XI). 116 Wichtig ist, dass unterhalb der Schwellenwerte lange Zeit kein<br />
Anspruch auf eine Leistung aus der Pflegeversicherung bestanden hat<br />
und damit <strong>bei</strong> einem Anknüpfen der Versorgungspflicht an die sozialrechtlichen<br />
Vorgaben auch weiterhin keine Betreuung der Eltern durch<br />
den Hausübernehmer erfolgt.<br />
Seit 1.1.2002 können der Pflegebedürftige in häuslicher Pflege, <strong>bei</strong><br />
denen neben dem Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und der<br />
hauswirtschaftlichen Versorgung ein erheblicher Bedarf an allgemeiner<br />
Beaufsichtigung und Betreuung gegeben ist, eine zusätzliche Leistung<br />
beanspruchen. Dies gilt nicht nur für pflegebedürftige Personen der<br />
Pflegestufen, sondern auch für Personen, deren Hilfebedarf im Bereich<br />
der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung noch nicht das<br />
Ausmaß der Pflegestufe I erreicht hat, sowie für Personen mit demenzbedingten<br />
Fähigkeitsstörungen, einer geistigen Behinderung oder<br />
psychischen Erkrankung, deren Alltagskompetenz erheblich eingeschränkt<br />
ist, sofern ein erheblicher Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung<br />
und Betreuung gegeben ist (§ 45a SGB XI). Beispiele sind<br />
das unkontrollierte Verlassen des Wohnbereichs, das Verkennen oder<br />
Verursachen gefährlicher Situationen, der unsachgemäße Umgang mit<br />
gefährlichen Gegenständen und Substanzen sowie die Unfähigkeit,<br />
eigenständig den Tagesablauf zu planen und zu strukturieren. Diese<br />
Personen erhalten zusätzlich Betreuungsleistungen von 100 bis 200<br />
Euro monatlich erstattet. Es muss sich da<strong>bei</strong> um besondere Angebote<br />
der allgemeinen Anleitung und Betreuung handeln; Leistungen der<br />
Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung scheiden demgegenüber<br />
aus. Der gewährte Betreuungsbetrag ist zudem zweckgebunden<br />
zur Erstattung von Aufwendungen, die dem Pflegebedürftigen entstehen.<br />
Sie können deshalb nicht an den pflegenden Angehörigen<br />
„weiter gereicht“, sondern nur für eine teilstationäre oder Kurzzeitpflege,<br />
zugelassene Pflegedienste und sogenannte niedrigschwellige Betreuungsangebote,<br />
die der landesrechtlichen Anerkennung bedürfen,<br />
verwendet werden. Eine Änderung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs ist<br />
damit zudem nicht verbunden. Deshalb bleibt es <strong>bei</strong> dem fehlenden<br />
116 S. dazu Griep, PflegeR 2008, 202 ff.<br />
166
vertraglichen Anspruch auf Pflege, wenn allein auf die sozialversicherungsrechtliche<br />
Pflegebedürftigkeit abgestellt wird.<br />
cc) Haus plus Geld für das Kind?<br />
Die Pflegeversicherung gewährt Leistungen <strong>bei</strong> häuslicher Pflege als<br />
Pflegesachleistung, und zwar nicht nur <strong>bei</strong> der Pflege im eigenen Haushalt,<br />
sondern auch <strong>bei</strong> Unterbringung in einem Altersheim. 117 Die häusliche<br />
Pflege muss somit nicht im Haushalt des Pflegebedürftigen<br />
erfolgen. Für die Einordnung ist nicht der Aufenthaltsort, sondern die Art<br />
der Pflege maßgebend. Leistungen der häuslichen Pflege sind deshalb<br />
auch zulässig, wenn die Pflege außerhalb speziell für die stationäre<br />
Pflege zugelassener Einrichtungen oder Einrichtungsformen in umfassender,<br />
auch pflegerischer Betreuung erfolgt (§ 36 Abs. 1 Satz 2<br />
SGB XI). Bei Leistungserbringung im übergebenen Haus handelt es<br />
sich in der Regel um ambulante Pflegedienstleistungen, die unmittelbar<br />
zwischen der Pflegekasse und den Leistungserbringern abgerechnet<br />
werden. 118 Unberührt bleibt der zivilrechtliche Vertrag zwischen dem<br />
Pflegedienst und dem Pflegebedürftigen über Art und Umfang der<br />
Pflegeleistungen. Die Pflegekasse kann zur Sicherstellung der häuslichen<br />
Pflege auch ausnahmsweise mit einer Einzelpflegekraft einen<br />
Versorgungsvertrag schließen (§ 77 Abs. 1 SGB XI), soweit und solange<br />
eine Versorgung nicht durch einen zugelassenen Pflegedienst<br />
gewährleistet werden kann. Ausgeschlossen sind allerdings Verträge<br />
mit Verwandten oder Verschwägerten des Pflegebedürftigen bis zum<br />
dritten Grad sowie mit Personen, die mit dem Pflegebedürftigen in<br />
häuslicher Gemeinschaft leben (§ 77 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbs. SGB XI).<br />
Hintergrund ist, dass die Pflegesachleistung für ambulante Pflegedienste,<br />
das Pflegegeld übersteigt, das dem selbst für seine Pflege<br />
sorgenden Betroffenen gewährt wird. Ein Vertrag zwischen der Pflegekasse<br />
und dem im Gesetz genannten Angehörigen über eine Einzelpflege<br />
ist nichtig. Dies gilt auch dann, wenn der pflegende Angehörige<br />
eine ausgebildete Pflegekraft ist. 119<br />
Alternativ zur Pflegesachleistung wird Pflegegeld (§ 37 Abs. 1 SGB XI)<br />
für selbst beschaffte Pflegehilfen gewährt. Der Pflegebedürftige kann<br />
117 Vgl. § 28 Abs. 1 u. Abs. 1a SGB XI.<br />
118 In der privaten Pflegeversicherung wird an Stelle der Sachleistung die Leistung als<br />
Aufwendungsersatz an den Versicherungsnehmer erbracht (§§ 1 Abs. 1, 6 MBPPV<br />
2009).<br />
119 BSG, NJW 2000, 1813; Udsching, SGB XI, 3. Aufl. 2010, § 77 Rn. 9. Vgl. auch<br />
BVerwGE 90, 217 = NVwZ 1993, 66 = MDR 1993, 396.<br />
167
selbst bestimmen, ob er den Einsatz eines ambulanten Pflegedienstes<br />
wünscht oder die Pflege durch Angehörige, also nicht erwerbsmäßig<br />
tätige Personen. Voraussetzung ist lediglich, dass die Pflege hierdurch<br />
sichergestellt ist. 120 Eine Kombination von Sachleistung und Pflegegeld<br />
ist möglich (§ 38 SGB XI), wenn der Betroffene teilweise Leistungen<br />
eines Pflegedienstes in Anspruch nimmt und daneben Pflegegeld erhält.<br />
Das Pflegegeld wird in diesem Fall um den Prozentsatz gemindert, in<br />
dem der Pflegebedürftige Sachleistungen in Anspruch nimmt (§ 38 Satz<br />
2 SGB XI). Betragen <strong>bei</strong>spielsweise die Kosten der ambulanten Pflegehilfe<br />
monatlich 220 Euro, so ist die Pflegesachleistung zu 50 % in Anspruch<br />
genommen worden. Es wird dann nur noch das hälftige Pflegegeld<br />
an den Pflegebedürftigen ausbezahlt. An die Entscheidung der<br />
Wahl einer kombinierten Geld- und Sachleistung ist der Pflegebedürftige<br />
für mindestens sechs Monate gebunden, sofern keine wesentliche Veränderung<br />
z. B. in der Pflegesituation eintritt. 121 Das Pflegegeld für selbst<br />
beschaffte Pflegehilfen kann auch dann in Anspruch genommen<br />
werden, wenn der Pflegebedürftige in einem Altenwohnheim oder einer<br />
nicht zugelassenen Einrichtung lebt. Das Pflegegeld wird in<br />
pauschalierter Höhe, abgestuft nach Pflegestufen gewährt. Es beträgt<br />
monatlich<br />
<strong>bei</strong> Pflegestufe I 225 Euro (ab 1.1.2012: 235 Euro),<br />
<strong>bei</strong> Pflegestufe II 430 Euro (ab 1.1.2012: 440 Euro) und<br />
<strong>bei</strong> Pflegestufe III 685 Euro (ab 1.1.2012: 700 Euro). 122<br />
Über die tatsächliche Verwendung des Pflegegelds enthält das Gesetz<br />
keine Bestimmung. Der Pflegebedürftige muss hierüber auch keinen<br />
Nachweis führen; solange seine Betreuung sichergestellt ist, kann er die<br />
Mittel auch anderweitig verwenden. 123 Zulässig ist es auch, die vertragliche<br />
Pflegeverpflichtung des Hausübernehmers von der „Weiterleitung“<br />
des Pflegegeldes abhängig zu machen. 124<br />
120<br />
Plagemann/von der Decken, MAH Sozialrecht, 3. Aufl. 2009. § 33 Rn. 45.<br />
121<br />
Dies gilt also nicht <strong>bei</strong> einer vorübergehenden Verhinderungspflege nach § 39 SGB<br />
XI.<br />
122<br />
Demgegenüber beträgt die Pflegesachleistung monatlich in Pflegestufe I 440 Euro (ab<br />
1.1.2012: 450 Euro), <strong>bei</strong> Pflegestufe II 1.040 Euro (ab 1.1.2012: 1.100 Euro) und <strong>bei</strong><br />
Pflegestufe III 1.510 Euro (ab 1.1.2012: 1.550,-- Euro), wo<strong>bei</strong> sich der Betrag in<br />
Pflegestufe III in Härtefällen auf 1.918 Euro erhöhen kann.<br />
123<br />
KSW/Philipp, 2009, § 37 SGB XI Rn. 5.<br />
124<br />
Jerschke, in: Beck´sches Notar-Handbuch, 5. Aufl. 2009, A V Rn. 205 u. Langenfeld,<br />
in: Langenfeld/Günther, Grundstückszuwendungen zur lebzeitigen Vermögensnachfolge,<br />
6. Aufl. 2010, Kap. 4 Rn. 4.14.<br />
168
Bei dem Pflegegeld, das an den Pflegebedürftigen erbracht wird,<br />
handelt es sich um kein Einkommen i. S. des Einkommensteuerrechts;<br />
die Leistungen sind nach § 3 Nr. 1a EStG steuerfrei. Dies gilt auch,<br />
wenn diese Leistungen an Pflegepersonen weitergeleitet werden (§ 3<br />
Nr. 36 EStG). 125 Dies gilt ferner, wenn ein Anspruch auf Pflegegeld nicht<br />
besteht, nicht geltend gemacht wird oder <strong>bei</strong>spielsweise ein Geschwisterteil<br />
die Pflegeperson bezahlt, wenn damit Leistungen zur<br />
Grundpflege oder hauswirtschaftlichen Versorgung entlohnt werden, die<br />
Eltern pflegebedürftig i. S. des § 14 Abs. 1 SGB XI sind und es sich <strong>bei</strong><br />
der pflegenden Person um einen Angehörigen i. S. von § 15 AO oder<br />
eine Person handelt, die mit der Pflege eine sittliche Pflicht (§ 33 Abs. 2<br />
EStG) erfüllt. Steuerfrei sind Einnahmen bis zur Höhe des Pflegegeldes.<br />
Für den übersteigenden Betrag kommt eine Besteuerung als Einkünfte<br />
aus nichtselbstständiger Ar<strong>bei</strong>t oder als wiederkehrende Bezüge in Betracht,<br />
wenn es sich um eine steuerbare Leistung handelt; dies wird in<br />
der Regel <strong>bei</strong> einer Pflege durch Angehörige zu verneinen sein. 126<br />
Hintergrund ist, dass das weitergeleitete Pflegegeld lediglich eine<br />
finanzielle „Anerkennung“ darstellt 127 und keine adäquate Entlohnung; 128<br />
trotz des Erhalts des Pflegegelds bleibt die Verantwortung der Angehörigen<br />
daneben ergänzend bestehen.<br />
Beim Bezug von Pflegegeld besteht die gesetzliche Verpflichtung in<br />
abgestuften Zeiträumen entsprechend der Pflegestufe „Beratungseinsätze“<br />
zur Qualitätssicherung und pflegefachlichen Unterstützung<br />
ambulanter Pflegedienste abzurufen. Die Verpflichtung besteht jedoch<br />
nur, wenn der Pflegebedürftige ausschließlich Pflegegeld bezieht, nicht<br />
<strong>bei</strong> einer Kombinationsleistung. 129 Die Kosten der Beratungseinsätze<br />
werden von der Pflegekasse zusätzlich zum Pflegegeld bezahlt (§ 37<br />
Abs. 3 Satz 3 SGB XI). Kommt der Pflegebedürftige der Pflicht zum<br />
Abruf von Beratungseinsätzen nicht nach, kann das Pflegegeld in angemessenem<br />
Umfang gekürzt werden. Umgekehrt steht für Personen,<br />
<strong>bei</strong> denen ein erheblicher Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung und<br />
Betreuung festgestellt ist (§ 45a SGB XI), für die aber noch keine<br />
Pflegebedürftigkeit i. S. von 14 SGB XI vorliegt, Anspruch auf einen<br />
halbjährlichen Beratungsbesuch (§ 37 Abs. 3 Satz 5 SGB XI).<br />
125<br />
S. nur Schmidt/Heinicke, EStG, 29. Aufl. 2010, § 3 s. v. Pflegeversicherung/vergütungen;<br />
von Beckerath, in: Kirchhof, EStG, 9. Aufl. 2010, § 3 Rn. 69.<br />
126<br />
BFHE 189, 424 = , BStBl. II 1999, 776 = NJW 2000, 1815 = DStR 1999, 1807 =<br />
FamRZ 2000, 225.<br />
127<br />
Zur zusätzlichen sozialen Absicherung des pflegenden Angehörigen s. § 44 SGB XI.<br />
128<br />
Udsching, SGB XI, 3. Aufl. 2010, § 77 Rn. 9.<br />
129<br />
KSW/Philipp, 2009, § 37 SGB XI Rn. 6 a. E.<br />
169
Bei einer vollstationären Pflege 130 beschränken sich die Leistungen der<br />
Pflegeversicherung auf die pflegebedingten Aufwendungen, die Aufwendungen<br />
der sozialen Betreuung und die Aufwendungen für<br />
Leistungen der medizinischen Behandlungspflege (§ 43 Abs. 2 Satz 1<br />
SGB XI). Es handelt sich um Einrichtungen, die darauf zielen, die berufliche<br />
und soziale Eingliederung, die Ausbildung oder die Erziehung zu<br />
fördern. 131 Ein Anspruch auf Pflege in einer vollstationären Einrichtung<br />
besteht jedoch nur, wenn häusliche oder teilstationäre Pflege nicht<br />
möglich ist oder wegen der Besonderheit des einzelnen Falls nicht in<br />
Betracht kommt. Die Unmöglichkeit der häuslichen oder teilstationären<br />
Pflege kann auch auf dem Fehlen geeigneter Pflegepersonen oder<br />
familiären Spannungen beruhen. Gleichzeitig ist das Selbstbestimmungsrecht<br />
des Pflegebedürftigen zu beachten (§ 2 SGB XI).<br />
Faktisch besteht deshalb kein Nachrang der Heimunterbringung gegenüber<br />
anderen Pflegearten. Jeder Pflegebedürftige kann, unabhängig<br />
von der Pflegestufe, der er zugeordnet ist, stationäre Pflege wählen,<br />
sofern er hierfür einen sachlichen Grund hat. 132 Der bloße Wunsch des<br />
Pflegebedürftigen ist dagegen nicht ausreichend. 133 Wird trotz<br />
mangelnder Heimbedürftigkeit stationäre Pflege in Anspruch genommen,<br />
wird der Anspruch auf Leistungen der Pflegekasse auf die<br />
Höhe des Sachleistungsanspruchs <strong>bei</strong> häuslicher Pflege (§ 36 Abs. 3<br />
SGB XI) reduziert (§ 43 Abs. 4 SGB XI). Da die Leistungsbeträge <strong>bei</strong><br />
Unterbringung im Heim monatlich in der Pflegestufe I 1.023 Euro, in der<br />
Pflegestufe II 1.279 Euro und für Pflegebedürftige in der Pflegestufe III<br />
1.510 Euro (ab 1.1.2012 1.550 Euro) betragen, tritt <strong>bei</strong> der Pflegestufe<br />
III ein Nachteil <strong>bei</strong> einem Pflegebedürftigen wegen der Ansprüche nicht<br />
ein. Insofern geht der Gesetzeszweck, der Vermeidung des Abschiebens<br />
von pflegebedürftigen Personen, die keiner vollstationären<br />
Pflege bedürfen, in Heime ins Leere. 134 Zudem scheint die Kürzungsvorschrift<br />
in der Praxis keine Bedeutung zu haben. 135 Demgegenüber be-<br />
130<br />
Zur Unterscheidung von vollstationären Einrichtungen und der Hilfe für behinderte<br />
Menschen s. § 43a SGB XI.<br />
131<br />
Es muss sich allerdings um ein durch Versorgungsvertrag zugelassenes Pflegeheim<br />
handeln (§ 72 Abs. 2 SGB XI); andernfalls sind Leistungen nur unter den Ausnahmevoraussetzungen<br />
des § 13 Abs. 3 SGB V möglich, die für die stationäre Pflege kaum<br />
gegeben sein können (KSW/Philipp, 2009, § 43 SGB XI Rn. 5 u. Udsching, SGB XI,<br />
3. Aufl. 2010, § 43 Rn. 27).<br />
132<br />
Str., Udsching, SGB XI, 3. Aufl. 2010, § 43 Rn. 2; KSW/Philipp, 2009, § 43 SGB XI<br />
Rn. 4 u. 12; tlw. abw. Leitherer, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht,<br />
Stand: April 2010, § 43 SGB XI Rn. 17.<br />
133<br />
Birn, in: Otto/Gurgel (Hrsg.), Hdb. des Fachanwalts Sozialrecht, 2008, Kap. 13<br />
Rn. 206.<br />
134<br />
Udsching, SGB XI, 3. Aufl. 2010, § 43 Rn. 23.<br />
135<br />
So KSW/Philipp, 2009, § 43 SGB XI Rn. 12.<br />
170
steht für Versicherte mit erheblichem allgemeinen Betreuungsbedarf,<br />
deren versicherungsbezogener Pflegebedarf die Voraussetzungen der<br />
Pflegestufe I noch nicht erreicht, keine Möglichkeit Leistungen für eine<br />
vollstationäre Pflege zu erhalten. 136<br />
Bei der Heimunterbringung wird nochmals der Charakter der sozialen<br />
Pflegeversicherung als „Teilkaskomodell“ deutlich. Der Heimvertrag, der<br />
zwischen dem Pflegebedürftigen und dem Träger des Pflegeheims abgeschlossen<br />
wird, enthält die vier Entgeltbestandteile der Pflegevergütung,<br />
des Entgelts für Unterkunft (Reinigung, Heizung etc., nicht<br />
Miete), des Entgelts für die Verpflegung und der Investitionskosten, von<br />
denen die Pflegeversicherung lediglich die Pflegevergütung beschränkt<br />
auf die pflegestufenabhängigen Höchstbeträge erstattet. Das Gesetz<br />
sieht ferner eine weitere Begrenzung der Leistung auf 75 % des<br />
gesamten Heimentgelts, also die Summe der vier Entgeltbestandteile,<br />
vor; allerdings hat dies in der Praxis keine Bedeutung, weil diese<br />
Grenze infolge der erheblichen Höhe der Heimentgelte fast immer über<br />
den Beträgen liegt, die das Gesetz für die einzelnen Pflegestufen vorsieht.<br />
Die Kosten für die von der Pflegeversicherung nicht abgedeckten<br />
Entgeltbestandteile kann der Pflegebedürftige nicht aushandeln; ihre<br />
Bemessung erfolgt nach den sogenannten Pflegesätzen nach § 84<br />
Abs. 1 SGB XI.<br />
Aus der Pflegestatistik 2007 137 ergibt sich, dass im Dezember 2007<br />
671.000 Pflegebedürftige vollstationäre Dauerpflege erhalten haben.<br />
Der Anteil der Schwerstpflegebedürftigen (Pflegestufe III) betrug 21 %.<br />
Der Pflegesatz für vollstationäre Dauerpflege für Pflegestufe III betrug<br />
im Durchschnitt 71 Euro pro Tag, der für Unterkunft und Verpflegung 20<br />
Euro pro Tag. Monatlich waren somit für Verpflegung und Unterbringung<br />
in der höchsten Pflegestufe an das Heim rund 2.770 Euro als Vergütung<br />
zu entrichten. Hinzu kommen weitere Ausgaben für Zusatzleistungen<br />
und gesondert berechnete Investitionsaufwendungen. 138<br />
Bereits im Rahmen der Pflegekosten, also ohne Berücksichtigung der<br />
sogenannten Hotel- und Investitionskosten, ergeben sich somit Fehlbeträge.<br />
Die höchsten Heimkosten weisen Nordrhein-Westfalen und<br />
Hamburg auf. Die billigsten Heime bestehen in sind Sachsen-Anhalt und<br />
Niedersachsen. Bleibt <strong>bei</strong> vollstationärer Aufnahme in ein Pflegeheim<br />
eine Unterdeckung, die durch das Einkommen und Vermögen der Eltern<br />
136 Udsching, SGB XI, 3. Aufl. 2010, § 43 Rn. 2 a. E.<br />
137 Statistisches Bundesamt, Pflegestatistik 2007, 2009, S. 4 f.<br />
138 Nach Statistisches Bundesamt, Pflegestatistik 2007, 2009, S. 6 und Tabelle S. 15.<br />
171
nicht aufgebracht werden kann, könnte anlässlich der Hausübergabe<br />
eine Vereinbarung getroffen werden, wonach die Eltern verpflichtet sind,<br />
häusliche und gegebenenfalls ambulante Pflege in Anspruch zu<br />
nehmen, soweit dies nach Begutachtung des Medizinischen Dienstes<br />
möglich ist. Eine Aufnahme in ein Pflegeheim könnten die Eltern aufgrund<br />
dieser vertraglichen Vereinbarung dann nur fordern, wenn dies<br />
aus medizinischen Gründen geboten ist oder die Kosten langfristig von<br />
den Eltern selbst gedeckt werden können. Damit würde die Inanspruchnahme<br />
der Kinder entfallen. Allerdings verstößt diese Vereinbarung<br />
gegen das Selbstbestimmungsrecht der Eltern. Sie enthält zudem einen<br />
gemäß § 1614 Abs. 1 BGB unzulässigen Unterhaltsverzicht.<br />
2. Deckung des verbleibenden Fehlbetrages<br />
a) Einkommen und Vermögen – Grundsatz der Subsidiarität<br />
aa) Nachrang und Vermögensplanung<br />
Eltern, die ihre Immobilie an ein Kind übertragen haben, müssen die<br />
Kosten ihrer häuslichen Pflege und einer Heimunterbringung selbst<br />
tragen, soweit nicht Leistungen der Pflegeversicherung gewährt werden<br />
oder in der Überlassung Vereinbarungen mit den Kindern hinsichtlich<br />
der Pflege und der entsprechenden Kostenerstattung getroffen wurden.<br />
Nur soweit die Eltern hierzu nicht in der Lage sind, greift das staatliche<br />
Fürsorgesystem ein. Es handelt sich hier<strong>bei</strong> regelmäßig um die Sozialhilfe,<br />
da die Grundsicherung für Ar<strong>bei</strong>tssuchende nur erwerbsfähige<br />
Personen erhalten. 139 Sie dürfen zudem die Regelaltersgrenze 140 nicht<br />
erreicht haben. Sie ist bis 2012 <strong>bei</strong> Vollendung des 65. Lebensjahres<br />
erreicht; danach erhöht sie sich entsprechend der in § 7a SGB II enthaltenen<br />
Tabelle und beträgt für Geburtsjahrgänge ab 1964 67 Jahre.<br />
Bedeutung hat die Sozialhilfe – neben dem Bereich der Grundsicherung<br />
– vor allem für nicht gedeckte Pflegeheimkosten. Die Sozialhilfe wird –<br />
mit Ausnahme der Grundsicherung – von Amts wegen ab Kenntnis des<br />
Trägers der Sozialhilfe vom Bedarf gewährt (§ 18 SGB XII). Allerdings<br />
139<br />
§§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 8 Abs. 1 SGB II; vgl. hierzu Blüggel, in: Eicher/Spellbrink,<br />
SGB II, 2. Aufl. 2008, § 8 Rn. 28, wonach eine Krankheit oder Behinderung auf nicht<br />
absehbare Zeit, ab einem Zeitraum von mindestens sechs Monaten vorliegt, so dass<br />
<strong>bei</strong> einer Bejahung der Pflegebedürftigkeit nach § 14 SGB XI eine Erwerbsfähigkeit<br />
regelmäßig ausscheidet.<br />
140<br />
§§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 7a SGB II; vgl. hierzu Nakielski/Kerschbaumer, SozSich,<br />
2007, 85 ff.<br />
172
darf die Hilfe dem Empfänger auch nicht gegen seinen Willen aufgezwungen<br />
werden. 141 Auf die Sozialhilfe besteht grundsätzlich ein<br />
Rechtsanspruch (§ 17 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Deshalb ist es teilweise<br />
Praxis der Behörden, <strong>bei</strong> Vorhandensein von Grundbesitz Leistungen<br />
nur darlehensweise zu gewähren und hierfür eine Sicherung durch Eintragung<br />
eines Grundpfandrechts (kostenfrei) 142 zu fordern, rechtswidrig.<br />
Sozialhilfe erhält nur, wer sich selbst nicht helfen kann. Vorrangig sind<br />
insbesondere der Einsatz des Einkommens und des Vermögens (§ 2<br />
Abs. 1 SGB XII). Bevor der Hilfesuchende öffentliche Mittel in Anspruch<br />
nehmen kann, muss er sein Einkommen und Vermögen zur Bestreitung<br />
seines Bedarfs verwenden. Hierauf muss sich der Betroffene in seinem<br />
rechtsgeschäftlichen Verhalten einstellen. Er darf deshalb keine Vereinbarungen<br />
treffen, die ihn hilfsbedürftig machen. 143 Dem Sozialhilfeträger<br />
stehen zur Wiederherstellung des Nachrangs der Sozialhilfe der<br />
Regress durch Überleitung von Ansprüchen des Leistungsberechtigten<br />
(§ 93 SGB XII) und der Übergang von Unterhaltsansprüchen (§ 94 SGB<br />
XII) zu. Da die Sozialhilfe auf den aktuellen Bedarf abzielt (Bedarfsdeckungsprinzip),<br />
144 ist auch hinsichtlich des Nachrangs der Sozialhilfe<br />
als Einkommen dasjenige anzusetzen, was der Hilfesuchende in dem<br />
jeweiligen Bedarfszeitraum (Bedarfsmonat) erhält, ihm also zufließt. 145<br />
Vermögen ist hingegen das, was in dem Bedarfszeitraum schon vorhanden<br />
ist. Wegen des Bedarfsdeckungsprinzips ist der Hilfeempfänger<br />
umgekehrt grundsätzlich auch nicht zum Ersatz der Sozialhilfeleistungen<br />
verpflichtet, wenn er seine Bedürftigkeit überwunden hat und<br />
wieder selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen kann. 146 Ausnahmen<br />
bestehen dann, wenn der Hilfeempfänger die Voraussetzung für die<br />
Gewährung der Sozialhilfe durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges<br />
Verhalten her<strong>bei</strong>geführt hat (§ 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Eine weitere<br />
Ausnahme gilt für Erben (§ 102 SGB XII).<br />
Bei zielgerichteter Verminderung von Einkommen und Vermögen zum<br />
Zweck der Inanspruchnahme von Sozialhilfe ermöglicht § 26 Abs. 1<br />
Satz 1 Nr. 1 SGB XII die Einschränkung der Leistung auf das zum<br />
Lebensunterhalt Unerlässliche. Voraussetzung ist, dass der später<br />
Leistungsberechtigte sein Einkommen oder Vermögen in der Absicht<br />
141<br />
S. nur Muckel, Sozialrecht, 3. Aufl. 2009, § 13 Rn. 38.<br />
142<br />
§ 64 Abs. 2 SGB X; vgl. dazu Notarkasse A.d.ö.R. (Hrsg.), Streifzug durch die<br />
Kostenordnung, 8. Aufl. 2010, Rn. 681 f.<br />
143<br />
Schneider, in: Otto/Gurgel (Hrsg.), Hdb. des Fachanwalts Sozialrecht, 2008, Kap. 14<br />
Rn. 19.<br />
144<br />
S. nur BVerwGE, 58, 68, 70 u. BVerwGE 99, 114, 118.<br />
145<br />
BVerwG, NJW 1999, 3137.<br />
146<br />
Muckel, Sozialrecht, 3. Aufl. 2009, § 13 Rn. 31.<br />
173
vermindert hat, die Voraussetzung für die Gewährung oder Erhöhung<br />
von Sozialhilfe her<strong>bei</strong>zuführen. Erfasst werden hiervon auch die Fälle<br />
einer Vermögensminderung, wenn Vermögensgegenstände übertragen<br />
oder weggegeben werden, ohne dass hierfür eine äquivalente Gegenleistung<br />
erfolgt. 147 Es muss sich aber um ein aktives Tun hinsichtlich<br />
dieser Lage handeln. 148 Ältere Immobilieneigentümer, die über kein<br />
sonstiges Vermögen verfügen und gesundheitlich „angeschlagen“ sind,<br />
vermindern notwendigerweise durch die Übertragung ihres wesentlichen<br />
Vermögensgegenstandes auf ein Kind ihr Vermögen und erhöhen<br />
dadurch das Risiko der späteren Notwendigkeit von Inanspruchnahme<br />
von Sozialhilfe erheblich. Zusätzlich ist jedoch hinsichtlich der Handlung,<br />
die zur Vermögensminderung führt, ein leichtfertiges oder unlauteres<br />
Verhalten erforderlich. 149 Ferner muss die Handlung mit<br />
direktem Vorsatz vorgenommen werden. Nur dann kann die Absicht<br />
vorliegen, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung der<br />
Sozialhilfeleistung her<strong>bei</strong>zuführen. 150 Wer „auf großem Fuß“ lebt, erfüllt<br />
die Voraussetzungen nicht, da allein ein sozialwidriges Verhalten hierfür<br />
nicht genügt. Der Leistungsberechtigte muss zumindest auch in der<br />
Absicht gehandelt haben, sozialhilfebedürftig zu werden. Dies ist nicht<br />
der Fall, wenn sich der Leistungsberechtigte zwar über den möglichen<br />
Eintritt der Hilfebedürftigkeit bewusst ist, er aber mit der Übertragung<br />
seiner Immobilie altruistische Absichten verfolgt. 151 Insofern regelt das<br />
Zivilrecht, wann ein Anspruch auf Rückgewähr der Schenkung besteht.<br />
Weitgehend ungeklärt ist bisher das Verhältnis der Vorschriften des<br />
Sozialhilferechts zu § 138 BGB. Grundsätzlich können nämlich Rechtsgeschäfte,<br />
die nach Inhalt, Zweck und Beweggrund in erster Linie<br />
darauf angelegt sind, Vermögensverhältnisse zum Schaden der Sozialhilfeträger<br />
und damit auf Kosten der Allgemeinheit zu regeln, gegen die<br />
guten Sitten verstoßen, wenn nicht besondere Rechtfertigungsgründe<br />
vorliegen. 152 Betroffen sind von dieser Rechtsprechung vor allem Unter-<br />
147<br />
Ehmann, in: MAH Sozialrecht, 3. Aufl. 2009, § 38 Rn. 150.<br />
148<br />
Streichsbier, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 26 Rn. 5.<br />
149<br />
Str., wie hier Streichsbier, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 26 Rn. 5.<br />
150<br />
Streichsbier, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 26 Rn. 5 u.<br />
KSW/Coseriu, 2009, § 26 SGB XII Rn. 3; Hohm, in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm,<br />
SGB XII, 17. Aufl. 2006, § 26 Rn. 11 u. Conradis, in: LPK-SGB XII, 8. Aufl. 2008, § 26<br />
Rn. 6.<br />
151<br />
So LSG Berlin-Brandenburg, NotBZ 2008, 242 = ZEV 2008, 547 u. KSW/Coseriu,<br />
2009, § 26 SGB XII Rn. 3.<br />
152<br />
Vgl. BGHZ 86, 82, 86; BGH, NJW 1985, 1835, 1836; BGHZ 111, 36, 40 ff.; BGH,<br />
NJW 1991, 913, 914; BGH, NJW 1992, 3164, 3165; BGH, NJW 2007, 904 = DNotZ<br />
2007, 128 u. BGHZ 178, 322 = NJW 2009, 842 u. OVG Greifswald, NordÖR 1998,<br />
206. S. auch Krauß, in: Beck´sches Notar-Handbuch, 5. Aufl. 2009, A V Rn. 237 c.<br />
174
haltsverzichte in Eheverträgen und Scheidungsvereinbarungen. Für die<br />
Bejahung der Sittenwidrigkeit ist das Vorliegen einer Schädigungsabsicht<br />
nicht erforderlich. 153 Ausreichend ist, wenn der verzichtende Teil<br />
zwingend Sozialhilfe in Anspruch nehmen muss und dies <strong>bei</strong> Beurkundung<br />
des Vertrages den Parteien bekannt ist. Beispiel ist, dass der<br />
verzichtende Partner weder erwerbsfähig ist noch über nennenswertes<br />
Vermögen verfügt. 154 Gleiches gilt, wenn die Verpflichtung zur Zahlung<br />
dazu führt, dass der zahlungspflichtige Teil finanziell nicht mehr in der<br />
Lage ist, seine eigene Existenz zu sichern und deshalb ergänzender<br />
Sozialleistungen bedarf. 155 Dagegen soll eine ehebedingte Zuwendung<br />
während intakter Ehe, die dazu führt, dass nach der Scheidung der<br />
verarmte Ehemann Sozialhilfe erhält, nicht sittenwidrig sei. 156 Praktische<br />
Bedeutung hat die Frage des sittenwidrigen Handelns zu Lasten der<br />
Sozialhilfe ferner auch im Erbrecht erlangt. Höchst umstritten ist die<br />
Frage, ob die Ausschlagung einer Erbschaft durch einen Sozialhilfeempfänger,<br />
die dessen Hilfebedürftigkeit fortbestehen lässt, sittenwidrig<br />
ist. Dies wird von der wohl überwiegenden Ansicht bejaht. 157 Das OLG<br />
Hamm 158 nimmt einen Verstoß gegen die Sitten an, wenn nicht ausnahmsweise<br />
legitime Interessen des Erben geeignet sind, die Ausschlagung<br />
nachvollziehbar zu motivieren, da der Sozialhilfeempfänger<br />
für sich die durch das Sozialstaatsprinzip verbürgte Solidarität der staatlichen<br />
Gemeinschaft in Anspruch nimmt und umgekehrt durch die Ausschlagung<br />
der Gemeinschaft eben diese Solidarität seinerseits verweigert.<br />
159 Demgegenüber wurde das sogenannte Behindertentesta-<br />
153 BGHZ 86, 82, 88; BGH, NJW 1992, 3164; BGH, NJW 1994, 248 u. BGH, DNotZ,<br />
2007, 128 = FamRZ 2007, 197 = FuR 2007, 81 = JuS 2007, 778 = MDR 2007, 526 =<br />
NJW 2007, 904 = NotBZ 2007, 53.<br />
154 S. auch Staudinger/Sack, BGB, Neubearb. 2003, § 138 Rn. 360 a. E. u. Bredthauer,<br />
in: Scholz/Stein, Praxishandbuch Familienrecht, Stand: Okt. 2009 Teil T Rn. 45d.<br />
155 BGHZ 178, 322 = DNotZ 2009, 294 = FamRZ 2009, 198 = FF 2009, 72 = FPR 2009,<br />
48 = FuR 2009, 106 = JuS 2009, 1153 = MDR 2009, 266 = MittBayNot 2009, 152 =<br />
NJW 2009, 842 = NotBZ 2009, 63.<br />
156 Vgl. KG, FamRB 2010, 1, das mangels Schenkung eine Rückforderung nach § 528<br />
BGB verneint.<br />
157 OLG Stuttgart, BWNotZ 2002, 65 = FGPrax 2001, 199 = = NJW 2001, 3484 = ZEV<br />
2002, 367; OLG Hamm, ZEV 2009, 471 = NJW-RR 2010, 83 = RNotZ 2009, 603 =<br />
notar 2009, 491; ablehnend LG Aachen, NJW-RR 2005, 307; Mayer, ZEV 2002, 369,<br />
370; Ivo, FamRZ 2003, 6 ff.; MünchKommBGB/Armbrüster, 5. Aufl. 2006, § 138<br />
Rn. 45; Staudinger/Otte, BGB, Neubearb. 2008, § 1942 Rn. 22.<br />
158 OLG Hamm, ZEV 2009, 471 = NJW-RR 2010, 83 = RNotZ 2009, 603 = notar 2009,<br />
491.<br />
159 Zur Einschränkung der Entschließungsfreiheit des Pflichtteilsberechtigten durch die<br />
Möglichkeit der Überleitung des Pflichtteilsanspruchs auf den Sozialhilfeträger unabhängig<br />
von dessen Geltendmachung s. BGH, ZEV 2005, 117 = RNotZ 2005, 176;<br />
BGH, MittBayNot 2006, 340 u. Menzel, Entschließungsfreiheiten im Erbrecht und<br />
Drittinteressen, 2008, S. 193 ff.; s. zur umgekehrten Entscheidung im Insolvenzrecht<br />
175
ment als sittenkonform angesehen. 160 Der Grundsatz der Testierfreiheit<br />
und die Motivation, die eigenen Kinder über die Möglichkeiten des<br />
Sozialrechts hinaus zu begünstigen, sollen der Verfügung die Sittenwidrigkeit<br />
nehmen. Nach anderer Ansicht begründet das Nachrangprinzip<br />
keine Verpflichtung Dritter, einem Bedürftigen zu helfen. 161<br />
Allerdings sind <strong>bei</strong> der parallelen Gestaltung des sogenannten „Überschuldeten-<br />
bzw. Bedürftigen-Testaments“ zum Schutz des Nachlasses<br />
vor dem Träger der Sozialhilfe Bedenken erhoben worden. 162 Seine<br />
Entscheidung, 163 die im Bereich des SGB II ergangen ist, hat das SG<br />
Dortmund damit begründet, dass die Testierfreiheit nicht soweit gehen<br />
könne, dass dem Erben sämtliche Annehmlichkeiten (Hobbies, Reisen<br />
usw.) aus dem Nachlass finanziert würden, während für den Lebensunterhalt<br />
der Steuerzahler aufkommen müsse. Die Frage der Sittenwidrigkeit<br />
von Hausübertragungen ist somit noch nicht völlig geklärt. 164<br />
Es dürfte insoweit auf den Einzelfall ankommen. Bei einem normalen<br />
Vermögen und lediglich dem allgemeinen Pflegerisiko dürfte eine<br />
Sittenwidrigkeit der Hausübertragung selbst dann zu verneinen sein,<br />
wenn durch die <strong>Vertragsgestaltung</strong> versucht wird, das Familienheim der<br />
Familie zu erhalten. Insofern ist schließlich auch das Argument des<br />
BGH zu den sogenannten Behindertentestamenten zutreffend, dass der<br />
Grundsatz der Subsidiarität der Sozialhilfe durch die Einführung von<br />
Schonvermögen durch den Gesetzgeber selbst mehrfach in erheblichem<br />
Maße durchbrochen wurde. 165<br />
bb) Sozialhilfeleistungen <strong>bei</strong> stationärer Pflege<br />
Die Sozialhilfeleistungen unterteilen sich in die Hilfe zum Lebensunterhalt<br />
und die Hilfen zur Bewältigung einzelner Bedarfssituationen (früher:<br />
Hilfen in besonderen Lebenslagen). Hilfe zum Lebensunterhalt wird<br />
Personen gewährt, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder<br />
nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus<br />
BGH, DNotZ 2009, 862 = FamRZ 2009, 1485 = MDR 2009, 1191 = MittBayNot 2010,<br />
52 = NJW-RR 2010, 121 = NZI 2009, 563 = WM 2009, 1517 = ZEV 2009, 469 =<br />
ZinsO 2009, 1461.<br />
160<br />
BGHZ 111, 36, 42 = NJW 1990, 2055; BGHZ 123, 368; BGH, NJW 1994, 248, 250 =<br />
ZEV 1994, 35 u. zuletzt OLG Köln, RNotZ 2010, 139.<br />
161<br />
So Leipold, ZEV 2009,472, 473.<br />
162<br />
SG Dortmund, ZEV 2010, 54 = NJW-Spezial 2009, 760.<br />
163<br />
SG Dortmund, ZEV 2010, 54 = NJW-Spezial 2009, 760; vgl. hierzu krit. Tersteegen,<br />
MittBayNot 2010, 105 ff.; vgl. auch LSG Baden-Württemberg, ZEV 2008, 147;<br />
Werz/Sager, ErbStB 2009, 361 ff. u. Wendt, ZNotP 2008, 1, 3.<br />
164<br />
S. auch VGH Kassel, NVwZ-RR 1996, 511, 512; OLG Frankfurt/Main, NJOZ 2005,<br />
976 u. Schwarz, JZ 1997, 545 ff.<br />
165<br />
BGHZ 111, 3642; BGHZ 123, 368, 376 u. BGH, NJW 1994, 248, 250.<br />
176
ihrem Einkommen und Vermögen, beschaffen können (§ 19 Abs. 1 Satz<br />
1 SGB XII). Es werden diejenigen Mittel gewährt, die zur Bestreitung<br />
des notwendigen Lebensunterhalts erforderlich sind. Dieser umfasst<br />
insbesondere Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat,<br />
Heizung und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens (§ 27 Abs. 1<br />
SGB XII). Außerhalb von Einrichtungen wird der notwendige Lebensunterhalt<br />
durch die pauschalierten Regelsätze grundsätzlich abgedeckt<br />
(§ 28 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). 166 Davon ausgenommen sind Leistungen<br />
für Unterkunft und Heizung (§ 29 SGB XII). 167 Personen die das 65.<br />
Lebensjahr vollendet haben, wird ein Mehrbedarf zuerkannt (§ 30 Abs. 1<br />
SGB XII). Bei Unterbringung in einer stationären Einrichtung wird statt<br />
einer Geldleistung die Leistung als Sachleistung erbracht. Der notwendige<br />
Lebensunterhalt in Einrichtungen umfasst den darin erbrachten<br />
sowie zusätzlich einen weiteren notwendigen Lebensunterhalt (§ 35<br />
Abs. 1 SGB XII). Der weitere notwendige Lebensunterhalt der durch die<br />
in der Einrichtung erbrachten Sachleistungen nicht gedeckt wird, betrifft<br />
insbesondere Kleidung und einen angemessenen Barbetrag ("Taschengeld");<br />
dieser beträgt mindestens 27 % des Eckregelsatzes 168 ) und steht<br />
zur persönlichen Verfügung. Die in der Einrichtung zu leistende Hilfe<br />
zum Lebensunterhalt zählt damit – anders als nach früherer Rechtslage<br />
– nicht mehr zur Hilfe in besonderen Lebenslagen bzw. zu den Hilfen<br />
zur Bewältigung einzelner Bedarfssituationen.<br />
Die Hilfe zur Pflege als Hilfe in einer besonderen Lebenslage (§ 8 Nr. 5<br />
SGB XII) ist als Auffangordnung für den Fall konzipiert, dass die vorrangige<br />
soziale Pflegeversicherung keine Anwendung findet. Da die<br />
Leistungen der Pflegeversicherung nicht vom Bedarfsdeckungsprinzip<br />
ausgehen, sondern "gedeckelt" sind, kommen Leistungen der Hilfe zur<br />
Pflege grundsätzlich ergänzend zu den Leistungen der sozialen Pflegeversicherung<br />
in Betracht. 169 Betroffen ist der von der Pflegeversicherung<br />
nicht gedeckte Pflegebedarf. Zusätzlich wird der Begriff der Pflegebedürftigkeit<br />
im Bereich der Sozialhilfe erweitert. Dies erfolgt zum einen<br />
in zeitlicher Hinsicht, nämlich für einen Pflegebedarf, der voraussichtlich<br />
für weniger als sechs Monate besteht, und zum anderen auch für eine<br />
166 Vgl. aber BVerfG, BeckRS 2010, 46077 = DVBl. 2010, 314 = EuGRZ 2010, 121 =<br />
FamRB 2010, 119 = FamRZ 2010, 429 = KommJur 2010, 137 = NJW 2010, 505 =<br />
NZS 2010, 270.<br />
167 Zu ihnen gehören auch unterkunftsbezogene Nebenkosten (wie Müllabfuhr, Grundsteuer,<br />
Kaminkehrer, nicht jedoch Kosten für Strom, Gas, Warmwasser, Kaltwasser).<br />
168 KSW/Coseriu, 2009, § 35 SGB XII Rn. 6.<br />
169 BVerwGE 111, 241 = NJW 2000, 3512. Da das SGB II keine Leistungen für Bedarfslagen<br />
kennt, können Hilfe zur Pflege auch Personen erhalten, die unter das SGB II<br />
fallen.<br />
177
Pflegebedürftigkeit, die unterhalb der Pflegestufe I angesiedelt ist (sog.<br />
Pflegestufe 0). 170 Zudem ist eine Erweiterung des Kreises der maßgeblichen<br />
Krankheiten und Behinderungen erfolgt (§ 61 Abs. 3 Nr. 4 SGB<br />
XII); ein Anspruch auf Hilfe zur Pflege besteht auch dann, wenn sich der<br />
Hilfebedarf auf andere Verrichtungen als die Katalog-Verrichtungen des<br />
§ 61 Abs. 5 SGB XII bezieht. Für die Unterbringung im Pflegeheim ist<br />
allerdings wichtig, dass § 61 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbs. SGB XII diese<br />
Erweiterung für Hilfen in Einrichtungen wieder einschränkt. Ein Anspruch<br />
auf Hilfe besteht insoweit nur, wenn eine derartige Hilfe nach<br />
den Besonderheiten des Einzelfalls erforderlich ist. Auch hier wird<br />
wiederum der Nachranggrundsatz ausdrücklich hervorgehoben, nämlich<br />
dass ambulante oder teilstationäre Hilfen nicht zumutbar sind oder nicht<br />
ausreichen. Damit wird nochmals der grundsätzliche Vorrang<br />
ambulanter Hilfen betont. 171 Dies gilt nicht wenn die ambulante Leistung<br />
mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden und die stationäre<br />
Unterbringung zumutbar ist (§ 13 Abs. 1 Satz 3 SGB XII, Mehrkostenvorbehalt).<br />
Da<strong>bei</strong> sind hinsichtlich der Zumutbarkeit die persönlichen,<br />
familiären und örtlichen Verhältnisse zu beachten (§ 13 Abs. 1 Satz 5<br />
SGB XII).<br />
Während des Aufenthalts in einer stationären Einrichtung besteht kein<br />
Anspruch auf häusliche Pflege. Anders ist dies <strong>bei</strong> Unterbringung im<br />
Betreuten Wohnen, 172 in dem der Betreffende seinen Haushalt weitgehend<br />
selbstständig führt. 173 Die Hilfe zur Pflege ist gegenüber<br />
anderen Leistungen nachrangig; dies gilt auch gegenüber der Sachleistung<br />
nach § 36 SGB XII, die voll in Anspruch genommen werden<br />
muss, bevor vom Sozialhilfeträger ergänzende Kosten übernommen<br />
werden. 174<br />
cc) Die Grundsicherung im Alter<br />
Da sich der spätere sozialhilferechtliche Rückgriff zur Geltendmachung<br />
des Nachranggrundsatzes in der Praxis häufig gegen Kinder des Hilfeempfängers<br />
richtet, die familienrechtlich zum Unterhalt für ihre Eltern<br />
herangezogen werden, haben viele hilfsbedürftige Menschen, um dies<br />
170<br />
§ 61 Abs. 1 Satz 2 SGB XII; BSGE 85, 278, 287; vgl. KSW/Rixen, 2009, § 61 SGB XII<br />
Rn. 2 u. Grube, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 61 Rn. 11.<br />
171<br />
Vgl. § 13 Abs. 1 Satz 2 SGB XII.<br />
172<br />
Insoweit kommt die Gewährung häuslicher Pflegeleistungen in Betracht (KSW/Rixen,<br />
2009, § 67 SGB XII Rn. 6).<br />
173<br />
§ 63 Satz 3 SGB XII; vgl. Grube, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 63<br />
Rn. 8.<br />
174<br />
KSW/Rixen, 2009, § 67 SGB XII Rn. 6.<br />
178
zu vermeiden, keinen Antrag auf Sozialhilfe gestellt und in verdeckter<br />
Altersarmut 175 gelebt. Dies soll die Grundsicherung im Alter (§§ 41 ff.<br />
SGB XII) vermeiden. Sie kann von Personen, die die Altersgrenze erreicht<br />
haben, beantragt werden. 176 Dies ist <strong>bei</strong> vor dem 1.1.1947 geborenen<br />
Personen mit Erreichen des 65. Lebensjahres der Fall (§ 41<br />
Abs. 2 Satz 2 SGB XII). Für danach geborene Personen steigt die<br />
Altersgrenze bis zum Geburtsjahrgang ab 1964 auf 67 Jahre an (§ 41<br />
Abs. 2 Satz 3 SGB XII). Nicht maßgeblich ist, ob eine Rente der gesetzlichen<br />
Rentenversicherung bezogen wird oder eine derartige Berechtigung<br />
besteht. Deshalb können <strong>bei</strong>spielsweise auch Selbstständige<br />
leistungsberechtigt sein. 177 Die Leistungen orientieren sich im Wesentlichen<br />
an den Regelsätzen der Sozialhilfe.<br />
Die Leistung der Grundsicherung wird – anders als die Sozialhilfe im<br />
Übrigen – nur auf Antrag gewährt (§ 41 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Voraussetzung<br />
ist, dass der Betreffende seinen notwendigen Lebensbedarf<br />
nicht aus Einkommen und Vermögen decken kann. Auch hier ist Einkommen<br />
dasjenige, was der Antragsteller in der Bedarfszeit wertmäßig<br />
erhält, während Vermögen dasjenige ist, was er zu Beginn der Bedarfszeit<br />
bereits hat. 178<br />
Entsprechend dem Zweck der Grundsicherung im Alter bleiben Unterhaltsansprüche<br />
der Antragsberechtigten gegenüber ihren Eltern und<br />
ihren Kindern insoweit unberücksichtigt, als deren jährliches Gesamteinkommen<br />
(§ 16 SGB IV) unter einem Betrag von 100.000 Euro liegt<br />
(§ 43 Abs. 2 Satz 1 SGB XII). Der Wortlaut dieser Unterhaltsprivilegierung<br />
bezieht sich nur auf Unterhaltsansprüche gegenüber<br />
Eltern und Kindern; allerdings schließt § 94 Abs. 1 Satz 3 SGB XII einen<br />
Übergang von Unterhaltsansprüchen aus, wenn die unterhaltsberechtigte<br />
Person zum Personenkreis des § 19 SGB XII gehört oder<br />
die unterhaltspflichtige Person mit der leistungsberechtigten Person<br />
vom zweiten Grad an verwandt ist. Hinzugefügt ist, dass der Übergang<br />
des Anspruchs des Leistungsberechtigten <strong>bei</strong> der Grundsicherung<br />
gegenüber Kindern und Eltern ausgeschlossen ist. Diese Formulierung<br />
lässt den Streit, ob die Unterhaltsprivilegierung auch auf Verwandte<br />
175 Vgl. BT-Drs. 14/4595 S. 39.<br />
176 In gleicher Weise gilt dies für Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und<br />
dauerhaft voll erwerbsgemindert sind (§ 41 Abs. 1 Satz 1, § 41 Abs. 3 SGB XII, § 43<br />
Abs. 2 SGB VI).<br />
177 S. nur Deibel, NWVBl. 2003, 44, 46.<br />
178 Vgl. dazu oben Ziff. 2. a, aa sowie BVerwGE 108, 269 = NVwZ 1999, 653 = ZIP 1999,<br />
538 u. Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 41 Rn. 10.<br />
179
zweiten und höheren Grades auszudehnen ist, weiter bestehen. 179 Die<br />
Nichtberücksichtigung von Unterhaltsansprüchen betrifft zudem nicht<br />
tatsächlich erbrachte Unterhaltsleistungen; sie sind, sofern sie nicht nur<br />
deshalb erbracht werden, weil der Hilfeträger noch nicht entschieden<br />
hat, bedarfsdeckend oder als Einkommen zu berücksichtigen.<br />
Zu beachten ist, dass im Bereich der Grundsicherung verschiedene<br />
Einkommensbegriffe verwendet werden. Hinsichtlich des Einkommens<br />
des Leistungsberechtigten gilt der sozialhilferechtliche Einkommensbegriff.<br />
Bezüglich der Entscheidung über die Heranziehung Unterhaltspflichtiger<br />
ist hingegen der einkommensteuerrechtliche Einkommensbegriff<br />
maßgebend. Es handelt sich um das Bruttogesamteinkommen,<br />
nämlich die Summe der Einkünfte im Sinne des Einkommensteuergesetzes.<br />
Hierzu gehören neben den Einkünften aus selbstständiger<br />
und unselbstständiger Tätigkeit auch z. B. Einkünfte aus Vermietung<br />
und Verpachtung sowie Kapitalerträge sowie Einkünfte aus Leibrenten<br />
oder sonstigen monatlich wiederkehrenden Zahlungen. Werbungskosten<br />
können abgesetzt werden. Sonderausgaben und außergewöhnliche<br />
Belastungen, insbesondere vorrangige Unterhaltspflichten,<br />
mindern die Einkünfte dagegen nicht.<br />
Es kommt auf das Einkommen jedes einzelnen Unterhaltspflichtigen an.<br />
Das Einkommen mehrerer Kinder darf da<strong>bei</strong> nicht zusammengerechnet<br />
werden. 180 Das Gesetz (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB XII) enthält die<br />
widerlegliche Vermutung, dass das Einkommen der Unterhaltspflichtigen<br />
die vorgenannte Grenze nicht überschreitet. Bei hinreichenden<br />
Anhaltspunkten (z. B. hochqualifizierter Beruf, umfangreiche<br />
Mietobjekte) kann vom Betreffenden Auskunft verlangt und die Vermutung<br />
widerlegt werden. Eine generelle Überprüfung der Einkommensverhältnisse<br />
der Kinder ist jedoch <strong>bei</strong> einem Antrag auf<br />
Grundsicherung nicht vorgesehen, sondern erst gerechtfertigt, wenn<br />
diesbezügliche Anhaltspunkte vorliegen. In diesem Fall entfällt der Anspruch<br />
auf Grundsicherung im vollen Umfang. 181<br />
179 Verneinend Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 43 Rn. 11 a.<br />
E. u. KSW/Kreikebohm, § 43 SGB XII Rn. 6.<br />
180 Ehmann, in: MAH Sozialrecht, 3. Aufl. 2009, § 38 Rn. 42; Wahrendorf, in:<br />
Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 43 Rn. 13 u. Klinkhammer, FamRZ<br />
2002, 997, 999. Umstritten ist, ob <strong>bei</strong> den Elternteilen ein Zusammenrechnen des<br />
Einkommens erfolgen soll, was wohl zu verneinen ist (Schoch, in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm,<br />
SGB XII, 17. Aufl. 2006, § 43 Rn. 9).<br />
181 Dies betrifft allerdings nicht den Ausschluss der Sozialhilfe, nämlich der Hilfe zum<br />
Lebensunterhalt insgesamt, wenn der Betroffene keine Leistungen vom Unterhalts-<br />
180
Die Grundsicherung enthält noch eine weitere Einschränkung des<br />
sozialhilferechtlichen Nachrangprinzips. Auch der Ersatz der Kosten<br />
durch die Erben ist nämlich <strong>bei</strong> Leistungen der Grundsicherung ausgeschlossen<br />
(§ 102 Abs. 5 SGB XII).<br />
Keinen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung haben Antragsberechtigte,<br />
die in den letzten zehn Jahren ihre Bedürftigkeit vorsätzlich<br />
oder grob fahrlässig her<strong>bei</strong>geführt haben (§ 41 Abs. 4 SGB XII). Nach<br />
dem Willen des Gesetzgebers 182 soll die missbräuchliche Inanspruchnahme<br />
von Grundsicherungsleistungen verhindert werden. Gedacht ist<br />
hier<strong>bei</strong> an Fälle, in denen Personen ihr Vermögen ohne Rücksicht auf<br />
die Notwendigkeit von Rücklagen für das Alter verschleudern oder verschenken.<br />
183 Es kommt hier<strong>bei</strong> allein auf das Verhalten der antragsberechtigten<br />
Person an, nicht auf dasjenige ihm nahestehender<br />
Personen wie z. B. Ehegatten und Kinder. Vorsätzlich oder grob fahrlässig<br />
ist das Verhalten des betreffenden Elternteils, wenn die Notwendigkeit<br />
der Unterstützung zum Lebensunterhalt von ihm vorausgesehen<br />
wurde oder zumindest sicher hätte vorausgesehen werden<br />
müssen. Grobe Fahrlässigkeit setzt voraus, dass er die erforderliche<br />
Sorgfalt in besonderem Maße verletzt. Er muss sich ferner der Rechtswidrigkeit<br />
seines Handelns bewusst gewesen sein, das heißt er hätte<br />
zumindest erkennen müssen, dass er einen Anspruch auf Grundsicherung<br />
durch sein Verhalten her<strong>bei</strong>führt. Umstritten ist, ob zusätzlich<br />
ein Unwerturteil in Form eines sozialwidrigen Verhaltens zu fordern<br />
ist. 184 Beispiel ist der Verzicht auf eine mögliche Altersvorsorge <strong>bei</strong><br />
selbstständig tätigen Personen. Inwieweit auch eine Schenkung von<br />
Eltern hinsichtlich ihres Immobilienvermögens, das einen Teil der<br />
Alterssicherung ausmacht, zum Anspruchsausschluss führt, ist fraglich.<br />
Grundsätzlich sind hier<strong>bei</strong> die konkreten Einzelfalls zu berücksichtigen.<br />
Das Zivilrecht sieht bereits innerhalb von zehn Jahren nach der<br />
Schenkung eine Rückforderung <strong>bei</strong> Bedürftigkeit des Schenkers vor. 185<br />
Auch wegen dieser Wertung sollen Immobilienübertragungen an Kinder<br />
pflichtigen erhält; in diesem Fall geht der Unterhaltsanspruch gegen den Unterhaltsschuldner<br />
auf den Sozialhilfeträger kraft Gesetzes über (§ 94 SGB XII).<br />
182 Vgl. BT-Drs. 14/5140 S. 49; vgl. auch Schoch, ZfF 2003, 11 f.<br />
183 S. nur Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 41 Rn. 29.<br />
184 Bejahend Deibel, NWVBl. 2003, 44, 51 u. Ehmann, in: MAH Sozialrecht,<br />
3. Aufl. 2009, § 38 Rn. 47. Verneinend Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII,<br />
3. Aufl. 2010, § 42 Rn. 29 u. KSW/Kreikebohm, § 42 SGB XII Rn. 18.<br />
185 Fälle, in denen wesentliches Vermögen auf unterhaltspflichtige Kinder vor dem Hintergrund<br />
übertragen wird, dass ein unterhaltsrechtlicher Rückgriff <strong>bei</strong> der Grundsicherung<br />
weitgehend ausgeschlossen ist, können zum Anspruchsausschluss führen<br />
(Ehmann, in: MAH Sozialrecht, 3. Aufl. 2009, § 38 Rn. 48).<br />
181
egelmäßig nicht unter die sozialhilferechtliche Missbrauchsvorschrift<br />
fallen. Derartige Verfügungen erfolgen zudem aus familiären Gründen<br />
und nicht im Hinblick auf eine missbräuchliche Inanspruchnahme der<br />
Grundsicherung. Von einer sozialen Adäquanz wird da<strong>bei</strong> insbesondere<br />
dann ausgegangen, wenn dem Schenker ein lebenslanges, unentgeltliches<br />
Wohn- oder Nießbrauchsrecht eingeräumt wird. Die Sozialadäquanz<br />
wird in diesem Zusammenhang deshalb bejaht, weil diese<br />
Rechte nach dem sozialrechtlichen Schriftum <strong>bei</strong>m Pflegeheimaufenthalt<br />
der Eltern bewertet werden können. 186<br />
Maßgeblich für den Lauf der Zehnjahresfrist ist der Zeitpunkt der Vornahme<br />
der Handlung. Ob es insoweit <strong>bei</strong> einer Immobilienzuwendung<br />
auf den Zeitpunkt des Abschlusses des schuldrechtlichen Vertrages<br />
oder den grundbuchamtlichen Vollzug ankommt, ist ungeklärt. 187 Liegt<br />
der entsprechende Vorgang innerhalb der Zehnjahresfrist, wird mitunter<br />
versucht, durch freiwillige Zuwendung von Mitteln die Bedürftigkeit der<br />
Eltern so lange hinauszuschieben, bis der Zehnjahreszeitraum verstrichen<br />
ist. Das diesbezügliche Zusammenwirken der Eltern mit dem<br />
Kind, das allein das Ziel hat, den Ablauf der Zehnjahresfrist her<strong>bei</strong>zuführen,<br />
ist als sozialwidriges Verhalten einzustufen, 188 das zum Ausschluss<br />
der Grundsicherung nach § 41 Abs. 4 SGB XII führt.<br />
Die Grundsicherung deckt lediglich die Kosten des notwendigen<br />
Lebensbedarfs. Besonderheiten im Verhältnis zu "normalen" Sozialhilfegewährung<br />
nach den §§ 28 ff. SGB XII bestehen nicht (§ 42 SGB<br />
XII). Eine Verweisung auf § 35 SGB XII enthält das Gesetz nicht.<br />
Lediglich hinsichtlich Aufwendungen für Unterkunft und Heizung wird<br />
geregelt, dass <strong>bei</strong> stationärer Unterbringung Beträge in Höhe der durchschnittlich<br />
angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für die Warmmiete<br />
eines Ein-Personen-Haushalts im Bereich der zuständigen Behörde<br />
(§ 98 SGB XII) zugrunde zu legen sind (§ 42 Satz 1 Nr. 2 SGB<br />
XII). Gleichwohl wird man davon ausgehen können, dass es sich <strong>bei</strong> der<br />
fehlenden Verweisung auf § 35 SGB XII hinsichtlich des notwendigen<br />
Lebensunterhalts in stationären Einrichtungen um ein Redaktionsversehen<br />
handelt und somit auch im Grundsicherungsrecht z. B. eine angemessene<br />
Kleidung und ein kleiner Barbetrag als Taschengeld an<br />
Personen, die die Grundsicherung erhalten, zu erbringen sind. 189<br />
186 So ausdrücklick Ehmann, in: MAH Sozialrecht, 3. Aufl. 2009, § 38 Rn. 48.<br />
187 Zur entsprechenden Frage <strong>bei</strong> § 528 BGB s. lit. b, bb.<br />
188 So Ehmann, in: MAH Sozialrecht, 3. Aufl. 2009, § 38 Rn. 52.<br />
189 Ebenso KSW/Kreikebohm, § 42 SGB XII Rn. 3.<br />
182
) Verwertung des eigenen Einkommens und Vermögens<br />
aa) Austragsleistungen als Einkommen?<br />
Eltern, die ins Pflegeheim kommen, müssen zur Deckung der anfallenden<br />
Kosten eigenes Einkommen grundsätzlich vollständig einsetzen.<br />
Dies gilt auch im Bereich der Grundsicherung. Das Einkommen<br />
umfasst alle den Eltern zufließenden Mittel und neben den Einkünften in<br />
Geld auch solche mit Geldeswert (§ 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Zu den<br />
Einkünften in Geld zählen in den betreffenden Fällen vor allem Renteneinkünfte,<br />
auch aus Zusatzrenten, und Einkünfte aus Kapitalvermögen.<br />
Bei den geldwerten Einkünften handelt es sich insbesondere um Sachbezüge,<br />
also die Gewährung von Kost und Wohnung, aber auch die<br />
unentgeltliche Nutzung eines Personenkraftwagens. 190 Die Bewertung<br />
erfolgt aufgrund der sozialversicherungsrechtlichen Festlegung der<br />
Sachbezüge 191 bzw., falls ein solcher nicht festgesetzt ist, nach den<br />
üblichen Mittelpreisen des Verbrauchsorts. 192<br />
Von erheblicher Bedeutung ist die zeitliche Zuordnung des Einkommens<br />
und damit die Abgrenzung vom Vermögen. 193 Nach der Rechtsprechung<br />
des BVerwG 194 und im Anschluss daran auch das BSG 195 ist das<br />
Zuflussprinzip maßgeblich. Einkommen ist danach alles, was der<br />
Leistungsberechtigte in der Bedarfszeit wertmäßig erhält. Es kommt<br />
somit auf den tatsächlichen Zufluss an. Vermögen ist dagegen dasjenige,<br />
was der Bedürftige im Bedarfszeitraum bereits hat. Hieraus<br />
wurde lange Zeit der Schluss gezogen, dass Mittel, die der Bedürftige<br />
im Bedarfszeitraum, das heißt regelmäßig in dem Hilfemonat, erhalten<br />
und nicht vollständig verbraucht hat, im folgenden und allen weiteren<br />
Bedarfszeiträumen als Vermögen anzusehen sind. 196 Allerdings geht<br />
190 S. nur Brühl, in: LPK-SGB XII, 8. Aufl. 2008, § 82 Rn. 25.<br />
191 §§ 2 f. SvEV (SozialversicherungsentgeltVO).<br />
192 Vgl. § 2 Abs. 1 VO zu § 82 SGB XII (EinkommensberechnungsVO).<br />
193 S. nur BSG, NZS 2009, 512.<br />
194 BVerwG, NJW 1990, 3649 = FamRZ 1999, 1654.<br />
195 S. nur BSGE 98, 121 = FamRZ 2008, 51 = NJW 2008, 395 = NZS 2008, 156 = SGb<br />
2007, 682 u. BSG, BeckRS 2007, 46145; BSGE 102, 295 = NJW 2009, 3323 = NZA-<br />
RR 2009, 613 = NZS 2010, 158; BSG, NJW 2009, 3806 = NVwZ-RR 2009, 963 =<br />
NZS 2009, 512; BSG, BeckRS 2009, 55581 = NJOZ 2009, 2131 = NJW 2009, 2159<br />
u. BSG, BeckRS 2009, 67779.<br />
196 VGH Kassel, FamRZ 2005, 1020; ähnlich BVerwG, NJW 2004, 2608. S. auch SG<br />
Aachen, ZEV 2008, 150; LSG Baden-Württemberg, NZS 2007, 606 = ZEV 2008, 546<br />
u. BSG, NZS 2006, 49.<br />
183
nunmehr das BSG 197 davon aus, dass die rechtliche Wirkung des<br />
Zuflussprinzips nicht im Monat des Zuflusses endet, sondern sich auf<br />
den Verteilzeitraum erstreckt. Dieser beginnt mit dem Zeitpunkt des<br />
Zuflusses der einmaligen Einnahme und erfasst zunächst den gesamten<br />
Bewilligungszeitraum. Er endet auch nicht mit dem Ablauf des<br />
laufenden Bewilligungszeitraums. Die Bewertung als Einkommen ändert<br />
sich nicht durch eine neue Antragstellung. Einkommen wird durch sie<br />
nicht gleichsam zum Vermögen. 198 Konsequenz ist, dass der Einkommensbegriff<br />
gegenüber dem Vermögensbegriff erheblich ausgedehnt<br />
wird. Dies ist insofern von besonderer Bedeutung, als die Ausnahmen<br />
von der Einkommensberücksichtigung eng gefasst sind. 199<br />
Bedeutung haben hinsichtlich der Einkommensabsetzungen nur zu<br />
entrichtende Einkommens- und Kirchensteuern sowie Beiträge zu Versicherungen,<br />
die ein Risiko abdecken, für das andernfalls der Sozialhilfeträger<br />
eintreten müsste, also insbesondere eine Sterbegeld- und<br />
Hausrats- und wohl auch Haftpflichtversicherung (§ 82 Abs. 2 Nr. 3 Satz<br />
2 SB XII). Betroffen ist insbesondere das Pflegegeld nach dem SGB XII,<br />
wenn die Eltern zusätzlich Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten. Gleiches<br />
gilt, wenn die Person, der das Pflegegeld zugewendet wird, Sozialhilfeleistungen<br />
erhält. 200 Geht man von Einkommen aus, das für den Fall<br />
des unterbliebenen Verbrauchs kein Vermögen wird, handelt es sich um<br />
eine Leistung, die weiterhin anrechnungsfähig bleibt.<br />
Die im Rahmen von Überlassungsverträgen mitunter vereinbarten<br />
monatlichen Zahlungen (Rente, dauernde Last) stellen unzweifelhaft<br />
einsatzpflichtiges Einkommen im Rahmen der Sozialhilfe dar. Gleiches<br />
gilt für Sachleistungen z. B. den Vorbehalt eines Wohnungsrechts, die<br />
Gewährung von Verköstigung, die Erbringung von Pflegeleistungen und<br />
die Stellung eines Kraftfahrzeugs oder die Erbringung von Fahrleistungen.<br />
Aus diesem Grund wird zwischenzeitlich häufig auf diese<br />
vom Hausübergeber gewünschten Leistungen auf Druck der Kinder<br />
verzichtet, da diese <strong>bei</strong> Heimunterbringung der Eltern auch nach Ablauf<br />
des Zehnjahreszeitraums des § 528 BGB nicht mit Zahlungen an den<br />
197<br />
BSG, NVwZ-RR 2009, 642 = NJW 2009, 2155 = NZS 2009, 634; LSG NRW, FEVS<br />
2007, 332 = LNR 2006, 14162; LSG Niedersachsen Bremen, NZS 2009, 114; LSG<br />
Baden-Württemberg, BeckRS 2007, 41689.<br />
198<br />
BSG, NVwZ-RR 2009, 642 = NJW 2009, 2155 = NZS 2009, 634 u. dazu Döring-<br />
Striening, ErbR 2009, 362, 364. Vgl. auch Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB<br />
XII, 3. Aufl. 2010, § 90 Rn. 10.<br />
199<br />
Vgl. § 82 Abs. 3 SGB XII und dazu kurz FA-FamR/Diehl, 7. Aufl. 2009, 14. Kap.<br />
Rn. 140.<br />
200<br />
BVerwG, FamRZ 1993, 183 = MDR 1993, 396 = NJW 1993, 676; vgl. auch LSG<br />
Hamburg, BeckRS 2006, 43073.<br />
184
Sozialhilfeträger belastet werden wollen. Häufig dient das Argument,<br />
dass "die Eltern von diesen Zahlungen an die öffentliche Hand nichts<br />
haben", das in gleicher Weise <strong>bei</strong>m behinderten Kind Ausgangspunkt<br />
für die Gestaltung einer testamentarischen Verfügung ist, als Begründung<br />
für den Wunsch, diesbezüglich keine vertragliche Pflicht zu<br />
Leistungen zu übernehmen. Umgekehrt ist die Hoffnung, dass dann der<br />
Hausübernehmer in erster Linie für die Eltern "zahlen" müsse, häufiger<br />
Anlass weichender Geschwister, auf die diesbezüglichen Leistungen<br />
"im Interesse der Eltern" zu bestehen. Bei jüngeren Übergebern werden<br />
deshalb seit Inkrafttreten der jährlichen "Abschichtung" gemäß § 2325<br />
Abs. 3 Satz 2 BGB <strong>bei</strong>m Pflichtteil vermehrt Geschwister auf Wunsch<br />
der Übergeber und Übernehmer nicht mehr an der Hausübertragung<br />
beteiligt.<br />
Geldzahlungspflichten im Rahmen von Hausüberlassungen haben den<br />
vorgenannten Effekt tatsächlich, da sie <strong>bei</strong> Leistungsfähigkeit des Übernehmers<br />
zu Einkommen der Eltern führen und dadurch den nicht gedeckten<br />
Fehlbetrag des Pflegeheimaufenthalts mindern, so dass auch<br />
etwaige Ansprüche des Sozialhilfeträgers gegen die weichenden Geschwistern<br />
reduziert werden. Im Hinblick auf die bis zum 31.12.2007<br />
bestehende Möglichkeit des Zahlenden, eine im Rahmen einer Vermögensübertragung<br />
vereinbarte dauernde Last in voller Höhe gemäß<br />
§ 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG a. F. als Sonderausgabe geltend zu machen, 201<br />
wurden derartige Zahlungen häufig vereinbart. Dies galt auch dann,<br />
wenn eine spätere Inanspruchnahme für Pflegeheimkosten denkbar<br />
war. Hintergrund war zum einen, dass Hausübernehmern, die ohnehin<br />
einen Teil ihres Einkommens oder Vermögens für Pflegekosten einsetzen<br />
mussten, den steuerlichen "Mitnahmeeffekt" nutzen wollten.<br />
Zudem wurde durch die Zahlung das Risiko der Sittenwidrigkeit oder<br />
sozialhilferechtlichen Leistungsstreichung oder -kürzung gemindert. Die<br />
durch das Jahressteuergesetz 2008 beschränkte Möglichkeit der<br />
steuerlichen Absetzbarkeit von wiederkehrenden Leistungen auf die<br />
Übertragung eines Mitunternehmeranteils an einem land- und forstwirtschaftlichen<br />
Betrieb, einem Gewerbebetrieb oder <strong>bei</strong> einer selbstständigen<br />
Tätigkeit, eines Betriebs oder Teilbetriebs sowie eines<br />
mindestens 50 % betragenden Anteils an einer GmbH, wenn der Übergeber<br />
Geschäftsführer war und der Übernehmer diese Tätigkeit nach<br />
der Übertragung übernimmt, hat dazu geführt, 202 dass seit diesem Zeitpunkt<br />
monatliche Zahlungen an einen Hausübergeber nahezu nicht<br />
201 BFH, BStBl. II 1992, 78.<br />
202 S. nur Spiegelberger/Wälzholz, in: Spiegelberger/Spindler/Wälzholz, Die Immobilie im<br />
Zivil- und Steuerrecht, 2008, Kap. 2 Rn. 266 ff.<br />
185
mehr vereinbart werden. Lediglich <strong>bei</strong> Immobilienübertragungen, <strong>bei</strong><br />
denen der Übergeber eine Wohnung im übergebenen Objekt oder in<br />
einer Einrichtung des Betreuten Wohnens mietet, werden noch<br />
Zahlungen als wiederkehrende Leistungen vereinbart. 203<br />
Der Umstand, dass Sachleistungen, die im Rahmen einer Immobilienübertragung<br />
vereinbart werden, auf die Sozialhilfe anzurechnen sind,<br />
führt nicht von vornherein dazu, dass diese Sachleistung in eine Geldleistung<br />
umgewandelt wird und sie der Sozialhilfeträger für die Zeit der<br />
Leistungserbringung durch schriftliche Anzeige bis zur Höhe seiner<br />
Aufwendungen auf sich überleiten kann (§ 93 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). 204<br />
Hierfür ist mangels spezieller sozialhilferechtlicher Vorschriften das<br />
Recht des entsprechenden Anspruchs maßgeblich, also <strong>bei</strong> einer<br />
Hausübertragung das Zivilrecht. 205<br />
Hinsichtlich der vereinbarten Leistungen ist zunächst zivilrechtlich zu<br />
unterscheiden: Ein dinglich gesichertes Wohnrecht ist bereits kraft<br />
Gesetzes nicht übertragbar (§ 1092 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Ausübung<br />
der Überlassung an einen anderen ist nur zulässig, wenn dies ausdrücklich<br />
gestattet ist. 206 Andernfalls ist sie ausgeschlossen (§ 1092<br />
Abs. 1 Satz 2 BGB). Auch Ansprüche auf Pflegeleistungen stehen dem<br />
Übergeber persönlich zu und sind deshalb nicht übertragbar. Gleiches<br />
gilt für die Verpflichtung zur Erbringung von Fahrleistungen. Beim Nießbrauch,<br />
der <strong>bei</strong> der Übertragung einer Immobilie im städtischen Bereich<br />
häufig vorbehalten wird, 207 besteht bereits gesetzlich eine Ausübungsüberlassung<br />
als Rechtsinhalt (§ 1059 Satz 2 BGB). Sie kann jedoch<br />
ausgeschlossen werden. 208 Allerdings kann dies an der Pfändbarkeit<br />
dieses Rechts nichts ändern. 209<br />
Inwieweit im Rahmen einer Hausüberlassung vereinbarte Verpflichtungen<br />
des Übernehmers im Fall der Pflegebedürftigkeit des Übergebers<br />
in "Geldleistungen" mutieren, ist im Einzelfall zu beurteilen.<br />
Grundlage kann nämlich, wenn keine Anpassung wegen des Wegfalls<br />
203<br />
Spindler, in: Spiegelberger/Spindler/Wälzholz, Die Immobilie im Zivil- und Steuerrecht,<br />
2008, Kap. 14 Rn. 33 ff.<br />
204<br />
A. A. Schellhorn/Schellhorn, BSHG, 16. Aufl. 2002, § 90 Rn. 42.<br />
205<br />
S. nur OLG Zweibrücken, NJW-RR 2001, 436 = FamRZ 2001, 660.<br />
206<br />
Eine Pfändbarkeit besteht nur <strong>bei</strong> einer entsprechenden Ausübungsüberlassung<br />
(§§ 851 Abs. 1, 857 Abs. 3 ZPO); vgl. dazu Eyckmann, NotBZ 2008, 257, 258 f.<br />
207<br />
Vgl. nur Feick, in; Beck´sches Formularbuch Bürgerliches Handels- und Wirtschaftsrecht,<br />
10. Aufl. 2010, Form. III. C.1.<br />
208<br />
S. nur BGHZ 95, 99 = NJW 1985, 2827.<br />
209<br />
S. nur BGHZ 95, 99 = NJW 1985, 2827 u. Eyckmann, NotBZ 2008, 257, 258.<br />
186
der Geschäftsgrundlage erfolgt, nur die (ergänzende) Auslegung der<br />
vertraglichen Vereinbarungen sein. Aufgrund der dargestellten<br />
Interessenlage der unmittelbar an der Übertragung beteiligten Beteiligten,<br />
nämlich der Eltern und des übernehmenden Kindes, Kommt<br />
eine Auslegung des Inhalts, dass an Stelle der nicht mehr erfüllbaren<br />
Verpflichtungen eine Zahlung zu den ungedeckten Kosten der Heimunterbringung<br />
geschuldet wäre, regelmäßig nicht in Betracht. Den<br />
"Makel", dadurch zum "Sozialfall" zu werden, dürfte jedenfalls <strong>bei</strong><br />
höheren Kosten die Mehrheit der Bevölkerung heute hinnehmen. 210 Die<br />
Automatik, dass <strong>bei</strong> medizinisch notwendiger Unterbringung in einem<br />
Pflegeheim zwar keine Erstattung der Kosten der Heimunterbringung<br />
geschuldet wird, aber die Beteiligung an ihnen in Höhe der ersparten<br />
Aufwendungen 211 aufgrund einer ergänzenden Vertragsauslegung hat<br />
der BGH 212 zunächst bestätigt. Jedenfalls wenn sich aus dem Vertrag<br />
der Wille ergibt, dem Übergeber eine umfassende Altersversorgung zu<br />
gewähren (Wohnung, Verköstigung, häusliche Dienste, Pflege und<br />
Taschengeld), soll dies zeigen, dass eine umfassende Versorgung<br />
durch die Familie gewünscht werde. Dies gelte nicht nur <strong>bei</strong> der Übertragung<br />
einer Wirtschaftseinheit, sondern auch <strong>bei</strong> Übertragung von<br />
Grundbesitz im Wege der vorweggenommenen Erbfolge wenn im<br />
Gegenzug der veräußernde Elternteil wegen seiner Grundbedürfnisse<br />
für den Lebensabend abgesichert sein wolle. Eine derartige Auslegung<br />
des Übergabevertrags vermeidet jedenfalls sozialhilferechtlich einen<br />
Wegfall der Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers und das Risiko der<br />
Sittenwidrigkeit.<br />
Allerdings wurde diese Rechtsprechung zunehmend eingeschränkt.<br />
Zum Wohnungsrecht, <strong>bei</strong> dem teilweise der Übernehmer von zwei<br />
Hausgrundstücken die Nebenkosten tragen sollte, hat der BGH 213 ent-<br />
210 Anders noch BGH, DNotZ 2002, 702, 705 = FamRZ 2002, 1178 = MDR 2002, 271 =<br />
MittBayNot 2002, 179 = NJW 2002, 440 = NotBZ 2002, 182 = RNotZ 2002, 279 = WM<br />
2002, 598 = ZEV 2002, 116 u. wohl auch OLG Koblenz, FamRZ 1999, 256 =<br />
MittBayNot 1999, 284 u. OLG Koblenz, FamRZ 2004, 1723 = MDR 2004, 452 = NJW-<br />
RR 2004, 1375 = RNotZ 2005, 227 = ZEV 2004, 341; vgl. Krüger, ZNotP 2010, 2 ff.<br />
Anders weiterhin Jeinsen, Agrarrecht 2002, 368 f.<br />
211 So noch BGH, DNotZ 2002, 702, 705 = FamRZ 2002, 1178 = MDR 2002, 271 =<br />
MittBayNot 2002, 179 = NJW 2002, 440 = NotBZ 2002, 182 = RNotZ 2002, 279 = WM<br />
2002, 598 = ZEV 2002, 116; vgl. dazu Krüger, ZNotP 2010, 2 ff. u. krit. Mayer,<br />
MittBayNot 2002, 152 ff.<br />
212 BGH, FamRZ 2004, 690 = MittBayNot 2004, 180 = NJW-RR 2003, 577 = NotBZ<br />
2003, 314 = RNotZ 2003, 450 = ZEV 2003, 211; vgl. Krüger, ZNotP 2010, 2, 3 f.<br />
213 BGH, DNotZ 2008, 703 = DWW 2007, 150 = FamRZ 2007, 632 = MDR 2007, 708 =<br />
MittBayNot 2008, 42 = NJW 2007, 1884 = NotBZ 2007, 133 = NZM 2007, 381 =<br />
187
schieden, dass die beschränkte persönliche Dienstbarkeit erlischt, wenn<br />
ihre Ausübung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen dauernd<br />
unmöglich wird. Dies ist <strong>bei</strong> einem auf Dauer bestehenden Heimaufenthalt<br />
jedoch noch nicht der Fall; ein in der Person des Berechtigten<br />
liegendes Ausübungshindernis führt nämlich nicht generell zum<br />
Erlöschen des Wohnungsrechts. 214 Die Geschäftsgrundlage für die Bestellung<br />
des Wohnungsrechtes fällt grundsätzlich nicht weg, da jeder<br />
Beteiligte <strong>bei</strong> der Vereinbarung des lebenslangen Wohnungsrechts<br />
damit rechnen muss, dass der Berechtigte sein Recht wegen Krankheit<br />
oder Pflegebedürftigkeit nicht bis zu seinem Tod ausüben kann. Eine<br />
Anpassung nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage<br />
scheidet zudem aus, wenn nicht feststeht, dass der wohnungsberechtigte<br />
Elternteil gegebenenfalls unter Aufnahme von Pflegepersonen<br />
(§ 1093 Abs. 2 BGB) unter keinen Umständen in die frühere<br />
Wohnung zurückkehren kann. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor,<br />
kann sich nur aus einer ergänzenden Vertragsauslegung ein Geldanspruch<br />
des Berechtigten ergeben. Im konkreten Fall hatten die Mutter<br />
und ihr Sohn eine Vermietungsvereinbarung hinsichtlich der dem<br />
Wohnungsrecht der Mutter unterliegenden Räume getroffen; der Sohn<br />
wollte für die Mutter im eigenen Namen die Vermietung vornehmen.<br />
Eine Regelung, wem die Mieteinnahmen zustehen sollten, wurde nicht<br />
getroffen. Eine diesbezügliche Auslegung darf den Sohn nicht besser<br />
stellen. Deshalb ergibt sich aufgrund der ergänzenden Auslegung der<br />
Vermietungsvereinbarung, also nicht des Überlassungsvertrages, dass<br />
der Sohn seiner Mutter auch die tatsächlich ersparten Aufwendungen,<br />
d. h. die von ihm nach den Regelungen im Übergabevertrag zu<br />
tragenden Nebenkosten erstatten muss, soweit diese vom Mieter getragen<br />
werden, und die Mieteinnahmen an die Mutter auskehren<br />
muss. 215<br />
Diese Rechtsprechung hat der BGH weiter bestätigt: Der Wegfall der<br />
Geschäftsgrundlage kommt danach <strong>bei</strong> einem dauerhaften Umzug in<br />
ein Pflegeheim nicht in Betracht, da <strong>bei</strong> Vereinbarung eines lebenslangen<br />
Wohnungsrechts jeder Vertragsteil damit rechnen muss, dass<br />
der Berechtigte sein Recht wegen Krankheit und Pflegebedürftigkeit<br />
nicht bis zu seinem Tod ausüben kann. Der Umzug in das Pflegeheim<br />
Rpfleger 2007, 308 = WM 2007, 1851 = WuM 2007, 139 = ZEV 2007, 391 = ZfIR<br />
2007, 635; vgl. Krüger, ZNotP 2010, 2, 4 f.<br />
214 Ebenso OLG Zweibrücken, OLGZ 1987, 27; OLG Oldenburg, NJW-RR 1994, 467,<br />
468; OLG Köln, NJW-RR 1995, 1358; OLG Celle, MDR 1998, 1344 u. OLG Düsseldorf,<br />
Rpfleger 2001, 542, 543 = DNotI-Report 2001, 166.<br />
215 Vgl. hierzu Auktor, MittBayNot 2007, 14 ff.<br />
188
stellt daher in der Regel keinen Grund dar, den der Einräumung eines<br />
lebenslangen Wohnungsrechtes zugrunde liegenden Überlassungsvertrag<br />
nach § 313 BGB anzupassen. 216 Im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung<br />
ergibt sich keine Verpflichtung des im Pflegeheim<br />
untergebrachten Elternteils, die Wohnung zu vermieten. Ebenso widerspricht<br />
es der Familienverbundenheit, dass <strong>bei</strong> einer Selbstnutzung der<br />
Wohnung durch den Eigentümer für private Zwecke oder der Überlassung<br />
an ein Kind ein Nutzungsentgelt geschuldet sein soll. Die Gestattung<br />
der Aufnahme von Pflegepersonen sowie die Zurverfügungstellung<br />
der Wohnung als Sicherung des Wohnbedürfnisses stellt eine<br />
Beschränkung auf ein höchstpersönliches Nutzungsrecht dar. Eine abweichende<br />
Auslegung führt zudem zu einem nicht vereinbarten Nießbrauch<br />
an der Wohnung. Allerdings kann sich <strong>bei</strong> einer zur Vermietung<br />
geeigneten Wohnung, also nicht <strong>bei</strong> dem Wohnungsrecht unterliegenden<br />
nicht abgeschlossenen Räumen, eine ergänzende Vertragsauslegung<br />
dahin ergeben, dass der Übergeber <strong>bei</strong>m Pflegeheimaufenthalt<br />
berechtigt sein soll, die Wohnung zu vermieten. 217 Als Konsequenz<br />
dieser Rechtsprechung werden vielfach Wohnungsrechte nur noch eingeschränkt<br />
bestellt und übergebende Eltern auf Einzelräume, die eine<br />
Vermietung mangels WC und Küchen nicht zulassen, beschränkt.<br />
Die jüngsten Entscheidungen des BGH scheinen eine Entwarnung hinsichtlich<br />
der zivilrechtlichen Konsequenzen für wegen Unterbringung in<br />
ein Pflegeheim nicht mehr nutzbarer Versorgungsleistungen zu<br />
signalisieren. Im ersten Fall 218 hatte der Vater ein Einfamilienhaus an<br />
seinen Sohn übertragen. Dieser hatte sich als "Gegenleistung" das<br />
Recht zur alleinigen Nutzung eines näher bezeichneten Zimmers und<br />
216 BGH, DNotZ 2009, 431 = FamRZ 2009, 598 = MDR 2009, 559 = MietRB 2009, 175 =<br />
MittBayNot 2009, 298 = NJW 2009, 1348 = NZM 2009, 251 = Rpfleger 2009, 309 =<br />
WuM 2009, 184 = ZEV 2009, 252 = ZMR 2009, 434; vgl. Krüger, ZNotP 2010, 2, 4 f;<br />
vgl. auch Volmer, MittBayNot 2009, 276 ff.; Zimmer, ZEV 2009, 382 ff. u. Müller-von<br />
Münchow, ZEV 2009, 549, der ein auflösend bedingtes Wohnungsrecht vorschlägt,<br />
das dann erlöschen soll, wenn der Berechtigte die Wohnung "nicht nur vorübergehend<br />
verlässt", was durch eine Meldebestätigung nachzuweisen ist.<br />
217 Vgl. aber BGHZ 176, 262 = BeckRS 2008, 12744 = FamRZ 2008, 1404 = JuS 2008,<br />
1032 = LMK 2008, 266101 = MDR 2008, 1162 = NZM 2009, 373 = NJW 2008, 2333 =<br />
WuM 2008, 498 = ZErb 2008, 383 = ZNotP 2008, 325 zum Nutzungsentgelt <strong>bei</strong><br />
Überlassung an einen Lebensgefährten.<br />
218 BGH, DNotZ 2009, 441 = FamRZ 2009, 865 = MDR 2009, 622 = MittBayNot 2009,<br />
294 = NJW 2009, 1346 = NZM 2009, 331 = Rechtsdienst 2009, 74 = WM 2009, 1053<br />
= WuM 2009, 241 = ZErb 2009, 150 = ZEV 2009, 254; vgl. Krüger, ZNotP 2010, 2,<br />
5 f.; vgl. auch Berger, ZNotP 2009, 263 ff.; Brückner, NJW 2008, 1121 ff.; Volmer,<br />
MittBayNot 2009, 276 ff. u. Herrler, DNotZ 2008, 408 ff. sowie bereits Littig/Mayer,<br />
Sozialhilferegress und lebzeitige Zuwendungen, 1999, Rn. 141 u. Wahl, Vertragliche<br />
Versorgungsrechte in Übergabeverträgen und sozialrechtliche Aspekte, 1989, S. 291.<br />
189
das Recht zur Mitbenutzung der zur gemeinschaftlichen Benutzung<br />
durch die Bewohner des Hauses bestimmten Anlagen und Einrichtungen<br />
als Wohnrecht vorbehalten. Der Sohn hatte den Vater zu<br />
verköstigen und im Falle einer ernsten Gebrechlichkeit oder Krankheit<br />
zu pflegen. Es war vereinbart, dass die Verpflichtung zur Gewährung<br />
von Kost und Pflege nur bestehen solle, "solange der Berechtigte in<br />
dem Vertragsanwesen wohne und die Pflege ohne Inanspruchnahme<br />
einer bezahlten Pflegeperson möglich sei". Für den Fall dass der Vater<br />
in ein Pflege- oder Altersheim aufgenommen werde, sollte die Verpflichtung<br />
zur Verköstigung und Pflege "ruhen ..., ohne dass der Erwerber<br />
dafür einen Ausgleich bzw. einen Ersatz zu leisten" habe. 219 Der<br />
BGH hat in dieser Vereinbarung keinen sittenwidrigen Vertrag zu Lasten<br />
des Sozialhilfeträgers gesehen. Der Vater hätte nämlich auch das<br />
Hausgrundstück ohne jede Gegenleistung dem Sohn schenken können.<br />
Allein das Rückforderungsrecht nach § 528 BGB, das auf zehn Jahre<br />
befristet sei (§ 529 Abs. 1 BGB), gebe die Möglichkeit, eine Inanspruchnahme<br />
der Allgemeinheit für den Notbedarf des Schenkers zu verhindern.<br />
Diese Wertung des Gesetzgebers müsse berücksichtigt<br />
werden, wenn es darum gehe, ob die Vereinbarung einer eingeschränkten<br />
Gegenleistung sittenwidrig wäre. Dogmatisch ist dieser<br />
Entscheidung zuzustimmen. Sie sagt aus, dass allein der Umstand,<br />
dass der Übergebende sich im Hausübergabevertrag mit einer Gegenleistung<br />
zufrieden gibt, die der Übernehmer allein in dem übernommenen<br />
Haus erbringen muss, den Vertrag ebensowenig sittenwidrig<br />
macht, wie der Umstand, dass sich diese Vereinbarung für die Sozialhilfe<br />
möglicherweise wirtschaftlich nachteilig auswirkt.<br />
Im zweiten Fall 220 übertrugen die Eltern an ihren Sohn und die<br />
Schwiegertochter ein mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück. Sie<br />
erhielten ein lebenslanges unentgeltliches Wohnrecht an den Räumlichkeiten<br />
im 1. Obergeschoß des Hauses eingeräumt. Ferner wurde vereinbart,<br />
dass der Erwerber dem Übergeber "unentgeltlich eine gute<br />
Pflege, Betreuung und Aufwartung in Tagen seines Wohlbefindens und<br />
der Krankheit zu gewähren" sowie "auf Wunsch des Übergebers insbesondere<br />
für die Reinigung und Instandhaltung von dessen Wohnung,<br />
219 Ähnlich Feick, in: Beck´sches Formularbuch, Bürgerliches, Handels- und Wirtschaftsrecht,<br />
10. Aufl. 2010, III O.4. Ziff. 7; Holland, in: Würzburger Notarhandbuch,<br />
2. Aufl. 2010, Teil 2 Kap. 7 Rn. 89 u. Jerschke, in: Beck´sches Notar-Handbuch,<br />
5. Aufl. 2009, A V Rn. 221.<br />
220 BGH, FamRB 2010, 147 = FamRZ 2010, 554 = GE 2010, 541 = JZ 2010, 222 = MDR<br />
2010, 614 = NotBZ 2010, 182 = WuM 2010, 168 = ZfIR 2010, 254; vgl. auch Herrler,<br />
DNotZ 2009, 408 ff.; ähnlich bereits LG Heidelberg, NJW-Spezial 2010, 72 = NotBZ<br />
2010, 155.<br />
190
Kleidung und Wäsche zu sorgen" habe. Gegen ein angemessenes Entgelt<br />
sollte der Übergeber auch die Zubereitung der seinem jeweiligen<br />
Gesundheitszustand angepassten Mahlzeiten verlangen können sowie<br />
auf seinen Wunsch auch die Beköstigung am gemeinsamen Tisch mit<br />
der Familie des Erwerbers. Der Erwerber hatte, wenn er diese<br />
Leistungen nicht persönlich erbringen konnte, auf seine Kosten eine<br />
entsprechende Hilfskraft zu stellen. Die ergänzende Vertragsauslegung<br />
ergab in diesem Fall, dass die Klausel die häusliche Versorgung des<br />
Übergebers sicherstellen sollte. Für die Auslegung, dass die Parteien<br />
mit der Klausel auch die Absicherung des Übergebers nach einem Umzug<br />
in ein Heim regeln wollten, fehle jeder Anhaltspunkt. Insbesondere<br />
folge dies auch aus der Verpflichtung, für eine Hilfskraft zu sorgen;<br />
diese gäbe <strong>bei</strong> einem Heimaufenthalt keinen Sinn, da Heime die für sie<br />
tätigen Hilfskräfte selbst auswählen und bezahlen. Damit sei der Heimaufenthalt<br />
des Übergebers nicht geregelt worden. Diese Regelungslücke<br />
könne nicht dadurch geschlossen werden, nach einem unterstellten<br />
hypothetischen Parteiwillen die versprochenen Dienste, wenn<br />
diese aus Gründen, die der Übernehmer nicht zu vertreten hat, nicht<br />
mehr erbracht werden können, durch Geldzahlungen zu ersetzen. Dies<br />
hätte zur Folge, dass der Übernehmer seinen aufgrund des Heimaufenthalts<br />
des Übergebers entstandenen Zeitgewinn in Geld ausgleichen<br />
müsse. Anders wäre es, wenn der Übernehmer aus in seiner Person<br />
liegenden Gründen nicht mehr in der Lage wäre, die geschuldeten<br />
Leistungen selbst zu erbringen. Auch dann, wenn <strong>bei</strong> Abschluss des<br />
Vertrages die Parteien davon ausgehen, dass eine Hilfskraft engagiert<br />
und bezahlt werden müsse, zählt das Entgelt für die Hilfskraft zu den<br />
infolge des Heimaufenthalts ersparten Aufwendungen. Hinsichtlich der<br />
vereinbarten Pflege- und sonstigen Dienstleistungen ist dagegen nicht<br />
von dem hypothetischen Parteiwillen auszugehen, dass Geldzahlungen<br />
an die Stelle der versprochenen Dienste treten, wenn diese wegen<br />
eines Heimaufenthalts des Übergebers nicht mehr erbracht werden<br />
können. Grundsätzlich betont der BGH in dieser Entscheidung nochmals:<br />
"Sollten die Verpflichtungen des Übernehmers ... zu der Alterssicherung<br />
des Übergebers <strong>bei</strong>tragen oder diese umfassend gewährleisten,<br />
entspricht es dessen Absicherungsinteresse, dass ihm im Umfang<br />
der ersparten Aufwendungen ein Anspruch auf Beteiligung an den<br />
Pflegekosten zusteht, wenn er in einem Maße pflegebedürftig wird, dass<br />
er professionelle Hilfe braucht und der Übernehmer seine Pflegeverpflichtung<br />
deshalb nicht mehr selbst erfüllen kann." Jedenfalls <strong>bei</strong> ersparten<br />
Sachleistungen kann ein Geldersatz unter dem Gesichtspunkt<br />
der ersparten Aufwendung geschuldet sein. Dienstleistungen entfallen<br />
dagegen ersatzlos, wenn sie aus Gründen nicht mehr erbracht werden<br />
191
können, die nicht in der Person des Dienstleistungspflichtigen liegen.<br />
Darüber hinausgehend kann aufgrund der erstgenannten Entscheidung<br />
wohl eine Vereinbarung getroffen werden, dass vereinbarte Leistungen<br />
stets entfallen oder ruhen, wenn der Veräußerer das übergebene Anwesen,<br />
gleich aus welchem Grund, verlassen hat, ohne dass dies vom<br />
Übernehmer veranlasst ist. Dies betrifft nicht nur persönliche Handlungspflichten,<br />
sondern auch Sachleistungen. 221<br />
Mitunter werden Wohnungsrechte, wenn der Gesundheitszustand auf<br />
eine bevorstehende Pflegeheimunterbringung hinweist, <strong>bei</strong> (noch) gegebener<br />
Geschäftsfähigkeit vom Berechtigten aufgegeben und die<br />
Löschung im Grundbuch bewilligt. Die Wohnungsrechtsaufgabe kann<br />
eine Schenkung darstellen, da der Eigentümer eine Werterhöhung<br />
seines Grundstücks durch Entfallen des dinglichen Wohnungsrechts<br />
erfährt und zudem die Wohnung vermieten kann. Die Löschung des<br />
Wohnungsrechtes dürfte eine Minderung des gegenwärtigen Vermögens<br />
darstellen und deshalb nicht nur steuerlich, sondern auch zivilrechtlich<br />
als Schenkung einzustufen sein. 222 Allerdings wurde eine<br />
Schenkung von der Rechtsprechung 223 teilweise unter Hinweis auf den<br />
umgekehrten Fall der Einräumung eines unentgeltlichen Wohnungsrechtes,<br />
das keine Schenkung, sondern eine Leihe darstellt, 224 verneint;<br />
<strong>bei</strong>m Verzicht auf ein dinglich eingeräumtes Recht soll es sich um eine<br />
unentgeltliche Gebrauchsüberlassung auf Zeit handeln.<br />
Ob die vorstehende dargestellte Rechtsprechung des BGH auch <strong>bei</strong>m<br />
Leibgeding bzw. Altenteilsvertrag anwendbar ist, ist bisher offen.<br />
Gemeint sind Verträge, die nach ihrer Zweckbestimmung mit der Übertragung<br />
einer die Existenz zumindest teilweise begründenden Wirtschaftseinheit<br />
verbunden sind. 225 Es handelt sich nicht um einen gegenseitigen<br />
Vertrag mit <strong>bei</strong>derseits gleichwertigen Leistungen. Das Vertragsobjekt<br />
muss – wie bereits dargestellt – eine "die Existenz<br />
wenigstens teilweise begründende Wirtschaftseinheit" sein. Das Über-<br />
221<br />
Ebenso Albrecht, in: Bayerischer Notarverein e. V. (Hrsg.), Aktuelle Probleme der<br />
notariellen <strong>Vertragsgestaltung</strong> im Immobilienrecht, 2010, S. 97 ff.<br />
222<br />
Ebenso Brückner, NJW 2008, 1111, 1115.<br />
223<br />
OLG Koblenz, OLG-Report 2007, 142 = FamRZ 2007, 1652; ebenso OLG Hamm,<br />
OLG-Report 2006, 773. Vgl. auch OLG Frankfurt, NJW-RR 1998, 1544 = NZM 1998,<br />
927 zur Löschung eines dinglichen Wohnungsrechts gegen Einräumung des schuldrechtlichen.<br />
224<br />
BGHZ 82, 354, 356; BGH, ZEV 2008, 192; OLG Hamm, NJW-RR 1996, 717 =<br />
FamRZ 1996, 1280; Grziwotz, ZEV 2010, 130 u. Nehlsen-van Stryk, AcP 187, 1987,<br />
252, 566.<br />
225<br />
S. nur BGHZ 53, 41, 43; BGH, NJW-RR 1989, 451. Vgl. Kuckenburg, FuR 2008, 316,<br />
317.<br />
192
gabeobjekt muss also so beschaffen sein, dass der Übernehmer der<br />
Immobilie aus deren Nutzungen für sich eine Lebensgrundlage schaffen<br />
kann. Gleichzeitig muss ein der Versorgung des Veräußerers dienendes<br />
Leistungsbündel vereinbart werden, das mindestens zum Teil aus dem<br />
Übergabeobjekt erwirtschaftet werden kann. 226 Es muss damit ein<br />
leistungsfähiges Unternehmen Gegenstand der Übertragung sein. 227<br />
Die Übertragung eines Wohnhauses soll aus dem Leibgedingsbegriff<br />
des Art. 96 EGBGB und dem kraft dieser Ermächtigung fortbestehenden<br />
sowie neu erlassenen Landesrecht ausscheiden. Eine Grundstücksübertragung<br />
wird nämlich nicht allein durch die Gewährung eines Wohnrechts<br />
mit Pflege- und Versorgungspflichten zu einem Leibgedingsvertrag.<br />
228 Vielmehr ist davon auszugehen, dass es sich <strong>bei</strong>m Übergabeobjekt<br />
um eine Immobilie handeln muss, die Zwecken des wirtschaftlichen<br />
Erwerbs dient. Die Überlassung eines den eigenen Wohnzwecken<br />
dienenden Grundstücks fällt nicht hierunter. 229<br />
Im Anwendungsbereich der Leibgedings- und Altenteilsverträge besteht<br />
regelmäßig kein Bedürfnis für eine ergänzende Vertragsauslegung <strong>bei</strong>m<br />
Heimaufenthalt des Übergebers. Die Zahlungspflicht ergibt sich meist<br />
aus dem einschlägigen Landesrecht. Der Heimaufenthalt bildet danach<br />
teilweise einen besonderen Grund für den Wegzug, der zum Geldersatz<br />
führt. 230 Die Berechnung des Geldersatzes, die nicht nur die Erstattung<br />
real ersparter Aufwendungen <strong>bei</strong>nhaltet, wird regelmäßig landesrechtlich<br />
geregelt. 231 Enthält das Landesrecht eine Einschränkung des § 528<br />
BGB, 232 entfällt die wesentliche Grundlage der jüngsten BGH-Rechtsprechung.<br />
233 Insofern kann sich <strong>bei</strong> Altenteils- und Leibgedings-<br />
226<br />
BGHZ 53, 41, 43; BGH, NJW-RR 1995, 77, 78 = BGH, DNotZ 1996, 636, 638 u.<br />
BGH, NJW 2003, 1126, 1127. Zu den Voraussetzungen einer wirksamen Abtretung<br />
dieser Ansprüche im Hinblick auf die nur eingeschränkte Pfändbarkeit vgl. BGH,<br />
FamRZ 2010, 367 = ZEV 2010, 91 u. Musielak/Becker, ZPO, 7. Aufl. 2009, § 850b<br />
Rn. 6.<br />
227<br />
Ebenso Mayer, DNotZ 1996, 604, 623 u. Wirich, ZErb 2009, 229, 230.<br />
228<br />
BGH, NJW 1981, 2568, 2569; BGH, NJW-RR 1989, 451; BGH, NJW-RR 1995, 77,<br />
78; BGH, WM 2000, 586; BGH, NJW 2003, 1126, 1127; BGH, NJW 2003, 1325,<br />
1326; krit. hierzu Wolf, MittBayNot 1994, 117, 118 u. Wirich, ZErb 2009, 229, 230.<br />
229<br />
Vgl. OLG Hamm, NJW-RR 1996, 1360, 1360 u. Weyland, MittRhNotK 1997, 55, 56.<br />
230<br />
Vgl. Volmer, MittBayNot, 2009, 276, 281.<br />
231<br />
Vgl. BayObLG, MittBayNot 1975, 2427.<br />
232<br />
So wohl Ott, in: Sprau, Justizgesetze in Bayern, 1988, Art. 17 BayAGBGB Rn. 4 u.<br />
Volmer, MittBayNot 2009, 276, 281.<br />
233<br />
BGH, DNotZ 2009, 431 = FamRZ 2009, 598 = MDR 2009, 559 = MietRB 2009, 175 =<br />
MittBayNot 2009, 298 = NJW 2009, 1348 = NZM 2009, 251 = Rpfleger 2009, 309 =<br />
WuM 2009, 184 = ZEV 2009, 252 = ZMR 2009, 434; vgl. auch BGH, FamRZ 2010,<br />
367 = ZEV 2010, 91.<br />
193
verträgen 234 eine abweichende Auslegung anbieten. Jedenfalls stellt die<br />
häufig in alten Verträgen noch enthaltene Wertangabe nur eine<br />
Grundlage für die Berechnung der Gerichts- und Notarkosten dar, gibt<br />
aber nicht den Wert der Austragsleistungen an. 235<br />
Zu beachten ist, dass <strong>bei</strong> der Hilfe zur Pflege der Einsatz des Einkommens<br />
eingeschränkt ist. Dem Hilfeempfänger und seinen unterhaltsberechtigten<br />
Angehörigen wird ein Einkommen belassen, das<br />
etwas über den Bedarfssätzen für den bloßen Lebensunterhalt liegt<br />
(§ 85 SGB XII). Ferner besteht im Bereich der Grundsicherung ein Freibetrag<br />
für Einkommen aus Ar<strong>bei</strong>tstätigkeit (§ 82 Abs. 3 SGB II), zu<br />
denen allerdings nicht mehr Einkünfte aus einer früheren Ar<strong>bei</strong>tstätigkeit<br />
zählen. Zudem dürfte der Anwendungsbereich <strong>bei</strong>m Heimaufenthalt<br />
denkbar gering sein (z. B. entgeltliche Ar<strong>bei</strong>t im Umfeld des Heimes).<br />
bb) Familienheim – wie groß darf´s denn sein?<br />
Grundsätzlich sind das eigene Vermögen und das Vermögen der in<br />
einer Einsatzgemeinschaft lebenden Personen zu verwerten, bevor<br />
Sozialhilfe in Anspruch genommen werden kann (§ 90 Abs. 1 SGB XII).<br />
Zu einer Einsatzgemeinschaft gehören insbesondere zusammenlebende<br />
Ehegatten, Lebenspartner, die Personen einer Verantwortungs-<br />
und Einstehensgemeinschaft sowie <strong>bei</strong> der Hilfe zum Lebensunterhalt<br />
auch Angehörige der Haushaltsgemeinschaft (§§ 19, 20, 36 SGB XII).<br />
Bei der Anrechnung von Vermögen wird der den eigenen Bedarf übersteigende<br />
Teil <strong>bei</strong> den anderen Personen der Einsatzgemeinschaft berücksichtigt.<br />
Allerdings muss hier ermittelt werden, ob und gegebenenfalls<br />
in welchem Umfang das Vermögen von der Verwertung ausgenommen<br />
ist. Nur in dem Umfang, in dem das Vermögen des Betroffenen<br />
den geschützten Wert übersteigt, darf es <strong>bei</strong> der anderen<br />
Person berücksichtigt werden. Umstritten ist, dass <strong>bei</strong> Immobilien hinsichtlich<br />
der Feststellung der Angemessenheit eines Hausgrundstücks<br />
<strong>bei</strong>m Zusammenleben mehrerer Personen in einem Haushalt andere<br />
Maßstäbe gelten als <strong>bei</strong> Einzelpersonen. Bei der Grundsicherung gilt<br />
die Vermutung der Bedarfsdeckung von Personen, die in einer Haushaltsgemeinschaft<br />
leben, wiederum nicht (§ 43 Abs. 1 SGB XII). In<br />
diesem Fall muss der Sozialhilfeträger dem Hilfesuchenden eine<br />
wirtschaftliche Unterstützung durch die Haushaltsgemeinschaft nachweisen.<br />
Auch auf diejenigen Personen, die bereits im Rahmen der Be-<br />
234 Vgl. dazu auch Kuckenburg, FuR 2008, 316, 317.<br />
235 BGH, FamRZ 2010, 367 = ZEV 2010, 91, 93.<br />
194
darfsgemeinschaft (§ 19 SGB XII) erfasst werden, ist die Vermutung der<br />
Bedarfsdeckung nicht anzuwenden. 236<br />
Zu dem verwertbaren Vermögen zählen Geld- und Geldeswerte,<br />
Forderungen und Ansprüche gegen Dritte (insbesondere Unterhaltsansprüche)<br />
sowie bewegliche und unbewegliche Gegenstände. 237 Das<br />
Vermögen muss zudem verwertbar sein. Insbesondere rechtliche Gesichtspunkte<br />
können der Verwertung entgegenstehen. Verfügungsbeschränkungen<br />
sind ein Verwertungshindernis, wenn sie für den Berechtigten<br />
zwingend sind und er sie nicht aufheben lassen kann. Beispiele<br />
sind Rückübertragungsverpflichtungen. Aber auch der an einer<br />
Immobilie bestehende Nießbrauch eines Dritten führt zur wirtschaftlichen<br />
Unverwertbarkeit. 238 Allerdings kommt als Verwertung eine dingliche<br />
Belastung in Betracht, die im Rang nach den vorstehenden genannten<br />
Rechten möglich ist. Sozialhilferechtlich wird vom Hilfebedürftigen<br />
auch die Verwertung von Nutzungsrechten gefordert, wenn<br />
dieser sie nicht mehr selbst nutzen kann. Dies ist <strong>bei</strong> einem Nießbrauchsrecht,<br />
<strong>bei</strong> dem durch eine Vermietung oder Verpachtung<br />
Rechtsfrüchte gezogen werden können, unproblematisch. Soweit auch<br />
<strong>bei</strong> einem nicht genutzten persönlichen Wohnrecht eine Verwertung<br />
gefordert wird, ist dies wegen des diesbezüglichen Ausschlusses der<br />
Übertragbarkeit, wenn nicht ausdrücklich die Überlassung an Dritte<br />
gestattet ist, nicht möglich. 239<br />
Lässt sich Vermögen im Bedarfszeitraum aus tatsächlichen und rechtlichen<br />
Gründen nicht sofort realisieren, kann eine darlehensweise Gewährung<br />
der Hilfe erfolgen (§ 91 SGB XII). In diesem Fall kann die Darlehensgewährung<br />
von einer dinglichen Sicherheit (z. B. Hypothek oder<br />
Grundschuld) abhängig gemacht werden.<br />
Die Einstufung als Schonvermögen (§ 90 Abs. 2 SGB XII) hat zur Folge,<br />
dass der betreffende Vermögensgegenstand vor der Inanspruchnahme<br />
von Sozialhilfe nicht einzusetzen oder zu verwerten ist.<br />
Unproblematisch ist dies <strong>bei</strong> Vermögen, das einer staatlich geförderten<br />
Altersversorgung dient (z. B. Riester-Rente), was durch ein ent-<br />
236<br />
Conradis, in: LPK-SGB XII, 8. Aufl. 2008, § 36 Rn. 1.<br />
237<br />
Zum Pflichtteilsanspruch s. Hk-PflichtteilsR/v. Proff zu Irnich, 2010, Anh. 5 Rn. 2.<br />
238<br />
Brühl/Geiger, in: LPK-SGB XII, 8. Aufl. 2008, § 90 Rn. 10 u. Ehmann, in: MAH Sozialrecht,<br />
3. Aufl. 2009, § 38 Rn. 112.<br />
239<br />
A. A. Brühl/Geiger, in: LPK-SGB XII, 8. Aufl. 2008, § 90 Rn. 17 u. Ehmann, in: MAH<br />
Sozialrecht, 3. Aufl. 2009, § 38 Rn. 112.<br />
195
sprechendes Zertifikat nachzuweisen ist. 240 Schonvermögen sind ferner<br />
Hausrat, Gegenstände, die zur Berufsausübung notwendig sind,<br />
Familienerbstücke sowie bestimmte Bar- bzw. Freibeträge, die <strong>bei</strong> über<br />
60jährigen 2.600 Euro betragen. 241 Problematisch ist in der Praxis das<br />
selbstgenutzte Hausgrundstück bzw. die Eigentumswohnung von angemessener<br />
Größe (§ 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII). Zu beachten ist zunächst,<br />
dass ein wesentlicher Unterschied zu dem <strong>bei</strong>m Ar<strong>bei</strong>tslosengeld<br />
II nicht zu berücksichtigendem Vermögen (§ 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB<br />
II) besteht. Während dort ein selbstgenutztes Hausgrundstück von angemessener<br />
Größe und eine entsprechende Eigentumswohnung vom<br />
Einsatz ausgenommen sind, gelten im Sozialhilferecht die Kriterien der<br />
Kombinationstheorie. 242<br />
Auch wenn der Wortlaut des § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII nur von einem<br />
Hausgrundstück spricht, werden auch die zu Wohnzwecken genutzte<br />
Eigentumswohnung, Dauerwohnrechte und Erbbaurechte erfasst. 243<br />
Das Grundstück muss bebaut sein und von der nachfragenden Person<br />
oder einer anderen Person der Bedarfsgemeinschaft allein oder zusammen<br />
mit Angehörigen ganz oder teilweise bewohnt werden (Erfüllung<br />
des Grundbedürfnisses "Wohnen"). Mit den Angehörigen muss<br />
keine Haushaltsgemeinschaft bestehen. Nicht unter das Schonvermögen<br />
fallen deshalb ein zum Verkauf angebotenes Grundstück, ein<br />
Ferienhaus und ein gewerblich genutztes Grundstück. Das Bewohnen<br />
entfällt <strong>bei</strong> einer dauernden Unterbringung in ein Pflege- oder Altenheim.<br />
244 Nicht ausreichend ist es, wenn Angehörige, die nicht zur<br />
Einsatzgemeinschaft gehören (z. B. Geschwister), das Haus weiter<br />
bewohnen. Die Vermögensschonung bleibt jedoch bestehen, wenn<br />
einer Person der Einsatzgemeinschaft die Immobilie weiter bewohnt. 245<br />
Die Angemessenheit der Immobilie bestimmt sich nach der bereits er-<br />
240<br />
Zur Einstufung der Ausbezahlung der Riester-Rente als Einkommen s. nur<br />
Brühl/Geiger, in: LPK-SGB XII, 8. Aufl. 2008, § 90 Rn. 29.<br />
241<br />
§ 90 Abs. 2 Nr. 2 SGB XII i. V. mit § 1 mit der Verordnung zur Durchführung des § 90<br />
Abs. 2 Nr. 9 SGB XII. Hinzu kommt ein Betrag von 256 Euro für jede Person, die vom<br />
Nachfragenden überwiegend unterhalten wird. Vgl. zur Berücksichtigung weiterer<br />
Personen ebenda.<br />
242<br />
Ebenso Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 90 Rn. 44.<br />
243<br />
S. nur BVerwGE 87, 278 u. OVG Lüneburg, FEV 1146, 194; Schellhorn/Schellhorn/Hohm,<br />
SGB XII, 17. Aufl. 2006, § 90 Rn. 62; Wahrendorf, in:<br />
Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 90 Rn. 47.<br />
244<br />
BVerwG, NJW 1992, 1402 = NVwZ 1992, 571 (anders <strong>bei</strong> einem nur vorübergehenden<br />
Aufenthalt im Krankenhaus).<br />
245<br />
Allerdings kann der Erbe des Hilfeempfängers später zum Kostenersatz verpflichtet<br />
sein (§ 102 SGB XII).<br />
196
wähnten sogenannten Kombinationstheorie. 246 § 90 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2<br />
SGB XII nennt als Kriterien, nach denen sich der unbestimmte Rechtsbegriff<br />
der Angemessenheit bestimmen soll, die Zahl der Bewohner, den<br />
Wohnbedarf (z. B. behinderter, blinder oder pflegebedürftiger<br />
Menschen), die Grundstücksgröße, die Hausgröße, den Zuschnitt und<br />
die Ausstattung des Wohngebäudes sowie den Wert des Grundstücks<br />
einschließlich des Wohngebäudes. Als angemessene Wohnfläche<br />
werden <strong>bei</strong> einem Vier-Personen-Haushalt für ein Einfamilienhaus 130<br />
qm und für eine Eigentumswohnung 120 qm angesehen. Sie sind <strong>bei</strong><br />
weniger als vier Personen um 20 qm pro Person zu verringern. 247 Bei<br />
der Grundstücksgröße ist davon auszugehen, dass nur ein Grundstück<br />
geschützt werden kann, das für den Bau eines Familienheims benötigt<br />
wird. Insofern sind die Festsetzungen eines rechtsverbindlichen Bebauungsplans<br />
hinsichtlich der bebaubaren Fläche zu beachten. Teilweise<br />
werden für freistehende Häuser im ländlichen Bereich 500 qm, 248<br />
im städtischen Raum für ein Reiheneckhaus und Doppelhaushälften bis<br />
zu 350 qm, im Übrigen ca. 250 qm genannt. 249 Ist ein größeres Grundstück<br />
teilbar, muss der nicht geschützte Grundstücksteil veräußert<br />
werden. 250 Dies soll jedoch nicht <strong>bei</strong> einer übergroßen Immobilie gelten.<br />
Nicht geschützt sein sollen deshalb Mehrfamilienhäuser und Familienheime<br />
mit Einliegerwohnung; kann <strong>bei</strong> ihnen eine Abtrennung –<br />
eventuell nach Aufteilung in Wohnungs- und Teileigentum – nicht<br />
erfolgen, so soll insgesamt die Schonvermögenseigenschaft wegfallen.<br />
251 Gestattet ist es allerdings auch, das Gesamtgrundstück zu<br />
veräußern und den Veräußerungserlös teilweise für den Erwerb eines<br />
kleineren Grundstücks zu verwenden. 252 Die Höhe des Verkehrswertes<br />
für ein angemessenes Hausgrundstück ist im Gesetz nicht vorgegeben;<br />
sie ist von den örtlichen Verhältnissen abhängig. 253 Schulden mindern<br />
den Verkehrswert nicht, sondern stehen nur dessen Verwertbarkeit<br />
entgegen. Gleiches muss für andere Belastungen wie z. B. das Bestehen<br />
eines Wohnungsrechts noch lebender Großeltern gelten. 254<br />
246<br />
BVerwGE 47, 103, 108 u. BVerwGE 59, 294, 296; vgl. auch Wendt, NDV 1991, 93,<br />
94. Zum Miteigentum s. BVerwGE 89, 241 = NJW 1992, 1401.<br />
247<br />
Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 90 Rn. 51.<br />
248<br />
VGH München, FamRZ 2004, 488.<br />
249<br />
Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 90 Rn. 35 u. KSW/von<br />
Koppenfels/Spies, § 90 SGB XII Rn. 13.<br />
250<br />
BVerwGE 59, 294, 300.<br />
251<br />
S. nur KSW/von Koppenfels/Spies, 2009, § 90 SGB XII Rn. 13 u. Lücking, in:<br />
Hauck/Noftz, § 90 SGB XII, 2009, Rn. 45.<br />
252<br />
Ehmann, in: MAH Sozialrecht, 3. Aufl. 2009, § 38 Rn. 114.<br />
253<br />
BVerwGE 87, 278 = NJW 1991, 1968 = NVwZ 1991, 889.<br />
254<br />
Unklar Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 90 Rn. 58 a. E.<br />
197
In atypischen Härtefällen kann weiteres Vermögen von der Einsatzpflicht<br />
ausgenommen werden. Bei der Hilfe zur Pflege werden die Einschränkung<br />
der angemessenen Lebensführung und die Aufrechterhaltung<br />
einer angemessenen Alterssicherung als Härtegrunde, die<br />
einer Vermögensverwertung entgegenstehen, ausdrücklich genannt.<br />
Unter die Härteregelung des § 90 Abs. 3 SGB XII fällt insbesondere die<br />
Vorsorge älterer Menschen für die eigene Bestattung und die ihres<br />
Ehepartners sowie für die spätere Grabpflege. Dieses zweckgebundene<br />
Vermögen ist grundsätzlich geschützt, wenn dies nicht erst unmittelbar<br />
vor der Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen angelegt wird. 255<br />
cc) Rückübertragung (§ 528 BGB)<br />
Vom Vermögensbegriff werden auch Forderungen umfasst. Zu ihnen<br />
gehören Ansprüche gegen Dritte, z. B. Bereicherungsansprüche,<br />
Pflichtteilsansprüche und sonstige Rückübertragungsansprüche. 256 Bei<br />
einerÜbertragung von Vermögensgegenstände auf Dritte, um diese dem<br />
Zugriff des Sozialhilfeträgers zu entziehen, kann einen Verstoß gegen<br />
die guten Sitten und damit eine Nichtigkeit des betreffenden Rechtsbegriffs<br />
nach § 138 Abs. 1 BGB vorliegen. Dies führt allerdings nicht zur<br />
Unwirksamkeit auch des dinglichen Rechtsgeschäfts mit der Folge,<br />
dass das Vermögen <strong>bei</strong> dem Hilfesuchenden verbliebe. 257 Vielmehr<br />
besteht ein Bereicherungsanspruch des Hilfesuchenden, der zu dessen<br />
Vermögen gehört. Gleiches gilt <strong>bei</strong> sonstigen gesetzlichen Rückforderungsansprüchen.<br />
Bei der Hausübertragung fällt allerdings die<br />
Geschäftsgrundlage für die Übertragung nicht weg, wenn die Eltern, die<br />
früher Eigentümer der Immobilie waren, später Pflegefall werdenund ins<br />
Pflegeheim müssen. Es handelt sich da<strong>bei</strong> regelmäßig um kein unvorhersehbares<br />
Ereignis. 258 Allerdings ist die Anwendbarkeit des<br />
Instituts des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht bereits wegen der<br />
gesetzlich geregelten Rückforderung einer Schenkung wegen Verarmung<br />
des Schenkers (§ 528 BGB) ausgeschlossen. 259<br />
255 Ebenso SG Karlsruhe, FamRZ 2010, 236; Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB<br />
XII, 3. Aufl. 2010, § 90 Rn. 73; vgl. zu diesbezüglichen Treuhandverträgen über die<br />
Sicherstellung der Grabpflege nach dem Tod des Treugebers BGH, FamRZ 2009,<br />
867.<br />
256 S. nur Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 90 Rn. 7 u. 12.<br />
257 So aber Ehmann, in: MAH Sozialrecht, 3. Aufl. 2009, § 38 Rn. 111.<br />
258 S. dazu nur BGH, DNotZ 2009, 431 = FamRZ 2009, 598 = MDR 2009, 559 = MietRB<br />
2009, 175 = MittBayNot 2009, 298 = NJW 2009, 1348 = NZM 2009, 251 = Rpfleger<br />
2009, 309 = WuM 2009, 184 = ZEV 2009, 252 = ZMR 2009, 434.<br />
259 S. dazu BGH, BeckRS 2010, 12197 = FamRZ 2010, 806 u. Franzen, FamRZ 1997,<br />
528 ff.; a. A. OLG Karlsruhe, NJW 1989, 2136.<br />
198
Diese Vorschrift regelt den Fall, dass sich der Notbedarf des Schenkers<br />
erst nach Eigentumsumschreibung im Grundbuch ergibt. In diesem Fall<br />
fällt gleichsam die Geschäftsgrundlage der Schenkung weg. 260 Diese<br />
besteht darin, dass der Schenker nicht aufgrund der Weggabe eines<br />
wesentlichen Vermögensgegenstandes, insbesondere einer Immobilie,<br />
für seinen eigenen Unterhalt nicht mehr aufkommen kann. Zum Schutz<br />
des Schenkers steht diesem ein Anspruch auf Rückforderung des Geschenkes<br />
nach den Regeln der ungerechtfertigten Bereicherung zu. 261<br />
Hat der Beschenkte seinerseits das Geschenk weggegeben und hat er<br />
deshalb keinen Rückforderungsanspruch, so erlischt die Rückgabepflicht<br />
wegen Entreicherung (§ 528 Abs. 1 i. V. m. § 818 Abs. 3 BGB). 262<br />
Der Vertrauensschutz des Beschenkten auf die Rechtsbeständigkeit der<br />
Immobilienzuwendung wird durch den Ausschluss des Rückforderungsanspruchs<br />
nach § 529 BGB berücksichtigt, 263 wo<strong>bei</strong> mit der<br />
herrschenden Meinung von einer Einrede auszugehen ist. Von Bedeutung<br />
sind für die Immobilienübertragung die zweite und dritte Fallgruppe.<br />
Die Rückforderung ist danach erstens ausgeschlossen, wenn<br />
zur Zeit des Eintritts der Bedürftigkeit des Schenkers seit der<br />
Schenkung zehn Jahre verstrichen sind und der Schenker somit endgültig<br />
auf den Bestand der Schenkung vertrauen darf. 264 Für den Beginn<br />
dieser Frist kommt es auf den tatsächlichen Vollzug der Schenkung, das<br />
heißt den Eintritt des Leistungserfolges an. Dies ist <strong>bei</strong> der Übertragung<br />
260 S. nur Franzen, FamRZ 1997, 528 ff.; Palandt/Weidenkaff, BGB, 69. Aufl. 2010, § 528<br />
Rn. 1 u. AnwK-BGB/Dendorfer, 2005, § 528 Rn. 1. Zur zweckgebundenen Natur des<br />
Anspruchs s. Kollhosser, ZEV 1995, 391 ff.; ders., ZEV 2001, 290 ff.; Zeranski, Der<br />
Rückforderungsanspruch des verarmten Schenkers, 1998, S. 53 ff.; ders., NotBZ<br />
2001, 22 ff. u. Krauß, ZEV 2001, 417, 418. Zur Nichtanwendung für Schenkungen in<br />
der ehemaligen DDR s. BGH, FamRZ 2004, 357 = MDR 2004, 561 = NJ 2004, 176 =<br />
VIZ 2004, 199 = WM 2004, 337 = ZEV 2004, 380 = ZOV 2004, 19; BGH, FamRZ<br />
2007, 1163 = MDR 2007, 246 = NJ 2007, 455 = NJW-RR 2007, 1463 = NotBZ 2007,<br />
363 = WM 2007, 1861 = ZEV 2007, 437 = ZOV 2007, 27 u. OLG Dresden, OLG-NL<br />
2003, 1 = NJ 2002, 435 = VIZ 2002, 594; abw. noch LG Görlitz, FamRZ 1999, 125.<br />
261 Zur Schadensersatzpflicht <strong>bei</strong> unberechtigter Rückforderung s. OLG Köln, BeckRS<br />
2008, 09081. Zur Verjährung s. BGHZ 146, 228 = FamRZ 2001, 409 = MDR 2001,<br />
743 = NJW 2001, 1063 = ZEV 2001, 199.<br />
262 Vgl. Koch, JR 1993, 313 ff.<br />
263 OLG Hamm, OLG-RR 2003, 76; Zur Rechtsnatur des § 529 BGB s.<br />
Bamberger/Roth/Gerlein, BGB, 2. Aufl. 2008, § 529 Rn. 1; MünchKommBGB/Koch,<br />
5. Aufl. 2008, § 529 Rn. 6; Erman/Herrmann, BGB, 12. Aufl. 2008, § 529 Rn. 1;<br />
Jauernig/Mansell, BGB, 13. Aufl. 2009, § 529 Rn. 5; Palandt/Weidenkaff, BGB,<br />
69. Aufl. 2010, § 529 Rn. 1; BGB-RGRK/Metzger, 12. Aufl. 1978, § 529 Rn. 1;<br />
Soergel/Mühl/Teichmann, BGB, 12. Aufl. 1997, § 529 Rn. 5; Eckebrecht, JA 2003,<br />
209, 213; Krauß, ZEV 2001, 417, 423.<br />
264 Vgl. Schippers, RNotZ 2006, 4248 f.<br />
199
von Immobilien auf jeden Fall mit Grundbucheintragung der Fall. 265 Ist<br />
der Vertrag wegen Verstoß gegen das Erfordernis der notariellen Beurkundung<br />
sämtlicher Vereinbarungen unwirksam, so verbleibt es <strong>bei</strong><br />
diesem Zeitpunkt. 266 Im Übrigen ist hinsichtlich des Fristlaufs zu berücksichtigen,<br />
dass es auf den Grundbuchvollzug, auf den die Beteiligten<br />
keinen Einfluss haben, nicht ankommen kann. Ausreichend ist, wenn<br />
diese alles für den Vollzug Nötige getan haben. Hierzu gehört die formgerechte<br />
Erklärung der Auflassung. 267 Ein Nutzungsvorbehalt, der im<br />
Rahmen des § 2325 Abs. 3 BGB nach der Rechtsprechung des BGH<br />
den Fristablauf hindern soll, kann wegen der unterschiedlichen<br />
Interessenlage den Fristlauf nicht verhindern. Von Bedeutung ist vor<br />
allem, dass eine eingeschränkte Schenkung „notbedarfsmäßig“ erwünscht<br />
ist, da sie (jedenfalls teilweise) die Notlage des Schenkers<br />
lindern kann. 268 Ob dies allerdings auch gilt, wenn sämtliche vorbehaltenen<br />
Nutzungsrechte <strong>bei</strong> Heimunterbringung ruhen, ist bisher<br />
nicht entschieden. 269 Der Eintritt der Bedürftigkeit, der den Ablauf der<br />
Zehnjahresfrist hindert, setzt die Erschöpfung des Vermögens des<br />
Schenkers voraus. Allein der Eintritt von Umständen, die später die<br />
Erschöpfung zur Folge haben können, nämlich z. B. eine Heimeinweisung,<br />
soll nicht genügen. 270 Jedenfalls greift <strong>bei</strong> einem vorübergehenden<br />
Bedürfnis (z. B. kurzfristiger Aufenthalt in einem Rehabilitationsheim)<br />
§ 528 BGB nicht ein, so dass der Ablauf der Zehnjahresfrist<br />
durch dieses Ereignis auch nicht gehindert wird. 271<br />
Das Rückforderungsinteresse des Schenkers kann das Bestandsinteresse<br />
des Beschenkten zweitens dann nicht übersteigen, wenn<br />
dieser durch die Rückabwicklung selbst bedürftig wird, da andernfalls<br />
265<br />
MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 529 Rn. 3; Krauß, ZEV 2001, 417, 423.<br />
266<br />
Ebenso MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 518 Rn. 24.<br />
267<br />
BGH, 1970, 941; BGH, NJW 1973, 40; BGH, NJW 1974, 2319; BGH, FamRZ 1986,<br />
988; BGH, NJW-RR 1989, 1282; BGHZ 143, 51, 54 = NJW 2000, 728; BGHZ 146,<br />
228, 234 = FamRZ 2001, 409 = MDR 2001, 743 = NJW 2001, 1063 = ZEV 2001, 199;<br />
OLG Köln, FamRZ 1986, 985; OLG Zweibrücken, NJW-RR 2001, 436 = FamRZ<br />
2001, 660; Bamberger/Roth/Gerlein, BGB, 2. Aufl. 2008, § 529 Rn. 1; Rundel,<br />
MittBayNot 2003, 177, 179; Schippers, RNotZ 2006, 42, 44.<br />
268<br />
Ebenso MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 529 Rn. 3; von Hoyenberg, Vorweggenommene<br />
Erbfolge, 2010, 1. Kap. Rn. 15; Schippers, RNotZ 2006, 42, 52.<br />
Verneinend Gühlstorf/Ette, ZfF 2008, 13.<br />
269<br />
Offen deshalb Kraus, ZEV 2001, 417, 423.<br />
270<br />
BGH, NJW 2000, 728, 729 = ZEV 2000, 111; OLG Celle, OLGR 2003, 274; a. A.<br />
MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 529 Rn. 3, wonach es ausreichen soll, dass<br />
der Anspruch aus § 528 BGB wegen eines nach Fristablauf ununterbrochen fortbestehenden<br />
Bedürfnisses geltend gemacht wird.<br />
271<br />
Rundel, MittBayNot 2003, 177, 180 u. MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 529<br />
Rn. 3.<br />
200
der Beschenkte in eine Notlage gestürzt würde, um den Schenker aus<br />
ihr zu befreien. 272 Dies ist der Fall, wenn der angemessene Unterhalt<br />
des Beschenkten 273 gefährdet würde. Maßgeblich sind hierzu die entsprechenden<br />
familienrechtlichen Bestimmungen. Unerheblich ist der<br />
Grund für die Bedürftigkeit des Beschenkten. 274 Nur wenn der Beschenkte<br />
trotz oder gerade wegen der Kenntnis von dem drohenden<br />
Notbedarf des Schenkers und der möglichen Geltendmachung des<br />
Rückforderungsrechtes seine eigene Bedürftigkeit mutwillig her<strong>bei</strong>geführt<br />
hat, kann ihm die Berufung auf seine eigene Bedürftigkeit aufgrund<br />
des Gebots von Treu und Glauben verwehrt sein. 275 Ausreichend<br />
ist eine Gefährdung des eigenen Unterhalts. Es genügt, dass <strong>bei</strong> Erfüllung<br />
des Rückforderungsanspruch der Beschenkte wahrscheinlich<br />
nicht mehr genügend Mittel für seinen eigenen angemessenen Unterhalt<br />
zur Verfügung hat. Gleiches gilt, wenn die Erfüllung der ihm kraft<br />
Gesetzes obliegenden Unterhaltspflichten gefährdet ist. Die Rechtsprechung<br />
legt diese Bedürftigkeit <strong>bei</strong> Übertragung eines angemessenen<br />
Familienheims weit aus. Seine Veräußerung kann regelmäßig<br />
nicht verlangt werden. Für den Beschenkten kann allerdings die<br />
Verpflichtung bestehen, durch Aufnahme eines Realkredits Mittel für<br />
den eigenen Unterhalt zu beschaffen und einzusetzen. 276<br />
Ein über diese weitreichenden Einschränkungen hinausgehender allgemeiner<br />
Vertrauensschutz besteht nicht. 277 Allerdings kann in Einzelfällen<br />
der Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs das Gebot<br />
von Treu und Glauben entgegenstehen. Bei einem Hausgrundstück<br />
272 So BGH, FamRZ 2001, 286 = FuR 2001, 505 u. 171 = MDR 2001, 742 = NJW 2001,<br />
1207 = WM 2001, 582 = ZEV 2001, 196 = ZNotP 2001, 166 u. OLG Hamm, FamRZ<br />
1993, 1436.<br />
273 BGH, NJW 2003, 488; BGH, FamRZ 2005, 1989 = JuS 2006, 183 = MDR 2006, 255<br />
= NJW 2005, 3638 = ZEV 2006, 37. Zur Schenkung durch eine Erbengemeinschaft s.<br />
OLG Köln, BeckRS 2007, 17941 = NJOZ 2008, 1177 = RNotZ 2008, 158 = ZEV 2007,<br />
489.<br />
274 BGH, FamRZ 2001, 21 = FuR 2001, 85 = MDR 2001, 94 = NJW 2000, 3488, 3489 =<br />
ZEV 2000, 449 u. BGH, FamRZ 2001, 286 = MDR 2001, 742 = NJW 2001, 1207,<br />
1209 = WM 2001, 582 = ZEV 2001, 196.<br />
275 BGH, FamRZ 2001, 286 = FuR 2001, 505 u. 171 = MDR 2001, 742 = NJW 2001,<br />
1207, 1208 = WM 2001, 582 = ZEV 2001, 196 = ZNotP 2001, 166; BGHZ 155, 57, 63<br />
= NJW 2003, 2449 = JuS 2003, 1125 = ZEV 2003, 373 = FamRZ 2003, 1265.<br />
276 BGH, NJW 2003, 1384, 1388 = FamRZ 2003, 224 = MDR 2003, 633 = ZEV 2003,<br />
114; BGH, FamRZ 2005, 1989 = JuS 2006, 183 = MDR 2006, 255 = NJW 2005, 3638<br />
= ZEV 2006, 37.<br />
277 BGHZ 147, 288, 290 = NJW 2001, 2084 = FamRZ 2001, 1137 = MDR 2001, 1342 =<br />
ZEV 2001, 241 = ZIP 2001, 1546. Vgl. zu Anstandsschenkungen § 534 BGB; sie sind<br />
nur <strong>bei</strong> Geldzuwendungen (LG Lübeck, FamRZ 1996, 961), nicht <strong>bei</strong> Hausübertragungen<br />
von Bedeutung.<br />
201
kann dies dann der Fall sein, wenn kein nennenswerter Erlös erzielt<br />
wird, 278 wo<strong>bei</strong> allerdings insoweit eine Kreditaufnahme, wenn dadurch<br />
keine Versteigerung droht, zugemutet werden kann. Von praktischer<br />
Bedeutung sind <strong>bei</strong> Hausübergaben die Fälle, in denen der Erwerber<br />
auf dem übertragenen Grundstück selbst mit erheblichen Aufwendungen<br />
einen Anbau errichtet. In diesem Fall kann eine Unzumutbarkeit<br />
der Herausgabe oder Verwertung des geschenkten Anteils vorliegen.<br />
279 In vielen Fällen der Hausübertragung scheidet <strong>bei</strong> Eintritt der<br />
Pflegebedürftigkeit des Veräußerers im Zehnjahreszeitraum und damit<br />
zusammenhängenden ungedeckten Pflegekosten eine Rückforderung<br />
bereits aus zivilrechtlichen Gründen aus.<br />
Der Rückforderungsanspruch des § 528 BGB gehört zu denjenigen<br />
Ansprüchen, die Sozialhilfeträger regelmäßig auf sich überleiten (§ 93<br />
SGB XII). Die diesbezüglichen Fälle haben in letzter Zeit stark zugenommen.<br />
280 Bei der Auslegung des Rückforderungsrechtes wegen<br />
Notbedarf ist zu berücksichtigen, dass diese Vorschrift zunächst lediglich<br />
das Verhältnis zwischen Schenker und Beschenkten betraf.<br />
Insoweit bestanden zwischen <strong>bei</strong>den Vertragsparteien gegenläufige<br />
Interessen. Erhielt der verarmte Schenker die von ihm übertragene Immobilie<br />
nicht zurück, ging dies zu seinen Lasten. Aufgrund der staatlichen<br />
Fürsorge haben sich die Interessen im Rahmen des zivilrechtlichen<br />
Rückforderungsanspruchs geändert. § 528 BGB ist nahezu zu<br />
einem sozialhilferechtlichen Erstattungsanspruch geworden. 281 Soweit<br />
der verarmte Schenker <strong>bei</strong> Nichtrückgewähr des übertragenen Vermögenswertes<br />
Sozialhilfe erhält, geht es zu Lasten der Allgemeinheit,<br />
wenn der Rückforderungsanspruch nicht durchgreift. Insofern kann das<br />
gemeinsame Interesse von Schenker und Beschenktem bestehen, dass<br />
278 MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 529 Rn. 5.<br />
279 Vgl. OLG Hamm, FamRZ 1993, 1436.<br />
280 S. dazu OLG Düsseldorf, FamRZ 1984, 887; OVG Münster, NJW 1988, 1866; OVG<br />
Hamburg, FamRZ 1995, 1453; OVG Greifswald, NordÖR 1998, 206; LSG Berlin-<br />
Brandenburg, NotBZ 2008, 242 = ZEV 2008, 547; LSG Nordrhein-Westfalen, BeckRS<br />
2007, 48564 = MittBayNot 2008, 157; Brählmann-Boyan/Mann, NJW 1995, 1866; von<br />
Hoyenberg, Vorweggenommene Erbfolge, 2010, 1. Kap. Rn. 12; Klinger/Maulbetsch,<br />
NJW-Spezial 2004, 301; Ruby, ZEV 2005, 102 ff.; Rundel, MittBayNot 2003, 177 ff. u.<br />
Soergel/Mühl/Teichmann, BGB, 12. Aufl. 1997, § 528 Rn. 1. Zur eingeschränkten Abtretbarkeit<br />
s. BGHZ 127, 354 = FamRZ 1995, 160 = MDR 1995, 138 = NJW 1995,<br />
323 = WM 1995, 214 = ZEV 1995, 35; OLG München, NJW-RR 1993, 250 u.<br />
Wüllenkemper, JR 1988, 353 ff.<br />
281 jurisPK-BGB/Sefrin, 4. Aufl. 2008, § 528 Rn. 8.<br />
202
die übertragene Immobilie nicht für den angemessenen Unterhalt des<br />
Schenkers eingesetzt werden muss. 282<br />
Voraussetzung des Rückforderungsanspruchs ist zunächst das Vorliegen<br />
einer Schenkung. 283 Sie wird von den Sozialhilfeträgern mitunter<br />
<strong>bei</strong> einer Hausübertragung gegen Übernahme der bestehenden Verbindlichkeiten,<br />
Gewährung eines lebenslangen Wohnungsrechts sowie<br />
der Verpflichtung zu Umbau- und Renovierungsar<strong>bei</strong>ten, die auch dem<br />
Veräußerer zugute kommen, verneint, 284 nicht jedoch wenn nur ein Erb-<br />
und Pflichtteilsverzicht erklärt wird. 285 Die Unentgeltlichkeit der Übertragung<br />
des Hausgrundstücks ist vom nunmehr notleidenden Schenker<br />
und deshalb <strong>bei</strong> Überleitung des Anspruchs auf den Sozialhilfeträger<br />
von diesem zu beweisen. 286 Mittels fingierter Käufe wird teilweise versucht,<br />
den Tatbestand einer Schenkung zu vermeiden. Anreiz hierzu<br />
bietet ferner das Institut der Ausstattung (§ 1624 BGB), <strong>bei</strong> dem es sich<br />
um keine Schenkung handelt. 287 Insofern ist es kaum verwunderlich,<br />
dass das früher nahezu ein Schattendasein führende Institut der Ausstattung<br />
in der notariellen Praxis zunehmende Bedeutung erlangt, um<br />
damit von vornherein die Hausübertragung aus dem Anwendungsbereich<br />
des § 528 BGB auszunehmen. Konsequenz ist aber nicht nur,<br />
dass die Folgen der Schenkung dadurch der Allgemeinheit auferlegt<br />
werden, 288 sondern zusätzlich, dass ein Geschwisterteil, das keine Ausstattung<br />
erhalten hat, sondern eine sonstige Geldzuwendung, diese für<br />
die nicht gedeckten Pflegekosten einsetzen muss, während der wesentlich<br />
"vermögendere" Hausübernehmer seine Immobilie, ohne auch nur<br />
282 Zutreffend MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 528 Rn. 2, der deshalb die<br />
Tendenz zu einer schenkerfreundlichen Auslegung des § 528 BGB befürwortet.<br />
283 S. nur Langenfeld/Günther, Grundstückszuwendungen zur lebzeitigen<br />
Vermögensnachfolge, 6. Aufl. 2010, Kap. 3 Rn. 196 u. Krauß, Überlassungsverträge<br />
in der Praxis, 2. Aufl. 2010, Rn. 818 ff.<br />
284 VGH Kassel, NVwZ-RR 1991, 414.<br />
285 LG Münster, NJW 1984, 1188. Zur Übernahme von Betreuungsleistungen als Gegenleistung<br />
s. OLG Hamm, NJW-RR 1993, 1412. Allg. zur Berücksichtigung der Gegenleistungen<br />
bzw. Auflagen, die sich anspruchsmindern auswirken, jurisPK-BGB/Sefrin,<br />
4. Aufl. 2008, § 528 Rn. 26.<br />
286 BGH, NJW 1995, 1349, 1350; OLG Düsseldorf, NVwZ-RR 1996, 668, 669; OLG Köln,<br />
FamRZ 2002, 27 u. OLG Düsseldorf, NJW-RR 2001, 519 = MDR 2001, 21 =<br />
MittBayNot 2001, 70 = ZEV 2001, 200. Vgl. auch OLG Düsseldorf, NJW-RR 2001,<br />
1518 = NotBZ 2002, 151 = ZEV 2002, 34 zum Sonderfall einer Wohnungsgewährung.<br />
287 Vgl. nur Krauß, MittBayNot 2005, 349, 350 Fn. 9: "also keine Rückforderung <strong>bei</strong><br />
Vorliegen einer Ausstattung (§ 1624 BGB)!"; AnwK-BGB/Dendorfer, 2005, § 528<br />
Rn. 4; Palandt/Diederichsen, BGB, 69. Aufl. 2010, § 1624 Rn. 3; Schwarz, JZ 1997,<br />
545, 547; vgl. zur Ausstattung bereits Ziff. III. 2.<br />
288 So MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 528 Rn. 2.<br />
203
einen Bruchteil des übertragenen Wertes einsetzen zu müssen, behalten<br />
darf.<br />
Der Rückforderungsanspruch setzt das Vorliegen eines Notbedarfs<br />
voraus. 289 Der Schenker muss nach Vollzug der Veräußerung außer<br />
Stande sein, seinen angemessenen Unterhalt zu bestreiten oder seine<br />
gesetzlichen Unterhaltspflichten zu erfüllen. Ausreichend ist es, wenn<br />
eine der <strong>bei</strong>den Tatbestandsvarianten erfüllt ist. Von Bedeutung sind<br />
auch Unterhaltspflichten gegenüber Geschwistern des Hausübernehmers,<br />
vor allem "Nachzügler-Geschwisterteilen". Nicht zu berücksichtigen<br />
sind vertraglich übernommene oder letztwillig auferlegte<br />
Unterhaltspflichten. 290 Insoweit sind die Voraussetzungen des<br />
Unterhaltsanspruchs eines volljährigen nicht mehr privilegierten Kindes,<br />
das keiner Ausbildung mehr nachgeht und für den eigenen Lebensunterhalt<br />
grundsätzlich selbst verantwortlich ist, von Bedeutung. Eine<br />
Unterhaltspflicht wird insoweit nur in engen Ausnahmefällen angenommen.<br />
291 Wird ein Geschwisterteil aufgrund Krankheit oder einen<br />
Unfall bedürftig, ist sein Lebensbedarf auf einen am Existenzminimum<br />
orientierten Grundbedarf sowie auf einen gegebenenfalls konkret zu<br />
beziffernden Mehrbedarf beschränkt. Die von ihm bisher erreichte<br />
Lebensstellung ist nicht geschützt. 292 Ist das Kind dauernd erwerbsunfähig,<br />
erhält es die sozialhilferechtliche Grundsicherung, <strong>bei</strong> der der<br />
Regress gegen die unterhaltspflichtigen Eltern eingeschränkt ist (§ 43<br />
Abs. 2 SGB XII). Ferner ist zusätzlich die sozialhilferechtliche Begrenzung<br />
in § 94 Abs. 2 Satz 1 SGB XII <strong>bei</strong> Leistungen nach dem 3., 5.<br />
und 6. Kapitel zu beachten. Auf diese Weise wird in Hausüberlassungsfällen<br />
ein Rückforderungsanspruch der Eltern wegen ihrer<br />
Unterhaltspflicht gegenüber einem volljährigen nicht mehr privilegierten<br />
Geschwisterteil kaum in Betracht kommen. Die Grundsicherungsansprüche<br />
aus der Sozialversicherung sind von dem bedürftigen Kind<br />
vorrangig in Anspruch zu nehmen. 293 Auch der verarmte Elternteil kann<br />
nur den Unterhalt verlangen, der objektiv seiner Lebensstellung nach<br />
289 Zum maßgeblichen Zeitpunkt s. BGHZ 155, 57 = BeckRS 2003, 05700 = FamRZ<br />
2003, 1265 = NJW 2003, 2449 = JR 2004, 154 = JuS 2003, 1125 = LMK 2003, 161 =<br />
MDR 2003, 1405 = WM 2003, 1994 = ZEV 2003, 373<br />
290 S. nur Staudinger/Wimmer-Leonhardt, BGB, Neubearb. 2005, § 528 Rn. 12.<br />
291 BGH, FamRZ 1985, 273 = NJW 1985, 806; Schürmann, in: Luthin/Koch (Hrsg.),<br />
Handbuch des Unterhaltsrechts, 11. Aufl. 2010, 4. Kap. Rn. 4229; Erdrich, in:<br />
Scholz/Stein, Praxishandbuch Familienrecht, 2009, Stand: Okt. 2009, Teil I Rn. 168 u.<br />
183.<br />
292 BGH, FamRZ 1985, 273 = NJW 1985, 806; BGH, FamRZ 1987, 930.<br />
293 BGH, FamRZ 2007, 1158; OLG Brandenburg, FamRZ 2008, 174.<br />
204
der Schenkung angemessen ist. 294 Ihr Unterhalt ist jedoch nicht auf den<br />
nicht gedeckten Notbedarf beschränkt, sondern kann auch <strong>bei</strong> dessen<br />
Deckung durch einen darüber hinausgehenden Bedarf ausgelöst<br />
werden und dessen Befriedigung dienen. Der Schenker soll jedoch nicht<br />
so gestellt werden, als habe er die Schenkung nicht gemacht und könne<br />
deshalb seinen gewohnten Lebensstil ohne jede Einschränkung <strong>bei</strong>behalten.<br />
Er wird auf einen Unterhalt verwiesen, der nicht zwingend<br />
seinem bisherigen individuellen Lebensstil entsprechen muss, sondern<br />
der objektiv seiner Lebensstellung nach der Schenkung angemessen<br />
ist. Entscheidend ist, dass der Rückforderungsanspruch wegen Notbedarfs<br />
den Schenker in die Lage versetzt, seinen angemessenen<br />
Lebensunterhalt zu bestreiten. Dies ist nicht der Fall, wenn er die<br />
zurückverlangte Immobilie an Dritte weitergeben müsste. 295<br />
Das Vorliegen des Notbedarfs bereitet in der Regel, wenn bereits<br />
Sozialhilfe geleistet werden musste, keine Schwierigkeiten. 296<br />
Grundsätzlich ist da<strong>bei</strong> das gegenwärtige Aktivvermögen des<br />
Schenkers zu ermitteln, wo<strong>bei</strong> ihm eine Verwertung seiner Vermögenssubstanz<br />
zuzumuten ist und Erwerbsmöglichkeiten berücksichtigt<br />
werden müssen, die allerdings in den Übertragungsfällen der vorweggenommenen<br />
Erbfolge wegen Erreichens der Regelaltersgrenze regelmäßig<br />
ausscheiden. Gesetzliche Unterhaltsansprüche der Hausübergeber<br />
insbesondere gegen andere Kinder bleiben außer Betracht, da<br />
der Schenker durch die Rückforderung in die Lage versetzt werden soll,<br />
seinen Unterhalt selbst zu bestreiten. 297 Weitere Voraussetzung ist,<br />
dass der Notbedarf bereits eingetreten ist und nicht nur droht. 298<br />
Allerdings muss die Notlage nicht erst nach der Schenkung eingetreten<br />
sein; es genügt, wenn die Bedürftigkeit bereits vor dem Vollzug der<br />
Schenkung vorlag. 299 Unstrittig muss die Bedürftigkeit nicht Folge der<br />
294 BGH, BeckRS 2003, 00092 = FamRZ 2003, 224 = FF 2003, 67 = FuR 2003, 317 =<br />
MDR 2003, 633 = NJW 2003, 1384, 1387 = WM 2003, 1574 = ZEV 2003, 114.<br />
295 OLG Celle, NJW-RR 1999, 197.<br />
296 jurisPK-BGB/Sefrin, 4. Aufl. 2008, § 528 Rn. 19.<br />
297 BGHZ 147, 288, 290 = NJW 2001, 2084 = FamRZ 2001, 1137 = MDR 2001, 1342 =<br />
ZEV 2001, 241 = ZIP 2001, 1546; BGHZ 96, 380, 382; BGH, NJW 1991, 1824.<br />
298 BGHZ 143, 51, 53 = DB 2000, 420 = NJW 2000, 728 = MDR 2000, 873 = MittBayNot<br />
2000, 226 = WM 2000, 837 = ZEV 2000, 111 = ZIP 2000, 191 = ZNotP 2000, 106;<br />
BGHZ 155, 57, 60 = NJW 2003, 2449; MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 528<br />
Rn. 4; AnwK-BGB/Dendorfer, 2005, § 528 Rn. 6 u. Staudinger/ Wimmer-Leonhardt,<br />
BGB, Neubearb. 2005, § 528 Rn. 7.<br />
299 BGH, DNotZ 2005, 281 = FamRZ 2005, 177 = JuS 2005, 373 = MDR 2005, 676 =<br />
MittBayNot 2005, 394 = NJW 2005, 670, 671 = ZErb 2005, 123 = ZEV 2005, 121;<br />
BGHZ 169, 320 = BeckRS 2006, 13984 = DNotZ 2007, 283 = FamRZ 2007, 277 =<br />
JuS 2007, 386 = MDR 2007, 387 = NJW 2007, 60, 62 = NotBZ 2007, 99 = WM 2007,<br />
205
Schenkung, die Bedürftigkeit des Schenkers also nicht gerade durch die<br />
Schenkung her<strong>bei</strong>geführt worden sein. Die Beweislast für die Bedürftigkeit<br />
trägt der Schenker. 300<br />
Die Rechtsfolge des Bestehens eines Rückforderungsanspruchs ist<br />
nach dem Gesetzeswortlaut scheinbar einfach. Dem Schenker steht <strong>bei</strong><br />
Vorliegen eines Notbedarfs ein Herausgabeanspruch nach den Vorschriften<br />
der ungerechtfertigten Bereicherung zu, der mit Eintritt der<br />
Notlage entsteht. 301 Geschuldet wird die Rückgabe des Schenkungsgegenstandes<br />
in Natur (§ 812 Abs. 1 Satz 1 BGB). Ist der Beschenkte<br />
nicht mehr bereichert, ist der Anspruch ausgeschlossen (§ 818 Abs. 3<br />
BGB). Beweispflichtig hierfür ist der Beschenkte. 302 Dies wird <strong>bei</strong> Hausübertragungsfällen<br />
selten der Fall sein. Denkbar ist die Weitergabe des<br />
Geschenkes an den Ehegatten des beschenkten Kindes. Erfolgt diese<br />
Weiterübertragung nicht, um den Rückforderungsanspruch auszuschalten,<br />
so dass eine verschärfte Haftung nach den §§ 818 Abs. 4, 819<br />
BGB eingreift, kann sich der bedürftige Schenker an den Zweitbeschenkten<br />
halten (§ 822 BGB). 303 Die ehebezogene Zuwendung stellt<br />
insoweit eine Schenkung dar, auch wenn im Verhältnis der Ehegatten<br />
möglicherweise ein entgeltliches Geschäft vorliegt. 304<br />
Erfolgt die Rückübertragung der geschenkten Immobilie an die Eltern<br />
und stellt sie <strong>bei</strong> diesen Schonvermögen gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB<br />
XII dar, würde der Anspruch – jedenfalls bis zu einer eventuellen<br />
179 = ZEV 2007, 134; unklar Krauß, MittBayNot 2005, 349, 351, der von einer zeitlichen<br />
Reihenfolge von Schenkung und Verarmung ausgeht.<br />
300 BGH, NJW 1996, 987 u. AnwK-BGB/Dendorfer, 2005, § 528 Rn. 17.<br />
301 BGHZ 137, 76 = DNotZ 1998, 875 = FamRZ 1998, 155 = MDR 1998, 955 =<br />
MittBayNot 1998, 89 = MittRhNotK 1998, 83 = NJ 1998, 257 = NJW 1998, 537 = WM<br />
1998, 190 = ZEV 1998, 73.<br />
302 AnwK-BGB/Dendorfer, 2005, § 528 Rn. 17.<br />
303 BGHZ 106, 354 = NJW 1989, 1478; BGHZ 142, 300, 302 = NJW 2000, 134; BGHZ<br />
158, 63, 65 = BeckRS 2004, 03051 = DB 2004, 2040 = FamRZ 2004, 691 = JA 2004,<br />
594 = JuS 2004, 624 = JZ 2004, 795 = LMK 2004, 98 = NJW 2004, 1314 = WM 2005,<br />
389 = ZEV 2004, 209 = ZNotP 2004, 440; a. A. OLG Düsseldorf, FamRZ 1984, 887 u.<br />
OLG Koblenz, NJW-RR 1991, 1218. Vgl. auch OLG Celle, NJW-RR 1999, 197. Zur<br />
Rückforderung nach dem Tod des Beschenkten s. BGH, NJW 1991, 2558.<br />
304 BGHZ 142, 300, 301 = NJW 2000, 134; BGH, NJW-RR 2001, 6; BGHZ 106, 354, 357<br />
= NJW 1989, 1478; MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 528 Rn. 8; AnwK-<br />
BGB/Dendorfer, 2005, § 528 Rn. 13; Brähler-Boyan/Mann, NJW 1995, 1866, 1868; a.<br />
A. OLG Koblenz, NJW-RR 1991, 1218. Die insoweit empfohlene unmittelbare<br />
Schwiegerkinderschenkung bringt keine Vorteile (a. A. Reymann, ZEV 2006, 55 ff.);<br />
OLG Koblenz, NJW-RR 1991, 1218 u. KG, FamRB 2010, 1 = FamRZ 2010, 33 = FPR<br />
2009, 489 = JA 2010, 225 = NJW-RR 2009, 1301.<br />
206
Erbenhaftung – dem Sozialhilfeträger zunächst nichts bringen. 305<br />
Allerdings beschränkt sich der Herausgabeanspruch auf das zur Behebung<br />
des Notbedarfs Erforderliche ("soweit"). Er ist somit durch den<br />
Wert der Zuwendung und durch den angemessenen Unterhalt des<br />
Schenkers begrenzt. Entspricht der festgestellte Notbedarf nicht dem<br />
Wert des Geschenks, so dass dieses insgesamt herauszugeben ist, so<br />
können nur die zur Bedarfsdeckung erforderlichen Teile "zurückgefordert"<br />
werden. Ausnahmsweise ist dies anders, wenn der aufgelaufene<br />
Bedarf bereits den Wert des geschenkten Gegenstands erreicht,<br />
was <strong>bei</strong> Hausübertragungen jedoch nur in ganz seltenen Fällen<br />
gegeben sein wird. Die anteilige Rückgabe ist <strong>bei</strong> Geldschenkungen<br />
unproblematisch, da hier jeweils der entsprechende Teilbetrag, der zur<br />
Deckung des angemessenen Unterhalts erforderlich ist, entrichtet<br />
werden kann. Dies ist <strong>bei</strong> einem unteilbaren Gegenstand wie z. B. einer<br />
Immobilie nicht möglich, da eine Teilherausgabe (z. B. nach Quadratmetern)<br />
nicht denkbar ist. Gleiches gilt <strong>bei</strong> gemischten Schenkungen<br />
und wohl auch <strong>bei</strong> Schenkungen unter Auflagen, da der Wert der<br />
Gegenleistung bzw. der Auflage als den unentgeltlichen Teil der Zuwendung<br />
mindernde Verrechnungspositionen zu erfassen ist. 306 Bei der<br />
Hausübergabe ist deshalb praktisch nur ein Teilwertersatz in Geld möglich.<br />
307<br />
Im Normalfall tritt <strong>bei</strong> Heimunterbringung des früheren Eigentümers ein<br />
wiederkehrender Bedarf auf, so dass das Kind Zahlungen in wiederkehrenden<br />
Teilleistungen schuldet. 308 Die Zahlungen sind auf den<br />
305<br />
Anders ist dies, wenn man insoweit Einkommen annimmt (so im Ansatz Wahrendorf,<br />
in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 93 Rn. 14).<br />
306<br />
Ebenso Krauß, ZEV 2001, 417, 422 u. jurisPK-BGB/Sefrin, 4. Aufl. 2008, § 528<br />
Rn. 26.<br />
307<br />
BGHZ 94, 141, 143 = NJW 1985, 2419; BGHZ 96, 380, 382 = NJW 1986, 1606;<br />
BGHZ 125, 283, 284 = NJW 1994, 1655; BGH, FamRZ 1996, 483 = MDR 1996, 348<br />
= MittRhNotK 1997, 75 = NJW 1996, 987 = WM 1996, 687 = ZEV 1996, 152; BGHZ<br />
146, 228 = FamRZ 2001, 409 = MDR 2001, 743 = NJW 2001, 1063 = ZEV 2001, 199;<br />
BGH, JA 2003, 619 = JuS 2003, 295 = NJW-RR 2003, 53, 54 = ZEV 2003, 29; OLG<br />
Zweibrücken, OLGZ 1989, 264.<br />
308<br />
BGHZ 94, 141, 143 = NJW 1985, 2419; BGHZ 96, 380, 382 = NJW 1986, 1606 =<br />
MittRhNotK 1986, 118; BGHZ 125, 283, 284 = DVBl. 1994, 1294 = FamRZ 1994, 815<br />
= MDR 1995, 28 = NJW 1994, 1655 = WM 1994, 1303 = ZEV 1994, 255; BGHZ 155,<br />
57, 59 = FamRZ 2003, 1265 = JR 2004, 154 = JuS 2003, 1125 = NJW 2003, 2449 =<br />
WM 2003, 1994 = ZEV 2003, 373; BGH, DNotZ 2005, 281 = FamRZ 2005, 177 = JuS<br />
2005, 373 = MDR 2005, 676 = MittBayNot 2005, 394 = NJW 2005, 670 = ZErb 2005,<br />
123 = ZEV 2005, 121; BGH, BeckRS 2006, 01644 = FamRZ 2006, 473 = JuS 2006,<br />
749 = NJW-RR 2006, 699, 701 = ZEV 2006, 214; BVerwGE 90, 245, 248 = NJW<br />
1992, 3312; Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Auf. 2010, § 93 Rn. 15;<br />
MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 528 Rn. 5; Staudinger/Wimmer-Leonhardt,<br />
207
Gesamtwert der übertragenen Immobilie beschränkt; ist dieser erschöpft,<br />
muss das Kind keine Zahlungen mehr leisten. 309 Wirtschaftliche<br />
Konsequenz ist allerdings, dass das Kind <strong>bei</strong> einer langdauernden<br />
Heimunterbringung der Eltern diesen faktisch die Immobilie mittels eines<br />
Ratenzahlungsvertrages abkauft. 310 Der vordergründige Schutz des<br />
Schonvermögens hilft somit nicht. 311<br />
Kann sich das beschenkte Kind den Kauf einer Immobilie nicht leisten,<br />
wird es auf dem Umweg der teilweisen Ersatzpflicht in Geld faktisch<br />
zum Immobilienkauf genötigt. Folge ist, dass es seinen sonstigen<br />
Lebensstandard erheblich einschränken muss, wozu es häufig nicht<br />
bereit sein wird. Insofern führt die Einschränkung des Rückforderungsanspruchs<br />
auf das zur Behebung des Notbedarfs Erforderliche, das den<br />
Beschenkten schonen soll, <strong>bei</strong> Hausübertragungen zum gegenteiligen<br />
Ergebnis. Kinder sind häufig bereit, die Immobilie den Eltern gegen<br />
Ersatz ihrer Verwendungen zurückzugeben, um sich dadurch von einer<br />
ihren Lebensstandard einschränkenden Geldzahlungspflicht zu befreien.<br />
Der Wortlaut des § 528 Abs. 1 Satz 2 BGB lässt dies zu. Der<br />
BGH hat die Frage zunächst offen gelassen, 312 aber nunmehr bejaht. 313<br />
Der Beschenkte sei nicht verpflichtet, das Geschenk zu verwerten oder<br />
insbesondere auch eigene Mittel einzusetzen, um den Unterhaltsbedarf<br />
des Schenker zu sichern. Er könne auf die Begünstigung des Gesetzes<br />
verzichten und sich durch Herausgabe des ganzen Grundstücks in<br />
BGB, Neubearb. 2005, § 528 Rn. 17; Palandt/Weidenkaff, BGB, 69. Aufl. 2010, § 528<br />
Rn. 6; Erman/Herrmann, BGB, 12. Aufl. 2008, § 528 Rn. 3 u. Krauß, MittBayNot 2005,<br />
349 ff.<br />
309 S. nur BGH, FamRZ 1996, 483 = MDR 1996, 348 = MittRhNotK 1997, 75 = NJW<br />
1996, 987 = WM 1996, 687 = ZEV 1996, 152 u. OLG Koblenz, FamRZ 1999, 256 =<br />
MittBayNot 1999, 284. Freiwillig erbrachte Pflegeleistungen können dem Anspruch<br />
nicht entgegengehalten werden (BGHZ 137, 76 = DNotZ 1998, 875 = FamRZ 1998,<br />
155 = MDR 1998, 955 = MittBayNot 1998, 89 = MittRhNotK 1998, 83 = NJ 1998, 257<br />
= NJW 1998, 537 = WM 1998, 190 = ZEV 1998, 73; s. auch OLG Oldenburg, FamRZ<br />
1996, 1281 = NJWE-FER 1996, 39 u. LG Mönchengladbach, NJW 1996, 467).<br />
310 Zur dogmatischen Einstufung als einheitlicher Anspruch auf teilweise Herausgabe des<br />
Geschenks in Form von Geldersatzleistungen s. BGHZ 125, 283, 285 = DVBl. 1994,<br />
1294 = FamRZ 1994, 815 = MDR 1995, 28 = NJW 1994, 1655 = WM 1994, 1303 =<br />
ZEV 1994, 255; BGHZ 146, 228, 232 = FamRZ 2001, 409 = MDR 2001, 743 = NJW<br />
2001, 1063 = ZEV 2001, 199.<br />
311 Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 93 Rn. 15.<br />
312 BGHZ 125, 283, 285 = DVBl. 1994, 1294 = FamRZ 1994, 815 = MDR 1995, 28 =<br />
NJW 1994, 1655 = WM 1994, 1303 = ZEV 1994, 255; Vgl. auch OLG Hamm, BeckRS<br />
2005, 14733 = NJOZ 2006, 287 = OLGReport Hamm 2006, 184<br />
313 BGH, BeckRS 2010, 02216 = FamRZ 2010, 463 = MDR 2010, 433 = NotBZ 2010,<br />
141 = WuM 2010, 94 = ZEV 2010, 155; ebenso bereits MünchKommBGB/Koch,<br />
5. Aufl. 2008, § 528 Rn. 6; Franzen, FamRZ 1997, 528, 532 u. 545 u. Schwarz, JZ<br />
1997, 547.<br />
208
Natur von der Teilwertersatzpflicht in Geld befreien. Andernfalls würde<br />
sich die Begünstigung in dem Fall, dass das Geschenk schwer oder gar<br />
nicht zu verwerten ist, in ihr Gegenteil verkehren. Zwar trägt in diesem<br />
Fall das Risiko der Verwertung der geschenkten Immobilie der Träger<br />
der Sozialhilfe. Dies wäre allerdings nicht anders, wenn der im Pflegeheim<br />
untergebrachte Elternteil von vornherein die Immobilie behalten<br />
hätte. Wird die Immobilie wegen Pflegeheimaufenthalt vom Schenker<br />
oder dessen Angehörigen nicht mehr selbst genutzt, handelt es sich um<br />
kein sozialhilferechtliches Schonvermögen. Ob die Ersetzungsbefugnis<br />
bereits durch Erklärung wirksam ausgeübt werden kann, oder ob es<br />
hierzu eines notariell beurkundeten Angebots bedürfe, hat der BGH<br />
offen gelassen. Bis zum Vorliegen der höchstrichterlichen Entscheidung<br />
ist deshalb in der Praxis zu empfehlen, ein notarielles Angebot auf<br />
Rückgabe der Schenkung zu machen. Offen ist auch noch, ob in den<br />
sogenannten Anbaufällen – gegebenenfalls nach Aufteilung in<br />
Wohnungs- und Teileigentum – eine Rückgabe des alten Hauses mit<br />
einem entsprechenden Grundstücksteil erfolgen kann, mit der Folge,<br />
dass nur in Höhe des verbleibenden Grundstücksanteils ein Wertersatz<br />
in Geld zu leisten wäre. Dies würde dem Interesse des Kindes, das<br />
möglichst wenig eigene Mittel einsetzen möchte, entgegenkommen.<br />
Diese Lösung stellt allerdings nicht den Zustand wieder her, der ohne<br />
die Freigiebigkeit des Schenkers bestünde. Der zurückgegebene<br />
Gegenstand ist sowohl <strong>bei</strong> realer Grundstücksteilung als auch <strong>bei</strong> Aufteilung<br />
in Wohnungs- und Teileigentum verändert.<br />
Hat der Sozialhilfeträger den Anspruch nach § 528 Abs. 1 Satz 1 BGB<br />
auf sich übergeleitet, befreit eine Rückgabe der Immobilie an den verarmten<br />
Schenker den Beschenkten nicht von seiner Leistungspflicht<br />
gegenüber dem Sozialhilfeträger, wenn ihm die Überleitung bereits<br />
bekannt war. 314 In diesen Fällen muss die Rückgabe an den Sozialhilfeträger<br />
erfolgen. Der Beschenkte kann sich jedoch durch die Rückgabe<br />
in Natur von der Pflicht des Wertersatzes gegenüber dem Sozialhilfeträger<br />
befreien. 315 Ob der Verzicht auf die Begünstigung des § 528<br />
Abs. 1 Satz 1 BGB durch die Herausgabe des ganzen geschenkten<br />
Grundstücks in Natur dazu führt, dass die Immobilie <strong>bei</strong>m Schenker<br />
wiederum Schonvermögen i. S. des § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII wird, ist<br />
bisher nicht geklärt. 316 Der übergeleitete Anspruch stellt nämlich eine<br />
Teilwertersatzpflicht dar, von der sich der Beschenkte nur durch die<br />
314 BGHZ 125, 283, 285 = DVBl. 1994, 1294 = FamRZ 1994, 815 = MDR 1995, 28 =<br />
NJW 1994, 1655 = WM 1994, 1303 = ZEV 1994, 255.<br />
315 A. A. noch Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 93 Rn. 15.<br />
316 Bejahend Krauß, NotBZ 2010, 141, 142.<br />
209
Herausgabe eines "Mehr" befreien kann. Erhält der Sozialhilfeträger<br />
mehr, als er beanspruchen kann, kann dies im Rahmen der Sozialhilfe<br />
aber wohl nicht dazu führen, dass das zurückgegebene Geschenk nicht<br />
verwertet werden kann. Praktisch werden diese Fälle, wenn die Immobilie<br />
nach Rückgabe weiter von einem zur Einsatzgemeinschaft gehörenden<br />
Angehörigen des im Heim untergebrachten Elternteils selbst<br />
genutzt wird. Dies würde zu einer Totalblockade führen und dem Träger<br />
der Sozialhilfe nur die Möglichkeit geben, nach dem Tod des Elternteils<br />
auf dessen Nachlass, in dem sich die zurückübertragene Immobilie<br />
dann wieder befindet, zurückzugreifen (§ 102 SGB XII). Allerdings ist<br />
der Sozialhilfeträger dadurch nicht stärker belastet, als er <strong>bei</strong>m Fortbestand<br />
des Eigentums in der Person des Veräußerers stehen würde.<br />
An sich scheint diese Lösung schlüssig zu sein. 317<br />
Bereits vor der Entscheidung des BGH wurde deshalb die vertragliche<br />
Vereinbarung der sogenannten Ersetzungsbefugnis diskutiert. 318 Dem<br />
beschenkten Kind sollte dadurch die Möglichkeit gegeben werden, sich<br />
im Fall der Inanspruchnahme durch die Sozialhilfeverwaltung von der<br />
Zahlungspflicht durch Rückgabe der geschenkten Immobilie zu befreien.<br />
Allerdings ist fraglich, ob die umgekehrte vertragliche Ersetzungsbefugnis<br />
mit Rückgabe an den Schenker selbst dazu führt, dass es sich <strong>bei</strong><br />
diesem um Schonvermögen handelt. Ebenso wie <strong>bei</strong>m Erbfall, kann die<br />
vertragliche Variante dazu führen, dass es sich <strong>bei</strong> dem Schenker um<br />
Einkommen handelt, für das nicht die Grenzen des § 90 Abs. 2 SGB XII<br />
gelten. 319 Praktisch wird die Ersetzungsbefugnis zudem nur werden,<br />
wenn die Immobilie nicht vom beschenkten Kind umgebaut oder an sie<br />
angebaut wurde, es sich also <strong>bei</strong> dem Zuwendungsobjekt um ein sofort<br />
auch vom Kind nutzbares Haus handelt. In diesen Fällen kann<br />
flankierend durch Verfügung von Todes wegen sichergestellt werden,<br />
dass die Immobilie <strong>bei</strong>m Tod des Elternteils wieder auf das Kind<br />
zurückfällt. Fallen für die Heimunterbringung kaum Kosten an, da der<br />
Elternteil nach der Rückgabe relativ schnell stirbt, muss das Kind nur<br />
den nicht gedeckten Fehlbetrag an die Sozialhilfe im Rahmen der<br />
Erbenhaftung leisten. Fallen höhere Kosten an und ist die Immobilie<br />
noch nicht verwertet, kann das Kind die Erbschaft ausschlagen.<br />
Zweckmäßig ist es hinsichtlich der Immobilie ein Vorausvermächtnis<br />
317 Ähnlich Krauß, MittBayNot 2005, 349, 353.<br />
318 Hörlbacher, ZEV 1995, 202, 204; Krauß, Überlassungsverträge in der Praxis,<br />
2. Aufl. 2010, Rn. 886 u. Skribbe, ZEV 1994, 255. Vgl. auch Jülicher, ZEV 1998,<br />
201 ff. u, Spiegelberger, MittBayNot 2000, 1 ff.<br />
319 Doering-Striening, ErbR 2009, 362, 364; nicht behandelt von Krauß,<br />
Überlassungsverträge in der Praxis, 2. Aufl. 2010, Rn. 886 u. ders., ZEV 2001, 417,<br />
425.<br />
210
anzuordnen, wenn das Kind auch Erbe werden soll. In diesem Fall kann<br />
es über die Annahme der dazugehörenden Immobilie unabhängig von<br />
der Annahme der Erbschaft im Übrigen entscheiden, 320 da in diesem<br />
Fall das Vermächtnis von der Erbenstellung unabhängig ist. 321<br />
Schenkungsteuerrechtlich führt die Rückgabe der Immobilie zur Berichtigung<br />
der Schenkungsteuer. Unproblematisch ist dies, soweit das<br />
Geschenk wegen eines Rückforderungsrechtes herausgegeben werden<br />
muss (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG), und zwar auch <strong>bei</strong> Rückforderung<br />
durch den Träger der Sozialhilfe. 322 Ob dies auch gilt, wenn das Rückforderungsrecht<br />
lediglich in Form des Wertersatzes besteht und der<br />
Hausübernehmer freiwillig die Immobilie zurückgibt, ist offen.<br />
Grundsätzlich dürfte die Rückgabemöglichkeit schenkungsteuerrechtlich<br />
hinsichtlich des übersteigenden Betrags eine Rückschenkung darstellen.<br />
323 Beim Schenker selbst ist der Zeitraum, in dem er die Immobilie<br />
genutzt hat, schenkungsteuerrechtlich wie die Zuwendung eines<br />
zeitlich beschränkten Nießbrauchs zu behandeln (§ 29 Abs. 2<br />
ErbStG). 324<br />
Das Gesetz gibt dem Beschenkten eine weitere ausdrücklich geregelte<br />
Ersetzungsbefugnis. Er kann den Rückgabeanspruch dadurch abwenden,<br />
dass er erklärt, dem Schenker den für dessen Unterhalt bzw.<br />
Unterhaltspflicht erforderlichen Betrag zu zahlen. 325 Dieser Anspruch<br />
steht nur dem Beschenkten, nicht dem Schenker zu. Deshalb kann auch<br />
die Sozialhilfe <strong>bei</strong> Angebot der Rückgabe des Geschenkes im Ganzen<br />
nicht auf diese Ersetzungsbefugnis ausweichen. 326 Die Ersetzungsbefugnis<br />
des Schenkers ist in der Praxis ohne Bedeutung,<br />
wenn der Rückgewähranspruch, den die Sozialhilfebehörde auf sich<br />
übergeleitet hat, <strong>bei</strong> einer unteilbaren Immobilie von vornherein auf<br />
Zahlung geht. 327 Hat das beschenkte Kind versehentlich von dem Wahlrecht<br />
Gebrauch gemacht, kann es allerdings nicht mehr einseitig zum<br />
Anspruch aus § 528 Abs. 1 Satz 1 BGB zurückkehren und damit auch<br />
320 S. nur Palandt/Edenhofer, BGB, 69. Aufl. 2010, § 2150 Rn. 2.<br />
321 OLG Köln, FamRZ 1998, 197.<br />
322 Vgl. Kapp/Ebeling, ErbStG, Stand: Dezember 2009, § 29 Rn. 25.<br />
323 Vgl. Kapp/Ebeling, ErbStG, Stand: Dezember 2009, § 29 Rn. 1.<br />
324 Vgl. Kapp/Ebeling, ErbStG, Stand: Dezember 2009, § 29 Rn. 30.1.<br />
325 MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 528 Rn. 21; Staudinger/Wimmer-Leonhardt,<br />
BGB, Neubearb. 2005, § 528 Rn. 28.<br />
326 Vgl. OLG Naumburg, OLG-NL 1997, 27; MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 528<br />
Rn. 21.<br />
327 BGHZ 94, 141, 144 = NJW 1985, 2419; BGH, NJW 1996, 987, 988 u. BGHZ 137, 76,<br />
83 = NJW 1998, 537; Ebenso PWW/Hoppenz, BGB, 5. Aufl. 2010, § 528 Rn. 12 u 14<br />
u. MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 528 Rn. 21.<br />
211
nicht von der nunmehr vom BGH eröffneten Möglichkeit der Rückgabe<br />
des Geschenkes im Ganzen Gebrauch machen. 328<br />
Hat der nunmehr bedürftige Elternteil verschiedene Zuwendungen gemacht,<br />
kommt es auf deren zeitliche Dimension an (§ 528 Abs. 2 BGB).<br />
Gleichzeitige Beschenkte haften ohne Rücksicht auf den Gegenwert der<br />
Zuwendungen gleichrangig nebeneinander. 329 Eine gleichzeitige<br />
Schenkung im Rahmen einer Hausübertragung erfolgt häufig dadurch,<br />
dass der Übernehmer an seine weichenden Geschwister Geldzahlungen<br />
zu leisten hat. Diese erfolgen nicht durch Schenkung des<br />
Hauserwerbers, sondern aufgrund Auflage der Eltern und stellen damit<br />
Zuwendungen von diesen dar. Auf den Zeitpunkt der Entrichtung dieser<br />
Geldleistung kommt es nicht an. Maßgeblich für den Ausgleich<br />
zwischen mehreren Beschenkten ist nämlich nach überwiegender Ansicht<br />
der Zeitpunkt des Abschlusses des Zuwendungsvertrages und<br />
nicht derjenige der Bewirkung der Leistungshandlung oder der sonstige<br />
Vollzug. 330 In diesem Fall kann der verarmte Elternteil und nach Überleitung<br />
des Anspruchs der Sozialhilfeträger nach seiner Wahl die beschenkten<br />
Kinder in Anspruch nehmen. Er muss nicht Empfänger der<br />
Geldzuwendungen wegen der schnelleren Realisierbarkeit vorrangig in<br />
Anspruch nehmen. 331 Aufgrund der gesamtschuldnerischen Haftung im<br />
Außenverhältnis ergibt sich eine interne Ausgleichspflicht entsprechend<br />
den zugewandten Werten, auch wenn die Übertragung des Hausgrundstücks<br />
und eine Geldzuwendung nicht gleichartig sind. 332 Bei<br />
Inanspruchnahme des jeweiligen Kindes steht diesem ein Freistellungsanspruch<br />
gegen die Geschwister zu. 333<br />
328 Zur Streitfrage, ob die Unterhaltspflicht der Höhe nach durch den Wert des Geschenks<br />
beschränkt ist s. bejahend Franzen, FamRZ 1997, 528, 530;<br />
Erman/Herrmann, 12. Aufl. 2008, § 528 Rn. 4; Soergel/Mühl/Teichmann, BGB,<br />
12 Aufl. 1997, § 528 Rn. 12; Staudinger/Wimmer-Leonhardt, BGB, Neubearb. 2005,<br />
§ 528 Rn. 29 u. MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 528 Rn. 22; verneinend<br />
Hörlbacher, ZEV 1995, 202, 203; Krauß, ZEV 2001, 417, 421;<br />
Bamberger/Roth/Gerlein, BGB, 2. Aufl. 2008, § 528 Rn. 5; AnwK-BGB/Dendorfer,<br />
2005, § 528 Rn. 15; Jauernig/Mansell, BGB, 13. Aufl. 2009, § 528 Rn. 5.<br />
329 BGH, NJW 1991, 1824, 1825; BGHZ 137, 76, 80 f. = DNotZ 1998, 875 = FamRZ<br />
1998, 155 = MDR 1998, 955 = MittBayNot 1998, 89 = MittRhNotK 1998, 83 = NJ<br />
1998, 257 = NJW 1998, 537 = WM 1998, 190 = ZEV 1998, 73; OLG Frankfurt, NJW-<br />
RR 1993, 835. Vgl. auch Heiter, JR 1995, 313 ff. u. Keim, ZEV 1998, 375 ff.<br />
330 Staudinger/Wimmer-Leonhardt, BGB, Neubearb. 2005, § 528 Rn. 35;<br />
MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 528 Rn. 26; Heiter, JR 1994, 313, 315; Keim,<br />
ZEV 1998, 375, 377 u. Rundel, MittBayNot 2003, 177, 180.<br />
331 BGHZ 137, 76, 80 f.<br />
332 BGHZ 137, 76, 82 ff. u. Rundel, MittBayNot 2003, 177, 182.<br />
333 MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 528 Rn. 27 a. E.<br />
212
Erfolgen die Zuwendungen zeitlich nacheinander, <strong>bei</strong>spielsweise <strong>bei</strong><br />
Übertragung mehrerer Immobilien oder einer Immobilie und eines<br />
anderen Vermögensgegenstandes (z. B. Wertpapierdepot), hat die<br />
Rückabwicklung in der umgekehrten zeitlichen Reihenfolge zu erfolgen.<br />
Der zuletzt Beschenkte wird als erster herangezogen. 334 Der später<br />
Beschenkte haftet deshalb nur für denjenigen Restbetrag, der sich ergibt,<br />
wenn der Wert der Herausgabepflicht des später Beschenkten vom<br />
Bedarf abgezogen wird. Faktisch ist dies <strong>bei</strong> der Hausüberlassung erst<br />
dann der Fall, wenn der Wert des ersten Geschenks erschöpft ist.<br />
Maßgeblich ist die konkrete Leistungsfähigkeit zur Deckung des auftretenden<br />
Bedarfs. 335 Eine Ausgleichspflicht zwischen den mehreren<br />
Beschenkten besteht nicht. Diese Regelung widerspricht häufig den<br />
Interessen der Beteiligten, da die Eltern mit den Schenkungen die<br />
Kinder möglichst gleich behandeln oder zumindest erreichen wollen,<br />
dass jedes Kind den ihm zugewandten Gegenstand behalten darf. Dass<br />
ein Kind leer ausgeht, während das andere im Genuss des Geschenks<br />
verbleibt, ist im Normalfall nicht Zweck der Zuwendung. Gleiches gilt<br />
übrigens auch, wenn <strong>bei</strong> einem Kind die Zehnjahresfrist des § 2329<br />
Abs. 1, 2. Alt. BGB bereits verstrichen ist, während das später beschenkte<br />
Kind „seine“ Immobilie zurückgeben oder Wertersatz leisten<br />
muss. Ausnahmsweise kann dieses trotz des Aspekts der (möglichst<br />
weitgehenden) Gleichbehandlung der Kinder gewollt sein, wenn das<br />
zuletzt beschenkte Kind sich gegenüber den Eltern oder Geschwistern<br />
in nicht adäquater Weise verhalten hat (z. B. tätliche Angriffe, Beschimpfungen),<br />
aber dennoch nicht leer ausgehen soll, etwa weil ein<br />
verstorbener Elternteil eine Zuwendung wünschte oder in früheren<br />
Zeiten anzuerkennende Leistungen erbracht wurden.<br />
Diesbezüglich wurden Freistellungsverpflichtungen zu Gunsten der<br />
weichenden Geschwister von Unterhaltsansprüchen, die auf den<br />
Sozialhilfeträger übergehen, bereits früher diskutiert. 336 Gleiches betrifft<br />
den Rückforderungsanspruch nach § 518 BGB. Die Freistellungsver-<br />
334<br />
BGHZ 137, 76, 80 = NJW 1998, 537. Zur entsprechenden Regelung im Pflichtteilsrecht<br />
vgl. § 2329 Abs. 3 BGB.<br />
335<br />
Ebenso jurisPK-BGB/Severin, 4. Aufl. 2008, § 528 Rn. 33; MünchKommBGB/Koch,<br />
5. Aufl. 2008, § 528 Rn. 26; Staudinger/Wimmer-Leonhardt, BGB, Neubearb. 2005,<br />
§ 528 Rn. 33; a. A. Bamberger/Roth/Gerlein, BGB, 13. Aufl. 2009, § 528 Rn. 6;<br />
Soergel/Mühl/Teichmann, BGB, 12. Aufl. 1997, § 528 Rn. 9 in Anlehnung an § 2329<br />
BGB.<br />
336<br />
S. nur Waldner/Ott, MittBayNot 1986, 65 ff. u. Weiland, MittRhNotK 1997, 73 f.; vgl.<br />
auch Mayer, Der Übergabevertrag, 2. Aufl. 2001, Rn. 218; Albrecht, in:<br />
Reithmann/Albrecht, Handbuch der notariellen <strong>Vertragsgestaltung</strong>, 8. Aufl. 2001,<br />
Rn. 714; Rastätter, ZEV 1996, 281, 289.<br />
213
pflichtung kann für den Fall vereinbart werden, dass Geschwister aufgrund<br />
der gesetzlichen Unterhaltspflicht oder aufgrund der Rückforderung<br />
nach § 518 Abs. 1 BGB zu Zahlungen bzw. zur Rückgabe des<br />
Geschenkes durch die Eltern direkt oder durch den Sozialhilfeträger im<br />
Wege des Regresses herangezogen werden. Ist diese Freistellungsverpflichtung<br />
nicht beschränkt, kann der Hausübernehmer seinerseits zu<br />
Zahlungen herangezogen werden, die den Wert der Zuwendungen<br />
übersteigen. Außerdem ist zu prüfen, ob nicht auch der Hausübernehmer<br />
wertmäßig einen Betrag in Höhe der den Geschwistern verbleibenden<br />
Abfindungsleistungen ebenfalls behalten darf. Von Bedeutung<br />
sind ferner die von ihm zusätzlich erbrachten Leistungen<br />
gegenüber den Eltern, die auch die Geschwister entlastet haben, insbesondere<br />
Pflegeleistungen. In der Praxis dienen Freistellungsverpflichtungen<br />
häufig dazu, eine aktuelle Beruhigung der Geschwister<br />
her<strong>bei</strong>zuführen. Der Hausübernehmer erklärt sich mit ihnen einverstanden,<br />
ohne dass die sich aus der Vertragsklausel später ergebenden<br />
Probleme wirklich gelöst wären. 337<br />
Zudem nutzt die Freistellungsverpflichtung wenig, wenn der Hausübernehmer<br />
nicht leistungsfähig ist. Außerdem kommt es in der Praxis<br />
häufig zu einem Konflikt zwischen dem Sicherungsinteresse der Übergeber<br />
und der Freistellungsverpflichtung. Wollen die Übergeber oder<br />
zumindest der noch nicht im Pflegeheim untergebrachte Elternteil, dass<br />
das übertragene Haus nicht veräußert wird, kann der Hausübernehmer<br />
seine Freistellungsverpflichtung gegenüber den Geschwistern kaum<br />
erfüllen. Eine Beleihung des Objektes im Rang hinter Wohnungsrechten<br />
und Vormerkungen zur Sicherung der Rückübertragungsverpflichtung<br />
ist ihm nicht möglich. Soll die Beleihung erstrangig zugelassen werden,<br />
ist ein Rangrücktritt der Eltern erforderlich, der von dem im Haus verbliebenen<br />
Elternteil nicht gewünscht und <strong>bei</strong> dem unter Betreuung<br />
stehenden, im Heim untergebrachten Elternteil nur schwer zu realisieren<br />
ist. 338 Freistellungsverpflichtungen haben deshalb meist nur eine mehr<br />
plakative als eine reale Wirkung.<br />
Wichtig ist, dass Geschwister die im Hinblick auf eine Abfindung einen<br />
Pflichtteilsverzicht erklärt haben, <strong>bei</strong> Geltendmachung der Rückforderung<br />
hinsichtlich der Abfindung jedenfalls ihre Pflichtteilsansprüche<br />
wieder erhalten sollten. Praktisch wird dieser Fall allerdings nur in Ausnahmefällen,<br />
wenn ein unbeschränkter Pflichtteilsverzicht abgegeben<br />
wurde, und der Hausübergeber später z. B. durch einen Lottogewinn<br />
337 Ähnlich Mayer, Der Übergabevertrag, 2. Aufl. 2001, Rn. 218.<br />
338 Vgl. Zimmer, ZEV 2006, 381 ff.<br />
214
trotz Unterbringung im Pflegeheim wieder zu Geld kommt, nachdem die<br />
Rückforderung hinsichtlich der Abfindungsbeträge und des Hauses<br />
bereits durchgeführt wurde. Die tatsächliche Bedeutung des nicht geregelten<br />
Entfallen des Pflichtteilsanspruchs ist deshalb gering. Zudem<br />
wird man davon ausgehen können, dass <strong>bei</strong> Rückforderung einer bezahlten<br />
Abfindung auch die Geschäftsgrundlage für den<br />
Pflichtteilsverzicht wegfällt.<br />
dd) Die Alternative – behalten, aber Haftung der Erben<br />
Mitunter befürchten Kinder, dass sie wegen der Wertersatzpflicht<br />
gegenüber dem Träger der Sozialhilfe ihren Lebensstandard für ein von<br />
ihnen nicht genutztes Haus oder ein Haus, das sie sich nicht <strong>bei</strong><br />
Zahlung nicht leisten könnten, einschränken müssten. Teilweise wollen<br />
Eltern ihre Immobilie noch nicht übertragen, aber ihr Kind (scheinbar)<br />
sichern. Dies ist häufig dann der Fall, wenn das Kind Investitionen in die<br />
Immobilie wie z. B. einen Ausbau vornimmt.<br />
(1) Die Schenkung auf den Todesfall<br />
Wollen sich Eltern von ihrem Haus erst nach ihrem Tode trennen, aber<br />
gleichzeitig – etwa wegen eines eigenfinanzierten Anbaus – das Kind<br />
sichern, wird meist eine Schenkung auf den Todesfall beurkundet. Bei<br />
ihr wird ein vererblicher Anspruch auf Eigentumsverschaffung begründet<br />
und durch eine insolvenzfeste Vormerkung )§ 106 InsO) im Grundbuch<br />
gesichert. 339 Der Vollzug der Schenkung durch Eigentumsumschreibung<br />
im Grundbuch erfolgt erst nach dem Tod des letztversterbenden<br />
Elternteils. Wird vor diesem Zeitpunkt ein Elternteil pflegebedürftig und<br />
sind die hierfür anfallenden Kosten eines Pflegeheims nicht gedeckt,<br />
schützt der Anspruch auf Eigentumsverschaffung das „beschenkte Kind“<br />
nur teilweise.<br />
Allerdings ist fraglich, ob <strong>bei</strong>m Eintreten eines Pflegeheimaufenthalts<br />
des Schenkers und den damit verbundenen nicht gedeckten Kosten das<br />
grundbuchmäßig gesicherte Kind später wirklich die Übertragung des<br />
unbelasteten Eigentums und insofern auch gemäß §§ 883 Abs. 2, 888<br />
BGB die Löschung nachrangig eingetragener Belastungen verlangen<br />
kann. Wäre das Eigentum bereits auf das Kind umgeschrieben, würde<br />
§ 528 BGB ein zehnjähriges Rückforderungsrecht, das der Sozialhilfe-<br />
339 Vgl. nur Fenner, in: Beck´sches Formularbuch Bürgerliches, Handels- und<br />
Wirtschaftsrecht, 10. Aufl. 2010, VI.26.<br />
215
träger auf sich überleiten kann, vorsehen. 340 Gleiches würde gelten,<br />
wenn man die Schenkung <strong>bei</strong> Erklärung der Auflassung und Eintragung<br />
einer Eigentumsverschaffungsvormerkung für das Kind bereits als vollzogen<br />
ansieht, da dann der Anwendungsbereich des § 528 BGB eröffnet<br />
ist. Ähnlich ist dies, wenn man das Entstehen eines Anwartschaftsrechtes<br />
für das Kind 341 als ausreichend für die Vollziehung der<br />
Schenkung hält. Bei der Vertragserfüllung i. S. des § 454 BGB a. F. hat<br />
der BGH bereits die Erklärung der Auflassung als Erfüllung angesehen.<br />
342 Insofern kommt es auf die oben erörterte Streitfrage an, ob<br />
der Vollzug der Schenkung <strong>bei</strong> Immobilien bereits mit Erklärung der<br />
bindend gewordenen Auflassung bewirkt wird oder erst mit Grundbucheintragung.<br />
343 Geht man von der letztgenannten Auffassung aus, so<br />
findet § 528 BGB keine Anwendung. Dem Vollzug der Schenkung auf<br />
den Todesfall kann jedoch dann die Einrede des § 519 BGB entgegenstehen.<br />
Andernfalls gilt auch insoweit § 528 BGB. Der Unterschied ist<br />
zunächst nicht sehr groß, da der Einrede des Notbedarfs gemäß § 519<br />
BGB ebenso wie dem Rückforderungsrecht wegen Verarmung (§ 528<br />
BGB) der Gedanke zugrunde liegt, dass der Schenker durch seine<br />
Freigiebigkeit nicht der Gefahr des wirtschaftlichen Ruins ausgesetzt<br />
sein soll. Die noch nicht vollzogene Schenkung steht unter dem stillschweigenden<br />
Vorbehalt der fortdauernden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit<br />
des Schenkers, die gleichsam die Geschäftsgrundlage der<br />
noch nicht vollzogenen Schenkung bildet. 344<br />
Bei § 519 BGB handelt es sich um eine Notbedarfseinrede. Sie kann im<br />
Schenkungsvertrag der Schenkung nicht abbedungen werden. 345<br />
Ausreichend ist <strong>bei</strong> ihr, dass die Notlage droht; es muss noch zu keiner<br />
aktuellen Gefährdung gekommen sein. Die Unterbringung im Pflegeheim<br />
und die Unterdeckung der Kosten erfüllt auf jeden Fall diese<br />
Voraussetzung. Selbst wenn zunächst noch das eigene Vermögen der<br />
Eltern ausreicht, kann, wenn die Mittelerschöpfung absehbar ist, die<br />
Einrede bereits erhoben werden. Eigene Unterhaltsansprüche gegen<br />
340<br />
Nach LG Aachen, FamRZ 1994, 1321 soll <strong>bei</strong> der Schenkung auf den Todesfall nach<br />
dem Tod des Schenkers keine Überleitung des Anspruchs nach § 528 BGB mehr<br />
möglich sein. Vgl. aber die Nachw. in Fn. 373.<br />
341<br />
Vgl. hierzu nur BGHZ 83, 395, 400 = NJW 1982, 1639 = DNotZ 1982, 619; BGHZ<br />
106, 108 = MDR 1989, 437 = NJW 1989, 1093 = DNotZ 1990, 189 = ZIP 1989, 166 u.<br />
Grziwotz, Praxishandbuch Grundbuch- und Grundstücksrecht, 1999, Rn. 689 ff.<br />
342<br />
Erman/Grunewald, 10. Aufl. 2000, § 454 Rn. 2 m. w. Nachw.<br />
343<br />
S. dazu lit. b), cc).<br />
344<br />
Ähnlich MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 519 Rn. 1.<br />
345<br />
S. nur Staudinger/Wimmer-Leonhardt, BGB, Neubearb. 2005, § 519 Rn. 5 u.<br />
MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 519 Rn. 1.<br />
216
Dritte bleiben auch hier unberücksichtigt. 346 Die Einrede des Notbedarfs<br />
steht nur dem Schenker zu. Der Träger der Sozialhilfe kann die Einrede<br />
nicht auf sie überleiten, da § 93 Abs. 1 Satz 4 SGB XII zwar auch nicht<br />
übertragbare Ansprüche, aber eben nur Ansprüche erfasst. Er kann<br />
jedoch den Hilfebedürftigen darauf verweisen, dass er die Einrede<br />
gelten machen und <strong>bei</strong> Unteilbarkeit der Immobilie die gesamte Leistung<br />
verweigern muss. Das beschenkte Kind hat dann die Möglichkeit, den<br />
Notbedarf durch entsprechende Geldzahlungen zu befriedigen. 347 Die<br />
Einrede wirkt nur so lange, wie die Bedürftigkeit der Eltern gegeben ist.<br />
Bei mehreren Beschenkten gilt wie <strong>bei</strong> § 528 Abs. 2 BGB das Prioritätsprinzip,<br />
das heißt der zeitlich früheren Schenkung kann die Einrede<br />
solange und soweit nicht entgegengehalten werden, als durch die Verweigerung<br />
der Erfüllung der späteren Schenkung der Unterhaltsbedarf<br />
sichergestellt werden kann. Bei gleichzeitig entstandenen Ansprüchen<br />
sind diese wohl gleichmäßig zu kürzen. 348<br />
(2) Die Haftung der Erben<br />
Das Behalten der Immobilie und das spätere Vererben führen zwar<br />
dazu, dass <strong>bei</strong> Unterbringung eines Elternteils im Pflegeheim und<br />
Weiternutzung durch den anderen die Immobilie zunächst Schonvermögen<br />
ist. Allerdings schließt dies eine Haftung gegenüber dem Träger<br />
der Sozialhilfe nicht vollständig aus. Erben eines Hilfeempfängers oder<br />
seines vorversterbenden Ehegatten bzw. eingetragenen Lebenspartners<br />
können nämlich zum Ersatz derjenigen Kosten herangezogen werden,<br />
die der Sozialhilfeträger innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren vor<br />
dem Erbfall aufgewendet hat (§ 102 SGB XII). 349 Zu ersetzen sind die<br />
Kosten der Sozialhilfe, die innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren<br />
vor dem Tod der leistungsberechtigten Person bzw. vor dem Tod des<br />
Ehegatten oder Lebenspartners der leistungsberechtigten Person entstanden<br />
sind (§ 102 Abs. 1 Satz 2 SGB XII). 350 Unter die ersatzpflichtigen<br />
Kosten der Sozialhilfe fallen nicht Leistungen der Grundsicherung<br />
im Alter (§ 102 Abs. 5 SGB XII). Hinsichtlich der Unterkunftskosten<br />
ist zu beachten, dass diese in Höhe eines Betrages von 56 %<br />
346 S. nur Zeranski, Der Rückforderungsanspruch des verarmten Schenkers, 1997, S.<br />
19 f.; Staudinger/Wimmer-Leonhardt, BGB, Neubearb. 2005, § 519 Rn. 7.<br />
347 Str., s. nur Staudinger/Wimmer-Leonhardt, BGB, Neubearb. 2005, § 519 Rn. 14 u.<br />
MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 519 Rn. 3.<br />
348 MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 519 Rn. 5; Soergel/Mühl/Teichmann, BGB,<br />
12. Aufl. 1997, § 519 Rn. 7 u. Staudinger/Wimmer-Leonhardt, BGB, Neubearb. 2005,<br />
§ 519 Rn. 22; a. A. Erman/Herrmann, BGB, 12. Aufl. 2008, § 519 Rn. 4.<br />
349 Ausführlich Doering-Striening, VSSR 2009, 93, 96 ff.<br />
350 Zur Fristberechnung vgl. § 26 Abs. 1 SGB X i. V. mit § 188 Abs. 2 BGB.<br />
217
nicht der Ersatzpflicht unterliegen (§ 105 Abs. 2 SGB XII). 351 Zinsen<br />
können nicht verlangt werden; hierfür besteht keine gesetzliche Grundlage.<br />
352<br />
Relevant wird die Kostenerstattungspflicht der Erben vor allem dann,<br />
wenn sich der Nachlass aus Vermögensgegenständen zusammensetzt,<br />
deren Einsatz dem Hilfeempfänger nicht zumutbar war, es sich also um<br />
Schonvermögen gehandelt hat. Hintergrund ist wiederum der Nachrang<br />
der staatlichen Leistungen. Der zunächst geschonte Vermögensgegenstand<br />
wird nur deshalb nicht für die Zahlungen in Anspruch genommen,<br />
weil Leistungen der Sozialhilfe erbracht wurden. Wichtigster Anwendungsfall<br />
ist die Vererbung des angemessenen Hausgrundstücks<br />
nach § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII.<br />
Voraussetzung der Erbenhaftung ist, dass in den letzten zehn Jahren<br />
vor dem Erbfall Sozialhilfeleistungen erbracht wurden, die zum Zeitpunkt<br />
des Erbfalls das Dreifache des Grundbetrages aus § 85 Abs. 1<br />
SGB XII übersteigen. 353 Dieser Betrag bleibt dem Erben als Freibetrag<br />
(§ 102 Abs. 3 Nr. 1 SGB XII). Er gilt in der Erbengemeinschaft für sämtliche<br />
Erben, steht also nicht jedem einzelnen Miterben zu. 354 Der gegen<br />
die Erben des vorversterbenden Ehegatten bzw. Lebenspartners des<br />
Hilfeempfängers gerichtete Kostenersatzanspruch ist da<strong>bei</strong> gegenüber<br />
der Haftung des Erben des nachversterbenden Hilfeempfängers nicht<br />
nachrangig. Die Kostenerstattungsansprüche gegen die Erben stehen<br />
selbstständig nebeneinander. 355 Die Erben haften allerdings nur mit<br />
dem Nachlass, nicht mit ihrem Privatvermögen (§ 102 Abs. 2 SGB XII).<br />
Bei der Beschränkung der Erbenhaftung handelt es sich um eine wertmäßige<br />
Beschränkung. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Berechnung des<br />
Freibetrags ist der Zeitpunkt des Erbfalls. 356 Vom Nachlass sind die<br />
Verbindlichkeiten sowie die Kosten für die standesgemäße Beerdigung<br />
abzuziehen. Die sozialhilferechtliche Haftungsbeschränkung auf den<br />
Nachlass ist abschließend; eine Heranziehung der Vorschriften aus dem<br />
Erbrecht ist ausgeschlossen. Die Kostenerstattungspflicht des Erben<br />
351<br />
Demgegenüber sind die Leistungen für Heizung und Warmwasserversorgung von der<br />
Ersatzpflicht nicht ausgenommen (Grube, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII,<br />
3. Aufl. 2010, § 105 Rn. 13).<br />
352<br />
Conradis, in: LPK-SGB XII, 8. Aufl. 2008, § 102 Rn. 10.<br />
353<br />
Grundbetrag in Höhe des zweifachen Eckregelsatzes, also 259 x 2 = 718 Euro und<br />
sodann 3 x 718 = 2.154 Euro.<br />
354<br />
Str., BVerwGE 57, 26, 28; Bieback, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010,<br />
§ 102 Rn. 18 u. 32.<br />
355<br />
BVerwG, NJW 2003, 3792.<br />
356<br />
BVerwGE 57, 26, 27.<br />
218
des vorverstorbenen Ehegatten besteht somit fort, auch wenn später<br />
eine Kostenersatzpflicht des Erben der leistungsberechtigten Person<br />
hinzukommt. 357<br />
Die Haftung besteht auch dann, wenn die Erben des verstorbenen<br />
Leistungsempfängers diesen über längere Zeit gepflegt haben. Sie<br />
können insbesondere nicht nachträglich ein Entgelt für Pflegeleistungen<br />
fordern. 358 Allerdings schafft § 102 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII diesbezüglich<br />
eine eigene Freibetragsregelung, die Spezialvorschrift gegenüber dem<br />
allgemeinen Freibetrag nach § 102 Abs. 3 Nr. 1 SGB XII ist. 359 Zudem<br />
ergibt sich aus § 612 BGB, dass Dienstleistungen der Ehegatten,<br />
Lebenspartner und Verwandten regelmäßig nicht gegen Vergütung<br />
erbracht werden. 360 Der Freibetrag beträgt 15.340 Euro und besteht nur<br />
für Erben, die Ehegatte oder Lebenspartner der leistungsberechtigten<br />
Person oder mit dieser verwandt sind. Außerdem muss der Erbe mit der<br />
leistungsberechtigten Person bis zu deren Tod in häuslicher Gemeinschaft<br />
gelebt haben. Eine gemeinsame Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft<br />
ist nicht erforderlich; aufgrund des Zwecks, die häusliche<br />
Pflege zu fördern, ist jedoch ein Zusammenleben unverzichtbar. 361<br />
Zudem muss der Erbe die leistungsberechtigte Person gepflegt haben.<br />
Voraussetzung ist, dass für diese ein Hilfebedarf bestanden hat, der<br />
sich nach § 61 Abs. 1 SGB XII bestimmt. Zudem muss dieser durch<br />
teilweise oder vollständige Übernahme der Verrichtungen im Ablauf des<br />
täglichen Lebens gedeckt worden sein. Die Hinzuziehung eines Dritten<br />
– etwa eines ambulanten Pflegedienstes – ist unschädlich, sofern die<br />
Hauptlast der Pflege <strong>bei</strong>m Ehegatten, Lebenspartner bzw. Verwandten<br />
lag. Die Pflege darf nicht nur vorübergehend erfolgt sein; deshalb<br />
werden kürzere Zeiträume als sechs Monate nicht anerkannt. 362 Ob der<br />
bloße Wille genügt, die häusliche Gemeinschaft und die Pflege über<br />
357<br />
BVerwGE 90, 250 = NJW 1993, 1089 = MDR 1993, 546 u. BVerwGE 118, 313 =<br />
BayVBl. 2004, 121 = DÖV 2004, 208 = FamRZ 2004, 455 = JuS 2004, 645 = NJW<br />
2003, 3792 = ZEV 2004, 472 =<br />
358<br />
VGH Mannheim, NJW 1993, 2955 = NVwZ 1994, 86 = FEVS 44, 104, 106 u.<br />
Ehmann, in: MAH Sozialrecht, 3. Aufl. 2009, § 38 Rn. 198.<br />
359<br />
BVerwGE 66, 161, 162 u. VGH Mannheim, NJW 1993, 2955, 2956 = NVwZ 1994, 86<br />
= FEVS 44, 104, 106.<br />
360<br />
VGH Mannheim, NJW 1993, 2955 = NVwZ 1994, 86 = FEVS 44, 104, 106.<br />
361<br />
Bieback, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 102 Rn. 20.<br />
362<br />
Ebenso noch Schoenfeld, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl. 2008, § 102<br />
Rn. 22. A. A. Bieback, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 102 Rn. 22 u.<br />
Lücking, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 102 Rn. 24, die keine Mindestdauer, sondern<br />
lediglich einige Monate fordern.<br />
219
einen Zeitraum durchzuführen, ist umstritten, aber wohl zu verneinen. 363<br />
Bei Unterbrechungen müssen die zusammengerechneten Zeiträume<br />
mindestens sechs Monate ausmachen. Dies kann <strong>bei</strong> einem kurzzeitigen<br />
stationären Aufenthalt von Bedeutung sein. Bei kürzeren<br />
Pflegezeiträumen kann allerdings die Härteklausel des § 102 Abs. 3 Nr.<br />
3 SGB XII anwendbar sein. 364 Der Zwang für den Erben, die geerbte<br />
Immobilie, die früher zum Schonvermögen gehörte, zu veräußern, stellt<br />
keine besondere Härte dar. 365 Hat der Erbe nach dem Erbfall die geerbte<br />
Immobilie mit eigenen Mitteln renoviert oder umgebaut, führt dies<br />
ebenfalls zu keiner besonderen Härte, sondern nur zum Ersatz der<br />
Wertsteigerung. 366 Anders kann dies <strong>bei</strong> einem finanziellen Engagement<br />
des Erben vor dem Erbfall sein. 367<br />
Ist die Voraussetzung der Erbenhaftung gegeben, muss der Träger der<br />
Sozialhilfe den Kostenersatz fordern. Ihm steht diesbezüglich kein Ermessen<br />
zu. 368 Die Auswahl unter mehreren Miterben liegt dagegen im<br />
Ermessen des Trägers der Sozialhilfe. Maßgebend ist hierfür die<br />
Leistungsfähigkeit der Miterben. 369 Bestehen in der Person eines oder<br />
mehrerer Erben Ausschlusstatbestände, dürfen die übrigen Erben trotz<br />
der gesamtschuldnerischen Haftung nur mit dem ihrem Erbteil entsprechenden<br />
Teil des Nachlasses herangezogen werden, da sonst über<br />
den Gesamtschuldnerausgleich eine Leistungspflicht trotz der<br />
Privilegierung bestünde.<br />
Der Kostenerstattungsanspruch wird mittels Leistungsbescheids geltend<br />
gemacht. 370 Dieser muss eine detaillierte Auflistung der Sozialhilfeleistungen<br />
enthalten. Der Anspruch auf Kostenersatz erlischt in drei<br />
Jahren nach dem Tod der leistungsberechtigten Person, ihres Ehegatten<br />
oder ihres Lebenspartners (§ 102 Abs. 4 SGB XII). Das von Amts<br />
wegen zu beachtende Erlöschen gegenüber einzelnen Miterben führt<br />
363 Ebenso Bieback, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 102 Rn. 22; a. A.<br />
Conradis, in: LPK-SGB XII, 8. Aufl. 2008, § 102 Rn. 12.<br />
364 Ebenso Bieback, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 102 Rn. 22 f.<br />
365 VGH Mannheim, NJW 1993, 2955, 2956 = NVwZ 1994, 86 = FEVS 44, 104, 106 u.<br />
VGH München, FEVS 44, 461.<br />
366 VGH Mannheim, DVBl. 1974, 687.<br />
367 VGH Mannheim, FEVS 41, 205; Bieback, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII,<br />
3. Aufl. 2010, § 102 Rn. 28.<br />
368 VGH Mannheim, FEVS 46, 338, 342.<br />
369 VGH Kassel, FamRZ 1999, 1023.<br />
370 Zur Zulässigkeit einer Leistungsklage vgl. einerseits Conradis, in: LPK-SGB XII,<br />
8. Aufl. 2008, § 103 Rn. 25 u. andererseits Bieback, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII,<br />
3. Aufl. 2010, § 102 Rn. 44.<br />
220
allerdings nicht zum Erlöschen des Anspruchs gegenüber weiteren als<br />
Gesamtschuldner haftenden Miterben. 371<br />
Zur Vermeidung der Kostenersatzpflicht werden mitunter Immobilienschenkungen<br />
von noch geschäftsfähigen pflegebedürftigen Eltern kurz<br />
vor ihrem Ableben vorgenommen. Teilweise werden derartige Zuwendungen<br />
als sittenwidrig angesehen, da sie eine Schädigung des<br />
Sozialhilfeträgers beabsichtigen. 372 Da allerdings das Gesetz keine<br />
Verfügungsbeschränkungen zugunsten des Sozialhilfeträgers vorsieht<br />
und der Schenkungsrückforderungsanspruch nach § 528 BGB auch<br />
nach dem Tod des Schenkers noch auf den Sozialhilfeträger übergeleitet<br />
werden kann, 373 ergibt sich für diesen keine Sicherungslücke, so<br />
dass für die Anwendung des § 138 BGB kein Bedarf besteht. 374 Gleichwohl<br />
ist von derartigen Konstruktionen abzuraten, da sie mit Kosten<br />
verbunden sind und den entsprechenden Zweck ohnehin nicht erreichen.<br />
c) Hartz IV <strong>bei</strong>m übernehmenden Kind<br />
Erhält ein Kind eine Immobilie von seinen Eltern zugewandt, wird es<br />
später ar<strong>bei</strong>tslos und bekommt Leistungen im Bereich der Grundsicherung<br />
für Ar<strong>bei</strong>tsuchende, kann sich <strong>bei</strong> ihm das Risiko verwirklichen,<br />
das die Parteien zunächst nur auf Seiten der Eltern gesehen<br />
haben. Bezahlt wird in der Grundsicherung für Ar<strong>bei</strong>tsuchende das sogenannte<br />
Ar<strong>bei</strong>tslosengeld II und daneben das Sozialgeld an nicht erwerbsfähige<br />
Angehörige, die mit einem erwerbsfähigen Hilfsbedürftigen<br />
in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Die Leistungen umfassen insbesondere<br />
die Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts. Sie entsprechen<br />
dem Niveau der Sozialhilfe und werden in Regelleistungen<br />
371 OVG Münster, NJW 2002, 695, 697.<br />
372 VGH Kassel, NVwZ-RR 1996, 511, 512. Vgl. auch OLG Hamm, BeckRS 2005, 02607<br />
= NJOZ 2005, 4886 = VersR 2006, 376.<br />
373 BGHZ 147, 288 = DNotZ 2001, 841 = FamRZ 2001, 1137 = FuR 2001, 465 = MDR<br />
2001, 1342 = NJW 2001, 2084 = NotBZ 2001, 261 = WM 2001, 1388 = ZEV 2001,<br />
241 = ZIP 2001, 1546; OLG Karlsruhe, FamRZ 1994, 1319 = NJW-RR 1995, 571; LG<br />
Karlsruhe, NJW 1994, 137 u. LG München, FamRZ 2005, 896 = MittBayNot 2005,<br />
140; a. A. noch OLG Frankfurt/M., NJW 1994, 1805. Vgl. auch BGHZ 96, 380 = NJW<br />
1986, 1606; BGHZ 123, 264 = NJW 1994, 256 = DNotZ 1994, 450 = FamRZ 1994,<br />
103 = MDR 1994, 523 = WM 1994, 39 = ZEV 1994, 50; BGH, DNotZ 1996, 642 =<br />
FamRZ 1995, 1123 = JA 1996, 369 = JR 1996, 194 = JZ 1996, 632 = MDR 1995,<br />
1234 = NJW 1995, 2287 = WM 1995, 1693 = ZEV 1995, 378; Kollhosser, ZEV 2001,<br />
289 ff.; ders., ZEV 1995, 391 ff.; Haarmann, FamRZ 1996, 522 ff.; Krauß, ZEV 2001,<br />
417 ff. u. Zeranski, NJW 1998, 2574 ff.<br />
374 Ebenso Brühl, in: LPK-SGB XII, 8. Aufl. 2008, § 90 Rn. 98.<br />
221
emessen. Eigenes Einkommen und Vermögen muss sich der Hilfebedürftige<br />
anrechnen lassen. Beim Vermögen sind alle verwertbaren<br />
Vermögensgegenstände zu berücksichtigen. 375 Nach § 12 Abs. 3 Satz 1<br />
Nr. 4 SGB II zählt jedoch <strong>bei</strong>m Ar<strong>bei</strong>tslosengeld II ein selbstgenutztes<br />
Hausgrundstück von angemessener Größe oder eine entsprechende<br />
Eigentumswohnung zum Schonvermögen. Es muss sich da<strong>bei</strong> um den<br />
Lebensmittelpunkt des Bedürftigen handeln. Deshalb fallen eine Zweitwohnung<br />
und ein Ferienwohnsitz nicht unter das Schonvermögen.<br />
Zweck ist nicht der Schutz der Immobilie als Vermögensgegenstand,<br />
sondern allein der Schutz der Wohnung zur Erfüllung des Grundbedürfnisses<br />
Wohnen als räumlicher Lebensmittelpunkt. 376 Anders als <strong>bei</strong> der<br />
Sozialhilfe 377 erfolgt die Bestimmung der Angemessenheit allein in<br />
Bezug auf die Größe der Immobilie. Maßgeblich sind entsprechend § 6<br />
Abs. 3 Satz 2 Nr. 7 AlhiVO 1974 bzw. § 1 Abs. 3 Nr. 5 AlhiVO 2002 378<br />
die Wohnfläche und die Größe des Grundstück sowie die Anzahl der<br />
nutzenden Personen. Andere Faktoren wie die Ausstattung oder der<br />
Wert sind nicht zu berücksichtigen. 379 Andere Kriterien sind nur insofern<br />
zu berücksichtigen, als die Lebensumstände des Hilfsbedürftigen<br />
während des Leistungsbezugs eine Rolle spielen, so dass <strong>bei</strong> einer<br />
Luxuswohnung eine Korrektur der angemessenen Wohnfläche erfolgen<br />
kann. 380 Zur Wahrung bundeseinheitlicher Maßstäbe stellt das BSG<br />
weiterhin auf das inzwischen außer Kraft getretene Zweite Wohnungsbaugesetz<br />
ab. 381 Danach sind Familienheime mit einer Wohnfläche bis<br />
zu 130 qm und Eigentumswohnungen mit bis zu 120 qm <strong>bei</strong> einem<br />
Haushalt mit vier Personen noch angemessen. Im Falle der häuslichen<br />
Pflege betragen die Grenzen 156 qm bzw. 144 qm. Sofern mehr als vier<br />
Personen im Haushalt leben, kommen je weiterer Person 20 qm hinzu;<br />
umgekehrt ist <strong>bei</strong> weniger Personen jeweils ein Abschlag von 20 qm<br />
vorzunehmen. Bei Einzelpersonen wird die Untergrenze auf 80 qm<br />
375<br />
Vgl. BVerwG, NJW 2004, 3647 zum Einsatz einer Kapitallebensversicherung in Höhe<br />
des Rückkaufswertes, auch wenn diese zur Altersvorsorge bestimmt ist.<br />
376<br />
BSGE 97, 203 = FamRZ 2007, 729 = NZS 2007, 428 = SGb 2007, 432; BSGE 100,<br />
186 = NJW 2009, 2327 = NZM 2009, 880 = NZS 2009, 407.<br />
377<br />
Vgl. dazu oben lit. b), bb).<br />
378<br />
BSGE 97, 203 = FamRZ 2007, 729 = NZS 2007, 428 = SGb 2007, 432; BSGE 100,<br />
186 = NJW 2009, 2327 = NZM 2009, 880 = NZS 2009, 407; BSGE 97, 254 = FamRZ<br />
2007, 729 = SGb 2007, 543.<br />
379<br />
Zur Zulässigkeit der diesbezügliche Privilegierung gegenüber Sozialhilfeempfängern<br />
s. KSW/Spellbrink, 2009, § 12 SGB II Rn. 26.<br />
380<br />
Mecke, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 12 Rn. 70 a. E.<br />
381<br />
BSGE 97, 254 = FamRZ 2007, 729 = SGb 2007, 543 u. BSGE 98, 243 = NZM 2007,<br />
779 = NZS 2008, 263.<br />
222
gesetzt. 382 Bei der Bestimmung der angemessenen Wohnfläche sind die<br />
Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft und die mit dem Hilfebedürftigen für<br />
längere Dauer in einer Hausgemeinschaft lebenden Personen von Bedeutung.<br />
Ausnahmen können sich ergeben, wenn erwachsene Kinder<br />
die Wohnung der Eltern verlassen. 383 Eine Prüfung der Angemessenheit<br />
erfolgt bis zu einer Wohnfläche von 130 qm sowie einer Grundstücksfläche<br />
von 500 qm in städtischen und 800 qm in ländlichen Gebieten<br />
grundsätzlich nicht. Hinsichtlich der Unterkunftskosten die der Hilfebedürftige<br />
gemäß § 22 Abs. 1 SGB II geltend machen kann, ist er auf<br />
die Wohnfläche beschränkt, die ihm als Mieter zustünde. Höhere<br />
(laufende) Kosten für seine unter Verwertungsschutz stehende Immobilie<br />
kann er nicht geltend machen.<br />
Maßgebend für die Angemessenheit ist nicht die vom Hilfsbedürftigen<br />
und den Personen seiner Bedarfsgemeinschaft bewohnte Fläche,<br />
sondern die Gesamtfläche. Beschränkt wird die Berücksichtigung<br />
jedoch, wenn eine tatsächliche Nutzung nicht möglich ist. Dies ist <strong>bei</strong>spielsweise<br />
<strong>bei</strong> einem aus gesundheitlichen Gründen unbewohnbaren<br />
Teil einer Immobilie der Fall. Gleiches gilt aber auch, wenn ein<br />
Wohnungsrecht als beschränkte persönliche Dienstbarkeit (§ 1093<br />
BGB) besteht, wie dies regelmäßig für die Eltern als Übergeber bestellt<br />
wird. 384 Der Umfang des Wohnrechts ist somit <strong>bei</strong> der Bemessung der<br />
Angemessenheit in Abzug zu bringen. Durch eine geschickte Gestaltung<br />
des Wohnrechts der Eltern <strong>bei</strong> der Übergabe kann <strong>bei</strong> einem<br />
alleinstehenden Kind erreicht werden, dass das übertragene Hausgrundstück<br />
<strong>bei</strong> diesem nicht für den Bezug von Ar<strong>bei</strong>tslosengeld II Vermögen<br />
darstellt.<br />
Wird der Rahmen des Angemessenen überschritten, ist ein eigenständiger<br />
oder abtrennbarer Grundstücks- oder Gebäudeteil mit dem<br />
Verkehrswert (§ 12 Abs. 4 SGB II) zu berücksichtigen. Dieser Sonderfall<br />
kann <strong>bei</strong>spielsweise <strong>bei</strong> einer Doppelhaushälfte gegeben sein, <strong>bei</strong> der<br />
jede Einheit abgeschlossen ist und hinsichtlich der Wohnungseigentum<br />
gebildet werden kann. Ist eine Trennung nicht möglich oder eine Verwertung<br />
ausnahmsweise aufgrund der Marktverhältnisse nicht zumutbar,<br />
wird im Hinblick auf den Schutzzweck des Erhalts des Lebensmittelpunkts<br />
kein Verkauf der Immobilie einschließlich des eigengenutzten<br />
Teils gefordert. Als andere Verwertungsformen, <strong>bei</strong> denen<br />
382 BSGE 97, 254 = FamRZ 2007, 729 = SGb 2007, 543; zur weiteren Reduktionen der<br />
Größe s. Mecke, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 12 Rn. 71.<br />
383 Mecke, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 12 Rn. 71.<br />
384 Zum BSHG s. VGH München, NJW 1989, 2832.<br />
223
der Erhalt des Lebensmittelpunktes gesichert ist, kommen insbesondere<br />
die Vermietung und die Anrechnung der Mieteinnahmen als Einkommen<br />
in Betracht. 385 Sie sind nicht bedarfsmindernd von den Kosten der<br />
Unterkunft abzuziehen. Zu beachten ist, dass das Grundstück <strong>bei</strong> einer<br />
Übergröße am Schutzzweck des Wohnens nicht unbedingt teilnehmen<br />
muss. Bleibt das Wohnhaus zwar innerhalb der Wohnflächengrößen,<br />
lässt sich aber vom Grundstück ein zweiter Bauplatz abtrennen, so kann<br />
eine getrennte Angemessenheitsprüfung von Haus und Grundstück<br />
erfolgen. Dies ist allerdings wiederum nicht der Fall wenn z. B. aufgrund<br />
des Bauplanungsrechts <strong>bei</strong>de insoweit eine Einheit bilden. 386<br />
§ 12 Abs. 1 SGB II rechnet zum Vermögen jedoch nur verwertbare<br />
Gegenstände. Verwertbarkeit bedeutet die Möglichkeit einer Umwandlung<br />
in Geld. Eine durch eine Vormerkung gesicherte Rückübertragungsverpflichtung,<br />
selbst wenn diese den Fall des Bezugs von<br />
Ar<strong>bei</strong>tslosengeld nicht enthält, sondern die Veräußerung den Rückfall<br />
auslöst, ermöglicht eine "Versilberung" grundsätzlich nicht, da wegen<br />
der Vormerkungswirkung kein Käufer bereit sein wird, die Immobilie zu<br />
erwerben. Haben sich die Eltern <strong>bei</strong> der Übertragung ein lebenslanges<br />
Nießbrauchsrecht vorbehalten, so verneint das BSG 387 eine Verwertbarkeit.<br />
Grundsätzlich besteht zwar eine Verwertbarkeit nach dem Ableben<br />
der Eltern, da diese aber zeitlich ungewiss ist, ist nicht von einer Verwertbarkeit<br />
i. S. des § 12 Abs. 1 SGB II auszugehen. Gleiches muss <strong>bei</strong><br />
einer Rückauflassungsvormerkung gelten. 388 Jedenfalls, wenn die Rückforderung<br />
lediglich für den Fall der Verwertung für Sozialleistungen,<br />
insbesondere <strong>bei</strong>m Ar<strong>bei</strong>tslosengeld II-Bezug des Kindes vereinbart ist,<br />
soll wegen der "Subsidiaritätswidrigkeit" eine Sittenwidrigkeit bestehen.<br />
389 Allerdings ist dies durchaus zweifelhaft. Wenn die Eltern ihre<br />
Immobilie behalten hätten und dann für das Kind nicht unterhaltspflichtig<br />
gewesen wären, 390 hätte die Immobilie auch nicht verwertet werden<br />
385<br />
Ebenso Hengelhaupt, in: Hauck/Noftz/Voelske, SGB II, § 12 Rn. 214a u. Mecke, in:<br />
Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 12 Rn. 73, der allerdings offen lässt, ob die<br />
Einnahmen als Vermögen oder Einkommen zu berücksichtigen sind. Vgl. ferner<br />
Krauß, MittBayNot 2005, 349, 355 u. KSW/Spellbrink, 2009, § 12 SGB II Rn. 30.<br />
386<br />
BSGE 100, 186 = NJW 2009, 2327 = NZM 2009, 880 = NZS 2009, 407;<br />
KSW/Spellbrink, 2009, § 12 SGB II Rn. 28 a. E.<br />
387<br />
BSGE 99, 248 = FamRZ 2008, 1250 = NotBZ 2008, 195 = NZS 2008, 661 = ZEV<br />
2008, 542.<br />
388<br />
VG Gießen, DVBl. 2000, 648 = NJW 2000, 1515 = DNotZ 2001, 784 m. abl. Anmerkung<br />
Mayer hat im Sozialhilferecht die Geltendmachung des Rückübertragungsverlangens<br />
jedoch als sittenwidrig angesehen und deshalb den Vormerkungsschutz<br />
verneint; krit. auch Krauß, MittBayNot 2005, 349, 356.<br />
389<br />
So Krauß, MittBayNot 2005, 349, 356, der dies als "einleuchtend" ansieht.<br />
390 S. nur IV. 1.<br />
224
dürfen. Insofern wird das „Sittenwidrigkeitsargument“ häufig dann eingesetzt,<br />
wenn eine dogmatische Prüfung scheinbar unbefriedigend<br />
bleibt. Deshalb ist zu dieser Frage die weitere Entwicklung der Rechtsprechung<br />
abzuwarten.<br />
IV. Familienrechtliche Unterhaltspflichten<br />
1. Verwandtenunterhalt für Pflegeheimkosten?<br />
Im Verwandtenunterhalt ist kein gesonderter Tatbestand des „Alters-<br />
oder Elternunterhalts“ vorgesehen. 391 Nach § 1601 BGB sind jedoch<br />
Verwandte in gerader Linie, also Personen, <strong>bei</strong> denen eine von der<br />
anderen abstammt (§ 1589 Satz 1 BGB), verpflichtet, einander Unterhalt<br />
zu gewähren. Aufgrund des Verwandtenunterhaltsrechts müssen somit<br />
nicht nur Eltern für den Unterhalt ihrer Kinder sorgen, sondern auch<br />
umgekehrt Kinder für ihre alt gewordenen Eltern. Dieser Umstand geriet<br />
in Zeiten des wirtschaftlichen Wohlstandes und der gesicherten Lage<br />
der öffentlichen Haushalt in den Hintergrund. Aufgrund der demografischen<br />
Entwicklung, der zunehmenden Notwendigkeit eines Heimaufenthalts<br />
und der durch die Rente nicht mehr gedeckten Kosten<br />
haben auf dem Weg des Rückgriffs des Sozialleistungsträgers die Fälle<br />
des Ehegattenunterhalts deutlich zugenommen. 392<br />
Zivilrechtlich ist der Grad der Verwandtschaft nicht von Bedeutung.<br />
Auch eine zeitliche Einschränkung existiert nicht. Der Unterhalt wird<br />
ohne Rücksicht auf das Alter des Unterhaltspflichtigen und des Unterhaltsbedürftigen<br />
geschuldet. Deshalb ist auch ein Unterhaltsanspruch<br />
der bedürftigen Großeltern gegen ihren Enkel möglich. Allerdings haftet<br />
zunächst der Ehegatte und, soweit ein Unterhaltsanspruch nach einer<br />
Scheidung besteht, auch der geschiedene Ehegatte (§ 1608 BGB).<br />
Gleiches gilt für eingetragene Lebenspartner (§ 16 LPartG). Ihnen<br />
folgen sodann die Abkömmlinge vor den Verwandten der aufsteigenden<br />
Linie und da<strong>bei</strong> wiederum die näheren vor den entfernteren Verwandten<br />
(§ 1606 BGB). Fällt ein nach dieser Rangfolge Unterhaltspflichtiger<br />
mangels Leistungsfähigkeit aus oder ist die Rechtsverfolgung gegen ihn<br />
ausgeschlossen oder erheblich erschwert, hat der nach ihm haftende<br />
Verwandte den Unterhalt zu gewähren (sog. Ersatzhaftung, § 1607<br />
391<br />
MünchKommBGB/Born, 5. Aufl. 2008, § 1601 Rn. 11 u. FA-FamR/Gerhardt,<br />
7. Aufl. 2009, 6. Kap. Rn. 366.<br />
392<br />
S. dazu nur Steinmetz, FPR 1999, 13; Hoch, FPR 1999, 20 ff.; Soyka, in:<br />
Scholz/Stein, Praxishandbuch Familienrecht, Stand: Okt. 2009 Teil J Rn. 1 u.<br />
MünchKommBGB/Born, 5. Aufl. 2008, § 1601 Rn. 9 f.<br />
225
Abs. 1 BGB). Allerdings erfährt dieser Grundsatz <strong>bei</strong> einem Rückgriff<br />
des Sozialleistungsträger eine wesentliche Einschränkung: Nach § 94<br />
Abs. 1 Satz 3 SGB XII ist der Übergang des Anspruchs ausgeschlossen,<br />
wenn der Unterhaltspflichtige mit dem Unterhaltsberechtigten<br />
vom zweiten Grad an verwandt ist. Konkret bedeutet dies,<br />
dass die Haftung von Großeltern und Enkeln <strong>bei</strong>m Sozialhilferegress<br />
nicht relevant werden kann. 393<br />
Betroffen vom Unterhaltsregress sind deshalb in der Praxis regelmäßig<br />
nur die Kinder pflegebedürftiger Eltern. Für sie ist es typisch, dass sie<br />
sich meist in einem Lebensalter befinden, in dem sie mit einem Partner<br />
zusammenleben. Insofern kommt es darauf an, ob auch das Einkommen<br />
und Vermögen des Partners zu berücksichtigen sind, gegebenenfalls<br />
inwiefern sie sich auswirken. Zusätzlich wird das unterhaltspflichtige<br />
Kind häufig auch gegenüber eigenen Kindern unterhaltspflichtig<br />
sein, da diese ihre Ausbildung noch nicht abgeschlossen<br />
haben. Es kann somit zu dem bekannten Sandwicheffekt hinsichtlich<br />
der Unterhaltspflichten kommen. 394 Das in Anspruch genommene Kind<br />
wird zudem bereits in einem höheren Lebensalter stehen, in dem es<br />
seine Lebenssituation auf sein Vermögens- und Einkommensniveau<br />
abgestellt hat und außerdem im Hinblick auf die Unsicherheiten der<br />
sozialen Sicherungssysteme zusätzlich für sein Alter sorgen wird.<br />
Allerdings ist der Anspruch auf Elternunterhalt gegenüber dem Kindesunterhalt<br />
wesentlich schwächer ausgestaltet. 395 Die bedürftigen Eltern<br />
gehen nämlich allen anderen Unterhaltsberechtigten im Rang nach<br />
(§ 1609 Nr. 6 BGB). Sie fallen in den achten Rang.<br />
Während der Kindesunterhalt aus dem Prinzip der elterlichen Verantwortung<br />
396 hergeleitet wird, ist die Unterhaltspflicht der Kinder für<br />
ihre pflegebedürftigen Eltern – wie der Pflichtteilsanspruch von Abkömmlingen<br />
durch das BVerfG 397 – mit der Familiensolidarität begründet<br />
werden. Weitere Argumentations-Topoi sind das Prinzip der Eigenver-<br />
393<br />
Vgl. nur Klinkhammer, in: Eschenbruch/Klinkhammer, Der Unterhaltsprozess,<br />
5. Aufl. 2009, Kap. 2 Rn. 2. S. auch OLG Brandenburg, FamRZ 2009, 1254, 1256.<br />
394<br />
S. dazu nur Diederichsen, in: Schwab/Hahne (Hrsg.), Familienrecht im Brennpunkt,<br />
2004, S. 115 ff. u. Born, FamRB 2003, 295, 298 f.<br />
395<br />
BGH, NJW 1999, 2365, 2366; BGHZ 169, 59 = DNotZ 2007, 48 = FamRZ 2006, 1511<br />
= FF 2006, 256 = FuR 2006, 513 = MDR 2007, 219 = NJW 2006, 3344; BGHZ 152,<br />
217 = DNotZ 2003, 285 = FamRZ 2002, 1698 = FPR 2003, 149 = FuR 2003, 26 =<br />
JuS 2003, 290 = MDR 2003, 86 = MittBayNot 2003, 132 = NJW 2003, 128, 130; vgl.<br />
auch Brudermüller, NJW 2004, 633 ff. u. Büttner, in: FS f. Henrich, 2000, S. 51, 52 ff.<br />
396<br />
Schwab, Familienrecht, 17. Aufl. 2009, Rn. 834.<br />
397<br />
BVerfG, NJW 2001, 141 = DNotZ 2001, 133 = ZEV 2000, 399 = MittBayNot 2000, 443<br />
= FamRZ 2000, 1563.<br />
226
antwortung und der (auch wirtschaftlichen) Generationengerechtigkeit,<br />
verstanden nicht zuletzt als Übernahme von Verantwortung gleichsam<br />
als Preis für die Freiheit vom Staat. 398<br />
Bestehen und Höhe des Unterhaltsanspruchs richtet sich nach dem<br />
allgemeinen Schema „Bedarf-Bedürftigkeit-Leistungsfähigkeit“, wo<strong>bei</strong><br />
auch die Verwirkung sowie im Verhältnis zu Geschwistern die<br />
Haftungsquote noch eine Rolle spielen.<br />
2. Unterhaltsbedarf der Eltern<br />
Leben die Eltern noch im eigenen Haushalt, richtet sich ihr Bedarf nach<br />
ihrem Lebenszuschnitt (§ 1610 Abs. 1 BGB). Anders als <strong>bei</strong> Kindern<br />
leitet er sich nicht vom Unterhaltsschuldner ab. Es ist vielmehr auf die<br />
Einkommens- und Vermögensverhältnisse des unterhaltsbedürftigen<br />
Elternteils abzustellen. Da<strong>bei</strong> tritt hinsichtlich des Lebenszuschnitts<br />
zunächst mit dem Eintritt in den Ruhestand eine Änderung ein, weil die<br />
Eltern ab diesem Zeitpunkt meist über geringere Einkünfte verfügen. 399<br />
Bei Pflegebedürftigkeit ändert sich die Lebensstellung des betroffenen<br />
Elternteils nochmals. Die erforderlichen Pflegekosten einschließlich der<br />
Kosten eines Heims sind Teil des Unterhaltsbedarfs. 400<br />
Untergrenze des Bedarfs ist das Existenzminimum. Es handelt sich um<br />
die in den Unterhaltstabellen enthaltenen, am sozialhilferechtlichen<br />
Existenzminimum ausgerichteten Eigenbedarfssätze eines unterhaltsberechtigten<br />
Ehegatten. Dieser liegt derzeit nach der Düsseldorfer<br />
Tabelle (Stand: 1.1.2010) <strong>bei</strong> 770 Euro für Nichterwerbstätige, wo<strong>bei</strong><br />
jedoch die Kosten der Kranken- und Pflegeversicherung zusätzlich zu<br />
berücksichtigen sind. Für Erwerbstätige beträgt er 900 Euro. Die Beschränkung<br />
auf den Eigenbedarfssatz gilt insbesondere, wenn die<br />
Unterhaltsbedürftigkeit auf nicht ausreichender Altersvorsorge beruht<br />
und deshalb die Fortschreibung des früheren Lebensstandards nicht in<br />
398 S. nur Brudermüller, in: FS f. Henrich, 2000, S. 31, 39 ff.<br />
399 BGH, BeckRS 2003, 03853 = DNotZ 2003, 549 = FamRZ 2003, 860, 861 = FF 2003,<br />
136 = FPR 2003, 378 = FuR 2003, 275 = LMK 2003, 127 = MDR 2003, 875 = NJW<br />
2003, 1660; vgl. auch BGH, BeckRS 2004, 06088 = FamRZ 2004, 1184 = FPR 2004,<br />
522 = FuR 2004, 510 = MDR 2004, 1000 = NJW 2004, 2306; NK-BGB/Kath-Zurhorst,<br />
2. Aufl. 2010, § 1610 Rn. 36 u. auch Graba, FamRZ 2004, 581, 585.<br />
400 BGH, BGHZ 152, 217 = BeckRS 2002, 09015 = DNotZ 2003, 285 = FamRZ 2002,<br />
1698, 1700 = FF 2003, 28 = FPR 2003, 149 = FuR 2003, 26 = JR 2003, 283 = JuS<br />
2003, 290 = LMK 2003, 45 = MDR 2003, 86 = MittBayNot 2003, 132 = NJW 2003,<br />
128 u. BGH, FamRZ 2004, 370, 371 = FPR 2004, 157 = FuR 2004, 419 = MDR 2004,<br />
450 = NJW 2004, 677.<br />
227
Betracht kommt. Zum Bedarf zählen dann alle Aufwendungen wie<br />
Unterkunft, Verpflegung etc. und der Mehrbedarf (z. B. für Medikamente,<br />
Diät, Haushaltshilfe). Die Kosten für Pflegeleistungen und ärztliche<br />
Betreuung sind, wenn sie nicht gedeckt sind, ebenfalls Teil des<br />
Unterhalts. Die nicht gedeckten Heim- und Pflegekosten werden im<br />
Normalfall dem unterhaltsrechtlichen Bedarf entsprechen, müssen dies<br />
jedoch nicht. 401 Allerdings soll die Soziale Pflegeversicherung jedenfalls<br />
teilweise das Risiko der Alterspflege abdecken. 402 Ihre Leistungen sind<br />
vom unterhaltsberechtigten Elternteil vor der Inanspruchnahme des<br />
Kindes zu beantragen.<br />
Allerdings kann das auf Zahlung von Unterhalt in Anspruch genommene<br />
Kind im Einzelfall die Notwendigkeit der Kosten, die für die Heimunterbringung<br />
anfallen und die es über die Unterhaltspflicht mitfinanzieren<br />
muss, bestreiten. Sein Bestreiten kann sich da<strong>bei</strong> auf die Notwendigkeit<br />
der Heimunterbringung wegen der Möglichkeit der ambulanten Pflege<br />
sowie auf die Auswahl der Einrichtung, in der der Elternteil untergebracht<br />
ist, beziehen. 403 Eltern dürfen nicht in ein Heim übersiedeln,<br />
wenn sie einen eigenen Haushalt unterhalten und mittels ambulanter<br />
Pflege betreut werden können. 404 Aus diesem Grund dürfen die Eltern<br />
auch nicht statt einer Heimunterbringung 405 das Betreute Wohnen vorziehen,<br />
wenn dies höhere Kosten verursacht. Die Eltern können dann<br />
nur die Kosten der stationären Heimunterbringung verlangen, auch<br />
wenn diese eine insgesamt schlechtere Qualität aufweist.<br />
Auch <strong>bei</strong> der Heimunterbringung können die Kosten aufgrund der unterschiedlichen<br />
Pflegesätze erheblich voneinander abweichen. 406<br />
Grundsätzlich können die Eltern ein Heim auswählen, dessen Standard<br />
401<br />
Vgl. nur BGHZ 152, 217 = Beck RS 2002, 09015 = DNotZ 2003, 285 = FamRZ 2002,<br />
1698 = FF 2003, 28 = FPR 2003, 149 = FuR 2003, 26 = JR 2003, 283 = JuS 2003,<br />
290 = LMK 2003, 45 = MDR 2003, 86 = MittBayNot 2003, 132 = NJW 2003, 128, 130;<br />
BGH, FamRZ 2003, 1468 = FPR 2004, 28 = MDR 2003, 1293 = NJW-RR 2003, 1441;<br />
BGH, FamRZ 2004, 186 = FPR 2004, 148 = MDR 2004, 279 = NJW-RR 2004, 217;<br />
BGH, BeckRS 2004, 06088 = FamRZ 2004, 1184 = FPR 2004, 522 = FuR 2004, 510<br />
= MDR 2004, 1000 = NJW 2004, 2306 u. OLG Zweibrücken, FamRZ 2001, 660 =<br />
NJW-RR 2001, 436.<br />
402<br />
S. dazu OLG Schleswig, FamRB 2003, 349 = FF 2004, 76 = NJW-RR 2004, 866.<br />
403<br />
S. dazu nur Wellenhofer, in: Luthin/Koch, Hdb. des Unterhaltsrechts, 11. Aufl. 2010,<br />
Rn. 5014 u. FA-FamR/Gerhardt, 7. Aufl. 2009, 6. Kap. Rn. 366.<br />
404<br />
Schnitzler/Günther, MAH Familienrecht, 3. Aufl. 2010, § 11 Rn. 13.<br />
405<br />
So OLG Hamm, FamRZ 2006, 57, 59 für das Leben in einer Wohngruppe statt der<br />
stationären Heimunterbringung.<br />
406<br />
Vgl. Brudermüller, NJW 2004, 633, 634.<br />
228
ihrem bisherigen Lebensstandard entspricht. 407 Dies haben die Eltern<br />
bzw. im Fall der Überleitung der Sozialhilfeträger nachzuweisen. 408 Die<br />
Möglichkeit der Aufnahme in eine kostengünstigere Einrichtung hat<br />
umgekehrt das in Anspruch genommene Kind darzulegen. 409 Das Abstellen<br />
auf den früheren Lebensstandard ist allerdings problematisch, 410<br />
da sich die Lebensstellung der Eltern durch den Eintritt in das Heim,<br />
wenn zu diesem Zeitpunkt bereits die Kosten nicht gedeckt sind, ändert.<br />
In diesem Fall ist der Bedarf auf die „günstigste“ Lösung im Rahmen der<br />
von den Eltern selbst zu deckenden oder darüber liegenden Kosten<br />
beschränkt. Eine Wahlmöglichkeit für ein teureres Heim besteht nicht<br />
mehr. Können die Eltern dagegen die Kosten zunächst noch aus<br />
eigenem Einkommen und Vermögen decken und fällt dieses Leistungsvermögen<br />
während der Dauer des Heimaufenthalts später weg, so dass<br />
die zunächst vermögenden Eltern in die Sozialhilfebedürftigkeit absinken,<br />
stellt sich die Frage der Zumutbarkeit des Umzugs in ein<br />
kostengünstigeres Heim. Eine ähnliche Problematik ergibt sich, wenn<br />
die Eltern zunächst die Kosten des von ihnen gewählten Heimes noch<br />
decken können, aber bereits <strong>bei</strong> der Aufnahme in das Heim absehbar<br />
ist, dass nach einem bestimmten Zeitraum dies nicht mehr der Fall sein<br />
wird. 411 Zudem stellt sich die weitere Frage, inwieweit <strong>bei</strong> einer Kostenunterdeckung<br />
die Eltern zu einem Aufenthalt in einer völlig anderen<br />
Region oder sogar im kostengünstigeren Ausland, <strong>bei</strong> dem das eigene<br />
Einkommen und Vermögen ausreichen würden, verpflichtet sind. Will<br />
<strong>bei</strong>spielsweise die Mutter in der gewohnten Umgebung verbleiben,<br />
findet der Sohn aber im Internet in den neuen Bundesländern ein<br />
Pflegeheim, dessen Tagessätze 50 bis 60 Euro günstiger als in der<br />
„Heimat“ sind. 412 Ob das Argument, die Mutter hätte früher auch ihren<br />
Sohn am gehobenen Lebensstandard partizipieren und ihm eine teure<br />
Ausbildung zuteil werden lassen, die Kosten eines Heims mittlerer Art<br />
und Güte der Umgebung rechtfertigt, ist fraglich. 413 Auch die generelle<br />
Ablehnung eines „Pflegetourismus“ wird langfristig, wenn die Gesell-<br />
407<br />
So OLG Schleswig, NJW-RR 2004, 866, 867 = FamRB 2003, 349 = FF 2004, 76;<br />
OLG Schleswig, NJW-RR 2009, 1369; offen OLG Hamm, FamRZ 2006, 57, 58.<br />
408<br />
Brudermüller, NJW 2004, 633, 634 u. Griesche, FPR 2004, 693, 696.<br />
409<br />
BGHZ 152, 217 = FamRZ 2002, 1698, 1700 = DNotZ 2003, 285 = FPR 2003, 149 =<br />
FuR 2003, 26 = JR 2003, 283 = JuS 2003, 290 = MDR 2003, 86 = MittBayNot 2003,<br />
132 = NJW 2003, 128.<br />
410<br />
Klinkhammer, in: Eschenbruch/Klinkhammer, Der Unterhaltsprozess, 5. Aufl. 2009,<br />
Kap. 2 Rn. 18.<br />
411<br />
Vgl. zur Übergangszeit auch BGH, BeckRS 2003, 03853 = DNotZ 2003, 549 =<br />
FamRZ 2003, 860, 861 = FF 2003, 136 = FPR 2003, 378 = FuR 2003, 275 = LMK<br />
2003, 127 = MDR 2003, 875 = NJW 2003, 1660.<br />
412<br />
So der Fall OLG Schleswig, FamRB 2003, 349 = FF 2004, 76 = NJW-RR 2004, 866.<br />
413<br />
So aber OLG Schleswig, FamRB 2003, 349 = FF 2004, 76 = NJW-RR 2004, 866.<br />
229
schaft insgesamt ärmer wird, anders gesehen werden müssen. 414<br />
Insbesondere ist fraglich, inwiefern den pflegebedürftigen Eltern ein<br />
Umzug unzumutbar ist, 415 während umgekehrt vom unterhaltspflichtigen<br />
Kind im Hinblick auf seinen Ar<strong>bei</strong>tsplatz sehr wohl Mobilität gefordert<br />
wird. Ob ein Umzug zumutbar ist, hängt deshalb vom Alter und vom<br />
Gesundheitszustand des Betroffenen, dem Umfang der Ersparnis sowie<br />
dem Mitspracherecht des Kindes <strong>bei</strong> der Heimauswahl ab. 416<br />
Die Heimkosten unterteilen sich in die Pflegekosten (§§ 75 Abs. 5 Satz<br />
2 SGB XII, 82 ff. SGB XI, Pflegesätze), die Kosten der Unterkunft und<br />
Verpflegung (§ 87 SGB XI, „Hotelkosten“) und die Investitionskosten<br />
(§ 82 Abs. 3 SGB XI), soweit diese nicht durch eine öffentliche<br />
Förderung gedeckt sind, sowie Zusatzleistungen hinsichtlich Unterkunft,<br />
Verpflegung und Betreuung (§ 88 SGB XI). Die Pflegestatistik 417 weist<br />
monatliche Durchschnittssätze aus. Sie betragen für 2007 in der Pflegestufe<br />
III durchschnittlich 2.766 Euro. Hinzu kommt zu diesem Bedarf<br />
noch das Entgelt für Unterkunft und Verpflegung. Das unterhaltsrechtlich<br />
geschuldete Taschengeld dient für die weiteren Aufwendungen,<br />
insbesondere der Erhaltung der Beziehungen zur Umwelt,<br />
Informationen der allgemeinen Bildung, der Teilnahme am kulturellen<br />
und politischen Leben sowie weitergehenden Bedürfnissen wie<br />
Kleidung, Körperpflege und Ernährung. Bei Unterbringung in einem<br />
Heim dient es als Barbetrag nur zur Befriedigung persönlicher Bedürfnisse.<br />
Die sozialhilferechtlichen Beträge (§ 35 Abs. 2 Satz 2 SGB XII,<br />
nämlich 27 % des Eckregelsatzes, also 96,93 Euro) können einen Anhaltspunkt<br />
bieten. 418 Kann der betroffene Elternteil wegen seiner Pflegebedürftigkeit<br />
das Taschengeld nicht verwenden, scheidet es als Bedarf<br />
aus. Ferner sind insbesondere die Investitionskosten darauf zu prüfen,<br />
ob sie auf den Pflegebedürftigen umgelegt werden können. Auch <strong>bei</strong><br />
ersparten Aufwendungen z. B. im Hinblick auf die Ernährung muss eine<br />
Anpassung erfolgen.<br />
414<br />
Anders noch Klinkhammer, in: Eschenbruch/Klinkhammer, Der Unterhaltsprozess,<br />
5. Aufl. 2009, Kap. 2 Rn. 18.<br />
415<br />
So OLG Schleswig, NJW-RR 2009, 1369.<br />
416<br />
Schnitzler/Günther, MAH Familienrecht, 3. Aufl. 2010, § 11 Rn. 12 ff.; NK-BGB/Kath-<br />
Zurhorst, 2. Aufl. 2010, § 1610 Rn. 37; Diederichsen, in: Schwab/Hahne, Familienrecht<br />
im Brennpunkt, 2004, S. 115.<br />
417<br />
Statistisches Bundesamt, Pflegestatistik 2007, 2009, S. 15.<br />
418<br />
Vgl. BGH, FamRZ 2004, 366, 369 = FF 2004, 89 = FPR 2004, 153 = FuR 2004, 413 =<br />
JR 2004, 414 = NJW 2004, 674 = NJW-RR 2004, 1157 u. BGH, FamRZ 2004, 1370,<br />
1371 = FPR 2004, 595 = FuR 2004, 566 = MDR 2004, 1358 = NJW-RR 2004, 1300.<br />
230
Diederichsen möchte die Angemessenheit von Heimkosten noch weiter<br />
einschränken, da sich Kinder das, was sich der Sozialstaat in Zeiten des<br />
Wohlstands an Luxuseinrichtungen geleistet hat, unterhaltsrechtlich<br />
nicht zurechnen lassen müssen. Er 419 möchte somit die Kostenexplosion<br />
im Gesundheitswesen nicht unterhaltsrechtlich berücksichtigen.<br />
So sehr das Argument grundsätzliche Zustimmung verdient; dogmatisch<br />
ist es allerdings nur schwer umzusetzen, da auch in anderen Bereichen<br />
des Bedarfs eines Unterhaltsberechtigten Kostensteigerungen nicht<br />
ausgeschieden werden, da auch der Unterhaltsgläubiger ihnen nicht<br />
ausweichen kann. 420<br />
Der betroffene Elternteil ist nur bedürftig, wenn und soweit er außer<br />
Stande ist, sich selbst zu unterhalten (§ 1602 Abs. 1 BGB). Insoweit<br />
sind sämtliche Einkünfte, insbesondere Renten und Pensionen, sowie<br />
Vermögen in Ansatz zu bringen. Eine Erwerbsobliegenheit trifft den<br />
betroffenen Elternteil nach Erreichen des Renteneintrittsalters nicht<br />
mehr. 421 Zu den zu berücksichtigenden Einkünften gehört auch der<br />
oben bereits dargestellte 422 Anspruch auf Grundsicherung im Alter<br />
(§§ 41 ff. SGB XII). 423 Anders ist dies <strong>bei</strong> Leistungen der Sozialhilfe, da<br />
diese lediglich subsidiär gewährt werden. 424 Auch die Ansprüche aus<br />
der gesetzlichen Pflegeversicherung sind unterhaltsrechtliches Einkommen.<br />
Sie sind einkommens- und vermögensunabhängig und<br />
mindern deshalb die Unterhaltsbedürftigkeit der pflegebedürftigen Eltern<br />
im vollen Umfang. Allerdings ist da<strong>bei</strong> die Vermutungsregel des § 1610a<br />
BGB zu beachten, nach der die Aufwendungen in Folge eines Körper-<br />
oder Gesundheitsschadens im Zweifel nicht geringer sind als die in<br />
Anspruch genommenen Sozialleistungen. Die Leistungen der Pflegeversicherung<br />
dienen deshalb grundsätzlich nur zur Deckung des durch<br />
die Pflegebedürftigkeit verursachten Mehrbedarfs. 425 Das persönliche<br />
Renteneinkommen ist <strong>bei</strong>m pflegebedürftigen und in einem Heim untergebrachten<br />
Elternteil in vollem Umfang bedarfsdeckend anzurechnen.<br />
Es kann nicht zur Hälfte für den nicht rentenberechtigten anderen<br />
Elternteil, der noch zu Hause lebt, „verbucht“ werden. Allerdings kann<br />
nunmehr das Kind gegenüber dem nicht pflegebedürftigen Elternteil<br />
419 Vgl. auch Diederichsen, FF 2003, 8, 10.<br />
420 Krit. auch Klinkhammer, in: Eschenbruch/Klinkhammer, Der Unterhaltsprozess,<br />
5. Aufl. 2009, Kap. 2 Rn. 23.<br />
421 Vgl. OLG Oldenburg, FamRZ 2006, 1292.<br />
422 Vgl. Abschn. III. 2. a. cc.<br />
423 S. nur Günther, FF 2003, 10 ff. S. auch BVerfG, DÖV 2010, 525 zur Anwendung des<br />
Kindergeldes.<br />
424 Brudermüller, NJW 2004, 633, 634.<br />
425 Vgl. dazu Büttner, FamRZ 2000, 596, 597; abw. OLG Hamm, OLGReport 1999, 313.<br />
231
unterhaltspflichtig werden, dessen Existenzminimum nicht durch die<br />
Grundsicherung abgedeckt ist. 426 Wird der „rentenlose“ Elternteil pflegebedürftig,<br />
ist sein Anspruch auf Ehegattenunterhalt gegenüber dem<br />
Unterhaltsanspruch, der ihm gegen seine Kinder zusteht, vorrangig.<br />
Das Vermögen des bedürftigen Elternteils ist regelmäßig zu verwerten.<br />
Dessen Erhalt spielt nur dann eine Rolle, wenn der pflegebedürftige<br />
Elternteil oder der nicht im Pflegeheim untergebrachte weitere Elternteil<br />
eine längere Lebenserwartung hat, so dass eine Vorsorge für das<br />
weitere Leben eine Rolle spielt. Eine Ausnahme kommt nur dann in<br />
Betracht, wenn die Verwertung unmöglich oder unwirtschaftlich ist. Die<br />
Anforderungen an die Verwertungspflicht sind <strong>bei</strong>m pflegebedürftigen<br />
Elternteil weitergehend als <strong>bei</strong>m zahlungspflichtigen Kind, das regelmäßig<br />
noch eine (längere) Zukunftsplanung betreiben muss. 427<br />
Allerdings ist dem betroffenen Elternteil sein Notgroschen 428 zu belassen;<br />
er entspricht dem sozialhilferechtlichen Schonbetrag (§ 90<br />
Abs. 2 Nr. 9 SGB XII, derzeit 2600 Euro). Wird ein verwitweter Elternteil<br />
im Pflegeheim untergebracht, ist auch die Verwertung des nunmehr<br />
nicht mehr genutzten Hausgrundstücks erforderlich. Dies gilt auch dann,<br />
wenn die Möglichkeit besteht, dass der Elternteil möglicherweise noch<br />
in sein Haus zurückkehren könnte und durch die Anmietung einer<br />
Wohnung ein Unterhaltsbedarf entsteht. Die Vermeidung der Belastung<br />
mit Unterhalt <strong>bei</strong>m Kind hat nämlich Vorrang. 429 Auch die bereits behandelte<br />
Rückforderung von Schenkungen innerhalb der Zehnjahresfrist<br />
gemäß § 528 Abs. 1 BGB 430 geht <strong>bei</strong> Realisierbarkeit dieses Anspruchs<br />
jedenfalls der Inanspruchnahme unterhaltspflichtiger Kinder vor. 431 Die<br />
Erhaltung des übertragenen Hauses in der Familie oder für die Erben ist<br />
demgegenüber unterhaltsrechtlich irrelevant. 432 Leistungen im Rahmen<br />
einer Hausübergabe oder eines Altenteils können ebenfalls zu berücksichtigen<br />
sein. 433 Wie die Sachleistungen zu bewerten sind, ist eine<br />
Frage der tatrichterlichen Feststellung bzw. Schätzung. Anhaltspunkt<br />
können die im notwendigen Eigenbedarf nach der Düsseldorfer Tabelle<br />
426<br />
Vgl. BGH, FamRZ 2004, 1370 = FPR 2004, 595 = FuR 2004, 566 = MDR 2004, 1358<br />
= NJW-RR 2004, 1300.<br />
427<br />
Wellenhofer, in: Luthin/Koch, Hdb. des Unterhaltsrechts, 11. Aufl. 2010, Rn. 5018.<br />
428<br />
BGH, FamRZ 2004, 370, 371 = FPR 2004, 157 = FuR 2004, 419 = MDR 2004, 450 =<br />
NJW 2004, 677 u. Ehinger, NJW 2008, 2465, 2466.<br />
429<br />
Ebenso Brudermüller, NJW 2004, 633, 635 u. Wendel/Pauling, Das Unterhaltsrecht in<br />
der familiengerichtlichen Praxis, 7. Aufl. 2008, § 2 Rn. 631.<br />
430<br />
S. dazu III. 2. b. cc.<br />
431<br />
BGH, NJW 1991, 1824.<br />
432<br />
Ähnlich Wellenhofer, in: Luthin/Koch, Hdb. des Unterhaltsrechts, 11. Aufl. 2010,<br />
Rn. 5018.<br />
433<br />
Vgl. oben III. 2. b. aa.<br />
232
einkalkulierten Wohnkosten in Höhe von 360 Euro geben. 434 Auch <strong>bei</strong><br />
der stationären Heimunterbringung besteht ein Anspruch auf Wohngeld<br />
(§ 3 Abs. 2 Nr. 5 WoGG); allerdings gilt dies nicht, wenn der betreffende<br />
Elternteil Sozialhilfeempfänger ist (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 u. 4 WoGG). Jedoch<br />
werden dafür <strong>bei</strong>m Sozialhilferegress nur 56 % der Unterkunftskosten<br />
(ausgenommen Heizung und Warmwasserversorgung) berücksichtigt.<br />
3. Leistungsfähigkeit des in Anspruch genommenen Kindes<br />
Unterhaltspflichtig ist nur, wer <strong>bei</strong> Berücksichtigung seiner sonstigen<br />
Verpflichtungen ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen<br />
Unterhalts in der Lage ist, den Unterhalt zu gewähren (§ 1603 Abs. 1<br />
BGB). Dem Kind müssen die Mittel verbleiben, die es selbst zur angemessenen<br />
Deckung des seiner Lebensstellung entsprechenden allgemeinen<br />
Bedarfs benötigt. 435 Maßgeblicher Zeitpunkt ist derjenige des<br />
Bedarfs. Dies kann dazu führen, dass ein Kind, das eine lange Berufsausbildung<br />
mit dann hohem Einkommen (z. B. Studium) noch nicht abgeschlossen<br />
hat, nicht für die Pflegekosten der Eltern aufkommen<br />
muss, während ein Geschwisterteil, das eine Lehre absolviert hat und<br />
bereits mehrere Jahre berufstätig ist, die Heimkosten der Eltern mittragen<br />
muss.<br />
Zur Feststellung der Leistungsfähigkeit ist das vorhandene Einkommen<br />
zu ermitteln und dann um Abzüge, die im Hinblick auf die Schwäche des<br />
Elternunterhalts relativ weitgehend akzeptiert werden, zu bereinigen;<br />
schließlich ist auch noch der Einsatz seines Vermögens durch das Kind<br />
zu prüfen.<br />
a) Was bleibt vom Einkommen?<br />
Die Einkommensermittlung erfolgt nach allgemeinen Regeln. Zum Einkommen<br />
zählen grundsätzlich alle erzielten und erzielbaren Einkünfte,<br />
gleich welcher Art sie sind und aus welchem Anlass sie erzielt<br />
werden. 436 Zu den Einkünften gehören Erwerbseinkünfte und<br />
434 Düsseldorfer Tabelle Anm. A.5.<br />
435 BVerfG, BayVBl. 2006, 699 = BeckRS 2005, 27107 = EuGRZ 2005, 330 = FamRZ<br />
2005, 1051, 1053 = FF 2005, 187 = FuR 2005, 376 = JZ 2006, 313 = MDR 2005, 927<br />
= NJW 2005, 1927 = SVR 2005, 343 = ZErb 2005, 374 u. BGHZ 169, 59 = DNotZ<br />
2007, 48 = FamRZ 2006, 1511 = FF 2006, 256 = FuR 2006, 513 = MDR 2007, 219 =<br />
NJW 2006, 3344. Vgl. auch Diederichsen, FF 2003, 8.<br />
436 S. nur BGHZ 164, 375 = NJW 2006, 57 = FamRZ 2006, 99 = MDR 2006, 518 = FF<br />
2006, 55 = JR 2007, 22. S. nur Schnitzler/Friederici, MAH Familienrecht,<br />
3. Aufl. 2010, § 5 Rn. 19.<br />
233
Vermögenserträge (z. B. Zinsen, Wohnwertvorteil), aber auch öffentlichrechtliche<br />
Leistungen. Insbesondere besteht auch gegenüber bedürftigen<br />
Eltern eine Erwerbsobliegenheit, solange Kinder noch nicht<br />
ihrerseits das allgemeine Rentenalter erreicht haben. Allerdings sind die<br />
Anforderungen nicht so streng wie <strong>bei</strong>m Kindesunterhalt. Deshalb ist ein<br />
Berufs- oder Ortswechsel regelmäßig nicht erforderlich. 437 Ein Kind, das<br />
als Elternteil das eigene Kind (= Enkelkind) betreut, ist nicht zur Aufnahme<br />
einer Erwerbstätigkeit einschließlich einer Nebenbeschäftigung<br />
verpflichtet, da die Kindesbetreuung eine vorrangige Unterhaltspflicht<br />
darstellt (§§ 1606 Abs. 3 Satz 2, 1609 Nr. 1 BGB). Die sog. Hausmann-<br />
Rechtsprechung 438 gilt nur hinsichtlich des Unterhalts minderjähriger<br />
Kinder. Auch die Haushaltsführung gegenüber dem Ehegatten, die der<br />
Erwerbstätigkeit gleichgestellt ist (§ 1360 Satz 2 BGB), erfolgt in Erfüllung<br />
der vorrangigen Pflicht, zum Familienunterhalt <strong>bei</strong>zutragen. 439<br />
Demgegenüber muss <strong>bei</strong> der Wahl der Steuerklasse auf die Unterhaltspflicht<br />
gegenüber den Eltern Rücksicht genommen werden. Bei Wahl<br />
der ungünstigeren Steuerklasse ist dies durch einen entsprechenden<br />
Abschlag zu korrigieren. 440 Auch Überstundenvergütungen sind im<br />
Rahmen des Elternunterhalts nicht privilegiert. 441<br />
Anders als <strong>bei</strong>m Kindesunterhalt kann <strong>bei</strong>m Elternunterhalt regelmäßig<br />
der gesamte tatsächliche Lebensbedarf vom Einkommen abgezogen<br />
werden. Grund ist, dass die unterhaltspflichtigen Kinder Vermögensdispositionen<br />
zu Zeiten getroffen haben, in denen die Verpflichtung zur<br />
Leistung von Elternunterhalt noch nicht erkennbar war. Der angemessene<br />
Familienunterhalt auf Grundlage des bisherigen Lebensstandards<br />
soll aufgrund der Verpflichtung zur Unterhaltsgewährung<br />
gegenüber den Eltern nicht angetastet werden. Die Unterhaltspflicht<br />
gegenüber den Eltern soll zu keiner spürbaren und dauerhaften<br />
Senkung des berufs- und einkommenstypischen Unterhaltsniveaus<br />
437<br />
Ebenso Wellenhofer, in: Luthin/Koch, Hdb. des Unterhaltsrechts, 11. Aufl. 2010,<br />
Rn. 5026.<br />
438<br />
Vgl. BGHZ 147, 19 = FamRZ 2001, 614 = FuR 2001, 180 = JR 2002, 109 = MDR<br />
2001, 815 = NJW 2001, 1488; BGH, FamRZ 2001, 1065 = FuR 2001, 225 = NJW-RR<br />
2001, 361 u. BGHZ 169, 200 = FamRZ 2006, 1827 = FF 2007, 50 = FuR 2007, 19 =<br />
JA 2007, 813 = JZ 2007, 587 = MDR 2007, 275 = NJW 2007, 139.<br />
439<br />
Str., wie hier BGH, FamRZ 1987, 472; Wellenhofer, in: Luthin/Koch, Hdb. des Unterhaltsrechts,<br />
11. Aufl. 2010, Rn. 5026 u. Scholz, in: FS f. Schwab, 2005, S. 911, 913 ;<br />
a. A. Ehinger, FPR 2003, 623, 628.<br />
440<br />
BGH, FamRZ 2004, 443 = FPR 2004, 230 = JR 2005, 15 = NJW 2004, 769.<br />
441<br />
BGH, FamRZ 2004, 186, 187 = FPR 2004, 148 = MDR 2004, 279 = NJW-RR 2004,<br />
217.<br />
234
führen. 442 Etwas anderes gilt nur <strong>bei</strong> einem nach den berufs- und einkommensspezifischen<br />
Verhältnissen unangemessenen Aufwand und<br />
stets <strong>bei</strong> Luxusaufwendungen. 443<br />
Im Hinblick auf die Unsicherheit der Sozialversicherungssysteme darf<br />
das unterhaltspflichtige Kind auch eine eigene angemessene Altersvorsorge<br />
betreiben, die dem Unterhaltsanspruch vorgeht. 444 Bis zu 5 % des<br />
Bruttoeinkommens 445 können für eine über die primäre Altersversorgung<br />
hinausreichende eigene zusätzliche Altersvorsorge eingesetzt werden.<br />
In welcher Form dies geschieht, ist grundsätzlich frei. Zulässig sind z. B.<br />
Sparkonten, 446 Immobilien 447 und Lebensversicherungen; 448 eine Beschränkung<br />
auf die in § 10a EStG geförderten Anlageformen besteht<br />
nicht. Allerdings muss die Altersvorsorge auch wirklich geleistet werden;<br />
rein fiktive Abzüge sind nicht zulässig. 449 Inwieweit auch Rücklagen für<br />
den eigenen Pflegebedarf im Alter, eine Krankheit, eine Erwerbs-<br />
442 BGHZ 169, 59 = DNotZ 2007, 48 = FamRZ 2006, 1511 = FF 2006, 256 = FuR 2006,<br />
513 = MDR 2007, 219 = NJW 2006, 3344; BGH, FamRZ 2004, 186, 188 = FPR 2004,<br />
148 = MDR 2004, 279 = NJW-RR 2004, 217; BGHZ 152, 217 = DNotZ 2003, 285 =<br />
FamRZ 2002, 1698 = FPR 2003, 149 = FuR 2003, 26 = JuS 2003, 290 = MDR 2003,<br />
86 = MittBayNot 2003, 132 = NJW 2003, 128, 130; BGHZ 154, 247 = BeckRS 2003,<br />
05497 = FamRZ 2003, 1179, 1182 = FamRB 2003, 280 = FF 2003, 177 = FPR 2003,<br />
499 = FuR 2003, 456 = LMK 2003, 228 = MDR 2003, 1183 = NJW 2003, 2306 =<br />
RNotZ 2003, 570 u. Brudermüller, NJW 2004, 633, 635.<br />
443 LG Kiel, FamRZ 1996, 753, 755.<br />
444 BGHZ 154, 247 = BeckRS 2003, 05497 = FamRZ 2003, 1179, 1182 = FamRB 2003,<br />
280 = FF 2003, 177 = FPR 2003, 499 = FuR 2003, 456 = LMK 2003, 228 = MDR<br />
2003, 1183 = NJW 2003, 2306 = RNotZ 2003, 570; BGH, BeckRS 2004, 03471 =<br />
FamRZ 2004, 792, 793 = FPR 2004, 408 = FuR 2004, 222 = LMK 2004, 207 = MDR<br />
2004, 754 = NJW-RR 2004, 793; BGHZ 163, 84 = FamRZ 2005, 1817 = FuR 2005,<br />
555 = MDR 2006, 210 = NJW 2005, 3277 = NZM 2006, 31; LG Lübeck, FamRZ 1996,<br />
961 u. ausführlich Büttner, FamRZ 2004, 1918 ff.<br />
445 BGHZ 169, 59 = DNotZ 2007, 48 = FamRZ 2006, 1511 = FF 2006, 256 = FuR 2006,<br />
513 = MDR 2007, 219 = NJW 2006, 3344; BGH, BeckRS 2004, 03471 = FamRZ<br />
2004, 792, 793 = FPR 2004, 408 = FuR 2004, 222 = LMK 2004, 207 = MDR 2004,<br />
754 = NJW-RR 2004, 793.<br />
446 BGHZ 169, 59 = DNotZ 2007, 48 = FamRZ 2006, 1511 = FF 2006, 256 = FuR 2006,<br />
513 = MDR 2007, 219 = NJW 2006, 3344.<br />
447 BGH, BeckRS 2004, 03471 = FamRZ 2004, 792, 793 = FPR 2004, 408 = FuR 2004,<br />
222 = LMK 2004, 207 = MDR 2004, 754 = NJW-RR 2004, 793.<br />
448 BGHZ 154, 247 = BeckRS 2003, 05497 = FamRZ 2003, 1179, 1182 = FamRB 2003,<br />
280 = FF 2003, 177 = FPR 2003, 499 = FuR 2003, 456 = LMK 2003, 228 = MDR<br />
2003, 1183 = NJW 2003, 2306 = RNotZ 2003, 570; BGHZ 169, 59 = DNotZ 2007, 48<br />
= FamRZ 2006, 1511 = FF 2006, 256 = FuR 2006, 513 = MDR 2007, 219 = NJW<br />
2006, 3344.<br />
449 BGH, BeckRS 2003, 03853 = DNotZ 2003, 549 = FamRZ 2003, 860, 863 = FF 2003,<br />
136 = FPR 2003, 378 = FuR 2003, 275 = LMK 2003, 127 = MDR 2003, 875 = NJW<br />
2003, 1660; OLG Brandenburg, FamFR 2010, 104.<br />
235
minderung und eine Invalidität zulässig sind, ist bisher offen. 450 Die Begründung<br />
des BGH, dass die klassische Altersvorsorge nicht mehr ausreicht,<br />
würde auch für diese Bereiche von Versorgungsaufwendungen<br />
gelten. 451 Eine Zweckbindung ist nicht erforderlich; ausreichend ist, dass<br />
das unterhaltspflichtige Kind darlegt, dass die Vermögensanlage der<br />
zusätzlichen Altersvorsorge dienen soll. Allerdings ist neben vorhandenem<br />
Immobilienvermögen eine weitere Altersvorsorge nur in Ausnahmefällen<br />
zulässig. 452 Ob das in Anspruch genommene Kind zudem<br />
eine zusätzliche Altersvorsorge für seinen nicht erwerbstätigen Ehegatten<br />
im Rahmen des Familienunterhalts finanzieren kann, ist noch<br />
offen. 453<br />
Verbindlichkeiten einschließlich Anschaffungskredite sind als Abzugsposten<br />
zu berücksichtigen. Voraussetzung ist, dass sie eingegangen<br />
wurden, bevor die Verpflichtung zum Elternunterhalt absehbar war. 454<br />
Eine Ausnahme gilt für Verbindlichkeiten, die bereits im Selbstbehalt<br />
berücksichtigt sind. Hinsichtlich des Umstands des Bekanntwerdens der<br />
Unterhaltspflicht ist nicht vor einer Kreditaufnahme die medizinische<br />
Untersuchung der Eltern erforderlich. 455 Sie kann von den Eltern zur<br />
Entdeckung einer bisher nicht bekannten Krankheit nicht gefordert<br />
werden. Im Gegenteil besteht sogar eine Vermutung dafür, dass auch<br />
<strong>bei</strong> Eltern im fortgeschrittenen Alter eine Pflegebedürftigkeit nicht von<br />
vornherein zu bejahen ist. Verbindlichkeiten, die dagegen erst nach<br />
Bekanntwerden einer eventuellen Pflegebedürftigkeit eingegangen<br />
werden, sind auf ihre Angemessenheit zu prüfen. Kreditaufnahmen für<br />
die Anschaffung sind da<strong>bei</strong> wohl richtigerweise ebenso wie diesbezügliche<br />
Rücklagen zu behandeln. Kinder dürfen nicht unterschiedlich be-<br />
450<br />
Vgl. Klinkhammer, in: Eschenbruch/Klinkhammer, Der Unterhaltsprozess,<br />
5. Aufl. 2009, Kap. 2 Rn. 65 ff. u. MünchKommBGB/Born, 5. Aufl. 2008, § 1601<br />
Rn. 25; offen BGH, BeckRS 2003, 03853 = DNotZ 2003, 549 = FamRZ 2003, 860,<br />
863 = FF 2003, 136 = FPR 2003, 378 = FuR 2003, 275 = LMK 2003, 127 = MDR<br />
2003, 875 = NJW 2003, 1660.<br />
451<br />
Abgelehnt allerdings vom BGH, BeckRS 2003, 03853 = DNotZ 2003, 549 = FamRZ<br />
2003, 860, 863 = FF 2003, 136 = FPR 2003, 378 = FuR 2003, 275 = LMK 2003, 127<br />
= MDR 2003, 875 = NJW 2003, 1660 für die Ar<strong>bei</strong>tslosigkeitsvorsorge eines Gesellschafter-Geschäftsführers.<br />
452<br />
BGH, FamRZ 2004, 370, 374 = FPR 2004, 157 = FuR 2004, 419 = MDR 2004, 450 =<br />
NJW 2004, 677.<br />
453<br />
OLG Hamm, FamRZ 2008, 1650; Büttner, FamRZ 2004, 1918, 1920.<br />
454<br />
BGHZ 169, 59 = DNotZ 2007, 48 = FamRZ 2006, 1511 = FF 2006, 256 = FuR 2006,<br />
513 = MDR 2007, 219 = NJW 2006, 3344; OLG München, FamRZ 2000, 307; OLG<br />
Hamm, FamRZ 2002, 123; OLG Hamm, NJW-RR 2005, 588. S. auch Born, FamRB<br />
2003, 295, 302 u. Brudermüller, NJW 2004 633, 635 f.<br />
455<br />
Ebenso Klinkhammer, in: Eschenbruch/Klinkhammer, Der Unterhaltsprozess,<br />
5. Aufl. 2009, Kap. 2 Rn. 68; tlw. abw. Born, FamRB 2004, 226, 227.<br />
236
handelt werden, wenn das eine Aufwendungen mittels eines Darlehens<br />
finanziert, während das andere erst die diesbezügliche Summe anspart.<br />
456 Bei erforderlichen Hausratsanschaffungen und einer anstehenden<br />
Pkw-Erneuerung dienen Rücklagen nicht der Vermögensbildung;<br />
Kredite sind insoweit zu akzeptieren. Dagegen sind Aufwendungen<br />
für private Zwecke wie z. B. Urlaubsreisen aus dem erhöhten<br />
Selbstbehalt zu bestreiten. Rücklagen und Kreditaufnahmen<br />
sind hierfür nicht zulässig. 457<br />
Der Wohnwert eines selbst genutzten Eigenheims ist hinsichtlich der<br />
Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen. Er wird allerdings nicht mit der<br />
<strong>bei</strong> einer Fremdvermietung erzielbaren objektiven Marktmiete, sondern<br />
auf der Grundlage des unter den gegebenen Verhältnissen ersparten<br />
Mietzinses berücksichtigt. 458 Belastungen sind auch insoweit abzugsfähig.<br />
Zu ihnen gehören Lasten, Finanzierungszinsen sowie sonstige<br />
verbrauchsunabhängige Kosten (z. B. Gebühr für den Kaminkehrer).<br />
Auch die Tilgungsraten können abgesetzt werden; 459 Voraussetzungen<br />
sind allerdings ihre Angemessenheit und die Begründung zu einem<br />
Zeitpunkt, zu dem die Verpflichtung zum Elternunterhalt noch nicht absehbar<br />
war. Rücklagen sind ebenfalls zu berücksichtigen, wenn es sich<br />
um beabsichtigte Instandhaltungsmaßnahmen handelt, die zur<br />
ordnungsgemäßen Bewohnbarkeit der Immobilie erforderlich sind. Allein<br />
der Hinweis darauf, dass es sich um ein älteres Bauwerk handelt, genügt<br />
zu ihrer Anerkennung dagegen nicht. 460 Eine Veräußerung des<br />
456<br />
Ebenso Ehinger, FPR 2003, 622, 627.<br />
457<br />
Str. für Urlaubsreise Klinkhammer, in: Eschenbruch/Klinkhammer, Der Unterhaltsprozess,<br />
5. Aufl. 2009, Kap. 2 Rn. 69; bejahend wohl Wellenhofer, in: Luthin/Koch,<br />
Hdb. des Unterhaltsrechts, 11. Aufl. 2010, Rn. 5030.<br />
458<br />
BGHZ 154, 247 = BeckRS 2003, 05497 = FamRZ 2003, 1179, 1182 = FamRB 2003,<br />
280 = FF 2003, 177 = FPR 2003, 499 = FuR 2003, 456 = LMK 2003, 228 = MDR<br />
2003, 1183 = NJW 2003, 2306 = RNotZ 2003, 570 u. OLG Zweibrücken, OLGReport<br />
2008, 505.<br />
459<br />
BGHZ 154, 247 = BeckRS 2003, 05497 = FamRZ 2003, 1179, 1182 = FamRB 2003,<br />
280 = FF 2003, 177 = FPR 2003, 499 = FuR 2003, 456 = LMK 2003, 228 = MDR<br />
2003, 1183 = NJW 2003, 2306 = RNotZ 2003, 570.<br />
460<br />
BGH, FamRZ 2000, 351, 354 = FuR 2000, 252 = MDR 2000, 215 = NJW 2000, 284 =<br />
NZM 2000, 102.<br />
237
Eigenheims ist regelmäßig unzumutbar. 461 Auch eine Belastung zur<br />
Finanzierung des Elternunterhalts ist nicht zumutbar. 462<br />
Der angemessene Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen beträgt nach<br />
der Düsseldorfer Tabelle derzeit mindestens monatlich 1.400 Euro einschließlich<br />
450 Euro Warmmiete und zuzüglich der Hälfte des darüber<br />
hinausgehenden Einkommens. 463 Bleibt die Warmmiete unter dem vorstehend<br />
genannten Betrag, erfolgt keine Herabsetzung. 464 Bei höheren<br />
Wohnkosten ist im Einzelfall zu prüfen, ob der Umzug in eine billigere<br />
Wohnung zumutbar ist, was insbesondere <strong>bei</strong> einer langjährigen Mietwohnungsnutzung<br />
regelmäßig nicht der Fall ist. 465 Die Düsseldorfer<br />
Tabelle gibt den angemessenen Unterhalt des mit dem unterhaltspflichtigen<br />
Kind zusammenlebenden Ehegatten mit mindestens 1.050<br />
Euro (einschließlich 350 Euro Warmmiete) an. Konsequenz ist, dass<br />
eine Unterhaltspflicht ausscheidet, wenn das Einkommen der Eheleute<br />
den zusammengerechneten Selbstbehalt von 2.450 Euro monatlich<br />
nicht erreicht. 466<br />
Für das nach Abzug des erhöhten Selbstbehalts sowie vorrangiger<br />
Unterhaltsverpflichtungen verbleibende bereinigte Netto-Einkommen gilt<br />
die bereits erwähnte 50 %-Methode. Die Hälfte dieses "Überschussbetrages"<br />
ist tatsächlich für den Elternunterhalt einzusetzen. 467 Dieser<br />
461<br />
BGHZ 169, 59 = DNotZ 2007, 48 = FamRZ 2006, 1511 = FF 2006, 256 = FuR 2006,<br />
513 = MDR 2007, 219 = NJW 2006, 3344; BGHZ 154, 247 = BeckRS 2003, 05497 =<br />
FamRZ 2003, 1179, 1181 = FamRB 2003, 280 = FF 2003, 177 = FPR 2003, 499 =<br />
FuR 2003, 456 = LMK 2003, 228 = MDR 2003, 1183 = NJW 2003, 2306 = RNotZ<br />
2003, 570; anders für ein Ferienhaus BGH, NJW-RR 1986, 66.<br />
462<br />
BVerfG, BayVBl. 2006, 699 = BeckRS 2005, 27107 = EuGRZ 2005, 330 = FamRZ<br />
2005, 1149 = FF 2005, 187 = FuR 2005, 376 = JZ 2006, 313 = MDR 2005, 927 =<br />
NJW 2005, 1927 = SVR 2005, 343 = ZErb 2005, 374.<br />
463<br />
Düsseldorfer Tabelle, Stand vom 1.1.2010, Anm. D I.<br />
464<br />
BGH, FamRZ 2004, 186 = FPR 2004, 148 = MDR 2004, 279 = NJW-RR 2004, 217 u.<br />
BGH, FamRZ 2004, 370, 373 = FPR 2004, 157 = FuR 2004, 419 = MDR 2004, 450 =<br />
NJW 2004, 677.<br />
465<br />
Ebenso Klinkhammer, in: Eschenbruch/Klinkhammer, Der Unterhaltsprozess,<br />
5. Aufl. 2009, Kap. 2 Rn. 77.<br />
466<br />
Ebenso OLG Zweibrücken, OLGR 2008, 505.<br />
467<br />
BGHZ 152, 217 = BeckRS 2002, 09015 = DNotZ 2003, 285 = FamRZ 2002, 1698,<br />
1701 = FF 2003, 28 = FPR 2003, 149 = FuR 2003, 26 = JR 2003, 283 = JuS 2003,<br />
290 = LMK 2003, 45 = MDR 2003, 86 = MittBayNot 2003, 132 = NJW 2003, 128 = ;<br />
BGHZ 154, 247 = BeckRS 2003, 05497 = FamRZ 2003, 1179, 1182 = FamRB 2003,<br />
280 = FF 2003, 177 = FPR 2003, 499 = FuR 2003, 456 = LMK 2003, 228 = MDR<br />
2003, 1183 = NJW 2003, 2306 = RNotZ 2003, 570; BGH, BeckRS 2003, 10674 =<br />
FamRZ 2004, 186 = FF 2004, 25 = FPR 2004, 148 = MDR 2004, 279 = NJW-RR<br />
2004, 217, 219; BGHZ 169, 59 = DNotZ 2007, 48 = FamRZ 2006, 1511 = FF 2006,<br />
238
Super-Selbstbehalt 468 entspricht auch der Handhabung der Sozialämter<br />
im Falle des Rückgriffs. Damit soll das Kind davor geschützt werden,<br />
dass es mehr an Elternunterhalt leisten muss, als ihm selbst verbleibt.<br />
Nicht ganz unstrittig ist, was aus dem sog. Super-Selbstbehalt zu<br />
finanzieren ist. Dies betrifft insbesondere Vorsorgeaufwendungen,<br />
Kredite sowie weitere Aufwendungen für den Lebensbedarf.<br />
Ist das in Anspruch genommene Kind verheiratet, selbst nicht erwerbstätig<br />
und verfügt es auch über keine Vermögenseinkünfte, kann es<br />
leistungsfähig sein, wenn besonders günstige wirtschaftliche Verhältnisse<br />
vorliegen und die eigenen Mittel wie z. B. Ar<strong>bei</strong>tslosengeld und<br />
Taschengeld nicht zur Bestreitung des eigenen angemessenen<br />
Lebensbedarfs benötigt werden. 469 Die Höhe des entsprechenden Anteils<br />
hat der Tatrichter festzulegen. 470 Eine derart günstige wirtschaftliche<br />
Situation liegt vor, wenn das bereinigte Einkommen des Ehegatten<br />
dem doppelten Selbstbehalt <strong>bei</strong>der Ehegatten entspricht, also zur Zeit<br />
4.900 Euro monatlich beträgt. 471 Auf diesem "Umweg" kommt es zu<br />
einer faktischen Schwiegerkindhaftung. 472 Gleiches gilt für geringfügige<br />
Einkünfte des unterhaltspflichtigen Kindes aus einer Nebenbeschäftigung,<br />
wenn diese <strong>bei</strong> einem großzügigen Zuschnitt des<br />
Familieneinkommens nicht für den eigenen Lebensbedarf benötigt<br />
werden. Diese sind dann ohne Berücksichtigung eines Selbstbehalts für<br />
den Elternunterhalt zu verwenden. Vom Grundsatz bleibt es jedoch<br />
da<strong>bei</strong>, dass dem in Anspruch genommenen Kind der Selbstbehalt verbleiben<br />
muss. Werden die Einkünfte für den Familienunterhalt benötigt,<br />
ist zunächst zu prüfen, wie hoch der Familienunterhaltsbedarf nach der<br />
individuellen Lebensführung zu bemessen ist. Die Darlegungslast trägt<br />
insoweit das Kind, dem auch Beiträge zur Altersvorsorge verbleiben<br />
müssen. Entsprechend dem tatsächlichen Verdienst hat jeder Ehegatte<br />
256 = FuR 2006, 513 = MDR 2007, 219 = NJW 2006, 3344; OLG Düsseldorf, FamRZ<br />
2007, 1668 u. OLG Hamm, FamRZ 2008, 1650.<br />
468<br />
So Brudermüller, NJW 2004, 633, 638; vgl. auch Klinkhammer, FamRZ 2003, 1793,<br />
1796.<br />
469<br />
BGH, FamRZ 2004, 370, 372 = FPR 2004, 157 = FuR 2004, 419 = MDR 2004, 450 =<br />
NJW 2004, 677; BGH, FamRZ 2004, 366 = FF 2004, 89 = FPR 2004, 153 = FuR<br />
2004, 413 = JR 2004, 414 = NJW 2004, 674 = NJW-RR 2004, 1157; Teilw. krit.<br />
Mayer, ZEV 2007, 145 ff. Vgl. auch Scholz, in: FS f. Schwab, 2005, S. 911 ff.<br />
470<br />
Vgl. BGH, FamRZ 2004, 366 = FF 2004, 89 = FPR 2004, 153 = FuR 2004, 413 = JR<br />
2004, 414 = NJW 2004, 674 = NJW-RR 2004, 1157 zur heftigen Anrechnung.<br />
471<br />
BGH, BeckRS 2004, 03472 = FamRZ 2004, 795, 797 = FPR 2004, 405 = LMK2004,<br />
186 = MDR 2004, 753 = NJW 2004, 2167 = NJW-RR 2004, 721 = ZNotP 2004, 443.<br />
472<br />
Ebenso Wellenhofer, in: Luthin/Koch, Hdb. des Unterhaltsrechts, 11. Aufl. 2010,<br />
Rn. 5044 (dort auch zu Vollstreckungsproblemen); krit. Klinkhammer, FPR 2004, 555,<br />
557.<br />
239
anteilig zu dem errechneten Familienunterhalt <strong>bei</strong>zutragen. Die <strong>bei</strong>m<br />
Pflichtigen verbleibende Spitze steht dann zur Hälfte für den Elternunterhalt<br />
zur Verfügung.<br />
Ist das in Anspruch genommene Kind Alleinverdiener, so muss zunächst<br />
der den ehelichen Lebensverhältnissen angemessene Unterhalt<br />
für den Ehegatten abgesetzt werden. Wegen der fehlenden Unterhaltspflicht<br />
gegenüber den Schwiegereltern ist nicht allein der Selbstbehalt<br />
des nicht erwerbstätigen Ehegatten zu berücksichtigen. Sein Anteil beträgt<br />
vielmehr die Hälfte des nach Abzug des Kindesunterhalts verbleibenden<br />
Einkommens. 473 Zusätzlich zu berücksichtigen ist die Haushaltsersparnis<br />
durch das Zusammenwohnen der Ehegatten. Dies hat im<br />
Einzelfall der Tatrichter zu bestimmen. 474 Außerdem ist zu berücksichtigen,<br />
dass die ehelichen Lebensverhältnisse bereits durch die Belastung<br />
mit Elternunterhalt geprägt sein können, wo<strong>bei</strong> dies nicht nur<br />
dann der Fall ist, wenn die Eltern bereits <strong>bei</strong> Eheschließung Pflegefall<br />
sind oder deren bevorstehende Pflegebedürftigkeit damals erkennbar<br />
war. 475<br />
b) Hausverkauf für den Elternunterhalt?<br />
Auch <strong>bei</strong>m Elternunterhalt muss der Unterhaltspflichtige sein Vermögen<br />
einsetzen, um den Unterhaltsbedarf der Berechtigten zu decken, wenn<br />
er nicht über ausreichendes Einkommen verfügt. Dies gilt auch für den<br />
Stamm des Vermögens. 476 Eine Billigkeitsgrenze sieht das Gesetz nicht<br />
vor; sie ist vielmehr vom Tatrichter zu ermitteln. 477 Die Vermögensver-<br />
473 BGH, BeckRS 2003, 03853 = DNotZ 2003, 549 = FamRZ 2003, 860, 865 = FF 2003,<br />
136 = FPR 2003, 378 = FuR 2003, 275 = LMK 2003, 127 = MDR 2003, 875 = NJW<br />
2003, 1660; BGH, BeckRS 2003, 10674 = FF 2004, 25 = FamRZ 2004, 186 = FPR<br />
2004, 148 = MDR 2004, 279 = NJW-RR 2004, 217, 218.<br />
474 BGH, BeckRS 2004, 03471 = FamRZ 2004, 792, 793 = FPR 2004, 408 = FuR 2004,<br />
222 = LMK 2004, 207 = MDR 2004, 754 = NJW-RR 2004, 793; s. zu den unterschiedlichen<br />
Berechnungs<strong>bei</strong>spielen Borth, FamRZ 2004, 794, 795; Ehinger, NJW 2008,<br />
2465, 2468 u. Klinkhammer, FPR 2004, 555, 557.<br />
475 So aber noch BGH, BeckRS 2003, 03853 = DNotZ 2003, 549 = FamRZ 2003, 860,<br />
865 = FF 2003, 136 = FPR 2003, 378 = FuR 2003, 275 = LMK 2003, 127 = MDR<br />
2003, 875 = NJW 2003, 1660; Wellenhofer, in: Luthin/Koch, Hdb. des Unterhaltsrechts,<br />
11. Aufl. 2010, Rn. 5041 führt dazu aus, dass, solange Elternteile leben, stets<br />
im Grunde mit der Unterhaltslast zu rechnen ist.<br />
476 Ebenso Born, FPR 2009, 607 u. Büttner, in: FS f. Henrich, 2000, S. 51, 56 u. Soyka,<br />
in: Scholz/Stein, Praxishandbuch Familienrecht, Stand: Okt. 2009 Teil J Rn. 44; teilw.<br />
abw. OLG Hamm, FPR 2009, 606.<br />
477 BGH, BGHZ 152, 217 = FamRZ 2002, 1698, 1702 = DNotZ 2003, 285 = FPR 2003,<br />
149 = FuR 2003, 26 = JR 2003, 283 = JuS 2003, 290 = MDR 2003, 86 = MittBayNot<br />
2003, 132 = NJW 2003, 128.<br />
240
wertung kann durch Veräußerung oder Beleihung erfolgen. Im Hinblick<br />
auf die schwächere Ausgestaltung des Elternunterhalts und darauf,<br />
dass das Kind für sich und seine Familie auch in Zukunft sorgen muss,<br />
muss ein strengerer Maßstab hinsichtlich der Zumutbarkeit der Vermögensverwertung<br />
gelten als <strong>bei</strong>m Unterhalt für volljährige Kinder. 478<br />
Demnach kann eine Verwertung des Vermögensstamms nicht gefordert<br />
werden, wenn sie zum Wegfall fortlaufender Einkünfte führt, die zur<br />
Bestreitung des eigenen Lebensbedarfs, von Unterhaltsansprüchen<br />
anderer Personen und zur Tilgung von Verbindlichkeiten erforderlich<br />
sind. 479 Die Verwertung eines angemessenen selbstgenutzten Familienheims<br />
kann im Normalfall nicht gefordert werden. 480 Auch eine Belastung<br />
zur Finanzierung des Unterhalts durch eine Kreditaufnahme<br />
scheidet aus. 481 Geschützt ist allerdings grundsätzlich nur das angemessene<br />
selbstgenutzte Familienheim. Handelt es sich jedoch um ein<br />
langjährig bewohntes Haus kann auch nach dem Auszug der Kinder<br />
und dem eventuellen Versterben des Ehepartners dem Unterhaltspflichtigen<br />
die Veräußerung nicht zugemutet werden. Die Kriterien in<br />
§ 90 Abs. 2 SGB XII können im Rahmen des Elternunterhalts nur als<br />
Mindestmaßstab dienen. 482 Schließlich ist die Verwertung von Vermögen<br />
unzumutbar, wenn dies zu wirtschaftlich nicht mehr vertretbaren<br />
Nachteilen führen würde, 483 was bereits dann angenommen werden<br />
kann, wenn Vermögen angemessene Erträge abwirft. 484<br />
478<br />
Ebenso BGHZ 169, 59 = DNotZ 2007, 48 = FamRZ 2006, 1511 = FF 2006, 256 =<br />
FuR 2006, 513 = MDR 2007, 219 = NJW 2006, 3344; u. Wellenhofer, in: Luthin/Koch,<br />
Hdb. des Unterhaltsrechts, 11. Aufl. 2010, Rn. 2049, die die nachstehend genannten<br />
Beispielsfälle als grob unbillig ansieht; a. A. Krische, FPR 2005, 335, 338.<br />
479<br />
BGHZ 169, 59 = DNotZ 2007, 48 = FamRZ 2006, 1511 = FF 2006, 256 = FuR 2006,<br />
513 = MDR 2007, 219 = NJW 2006, 3344.<br />
480<br />
BGH, BeckRS 2004, 06088 = FamRZ 2004, 1184 = FPR 2004, 522 = FuR 2004, 510<br />
= MDR 2004, 1000 = NJW 2004, 2306; BGHZ 169, 59 = DNotZ 2007, 48 = FamRZ<br />
2006, 1511 = FF 2006, 256 = FuR 2006, 513 = MDR 2007, 219 = NJW 2006, 3344 u.<br />
BGHZ 154, 247 = BeckRS 2003, 05497 = FamRZ 2003, 1179, 1181 = FamRB 2003,<br />
280 = FF 2003, 177 = FPR 2003, 499 = FuR 2003, 456 = LMK 2003, 228 = MDR<br />
2003, 1183 = NJW 2003, 2306 = RNotZ 2003, 570.<br />
481<br />
BVerfG, BayVBl. 2006, 699 = BeckRS 2005, 27107 = EuGRZ 2005, 330 = FamRZ<br />
2005, 1149 = FF 2005, 187 = FuR 2005, 376 = JZ 2006, 313 = MDR 2005, 927 =<br />
NJW 2005, 1927 = SVR 2005, 343 = ZErb 2005, 374 = .<br />
482<br />
Ebenso Klinkhammer, in: Eschenbruch/Klinkhammer, Der Unterhaltsprozess,<br />
5. Aufl. 2009, Kap. 2 Rn. 115.<br />
483<br />
BGH, BeckRS 2004, 06088 = FamRZ 2004, 1184 = FPR 2004, 522 = FuR 2004, 510<br />
= MDR 2004, 1000 = NJW 2004, 2306.<br />
484<br />
BGH, BeckRS 2004, 06088 = FamRZ 2004, 1184 = FPR 2004, 522 = FuR 2004, 510<br />
= MDR 2004, 1000 = NJW 2004, 2306.<br />
241
Die Verwertung von Miteigentum und erbengemeinschaftlichem Eigentum<br />
sind regelmäßig kaum wirtschaftlich zumutbar möglich. Gleiches gilt<br />
hinsichtlich der Verluste <strong>bei</strong>m Rückkauf einer Lebensversicherung.<br />
Häufig scheitert eine sinnvolle Verwertung bereits am Gleichzeitigkeitsprinzip,<br />
da die Verwertung nicht den gegenwärtigen Unterhaltsbedarf<br />
des Elternteils decken kann. 485 Hinsichtlich des weiteren Vermögens<br />
kommt es auf die Besonderheiten des Einzelfalls an, insbesondere die<br />
Lebenserwartung des Unterhaltspflichtigen, dem ihm für seine Altersvorsorge<br />
verbleibenden Zeitraum, die Höhe der bisherigen Rentenanwartschaften,<br />
Lücken in der Erwerbsbiografie, die Sicherheit seines<br />
Ar<strong>bei</strong>tsplatzes sowie vorhandenes Wohneigentum. 486 Umstritten ist, ob<br />
Mindestschonbeträge anzuerkennen sind. 487 Allerdings kann auf die<br />
kleinen Barbeträge nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII zurückgegriffen<br />
werden. Danach ist der Schonvermögensbetrag in Höhe von ca. 75.000<br />
Euro anzusetzen. 488 Dieser Betrag vermindert sich <strong>bei</strong> vorhandenem<br />
Immobilienbesitz auf 25.000 Euro. 489 Dieses Schonvermögen kann auf<br />
Null schrumpfen, wenn die Existenz des Schuldners oder seiner Familie<br />
anderweitig gesichert ist. 490 Statt der Veräußerung kann auch eine<br />
weniger belastende Kreditaufnahme geboten sein. 491 Allerdings muss<br />
dem Unterhaltspflichtigen möglich sein, die Kreditzinsen durch sein<br />
Einkommen aufzubringen, was in der Regel meist nicht der Fall sein<br />
wird. Die Rechtsprechung hat unterschiedlich zum unterhaltsrechtlich<br />
"Schonvermögen" entschieden. Die Veräußerung von zwei Wohnungen,<br />
die der Lebensgefährtin und deren volljährigem Sohn mietfrei überlassen<br />
waren, 492 sowie ein Barvermögen von rund 117.000 Euro, das<br />
sich aus einer Lebensversicherung, einer Rücklage für einen Pkw-Kauf<br />
und dem allgemeinen Freibetrag zusammensetzte, 493 wurden als nicht<br />
485<br />
BVerfG, BayVBl. 2006, 699 = BeckRS 2005, 27107 = EuGRZ 2005, 330 = FamRZ<br />
2005, 1051 = FF 2005, 187 = FuR 2005, 376 = JZ 2006, 313 = MDR 2005, 927 =<br />
NJW 2005, 1927 = SVR 2005, 343 = ZErb 2005, 374<br />
486<br />
BGHZ 169, 59 = DNotZ 2007, 48 = FamRZ 2006, 1511 = FF 2006, 256 = FuR 2006,<br />
513 = MDR 2007, 219 = NJW 2006, 3344.<br />
487<br />
Verneinend Wellenhofer, in: Luthin/Koch, Hdb. des Unterhaltsrechts, 11. Aufl. 2010,<br />
Rn. 5036; bejahend MünchKommBGB/Born, 5. Aufl. 2008, § 1601 Rn. 20, der einen<br />
Mindestschonbetrag in Höhe von 26.000 Euro annimmt.<br />
488<br />
Vgl. die Empfehlungen des Dt. Vereins für öffentliche und private Fürsorge Nr. 95.5,<br />
abgedruckt in FamRZ 2005, 1387, 1394.<br />
489<br />
Vgl. die Empfehlungen des Dt. Vereins für öffentliche und private Fürsorge Nr. 95.4,<br />
abgedruckt in FamRZ 2005, 1387, 1394.<br />
490<br />
MünchKommBGB/Born, 5. Aufl. 2008, § 1601 Rn. 20.<br />
491<br />
BGH, FamRZ 1986, 48, 50.<br />
492<br />
BGH, BeckRS 2004, 06088 = FamRZ 2004, 1184 = FPR 2004, 522 = FuR 2004, 510<br />
= MDR 2004, 1000 = NJW 2004, 2306 (anders für die fiktiven Mieteinnahmen).<br />
493<br />
BGH, BGHZ 169, 59 = DNotZ 2007, 48 = FamRZ 2006, 1511 = FF 2006, 256 = FuR<br />
2006, 513 = MDR 2007, 219 = NJW 2006, 3344.<br />
242
einsatzpflichtig anerkannt. Dagegen sollen 150.000 Euro Kapitalvermögen<br />
und eine Eigentumswohnung zur Bestreitung von Unterhalt in<br />
Höhe von ca. 11.200 Euro einsatzpflichtig sein. 494 Auch die Veräußerung<br />
eines Betriebs, aus dem nur ein verhältnismäßig geringer<br />
Gewinn erwirtschaftet wurde und der nicht existentiell für den Unterhaltsschuldner<br />
war, wurde als zumutbar angesehen. 495<br />
c) Verwirkung des Elternunterhalts<br />
Bei grober Unbilligkeit 496 kann der Elternunterhalt verwirkt sein (§ 1611<br />
Abs. 1 Satz 2 BGB). Dies wurde aufgrund der schwachen Ausgestaltung<br />
des Elternunterhalts bereits dann angenommen, wenn sich<br />
der Unterhalt fordernde Elternteil um das Kind längere Zeit nicht gekümmert<br />
hatte, 497 eine Kontaktverweigerung durch den Elternteil über<br />
lange Zeit erfolgte 498 und insbesondere <strong>bei</strong> der Nichterfüllung der Verpflichtung<br />
zum Familienunterhalt gegenüber dem später in Anspruch<br />
genommenen Kind. Eine Verwirkung kann auch in zeitlicher Hinsicht<br />
vorliegen, wenn Rückstände Zeitabschnitte betreffen, die mehr als ein<br />
Jahr zurückliegen und das Kind seine Lebensführung an die vorhandenen<br />
Einkünfte angepasst hat. 499<br />
Hinsichtlich der Haftung mehrerer Kinder besteht <strong>bei</strong>m Verwandtenunterhalt<br />
keine gesamtschuldnerische, sondern eine teilschuldnerische<br />
Haftung (§ 1606 Abs. 2 Satz 1 BGB). Die Kinder haften somit nach ihrer<br />
jeweiligen Leistungsfähigkeit anteilig. Um die Quoten ermitteln zu<br />
können, 500 müssen die nach Abzug des Selbstbehalts von den bereinigten<br />
Einkommen verbleibenden Beträge zueinander ins Verhältnis<br />
494 BGHZ 152, 217 = DNotZ 2003, 285 = FamRZ 2002, 1698 = FuR 2003, 26 = JR 2003,<br />
283 = JuS 2003, 290 = MDR 2003, 86 = MittBayNot 2003, 132 = NJW 2003, 128.<br />
495 OLG Karlsruhe, FamRB 2004, 320 = FamRZ 2004, 292 = FPR 2006, 508 = NJW<br />
2004, 296.<br />
496 S. nur Soyka, in: Scholz/Stein, Praxishandbuch Familienrecht, Stand: Okt. 2009 Teil J<br />
Rn. 62.<br />
497 LG Hannover, FamRZ 1991, 1094 u. AG Leipzig, FamRZ 1997, 965.<br />
498 BGH, BeckRS 2004, 07984 = FamRZ 2004, 1559 = FF 2004, 290 u. 2005, 54 = FPR<br />
2004, 593 = FuR 2004, 564 = JuS 2005, 75 = MDR 2005, 36 = NJW 2004, 3109 u.<br />
AG Helmstedt, FamRZ 2001, 1395.<br />
499 BGHZ 152, 217 = DNotZ 2003, 285 = FamRZ 2002, 1698 = FPR 2003, 149 = FuR<br />
2003, 26 = JuS 2003, 290 = MDR 2003, 86 = MittBayNot 2003, 132 = NJW 2003,<br />
128; tlw. abw. BGH, BauR 2003, 379 = BeckRS 2002, 09793 = FamRZ 2003, 449 =<br />
FF 2003, 136 = GE 2003, 456 = MDR 2003, 207 = NJ 2003, 93 = NJW 2003, 824 =<br />
NZBau 2003, 213 = WM 2003, 1425 = ZfBR 2003, 147.<br />
500 Vgl. das Berechnungs<strong>bei</strong>spiel von Hußmann, ZEV 2005, 248, 253 ff.<br />
243
gesetzt werden. 501 Diesbezüglich besteht unter den Geschwistern im<br />
Rahmen des Elternunterhalts ein Auskunftsanspruch (§ 242 BGB). 502<br />
Allerdings trifft die Schwiegerkinder keine Auskunftspflicht. Das Geschwisterteil<br />
muss jedoch die diesbezüglichen Angaben hinsichtlich<br />
seines Ehegatten machen, soweit diese erforderlich sind, um deren<br />
Anteil am Familienunterhalt und damit mittelbar die Leistungsfähigkeit<br />
des eigenen Kindes bestimmen zu können. 503 Dem Sozialhilfeträger<br />
steht ein durch Verwaltungsakt geltend zu machender Auskunftsanspruch<br />
auch gegen das Schwiegerkind zu (§ 117 Abs. 1 SGB XII).<br />
d) Pflegeleistungen statt Zahlung?<br />
Unterhaltsleistungen für erwachsene unterhaltsberechtigte Personen<br />
sind grundsätzlich in Geld zu erbringen (§ 1612 Abs. 1 Satz 1 BGB).<br />
Einigen sich die Beteiligten auf eine andere Art der Leistung, insbesondere<br />
die Erbringung in Natur, ist dies zulässig (§ 1612 Abs. 1 Satz<br />
2 BGB). Eine diesbezügliche Einigung kann im Hausübergabevertrag,<br />
aber auch stillschweigend erfolgen. Die Erbringung von Unterhalt durch<br />
Pflegeleistungen entspricht regelmäßig zudem den Interessen <strong>bei</strong>der<br />
Seiten. Der Verpflichtete wird dadurch von Zahlungen entlastet. Der<br />
Berechtigte erfährt ein flexibles Eingehen auf seine Bedürfnisse. Für<br />
<strong>bei</strong>de Teile werden die wichtigen familiären Bindungen erhalten. Die<br />
persönliche Pflege und Betreuung ermöglicht deshalb nicht nur eine<br />
Kostenersparnis, sondern stellt gleichzeitig eine den Bedürfnissen gerecht<br />
werdende Unterhaltsgewährung dar. Sie ist auch noch <strong>bei</strong> Unterbringung<br />
der Eltern im Seniorenheim möglich. 504<br />
V. Viertes Gebot am Ende?<br />
„Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren“, auf das du lange lebst<br />
auf Erden.“ 505 Bei dem vierten der biblischen Zehn Gebote fällt auf, dass<br />
es sich um das einzige Gebot handelt, dessen Erfüllung bereits im<br />
Diesseits belohnt wird. Es richtet sich deshalb auch nicht an kleine,<br />
sondern erwachsene Kinder, die auf den eigenen Beinen stehen, ihre<br />
501<br />
S. dazu BGH, BeckRS 2003, 10674 = FamRZ 2004, 186, 187 = FPR 2004, 148 =<br />
MDR 2004, 279 = NJW-RR 2004, 217.<br />
502<br />
BGH, FamRZ 2003, 1836.<br />
503<br />
Str., s. einerseits Klinkhammer, in: Eschenbruch/Klinkhammer, Der Unterhaltsprozess,<br />
5. Aufl. 2009, Kap. 2 Rn. 126 u. andererseits Strohall, FamRZ 2004, 1838,<br />
1839.<br />
504<br />
Zum Ganzen s. OLG Oldenburg, NJW 2010, 1293.<br />
505<br />
Vgl. dazu Grziwotz, in: Grziwotz/Döbertin, Spaziergang durch die Antike, 2002, S.<br />
135 f.<br />
244
Eltern nicht mehr brauchen, ihr Auskommen haben und für sich selber<br />
sorgen können. Aber umgekehrt – und auf dieser Erfahrung beruht das<br />
Gebot – brauchen die Eltern die Kinder, wenn sie alt geworden sind,<br />
wenn die Kräfte nachgelassen haben, wenn sie krank werden und gebrechlich;<br />
dann sollen die Kinder ihren Eltern das zurückgeben, was sie<br />
selbst in jungen Jahren an Fürsorge erfahren haben. Wer in dieser<br />
Weise Vater und Mutter ehrt, dem wird es wohlergehen und er wird<br />
lange leben auf Erden. 506 Der biblische Gesetzgeber baute offenbar<br />
darauf, dass das gute Beispiel der Altenfürsorge Schule machen und<br />
die nachfolgende Generation zum Nacheifern anregen würde. Es<br />
handelt sich um einen in Stein gemeißelten Generationenvertrag. 507 Zur<br />
familiären Fürsorge kam ein gesellschaftlicher Ausgleich hinzu. Der<br />
Reiche durfte den Armen nicht verhungern lassen, sonst wurde er sozial<br />
geächtet oder ihm blieb das Himmelreich versperrt. 508 Es sind somit<br />
zwei Beziehungen, eine Zeitbeziehung und eine Raumbeziehung, die<br />
für einen gerechten Ausgleich sorgen. Es ist fraglich ob das genealogische<br />
Prinzip, das den Schwerpunkt auf die „Verwandtschaft“ legt,<br />
zur Neuordnung des sozialen Kosmos taugt. 509<br />
Das familiare Unterstützungs-Netzwerk wird jedenfalls in Zukunft nicht<br />
mehr im Sinne des vierten Gebotes zur Verfügung stehen, da die Bedeutung<br />
der Familie, in der Gesellschaft abnimmt. 510 Damit entfällt aber<br />
eigentlich auch die Rechtfertigung für die Übergabe des Familienheims<br />
in vorweggenommener Erbfolge. Mit Vertragskonstruktionen, wie diese<br />
aus dem Steuerrecht bekannt sind, wird versucht, das Vermögen zu<br />
erhalten und die Kosten der Pflege der Eltern auf die Allgemeinheit zu<br />
verlagern. 511 Bei der Gestaltung derartiger Verträge tritt ein Konflikt<br />
zwischen den Interessen der Beteiligten und den Gemeinwohlbelangen<br />
auf. 512 Ist es Aufgabe des Notars als „Gegengewicht“ zu fungieren, da<br />
die Beteiligten dazu tendieren, sich auf Kosten Nichtbeteiligter zu<br />
einigen, und weil die künftigen Generationen, zu deren Lasten die<br />
506<br />
“Ehre deinen Vater und deine Mutter, auf dass du lange lebest in dem Lande, das der<br />
Herr, dein Gott, dir geben will.“ (2. Mose 20, 12; zit. nach der Züricher Bibel, 1955, S.<br />
82, ebenso die Luther-Übersetzung). S. dazu Herrmann, in: „Kirche im Rundfunk“, 3.<br />
Jg., Nr. 11 v. 19.5.2010, S. 349, 351.<br />
507<br />
Ähnlich Miegel, Die deformierte Gesellschaft, 2002, S. 199.<br />
508<br />
S. dazu die interessante Geschichte von Jakob Fugger, der befürchtete, wegen<br />
seines riesigen Vermögens nicht in den Himmel zu kommen (vgl. Miegel, Die deformierte<br />
Gesellschaft, 2002, S. 200).<br />
509<br />
Ablehnend Mache, in: Sloterdijk (Hrsg.), Vor der Jahrtausendwende: Berichte zur<br />
Lage der Zukunft, 1990, S. 29, 57 f.<br />
510<br />
Görnert-Stuckmann, Umzug in die dritte Lebensphase, 2005, S. 15.<br />
511<br />
Vgl. Schneider, ZIP 2010, 601, 603 f. zum Steuerrecht.<br />
512<br />
Hoffmann-Riem, Modernisierung von Recht und Justiz, 2001, S. 321.<br />
245
Plünderung öffentlicher Kassen geht, nicht mit am Beratungstisch<br />
sitzen. 513 Liegt die Rechtfertigung des öffentlichen Amtes des Notars<br />
und seiner Privilegien in der Zukunft vorrangig darin, dass er „gegensteuernd“<br />
wirkt, wenn es darum geht, Eigennutz zu Lasten des Gemeinwohls<br />
durchzusetzen? 514 Aber gilt dies auch, wenn nicht nur der<br />
Einzelne, sondern die Gesellschaft insgesamt ökonomisch und sittlich<br />
weit über ihre Verhältnisse lebt? Diederichsen 515 hat deshalb zu Recht<br />
gefragt, in wessen Risikobereich es fällt, wenn die öffentliche Hand<br />
keine dem Rentenniveau entsprechenden Heime vorhält.<br />
Wenn eine alte Frau, die in einem Pflegeheim lebt, ihr Haus und weitere<br />
Grundstücke jeweils mit der Auflage überträgt, dass sie der Erwerber<br />
mindestens eine Stunde im Monat besuchen muss, belegt dies einen<br />
Mangel an menschlicher Aufmerksamkeit. 516 Am Ende deshalb nochmals<br />
eine Geschichte von einer Grußmutter und einem erzählenden<br />
Enkel: Meine Großmutter war 72 Jahre als, als unser Großvater starb.<br />
Die zwei Lebensjahre nach dem Tod ihres Mannes unterscheiden sich<br />
grundlegend von ihrem bisherigen Leben.“ Die Großmutter löst sich von<br />
fast allen, was bis dahin ihr Dasein ausgemacht hat. Sie gibt ihren bisherigen<br />
Lebensinhalt „Familie“ auf und geht neue Wege. Sie nimmt<br />
ihren jüngsten Sohn und seine Kinder nicht in ihr großes Haus auf. Sie<br />
hält ihr Haus zwar rein, belastet es aber ohne Wissen ihrer Kinder mit<br />
einer Hypothek. Aus der Perspektive ihres Sohnes begeht sie folgende<br />
Sünden: Kinobesuche einer 72jährigen Greisin, regelmäßiges Essen im<br />
Gasthof, Umgang mit einem trinkenden und noch dazu sozialdemokratischen<br />
Flickschuster, Freundschaft mit dem Küchenmädchen des<br />
Gasthofs, einem „geistigen Krüppel“, Fahrt mit einer Art Kutsche, Besuch<br />
eines Pferderennens, einsame nächtliche Spaziergänge, Kartenspiel<br />
und Rotweintrinken. Sie stirbt ganz unvermittelt, an einem Herbstnachmittag<br />
in ihrem Schlafzimmer, aber nicht im Bett, sondern auf dem<br />
Holzstuhl am Fenster. Das Küchenmädchen war <strong>bei</strong> ihr als sie starb.<br />
Der Enkel resümiert: „Genau betrachtet lebte sie hintereinander zwei<br />
513<br />
Hoffmann-Riem, Modernisierung von Recht und Justiz, 2001, S. 322. Vgl. auch Hoffmann,<br />
Wirtschaftsphilosophie, 2009, S. 314 ff. Zum Zusammenhang zwischen Liebe,<br />
Gerechtigkeit und Gemeinwohl s. ferner Benedikt XVI. Encyklika Caritas in veritate,<br />
Ziff. 6 ff. (http://www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/encyclicals/documents/hf_<br />
ben-xvi_enc_20090629_caritas-in-veritate_ge.html Stand: 2.6.2010) u. dazu<br />
Giordano, Solidarität in neuem Licht, http://www.merkur.de/2009_48_Solidaritaet_in_<br />
n.38684.0.html (Stand: 2.6.2010).<br />
514<br />
Vgl. zu dem Dilemma jurisPK-BGB/Sefrin, 4. Aufl. 2008, § 528 Rn. 11 u. 49.<br />
515<br />
Diederichsen, in: Schwab/Hahne (Hrsg.), Familienrecht im Brennpunkt, 2004, S. 115,<br />
125.<br />
516<br />
Vgl. Fussek/Schober, Im Netz der Pflegemafia, 2008, S. 24 f., 36 ff. u. 64 ff.; allg.<br />
Franck, Ökonomie der Aufmerksamkeit, 1998, passim.<br />
246
Leben ... Sie hatte die langen Jahre der Knechtschaft und die kurzen<br />
Jahre der Freiheit ausgekostet und das Brot des Lebens aufgezehrt bis<br />
auf den letzten Brotsamen.“ 517<br />
517 Brecht, Die unwürdige Greisin (1949), in: Geschichten, 1969, S. 139 ff.<br />
247
Bisher erschienene Tagungsbände des Instituts für<br />
Notarrecht an der Universität Würzburg<br />
Symposium 2001<br />
Unternehmensnachfolge im Mittelstand<br />
Symposium 2002<br />
Vertragsobjekt Ehe und Lebenspartnerschaft<br />
Symposium 2003<br />
Notarielle <strong>Vertragsgestaltung</strong> für Kommunen<br />
Symposium 2004<br />
Aktuelle Tendenzen und Entwicklungen im Gesellschaftsrecht<br />
Symposium 2005<br />
Der notarielle Kaufvertrag: Eine Bestandsaufnahme der<br />
Schuldrechtsreform und der europäischen Einflüsse<br />
Symposium 2006<br />
Städtebauliche Verträge in der notariellen Praxis<br />
Symposium 2007<br />
Erbrechtsberatung 2007 - Aktuelle Entwicklungen im Erbrecht und<br />
Erbschaftsteuerrecht<br />
Symposium 2008<br />
Scheidung, Trennung – Scheidungs- und Trennungs-<br />
vereinbarungen<br />
Symposium 2009<br />
Aktuelle Entwicklungen im Gesellschaftsrecht<br />
Symposium 2010<br />
<strong>Sichere</strong> <strong>Vertragsgestaltung</strong> <strong>bei</strong> <strong>Problemimmobilien</strong><br />
Alle Bände werden herausgegeben von:<br />
Deutsche Notarrechtliche Vereinigung e. V. (NotRV)<br />
Gerberstraße 19<br />
97070 Würzburg<br />
Tel: 0931/35576-0<br />
Fax: 0931/35576-225<br />
e-mail: notrv@dnoti.de<br />
Internet: www.notrv.de
Institut für Notarrecht an der Universität Würzburg<br />
Symposium 2001<br />
Unternehmensnachfolge im Mittelstand<br />
Seite<br />
Einführungsvortrag zum Recht der Unternehmensnachfolge 1<br />
Prof. Dr. Günter Christian Schwarz<br />
Universität Würzburg<br />
Typische praktische Probleme der Unternehmensnachfolge, 20<br />
dargestellt anhand von Fall<strong>bei</strong>spielen<br />
Dr. Wolfgang Baumann<br />
Notar, Wuppertal<br />
Rechtsprobleme von Unterbeteiligungs- und Treuhandverein- 48<br />
barungen als Instrumenten der Unternehmensnachfolge<br />
Prof. Dr. Christian Armbrüster<br />
Bucerius Law School, Hamburg<br />
Das Pflichtteilsrecht als Störfall <strong>bei</strong> der Unternehmensnachfolge 74<br />
Prof. Dr. Ulrich Haas<br />
Universität Mainz<br />
Erbschaft- und schenkungsteuerrechtliche Probleme <strong>bei</strong> der 113<br />
Unternehmensnachfolge<br />
Dr. Stephan Schuck<br />
Notar, Andernach
Institut für Notarrecht an der Universität Würzburg<br />
Symposium 2002<br />
Vertragsobjekt Ehe und Lebenspartnerschaft<br />
Seite<br />
Güter- und Vermögensrecht der eingetragenen Lebenspartner- 4<br />
schaft<br />
Prof. Dr. Dagmar Kaiser<br />
Universität Mainz<br />
Erbschaft- und schenkungsteuerliche Rahmenbedingungen der 28<br />
Vermögensnachfolge eingetragener Lebenspartner<br />
Prof. Dr. Thomas Reich, Steuerberater,<br />
Deutsches Notarinstitut Würzburg<br />
Erbrechtsgestaltung <strong>bei</strong> der eingetragenen Lebenspartner- 56<br />
schaft<br />
Dr. Hans-Jürgen von Dickhuth-Harrach<br />
Notar, Köln<br />
Grenzen der Vertragsfreiheit im Unterhaltsrecht – 88<br />
Konsequenzen aus der Rechtsprechung des Bundes-<br />
verfassungsgerichts<br />
Prof. Dr. Thomas Rauscher<br />
Universität Leipzig<br />
Auswirkungen des § 23 EStG im Zusammenhang mit 112<br />
Scheidungsvereinbarungen<br />
Prof. Dr. Klaus Tiedtke<br />
Universität Würzburg
Institut für Notarrecht an der Universität Würzburg<br />
Symposium 2003<br />
Notarielle <strong>Vertragsgestaltung</strong> für Kommunen<br />
Seite<br />
Privatisierung öffentlicher Aufgaben: Kommunalrechtliche 4<br />
Bedingungen und wirtschaftliche Zielsetzungen<br />
Prof. Dr. Alfred Katz<br />
Rechtsanwalt, 1. Bürgermeister a. D., Ulm/Neu-Ulm<br />
Privatisierung öffentlicher Aufgaben: Gesellschaftsrechtliche 36<br />
Möglichkeiten und Grenzen<br />
Dr. Klaus Piehler<br />
Notar, Köln<br />
Komplexe <strong>Vertragsgestaltung</strong> im Städtebaurecht am Beispiel 82<br />
der Planung eines Einkaufszentrums<br />
Prof. Dr. Hans-Jörg Birk<br />
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht,<br />
Stuttgart<br />
Rechtsfragen zur Vertretung von Kommunen <strong>bei</strong> Rechts- 108<br />
geschäften<br />
Prof. Dr. Franz-Ludwig Knemeyer<br />
Universität Würzburg<br />
Kommunalwissenschaftliches Forschungszentrum<br />
Baulanderwerb durch Kommunen – Legitimes Mittel zur 146<br />
Abschöpfung von Planungsgewinnen oder unzulässige rechts-<br />
geschäftliche Enteignung?<br />
Dr. jur. Dr. phil. Herbert Grziwotz<br />
Notar, Regen<br />
Einheimischenmodelle an der Schnittstelle zwischen 166<br />
Öffentlichem Recht und Zivilrecht - Zur Gestaltung von<br />
Einheimischenmodellen im Zwischenerwerbsmodell<br />
Christian Hertel, LL.M.<br />
Notar a. D.,<br />
Geschäftsführer des Deutschen Notarinstituts, Würzburg
Institut für Notarrecht an der Universität Würzburg<br />
Symposium 2004<br />
Aktuelle Tendenzen und Entwicklungen im<br />
Gesellschaftsrecht<br />
Seite<br />
Begrüßung und Einführungsvortrag 4<br />
Prof. Dr. Günter Christian Schwarz<br />
Universität Würzburg<br />
Folgen aus der Rechtsfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen 10<br />
Rechts (GbR) für die notarielle Praxis<br />
Dr. Eckhard Wälzholz<br />
Notar, Füssen<br />
Die Centros-, Überseering- und Inspire Art-Entscheidungen 88<br />
und die notariellen Praxis<br />
Prof. Dr. Wulf Henrich Döser<br />
Rechtsanwalt und Notar a. D., Frankfurt a. M.<br />
Entwicklungen im GmbH-Recht 106<br />
Prof. Dr. Hans-Joachim Priester<br />
Notar, Hamburg<br />
Das Schicksal des Sonderbetriebsvermögens <strong>bei</strong>m Tod 126<br />
eines Mitunternehmers<br />
Prof. Dr. Klaus Tiedtke<br />
Universität Würzburg<br />
Die Europäische Aktiengesellschaft – Einführung und 148<br />
Überblick<br />
Prof. Dr. Günter Christian Schwarz<br />
Universität Würzburg<br />
Praktische Fragen zur Europäischen Aktiengesellschaft 168<br />
Dr. Heribert Heckschen<br />
Notar, Dresden
Institut für Notarrecht an der Universität Würzburg<br />
Symposium 2005<br />
Der notarielle Kaufvertrag: Eine Bestandsaufnahme der<br />
Schuldrechtsreform und der europäischen Einflüsse<br />
Seite<br />
Privatautonomie, Vertragsbindung und neues Kaufrecht 4<br />
Prof. Dr. Stefan Lorenz<br />
Ludwig-Maximilians-Universität München<br />
Akzeptanz und Schuldrechtsreform in der notariellen Praxis 24<br />
<strong>bei</strong>m Grundstückskaufvertrag<br />
Prof. Dr. Günter Brambring<br />
Notar, Köln<br />
Europarechtskonforme Auslegung des neuen deutschen Kauf- 42<br />
rechts<br />
Prof. Dr. Florian Faust, LL.M.<br />
Bucerius Law School, Hamburg<br />
Beschaffenheitsvereinbarungen und Ausschluss der Rechte 77<br />
des Käufers wegen Sachmängeln <strong>bei</strong>m Kauf von Gebraucht-<br />
immobilien – ein Erfahrungsbericht<br />
Dr. Hermann Amann<br />
Notar, Berchtesgaden<br />
Gestaltungsempfehlungen zum gewerblichen Grundstücks- 102<br />
handel unter Berücksichtigung des Beschlusses des Großen<br />
Senats des BFH vom 10.12.2001 GrS 1/98 und des BMF-<br />
Schreibens vom 26.03.2004<br />
Prof. Dr. Klaus Tiedtke<br />
Universität Würzburg<br />
Verbundene Geschäfte <strong>bei</strong>m Grundstückskaufvertag 133<br />
Christian Hertel, LL.M.<br />
Notar a. D.,<br />
Geschäftsführer des Deutschen Notarinstituts, Würzburg
Institut für Notarrecht an der Universität Würzburg<br />
Symposium 2006<br />
Städtebauliche Verträge in der notariellen Praxis<br />
Seite<br />
Typologie, Systematik und Bedeutung der städtebaulichen 6<br />
Verträge<br />
Prof. Dr. Franz-Ludwig Knemeyer,<br />
Bayerische Julius-Maximilians-Universität, Würzburg<br />
Beurkundung städtebaulicher Verträge 11<br />
Christian Hertel, LL.M.,<br />
Notar a. D., Geschäftsführer DNotI, Würzburg<br />
Leistungsstörungen und Sicherung der Vertragserfüllung 43<br />
<strong>bei</strong> städtebaulichen Verträgen – Möglichkeiten der<br />
<strong>Vertragsgestaltung</strong><br />
Prof. Dr. Hans-Jörg Birk,<br />
Rechtsanwalt, Stuttgart<br />
Der Durchführungsvertrag <strong>bei</strong>m Vorhaben- und Erschließungs- 68<br />
plan nach § 12 BauGB<br />
Prof. Dr. Michael Krautzberger,<br />
Ministerialdirektor a. D., Bonn,<br />
Honorarprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin<br />
Kommunaler Baulanderwerb und Planungsgewinn 97<br />
Dr. Jürgen Busse,<br />
Geschäftsführendes Präsidialmitglied<br />
des Bayerischen Gemeindetages, München<br />
Vertragliche Regelungen im Rahmen der Erschließung 111<br />
Dr. Dr. Herbert Grziwotz,<br />
Notar, Regen
Institut für Notarrecht an der Universität Würzburg<br />
Symposium 2007<br />
Erbrechtsberatung 2007 – Aktuelle Entwicklungen<br />
im Erbrecht und Erbschaftsteuerrecht<br />
Seite<br />
Neuere Rechtsprechung zum Erbrecht 8<br />
Dieter Rojahn,<br />
Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht München<br />
Die Bindung <strong>bei</strong>m gemeinschaftlichen Testament und <strong>bei</strong>m 22<br />
Erbvertrag<br />
Prof. Dr. Rainer Kanzleiter<br />
Vorsitzender der Deutschen Notarrechtlichen Vereinigung<br />
Testamentsgestaltung <strong>bei</strong> behinderten und überschuldeten 43<br />
Erben<br />
Prof. Dr. Peter Limmer<br />
stellv. Vorsitzender des Instituts für Notarrecht Würzburg<br />
Aktuelle Entwicklungen im Erbschaftsteuerrecht 109<br />
Prof. Dr. Klaus Tiedtke, Universität Würzburg<br />
Vorsitzender des Instituts für Notarrecht Würzburg<br />
Abfindungsregelungen für Erbfälle in einer GbR, OHG, 135<br />
KG und GmbH<br />
Prof. Dr. Lutz Michalski<br />
Universität Bayreuth
Institut für Notarrecht an der Universität Würzburg<br />
Symposium 2008<br />
Scheidung, Trennung –<br />
Scheidungs- und Trennungsvereinbarungen<br />
Seite<br />
Grundsätze der Inhaltskontrolle von Eheverträgen 8<br />
Dr. Meo-Micaela Hahne,<br />
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof, XII. Zivilsenat<br />
Trennungs- und Scheidungsvereinbarungen aus notarieller Sicht 27<br />
Dr. Christof Münch,<br />
Notar, Kitzingen<br />
Trennungs- und Scheidungsvereinbarungen vor dem 68<br />
Hintergrund der Unterhaltsrechtsreform<br />
Prof. Dr. Dr. h. c. Dieter Schwab,<br />
Universität Regensburg, Ehrenmitglied der NotRV<br />
Vereinbarungen zum Versorgungsausgleich nach der 102<br />
Strukturreform des Versorgungsausgleichs<br />
Dr. Andrea Schmucker,<br />
Notarin a. D., Geschäftsführerin der Bundesnotarkammer, Berlin<br />
Einige Aspekte zur Vermögensauseinandersetzung in der 119<br />
Scheidung aus anwaltlicher Sicht<br />
Dr. Ludwig Bergschneider,<br />
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Familienrecht, München<br />
Familienrechtliche Verträge und die Scheidung im Steuerrecht 136<br />
Dr. Eckhard Wälzholz,<br />
Notar, Füssen
Institut für Notarrecht an der Universität Würzburg<br />
Symposium 2009<br />
Aktuelle Entwicklungen im<br />
Gesellschaftsrecht<br />
Seite<br />
Gläubigerschutz nach dem MoMiG 8<br />
Prof. Dr. Wulf Goette,<br />
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof II. Zivilsenat<br />
Gesellschafts- und Drittschutz nach § 16 GmbHG 28<br />
Die geänderten Funktionen der Gesellschaftserliste<br />
Dr. Marc Hermanns,<br />
Notar, Köln<br />
Die GmbH in Europa: Europäische Privatgesellschaft, 52<br />
Wegzugsfreiheit, Internationales Gesellschaftsrecht<br />
Prof. Dr. Christoph Teichmann<br />
Universität Würzburg, Vorstandsmitglied INotR Würzburg<br />
Der Notar in der Hauptversammlung 76<br />
Dr. Andreas Meyer-Landrut<br />
Rechtsanwalt, Köln<br />
Ausgewählte Fragen zur Neuen Erbschaftsteuer 105<br />
Prof. Dr. Klaus Tiedtke<br />
Universität Würzburg, Vorsitzender des INotR Würzburg