08.12.2012 Aufrufe

Sichere Vertragsgestaltung bei Problemimmobilien

Sichere Vertragsgestaltung bei Problemimmobilien

Sichere Vertragsgestaltung bei Problemimmobilien

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Prof. Dr. Peter Limmer (Hrsg.)<br />

<strong>Sichere</strong> <strong>Vertragsgestaltung</strong><br />

<strong>bei</strong> <strong>Problemimmobilien</strong><br />

Tagungsband<br />

Mit Beiträgen von:<br />

Landgerichtspräsident Prof. Dr. Michael Huber<br />

Notar Dr. Adolf Reul<br />

Prof. Dr. Klaus Tiedtke<br />

Notar Prof. Dr. Stefan Hügel<br />

Notar Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz


Band 10<br />

10. Wissenschaftliches Symposium<br />

des Instituts für Notarrecht an der Universität Würzburg 2010<br />

Tagungsband: „<strong>Sichere</strong> <strong>Vertragsgestaltung</strong> <strong>bei</strong> <strong>Problemimmobilien</strong>“<br />

Herausgeber (Eigenverlag):<br />

Deutsche Notarrechtliche Vereinigung e. V.<br />

Gerberstraße 19<br />

97070 Würzburg<br />

Tel: 0931/35576-0<br />

Fax: 0931/35576-225<br />

e-mail: notrv@dnoti.de<br />

Internet: www.notrv.de<br />

ISBN 978-3-9811150-4-8


Die im Jahr 1997 gegründete Deutsche Notarrechtliche Vereinigung<br />

fördert die wissenschaftliche Behandlung und Erforschung aller notarrelevanten<br />

Rechtsfragen sowohl des formellen als auch des materiellen<br />

Rechts einschließlich der <strong>Vertragsgestaltung</strong>, der Geschichte des Notariats<br />

sowie des notariellen Berufsrechts.<br />

Zur Verwirklichung dieser Aufgabe hat die Deutsche Notarrechtliche<br />

Vereinigung Anfang 2000 durch Abschluss eines Kooperationsvertrages<br />

mit der Universität Würzburg das Institut für Notarrecht an der Universität<br />

Würzburg gegründet.<br />

Zu den zahlreichen Projekten dieses Instituts gehört auch die jährliche<br />

Abhaltung eines wissenschaftlichen Symposiums. Wissenschaftliche<br />

Tagungen, die sich mit den Fragen der notariellen Praxis beschäftigen,<br />

sind bislang vergleichsweise selten. Mit dem jährlichen Symposium des<br />

Instituts für Notarrecht soll daher ein Beitrag zum Gedankenaustausch<br />

zwischen Wissenschaft und kautelarjuristischer Praxis geleistet werden.<br />

Das zehnte wissenschaftliche Symposium des Instituts für Notarrecht<br />

am 18. Juni 2010 stand im Zeichen sicherer <strong>Vertragsgestaltung</strong> <strong>bei</strong><br />

<strong>Problemimmobilien</strong>. Das Risiko von Insolvenz- und Gläubigeranfechtung<br />

hinsichtlich Immobilienübertragungen wurde zunächst aus<br />

richterlicher Sicht untersucht. Im Anschluss wurden aus notarieller<br />

Perspektive Hinweise zur Vermeidung des Insolvenzrisikos durch entsprechende<br />

Gestaltung von Grundstückskaufverträgen gegeben. Gegenstand<br />

des Symposiums waren auch die nach der neuen Erbschaftsteuer<br />

geltenden Befreiungstatbestände mit Blick auf die Zuwendung<br />

eines Familienheims. Der Mietkauf wurde unter dogmatischen wie unter<br />

gestalterischen Gesichtspunkten beleuchtet. Zum Abschluss wurden<br />

sozialrechtliche Aspekte im Zusammenhang mit Immobilienübertragungen<br />

behandelt. Das große Interesse der Teilnehmer äußerte sich<br />

nicht nur in einer hohen Teilnehmerzahl, sondern auch in lebhaften Diskussionen.<br />

Insoweit dürfte auch die nun vorliegende Schriftfassung der<br />

Referate auf reges Interesse der Fachwelt stoßen. Den Referenten<br />

sowie allen, die zur gelungenen Organisation des Symposiums <strong>bei</strong>getragen<br />

haben, sei für das Gelingen der Tagung an dieser Stelle herzlicher<br />

Dank gesagt!<br />

Würzburg, im Juni 2010<br />

Prof. Dr. Peter Limmer


Inhaltsverzeichnis<br />

Risiko von Insolvenz- oder Gläubigeranfechtung nach<br />

(wirklich?) unentgeltlich übertragener Immobilie – zugleich<br />

ein Beitrag zum Umfang notarieller Belehrungspflichten 6<br />

Prof. Dr. Michael Huber,<br />

Präsident des LG Passau<br />

Insolvenzrisiko <strong>bei</strong> Abwicklung eines<br />

Grundstückskaufvertrages<br />

– Hinweise zur <strong>Vertragsgestaltung</strong> – 26<br />

Dr. Adolf Reul,<br />

Notar, Neu-Ulm<br />

Die Zuwendung eines Familienheims nach der<br />

Erbschaftsteuerreform 2008/2009 71<br />

Prof. Dr. Klaus Tiedtke,<br />

Universität Würzburg, Vorsitzender des INotR Würzburg<br />

Mietkauf und ähnliche Verträge 109<br />

Prof. Dr. Stefan Hügel,<br />

Notar, Weimar, Präsident der Notarkammer Thüringen<br />

Mitglied des Vorstands der NotRV


Hausübertragung zwischen Pflegeheim und Hartz IV 138<br />

Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz,<br />

Notar, Regen<br />

Mitglied des Vorstands des INotR Würzburg


Risiko von Insolvenz- oder Gläubigeranfechtung nach<br />

(wirklich?) unentgeltlich übertragener Immobilie – zugleich<br />

ein Beitrag zum Umfang notarieller Belehrungspflichten<br />

Prof. Dr. Michael Huber,<br />

Präsident des LG Passau<br />

Seite<br />

I. Überblick zur Gefahrenlage <strong>bei</strong> unentgeltlicher Zuwendung...8<br />

1. Konkurrenz Einzelgläubigeranfechtung und<br />

Insolvenzanfechtung ................................................................8<br />

a) Gläubigeranfechtung nach dem AnfG...............................8<br />

b) Insolvenzanfechtung .........................................................9<br />

c) Kollisionsnormen: §§ 16 – 18 AnfG.................................10<br />

d) Konsequenzen für die Belehrungspflicht des Notars<br />

gemäß § 17 BeurkG........................................................10<br />

2. Konkurrenz zwischen „Schenkungs-" und Vorsatzanfechtung..............................................................................11<br />

a) Ausgangspunkte..............................................................11<br />

b) Grundregel zur Konkurrenz.............................................11<br />

c) Praktische Konsequenzen ..............................................12<br />

II. Grundlagen der „Schenkungsanfechtung“..............................13<br />

1. Strukturen <strong>bei</strong> § 134 InsO und § 4 AnfG................................13<br />

a) Übereinstimmung im objektiven Tatbestand...................13<br />

b) Unterschiede in der dogmatischen Konstruktion der<br />

Anfechtungsfristen...........................................................14<br />

2. Maßgeblicher Zeitpunkt <strong>bei</strong> Grundstücksgeschäften.............15<br />

III. Begriff der Unentgeltlichkeit ......................................................16<br />

1. Ausgangspunkte.....................................................................16<br />

2. Praxistypische Problemstellungen zur Abgrenzung...............17<br />

IV. Gläubigerbenachteiligung und wertausschöpfende<br />

Belastung .....................................................................................18<br />

6


1. Ausgangspunkte ....................................................................18<br />

2. Konsequenzen für die notarielle Praxis .................................19<br />

V. „Grenzüberschreitender“ Abschluss-Fall ................................20<br />

1. Ausgangspunkte ....................................................................20<br />

a) Übersichtsblick auf die „Grenzüberschreitungen“...........20<br />

b) Sachverhalt ganz konkret ...............................................20<br />

2. Urteilsanalyse in Rätseln und Denksportaufgaben................21<br />

3. Blick auf die Konsequenzen nach gleicher Methode .............23<br />

7


I. Überblick zur Gefahrenlage <strong>bei</strong> unentgeltlicher Zuwendung<br />

Das Ausmaß des Anfechtungsrisikos <strong>bei</strong> einer unentgeltlichen Zuwendung<br />

erschließt sich durch Betrachtung der Konkurrenzlagen<br />

zwischen Gläubigeranfechtung und Insolvenzanfechtung einerseits (1.)<br />

und „Schenkungs-“ und Vorsatzanfechtung andererseits (2.).<br />

1. Konkurrenz Einzelgläubigeranfechtung und Insolvenz-<br />

anfechtung<br />

a) Gläubigeranfechtung nach dem AnfG<br />

Eine Gläubigeranfechtung nach dem AnfG gibt es nur außerhalb des<br />

Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners, wie unmittelbar<br />

aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 AnfG folgt. Eine Anfechtungsberechtigung<br />

steht allerdings nur einen Gläubiger im Sinn des § 2 AnfG<br />

zu; Voraussetzungen dieser Vorschrift sind<br />

- ein fälliger Zahlungsanspruch gegen den Schuldner (sog. Hauptanspruch),<br />

- ein vollstreckbarer Titel darüber (für nur vorläufig vollstreckbare<br />

Schuldtitel und Vorbehaltsurteile gilt § 14 AnfG) und<br />

- die Unzulänglichkeit des Schuldnervermögens für die Befriedigung<br />

des Gläubigers (sog. Subsidiarität der Einzelgläubigeranfechtung 1 ).<br />

Zweck einer solchen Gläubigeranfechtung ist es, dem einzelnen<br />

Gläubiger unter bestimmten, eng begrenzten Voraussetzungen den<br />

Vollstreckungszugriff auf Gegenstände wieder zu erschließen, die sein<br />

Schuldner anfechtbar weggegeben hat. Folglich begründet das Anfechtungsrecht<br />

ein unmittelbar auf dem Gesetz beruhendes Schuldverhältnis<br />

zwischen dem Gläubiger der befriedigungsbedürftigten<br />

Forderung (Anfechtungsberechtigten) und dem Empfänger der anfechtbaren<br />

Leistung (Anfechtungsgegner).<br />

Nach dieser – in Rechtsprechung und Schrifttum herrschenden –<br />

schuldrechtlichen Theorie hat der Gläubiger Anspruch darauf, dass sich<br />

der Anfechtungsgegner im Verhältnis zu ihm so behandeln lässt, als<br />

gehöre der anfechtbar veräußerte Gegenstand noch zum Vermögen<br />

1 BGH, Urt. v. 16.08.2007 – IX ZR 63/06, ZIP 2007, 1717 = ZInsO 2007, 934.<br />

8


des Vollstreckungsschuldners. 2 Zum Inhalt des Anfechtungsanspruchs<br />

heißt es deshalb in § 11 Abs. 1 S. 1 AnfG auch folgerichtig, dass das,<br />

was durch die anfechtbare Rechtshandlung aus dem Vermögen des<br />

Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben ist, dem<br />

Gläubiger zur Verfügung gestellt werden muss, soweit es zu dessen<br />

Befriedigung erforderlich ist. Aus Letzterem folgt die sachliche Begrenzung<br />

des Anfechtungsanspruchs als Hilfs- und Nebenrecht der<br />

befriedigungsbedürftigen Forderung des Gläubigers, also ein inhaltlich<br />

begrenzter Zugriff.<br />

b) Insolvenzanfechtung<br />

Im Insolvenzverfahren über das Vermögen eines Schuldners ist zur<br />

Insolvenzanfechtung nach §§ 129 ff. InsO grundsätzlich – nämlich im<br />

sogenannten Regelinsolvenzverfahren (§§ 1 – 216 InsO) – nur der Insolvenzverwalter<br />

befugt, wie sich unmittelbar aus dem Wortlaut des<br />

§ 129 Abs. 1 InsO ergibt. Besonderheiten gelten im Insolvenzplanverfahren<br />

(§§ 217 ff., 259 Abs. 3 InsO), <strong>bei</strong> Eigenverwaltung (§§ 270, 271<br />

InsO) und im vereinfachten Insolvenzverfahren (§§ 311 ff., 313 InsO).<br />

Zweck der Insolvenzanfechtung ist die Mehrung der Masse zugunsten<br />

der Gesamtheit aller Insolvenzgläubiger. Der Anfechtungsanspruch<br />

richtet sich folglich (ohne Begrenzung) auf Rückgewähr des (gesamten)<br />

anfechtbar erlangten Gegenstandes in die Masse. Auch insoweit gilt<br />

nach hM die schuldrechtliche Theorie, nach der aus dem Anfechtungsrecht<br />

der InsO ein schuldrechtlicher Anspruch auf Rückgewähr des<br />

weggegebenen Gegenstandes folgt, der mit der Insolvenzeröffnung<br />

aufgrund eines gesetzlichen Schuldverhältnisses entsteht und zugleich<br />

fällig wird; die Unterschiede zur sog. haftungsrechtlichen Theorie 3 sind<br />

vom Elfen<strong>bei</strong>nturm der Wissenschaft aus betrachtet zweifellos sehr<br />

interessant, aus Sicht der Praxis durch die Rechtsprechung des für das<br />

Insolvenzrecht zuständigen IX. Zivilsenats des BGH aber weitgehend<br />

eingeebnet. 4<br />

Wie wichtig es ist, die unterschiedlichen Zwecke von Gläubiger- und<br />

Insolvenzanfechtung richtig zu erfassen und <strong>bei</strong> der Subsumtion auseinander<br />

zu halten, wird der Abschlussfall zeigen.<br />

2 Näher zur Dogmatik Huber, AnfG, 10. Aufl. 2006, vor § 1 Einf. Rn. 23 ff.<br />

3 Vgl. dazu Henckel, in: Jaeger, InsO, 1. Aufl. 2008, § 143 Rn. 32.<br />

4 Näher dazu Gottwald/Huber, Insolvenzrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2010, § 52 Rn. 3, 7.<br />

9


c) Kollisionsnormen: §§ 16 – 18 AnfG<br />

Die Abgrenzung zwischen Einzelgläubiger- und Insolvenzanfechtung<br />

regeln §§ 16 – 18 AnfG. Für den hier erörterten Zusammenhang kommt<br />

es auf folgende Grundsätze an:<br />

- Ab Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Schuldners ist eine<br />

Einzelgläubigeranfechtung ausgeschlossen, eine solche Klage<br />

wäre unzulässig; das folgt im Umkehrschluss aus § 16 Abs. 1 S. 1<br />

AnfG.<br />

- Ein rechtshängiger Gläubigeranfechtungsprozess wird mit<br />

Insolvenzeröffnung unterbrochen, kann aber vom Insolvenzverwalter<br />

aufgenommen werden, § 17 Abs. 1 S. 2 AnfG.<br />

- Die eigentliche „Pointe“ ergibt sich freilich aus Absatz 2 dieser<br />

Vorschrift. Danach kann der Insolvenzverwalter den Klageantrag<br />

nach Maßgabe der § 143, 144 und 146 der InsO erweitern; der<br />

Anfechtungsgegner kommt dann sozusagen „vom Regen in die<br />

Traufe“. Denn in einem solchen Fall stellt der Insolvenzverwalter<br />

die Klage vom inhaltlich (gemäß dem Schuldtitel) begrenzten Zugriff<br />

um auf Rückgewähr des (gesamten) anfechtbar weggegebenen<br />

Gegenstandes; § 17 Abs. 2 AnfG enthält damit einen<br />

zulässigen (gesetzlich geregelten) Fall der Klageänderung, zusätzlich<br />

zu dem in Absatz 1 Satz 2 geregelten (gesetzlich zulässigen)<br />

Fall der Parteiänderung.<br />

d) Konsequenzen für die Belehrungspflicht des Notars gemäß<br />

§ 17 BeurkG.<br />

Bei unentgeltlichem Erwerb wird der Notar über das Risiko einer<br />

Gläubigeranfechtung – also über die von einem einzelnen Gläubiger<br />

möglicherweise ausgehende Gefahrenlage – ohnehin standardmäßig<br />

belehren. Ist außerdem auch auf das Risiko einer Insolvenzanfechtung<br />

hinzuweisen, also auf die Rechtslage in der Insolvenz des Zuwendenden?<br />

Nein – meint eine weit verbreiteten Meinung aus grundsätzlichen<br />

Erwägungen heraus, 5 während das andere Autoren durchaus<br />

kritisch sehen. 6 Und welche Position verdient den Vorzug? Nun – einer<br />

Antwort darauf bedarf es an dieser Stelle nicht. Denn die zitierten einschlägigen<br />

Anfechtungstatbestände entsprechen sich vollkommen,<br />

5 Vgl. insbes. den Grundlagenaufsatz von Gauter, DNotZ 2004, 421, 423 ff.<br />

6 ZB Reul/Heckschen/Wienberg, Insolvenzrecht in der Kautelarpraxis, 2006, S. 130 ff.<br />

10


weshalb eine Erörterung des § 4 AnfG genügt, die des § 134 InsO<br />

keinen zusätzlichen Ertrag zu bringen vermöchte.<br />

Auf einem ganz anderen Blatt steht, ob über das Ausmaß der Gefahrenlage<br />

mit Blick auf § 17 Abs. 2 AnfG belehrt werden sollte. Meiner<br />

Meinung nach ist das zu bejahen, damit die Beteiligte die „rechtliche<br />

Tragweite des Geschäfts“ zutreffend erfassen können; denn jetzt geht<br />

es nicht um das Anfechtungsrisiko an sich, sondern um die unterschiedlichen<br />

Rechtsfolgen der (sachlich identischen) Anfechtungstatbestände.<br />

Notwendig ist folglich ein Hinweis darauf, dass es einen umfangmäßig<br />

(inhaltlich nach dem noch unbefriedigten Hauptanspruch eines<br />

Gläubigers) begrenzten Anfechtungsanspruch nur außerhalb des Insolvenzverfahrens<br />

gibt.<br />

2. Konkurrenz zwischen „Schenkungs-“ und Vorsatzanfechtung<br />

a) Ausgangspunkte<br />

Die dazu einschlägigen Vorschriften zur Anfechtung innerhalb und<br />

außerhalb des Insolvenzverfahrens decken sich vollkommen: Es entsprechen<br />

§ 134 InsO dem § 4 AnfG (dazu sogleich noch näher) und<br />

§ 133 InsO dem § 3 AnfG; Absätze 2 der <strong>bei</strong>den zuletzt genannten Vorschriften<br />

betreffen den entgeltlichen Erwerb, der im Rahmen dieses<br />

Beitrags außer Betracht bleibt. 7<br />

b) Grundregel zur Konkurrenz<br />

„Schenkungs-“ und Vorsatzanfechtung stehen – ohne Vorrang oder<br />

Ausschluss – selbständig nebeneinander. Deshalb ist eine außerhalb<br />

der 4-Jahresfrist vorgenommene unentgeltliche Leistung innerhalb der<br />

10-Jahresfrist anfechtbar, wenn auch nur unter den strengeren Voraussetzungen<br />

der Vorsatzanfechtung. Die Probleme liegen dann <strong>bei</strong>m Beweis<br />

des subjektiven Tatbestands, wozu die Kernfragen lauten: Wann<br />

folgt alleine schon aus der „Unentgeltlichkeit“ ein Indiz für den<br />

Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners und/oder die Kenntnis<br />

des anderen Teils (Zuwendungsempfängers) davon, welche Beweiskraft<br />

käme dem zu und gibt es noch andere Beweisanzeichen?<br />

7 Ausführlich zur Anfechtbarkeit von Grundstückskaufverträgen durch Gläubiger des<br />

Verkäufers nach § 133 Abs. 2 InsO bzw. § 3 Abs. 2 AnfG vgl. Amann, DNotZ 2010,<br />

246 ff.<br />

11


Wollte man das näher betrachten, wäre ein ganz anderes, sehr weites<br />

Feld zu beschreiten. Dafür fehlt es hier an Raum und Zeit, weshalb die<br />

Erkenntnis genügen muss, dass das Anfechtungsrisiko innerhalb der 4-<br />

Jahresfrist unabwendbar (zu den nur vermeintlich wirksamen Gegenstrategien<br />

s. u. III), das innerhalb der 10-Jahresfrist jedoch wenigstens<br />

begrenzbar ist. Aber wie?<br />

c) Praktische Konsequenzen<br />

Oder anders gefragt: Was sind die praktischen Konsequenzen aus<br />

diesem Befund für den Umfang notarieller Belehrungspflichten? Und<br />

noch präziser gefragt: Soll nach den Beweggründen für die Zuwendung<br />

und umgekehrt nach Anhaltspunkten des anderen Teils für mögliche<br />

Liquiditätsengpässe des Schuldners (Zuwendenden, Veräußerers) geforscht<br />

werden soll? Wären Feststellungen dazu, oder – anders ausgedrückt<br />

– zu den Erwartungen der Vertragsparteien hinsichtlich der<br />

„Geschäftsgrundlage“ überhaupt hilfreich? Und wofür und warum könnte<br />

das so sein?<br />

In der Tat müssen aus meiner Sicht – trotz der zum Teil kompromisslos<br />

geäußerten gegenteiligen Position 8 – solche Umstände in jedem Einzelfall<br />

sorgfältig geprüft werden. Denn daraus können sich (prophylaktisch)<br />

treffliche Argumente ergeben, die später einer Vorsatzanfechtung nach<br />

§ 3 Abs. 1 AnfG (bzw. § 133 Abs. 1 InsO) entgegengehalten werden<br />

können. Und dazu bedenke man zweierlei:<br />

Erstens die lange (theoretisch) 10-jährige Anfechtungsfrist! Was im<br />

Zeitpunkt des Rechtsgeschäfts an dazu maßgeblichen Tatsachen nicht<br />

„gesichert“ ist, wird sich mit wachsendem zeitlichen Abstand kaum mehr<br />

verlässlich rekonstruieren lassen, wie die (bestimmt nicht nur richterliche)<br />

Erfahrung lehrt. Und zweitens: Beim Beweis des subjektiven Tatbestandes<br />

der Vorsatzanfechtung – also <strong>bei</strong>m Beweis von inneren Tatsachen<br />

– geht es immer um Indizien und ihre Bewertung im anfechtungsrechtlich<br />

maßgeblichem Zeitpunkt, also um die <strong>bei</strong> Vornahme<br />

der Rechtshandlung (näher unten II 1 b). Sie muss zwar der anfechtungsberechtigte<br />

Gläubiger beweisen, aber wer wagt schon eine<br />

Prognose, welche Überzeugung sich der Richter aufgrund freier Beweiswürdigung<br />

(§ 286 Abs. 1 ZPO) verschaffen wird? Deshalb kommt<br />

es für den Anfechtungsgegner (Zuwendungsempfänger) darauf an, die<br />

Beweiskraft möglicher Indizien zu erschütten. Und dafür gilt als Regel:<br />

8 Vgl. zB Amann, aaO S. 261.<br />

12


Jedes Beweisanzeichen für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des<br />

Schuldners und die Kenntnis des anderen Teils davon kann schon dann<br />

entkräftet sein, wenn die Wirkungen der Handlung zu einer Zeit eintreten,<br />

zu der aus Sicht des Empfängers keine ernstlichen Zweifel an<br />

der Liquidität des Schuldners zu bestehen brauchten. 9<br />

Liegt es deshalb nicht nahe, die – hinsichtlich Gläubigerbenachteiligungsvorsatz<br />

und/oder Kenntnis davon – „gutgläubigen“<br />

Beteiligten zu schützen, also durch Darlegung der entsprechenden Tatsachen<br />

in der Urkunde den Erwerb gegen eine spätere Vorsatzanfechtung<br />

resistent zu machen? Und da<strong>bei</strong> ist auch noch zu beachten,<br />

dass es <strong>bei</strong> Vornahme der angefochtenen Rechtshandlung nicht darauf<br />

ankommt, ob überhaupt schon Gläubiger (geschweige denn unbefriedigte<br />

Gläubiger) des Zuwendenden vorhanden sind. 10 Feststellungen,<br />

aus denen sich später (!) Argumente gegen einen<br />

Gläubigerbenachteiligungsvorsatz bzw. gegen eine Kenntnis des<br />

anderen Teils davon herleiten lassen, bedürfen also gerade keines<br />

konkreten Hintergrundes, weshalb danach auch nicht geforscht zu<br />

werden braucht! Schon deshalb ist die oft dringlich vorgetragene<br />

Warnung übertrieben, der Notar müsse sich davor hüten, durch Befragung<br />

des Zuwendenden oder Veräußerers über dessen Vermögenslage<br />

einen Beitrag zur Bösgläubigkeit des Käufers zu leisten und sich so<br />

selbst unversehens in die Gefahr einer Beihilfe zur Vollstreckungsvereitelung<br />

zu manövrieren.<br />

II. Grundlagen der „Schenkungsanfechtung“<br />

1. Strukturen <strong>bei</strong> § 134 InsO und § 4 AnfG<br />

a) Übereinstimmung im objektiven Tatbestand<br />

Begrifflich korrekt muss man zwar von „Anfechtung unentgeltlicher<br />

Leistungen“ sprechen; „Schenkungsanfechtung“ passt schon deshalb<br />

nicht, weil – anders als <strong>bei</strong> einer Schenkung im Sinn des § 516 BGB –<br />

weder eine vertragliche Einigung über die Unentgeltlichkeit noch eine<br />

Bereicherung des Empfängers vorausgesetzt wird. Allerdings ist der<br />

untechnische Begriff der „Schenkungsanfechtung“ nach wie vor gebräuchlich.<br />

9<br />

Ausführlich Gottwald/Huber (o. Fn. 4), § 49 Rn. 19 ff.<br />

10<br />

BGH, Urt. v. 13.08.2009 – IX ZR 159/06, DNotZ 2010, 286 = NZI 2010, 768 m. Anm.<br />

Huber.<br />

13


Beide Vorschriften nach InsO und AnfG sind deckungsgleich und verfolgen<br />

denselben Zweck. Er besteht darin, freigiebige Zuwendungen<br />

des Schuldners, die dieser innerhalb der Anfechtungsfrist vorgenommen<br />

hat, im Interesse der Gesamtheit der Insolvenzgläubiger oder des anfechtungsberechtigten<br />

Gläubigers rückgängig zu machen. Dafür verlangt<br />

der objektive Tatbestand – neben einer (wenigstens) mittelbaren<br />

Gläubigerbenachteiligung – lediglich Unentgeltlichkeit der Leistung (zum<br />

Begriff sogleich näher), wo<strong>bei</strong> „gebräuchliche Gelegenheitsgeschenke“<br />

ausgenommen sind freilich nur solche „geringen Werts“; es kommt also<br />

nicht darauf an, was die Beteiligten oder der Urkundsnotar oder später<br />

der Richter – entsprechend ihrem eigenen Vermögenszuschnitt – als<br />

„gebräuchlich“ ansehen. Subjektive Anfechtungsvoraussetzungen gibt<br />

es nicht. Das hängt mit der Schwäche des unentgeltlichen Erwerbs<br />

zusammen und ist systemimmanent; denn auch sonst gewährt unsere<br />

Rechtsordnung dem Empfänger einer unentgeltlichen Leistung eine nur<br />

schwächere Rechtsstellung (vgl. §§ 528, 529, 816 Abs. 1 S. 2, 2287,<br />

2325 BGB).<br />

Bei <strong>bei</strong>den Anfechtungstatbeständen gilt eine jeweils 4-jährige Anfechtungsfrist,<br />

die durch Rückwärtsrechnung ab Insolvenzantrag bzw.<br />

gerichtlicher Geltendmachung bestimmt wird. Dass die Rechtshandlung<br />

innerhalb dieses Zeitraums vorgenommen wurde, vermutet das Gesetz<br />

zu Lasten des Anfechtungsgegners, der folglich Gegenteiliges zu beweisen<br />

hat; für den hier behandelten Problembereich verbirgt sich<br />

dahinter indessen kein Problem, weil die einschlägigen Daten (Beurkundungsgeschäft/Eintragungsantrag/Grundbuchvollzug)<br />

leicht feststellbar<br />

und deshalb nicht streitig sein werden.<br />

b) Unterschiede in der dogmatischen Konstruktion der<br />

Anfechtungsfristen<br />

Wesentliche Unterschiede bestehen jedoch in der Dogmatik der Anfechtungsfristen:<br />

Die des AnfG ist nämlich eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist,<br />

es gibt keine zusätzliche Ausübungs-, keine Verjährungsfrist<br />

wie <strong>bei</strong> § 146 InsO. Wird also die Anfechtbarkeit von einem Einzelgläubiger<br />

nicht innerhalb der 4-jährigen Anfechtungsfrist im Sinn des § 7<br />

Abs. 1 AnfG „gerichtlich geltend gemacht“, erlischt der Anfechtungsanspruch,<br />

was der Richter von Amts wegen zu prüfen hat; allerdings<br />

kann die Anfechtungsfrist – ein in der Praxis sehr bedeutsamer Fall –<br />

auch durch Duldungsbescheid nach § 191 AO gewahrt werden. 11<br />

11 Ausführlich dazu Huber (o. Fn. 2), § 7 Rn. 17 ff.<br />

14


Für den Notar empfiehlt es sich, auf diese dogmatischen Unterschiede<br />

hinzuweisen, weil darin ein „gefahrerhöhender“ Umstand mit großer<br />

Bedeutung innerhalb des § 17 Abs. 2 AnfG liegt. Das Anfechtungsrisiko<br />

endet eben nicht automatisch mit Ablauf der 4-jährigen Anfechtungsfrist,<br />

wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet<br />

wird; denn dann hat ein Insolvenzverwalter noch innerhalb der<br />

Verjährungsfrist des § 146 Abs. 1 InsO (das sind drei, gemäß § 199<br />

Abs. 1 BGB zu berechnende Jahre!) Zeit, die Anfechtbarkeit gerichtlich<br />

geltend zu machen; erst nach deren Ablauf seht dem Empfänger ein<br />

Leistungsverweigerungsrecht zu (§ 214 Abs. 1 BGB). Nur die Rechtshandlung<br />

selbst muss in diesen Fällen innerhalb der Anfechtungsfrist<br />

liegen.<br />

2. Maßgeblicher Zeitpunkt <strong>bei</strong> Grundstücksgeschäften<br />

Bei einem Grundstücksgeschäft handelt es sich um einen sogenannten<br />

mehraktigen Rechtserwerb, weshalb an sich § 140 Abs. 1 InsO bzw. § 8<br />

Abs. 1 AnfG einschlägig wären. Nach diesen Vorschriften kommt es auf<br />

den den Rechtserwerb vollendenden Akt an; maßgeblich wäre insoweit<br />

grundsätzlich die Eintragung der Rechtsänderung im Grundbuch. Bei<br />

Grundstücksgeschäften gilt aber nach Absatz 2 der genannten Vorschriften<br />

eine wichtige Ausnahme in zweifacher Hinsicht: Satz 1 dieser<br />

Bestimmungen verlagert den maßgeblichen Zeitpunkt vor auf den Eintragungsantrag<br />

des Erwerbers, wo<strong>bei</strong> gemäß Satz 2 der Vorschriften<br />

sogar dessen Antrag auf Eintragung einer Vormerkung genügt, und<br />

zwar auch ohne spätere Auflassung. 12 Grundlage und Voraussetzung<br />

dafür ist aber das Entstehen einer gesicherten Rechtsposition des Erwerbers,<br />

also dass die Fortsetzung des Eintragungsverfahrens nach<br />

Antragstellung allein von ihm abhängt.<br />

Fraglich ist insoweit, ob auch der Eintragungsantrag des Notars wegen<br />

dessen Rücknahmebefugnis kraft Parteivereinbarung bzw. nach § 15<br />

GBO iVm § 24 Abs. 3 BNotO genügt, wozu bekanntlich Streit herrscht.<br />

Während die höchstrichterliche Rechtsprechung 13 und der überwiegende<br />

Teil des Schrifttum 14 verneinen, möchte es eine Minderheitenmeinung<br />

genügen lassen. 15 Der herrschenden Auffassung ist schon aus<br />

12<br />

BGH, Urt. v. 11.12.2009 – IX ZR 203/06 DNotZ 2010, 294.<br />

13<br />

BGH, Urt. v. 19.05.2009 – IX ZR 129/06, DNotZ 2009, 844 = MittBayNot 2010, 228 m.<br />

zusti. Anm. Huber<br />

14<br />

Vgl. statt näher MünchKommInsO-Kirchhof, 2. Aufl. 2008, § 140 Rn. 41.<br />

15<br />

Vgl. zB Amann, DNotZ 2010, 246, 256 ff. m. w. Nachw.<br />

15


Gründen der Rechtsklarheit zuzustimmen. Nur so lässt sich außerdem<br />

die daraus folgende Beschränkung der Anfechtbarkeit rechtfertigen;<br />

umgekehrt liegt darin kein unbilliges Erfordernis, weil es der potentielle<br />

Anfechtungsgegner selbst in der Hand hat, seine Privilegierung her<strong>bei</strong>zuführen.<br />

Es kommt also nicht darauf an, ob der Schuldner (Zuwendender,<br />

Veräußerer) selbst den Eintragungsantrag des anderen<br />

Teils zurücknehmen hätte können bzw nach materiellem Recht hätte<br />

dürfen oder ob der Notar einem solchen Verlangen entsprechen hätte<br />

müssen.<br />

Wie relevant die Zeitspanne zwischen Eintragungsantrag des anderen<br />

Teils und der Eintragung der Rechtsänderung im Grundbuch wirklich ist,<br />

lässt sich nicht allgemein, sondern nur im Einzelfall beantworten; maßgeblich<br />

sind die Verhältnisse vor Ort, insbesondere wie schnell das<br />

jeweilige Grundbuchamt ar<strong>bei</strong>tet. Anfechtungsrechtlich kommt es auf<br />

die beschriebene Zeitspanne freilich immer an zwei, strategisch sehr<br />

wichtigen Stellen an. Das ist zum einen die schon erörterte Anfechtungsfrist,<br />

zum anderen sind das aber auch die subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen<br />

<strong>bei</strong> § 133 Abs. 1 InsO bzw. § 3 Abs. 1 AnfG;<br />

denn Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners und die Kenntnis<br />

des anderen Teils davon müssen – wie schon bemerkt – für den<br />

Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung festgestellt werden. Fehlt<br />

also <strong>bei</strong>spielsweise die Kenntnis des anderen Teils <strong>bei</strong>m Eintragungsantrag,<br />

erlangt er sie aber noch vor der Eintragung, so schadet das,<br />

wenn ihm der Eintragungsantrag keine gesicherte Rechtsposition verschaffen<br />

konnte. Ein solches Ergebnis wäre nicht nur für die Vertragspartei,<br />

sondern auch für den Notar ziemlich ernüchternd, weil dann die<br />

Ursache letztlich in seiner <strong>Vertragsgestaltung</strong> läge. Folglich empfiehlt es<br />

sich für den Notar, die Vertragsparteien über diese zweifellos<br />

komplizierten rechtlichen Zusammenhänge zu belehren und eine Entscheidung<br />

des Erwerbers her<strong>bei</strong>zuführen, ob er die beschriebene<br />

Privilegierung durch einen eigenen Eintragungsantrag realisieren<br />

möchte.<br />

III. Begriff der Unentgeltlichkeit<br />

1. Ausgangspunkte<br />

Bei der Abgrenzung entgeltlich/unentgeltlich ist zunächst auf die begrifflichen<br />

Unterschiede für Zwei- und für Drei-Personen-Verhältnisse zu<br />

achten. In der notariellen Praxis geht es typischerweise um die zuerst<br />

genannte Variante; <strong>bei</strong> solchen Austauschverträgen besteht die Unent-<br />

16


geltlichkeit in der Aufgabe eines Vermögenswerts des Verfügenden (im<br />

anfechtungsrechtlichen Sprachgebrauch: Schuldners) zugunsten des<br />

Zuwendungsempfängers ohne kompensierende (den empfangenen<br />

Vermögenswert ausgleichende) Gegenleistung.<br />

Im Drei-Personen-Verhältnis, also <strong>bei</strong> Einschaltung eines Dritten in den<br />

Zuwendungsvorgang, kommt es gerade nicht darauf an, ob der<br />

Schuldner selbst einen Ausgleich für seine Leistung erhalten hat; maßgeblich<br />

ist vielmehr, ob der Empfänger seinerseits eine Gegenleistung<br />

erbringen muss. Entgeltlichkeit ist deshalb <strong>bei</strong>spielsweise gegeben,<br />

wenn der Empfänger für die Zuwendung des Schuldners mit dessen<br />

Einverständnis eine ausgleichende Gegenleistung an den Dritten bewirkt,<br />

zB gegen Sicherheitenbestellung diesem ein Darlehen gewährt. 16<br />

Unentgeltlichkeit liegt demgegenüber <strong>bei</strong>spielsweise vor, wenn der Zuwendende<br />

(Schuldner) die durch eine Grundschuld gesicherte<br />

Forderung tilgt und da<strong>bei</strong> den dinglich haftenden Dritten 17 vom Regress<br />

freistellt, und das, obwohl er dadurch selbst von seiner eigenen Schuld<br />

gegenüber dem Grundpfandgläubiger (Bank) frei wurde. 18 Hauptanwendungsfälle<br />

für ein Drei-Personen-Verhältnis sind Tilgung oder<br />

Besicherung fremder Schuld. 19<br />

2. Praxistypische Problemstellungen zur Abgrenzung.<br />

Unentgeltlichkeit liegt im Zwei-Personen-Verhältnis vor <strong>bei</strong><br />

- „ehebedingter Zuwendung“, weil darauf – jedenfalls anfechtungsrechtlich<br />

betrachtet – kein Anspruch besteht, 20 und zwar unabhängig<br />

von der familienrechtlichen Einordnung und unabhängig<br />

davon, dass im Einzelfall die Ehegatten die Zuwendung als<br />

familienrechtlich geboten ansehen werden;<br />

- „freiwilligem Zugewinnausgleich“ aus demselben Grund (kein Anspruch,<br />

wie im übrigen schon aus dem Adjektiv „freiwillig“ folgt),<br />

wo<strong>bei</strong> sich dann zusätzlich meist die lebensnahe Frage stellen<br />

16<br />

BGH, Urt. v. 25.06.1992 – IX ZR 4/91, NJW 1992, 2421.<br />

17<br />

Im entschiedenen Fall (Fundstelle nächste Fn) war das seine Tochter, der er das<br />

Grundstück zuvor unentgeltlich, aber unanfechtbar (weil außerhalb der Anfechtungsfrist)<br />

übereignet hatte.<br />

18<br />

BGH, Urt. v. 04.03.1999 – IX ZR 63/98, BGHZ 141, 96, 100 ff. = NJW 1999, 1549.<br />

19<br />

Näher dazu Gottwald/Huber (o. Fn. 4), § 49 Rn. 13.<br />

20<br />

HM im Anfechtungsrecht, vgl. MünchKommInsO-Kirchhof (o. Fn. 14), § 134 Rn. 36;<br />

Huber (o. Fn. 2), § 4 Rn. 35.<br />

17


18<br />

wird, wie ein Schuldner, der seine Gläubiger nicht befriedigen kann,<br />

einen Zugewinn erzielt haben könnte; 21<br />

- Übertragung „gegen“ Einräumung eines Nießbrauchs, was deshalb<br />

keine „Gegenleistung“ für die Grundstücksübertragung darstellt,<br />

weil das den Vorteil für den mit dem Grundstück Beschenkten<br />

lediglich mindert, nicht jedoch ausgleicht. 22<br />

Entgeltlichkeit kann aber <strong>bei</strong> Übernahme der persönlichen Haftung für<br />

grundpfandrechtlich gesicherte Forderungen gegeben sein, weil dann<br />

der Übernehmer nicht nur mit dem übernommenen Grundstück,<br />

sondern auch mit seinem übrigen Vermögen haftet, sofern Letzteres<br />

nicht praktisch wertlos ist. 23<br />

Für die notarielle Praxis folgt daraus: Das Bemühen der Beteiligten, die<br />

Zuwendung als entgeltlich erscheinen zu lassen, ist oft vergebens. Der<br />

Notar wird in den genannten Beispielen über die Rechtslage zu belehren<br />

haben, im zuletzt genannten Fall mit dem Hinweis, dass eine<br />

Entgeltlichkeit nur in Betracht kommt, wenn die vom Erwerber übernommene<br />

persönliche Haftung werthaltig ist.<br />

IV. Gläubigerbenachteiligung und wertausschöpfende<br />

Belastung<br />

1. Ausgangspunkte<br />

Die wichtigsten Grundsätze zu diesem (sowohl für die Insolvenzanfechtung<br />

wie) für die Gläubigeranfechtung sehr wichtigen und praxisrelevanten<br />

Bereich sind: 24<br />

- Bei einer wertausschöpfenden Belastung fehlt es an einer<br />

objektiven Gläubigerbenachteiligung, weil <strong>bei</strong> einer Zwangsversteigerung<br />

durch dinglich berechtigte Gläubiger vom Erlös die vorrangigen<br />

Belastungen und die Verfahrenskosten abzuziehen<br />

21<br />

Trefflich insoweit OLG München, Urt. v. 20.05.2003 – 23 U 4260/02, ZVI 2003, 650;<br />

dazu Huber, EWiR 2004, 361.<br />

22<br />

BGH, Urt. v. 04.03.1999 – IX ZR 63/98, BGHZ 141, 96, 102 = NJW 1999, 1549.<br />

23<br />

BGH, Urt. v. 20.10.2005 – IX ZR 276/02, ZIP 2006, 387 = MittBayNot 2006, 224.<br />

24<br />

Ausführlich zur Gläubigeranfechtung <strong>bei</strong> unentgeltlicher Übertragung eines (angeblich)<br />

wertausschöpfend belasteten Grundstücks – allerdings aus Sicht eines anfechtungsberechtigten<br />

Gläubigers – Huber, ZfJR 2008, 313.


wären, für den anfechtungsberechtigten Gläubiger also nichts mehr<br />

übrig bliebe. Ein Anfechtungsrisiko besteht dann nicht.<br />

- Maßgeblich sind aber nicht die nominalen Belastungen, also nicht<br />

die eingetragenen Grundschuldbeträge, sondern die realen Verhältnisse.<br />

- Valutierten die Grundschulden nämlich nicht mehr voll, so hatte der<br />

Schuldner Rückgewähransprüche gegen die dinglichen Gläubiger,<br />

die zur Befriedigung hätten herangezogen werden können; sind<br />

diese mit weggegeben worden, ist die Grundstücksübertragung<br />

insgesamt anfechtbar.<br />

- Es kommt also auf die tatsächliche Höhe der gesicherten<br />

Forderungen und sodann darauf an, ob diese den Wert des Grundstücks<br />

übersteigen, und zwar <strong>bei</strong>des im maßgeblichen Zeitpunkt (s.<br />

dazu oben II 2).<br />

- Trotz wertausschöpfender Belastung liegt aber eine Gläubigerbenachteiligung<br />

vor, wenn die <strong>bei</strong> Übertragung bestehenden Belastungen<br />

vom Schuldner (!) vertragsgemäß im Nachhinein beseitigt<br />

werden sollen. 25<br />

- Ist nur mittelbare Gläubigerbenachteiligung erforderlich, wie in den<br />

hier erörterten Fällen (§ 4 AnfG, § 134 InsO), folgt das aber ohnehin<br />

schon daraus, dass der Zuwendungsempfänger (späterer Anfechtungsgegner)<br />

die Belastungen nicht mit eigenen Mitteln beseitigt<br />

hat und sich deshalb auf die frühere wertausschöpfende<br />

Belastung ohnehin nicht berufen darf.<br />

2. Konsequenzen für die notarielle Praxis<br />

Über diese komplizierte Rechtslage hat der Notar zu belehren, wenn die<br />

Vertragsbeteiligten erkennbar von einer wertausschöpfenden Belastung<br />

ausgehen oder darauf abzielen, also auf eine Unanfechtbarkeit aus<br />

diesem Grund „hoffen“; denn sonst können sie die rechtliche Tragweite<br />

des Geschäfts nicht erfassen, was zu Irrtümern und Zweifel führen wird.<br />

Das gilt insbesondere im letzten Beispiel, also <strong>bei</strong> einer in der Vertrags-<br />

25<br />

BGH, Urt. v. 19.05.2009 – IX ZR 129/06, DNotZ 2009, 844 = MittBayNot 2010, 228 m.<br />

zusti. Anm. Huber.<br />

19


urkunde übernommenen Verpflichtung des Zuwendenden zur nachträglichen<br />

Beseitigung der Belastungen.<br />

V. „Grenzüberschreitender“ Abschluss-Fall<br />

1. Ausgangspunkte<br />

a) Übersichtsblick auf die „Grenzüberschreitungen“<br />

Die wichtigste Grenzüberschreitung besteht darin, dass wir mit dem nun<br />

zu behandelnden, höchstrichterlich entschiedenen Fall 26 aus dem<br />

Problemfeld der unentgeltlichen Zuwendung hinüber wechseln in das<br />

der Vorsatzanfechtung; und auch dort passt das Adjektiv „grenzüberschreitend“<br />

gleich in dreifacher Hinsicht. Denn es geht um einen<br />

notariellen Kaufvertrag mit einer ganz speziellen Verrechnungsabrede<br />

zwischen den Vertragsparteien (bürgerlich-rechtliches Feld), wo<strong>bei</strong> auf<br />

dem Vorplatz die Gläubiger (spätere Kläger) mit ihrem uneinbringlichen<br />

Titel gegen den Schuldner (Verkäufer) postiert sind (vollstreckungsrechtliche<br />

Seite), während sich das eigentliche Kampfgeschehen<br />

zwischen Gläubigern und Käufer im Wege des Gläubigeranfechtungsprozesses<br />

vor Gericht – über drei Instanzen mit Verlängerung infolge<br />

Zurückverweisung (!) – vollzieht (anfechtungsrechtliche Seite). Ein –<br />

freilich nicht wirklich schwieriges – viertes Feld bleibt hier der Einfachheit<br />

halber außer Betracht: Bei Prozessbeginn war der Käufer schon<br />

verstorben, weshalb sich die Klage gegen seine Erben als Rechtsnachfolger<br />

(nach § 15 AnfG) richtete.<br />

b) Sachverhalt ganz konkret<br />

Eine Bauträgerfirma (Schuldnerin) hatte zwei ihrer Eigentumswohnungen<br />

an ihren Architekten veräußert, der nach den Vereinbarungen<br />

in der Notarurkunde gegen den Kaufpreisanspruch mit seinen<br />

zum Teil aber noch gar nicht fälligen (!) Honorarforderungen aufrechnen<br />

durfte. Die Gläubiger (spätere Kläger) pfändeten nun aufgrund ihres <strong>bei</strong><br />

der Schuldnerin uneinbringlichen Titels diese Kaufpreisforderung und<br />

verlangten vom Erwerber Zahlung. Der beklagte Architekt stützte seinen<br />

Klageabweisungsantrag auf das Erlöschen des Kaufpreisanspruchs<br />

infolge Aufrechnung, wogegen die Kläger die Anfechtbarkeit der Verrechnungsabrede<br />

einwendeten.<br />

26 BGH, Urt. v. 23.10.2008 – IX ZR 202/07, NZI 2009, 67 m. Anm. Huber.<br />

20


Den Durchblick zu diesem komplizierten Fall bringt (hoffentlich) nachstehende<br />

Skizze:<br />

2. Urteilsanalyse in Rätseln und Denksportaufgaben<br />

- Der Sachverhalt ist an sich kein Rätsel, sondern ein typischer Fall<br />

zur Vereitelung des Vollstreckungszugriffs durch Zusammenwirken<br />

von Schuldner und späterem Anfechtungsgegner, insbesondere<br />

wegen der Verrechnungsabrede mit (zum Teil) noch nicht fälligen<br />

Honoraransprüchen.<br />

- Schon ein Rätsel ist freilich, wie diese <strong>Vertragsgestaltung</strong> dem<br />

Notar wirklich als unbedenklich erscheinen konnte. Denn es ging<br />

ersichtlich darum, nicht nur die <strong>bei</strong>den letzten, der Schuldnerin verbliebenen<br />

werthaltigen Vermögensgegenstände (zwei Eigentumswohnungen)<br />

dem Gläubigerzugriff zu entziehen, sondern auch den<br />

aus dem Veräußerungsgeschäft resultierenden Kaufpreisanspruch.<br />

Das war so offensichtlich, dass im späteren Gläubigeranfechtungsprozess<br />

die Anfechtbarkeit im Wege der Vorsatzanfechtung gemäß<br />

21


22<br />

§ 3 Abs. 1 AnfG in <strong>bei</strong>de Richtungen (Wohnungsverkauf wie Verrechnungsabrede)<br />

an sich „unstreitig“ war.<br />

- Die Denksportaufgabe für die Anwälte der Gläubiger war nun:<br />

Worauf zugreifen – auf den Kaupreisanspruch oder auf den weggegebenen<br />

Vermögensgegenstand (Eigentumswohnungen)?<br />

- Die Wahl fiel auf ersteres. Warum – darüber ließe sich gewiss trefflich,<br />

freilich nachträglich wenig ertragreich spekulieren. Bekannt ist<br />

jedenfalls das Ergebnis: Der beschrittene Weg war der falsche!<br />

Doch warum?<br />

- Dieses zugegen nicht einfache Rätsel wäre in zwei Denkschritten<br />

aufzulösen gewesen, von denen die Rechtanwälte – ganz augenscheinlich<br />

– nur einen gegangen sind:<br />

- Als erstes war nach der Rechtslage in der Insolvenz der<br />

Schuldnerin zu fragen. In diesem Fall hätte deren Insolvenzverwalter<br />

den Kaufpreisanspruch durch eine Zahlungsklage zur Masse<br />

gezogen und sich gegenüber dem Anfechtungsgegner (beklagten<br />

Architekten) auf die Unzulässigkeit der Aufrechnung nach § 96<br />

Abs. 1 Nr. 3 InsO berufen. Dieser Methode hat der Gesetzgeber<br />

bewusst als die einfachere zugunsten der Gesamtheit aller Insolvenzgläubiger<br />

kreiert. Die Anwälte der Kläger haben nun offenbar<br />

gemeint, entsprechend vorgehen zu können; das war freilich –<br />

wie sich sogleich zeigen wird – voreilig.<br />

- Denn zunächst wäre der zweite, der entscheidende Denkschritt<br />

anzuschließen gewesen, nämlich: Ist diese Systematik wirklich auf<br />

die Gläubigeranfechtung außerhalb des Insolvenzverfahren übertragbar?<br />

Und für die Antwort darauf wäre nach dem Zweck der<br />

Gläubigeranfechtung zu fragen gewesen. Aber <strong>bei</strong>des war offenbar<br />

ein unlösbares Rätsel – neben<strong>bei</strong> bemerkt auch für die Tatgerichte;<br />

Letzteres ist freilich nur schwacher Trost für die Anwälte, wie die<br />

Schlussbemerkungen erweisen werden.<br />

- Und wie lautet nun des Rätsels Lösung für den zweiten Denkschritt?<br />

Ist das System nach InsO nun auf das AnfG übertragbar?<br />

Nein – sagt der hohe IX. Zivilsenat des BGH! Und warum nicht?<br />

- Anzufechten gewesen wäre die Vermögensverschiebung zwischen<br />

Schuldnerin und Architekt, also die Eigentumsübertragung selbst.,


weil es Zweck der Einzelgläubigeranfechtung ist (wie bereits einleitend<br />

dargelegt), dem anfechtungsberechtigten Gläubiger <strong>bei</strong>m<br />

Dritten denjenigen Vollstreckungszugriff wieder zu erschließen, der<br />

durch die anfechtbare Vermögensverschiebung (hier: Weggabe der<br />

Eigentumswohnungen) <strong>bei</strong>m Schuldner vereitelt wurde. Darum<br />

ging es aber <strong>bei</strong> dem gewählten Vorgehen (Zahlungsklage) gerade<br />

nicht. Vielmehr machten die Kläger den Kaufpreisanspruch – das<br />

Surrogat für den veräußerten Gegenstand – geltend. Das<br />

scheiterte aber schon daran, dass dieser wegen der im Notarvertrag<br />

vereinbarten Verrechnungsbefugnis niemals als Zugriffsobjekt<br />

zur Verfügung stand. Denn der Kaufpreisanspruch konnte zwar vor<br />

der Verrechnung, die ihn zum Erlöschen brachte, gepfändet<br />

werden, der Drittschuldner hätte dem Pfändungspfandgläubiger indessen<br />

einredeweise analog §§ 412, 404 BGB entgegenhalten<br />

können, dass die Forderung im Wege der Verrechnung getilgt<br />

werden sollte.<br />

- Und noch präziser auf den Punkt gebracht: Während <strong>bei</strong> der Insolvenzanfechtung<br />

mehrere Rechtshandlungen selbst <strong>bei</strong> gleichzeitiger<br />

Vornahme oder gegenseitiger wirtschaftlicher Ergänzung<br />

stets selbständig anfechtbar sind, ist Bezugspunkt <strong>bei</strong> der Einzelgläubigeranfechtung<br />

immer nur der Gesamtvorgang, der die Weggabe<br />

des Gegenstands aus dem Schuldnervermögen und damit<br />

die Vereitelung einer Zugriffsmöglichkeit bezweckt. Deshalb kam<br />

hier (außerhalb der Insolvenz) eine isolierte Anfechtbarkeit der Verrechnungsabrede<br />

ohne Anfechtung des zugrunde liegenden<br />

schuldrechtlichen Geschäfts (notarieller Kaufvertrag) nicht in Betracht.<br />

27<br />

3. Blick auf die Konsequenzen nach gleicher Methode<br />

- Obgleich also der Anfechtungsanspruch der Kläger aus § 3 Abs. 1<br />

AnfG unzweifelhaft bestand, wurde das Berufungsurteil aufgehoben<br />

und die Klage abgewiesen. Wenn das keine Überraschungsentscheidung<br />

nach § 139 Abs. 2 ZPO war! Warum also<br />

hat das Revisionsgericht nicht zurückverwiesen, sondern selbst in<br />

der Sache entschieden? Dazu meinte der Senat, gerichtliche Hinweise,<br />

die einem neuen, wesentlich verändertem Prozessziel<br />

27 Rechtsprechungsgrundsätze bestätigt durch BGH, Urt. v. 11.03.2010 – IX ZR 104/09,<br />

ZIP 2010, 793 = EWiR 2010, 379 (Huber): Keine isolierte Gläubigeranfechtung der<br />

Abtretung eines Kostenerstattungsanspruchs ohne Anfechtung des zugrunde<br />

liegenden Prozessvergleichs.<br />

23


24<br />

dienten, seien nach § 139 ZPO nicht geboten, zumal eine Klageänderung<br />

in der Revisionsinstanz ohnehin ausscheide.<br />

- Das wiederum erscheint mir als prozessuales Rätsel. Denn schon<br />

die Tatrichter hätten – <strong>bei</strong> richtiger Rechtsanwendung – darauf<br />

hinweisen müssen, dass das erstrebte Ziel mit dem konkreten<br />

Klageantrag aus Rechtsgründen (!) nicht zu erreichen ist – ein von<br />

den Parteien bislang erkennbar übersehener Gesichtspunkt (§ 139<br />

Abs. 2 ZPO); dann hätten sich die Kläger auf die Grundlagen der<br />

Gläubigeranfechtung nach dem AnfG besinnen und die<br />

Konsequenzen daraus ziehen können. Deshalb wäre eine Zurückverweisung<br />

zur Behebung des Rechtsfehlers des Gerichts (Verletzung<br />

der materiellen Prozessleitungspflicht) erforderlich gewesen,<br />

nachdem die entscheidungserhebliche Rechtsfrage weder<br />

vom Landgericht noch vom Oberlandesgericht erkannt worden war.<br />

Aber was hilft dieser Zwischenruf jetzt noch? Nichts – „roma locuta,<br />

causa finita“!<br />

- Doch mit seiner Entscheidung stellte der Senat den Klägervertretern<br />

eine neue Denksportaufgabe nach dem Motto: „Was nun,<br />

Gläubiger? Wie ist der Anspruch durchzusetzen?“ Und darauf gibt<br />

es nur eine Antwort: Mit einer neuen auf Duldung der Zwangsvollstreckung<br />

in die anfechtbar weggegebenen Eigentumswohnungen<br />

gerichteten Anfechtungsklage.<br />

- Doch für den neuen Prozess ergab sich daraus zugleich eine<br />

weitere neue Hürde. Da der Notarvertrag vom 30.06.1999 (!)<br />

datierte, war der Ablauf der 10-jährigen Anfechtungsfrist <strong>bei</strong> Erlass<br />

des Revisionsurteils am 23.10.2008 (!) nicht mehr fern, folglich<br />

höchste Eile geboten. Hoffentlich haben die Klägervertreter erkannt,<br />

dass die Anfechtungsfrist als materiell-rechtliche Ausschlussfrist<br />

(siehe oben II 1 b) nur so gewahrt werden kann und<br />

muss.<br />

- Wenn nicht, sind die Konsequenzen kein Rätsel. Denn dann<br />

handelt es sich um einen Haftungsfall. Dass den Tatgerichten derselbe<br />

Rechtsfehler (falsche Zweck- und Zielbestimmung des<br />

Gläubigeranfechtungsprozesses) unterlaufen war, entlastet die<br />

Anwälte nicht. Denn nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung<br />

ist es gerade die Pflicht von Rechtsanwälten, „mit Rücksicht<br />

auf das auch <strong>bei</strong> den Richtern nur unvollkommene menschliche<br />

Erkenntnisvermögen und die niemals auszuschließende


Möglichkeit eines Irrtums … nach Kräften dem Aufkommen von<br />

Irrtümern und Versehen des Gerichts entgegenzuwirken.“ 28<br />

- Und nun die Schlussfrage: Was gilt für die notariellen Belehrungspflichten?<br />

Nichts anderes – wie letztlich aus § 17 BeurkG folgt.<br />

28 BGH, Urt. v. 18.12.2008 – IX ZR 179/07, NJW 2009, 987; die Verfassungsbeschwerde<br />

dagegen blieb erfolglos, vgl. BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats),<br />

Beschl. v. 22.04.2009 – 1 BvR 368/09, NJW 2009, 2945.<br />

25


Insolvenzrisiko <strong>bei</strong> Abwicklung eines<br />

Grundstückskaufvertrages<br />

– Hinweise zur <strong>Vertragsgestaltung</strong> –<br />

Dr. Adolf Reul,<br />

Notar, Neu-Ulm<br />

Seite<br />

A. Problemstellung ..........................................................................28<br />

B. Vermeidung des Insolvenzrisikos durch <strong>Vertragsgestaltung</strong> 29<br />

I. Vermeidung von (ungesicherten) Vorleistungen....................29<br />

II. Bestellung einer Vormerkung.................................................29<br />

1. Anspruch auf Erfüllung eines vormerkungsgesicherten<br />

Anspruchs .......................................................................29<br />

2. Umfang der Sicherungswirkung......................................30<br />

3. Neuerliche Auflassung und Kostenpauschale des<br />

Insolvenzverwalters.........................................................33<br />

4. § 878 BGB und die Verfügungsbefugnis des<br />

Insolvenzverwalters.........................................................36<br />

III. Lastenfreistellung mittels unechtem Vertrag zugunsten<br />

Dritter......................................................................................39<br />

IV. Lastenfreistellung <strong>bei</strong> Abwicklung über Notaranderkonto......40<br />

V. Eigentümerzustimmung..........................................................43<br />

VI. Kosten der Lastenfreistellung.................................................44<br />

VII. <strong>Vertragsgestaltung</strong> und Insolvenzverwalteranfechtung .........44<br />

1. Folgen der Anfechtung....................................................45<br />

2. Anfechtungsfristen ..........................................................45<br />

3. Gläubigerbenachteiligung ...............................................45<br />

4. Bösgläubigkeit des Anfechtungsgegners........................47<br />

5. Maßgeblicher Zeitpunkt...................................................47<br />

6. Insbesondere Immobilienrecht........................................48<br />

26


7. Antrag auf Eintragung einer Vormerkung,<br />

Antragstellung durch den Notar ......................................48<br />

8. Folgen für den Anfechtungsgegner.................................51<br />

9. Anfechtungssichere <strong>Vertragsgestaltung</strong>? .......................53<br />

a) Problem: Subjektive Kenntnis als<br />

Anfechtungsvoraussetzung.......................................53<br />

b) Bargeschäft...............................................................54<br />

c) Bestellung einer Vormerkung....................................56<br />

d) Direktzahlung zur Lastenfreistellung.........................57<br />

e) Abwarten des kritischen Zeitraums von drei<br />

Monaten ....................................................................59<br />

f) Sonstige Anfechtungstatbestände............................60<br />

aa) Schenkungsanfechtung, Vorsatzanfechtung ....60<br />

bb) Anfechtung entgeltlicher Leistungen mit<br />

nahestehenden Personen................................62<br />

g) Sonderfall: Lastenfreistellung <strong>bei</strong><br />

wertausschöpfend belasteten Grundstücken............63<br />

h) Sicherung des Anfechtungsrisikos nur im Einzelfall .65<br />

VIII. Sonderfall: Insolvenz eines wegzufertigenden Gläubigers ....66<br />

1. Löschungsbewilligung des Insolvenzschuldners oder<br />

des Insolvenzverwalters..................................................66<br />

2. Insbesondere Löschung einer Sicherungsgrundschuld..66<br />

C. Zusammenfassung .....................................................................69<br />

27


A. Problemstellung<br />

Die Frage nach einem Insolvenzrisiko <strong>bei</strong> Abwicklung eines Grundstückskaufvertrages<br />

ist allgegenwärtig. Meistens stellt sich die Frage im<br />

Fall der Insolvenz des Verkäufers. Dieselbe Fragestellung besteht aber<br />

gleichermaßen in der Käuferinsolvenz sowie – wenngleich wesentlich<br />

seltener – in der Insolvenz eines abzulösenden Gläubigers. Jedenfalls<br />

in der Theorie gibt es auch den Sonderfall einer Insolvenz des beurkundenden<br />

Notars. Gott sei Dank spielt dieser Fall in der Praxis so gut<br />

wie keine Rolle. Im Nachfolgenden soll deshalb hierauf nicht eingegangen<br />

werden.<br />

Das Insolvenzrisiko <strong>bei</strong> Abwicklung eines Grundstückskaufvertrages<br />

wird deutlich, wenn man sich die Rechtsfolgen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />

über das Vermögen eines Vertragsbeteiligten vergegenwärtigt:<br />

- Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens verliert der Schuldner die<br />

Befugnis, über sein zur Insolvenzmasse gehörendes Vermögen zu<br />

verfügen (§ 80 InsO). Eine etwa von ihm erklärte Auflassung oder<br />

Löschungsbewilligung kann im Grundbuch nicht mehr vollzogen<br />

werden. Notwendig ist eine Mitwirkung des Insolvenzverwalters.<br />

- Bei gegenseitigen Verträgen, <strong>bei</strong> denen zum Zeitpunkt der<br />

Insolvenzeröffnung weder der Schuldner noch dessen Vertragspartner<br />

seine Leistungspflichten vollständig erfüllt hat, steht dem<br />

Insolvenzverwalter nach § 103 InsO ein Wahlrecht zu, die Erfüllung<br />

des Vertrages abzulehnen. 1<br />

- Gläubiger des Schuldners, deren Forderungen zum Zeitpunkt der<br />

Insolvenzeröffnung noch nicht vollständig befriedigt wurden, droht<br />

das Risiko, lediglich mit der Insolvenzquote befriedigt zu werden<br />

und den Rest ihrer Forderung zu verlieren (§§ 38, 159 InsO).<br />

- Gläubiger des Schuldners, deren Forderungen zum Zeitpunkt der<br />

Insolvenzeröffnung bereits ganz oder teilweise erfüllt worden sind,<br />

droht das Risiko einer Insolvenzverwalteranfechtung und damit die<br />

Rückgabe des Erlangten an die Insolvenzmasse (§§ 129 ff. InsO).<br />

- Wurde zugunsten eines Gläubigers des Schuldners lediglich eine<br />

Sicherheit, insbesondere eine Vormerkung, bestellt und erfolgte<br />

dies einen Monat vor dem Antrag auf Insolvenzeröffnung (bzw. 3<br />

Monate im vereinfachten Insolvenzverfahren, § 312 Abs. 1 S. 3<br />

1<br />

Vgl. zu den Rechtsfolgen des Insolvenzverwalterwahlrechts: BGHZ 150, 353 = DNotZ<br />

2002, 648.<br />

28


InsO), ist die Sicherheitenbestellung nach § 88 InsO aufgrund<br />

Rückschlagssperre unwirksam. 2<br />

B. Vermeidung des Insolvenzrisikos durch Vertrags-<br />

gestaltung<br />

Bei all diesen Risiken stellt sich die Frage, wie die notarielle <strong>Vertragsgestaltung</strong><br />

diesen Risiken begegnet bzw. begegnen kann und ob und<br />

wenn ja welche Sonderregelungen ggf. vorzusehen sind.<br />

I. Vermeidung von (ungesicherten) Vorleistungen<br />

1. Hinweis: (Ungesicherte) Vorleistungen sind zu vermeiden<br />

Ungesicherte Vorleistungen sind – wie sonst auch – soweit als möglich<br />

zu vermeiden. Damit lässt sich das Risiko vermeiden, dass der Vertragspartner<br />

des Insolvenzschuldners lediglich mit der Insolvenzquote<br />

befriedigt wird. Weiter wird damit von vornherein vermieden, dass das<br />

Insolvenzverwalterwahlrecht nach § 103 InsO entsteht.<br />

Die Vermeidung einer ungesicherten Vorleistung entspricht ständiger<br />

Vertragspraxis der Notare und bedarf von daher an dieser Stelle keiner<br />

besonderen Erwähnung. Es kann auf die einschlägige Rechtsprechung<br />

und Literatur sowie auf die veröffentlichten Formulierungsmuster verwiesen<br />

werden. 3<br />

II. Bestellung einer Vormerkung<br />

2. Hinweis: Es sollte möglichst frühzeitig die Eintragung einer<br />

Vormerkung beantragt werden<br />

1. Anspruch auf Erfüllung eines vormerkungsgesicherten<br />

Anspruchs<br />

Wesentliches Sicherungsinstrument in der Insolvenz eines Vertragsbeteiligten<br />

ist die Bestellung einer Vormerkung gem. §§ 883, 888 BGB.<br />

2<br />

Vgl. zu den Rechtsfolgen der Rückschlagssperre: BGH ZInsO 2006, 261, 262 f. = ZIP<br />

2006, 479 = DNotZ 2006, 514.<br />

3<br />

Vgl. BGH NJW 1995, 330, 331; NJW 1996, 3009, 3010; BGH DNotZ 2008, 280;<br />

Ganter/Hertel/Wöstmann, Handbuch der Notarhaftung, 2. Auflage 2009, Würzburger<br />

Notarhandbuch, 2. Auflage 2009; Becksches Notarhandbuch, 5. Auflage 2009.<br />

29


Nach § 106 InsO muss der Insolvenzverwalter vormerkungsgesicherte<br />

Ansprüche aus der Insolvenzmasse befriedigen.<br />

Im Einzelnen schützt die (rechtzeitige) Bestellung einer Vormerkung<br />

nach § 106 InsO vor dem Insolvenzverwalterwahlrecht. 4 Vormerkungsgesicherte<br />

Ansprüche sind insolvenzfest.<br />

Indirekt schützt die Vormerkung damit auch gegen den Wegfall der Verfügungsbefugnis<br />

des Schuldners nach § 80 InsO. Verfügungen des<br />

Insolvenzschuldners sind zwar wegen § 80 InsO weiterhin unwirksam.<br />

Der durch die Vormerkung Gesicherte hat aber wegen § 106 InsO ein<br />

erzwingbares Recht gegenüber dem Insolvenzverwalter auf die<br />

geschuldete Leistung. Er braucht sich vom Verwalter nicht auf die<br />

Insolvenzquote verweisen zu lassen. Soweit eine Gegenleistung vereinbart<br />

wurde, muss diese der Vormerkungsgläubiger in voller Höhe erbringen.<br />

Auch wird der Gläubiger durch § 106 InsO nicht besser gestellt,<br />

als er ohne Eröffnung des Insolvenzverfahrens stehen würde. Einwendungen<br />

und Einreden nach den allgemeinen Vorschriften bleiben<br />

daher bestehen. 5 Der durch die Vormerkung gesicherte Anspruch kann<br />

während des Insolvenzverfahrens gegen den Verwalter eingeklagt und<br />

vollstreckt werden. 6 Der gesicherte Anspruch muss vom Insolvenzverwalter<br />

wie außerhalb der Insolvenz erfüllt werden. 7 Auch nach Anzeige<br />

der Masseunzulänglichkeit bleibt der Insolvenzverwalter zur Auflassung<br />

verpflichtet. 8 Erfüllt der Verwalter nicht, macht er sich schadensersatzpflichtig.<br />

9<br />

2. Umfang der Sicherungswirkung<br />

Die Sicherungswirkung der Vormerkung in der Insolvenz steht und<br />

fällt mit dem ihr zugrunde liegenden Anspruch. Insolvenzschutz gewährt<br />

die Vormerkung da<strong>bei</strong> auch, wenn es sich <strong>bei</strong> dem vormerkungs-<br />

4<br />

Amann, MittBayNot 2004, 165 f.; Uhlenbruck, § 106 Rn. 33; Jaeger/Henckel, KO,<br />

9. Aufl., Stand 1988, § 24 Rn. 32.<br />

5<br />

Frankfurter Kommentar zur InsO/Wegener, § 106 Rn. 15; MünchKomm-InsO/Ott,<br />

§ 106 Rn. 19; Uhlenbruck/Berscheid, § 106 Rn. 23.<br />

6<br />

Jaeger/Henckel, § 24 Rn. 33.<br />

7<br />

OLG Stuttgart MittBayNot 2005, 162, 165; MünchKomm-InsO/Hefermehl, § 55<br />

Rn. 134.<br />

8<br />

OLG Stuttgart, MittBayNot 2005, 162, 165.<br />

9<br />

OLG Hamm ZIP 2006, 1911 = ZinsO 2006, 1276.<br />

30


gesicherten Anspruch nach § 883 Abs. 1 S. 2 BGB um einen künftigen 10<br />

oder bedingten 11 Anspruch handelt.<br />

Es genügt, wenn die Eintragung einer Vormerkung <strong>bei</strong>m Grundbuchamt<br />

beantragt wurde. 12 Über § 91 Abs. 2 InsO gelten die Vorwirkungen des<br />

§ 878 BGB entsprechend. 13 Anders ist es dagegen, wenn der Antrag auf<br />

Eintragung der Vormerkung nur durch den Schuldner, nicht aber auch<br />

durch den Gläubiger gestellt wurde. Soweit der Insolvenzverwalter den<br />

Antrag gegenüber dem Grundbuchamt zurücknimmt, was er jederzeit<br />

könnte, besteht kein Schutz für den Gläubiger.<br />

Schließlich gilt der Vormerkungsschutz des § 106 InsO auch für den Fall<br />

des „Wiederaufladens einer erloschenen Vormerkung“ 14 als auch im<br />

Falle der Erweiterung des Sicherungsumfangs der Vormerkung 15<br />

ohne neuerliche Eintragung im Grundbuch (Bewilligung genügt).<br />

Entscheidend ist, dass dieses „Wiederaufladen“ oder diese „Erweiterung“<br />

der Vormerkung stets vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />

bzw. Anordnung von Sicherungsmaßnahmen nach § 21 Abs. 2 Nr. 2<br />

InsO erfolgt (§ 91 InsO). 16<br />

Erlischt dagegen der mit der Vormerkung gesicherte Anspruch, fällt<br />

wegen der Akzessorietät der Vormerkung auch der Insolvenzschutz<br />

des § 106 Abs. 1 InsO weg. Die eingetragene Vormerkung sichert<br />

daher im Falle des Rücktritts vom Kaufvertrag nicht den Anspruch<br />

auf Rückzahlung des Kaufpreises 17 . Allein die Buchposition aufgrund<br />

der noch eingetragenen Vormerkung gewährt gegenüber dem<br />

Löschungsanspruch des Insolvenzverwalters wegen Grundbuchunrichtigkeit<br />

keinerlei Zurückbehaltungsrechte wegen § 273 BGB 18 .<br />

Der Umfang der Sicherungswirkung ist nach § 106 Abs. 1 S. 2 InsO<br />

beschränkt. Diese Vorschrift stellt zunächst klar, dass die Vormerkung<br />

10<br />

BGH, DNotZ 2002, 275, m. Anm. Preuß = ZfIR 2001, 998; Assmann, ZfIR 2002, 11;<br />

Fritsche, DZWiR 2002, 92; a. A. Mitlehner, ZIP 2008, 896, 897.<br />

11<br />

BGH, NJW 2003, 2744, 2746 = DNotZ 2004, 123; Uhlenbruch/Berscheid, § 106<br />

Rn. 7.<br />

12<br />

BGH NZI 2010, 190 = ZInsO 2010, 225.<br />

13<br />

BGH, NJW 1998, 2134 = DNotZ 1999, 126 = BGHZ 138, 179; LG Aachen, ZInsO<br />

2002, 937; Heidelberger Kommentar zur InsO/Marotzke, § 106 Rn. 9 f.<br />

14<br />

BGHZ 143, 175 = NJW 2000, 805 = DNotZ 2000, 639<br />

15<br />

BGH NJW 2008, 578 = RNotZ 2008, 222, m. Anm. Heggen, RNotZ 2008, 213;<br />

m. Anm. Mitlehner, ZIP 2008, 896; m. Anm. Kesseler, NZI 2008, 327.<br />

16<br />

Mitlehner, ZIP 2008, 896.<br />

17<br />

BGH, NJW 2009, 1414 = MittBayNot 2009, 250.<br />

18<br />

BGH, NJW 2009, 1414 = MittBayNot 2009, 250.<br />

31


auch dann wirkt, wenn der spätere Gemeinschuldner dem Gläubiger<br />

gegenüber weitere Verpflichtungen übernommen hat und diese nicht<br />

oder nicht vollständig erfüllt sind. Namentlich <strong>bei</strong>m noch nicht vollständig<br />

erfüllten Bauträgervertrag ordnet die Vorschrift des § 106 Abs. 1<br />

S. 2 InsO aber weiter an, dass der Erwerber aufgrund der Vormerkung<br />

lediglich den mittels Vormerkung gesicherten Anspruch auf dingliche<br />

Rechtsänderung, hier also allein die Grundstücksübereignung verlangen<br />

kann. Im Übrigen wird das Wahlrecht des Verwalters nach § 103 InsO<br />

durch § 106 InsO nicht ausgeschlossen, so dass der Insolvenzverwalter<br />

das Wahlrecht im Hinblick auf die Herstellung des Hauses bzw. der<br />

Eigentumswohnung durchaus noch geltend machen kann. 19 Für den<br />

Bauträgervertrag bedeutet dies, dass dieser einheitliche Vertrag in<br />

einen insolvenzfesten und einen dem Verwalterwahlrecht unterworfenen<br />

Teil gespalten wird. 20 Auch die sonstigen Leistungen des Insolvenzschuldners<br />

wie insbesondere die Altlastenbeseitigung oder die Übernahme<br />

der Erschließung werden von der Vormerkungswirkung nicht<br />

erfasst. Diese Leistungen sind auch nach materiellem Recht nicht vom<br />

Vormerkungsschutz der §§ 883, 888 BGB erfasst. Andererseits bleibt<br />

das Insolvenzverwalterwahlrecht wegen § 106 InsO ausgeschlossen,<br />

wenn die zusätzlichen Leistungspflichten bereits vollständig erfüllt<br />

wurden. 21<br />

Wegen § 106 Abs. 1 S. 2 InsO nicht vom Insolvenzschutz einer eingetragenen<br />

Vormerkung erfasst ist <strong>bei</strong> der Grundstücksübertragung der<br />

Anspruch auf lastenfreie Übertragung von Eigentum. 22 Gesichert<br />

über § 106 InsO ist zunächst nur der Anspruch auf dingliche Rechtsänderung,<br />

d. h. auf Eigentumsumschreibung. Von § 106 InsO wie auch<br />

von der eingetragenen Vormerkung nicht erfasst sind von vornherein<br />

solche Belastungen, die im Range der eingetragenen Vormerkung vorgehen.<br />

23 Vormerkungsschutz besteht dagegen gegenüber den im<br />

19 Uhlenbruck/Berscheid, § 106 Rn. 38; Wudy, MittBayNot 2000, 489, 497;<br />

MünchKomm-InsO/Ott, 2002, § 106 Rn. 24 ff.; Frankfurter Kommentar-InsO/Wegener,<br />

3. Aufl. 2002, § 106 Rn. 16 ff., insbesondere 19; Jaeger/Henckel, § 24 Rn. 40; Smid,<br />

InsO, § 103 Rn. 14; Hess/Weis/Wienberg, § 106 Rn. 32, jew. m. w. N.<br />

20 BGH, NJW 1978, 1437; NJW 1981, 991; OLG Koblenz, NZM 2007, 607; OLG<br />

Stuttgart, ZInsO 2004, 1087; Uhlenbruck/Berscheid, § 106 Rn. 39. Siehe zur Vormerkungslösung<br />

im Bauträgervertrag: Thode, ZNotP 2004, 210 ff.<br />

21 OLG Karlsruhe ZIP 1986, 1404; Uhlenbruck/Berscheid, § 106 Rn. 38.<br />

22 BGH, ZIP 1994, 1705 = NJW 1994, 3231; OLG Koblenz VersR 1982, 250; BayObLG<br />

2004, 206 = MittBayNot 2004, 206, 207; Braun/Kroth, § 106 Rn. 8. Amann,<br />

MittBayNot 2004, 165; 2005, 111; Kesseler, MittBayNot 2005, 108; Hamburger<br />

Kommentar zum Insolvenzrecht/Ahrendt, § 106 Rn. 15; Gottwald/Huber,<br />

Insolvenzrechtshandbuch, § 38 Rn. 17.<br />

23 Amann, MittBayNot 2004, 165; 2005, 111; Kesseler, MittBayNot 2005, 108.<br />

32


Range nach der Vormerkung eingetragenen Rechten. 24 § 106 InsO gibt<br />

dem Vertragspartner des Schuldners nicht mehr Rechte, als er außerhalb<br />

des Insolvenzverfahrens hätte. Auch dann aber sichert die eingetragene<br />

Vormerkung nicht den Anspruch auf Lastenfreistellung<br />

gegenüber vor der Vormerkung eingetragenen Belastungen. 25<br />

Soweit das Insolvenzverwalterwahlrecht wegen § 106 Abs. 1 S. 2 InsO<br />

jedenfalls zum Teil weiter besteht und der Verwalter die Vertragserfüllung<br />

ablehnt, bestimmen sich die Rechtsfolgen nach § 105 InsO.<br />

Der Wert der vormerkungsgesicherten Leistung wird gem. §§ 133, 157<br />

BGB bzw. im Rahmen der §§ 315, 316 BGB ermittelt. 26 Der Teil der<br />

Leistung, dessen Erfüllung der Verwalter ablehnt, stellt eine einfache<br />

Insolvenzforderung dar. Der Gläubiger ist Insolvenzgläubiger (§ 38<br />

InsO) und lediglich mit der Insolvenzquote zu befriedigen. Sein Zurückbehaltungsrecht<br />

mit der Gegenleistung für diesen Teil nach § 320 BGB<br />

kann er jedoch gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend machen.<br />

Das Zurückbehaltungsrecht nach § 320 BGB wird durch § 103 InsO in<br />

der Insolvenz des Vertragspartners nicht ausgeschlossen. 27<br />

3. Neuerliche Auflassung und Kostenpauschale des Insolvenz-<br />

verwalters<br />

Auch im Falle des Vormerkungsschutzes nach § 106 InsO bleibt es<br />

da<strong>bei</strong>, dass der Schuldner wegen § 80 InsO mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />

keine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis mehr<br />

24 Unklar BGH WM 2006, 918: Nach dieser Entscheidung folgt die Verpflichtung des<br />

Käufers, das Eigentum frei von Rechten Dritter zu übertragen, regelmäßig bereits aus<br />

dem Gesetz (§ 434 BGB a.F.; §§ 433 Abs. 1 S. 2, 435 BGB n.F.). Diese Pflicht könne<br />

auch insolvenzrechtlich nicht von einer Pflicht zur bloßen Eigentumsübertragung getrennt<br />

werden. Eine Vergleichbarkeit mit den Fällen, in denen der BGH teilbare<br />

Leistungsverpflichtungen angenommen habe (vgl. zum Bauträgerkonkurs BGHZ 150,<br />

353 ff; zum Werklieferungsvertrag BGHZ 147, 28) sei nicht gegeben. Der auf den<br />

Rechtsmangel entfallende Minderwert könne deshalb der Masse nicht zugeordnet<br />

werden. M.E. ist diese Entscheidung abzulehnen. Sie ist mit § 106 Abs. 1 S. 2 InsO<br />

nicht vereinbar. Auch sonst ist der Insolvenzschuldner z.B. von Gesetz wegen verpflichtet,<br />

eine Sache frei von Sachmängeln zu übertragen (§§ 433 Abs. 1 S. 2, 434<br />

BGB). Besonderen Schutz gewährt hier eine Vormerkung außerhalb des<br />

Insolvenzverfahrens nicht. Gleiches gilt dann erst recht <strong>bei</strong> Anwendung des § 106<br />

InsO im Insolvenzverfahren.<br />

25 Kesseler, MittBayNot 2005, 108 ff.<br />

26 BGH NJW 1981, 991, 993; OLG Koblenz, NZM 2007, 607;OLG Stuttgart, MittBayNot<br />

2005, 162, 165; Grziwotz/Koeble/Schmitz, Handbuch Bauträgerrecht, 2004, 5. Teil<br />

Rn. 22 ff.; s. dazu auch Kesseler, RNotZ 2004, 176, 193 ff., 209 ff.<br />

27 MünchKomm-InsO/Huber, § 103 Rn. 62; Uhlenbruck/Berscheid, § 103 Rn. 1,<br />

m. w. N.; vgl. dazu BGH ZIP 2005, 1972, 1973 ff.; BGHZ 68, 379, jew. m. w. N.<br />

33


hat. Eine etwa von ihm bereits vor der Insolvenzeröffnung erklärte Auflassung<br />

kann daher nicht mehr im Grundbuch vollzogen werden, es sei<br />

denn, es wurde bereits Antrag auf Eintragung <strong>bei</strong>m Grundbuchamt gestellt<br />

und der Schutz des § 878 BGB greift ein. Scheidet § 878 BGB aus,<br />

ist eine Mitwirkung des Insolvenzverwalters erforderlich, sei es, dass er<br />

eine neue Auflassung erklärt, sei es, dass er die Auflassung des<br />

Schuldners nach §§ 184, 185 BGB genehmigt.<br />

Ob der Insolvenzverwalter hierzu verpflichtet ist, richtet sich danach, ob<br />

der Anspruch auf dingliche Rechtsänderung des Vertragspartners des<br />

Schuldners mittels Vormerkung gesichert ist. Nur in diesem Fall gewährt<br />

§ 106 InsO einen ggf. auch gerichtlich durchsetzbaren Anspruch<br />

gegenüber dem Insolvenzverwalter.<br />

Ein häufiger Streitpunkt sind hier<strong>bei</strong> die Kosten der neuerlichen Auflassung<br />

bzw. der Nachgenehmigung. Die in Grundstückskaufverträgen<br />

übliche Klausel, wonach der Käufer die Kosten des Vollzugs trägt, erfasst<br />

diesen Fall nicht. Bei den Kosten der erneuten Auflassung handelt<br />

es sich um Kosten, die zusätzlich zu den vertraglich vereinbarten<br />

Kosten entstehen. Insoweit sind die vertraglichen Bestimmungen nach<br />

den Vorstellungen der Beteiligten (ergänzend) auszulegen. 28 § 448<br />

Abs. 2 BGB regelt zwar die kaufvertragliche Kostentragungslast zu<br />

Lasten des Käufers, ist jedoch für die Frage der Kostentragungslast<br />

einer zweiten Auflassung bzw. Genehmigung nicht anwendbar. Denkbar<br />

ist die Auslegung, dass § 106 Abs. 1 Satz 1 InsO auch die Frage der<br />

Kostentragung zu Lasten der Masse regelt. Nach anderer Ansicht enthält<br />

§ 106 InsO keine diesbezügliche Regelung; vielmehr sei mangels<br />

spezieller Regelung von der allgemeinen Regelung der Kostenordnung<br />

in Form der Gesamtschuldnerschaft und der hälftigen Kostentragung<br />

<strong>bei</strong>der Beteiligter auszugehen. 29 Ggf. scheint es zum Zwecke der Vermeidung<br />

weiterer Verzögerungen empfehlenswert, dass der Käufer<br />

gegenüber dem Insolvenzverwalter erklärt, diese Kosten insgesamt zu<br />

tragen. Denkbar ist ebenso, dass der Käufer diese Kosten ohne Anerkennung<br />

einer Rechtspflicht übernimmt und später gegenüber dem<br />

Insolvenzverwalter einklagt.<br />

In der Praxis ist es schließlich nicht selten, dass die Insolvenzverwalter<br />

ihre Erfüllungswahl von der Zahlung einer Kostenpauschale abhängig<br />

machen. Zu unterscheiden ist hier<strong>bei</strong> danach, ob ein Insolvenzver-<br />

28 Kesseler, RNotZ 2004, 176, 194.<br />

29 Kesseler, RNotZ 2004, 176, 194.<br />

34


walterwahlrecht überhaupt besteht oder wegen Eintragung einer Vormerkung<br />

nach § 106 InsO gerade ausgeschlossen ist.<br />

Bei einem vormerkungsgesicherten Anspruch ist das Begehren einer<br />

solchen Kostenpauschale unzulässig. Nach § 106 InsO muss der Insolvenzverwalter<br />

einen vormerkungsgesicherten Anspruch erfüllen,<br />

andernfalls macht er sich schadensersatzpflichtig 30 .<br />

Die Vergütung des Insolvenzverwalters ist grundsätzlich in den §§ 63,<br />

64 InsO geregelt. Danach hat der Insolvenzverwalter einen Anspruch<br />

auf Vergütung für seine Geschäftsführung und auf Erstattung angemessener<br />

Auslagen. Im Einzelnen werden die Vergütung und die zu<br />

erstattenden Auslagen des Verwalters durch das Insolvenzgericht festgesetzt,<br />

§ 64 Abs. 1 InsO. Nähere Regelungen zur Insolvenzverwaltervergütung<br />

enthält insoweit die Insolvenzverwaltervergütungsverordnung,<br />

die auf Grundlage der Ermächtigung des § 65 InsO ergangen<br />

ist. 31<br />

Auch die Kostenpauschale nach §§ 170, 171 InsO kann nicht beansprucht<br />

werden. Eine solche Pauschale gibt es nur <strong>bei</strong> der Verwertung<br />

von Gegenständen der Insolvenzmasse, die mit Absonderungsrechten<br />

belastet sind. Außerhalb des Anwendungsbereichs der §§ 165<br />

ff. InsO besteht demgegenüber kein gesetzlicher Anspruch auf eine<br />

Kostenpauschale für die Insolvenzmasse. Insbesondere besteht ein<br />

solcher Anspruch auch nicht <strong>bei</strong> einer freihändigen Veräußerung von<br />

zur Insolvenzmasse gehörenden Gegenständen durch den Insolvenzverwalter.<br />

In diesem Fall ist es vielmehr so, dass der Verwertungserlös<br />

selbst unmittelbar in die Insolvenzmasse gelangt, mithin eine besondere<br />

Kostenpauschale zugunsten der Insolvenzmasse von vornherein nicht<br />

in Betracht kommt. Nicht anders ist die Rechtslage <strong>bei</strong> der Erfüllung<br />

eines vormerkungsgesicherten Anspruchs. Die Vormerkung begründet<br />

als Sicherungsrecht eigener Art nach § 106 InsO einen insolvenzfesten<br />

Anspruch auf Befriedigung aus der Insolvenzmasse und nicht lediglich<br />

ein Recht auf abgesonderte Befriedigung (§ 165 InsO). Wegen § 119<br />

InsO kann diese Vormerkungswirkung auch nicht vertraglich ausgeschlossen<br />

oder beschränkt werden.<br />

Besteht dagegen kein Vormerkungsschutz und gilt § 103 InsO uneingeschränkt,<br />

ist gegen die Zulässigkeit einer zusätzlichen Forderung<br />

nach einer Kostenpauschale nichts einzuwenden. Hier<strong>bei</strong> handelt es<br />

30 OLG Hamm, ZIP 2006, 1911.<br />

31 BGBl. I 1998, 2205.<br />

35


sich dann um eine Erfüllungsablehnung, die mit einem Angebot auf<br />

Abschluss eines neuen Vertrages oder Änderungsvertrages verknüpft<br />

ist. 32<br />

Wird vom Insolvenzverwalter die Erklärung der Auflassung bzw. Nachgenehmigung<br />

von der Zahlung einer Kostenpauschale abhängig gemacht,<br />

scheint es auch hier zum Zwecke der Vermeidung weiterer Verzögerungen<br />

angezeigt zu sein, diese Kosten ohne Anerkennung einer<br />

Rechtspflicht zu tragen und später gegenüber dem Insolvenzverwalter<br />

einzufordern.<br />

4. § 878 BGB und die Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters<br />

3. Hinweis: Löschung der Vormerkung erst nach Vollzug der Eigentumsumschreibung<br />

und Überprüfung der Berechtigung des<br />

handelnden Insolvenzverwalters im Zeitpunkt des Grundbuchvollzugs<br />

Die Eintragung eines Insolvenzvermerks im Grundbuch nach § 32 InsO<br />

verhindert einen gutgläubigen Erwerb. Fehlt dagegen ein solcher Vermerk,<br />

ist ein gutgläubiger Erwerb möglich (§§ 81, 91 InsO, 878, 892<br />

BGB).<br />

Umgekehrt besteht dagegen kein guter Glaube an der Verfügungsbefugnis<br />

des Insolvenzverwalters infolge des eingetragenen Insolvenzvermerks.<br />

33 Der Vermerk kann weder über die Zugehörigkeit des Grundstücks<br />

zur Insolvenzmasse noch über das Bestehen eines Insolvenzverfahrens<br />

Auskunft geben. Auch die Verfügungsbefugnis des Verwalters<br />

lässt sich mit dem Vermerk nicht nachweisen, da der Insolvenzverwalter<br />

den Grundbesitz jederzeit formlos freigeben kann.<br />

Ungenügend ist ebenso, allein auf die Vorlage des Originals der Bestellungsurkunde<br />

des Insolvenzverwalters zu vertrauen (§ 56 Abs. 2<br />

InsO). An die Bestellungsurkunde des Insolvenzverwalters sind anders<br />

als <strong>bei</strong>spielsweise an das Testamentsvollstreckerzeugnis keinerlei<br />

Rechtswirkungen, insbesondere auch nicht ein Gutglaubensschutz geknüpft.<br />

34<br />

32<br />

MünchKomm-InsO/Huber, § 103 Rn. 159.<br />

33<br />

Kesseler, RNotZ 2004, 176, 214.<br />

34<br />

Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 56 Rn. 86; MünchKomm-BGB/Schramm, 3. Aufl.,<br />

§ 172 Rn. 18.<br />

36


Äußerst umstritten ist, ob dem Insolvenzverwalter <strong>bei</strong> Veräußerung<br />

eines zur Insolvenzmasse gehörenden Grundstückes für den Fall des<br />

Wegfalls seiner Verfügungsberechtigung die Vorwirkungen des § 878<br />

BGB zugute kommen. Ein solcher Wegfall der Verfügungsberechtigung<br />

liegt dann vor, wenn entweder das Insolvenzverfahren insgesamt aufgehoben<br />

wurde oder wenn in der Person des Insolvenzverwalters ein<br />

Wechsel stattgefunden hat.<br />

Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist der Insolvenzverwalter<br />

(ebenso wie der Nachlassverwalter oder der Testamentsvollstrecker)<br />

nach § 80 Abs. 1 InsO Inhaber der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis<br />

und damit „Berechtigter“ i. S. d. § 878 BGB. Verliert der Insolvenzverwalter<br />

etwa durch Beendigung des Amtes durch Abwahl oder Verfahrensaufhebung<br />

seine Verfügungsbefugnis, will die h. M. in der<br />

Rechtsprechung 35 § 878 BGB weder direkt noch entsprechend anwenden.<br />

Die wohl herrschende Gegenmeinung in der Literatur befürwortet<br />

dagegen im Interesse des Vertrauensschutzes zugunsten des<br />

Erwerbers die Anwendung des § 878 BGB wie im Fall der Entziehung<br />

der Verfügungsbefugnis. 36 Auch neuere Gerichtsentscheidungen folgen<br />

dieser Auffassung. 37 Zuletzt hat sich mit dieser Frage das AG Rostock<br />

auseinandergesetzt. 38 Nach Auffassung des AG Rostock ist der<br />

Vertragspartner des Insolvenzverwalters mit seinem Vertrauen auf<br />

dessen bestehende Verfügungsbefugnis ebenso schützenswert wie der<br />

Vertragspartner eines Rechtsinhabers, der aufgrund eigener Rechtsposition<br />

verfügt und über § 878 BGB <strong>bei</strong> späterem Wegfall geschützt ist.<br />

Würde man sich der anderen Ansicht anschließen, wären jedwede<br />

Verfügungen eines Vollmachtsinhabers, Nachlasspflegers, Zwangsverwalters,<br />

Betreuers usw. jedes Mal zu hinterfragen bzw. anzuzweifeln.<br />

Die herrschende Ansicht in der Literatur ist überzeugend. Es besteht ein<br />

unabweisbares Bedürfnis für einen Schutz nach der Art des § 878 BGB:<br />

Würde man die Analogie ablehnen, wäre der Grundstücksverkehr mit<br />

35 OLG Celle DNotZ 1953, 158 = NJW 1953, 945; KG OLG 26, 2; BayObLG NJW 1956,<br />

1279; MittBayNot 1999, 82 = Rpfleger 1999, 25; OLG Frankfurt OLGZ 1980, 100;<br />

OLG Köln MittRhNotK 1981, 139; LG Osnabrück KTS 1972, 202.<br />

36 Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, Rn. 124; Palandt/Bassenge, § 878 BGB Rn. 11;<br />

Staudinger/Gursky, BGB, 2000, § 878 Rn. 57; MünchKomm-BGB/Wacke, 3. Aufl.<br />

1997, § 878 BGB Rn. 13 a. E.; Bauer/v. Oefele, GBO, 1999, § 19 GBO Rn. 272 f.;<br />

Däubler, JZ 1963, 591; Böhringer, BWNotZ 1984, 137 und BWNotZ 1985, 102; Heil,<br />

RNotZ 2001, 269; Zahn, MittRhNotK 2000, 89, 108; Kesseler, RNotZ 2004, 176, 218.<br />

37 OLG Brandenburg VIZ 1995, 365, 366 = OLG NL 1995, 127 bezüglich staatlicher<br />

Verwalter sowie LG Neubrandenburg MDR 1995, 491 zur Aufhebung der Gesamtvollstreckung.<br />

38 RNotZ 2004, 405 = NotBZ 2004, 203.<br />

37


einem amtlichen Verwalter praktisch lahm gelegt. Dem Erwerber könnte<br />

vor seiner Eintragung die Entrichtung seiner Gegenleistung und dem<br />

Verwalter vor Erhalt der Gegenleistung die Erklärung der Einigung und<br />

die Bewilligung der Eintragung des Erwerbers nicht zugemutet<br />

werden. 39<br />

Trotz dieser ganz herrschenden Ansicht in der Literatur ist dem Notar zu<br />

raten, im Rahmen seiner <strong>Vertragsgestaltung</strong> weiterhin die in der Rechtsprechung<br />

vorherrschende gegenteilige Ansicht zu berücksichtigen. Von<br />

daher dürfte jedem Vertragspartner eines Insolvenzverwalters (oder<br />

eines Nachlassverwalters oder Testamentsvollstreckers) dringend zu<br />

empfehlen sein, Leistungen erst zu erbringen, wenn die Verfügung der<br />

anderen Seite vollzogen ist. 40 Bei im Grundbuch einzutragenden<br />

Rechten bzw. Löschungen sollte man sich überzeugen, dass auch zum<br />

Zeitpunkt des Grundbuchvollzugs der handelnde Insolvenzverwalter<br />

noch verfügungsbefugt war. 41 Alternativ bietet sich eine Abwicklung<br />

über Notaranderkonto an<br />

Wird diese Rechtsprechung nicht beachtet und kommt es zu einem<br />

Wechsel in der Person des Insolvenzverwalters, so besteht für den<br />

Käufer das Risiko, dass er den Kaufpreis bezahlt, ohne dass sein<br />

Eigentumserwerb letztlich sichergestellt ist. 42 Problematisch wird die<br />

Situation erst recht, wenn mit der Eigentumsumschreibung auf den<br />

Käufer mangels anderweitiger Zwischeneintragungen dessen Vormerkung<br />

im Grundbuch gelöscht wird. Aufgrund der Nichtanwendung<br />

des § 878 BGB ist die Eigentumsumschreibung unwirksam. Mit<br />

Löschung der Vormerkung fällt der Schutz der §§ 883, 888 BGB, 106<br />

InsO weg. Von daher sollte die Löschung einer Auflassungsvormerkung<br />

erst erfolgen, wenn sich der Notar erneut vom Bestehen der Verfügungsbefugnis<br />

des handelnden Insolvenzverwalters überzeugt hat. 43<br />

Die übliche Regelung im Kaufvertrag, wonach die Auflassungsvormerkung<br />

mit Eigentumsumschreibung gelöscht wird, wenn keine<br />

Zwischenrechte eingetragen sind, sollte hier ausdrücklich keine Anwendung<br />

finden.<br />

39<br />

Staudinger/Gursky, § 878 Rn. 57 a. E.; Bauer/v. Oefele-Kössinger, GBO, § 19<br />

Rn. 173.<br />

40<br />

Ebenso Schöner/Stöber, 124.<br />

41<br />

Kesseler, ZNotP 2008, 117 ff.<br />

42<br />

Grziwotz/Everts/Heinemann/Koller, Rn. 413; Schöner/Stöber, Grundbuchrecht,<br />

14. Auflage, Rn. 124.<br />

43<br />

Grziwotz/Everts/Heinemann/Koller, Rn. 413; Kesseler, ZNotP 2008, 117, 119;<br />

Kesseler, ZNotP 2008, 117, mit Formulierungsvorschlag für eine Vollzugsanweisung<br />

an den Notar.<br />

38


III. Lastenfreistellung mittels unechtem Vertrag zugunsten Dritter<br />

4. Hinweis: Keine Zahlungen zum Zwecke der Lastenfreistellung an<br />

den Verkäufer, sondern immer direkt an den abzulösenden<br />

Gläubiger<br />

Der Anspruch auf Lastenfreistellung ist trotz Eintragung einer Vormerkung<br />

wegen § 106 Abs. 1 S. 2 InsO nicht insolvenzfest. Die Vormerkung<br />

gewährt in der Insolvenz keinen stärkeren Schutz als außerhalb<br />

des Insolvenzverfahrens. Auch hier sind vor der Vormerkung eingetragene<br />

Belastungen vorrangig zu befriedigen.<br />

Bewährtes Gestaltungsinstrument ist hier die Vereinbarung eines unechten<br />

Vertrags zugunsten Dritter, nämlich der abzulösenden<br />

Gläubiger. 44 Da der Insolvenzverwalter Verträge so übernehmen muss,<br />

wie sie der Insolvenzschuldner geschlossen hat, ist der Insolvenzverwalter<br />

an die Abrede über die Lastenfreistellung gebunden. Die hierfür<br />

benötigten Beträge aus dem Kaufpreis fallen nicht in die Insolvenzmasse.<br />

Es gilt dasselbe wie in der Einzelzwangsvollstreckung. Danach<br />

sind <strong>bei</strong> einem unechten Vertrag zugunsten Dritter zwar Pfändungen<br />

gegen den Versprechensempfänger (Verkäufer) möglich. Sie verschaffen<br />

dem Pfändungsgläubiger aber keine stärkere Rechtsposition,<br />

als sie der Versprechensempfänger hatte. 45 Eine Änderung der<br />

Leistungsbestimmung wäre zwar durch eine Vereinbarung zwischen<br />

dem Versprechensempfänger (Verkäufer) und dem Versprechenden<br />

(Käufer) jederzeit möglich. 46 Aufgrund der Pfändung könnte der<br />

Pfändungsgläubiger anstelle des Verkäufers eine solche Vereinbarung<br />

treffen, bedürfte aber hierzu der Mitwirkung des versprechenden<br />

Käufers. Dieser wird zur Mitwirkung nicht bereit sein. Der Käufer ist<br />

damit geschützt, indem er sich der Mitwirkung verweigert.<br />

Auch die Rechtsprechung erkennt diese Gestaltungsmöglichkeit als<br />

„insolvenzsicher“ an. 47 Der BGH spricht insoweit von einer „treuhänderischen<br />

Zweckbindung“ des Kaufpreisanspruchs, die die<br />

Pfändungsgläubiger des Verkäufers und damit auch der Insolvenzver-<br />

44<br />

Hoffmann, NJW 1987, 3153, 3154; Hertel, in: Würzburger Notarhandbuch, 2. Auflage<br />

2009, Teil 2 Kap. 2 Rn. 137 ff.<br />

45<br />

BGH, DNotZ 1998, 626 = WM 1998, 40, 41.<br />

46<br />

Staudinger/Jagmann, BGB, 13. Aufl. 1995, § 328 BGB Rn. 52.<br />

47<br />

BGH, WM 1985, 238, 240 = NJW 1985, 1155; BGH, DNotZ 1998, 626 = NJW 1998,<br />

746 = WM 1998, 40, m. Anm. Albrecht, DNotZ 1998, 631; BGH, DNotZ 2000, 752 =<br />

NJW 2000, 1270 = WM 2000, 264; ebenso Kirchhof, WM Sonder<strong>bei</strong>lage Nr. 2/2005,<br />

1, 9.<br />

39


walter gegen sich gelten lassen müssen. 48 Das Zahlungsverbot nach<br />

§§ 23 Abs. 1 S. 3 und 28 Abs. 3 InsO ist insoweit also nicht zu beachten<br />

(unabhängig von der Frage, ob die Leistung an den Dritten durch den<br />

Insolvenzverwalter wegen inkongruenter Deckung nach § 131 InsO ggf.<br />

angefochten werden kann.)<br />

IV. Lastenfreistellung <strong>bei</strong> Abwicklung über Notaranderkonto<br />

Haben die Beteiligten eines Grundstückkaufvertrages Kaufpreiszahlung<br />

über Notaranderkonto vereinbart, stellt sich die Frage, wie ein etwaiger<br />

Widerruf der Verwahrungsanweisung durch den Insolvenzverwalter oder<br />

den anderen Teil mit dem Ziel der Rückzahlung des hinterlegten Geldes<br />

zu werten ist. Grundsätzlich erlöschen mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />

Aufträge, Geschäftsbesorgungsverträge und Vollmachten, die<br />

sich auf das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen beziehen<br />

(§§ 115 ff., 119 InsO).<br />

Nach einhelliger Ansicht fällt das verwahrte Geld nicht in die Insolvenzmasse,<br />

da alleiniger Kontoinhaber der Notar ist. 49 Fraglich ist jedoch, ob<br />

das „Treuhandverhältnis“ 50 zur Verwahrung mit der Insolvenzeröffnung<br />

nach § 116 InsO erloschen ist. 51 Der BGH hatte dies für den inhaltsgleichen<br />

§ 23 KO bejaht. 52 Die notarrechtliche Literatur ist jedoch ganz<br />

48<br />

Davon abzugrenzen ist der Fall einer bloßen (nicht treuhänderischen) Zweckbindung<br />

im Rahmen einer Schuldbefreiung. Nach Ansicht der Rechtsprechung gehören<br />

Schuldbefreiungsansprüche, obwohl sie wegen § 399 1. Alt. BGB nur an den Drittgläubiger<br />

abgetreten werden können und deshalb nach § 851 Abs. 1 ZPO unpfändbar<br />

sind, zur Insolvenzmasse. Dem Schuldner könne es nicht gestattet werden, eigene<br />

Vermögenswerte einem Einzelgläubiger unanfechtbar zu übertragen, indem er lediglich<br />

eine Zwischenperson einschaltet und für die von dieser zu erbringende Leistung<br />

als Zweckbindung die Befriedigung des von ihm ausgewählten Gläubigers vereinbart.<br />

BGH, WM 2001, 1476, 1477 = DNotZ 2001, 850 = NJW-RR 2001, 1490; Kirchhof,<br />

Sonder<strong>bei</strong>lage WM Nr. 2/2005, 1, 9. Der dieser Entscheidung zugrunde liegende Fall<br />

einer Schuldbefreiung kann mit dem Fall der Lastenfreistellung im Rahmen eines<br />

Kaufvertrages nicht verglichen werden. Die dort vereinbarte Zweckbindung führte zum<br />

einen zu keiner Verringerung der Verbindlichkeiten des Gläubiger (Verkäufers). Zum<br />

anderen aber erfolgte dort die Zweckbindung wohl nicht im Interesse des Zahlenden,<br />

während hier die Zahlung zur Lastenfreistellung gerade im Interesse des zahlenden<br />

Käufers erfolgt. Insoweit fehlt es an einer treuhänderischen Bindung.<br />

49<br />

Vgl. Ziff. 6 der Anderkontenbedingungen; Arndt/Lerch/Sandkühler, BNotO, 5. Aufl.<br />

2003, § 23 BNotO Rn. 166; Winkler, BeurkG, 15. Aufl. 2003, § 54c BeurkG Rn. 50.<br />

50<br />

Vgl. zum Aussonderungsrecht des Treugebers in der Insolvenz des Treuhänders <strong>bei</strong><br />

bloß schuldrechtlichem Treuhandverhältnis: BGH ZNotP 2003, 382; s. dazu Kesseler,<br />

ZNotP 2003, 368.<br />

51<br />

Siehe dazu Dornis, Kaufpreiszahlung auf Notaranderkonto, 2004, Dissertation<br />

Tübingen, S. 89 ff.<br />

52<br />

BGH NJW 1962, 1201.<br />

40


überwiegend der Auffassung, dass diese Entscheidung heute nicht<br />

mehr so ergehen würde, da sie noch von der mittlerweile überholten<br />

Auffassung einer privat-rechtlichen Natur der Verwahrung („Treuhandvertrag“)<br />

ausgeht; die hoheitliche Verwahrung nach § 23 BNotO sei<br />

keine Geschäftsbesorgung im Sinne § 23 KO oder des § 116 InsO. 53<br />

Nach Ansicht von Sandkühler 54 werden allerdings die Verwahrungsanweisungen<br />

wirkungslos, wenn der Insolvenzverwalter die Erfüllung<br />

nach § 103 InsO ablehnt; damit verknüpft Sandkühler aber wohl nur die<br />

früher vom BGH zum Insolvenzverwalterwahlrecht vertretene, nunmehr<br />

jedoch ausdrücklich aufgegebene Erlöschenstheorie mit den Rechtsfolgen<br />

des § 54c Abs. 3 BeurkG.<br />

In den Kommentaren zur Insolvenzordnung wird die Verwahrungsanweisung<br />

für das Notaranderkonto nicht ausdrücklich behandelt. 55<br />

§ 116 InsO setzt jedoch einen Geschäftsbesorgungsvertrag im Sinne<br />

des § 675 BGB voraus. Dazu gehört zwar der Vertrag mit einem<br />

Rechtsanwalt, aber nicht das Rechtsverhältnis gegenüber einem Notar,<br />

da der Notar öffentlich-rechtlich tätig wird, § 1 BNotO. Soweit die<br />

Kommentarliteratur davon ausgeht, dass von der Vorschrift des § 116<br />

InsO = § 23 KO a. F. auch die Tätigkeit des Notars erfasst ist, 56 subsumiert<br />

diese nur dann die Verträge mit einem Notar unter die Bestimmung<br />

des § 116 InsO = § 23 KO, „sofern der Notar nicht als Amtsperson<br />

<strong>bei</strong> der Beurkundung von Rechtsgeschäften tätig wird“. Dieser<br />

Ansicht ist auch für das notarielle Verwahrungsverhältnis zu folgen. Sie<br />

gilt erst Recht aufgrund Einführung der Vorschriften der BNotO und des<br />

BeurkG. Danach ist jedwede notarielle Tätigkeit öffentlich-rechtlicher<br />

Natur und kann demgemäß nicht Gegenstand vertraglicher Vereinbarungen<br />

sein. Von daher verbietet sich von selbst, die Bestimmungen<br />

der §§ 115 ff. InsO auf den Notar im Rahmen dessen hoheitlicher Tätigkeit<br />

anzuwenden. Um eine solche hoheitliche Tätigkeit handelt es sich<br />

53 Armbrüster/Preuß/Renner, § 54b BeurkG Rn. 93; Hertel, in: Eylmann/Vaasen, § 23<br />

BNotO Rn. 44; Kawohl, Notaranderkonto, 1995, Rn. 119; Weingärtner/Schöttler,<br />

DONot, 7. Aufl. 1995, Rn. 182; ebenso wohl Winkler, § 54b BeurkG Rn. 50; a. A.<br />

Bräu, Verwahrungstätigkeit des Notars, 1992, Rn. 255.<br />

54 Arndt/Lerch/Sandkühler, § 23 BNotO Rn. 166.<br />

55 Auch Ganter, DNotZ 2004, 421, 429 ff., geht im Rahmen seiner Darstellung zu den<br />

notariellen Amtspflichten in der Insolvenz eines Urkundsbeteiligten <strong>bei</strong> Kaufpreisabwicklung<br />

über Notaranderkonto auf dieses Problem nicht ein.<br />

56 Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze, 17. Aufl. 1997, § 23 Anm. 1a; Kuhn/Uhlenbruck,<br />

KO, 11. Aufl. 1994, § 23 Rn. 2; Frankfurter Kommentar zur InsO/Wegener, § 116<br />

Rn. 14.<br />

41


aber insbesondere auch <strong>bei</strong> seiner notariellen Verwahrung nach § 23<br />

BNotO. 57<br />

Der Fall der Rückzahlung und/oder der Insolvenz eines Beteiligten<br />

dürfte in aller Regel in der Verwahrungsanweisung selbst nicht behandelt<br />

werden. Nach der gesetzlichen Regelung des § 54c Abs. 3<br />

BeurkG ist der einseitige Widerruf durch einen Verwahrungsbeteiligten<br />

(hier durch den Insolvenzverwalter für den Käufer) grundsätzlich nur<br />

dann beachtlich, wenn er sich darauf stützt, dass das zugrunde liegende<br />

Rechtsverhältnis unwirksam oder rückabzuwickeln ist. Nicht ausreichend<br />

aber ist es, wenn der einseitige Widerruf <strong>bei</strong>spielsweise mit der<br />

Einrede des nicht erfüllten Vertrages nach § 320 BGB oder mit einem<br />

Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB begründet wird. 58 Die<br />

Erfüllungsablehnung durch den Insolvenzverwalter nach § 103 InsO<br />

genügt dafür nicht. Der Vertrag verliert lediglich seine Durchsetzbarkeit.<br />

59 Unabhängig von einem etwaigen Insolvenzverwalterwahlrecht<br />

dürfte m. E. der einseitige Widerruf in Anlehnung an den Rechtsgedanken<br />

des § 54d Ziff. 2 BeurkG aber jedenfalls in der Insolvenz<br />

eines Beteiligten dann beachtlich sein, wenn andernfalls der Vertragspartner<br />

des Schuldners mit seinem Anspruch auf die Gegenleistung<br />

oder aus § 103 Abs. 2 InsO nur auf die Insolvenzquote verwiesen<br />

werden würde und ihm daher ein unwiederbringlicher Schaden droht.<br />

Etwas anderes gilt wiederum im Falle des § 106 InsO <strong>bei</strong> Eintragung<br />

einer Vormerkung am Grundbesitz des Schuldners.<br />

Rechtsfolge eines beachtlichen Widerrufs nach §§ 54c Abs. 3, 54d<br />

BeurkG ist aber nur, dass der Notar eine Auszahlung unterlässt und die<br />

Verwahrung in dem Zustand anhält, indem sie sich <strong>bei</strong>m Widerruf befindet;<br />

das Geld ist nicht etwa an den Widerrufenden oder an den Einzahlenden<br />

zurückzuzahlen. 60<br />

57 Unrichtig daher die Einordnung der „Tätigkeit als Rechtsanwalt oder Notar“ generell<br />

ohne weitere Differenzierung unter die Geschäftsbesorgungsverträge <strong>bei</strong><br />

Smid/Meyer, § 116 InsO Rn. 2. Im Ergebnis ebenso Dornis, Kaufpreiszahlung auf<br />

Notaranderkonto, 2004, Dissertation Tübingen, S. 91 ff. Er begründet dies allerdings<br />

mit einer fehlenden Vergleichbarkeit der Vorschriften über die notarielle Verwahrung<br />

mit dem Anwendungsbereich der §§ 115, 116 InsO.<br />

58 LG Berlin, DNotZ 1981, 318; LG Lüneburg, DNotZ 1989, 651;<br />

Eylmann/Vaasen/Hertel, § 54 c BeurkG Rn. 20; Winkler, § 54c Rn. 33.<br />

59 BGH DNotZ 2003, 648; Braun/Kroth, § 103 Rn. 5 ff.<br />

60 Arndt/Lerch/Sandkühler, § 23 BNotO Rn. 135; Eylmann/Vaasen/Hertel, § 54c BeurkG<br />

Rn. 23; Winkler, § 54c BeurkG Rn. 39; Brambring, ZfIR 1999, 333, 340; Haug, Amtshaftung<br />

des Notars, 2. Aufl. 1997 Rn. 719; a.A. KG DNotZ 1998, 204 = DNotI-Report<br />

1999, 230 noch zu einem Fall vor Inkrafttreten des § 54c BeurkG; ebenso KG DNotI-<br />

Report 1999, 153 = DNotZ 1999, 99 = ZNotP 2000, 121; KG DNotI-Report 2002, 175.<br />

42


Im Falle eines beachtlichen Widerrufs oder eines drohenden unwiederbringlichen<br />

Schadens ist der Notar gehindert, eine Auszahlung oder<br />

Rückzahlung vom Notaranderkonto vorzunehmen, solange ihm keine<br />

übereinstimmende Weisung <strong>bei</strong>der Vertragsbeteiligter vorliegt, § 54c<br />

Abs. 3 BeurkG. Die darin liegende Verweigerung der Amtstätigkeit sollte<br />

der Notar den Beteiligten mit einem nach § 15 Abs. 2 BNotO beschwerdefähigen<br />

Vorbescheid mitteilen. Nobile officium ist da<strong>bei</strong> ein Hinweis<br />

auf die Beschwerdemöglichkeit <strong>bei</strong>m zuständigen Landgericht. Ein<br />

solcher Vorbescheid ist darüber hinaus aber auch dann angezeigt,<br />

wenn der Notar aufgrund der Unbeachtlichkeit eines einseitigen Widerrufs<br />

Auszahlungen vom Notaranderkonto entsprechend der vertraglichen<br />

Anweisungen vornehmen will. 61<br />

V. Eigentümerzustimmung<br />

Für die Lastenfreistellung ist nach §§ 1183 BGB, 27 GBO weiter die<br />

Zustimmung des Eigentümers erforderlich. Hier<strong>bei</strong> handelt es sich um<br />

eine Verfügung über die dingliche Anwartschaft des Eigentümers auf<br />

den Erwerb eines Grundpfandrechts nach §§ 1163, 1177 BGB. 62 In der<br />

Insolvenz des Grundstückseigentümers ist deshalb eine Zustimmung<br />

des Insolvenzverwalters erforderlich. 63 Ob hier § 878 BGB gilt, ist<br />

streitig. 64 Da es für die Beurteilung der Zustimmungsberechtigung<br />

jedoch auf den Zeitpunkt der Löschung ankommt, 65 genügt die Zustimmungserklärung<br />

des neuen Eigentümers, wenn die Löschung erst<br />

nach Eigentumsumschreibung erfolgt. 66 Eine Mitwirkung des Insolvenzverwalters<br />

des Verkäufers bedarf es dann nicht. 67 Der Notar sollte auf<br />

jeden Fall aber die Zustimmung des Käufers und der finanzierenden<br />

Bank zu dem beschriebenen Verfahren einholen.<br />

61<br />

BayObLG MittBayNot 1995, 331; OLG Frankfurt DNotZ 1992, 61; OLG Schleswig<br />

DNotZ 1993, 67; Eylmann/Vaasen/Hertel, § 23 BNotO Rn. 49.<br />

62<br />

BayObLGZ 1973, 220; Staudinger/Wolfsteiner, BGB, § 1183 Rn. 7;<br />

Palandt/Bassenge, BGB, § 1183 Rn. 4<br />

63<br />

Palandt/Bassenge, BGB, § 1183 Rn. 3; MünchKomm-BGB/Eickmann, § 1183 Rn. 10.<br />

64<br />

Verneinend: RGZ 52, 411, 416; Meikel/Böttcher, Grundbuchrecht, 9. Auflage 2002,<br />

§ 27 Rn. 84; Soergel/Konzen, BGB, § 1183 Rn. 4; Palandt/Bassenge, BGB, § 878<br />

Rn. 4; bejahend: Staudinger/Wolfsteiner, BGB, § 1183 Rn. 12; MünchKomm-<br />

BGB/Eickmann, § 1183 Rn. 11.<br />

65<br />

Meikel/Böttcher, Grundbuchrecht, 9. Aufl. 2004, § 87 Rn. 82; Demharter, Grundbuchordnung,<br />

26. Aufl. 2005, § 27 Rn. 15; KG OLGE 4, 493; 25, 380.<br />

66<br />

LG Düsseldorf MittRhNotK 1984, 124; Staudinger/Wolfsteiner, § 1183 Rn. 12;<br />

Meikel/Böttcher, § 27 Rn. 82.<br />

67<br />

Siehe dazu und zur Frage der Leistung des Kaufpreises vor Fälligkeit: DNotI-Gutachten<br />

Nr. 66725 vom April 2006; ebenso Armbrüster/Preuß/Renner, § 54b BeurkG<br />

Rn. 99.<br />

43


VI. Kosten der Lastenfreistellung<br />

5. Hinweis: Zahlung der Kosten der Lastenfreistellung aus dem<br />

Kaufpreis<br />

Regelmäßig ist im Kaufvertrag vereinbart, dass der Verkäufer die<br />

Kosten der Lastenfreistellung trägt, insbesondere also die Grundbuchkosten.<br />

Trägt das Grundbuchamt die Löschung der vom Käufer nicht<br />

übernommenen Rechte ein und bleibt der Verkäufer die Kosten<br />

schuldig, handelt es sich da<strong>bei</strong> um eine einfache Insolvenzforderung.<br />

Das Grundbuchamt ist Insolvenzgläubiger. Ein Rückgriff auf den Käufer<br />

ist nur zulässig, wenn die Grundbuchanträge auch in seinem Namen<br />

gestellt wurden ( § 2 Nr. 1 KostO). Verlangt das Grundbuchamt jedoch<br />

nach § 8 Abs. 2 KostO einen Kostenvorschuss für die Löschung,<br />

scheitert diese, wenn der Verkäufer den Vorschuss nicht <strong>bei</strong>bringt. Im<br />

Ergebnis müsste dann der Käufer diese Kosten übernehmen. Hat er<br />

den Kaufpreis noch nicht gezahlt, kann er zwar gegenüber dem Insolvenzverwalter<br />

das Zurückbehaltungsrecht des § 320 BGB geltend<br />

machen. Hat er dagegen schon bezahlt, steht ihm nur eine einfache<br />

Insolvenzforderung gegen den Verkäufer zu. Die Eintragung einer<br />

Vormerkung schützt den Käufer wegen § 106 Abs. 1 S. 2 InsO insoweit<br />

nicht.<br />

In der Praxis dürfte sich empfehlen, auf dieses Risiko hinzuweisen<br />

und Lösungsmöglichkeiten vorzuschlagen. In Betracht kommt entweder,<br />

dass der Käufer berechtigt ist, die entsprechenden Beträge aus<br />

dem Kaufpreis einzubehalten und direkt an das Grundbuchamt und<br />

Notar zu bezahlen (Zahlung dieser Kosten in Anrechnung auf dem<br />

Kaufpreis als unechter Vertrag zugunsten Dritter) bzw. eine Hinterlegung<br />

eines Teils des Kaufpreises in Höhe der Grundbuch- und Notarkosten<br />

auf Notaranderkonto und Zahlung aus dem Notaranderkonto.<br />

VII. <strong>Vertragsgestaltung</strong> und Insolvenzverwalteranfechtung<br />

Fraglich ist letztlich, inwieweit diese „übliche“ <strong>Vertragsgestaltung</strong> auch<br />

vor einer etwaigen Insolvenzverwalteranfechtung Bestand hat. Nach<br />

§§ 129 ff. InsO kann der Insolvenzverwalter Rechtshandlungen, die die<br />

Gläubiger des Schuldners benachteiligen, anfechten.<br />

44


1. Folgen der Anfechtung<br />

Folge einer Gläubigeranfechtung ist die Duldung der Zwangsvollstreckung<br />

in den anfechtbar weggegebenen Gegenstand (§ 11 AnfG).<br />

Bei der Insolvenzverwalteranfechtung ist der Gegenstand zur Insolvenzmasse<br />

zurückzugewähren (§ 143 InsO).<br />

2. Anfechtungsfristen<br />

Angefochten werden können Rechtshandlungen, die innerhalb bestimmter<br />

gesetzlicher Fristen vorgenommen wurden. Es ist eine Rückrechnung<br />

vorzunehmen (§§ 7 Abs. 1 AnfG; 136 InsO).<br />

Für die Insolvenzanfechtung von Bedeutung ist vor allem der kritische<br />

Drei-Monats-Zeitraum vor Stellung eines Insolvenzantrags. Rechtshandlungen<br />

innerhalb dieses Zeitraums können nach den §§ 130 – 132<br />

InsO wegen kongruenter oder inkongruenter Deckung bzw. wegen unmittelbarer<br />

Gläubigerbenachteiligung angefochten werden. Auf einen<br />

Vorsatz, die Gläubiger zu benachteiligen, kommt es nicht an. Entsprechende<br />

Anfechtungstatbestände gibt es im AnfG nicht.<br />

3. Gläubigerbenachteiligung<br />

Grundvoraussetzung jeder Anfechtung ist eine Gläubigerbenachteiligung<br />

(§§ 1 Abs. 1 AnfG, 129 InsO). Entscheidend ist, ob sich<br />

die Befriedigungsmöglichkeit der Gläubiger ohne die anfechtbare<br />

Rechtshandlung günstiger gestaltet hätte. 68 Anfechtbar ist danach etwa<br />

die Veräußerung von Vermögensgegenständen unter Wert, eine ehebedingte<br />

Zuwendung, 69 aber auch die Bestellung einer Vormerkung. 70<br />

Für die Frage, auf welchen Zeitpunkt <strong>bei</strong> der Gläubigerbenachteiligung<br />

abzustellen ist, ist zwischen einer mittelbaren und unmittelbaren<br />

Gläubigerbenachteiligung zu unterscheiden. Grundsätzlich genügt<br />

eine bloß mittelbare Gläubigerbenachteiligung (§§ 130, 131, 133 Abs. 1<br />

InsO; 3 Abs. 1 AnfG).<br />

68<br />

BGH NJW 1980, 1580; HK-InsO/Kreft, 5. Aufl., § 129 Rn. 36; Uhlenbruck/Hirte, InsO,<br />

§ 129 Rn. 91.<br />

69<br />

BGH NJW 1999, 1033; NJW 1983, 1611; Braun/de Bra, InsO, 3. Aufl., § 134 Rn. 25.<br />

70<br />

HambKomm /Rogge, § 129 Rn. 4 ff.; Gottwald/Huber, Insolvenzrechtshandbuch, § 46<br />

Rn. 19.<br />

45


Eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung ist gegeben, wenn die (angefochtene)<br />

Rechtshandlung noch keinen Nachteil für die Gläubiger<br />

bewirkt, aber die Grundlage für einen weiteren die Gläubiger benachteiligenden<br />

Ablauf bildet. Nicht erforderlich ist, dass die hinzutretenden<br />

weiteren Umstände selbst durch die angefochtene Rechtshandlung<br />

mitverursacht wurden. 71 Maßgeblich, ob eine mittelbare<br />

Gläubigerbenachteiligung vorliegt, ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen<br />

Verhandlung in der Tatsacheninstanz. 72 Eine nachträgliche Wertsteigerung<br />

eines Grundstücks etwa aufgrund geänderter Marktlage, <strong>bei</strong><br />

dem zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses Leistung und Gegenleistung<br />

noch gleichwertig gegenüber standen, kann danach genügen. 73<br />

Bei einer unmittelbaren Gläubigerbenachteiligung (§§ 132, 133 Abs. 2<br />

InsO, 3 Abs. 2 AnfG) ist die Benachteiligung allein anhand der angefochtenen<br />

Rechtshandlung zu beurteilen (z. B. Verkauf einer Sache<br />

des Schuldners unter Wert; einseitige Vermögensopfer). Maßgeblich ist<br />

der Zeitpunkt der Vollendung der Rechtshandlung. 74<br />

Eine Gläubigerbenachteiligung liegt nicht vor, wenn es sich um die<br />

Weggabe eines wertausschöpfend belasteten Gegenstandes<br />

handelt. Dies ist der Fall, wenn der veräußerte Gegenstand mit bevorrechtigt<br />

zu befriedigenden Absonderungsrechten belastet ist und im<br />

Falle einer Verwertung der gesamte Erlös an diese Gläubiger geht bzw.<br />

für die Kosten des Zwangsversteigerungsverfahrens hätte aufgewendet<br />

werden müssen. 75 Für die Gläubigerbefriedigung ist dieser Gegenstand<br />

wertlos. 76 Maßgeblich kommt es da<strong>bei</strong> nicht auf die Höhe der dinglichen<br />

Belastungen an, sondern auf die Höhe der mit den Grundpfandrechten<br />

gesicherten Forderungen. Soweit nämlich die Grundpfandrechte nicht<br />

valutieren, bieten sie dem Insolvenzverwalter eine Möglichkeit, diese zu<br />

verwerten. Handelt es sich um Hypotheken, stehen dem Schuldner in<br />

Höhe der nicht mehr valutierten Teile Eigentümergrundschulden zu.<br />

Handelt es sich um Grundschulden, bestehen Ansprüche auf Rückgewähr<br />

der nicht valutierten Grundschulden gegen den Grundschuldgläubiger<br />

zu. 77<br />

71<br />

BGH ZIP 2000, 238.<br />

72<br />

OLG Hamburg NZI 2001, 424; Uhlenbruck/Hirte, InsO, § 129 Rn. 128.<br />

73<br />

BGH NJW 1996, 3341, 3342.<br />

74<br />

HambKomm/Rogge, 3. Aufl. § 129 Rn. 41; Uhlenbruck/Hirte, InsO, 12. Aufl. § 129<br />

Rn. 124.<br />

75<br />

BGH WM 2006, 490; ZInsO 2007, 778; JurBüro 2008, 269; ZInsO 2009, 1249, 1251.<br />

76<br />

BGH WM 2006, 490 = MittBayNot 2006, 224 = RNotZ 2006, 200, m. Anm. Kesseler;<br />

Bitter, in FS. Karsten Schmidt, 2009, 123 ff.<br />

77<br />

BGH NJW 1984, 2890, 2891; NJW 1996, 3341, 3342.<br />

46


Anders ist es, wenn der Schuldner selbst z. B. <strong>bei</strong> der Übertragung des<br />

Grundstücks noch bestehende Belastungen im Nachhinein vertragsgemäß<br />

beseitigt, 78 oder wenn die den Belastungen zugrunde liegenden<br />

Verbindlichkeiten aus den Nutzungen des dem Anfechtungsgegner<br />

übertragenen Gegenstandes zurückgeführt werden. Auch diese<br />

Nutzungsmöglichkeiten werden von einer Anfechtung erfasst. 79 In<br />

<strong>bei</strong>den Fällen kann daher eine zunächst objektiv gegebene wertausschöpfende<br />

Belastung ausscheiden.<br />

4. Bösgläubigkeit des Anfechtungsgegners<br />

Grundsätzlich knüpfen sämtliche Anfechtungstatbestände an eine Bösgläubigkeit<br />

des Anfechtungsgegners an. Dieser muss die Zahlungsunfähigkeit,<br />

den Insolvenzantrag bzw. den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz<br />

des Schuldners oder auch nur die Gläubiger benachteiligende<br />

Wirkung kennen. Bei nahestehenden Personen gem. § 138 InsO<br />

(§§ 130 Abs. 3, 131 Abs. 2 S. 2, 132 Abs. 3 InsO), aber auch in bestimmten<br />

anderen Fällen wird diese Kenntnis vermutet (§§ 133 Abs. 1<br />

S. 2 InsO, 3 Abs. 1 S. 2 AnfG).<br />

Eine Ausnahme besteht lediglich im Fall der Schenkungsanfechtung<br />

nach § 134 AnfG und im Falle der Anfechtung wegen inkongruenter<br />

Deckung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 InsO. Erbringt der Anfechtungsgegner<br />

keine Gegenleistung, ist er nicht schützenswert.<br />

Leistungen, auf die der Anfechtungsgegner keinen Anspruch hat, sind<br />

nach der Intention des Gesetzgebers von vornherein unter Gläubigerschutzgesichtspunkten<br />

zu missbilligen. Eine Bösgläubigkeit des<br />

Anfechtungsgegners ist dann nicht erforderlich.<br />

5. Maßgeblicher Zeitpunkt<br />

Für den Lauf der Anfechtungsfristen ist auf den Zeitpunkt der Vornahme<br />

der Rechtshandlung abzustellen. Nach §§ 8 Abs. 1 AnfG, 140 Abs. 1<br />

InsO ist dies der Zeitpunkt, in dem ihre rechtlichen Wirkungen eintreten.<br />

Entscheidend ist derjenige, in dem der Anfechtungsgegner durch die<br />

78 BGH ZInsO 2009, 1249 = MittBayNot 2010/ Heft 3 mit Anm. Huber: Ein Grundstück<br />

mit Verkehrswert von 495.000,00 € und einer grundpfandrechtlich gesicherten Darlehensforderung<br />

i.H.v. 744.000,00 € wurde für 400.000,00 € verkauft. Der Käufer bezahlte<br />

den Kaufpreis unmittelbar an die Grundpfandrechtsgläubigerin. Das Grundpfandrecht<br />

wurde nur i.H.v. 350.000,00 € zur Sicherung der eigenen Kaufpreisschuld<br />

dinglich übernommen und darüberhausgehend gelöscht.<br />

79 BGH NJW 1996, 3341, 3342.<br />

47


Rechtshandlung eine Stellung erlangt, die im Falle der Insolvenzeröffnung<br />

– die Anfechtung hinweggedacht – beachtet werden müsste. 80<br />

Der Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung markiert gleichzeitig<br />

den maßgeblichen Zeitpunkt für das Vorliegen der subjektiven Tatbestandsmerkmale<br />

der Anfechtung. 81 Eine spätere Kenntnis ist<br />

unschädlich. 82<br />

6. Insbesondere Immobilienrecht<br />

Besondere Bedeutung haben im Immobilienrecht die §§ 8 Abs. 2 S. 1<br />

AnfG und 140 Abs. 2 S. 1 InsO. Der anfechtungsrechtlich maßgebliche<br />

Zeitpunkt wird vorverlegt, wenn Eintragungen im Grundbuch oder einem<br />

vergleichbaren Register erforderlich sind. Voraussetzung ist, dass<br />

- die übrigen Voraussetzungen für das Wirksamwerden der Rechtshandlung<br />

erfüllt sind,<br />

- die Willenserklärung des Schuldners bindend geworden ist, und<br />

- der andere Teil den Antrag auf Eintragung der Rechtsänderung<br />

gestellt hat.<br />

7. Antrag auf Eintragung einer Vormerkung, Antragstellung durch<br />

den Notar<br />

6. Hinweis: Stellung des Antrags auf Eintragung einer Vormerkung<br />

(auch) durch den Käufer selbst<br />

Nach §§ 8 Abs. 2 S. 2 AnfG, 140 Abs. 2 S. 2 InsO wird dieser Zeitpunkt<br />

noch weiter vorverlegt, soweit lediglich Antrag auf Eintragung einer<br />

Vormerkung gestellt wird. Entscheidend ist, wann der Anfechtungsgegner<br />

durch die angefochtene Rechtshandlung eine gesicherte<br />

Rechtsstellung erlangt hat, die <strong>bei</strong> Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />

beachtet werden müsste. 83 Dies ist der Fall, wenn zugunsten des Anfechtungsgegners<br />

im Grundbuch des Schuldners eine Vormerkung eingetragen<br />

ist oder wenn dieser die Eintragung einer Vormerkung be-<br />

80<br />

Gesetzesbegründung, BT-Drs. 12/2443, 166.; MünchKomm-InsO/Kirchhof, 2. Aufl.,<br />

§ 140 Rn. 1 HK-InsO/Kreft, 5. Aufl., § 140 Rn. 2.<br />

81<br />

MünchKomm-InsO/Kirchhof, 2. Aufl., § 130 Rn. 32; HambKomm/Rogge, 3. Aufl.,<br />

§ 130 Rn. 16.<br />

82<br />

BGH ZIP 2008, 930; HambKomm/Rogge, 3. Aufl., § 130 Rn. 16; MünchKomm-<br />

InsO/Kirchhof, 2. Aufl., § 130 Rn. 32; HK-InsO/Kreft, 5. Aufl., § 130 Rn. 22.<br />

83<br />

Gesetzesbegründung, BT-Drs. 12/2443, 166.; MünchKomm-InsO/Kirchhof, 2. Aufl.,<br />

§ 140 Rn. 1 HK-InsO/Kreft, 5. Aufl., § 140 Rn. 2.<br />

48


antragt hat und der vorgemerkte oder vorzumerkende Anspruch entstanden<br />

ist (§§ 91 Abs. 2 InsO, 878 BGB). Nach § 106 InsO ist ein vormerkungsgesicherter<br />

Anspruch insolvenzfest. Auf eine bindende Auflassungserklärung<br />

und damit auf das Vorliegen eines Anwartschaftsrechts<br />

kommt es nicht an. § 8 Abs. 2 S. 2 AnfG und § 140 Abs. 2 S. 2<br />

InsO sind so zu lesen, dass Satz 1 sich hier auf die bindende materielle<br />

Bewilligung der Vormerkung als Willenserklärung des Schuldners bezieht.<br />

84<br />

Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, bleibt es <strong>bei</strong> den §§ 8 Abs. 1<br />

AnfG, 140 Abs. 1 InsO. Maßgeblich kommt es dann auf die Grundbucheintragung<br />

an. 85<br />

Grundsätzlich kann der Antrag für den anderen Teil i.S.d. § 140 Abs. 2<br />

S. 1 InsO auch durch einen Stellvertreter gestellt werden. Zulässig ist<br />

ebenso die Antragstellung durch den Notar. 86 Ein Antrag des Notars,<br />

den dieser (nur) auf der Grundlage des § 15 GBO stellt, genügt nach<br />

Ansicht des BGH für § 140 Abs. 2 S. 2 InsO nicht. 87 Eine Antragstellung<br />

gem. § 15 GBO vermittle dem „anderen Teil“ keine gesicherte Rechtsposition,<br />

denn der Notar könne einen solchen Antrag ohne Zustimmung<br />

des Berechtigten ohne weiteres wieder nach § 24 Abs. 3 S. 1 BNotO<br />

zurücknehmen. 88<br />

In der Literatur wird dieser Rechtsprechung zum Teil gefolgt, 89 zum Teil<br />

aber auch heftig widersprochen. 90<br />

Die §§ 15 GBO, 24 Abs. 3 BNotO geben dem Notar eine umfassende<br />

Vollzugsvollmacht. Eine solche Vollmacht könnte auch rechtsgeschäftlich<br />

erteilt werden und z. B. die Befugnis enthalten, Vollzugsanträge<br />

84<br />

BGH vom 10.12.2009, Az. IX ZR 203/06.<br />

85<br />

MünchKomm-InsO/Kirchhof, 2. Aufl., § 140 Rn. 29; HK-InsO/Kreft, 5. Aufl., § 140<br />

Rn. 9.<br />

86<br />

BGHZ 166,125, 133; BGH ZIP 2001, 933, 935 = NJW 2001, 2477, 2479; HK-<br />

InsO/Kreft, 5. Aufl., § 140 Rn. 10; MünchKomm-InsO/Kirchhof, 2. Aufl., § 140 Rn. 40;<br />

Hess/Weis/Wienberg, Insolvenzordnung, 2. Aufl., § 140 Rn. 31.<br />

87<br />

BGH ZIP 2001, 933, 935 = NJW 2001, 2477; MittBayNot 2009, 61; MittBayNot 2010,<br />

Heft 3, m. Anm. Huber; unklar dagegen BGH v. 10.12.2009, Az. IX ZR 203/06.<br />

88<br />

BGH ZIP 2001, 933, 935; MittBayNot 2009, 61, m. abl. Anmerkung Kesseler.<br />

89<br />

HK-InsO/Kreft, 5. Aufl., § 140 Rn. 10; MünchKomm-InsO/Kirchhof, 2. Aufl. § 140<br />

Rn. 41; Huber, MittBayNot 2010, Heft 3.<br />

90<br />

Kesseler, MittBayNot 2009, 62; Amann, DNotZ 2010, 246, 254 ff.; in diese Richtung<br />

aber auch die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 12/2443, 166; und Teile der Literatur:<br />

Uhlenbruck/Hirte, InsO, § 140 Rn. 12; Paulus, in: Kübler/Prütting, Insolvenzordnung,<br />

§ 140 Rn. 8; Hess/Weis/Wienberg, Insolvenzordnung, 2. Aufl., § 140 Rn. 31.<br />

49


zurückzunehmen. Vergleicht man die Rechtslage mit einem Anwartschaftsrecht,<br />

<strong>bei</strong> dem auf Seiten des Berechtigten ebenso ein Bevollmächtigter<br />

handelt, ist festzustellen, dass hier niemand auf die Idee<br />

kommt, am Bestehen eines Anwartschaftsrechts zu zweifeln. Auch in<br />

diesem Fall aber müsste der Berechtigte bzw. „der andere Teil“ besorgen,<br />

seine Rechtsstellung ohne eigenes Zutun durch bloße Antragsrücknahme<br />

des Bevollmächtigten wieder zu verlieren. 91 Würde man hier<br />

dem BGH folgen, müsste konsequenterweise <strong>bei</strong>m Handeln eines Vertreters<br />

mit umfassender Vollmacht das Bestehen eines Anwartschaftsrechts<br />

ebenso verneint werden. Dies geschieht – soweit ersichtlich –<br />

jedoch nirgends. 92 Entscheidend für das Vorliegen eines Anwartschaftsrechts<br />

ist allein, dass der Vollrechtserwerb nicht mehr durch eine widersprechende<br />

Verfügung des Veräußerers oder den Verlust seiner Verfügungsbefugnis<br />

gefährdet ist. 93 Unerheblich für das Vorliegen eines<br />

Anwartschaftsrechts ist, dass der Anwartschaftsberechtigte selbst durch<br />

eigenes Handeln sein Recht gefährden oder beseitigen kann. Es kommt<br />

deshalb nicht darauf an, ob der Berechtigte selbst handelt oder durch<br />

einen Dritten aufgrund rechtsgeschäftlicher bzw. gesetzlicher Vollmacht<br />

oder aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung vertreten wird.<br />

Ist aber schon das Bestehen eines Anwartschaftsrechts für den Berechtigten<br />

nicht davon abhängig, ob für ihn ein Vertreter handelt oder<br />

nicht, gilt dies erst recht im Rahmen der Anwendung der §§ 8 Abs. 2,<br />

140 Abs. 2 InsO, wo es auf das Vorliegen eines Anwartschaftsrechts<br />

gar nicht ankommt. Entscheidend ist, dass der Schuldner den Rechtserwerb<br />

des Berechtigten nicht mehr verhindern kann, sei es aufgrund<br />

Vorliegens eines Anwartschaftsrechts, sei es aufgrund der zumindest<br />

(vom Notar) beantragten Vormerkung. Eine Antragstellung durch den<br />

Notar nach § 15 GBO genügt daher. 94<br />

Für die Praxis ist indessen die gefestigte gegenteilige Rechtsprechung<br />

des BGH zu beachten. Andernfalls droht dem Anfechtungsgegner nicht<br />

nur das Risiko, dass erst mit Eigentumsumschreibung die Anfechtungsfristen<br />

zu laufen beginnen. Gefahr droht vielmehr auch und vor allem<br />

deshalb, weil dann hinsichtlich seiner Bösgläubigkeit ebenfalls erst der<br />

Zeitpunkt der Eigentumsumschreibung maßgeblich ist. Damit diese<br />

schädlichen anfechtungsrechtlichen Konsequenzen ausbleiben, wird der<br />

91<br />

Ebenso Amann, DNotZ 2010, 246, 254 ff.<br />

92<br />

Vgl. etwa Medicus, DNotZ 1990, 275; MünchKomm-BGB/Kanzleiter, 5. Aufl. § 925<br />

Rn. 35 ff.<br />

93<br />

MünchKomm-BGB/Kanzleiter, 5. Aufl. § 925 Rn. 35.<br />

94<br />

Ebenso Kesseler, MittBayNot 2009, 62; Amann, DNotZ 2010, 246, 254 ff.<br />

50


Notar zumindest sicherheitshalber stets ausdrücklich (auch) den Käufer<br />

einen eigenen Antrag auf Eintragung der Vormerkung stellen lassen. 95<br />

Aus grundbuchrechtlicher Sicht problematisch ist, ob neben dem Antrag<br />

des Notars gleichzeitig ein eigener Antrag des Käufers zulässig ist. Die<br />

Rechtsprechung und Teil der Literatur bejahen die Zulässigkeit. 96<br />

Überwiegend wird dies aber verneint. 97<br />

8. Folgen für den Anfechtungsgegner<br />

In der Gläubigeranfechtung kann sich der Anfechtungsgegner wegen<br />

der Erstattung einer Gegenleistung oder wegen eines Anspruchs, der<br />

infolge der Anfechtung wiederauflebt, nur an den Schuldner halten (§ 12<br />

AnfG). Für Forderungen des Anfechtungsgegners aus anderen, vom<br />

anfechtbaren Erwerbstatbestand unabhängigen Rechtsgründen gilt § 12<br />

AnfG nicht. Der Anfechtungsgegner kann diese Forderungen nach den<br />

allgemeinen Regeln geltend machen. 98<br />

In der Insolvenz richten sich die Rechtsfolgen für den Anfechtungsgegner<br />

nach § 144 InsO. Zwei Fälle sind zu unterscheiden:<br />

§ 144 Abs. 1 InsO erfasst den Fall, dass durch die anfechtbare Rechtshandlung<br />

eine Verbindlichkeit des Schuldners getilgt worden ist, die<br />

ihrerseits in nicht anfechtbarer Weise begründet wurde (Anfechtung nur<br />

des Verfügungsgeschäfts) oder die gegenüber dem Anfechtungsgegner<br />

nicht oder nicht wirksam angefochten wurde 99 . Gibt der Anfechtungsgegner<br />

das aufgrund einer anfechtbaren Leistung Erlangte an die Insolvenzmasse<br />

zurück, lebt seine Forderung wieder auf (§ 144 Abs. 1<br />

InsO). Zugleich mit der Forderung leben auch ihre unanfechtbar begründeten<br />

Sicherheiten auf. Bei akzessorischen Sicherheiten geschieht<br />

dies automatisch. Nicht akzessorische Sicherheiten bleiben bestehen.<br />

Wurden sie schon zurückgegeben, sind sie neu zu begründen 100 .<br />

95 In diesem Sinne Huber, MittBayNot 2010, Heft 3.<br />

96 BGHZ 71, 349 = DNotZ 1978, 696; BayObLG DNotZ 1989, 364; DNotZ 1989, 366,<br />

367; Demharter, GBO, § 31 Rn. 9; Bauch, Rpfleger 1982, 457; Nieder, NJW 1984,<br />

329.<br />

97 Schöner/Stöber, Rn. 183; Meikel/Böttcher, GBO, 10. Auflage 2009, § 15 Rn. 30;<br />

Winkler, BeurkG, 16. Auflage 2008, § 53 Rn. 8; Amann, DNotZ 2010, 246, 258.<br />

98 Huber, AnfG, 10. Aufl. § 12 Rn. 9.<br />

99 HK-InsO/Kreft, 5. Aufl. § 144 Rn. 2; MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 144 Rn. 3 und 5;<br />

Uhlenbruck/Hirte, InsO, § 144 Rn. 1 ff.<br />

100 HK-InsO/Kreft, 5. Aufl. § 144 Rn. 3 m. w. N.<br />

51


§ 144 Abs. 2 InsO erfasst die Anfechtung eines schuldrechtlich verpflichtenden<br />

Vertrages selbst 101 . Betroffen sind davon vor allem Anfechtungen<br />

nach §§ 132, 133 InsO. Hat der Anfechtungsgegner auf<br />

Grund des anfechtbaren Vertragsschlusses eine Gegenleistung erbracht,<br />

ist die Gegenleistung aus der Insolvenzmasse (nur) zu erstatten,<br />

soweit sie in dieser noch unterscheidbar vorhanden oder die Masse um<br />

ihren Wert bereichert ist. Darüber hinaus kann der Empfänger der anfechtbaren<br />

Leistung die Forderung auf Rückgewähr der Gegenleistung<br />

nur als Insolvenzgläubiger geltend machen (§ 144 Abs. 2 Satz 2 InsO).<br />

Nach § 144 Abs. 2 Satz 1, 2. Alt. InsO darf die Anfechtung nicht zu einer<br />

Bereicherung der Insolvenzmasse führen. Die Anfechtung gewährt<br />

einen Anspruch nur auf das, „was aus dem Vermögen des Schuldners<br />

herausgekommen ist“. Sonstige Vorteile – etwa Verwendungen auf den<br />

anfechtbar erhaltenen Gegenstand oder Wertsteigerungen des anfechtbar<br />

erworbenen Gegenstandes unter Einsatz eigener Mittel – dürfen<br />

dem Anfechtungsgläubiger nicht zugutekommen. 102 § 144 Abs. 2 Satz 1<br />

InsO ist dagegen nicht anwendbar, wenn der Anfechtungsgegner die<br />

Masse von einer Verbindlichkeit befreit hat. Die Insolvenzmasse (§ 35<br />

Abs. 1 InsO) ist allein das dem Schuldner gehörende Aktivvermögen.<br />

Dieses wird nicht vergrößert, wenn der Anfechtungsgegner Verbindlichkeiten<br />

des späteren Schuldners übernimmt. Der künftigen Masse fließt<br />

nichts zu. Eine befreiende Schuldübernahme wirkt sich allein auf die<br />

Summe der Insolvenzforderungen (§ 38 InsO) aus. Dieser Umstand ist<br />

ebenso wenig mit Mitteln der Masse auszugleichen wie andere Aufwendungen,<br />

die der Anfechtungsgegner im Zusammenhang mit dem<br />

angefochtenen Vertrag tätigt. Ein Ausgleich erfolgt allein über § 144<br />

Abs. 2 Satz 2 InsO (einfache Insolvenzforderung) 103 .<br />

Anderes gilt jedoch, wenn Verbindlichkeiten gegenüber einem Grundpfandrechtsgläubiger<br />

getilgt werden. Entscheidungen zur InsO liegen<br />

zwar nicht nicht vor. Grundpfandrechtsgläubiger sind jedoch nach § 49<br />

101<br />

MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 144 Rn. 13; Kreft, § 144 Rn. 4; Uhlenbruck/Hirte, InsO,<br />

§ 144 Rn. 9.<br />

102<br />

BGH, NJW 1984, 2890; NJW 1996, 3341, 3342; Huber, AnfG, 10. Aufl. 2006, § 11<br />

Rn. 32; Zeuner, Die Anfechtung in der Insolvenz, 2. Aufl. 2007, Rn. 496;<br />

MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 144 Rn. 17; HambKomm/Rogge, § 144 Rn. 21 f.; HK-<br />

InsO/Kreft, § 144 Rn. 5 – jew. m. w. N.; in diesem Sinne ebenso Jaeger/Henckel,<br />

InsO, § 143 Rn. 144 ausdrücklich für einen Anspruch auf Verwendungsersatz im<br />

Rahmen des § 143 InsO im Fall der Ablösung von Grundpfandrechten; a. A. aber RG<br />

WarnR 1927 Nr. 101, wenn Zahlungen zur Befreiung aus der Pfandhaft in Anrechnung<br />

der für den Schuldner bestimmten Gegenleistung erfolgten.<br />

103<br />

BGH vom 27.9.2007, Az.: IX ZR 74/06 = BeckRS 2007, 16641.<br />

52


InsO bevorrechtigt zu befriedigen. M. E. stellt die Ablösung eines Absonderungsrechts<br />

von daher eine vorrangig zu berücksichtigende<br />

Massebereicherung i. S. d. § 144 Abs. 2 Satz 1 InsO dar. Ähnlich entschied<br />

der BGH zum AnfG. Dort erkannte er in den vom Anfechtungsgegner<br />

abgelösten Grundpfandrechten ebenfalls bevorrechtigt zu befriedigende<br />

Aufwendungsersatzansprüche. 104<br />

9. Anfechtungssichere <strong>Vertragsgestaltung</strong>?<br />

Abschließend stellt sich die Frage, ob und wenn ja wie das Problem der<br />

Anfechtung nach dem AnfG bzw. der InsO <strong>bei</strong> der <strong>Vertragsgestaltung</strong><br />

für den Notar in den Griff zu bekommen ist. Gibt es also eine anfechtungssichere<br />

<strong>Vertragsgestaltung</strong>? Besondere Gefahren drohen <strong>bei</strong><br />

denjenigen Anfechtungstatbeständen, die eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung<br />

genügen lassen, es also ausreicht, wenn sich die<br />

gläubigerbenachteiligende Wirkung erst nachträglich herausstellt, etwa<br />

durch bloße Wertsteigerungen des anfechtbar übertragenen Grundstücks<br />

aufgrund geänderter Marktlage. 105<br />

a) Problem: Subjektive Kenntnis als Anfechtungsvoraussetzung<br />

Um es gleich vorweg zu nehmen: Eine zu 100 % „anfechtungssichere“<br />

<strong>Vertragsgestaltung</strong> gibt es nicht. Praktisch alle Tatbestände einer<br />

Gläubiger- oder Insolvenzverwalteranfechtung setzen voraus, dass der<br />

Anfechtungsgegner bösgläubig ist. Sanktioniert wird mit dem Anfechtungsrecht<br />

also die „verwerfliche Gesinnung“ des Anfechtungsgegners.<br />

Erst jüngst hat der BGH erneut seine Auffassung bestätigt,<br />

dass es für einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz als weitere Voraussetzung<br />

einer Anfechtung nicht darauf ankommt, ob es bereits im Zeitpunkt<br />

der Vornahme der später angefochtenen Rechtshandlung überhaupt<br />

Gläubiger gibt oder nicht. 106 Ob eine solche „verwerfliche Gesinnung“<br />

<strong>bei</strong>m Schuldner besteht und ob der Anfechtungsgegner davon<br />

Kenntnis hat, vermag der Notar nicht zu beurteilen und kann er mittels<br />

<strong>Vertragsgestaltung</strong> auch nicht beeinflussen. Eher umgekehrt droht die<br />

Gefahr, dass der Notar etwa durch eine zu ausführliche Belehrung erst<br />

104<br />

BGH NJW 1996, 3341, 3342; NJW 1984, 2890, 2892; NJW 1976, 1398, 1401;<br />

Amann, DNotZ 2010, 246, 261 ff.<br />

105<br />

BGH NJW 3341, 3342.<br />

106<br />

Ständige Rspr., zuletzt BGH MittBayNot 2010, 149 m. abl. Anm. Lotter; BGH WM<br />

1964, 1166, 1167; WM 1987, 881, 882; WM 1955, 407, 412; RGZ 26, 11, 13; OLG<br />

Dresden ZInsO 2007, 497, 499; MünchKomm-InsO/Kirchhof, 2. Aufl. § 133 Rn. 16.<br />

53


die Voraussetzungen der Anfechtbarkeit <strong>bei</strong>m Anfechtungsgegner<br />

schafft. 107<br />

Dennoch gibt es Möglichkeiten, zumindest teilweise das Anfechtungsrisiko<br />

zu minimieren. Es geht da<strong>bei</strong> vor allem um Fälle, in denen die<br />

Gefahr einer Anfechtung wegen einer kongruenten Deckung droht<br />

(§ 130 InsO). Hier erhält der potenzielle Anfechtungsgegner aus dem<br />

Vermögen des Schuldners eine Sicherung oder Befriedigung<br />

(Deckung), auf die er einen Anspruch hat (kongruent). 108 Eine mittelbare<br />

Gläubigerbenachteiligung genügt. Angefochten werden können solche<br />

kongruenten Deckungsgeschäfte allerdings nur, wenn sie innerhalb der<br />

letzten drei Monate vor dem Antrag auf Insolvenzeröffnung vorgenommen<br />

wurden .<br />

b) Bargeschäft<br />

7. Hinweis: In kritischen Situationen Einholung eines Wertgutachtens<br />

empfehlen<br />

Bei einem Bargeschäft gelangt an die Stelle des veräußerten Gegenstandes<br />

unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in das Vermögen<br />

des Schuldners. Nach § 142 InsO kann ein Bargeschäft nur unter den<br />

Voraussetzungen einer Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO angefochten<br />

werden. Diese Wertungen können auf die Gläubigeranfechtung<br />

nach dem AnfG übertragen werden. Dort fehlt eine ausdrückliche<br />

Regelung zum Bargeschäft. 109<br />

Gleichwertigkeit liegt vor, wenn lediglich eine Vermögensumschichtung<br />

gegeben ist, also der Leistungsaustausch nicht zu einer unmittelbaren<br />

Gläubigerbenachteiligung führt. 110 „Unmittelbar“ ist der Leistungsaustausch<br />

<strong>bei</strong> einer Zug-um-Zug-Leistung oder im Falle eines engen zeitlichen<br />

Zusammenhangs mit der Vorleistung des Schuldners. Rechtzeitig<br />

ist eine Gegenleistung im Grundstücksverkehr, wenn z. B. der Kaufpreis<br />

innerhalb der üblichen Zahlungsfristen von zwei bis vier Wochen bezahlt<br />

107<br />

Ganter, DNotZ 2004, 421 427; siehe zur Belehrung Reul/Heckschen/Wienberg, Insolvenzrecht<br />

in der Kautelarpraxis, S. 130 ff.<br />

108<br />

OLG Stuttgart ZInsO 2002, 986.<br />

109<br />

Huber, AnfG, 10. Aufl., § 1 Rn. 42.<br />

110<br />

HambKomm/Rogge, § 142 Rn. 10; HK/Kreft, InsO, § 142 Rn. 7.<br />

54


wird. 111 Wird auf die Vorleistung des Schuldners die Gegenleistung nur<br />

verzögert erbracht, liegt kein Bargeschäft vor 112 .<br />

Ein Bargeschäft scheidet ebenso aus, wenn der Kaufpreis nicht an den<br />

Verkäufer geleistet wird, sondern unmittelbar dessen Verbindlichkeiten<br />

gegenüber Dritten beglichen werden 113 . Übernimmt allerdings der<br />

Käufer <strong>bei</strong>m Kauf eines Grundstücks unter Anrechnung auf den Kaufpreis<br />

auf dem Grundstück lastende Grundpfandrechte, soll ein Bargeschäft<br />

vorliegen. 114 M. E. spricht nichts dagegen, diese Überlegungen<br />

auch auf den Fall der Lastenfreistellung durch Direktzahlung anzunehmen.<br />

Dafür streitet der Aspekt, dass es stets um die Befriedigung<br />

von absonderungsberechtigten Gläubigern geht, die in der Insolvenz bevorrechtigt<br />

zu befriedigen sind (§ 49 InsO). Rechtsprechung liegt hierzu<br />

noch nicht vor.<br />

Auf die Frage der Gleichwertigkeit der sich gegenüberstehenden<br />

Leistungen hat der Notar regelmäßig keinen Einfluss. In der Regel kann<br />

er auch nicht sicher beurteilen, ob die vereinbarte Gegenleistung dem<br />

Marktwert entspricht. Hier kann in kritischen Situationen die vorherige<br />

Einholung eines Sachverständigengutachtens sinnvoll sein. Steht eine<br />

Vorsatzanfechtung im Raum, nützt dieses auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses<br />

eingeholte Wertgutachten allerdings nichts. Bei der Vorsatzanfechtung<br />

genügt eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung. Maßgebender<br />

Zeitpunkt ist der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung im<br />

Anfechtungsprozess. Bloße nachträgliche Wertsteigerungen können<br />

also genügen. 115<br />

8. Hinweis: Von Stundungsabreden absehen<br />

Im Rahmen der <strong>Vertragsgestaltung</strong> kann der Notar aber darauf Einfluss<br />

nehmen, ob es zu einem „unmittelbaren“ Leistungsaustausch kommt<br />

oder nicht. Von daher sollte von Stundungsabreden abgeraten<br />

werden. 116<br />

111 Huber, AnfG, 10. Aufl., § 3 Rn. 46 ff.; MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 142 Rn. 20;<br />

Reul/Heckschen/Wienberg, Insolvenzrecht in der Kautelarpraxis, 148.<br />

112 HK/Kreft, InsO, § 142 Rn. 5; siehe zum Bargeschäft BGH NJW 2006, 2701 = BGHZ<br />

167, 190.<br />

113 MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 142 Rn. 4a; Jenn, ZfIR 2009, 174, 181; Kesseler,<br />

RNotZ 2004, 176, 192.<br />

114 HambKomm /Rogge, § 142 Rn. 12; Kübler/Prütting/Tintelnot, InsO, 2001, § 142<br />

Rn. 12.<br />

115 BGH NJW 1996, 3341, 3342.<br />

116 Schumacher-Hey, RNotZ 2004, 543, 551.<br />

55


9. Hinweis: Eintragung einer Vormerkung erst nach Sicherstellung<br />

des Kaufpreises auf Notaranderkonto<br />

Vorsorge zu treffen ist auch <strong>bei</strong> der Bestellung einer Vormerkung, da<br />

darin eine Vorleistung des Schuldners liegen kann. Hier kann z.B. bestimmt<br />

werden, den Antrag auf Eintragung einer Vormerkung erst zu<br />

stellen nach Einzahlung des Kaufpreises auf Notaranderkonto. 117<br />

Geschieht dies nicht, ist zum einen fraglich, ob noch ein unmittelbarer<br />

gleichwertiger Leistungsaustausch im Sinne eines Bargeschäfts nach<br />

§ 142 InsO gegeben ist. Darüber hinaus droht hier der Vorwurf einer<br />

strafbaren Bankrotthandlung nach §§ 283 ff. StGB. Betroffen ist davon<br />

auch der Notar. Nach Auffassung des RG kann sich dieser nach § 283<br />

Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar machen, wenn er die Eintragung einer Vormerkung<br />

veranlasst, ohne dass die Zahlung des Kaufpreises gesichert<br />

ist. 118<br />

c) Bestellung einer Vormerkung<br />

Für eine anfechtungssichere <strong>Vertragsgestaltung</strong> ist auch an dieser<br />

Stelle zuvörderst der Hinweis zu geben, möglichst frühzeitig den Antrag<br />

auf Grundbuchvollzug, zumindest aber den Antrag auf Eintragung einer<br />

Vormerkung zu stellen.<br />

Wichtig ist die Vormerkung zum einen wegen § 106 InsO, um das Verwalterwahlrecht<br />

auszuschließen und einen erzwingbaren Anspruch<br />

gegen die Masse zu begründen.<br />

Bedeutung hat die Vormerkung aber auch für das Anfechtungsrecht. Mit<br />

der Bestellung einer Vormerkung wird damit nach §§ 8 Abs. 2 AnfG, 140<br />

Abs. 2 InsO zum einen aber weiter erreicht, dass möglichst frühzeitig<br />

die Anfechtungsfristen zu laufen beginnen. Zum andern wird damit der<br />

Zeitpunkt festgelegt, auf den es für das Vorliegen einer unmittelbaren<br />

Gläubigerbenachteiligung und einer „verwerflichen Gesinnung“ des Anfechtungsgegners<br />

ankommt. Eine Anfechtung scheidet danach aus,<br />

wenn der z.B. der Käufer erst nach Stellung des Antrag auf Eintragung<br />

117 Vgl. Heckschen, MittBayNot 1999, 11, 15 f.; Heckschen, MittRhNotK, 1999, 11, 16;<br />

Schumacher-Hey, RNotZ 2004, 543, 551; Krauß, Immobilienkaufverträge in der<br />

Praxis, Rn. 884.<br />

118 RG DRiZ 34, 315; Stree/Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl. 2001, § 283<br />

Rn. 4; Jursnik, MittBayNot 1999, 125 (139).<br />

56


der Vormerkung gestellt wurde (§§ 8 Abs. 2 S. 2 AnfG, 140 Abs. 2 S. 2<br />

InsO) bösgläubig wird. 119<br />

Um diese Vorwirkungen der Vormerkung und ihrer Antragstellung<br />

rechtssicher zu gestalten, ist Voraussetzung allerdings – wie oben dargestellt<br />

-, dass der Anfechtungsgegner (= Käufer) selbst den Antrag<br />

<strong>bei</strong>m Grundbuchamt stellt. Eine Antragstellung durch den Notar wird<br />

von der momentanen Rechtsprechung des BGH – entgegen der hier<br />

vertretenen Ansicht – wohl nicht für ausreichend erachtet. 120 Dies ist <strong>bei</strong><br />

der <strong>Vertragsgestaltung</strong> und <strong>bei</strong>m Vollzug zu berücksichtigen.<br />

d) Direktzahlung zur Lastenfreistellung<br />

10. Hinweis: Direktzahlungen an Gläubiger des Schuldners nur<br />

zum Zwecke der Lastenfreistellung von Grundpfandrechtsgläubigern<br />

(nicht sonstiger Gläubiger)<br />

Ein besonderes Anfechtungsrisiko droht möglicherweise, wenn zum<br />

Zwecke der Lastenfreistellung der Kaufpreis ganz oder teilweise unmittelbar<br />

an abzulösende Grundpfandrechtsgläubiger geleistet wird. Ob<br />

ein Bargeschäft vorliegt, ist offen. Für einen – nicht grundpfandrechtlich<br />

gesicherten – Gläubiger, an den die Zahlungen durch den Leistenden<br />

anstelle des späteren Insolvenzschuldners erbracht werden, handelt es<br />

sich regelmäßig um eine anfechtbare inkongruente Deckung im Sinne<br />

des § 131 InsO. Der Gläubiger als Leistungsempfänger hat nur Anspruch<br />

auf Zahlung durch seinen Schuldner selbst, nicht aber auf<br />

Zahlung durch Dritte 121 . Anfechtungsgegner ist der Zahlungsempfänger,<br />

nicht aber der Zahlende 122 . Da<strong>bei</strong> ist das Vorliegen einer inkongruenten<br />

Deckung weiter ein starkes Beweisanzeichen dafür, dass der Schuldner<br />

mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz handelte und der Anfechtungsgegner<br />

dies wusste. 123<br />

119 BGH ZIP 2008, 930; HambKomm/Rogge, 3. Aufl., § 130 Rn. 16; MünchKomm-<br />

InsO/Kirchhof, 2. Aufl., § 130 Rn. 32; HK-InsO/Kreft, 5. Aufl., § 130 Rn. 22.<br />

120 BGH ZIP 2001, 933, 935 = NJW 2001, 2477; MittBayNot 2009, 61; MittBayNot 2010,<br />

Heft 3, m. Anm. Huber; unklar dagegen BGH v. 10.12.2009, Az. IX ZR 203/06; anders<br />

dagegen die Schlussfolgerungen von Amann im Hinblick auf die vorgenannte Entscheidung<br />

vom 10.12.2009, DNotZ 2010, 246, 254 ff.<br />

121 BGH NJW 1999, 3636; ZIP 2003, 356, 358; ZIP 2006, 290 = NJW 2006, 1348; Gottwald/Huber,<br />

Insolvenzrechtshandbuch, § 51 Rn. 59 und § 47 Rn. 48;<br />

HambKomm/Rogge, § 129 Rn. 32; MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 129 Rn. 49.<br />

122 BGH NJW 1999, 3636; ZIP 2003, 356, 358; ZIP 2006, 290; ZIP 2007, 1162 = ZfIR<br />

2008, 78; zuletzt BGH NZI 2008, 167 = DNotZ 2008, 454.<br />

123 BGH ZInsO 2006, 94; HambKomm /Rogge, § 133 Rn. 32.<br />

57


Ob eine solche Anfechtung wegen inkongruenter Deckung auch gegenüber<br />

grundpfandrechtlich gesicherten Gläubigern, an die Zahlungen<br />

zum Zwecke der Lastenfreistellungen erbracht werden, Platz greift, ist<br />

wiederum danach zu beurteilen, ob damit eine Gläubigerbenachteiligung<br />

einher geht. Anders als in den vom BGH entschiedenen Fällen, ist<br />

<strong>bei</strong> Grundstückskaufverträgen mit einer Direktzahlung zur Lastenfreistellung<br />

Empfänger der Drittzahlungen ein nach § 49 InsO<br />

bevorrechtigter Grundpfandrechtsgläubiger. Eine Gläubigerbenachteiligung<br />

dürfte somit ausscheiden.<br />

Der BGH bejaht im Falle einer Drittzahlung neben einer Anfechtung<br />

gegenüber dem Zahlungsempfänger ausnahmsweise auch eine gegenüber<br />

dem Zahlenden 124 unter dem Aspekt einer Vorsatzanfechtung nach<br />

§ 133 Abs. 1 InsO. Der Zahlende (Angewiesener) und der Zahlungsempfänger<br />

sind dann Gesamtschuldner nach § 426 BGB auf Rückgewähr<br />

der Leistungen zur Insolvenzmasse gem. § 143 InsO.<br />

Eine Vorsatzanfechtung greift freilich nur, wenn der Schuldner <strong>bei</strong><br />

Abschluss der Verrechnungsabrede (hier <strong>bei</strong> Abschluss des Kaufvertrages<br />

mit der Vereinbarung über die Direktzahlung) mit dem Vorsatz<br />

gehandelt hat, seine Gläubiger zu benachteiligen und wenn dem Käufer<br />

dieser Benachteiligungsvorsatz bekannt war. Der BGH bejaht einen<br />

solchen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz, wenn der Schuldner <strong>bei</strong><br />

Vornahme der Rechtshandlung die Benachteiligungen der Gläubiger im<br />

Allgemeinen als Erfolg seiner Rechtshandlung gewollt oder als<br />

mutmaßliche Folge – sei es auch als unvermeidliche Nebenfolge eines<br />

an sich erstrebten anderen Vorteils – erkannt und gebilligt hat. Ein<br />

Schuldner, der seine Zahlungsunfähigkeit kennt, handelt in aller Regel<br />

mit Benachteiligungsvorsatz 125 . Auch wenn im Verhältnis zwischen dem<br />

Schuldner und dem Zahlungsempfänger eine inkongruente Deckung<br />

gegeben ist, in der ein erhebliches Beweisanzeichen für eine Kenntnis<br />

von dem Benachteiligungsvorsatz des Schuldners liegt 126 , ist diese<br />

Indizwirkung hier ohne Bedeutung 127 . Der Angewiesene als Zahlender<br />

muss sich die an die Inkongruenz anknüpfenden Beweiswirkungen nicht<br />

anrechnen lassen.<br />

124 BGH NZI 2008, 167 = DNotZ 2008, 454<br />

125 BGHZ 155, 75, 83 f., BGH NZI 2008, 167.<br />

126 BGH NJW 2006, 1348.<br />

127 BGH NZI 2008, 167, 169 f.<br />

58


M. E dürften im Regelfall die Voraussetzungen einer solchen Vorsatzanfechtung<br />

nach § 133 InsO nicht gegeben sein. Die Direktzahlung <strong>bei</strong><br />

einem Grundstückskaufvertrag zum Zwecke der Lastenfreistellung ist<br />

ein „üblicher Geschäftsvorgang.“ 128 Hieraus kann nicht die Absicht des<br />

Insolvenzschuldners entnommen werden, seine Gläubiger zu benachteiligen.<br />

Eine Anfechtung ist dagegen zu bejahen, wenn eine Direktzahlung an<br />

nicht grundpfandrechtlich gesicherte Gläubiger des Verkäufers geht.<br />

Diese haben kein bevorrechtigtes Befriedigungsrecht. Von einer solchen<br />

<strong>Vertragsgestaltung</strong> ist dringend abzuraten.<br />

e) Abwarten des kritischen Zeitraums von drei Monaten<br />

11. Hinweis: Nur <strong>bei</strong> Notverkäufen/in Zweifelsfällen: Fälligkeit des<br />

Kaufpreises oder Auszahlungen vom Notaranderkonto erst nach<br />

Ablauf des kritischen 3-Monats-Zeitraums<br />

Besonders hoch ist das Risiko einer Insolvenzverwalteranfechtung nach<br />

§§ 130 – 131 InsO wegen kongruenter oder inkongruenter Deckung in<br />

den letzten drei Monaten vor dem Insolvenzantrag. Hier genügt grundsätzlich<br />

eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung. Ebenso können nach<br />

§ 132 InsO Rechtsgeschäfte des Schuldners innerhalb dieser letzten<br />

drei Monate vor dem Insolvenzeröffnungsantrag wegen unmittelbarer<br />

Gläubigerbenachteiligung <strong>bei</strong> Bösgläubigkeit des Anfechtungsgegners<br />

angefochten werden. Erfasst sind davon z. B. Notverkäufe weit unter<br />

Wert, mit denen der Schuldner fehlende Liquidität zu gewinnen sucht.<br />

Eine Anfechtung nach §§ 130, 131 InsO greift hier nicht in jedem Fall. 129<br />

Insolvenzschutz kann zunächst dadurch erreicht werden, dass eine<br />

gleichwertige Gegenleistung erbracht und dies mittels Wertgutachten<br />

bestätigt wird. Eine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung liegt im Zeitpunkt<br />

der Vornahme der Rechtshandlung dann nicht vor.<br />

Das Anfechtungsrisiko kann hier weiter dadurch minimiert werden, dass<br />

Leistungen des Anfechtungsgegners erst nach Ablauf von drei Monaten<br />

fällig gestellt werden oder Auszahlungen vom Notaranderkonto erfolgen.<br />

Damit wird gleichzeitig verhindert, dass z. B. der Vormerkungsschutz<br />

infolge Rückschlagssperre nach § 88 InsO unwirksam wird. Stehen sich<br />

128 BGH NZI 2008, 167, 170.<br />

129 MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 132 Rn. 1.<br />

59


ei Vornahme der Rechtshandlung Leistung und Gegenleistung gleichwertig<br />

gegenüber, scheidet eine Anfechtung aus. Nachträgliche Wertverschiebungen<br />

spielen keine Rolle.<br />

Im Hinblick auf die Fälligkeitsmitteilung bzw. auf die Auszahlung vom<br />

Notaranderkonto könnte z. B. darauf abgestellt werden, <strong>bei</strong>m örtlich zuständigen<br />

Insolvenzgericht (§§ 3 InsO, 12, 13 ZPO) nachzufragen, ob<br />

ein Insolvenzantrag gestellt wurde oder nicht. Hierüber könnte der Notar<br />

eine Eigenurkunde errichten. Ggf. kann als weitere Fälligkeitsvoraussetzung<br />

die Tatsache des fehlenden Insolvenzantrags nach Ablauf von<br />

drei Monaten vereinbart werden. Dies erscheint m.E. aber nicht<br />

zwingend. Soweit dies nicht der Fall ist und die Fälligkeit nach drei<br />

Monaten mitgeteilt wird, ist es dann Sache des Käufers, ob er – trotz<br />

Insolvenzantrag innerhalb von drei Monaten und entsprechenden<br />

Risikohinweises des Notars – den Kaufpreis bezahlt oder nicht. Ob ihm<br />

in diesem Fall ein Zurückbehaltungsrecht nach § 321 BGB zusteht, ist<br />

denkbar. Die eingetragene Vormerkung genügt als Sicherheit wohl<br />

nicht, wenn das Risiko der Anfechtbarkeit besteht.<br />

Bei Abwicklung über Notaranderkonto muss der Notar entscheiden, ob<br />

er auszahlt oder nicht. Hier muss m.E. als Auszahlungsvoraussetzung<br />

vereinbart werden, dass zum Zeitpunkt der Auszahlung (nach drei<br />

Monaten) <strong>bei</strong>m örtlich zuständigen Insolvenzgericht kein Insolvenzantrag<br />

gestellt wurde. Andernfalls ist der Käufer nicht geschützt.<br />

f) Sonstige Anfechtungstatbestände<br />

Von vornherein keine Rolle spielt der 3-Monats-Zeitraum <strong>bei</strong> der<br />

Gläubigeranfechtung nach dem AnfG. Nach Ablauf dieser drei Monate<br />

kommt nur noch eine Anfechtung wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung,<br />

wegen einer unentgeltlichen Leistung bzw. wegen entgeltlichen<br />

Leistungen mit nahestehenden Personen in Betracht (§§ 133,<br />

134 InsO). Gleiches gilt nach dem AnfG.<br />

Einen besonderen Schutz vor dem Anfechtungsrisiko außerhalb dieses<br />

3-Monats-Zeitraums kann die <strong>Vertragsgestaltung</strong> praktisch nicht leisten:<br />

aa) Schenkungsanfechtung, Vorsatzanfechtung<br />

Bei einer vorsätzlichen Gläubigerbenachteiligung oder <strong>bei</strong> einer Anfechtung<br />

wegen Unentgeltlichkeit genügt eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung.<br />

Die Anfechtungsfrist beträgt <strong>bei</strong> der Schenkungs-<br />

60


anfechtung vier Jahre und <strong>bei</strong> der Vorsatzanfechtung zehn Jahre. In<br />

<strong>bei</strong>den Fällen scheidet ein Schutzbedürfnis des Anfechtungsgegners<br />

von vornherein weitgehend aus:<br />

Der Anfechtungsgegner erbringt entweder schon gar keine Gegenleistung<br />

und bedarf deshalb <strong>bei</strong> der Schenkungsanfechtung keines besonderen<br />

Schutzes.<br />

Oder der Anfechtungsgegner ist im Falle der Vorsatzanfechtung wegen<br />

seiner Bösgläubigkeit per se nicht schützenswert. Dies gilt namentlich<br />

auch in dem Fall, dass der Anfechtungsgegner zunächst im Rahmen<br />

eines Bargeschäfts eine unmittelbare und gleichwertige Gegenleistung<br />

erbringt. Kommt es nachträglich zu Wertsteigerungen des anfechtbar<br />

übertragenen Grundstücks (mittelbare Gläubigerbenachteiligung) und<br />

greift eine Vorsatzanfechtung Platz, hilft das Vorliegen eines Bargeschäfts<br />

nichts. Unter den Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung<br />

kann auch ein Bargeschäft angefochten werden (§ 142 InsO).<br />

Ist in einem solchen Fall die Anfechtung statthaft und ist der anfechtbar<br />

erworbene Grundbesitz an die Masse zurückzugewähren (§ 143 InsO),<br />

kann ein (gewisser) Schutz für den Anfechtungsgegner jedoch dann<br />

erreicht werden, wenn der Anfechtungsgegner zumindest die von ihm<br />

erbrachte Gegenleistung bevorrechtigt zurückerhält und nicht lediglich<br />

auf die Insolvenzquote verwiesen ist. Eine solche bevorrechtigte Befriedigung<br />

steht dem Anfechtungsgegner aber nur zu, wenn er aus<br />

eigenen Mitteln eine Wertsteigerung des anfechtbar weggegebenen<br />

Grundstücks erreicht hat. Dies ist z. B. der Fall, wenn er selbst absonderungsberechtigte<br />

Gläubiger befriedigt hat. Derartige Wertsteigerungen<br />

aufgrund Verwendung eigener Mittel dürfen der Insolvenzmasse<br />

nicht zugute kommen und sind bevorrechtigt zurückzuerstatten.<br />

130<br />

Für die <strong>Vertragsgestaltung</strong> folgt hieraus, soweit als möglich die Gegenleistung<br />

zur Lastenfreistellung zu verwenden. Gelingt dies nicht, weil<br />

etwa Teile des Kaufpreises nicht für die Lastenfreistellung benötigt<br />

werden, und werden diese Zahlungen an den späteren Insolvenzschuldner<br />

erbracht, bleibt es da<strong>bei</strong>, dass diese Teile der Gegenleistung<br />

nur als einfache Insolvenzforderungen geltend gemacht werden können<br />

und nur mit der Insolvenzquote befriedigt werden. Hier kann die <strong>Vertragsgestaltung</strong><br />

keinen weiteren Schutz gewähren.<br />

130<br />

BGH NJW 1996, 3341, 3342; NJW 1984, 2890, 2892; NJW 1976, 1398, 1401;<br />

Amann, DNotZ 2010, 246, 261 ff.<br />

61


) Anfechtung entgeltlicher Leistungen mit nahestehenden Personen<br />

Bei einer Anfechtung einer entgeltlichen Leistung mit nahestehenden<br />

Personen ist Voraussetzung eine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung.<br />

Es gilt eine zwei-jährige Anfechtungsfrist. Es kommt<br />

auf den Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung an. Liegt eine<br />

solche unmittelbare Gläubigerbenachteiligung in diesem Zeitpunkt nicht<br />

vor, droht dem redlichen Gläubiger, der nur beabsichtigt, das zu erhalten,<br />

was ihm nach dem Vertrag zusteht (kongruente Deckung), kein<br />

Risiko. Auch hier kann es hilfreich sein, wenn zum Nachweis der<br />

Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung ein Wertgutachten<br />

eingeholt wird.<br />

Nachfolgende Wertsteigerungen, wie sie <strong>bei</strong> einer mittelbaren<br />

Gläubigerbenachteiligung seinen Rechtserwerb gefährden könnten, sind<br />

dann für den Anfechtungsgegner ohne Bedeutung.<br />

Freilich droht auch hier die Gefahr, dass der Insolvenzverwalter seine<br />

Anfechtung mit einer Vorsatzanfechtung begründet. Bedingter Vorsatz<br />

genügt. 131 Festzustellen ist da<strong>bei</strong> allerdings, dass der Schuldner, der<br />

nur seine Verbindlichkeiten gegenüber dem Gläubiger erfüllt, nicht<br />

schon mit Benachteiligungsvorsatz handelt. Für die Vorsatzanfechtung<br />

ist <strong>bei</strong> kongruenten Deckungsgeschäften stets ein unlauteres Verhalten<br />

des Schuldners zu fordern. 132 Das Bewusstsein, infolge der Erfüllung<br />

einer Verpflichtung nicht alle Gläubiger befriedigen zu können, reicht<br />

nicht aus. Selbst der Schuldner, der seine Überschuldung kennt, dem<br />

es aber mehr auf die Erfüllung seiner Vertragspflichten als auf die<br />

Schädigung der übrigen Gläubiger ankommt, handelt nicht mit Benachteiligungsvorsatz.<br />

133 Vorsätzlich handelt der Schuldner dagegen,<br />

wenn es ihm weniger auf die Erfüllung seiner Verbindlichkeiten als auf<br />

die Schädigung der übrigen Gläubiger durch Beseitigung von Zugriffsobjekten<br />

oder auf die Begünstigung seines Vertragspartners an-<br />

131 BGH MittBayNot 2010, 149; NJW 2006, 2701, 2702; ZInsO 2007, 819, 820; Kirchhof,<br />

in: MünchKomm-InsO, § 132 Rn. 13 ff.; Uhlenbruck/Hirte, § 133 Rn. 12 ff.<br />

132 BGHZ 12. 232, 238; Huber, AnfG, 10. Aufl., § 3 Rn. 36; Kirchhof, in: MünchKomm-<br />

InsO, § 132 Rn. 33 ff.; Uhlenbruck/Hirte, § 133 Rn. 18 ff.<br />

133 BGH NJW 1991, 2144, 2145; Huber, AnfG, 10. Aufl., § 3 Rn. 36; Kirchhof, in:<br />

MünchKomm-InsO, § 132 Rn. 33a; vgl. dazu aber BGH MittBayNot 2010, 149,<br />

m. Anm. Lotter.<br />

62


kommt. 134 Dies kann der Fall sein, wenn der Schuldner an einen<br />

Gläubiger ein Grundstück verkauft, um dem Gläubiger die Möglichkeit<br />

zu geben, mittels Aufrechnung seine offenen Forderungen zu tilgen.<br />

Hier droht eine Anfechtung wegen inkongruenter Deckung nach § 131<br />

InsO mit dem Argument, der Gläubiger habe keine Anspruch auf Befriedigung<br />

mittels Aufrechnung. Ebenso droht ggf. eine Vorsatzanfechtung<br />

nach § 133 Abs. 1 und Abs. 2 InsO. Die Aufrechnung ist<br />

nach § 96 Abs 1 Nr. 3 InsO in <strong>bei</strong>den Fällen unzulässig. 135 Keine Anfechtung<br />

droht in diesem Fall mangels Gläubigerbenachteiligung, wenn<br />

der Käufer, zu dessen Gunsten die Aufrechnungslage hergestellt wurde,<br />

insolvenzbeständiges Sicherungseigentum hatte. 136 Gleiches gilt, wenn<br />

der Käufer als Grundpfandrechtsgläubiger absonderungsberechtigt und<br />

damit vorrangig zu befriedigen ist (§ 49 InsO).<br />

Zu beachten ist hier die Beweislastumkehr nach §§ 3 Abs. 2 AnfG, 133<br />

Abs. 2 S. 2 InsO. Auch <strong>bei</strong> einem kongruenten Deckungsgeschäft hat<br />

der Anfechtungsgegner seine Redlichkeit zu beweisen. 137<br />

g) Sonderfall: Lastenfreistellung <strong>bei</strong> wertausschöpfend belasteten<br />

Grundstücken<br />

12. Hinweis: Bewirken der Lastenfreistellung <strong>bei</strong> (wertausschöpfend)<br />

belasteten Grundstücken nur mit eigenen Mitteln des<br />

Käufers bzw. mittels Schuldübernahme unmittelbar gegenüber<br />

dem abzulösenden Gläubiger; ggf. Vereinbarung eines Rücktrittsrechts<br />

Werden wertausschöpfend mit Grundpfandrechten belastete Grundstücke<br />

veräußert, liegt keine Gläubigerbenachteiligung vor.<br />

Grundsätzlich droht kein Anfechtungsrisiko, wenn der Käufer die<br />

Lastenfreistellung vollständig durch eigene Mittel bewirkt oder er den<br />

Grundbesitz mit allen Belastungen unter Anrechnung auf den Kaufpreis<br />

übernimmt. 138<br />

134<br />

BGH NJW 1969, 1719; NJW 1984, 1893, 1898; NJW 1994, 2893, 2895; OLG<br />

Dresden ZIP 2003, 1052, 1053; Kirchhof, in: MünchKomm-InsO, § 132 Rn. 33a;<br />

Uhlenbruck/Hirte, § 133 Rn. 19.<br />

135<br />

BGH NZI 2004, 620; NZI 2009, 67, mit Anm. Huber.<br />

136<br />

BGH NZI 2004, 620.<br />

137<br />

Huber, AnfG, 10. Aufl., § 3 Rn. 64.<br />

138<br />

Vgl. BGH DNotZ 2009, 844 = MittBayNot 2010, Heft 3 mit Anm. Huber.<br />

63


Anders ist es, wenn die Lastenfreistellung dagegen (teilweise) noch<br />

durch den Verkäufer mit eigenen Mitteln bewirkt wird oder dieser einen<br />

(teilweisen) Forderungsverzicht mit den abzulösenden Gläubigern aushandelt.<br />

139 Bleibt der Kaufpreis hinter dem Verkehrswert zurück, liegt<br />

trotz wertausschöpfender Belastung eine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung<br />

vor, die zur Anfechtung berechtigt. 140 Auch eine mittelbare<br />

Gläubigerbenachteiligung ist gegeben, denn hier hat der Käufer die<br />

Lastenfreistellung gerade nicht mit eigenen Mitteln beseitigt. 141 Allein<br />

das Vorliegen einer wertausschöpfenden Belastung im Zeitpunkt der<br />

Veräußerung genügt also nicht, um ein Anfechtungsrisiko auszuschließen.<br />

Bei einer mittelbaren Gläubigerbenachteiligung (z. B. §§ 3<br />

Abs. 1, 4 AnfG, 130, 131, 133 Abs. 1, 134 InsO), reicht es aus, wenn<br />

diese erst in der letzten mündlichen Tatsacheninstanz feststeht.<br />

Zuvörderst ist hier im Rahmen der <strong>Vertragsgestaltung</strong> und -abwicklung<br />

darauf zu achten, möglichst früh den anfechtungsrechtlich maßgeblichen<br />

Zeitpunkt für die Vornahme der Rechtshandlung (Lauf der Anfechtungsfrist)<br />

als auch für die Bösgläubigkeit des Anfechtungsgegners<br />

festzulegen. Es sollte daher so schnell als möglich Antrag auf Eintragung<br />

einer Vormerkung gestellt werden (§ 140 Abs. 2 S. 1 InsO). Im<br />

Hinblick auf die entgegenstehende Rechtsprechung sollte da<strong>bei</strong> nicht<br />

allein auf eine Antragstellung durch den Notar vertraut werden. Vielmehr<br />

sollte ausdrücklich ein eigener Antrag des Erwerbers (Käufers) neben<br />

oder anstelle des Antrags des Notars gestellt werden. 142<br />

Inwieweit in dieser Konstellation im Übrigen das Anfechtungsrisiko<br />

mittels <strong>Vertragsgestaltung</strong> in den Griff zu bekommen ist, ist letztlich<br />

davon abhängig, welcher konkrete Anfechtungstatbestand droht:<br />

Soweit <strong>bei</strong> den einzelnen Anfechtungstatbeständen eine unmittelbare<br />

Gläubigerbenachteiligung genügt (§§ 132, 133 Abs. 2 InsO, 3 Abs. 2<br />

AnfG), besteht ein Risiko nicht, wenn die Lastenfreistellung ohne Mitwirkung<br />

des Verkäufers erreicht wird, z. B. durch eine vollständige<br />

Schuldübernahme der dinglich gesicherten Forderungen durch den<br />

Käufer und einem Forderungsverzicht der Gläubiger unmittelbar im Verhältnis<br />

zwischen Käufer und Gläubiger. Es ist darauf abzustellen, dass<br />

es allein der Vertragspartner des Schuldners ist, der die Lastenfrei-<br />

139 Vgl. dazu Amann, DNotZ 2010, 246 ff.<br />

140 BGH DNotZ 2009, 844 = MittBayNot 2010, Heft 3 mit Anm. Huber.<br />

141 Huber, MittBayNot 2010, Heft 3.<br />

142 BGH ZIP 2001, 933, 935 = NJW 2001, 2477; MittBayNot 2009, 61; MittBayNot 2010,<br />

Heft 3, m. Anm. Huber; unklar dagegen BGH v. 10.12.2009, Az. IX ZR 203/06.<br />

64


stellung mit eigenen Mitteln bewirkt, nicht aber der Schuldner. 143 Nur<br />

dann kann sich der Vertragspartner auf die wertausschöpfende Belastung<br />

berufen. Zum Schutz des Käufers ist im Vertrag ein Rücktrittsrecht<br />

zu vereinbaren für den Fall, dass sich ein solcher Forderungsverzicht<br />

der Gläubiger nicht realisieren lässt.<br />

Genügt dagegen eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung, wie etwa <strong>bei</strong><br />

einer Anfechtung wegen kongruenter oder inkongruenter Deckung,<br />

droht Gefahr lediglich für den kritischen Drei-Monats-Zeitraum (§§ 130,<br />

131 InsO). Mittels Hinausschieben der Fälligkeit bzw. des Zeitpunkts der<br />

Auszahlung vom Notaranderkonto kann hier das Anfechtungsrisiko<br />

vermieden werden.<br />

Eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung genügt ebenso <strong>bei</strong> einer Vorsatzanfechtung.<br />

Da hier aber eine 10-jährige Anfechtungsfrist besteht<br />

und auch Bargeschäfte von einer Anfechtung nicht ausgenommen sind<br />

(§§ 3 Abs. 1 AnfG, 133 Abs. 1 InsO), bringt hier eine Hinausschieben<br />

der Fälligkeit bzw. eine im Zeitpunkt der Vertragsdurchführung erbrachte<br />

gleichwertige Gegenleistung nichts. Eine Anfechtung wegen<br />

später eintretender Wertsteigerungen ist dadurch nicht ausgeschlossen.<br />

Ist indessen vertraglich vorgesehen, dass der spätere Anfechtungsgegner<br />

Leistungen zum Zwecke der Lastenfreistellung (nur) an abzulösende<br />

Gläubiger erbringt, hat er im Falle der Anfechtung dann einen<br />

auch in der Insolvenz bevorrechtigt zu befriedigenden Anspruch auf<br />

Aufwendungsersatz. Damit sichert die <strong>Vertragsgestaltung</strong> immerhin<br />

einen Ersatz dieser Aufwendungen. Werden Leistungen jedoch (auch)<br />

an den späteren Insolvenzschuldner selbst erbracht, können diese nach<br />

einer Anfechtung lediglich als einfache Insolvenzforderungen geltend<br />

gemacht werden. Mehr kann die <strong>Vertragsgestaltung</strong> in diesem Fall nicht<br />

leisten. Ein weiterer Schutz ist in diesem Fall der Vorsatzanfechtung<br />

mangels Schutzbedürftigkeit des bösgläubigen Anfechtungsgegners<br />

auch nicht angezeigt.<br />

h) Sicherung des Anfechtungsrisikos nur im Einzelfall<br />

Die vorstehenden Überlegungen gelten nicht standardmäßig für jeden<br />

Vertrag. In Betracht kommen diese Regelungen vielmehr nur dann,<br />

wenn ein Anfechtungsrisiko virulent ist. Dies ist z.B. der Fall <strong>bei</strong> einem<br />

Notverkauf, wenn allen Beteiligten die kritische finanzielle Situation des<br />

Verkäufers bekannt ist, die Beteiligten aber gleichwohl auf dem Ver-<br />

143 BGH NJW 1984, 2890, 2892; NJW 1996, 3341; Huber, AnfG, 10. Aufl. § 1 Rn. 41.<br />

65


tragsschluss bestehen. Wollen die Beteiligten nicht ein etwaiges Insolvenzverfahren<br />

und den Vertragsschluss mit dem Insolvenzverwalter<br />

abwarten, bieten die vorstehenden Überlegungen zumindest einen teilweisen<br />

Schutz vor den Rechtsfolgen einer Anfechtung. Ein weiterer<br />

Schutz ist weder möglich noch angezeigt. Eine Anfechtung ist dann nur<br />

noch <strong>bei</strong> Vorsatz und einer verwerflichen Gesinnung des Anfechtungsgegners<br />

denkbar. Die Beteiligten sind dann nicht schutzwürdig.<br />

VIII. Sonderfall: Insolvenz eines wegzufertigenden Gläubigers<br />

Soll ein im Grundbuch eingetragenes beschränktes dingliches Recht<br />

gelöscht werden, ist nach materiellem Recht dafür eine Aufgabeerklärung<br />

des Berechtigten gem. § 875 BGB sowie die Löschung des<br />

Rechts im Grundbuch erforderlich. Die Löschung im Grundbuch selbst<br />

erfolgt aufgrund Löschungsbewilligung des Berechtigten nach § 19<br />

GBO.<br />

1. Löschungsbewilligung des Insolvenzschuldners oder des<br />

Insolvenzverwalters<br />

Fäll das wegzufertigende Recht in die Insolvenzmasse fällt, ist die<br />

Aufgabeerklärung und Löschungsbewilligung Insolvenzverwalters erforderlich.<br />

Dies beurteilt sich nach §§ 35, 36 InsO. In die Insolvenzmasse<br />

fallen Grundpfandrechte, subjektiv-persönliche Reallasten 144 und<br />

der Nießbrauch, Dienstbarkeiten und ein dingliches Wohnungsrecht<br />

dagegen nur dann, wenn nach § 1092 BGB die Übertragung der Ausübung<br />

gestattet ist.<br />

Ist für die Erteilung der Löschungsbewilligung der Insolvenzverwalter<br />

zuständig, stellt sich wiederum die Frage, ob dieser auch verpflichtet ist,<br />

die Löschungsbewilligung zu erteilen. Dies ist der Fall, wenn der<br />

Löschungsanspruch mittels Vormerkung gesichert ist (§ 106 Abs. 1 S. 1<br />

InsO). Andernfalls ist der Löschungsanspruch nur eine einfache Insolvenzforderung,<br />

in Geld umzurechnen und mit der Insolvenzquote zu<br />

befriedigen (§§ 38, 45, 159 InsO).<br />

2. Insbesondere Löschung einer Sicherungsgrundschuld<br />

Handelt es sich <strong>bei</strong> dem wegzufertigenden Recht um eine Sicherungsgrundschuld,<br />

stellt sich weiter die Frage, ob der Insolvenzverwalter an<br />

144 Vgl. Schöner/Stöber, Rn. 1313.<br />

66


die Abreden der Sicherungsvereinbarung gebunden ist und das Recht<br />

ohne weitere Gegenleistung löschen lassen muss oder ob er die Grundschuld<br />

in Höhe ihres Nominalwertes zuzüglich Zinsen und Nebenleistung<br />

unabhängig von diesen Vereinbarungen verwerten kann (durch<br />

freihändige Veräußerung oder im Wege der Zwangsversteigerung nach<br />

§ 1147 BGB). Regelmäßig wird de Löschungsanspruch <strong>bei</strong> einer<br />

Sicherungsgrundschuld nicht mit einer Vormerkung gesichert. § 106<br />

InsO hilft also nicht weiter.<br />

Im Grunde ist davon auszugehen, dass der Insolvenzverwalter im<br />

Rahmen seiner Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nach § 80 InsO<br />

darin frei ist, ob und wenn ja unter welchen Bedingungen er zur Insolvenzmasse<br />

gehörende Rechte aufgibt und deren Löschung bewilligt.<br />

Andererseits ist der Insolvenzverwalter gehalten, das zur Insolvenzmasse<br />

gehörende Vermögen des Schuldners zum Zwecke der gleichmäßigen<br />

Gläubigerbefriedigung bestmöglich zu verwerten (§§ 1, 159<br />

InsO). Er wird daher bestrebt sein, für die Löschung eines Rechts eine<br />

möglichst hohe „Gegenleistung“ zu erhalten.<br />

Wurde <strong>bei</strong> Bestellung des Rechts für den späteren Insolvenzschuldner<br />

gleichzeitig ein Anspruch auf Aufgabe und Löschung des Rechts zugunsten<br />

des Grundstückseigentümers vereinbart, handelt es sich um<br />

einen einfachen schuldrechtlichen Anspruch, der eine nicht privilegierte<br />

Insolvenzforderung nach § 38 InsO begründet. Der Insolvenzverwalter<br />

ist an die Vereinbarung nicht gebunden. Anders ist die Rechtslage dagegen,<br />

wenn der Anspruch auf Aufgabe und Löschung ein<br />

Absonderungs- oder Aussonderungsrecht nach §§ 47 ff. InsO begründet<br />

oder mittels Vormerkung gesichert ist (§ 106 InsO).<br />

Wird ein Recht zur Sicherung einer schuldrechtlichen Forderung bestellt,<br />

ist jedoch anerkannt, dass dieses Recht Treuhandcharakter hat<br />

(Sicherungstreuhand). Der Gläubiger hält das Recht nur treuhänderisch<br />

zur Sicherheit. Nach h.M. besteht auf Grund dieses Sicherungscharakters<br />

in der Insolvenz des Gläubigers = Sicherungsnehmers =<br />

Treuhänders für den Sicherungsgeber = Treugeber ein Aussonderungsrecht<br />

nach § 47 InsO. Danach kann er seinen Rückgewähranspruch<br />

gegen den Insolvenzverwalter unter denselben Voraussetzungen<br />

geltend machen wie vor der Insolvenz des Sicherungsnehmers 145 . Bei<br />

Sicherungsgrundschulden hat der an sich nur schuldrechtlich wirkende<br />

145<br />

Clemente, Recht der Sicherungsgrundschuld, 4. Aufl. 2008, Rn. 1024; MünchKomm-<br />

InsO/Ganter, § 47 Rn. 341, 375.<br />

67


Rückgewähranspruch damit (ausnahmsweise) „Aussonderungskraft“ 146<br />

Der Insolvenzverwalter ist danach an die zwischen Insolvenzschuldner<br />

und Sicherungsgeber getroffene Sicherungsabrede gebunden 147 .<br />

Voraussetzung für die Geltendmachung des Aussonderungsrechts ist<br />

die Erfüllung der gesicherten Forderung oder die Tatsache, dass der<br />

zwischen den Parteien vereinbarte Sicherungszweck auf andere Weise<br />

entfallen ist 148 . Bis dahin kann der Insolvenzverwalter des Sicherungsnehmers<br />

die Zurückgabe der Sicherheit verweigern 149 .<br />

Allerdings schränkt der BGH diese allgemeinen Grundsätze zur<br />

Sicherungstreuhand im Liegenschaftsrecht nunmehr dahingehend ein,<br />

dass dort ein Aussonderungsrecht des „Treugebers“ immer nur dann<br />

besteht, wenn der Anspruch des Treugebers auf Änderung der dinglichen<br />

Rechtslage durch Vormerkung gesichert ist 150 . Die Entscheidung<br />

betraf das Volleigentum, nicht dagegen eine Sicherungsgrundschuld. In<br />

der Entscheidung hat es der BGH ausdrücklich offengelassen, ob diese<br />

Grundsätze auch auf diejenigen dinglichen Rechte an Grundstücken<br />

anwendbar sind, die – wie Mobilien – außerhalb des Grundbuchs übertragen<br />

werden können 151 . Insoweit unterscheidet der BGH selbst<br />

zwischen Buch- und Briefrechten. Unklar ist daher, ob diese Entscheidung<br />

auch auf Sicherungsgrundschulden Anwendung findet 152 . Die<br />

überwiegende Ansicht in der Literatur verneint dies 153 . Dieser Auffassung<br />

ist zu folgen 154 . Bei Grundschulden, zumal <strong>bei</strong><br />

Sicherungsgrundschulden, existiert im Rechtsverkehr von vornherein<br />

146 MünchKomm-InsO/Ganter, § 47 Rn. 341, 371 ff.; Kreft/Lohmann, InsO, § 47 Rn. 21;<br />

Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht/Büchler, § 47 Rn. 32, 39.<br />

147 Clemente, Recht der Sicherungsgrundschuld, Rn. 1024.<br />

148 MünchKomm-InsO/Ganter, § 47 Rn. 375; Kreft/Lohmann, InsO, § 47 Rn. 21;<br />

Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht/Büchler, § 47 Rn. 39.<br />

149 MünchKomm-InsO/Ganter, § 47 Rn. 375;<br />

150 BGHZ 155, 227 = DNotZ 2004, 128 = NJW 2003, 3414; zustimmend MünchKomm-<br />

InsO/Ganter, § 47 Rn. 390c; Armbrüster, DZWiR 2003, 485 ff.; Pause/Vogel, NZBau<br />

2009, 10, 11; vgl. auch BGHZ 166, 319 = DNotZ 2006, 685 zur fehlenden Insolvenzfestigkeit<br />

des gesetzlichen Löschungsanspruchs nach § 1179a BGB, s. hierzu ausf.<br />

Schmucker, FS Wolfsteiner, 189 ff.<br />

151 BGHZ 55, 227.<br />

152 Bejahend Pause/Vogel, NZBau 2009, 10, 11, ohne die Frage weiter zu<br />

problematisieren. Undifferenziert in diese Richtung ebenso MünchKomm-<br />

InsO/Ganter, § 47 Rn. 390c; Frankfurter Kommentar zur InsO/Joneleit/imberger, § 47<br />

Rn. 41, Braun/Bäuerle, InsO, § 47 Rn. 65.<br />

153 Leitzen, ZfIR 2008, 823, 824 f.; Stürner, KTS 2004, 259, 264 ff.; Fleckner, ZIP 2004,<br />

585, 590; Bitter, WM 2003, 2068, 2069 f.: „über das Ziel hinaus geschossen;“<br />

Jaeger/Henckel, InsO § 47 Rn. 79; Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 50 Rn. 40;<br />

Clemente, Die Sicherungsgrundschuld, Rn. 1024; BeckOK-BGB/Rothe, 2. Auflage<br />

2007, § 1192 Rn. 242.<br />

154 Leitzen, ZfIR 2008, 823, 824 f.<br />

68


kein Vertrauen, dass der Vermögenswert zum Eigenvermögen des Inhabers<br />

gehöre, so dass es in keiner Weise durch Gläubigerschutzgesichtspunkte<br />

gerechtfertigt wäre, den Wert der Sicherheit dem<br />

Eigentümer auf Dauer vorzuenthalten 155 . Im Ergebnis muss daher der<br />

Insolvenzverwalter die Vorgaben der Sicherungsvereinbarung beachten<br />

und die Sicherungsgrundschuld löschen lassen, wenn die zugrunde<br />

liegende Forderung getilgt ist.<br />

C. Zusammenfassung<br />

Das Insolvenzrisiko nimmt auch vor einer notariellen <strong>Vertragsgestaltung</strong><br />

nicht halt. Berücksichtigt der Notar allerdings die allgemeinen Grundsätze<br />

einer jeden notariellen <strong>Vertragsgestaltung</strong>, so ist das Insolvenzrisiko<br />

für die Beteiligten zumindest teilweise beherrschbar. Besondere<br />

Bedeutung hat auch hier die Bestellung einer Vormerkung. Sie vermeidet<br />

nicht nur das Insolvenzverwalterwahlrecht, sondern hat auch<br />

Bedeutung im Zusammenhang mit der Gläubiger- und der Insolvenzverwalteranfechtung.<br />

Bereits die Stellung des Antrags auf Eintragung<br />

einer Vormerkung <strong>bei</strong>m Grundbuchamt verschiebt den Zeitpunkt für den<br />

Lauf der Anfechtungsfristen nach vorne. Maßgeblich ist dieser Zeitpunkt<br />

ebenso für die subjektive Kenntnis des Anfechtungsgegners. Eine Antragstellung<br />

durch den Notar genügt nach hier vertretener Ansicht.<br />

Anderer Ansicht ist dagegen die Rechtsprechung. Sicherheitshalber<br />

sollte deshalb stets ein eigener Antrag des Käufers (Anfechtungsgegners)<br />

gestellt werden. Bei einem Bargeschäft und einer unmittelbaren,<br />

gleichwertigen Gegenleistung scheidet eine Anfechtung grundsätzlich<br />

aus. Hilfreich kann hier ein Wertgutachten sein. Durch Vermeidung<br />

von Vorleistungen und Stundungsabreden, aber auch durch<br />

Hinausschieben der Fälligkeit oder des Zeitpunkts für Auszahlungen<br />

vom Notaranderkonto lässt sich das Anfechtungsrisiko weiter einschränken.<br />

Besondere Vorkehrungen sind auch <strong>bei</strong> der Veräußerung<br />

wertausschöpfend belasteter Grundstücke angezeigt. Wegen seiner<br />

subjektiven Komponente lässt sich das Anfechtungsrisiko durch <strong>Vertragsgestaltung</strong><br />

jedoch insgesamt nicht vermeiden. Handelt der<br />

Schuldner mit Benachteiligungsvorsatz und ist der Vertragspartner bösgläubig,<br />

ist der Vertragspartner insoweit nicht schutzwürdig. Auch ein an<br />

sich nicht anfechtbares Bargeschäft ist danach anfechtbar, wenn eine<br />

mittelbare Gläubigerbenachteiligung hinzukommt. Durch unmittelbare<br />

Leistungen an abzulösende Gläubiger kann aber zumindest insoweit<br />

eine bevorrechtigte Befriedigung der eigenen Aufwendungen im Falle<br />

155 Bitter, WM 2003, 2068, 2070.<br />

69


der Anfechtung abgesichert werden. Dies gilt auch im Falle der Vorsatzanfechtung.<br />

Die <strong>Vertragsgestaltung</strong> kann jedoch keinen besonderen<br />

Schutz nach einer Insolvenzverwalteranfechtung gewähren, wenn<br />

Leistungen unmittelbar an den späteren Insolvenzschuldner erbracht<br />

werden. Kein besonderes Insolvenzrisiko besteht in der Insolvenz eines<br />

abzulösenden Grundpfandrechtsgläubigers. Hier ist der Insolvenzverwalter<br />

an die Sicherungsabreden des Schuldners gebunden.<br />

70


Die Zuwendung eines Familienheims nach der<br />

Erbschaftsteuerreform 2008/2009<br />

Prof. Dr. Klaus Tiedtke,<br />

Universität Würzburg, Vorsitzender des INotR Würzburg<br />

Seite<br />

A. Einführung ...................................................................................73<br />

B. Überblick über die einzelnen Befreiungstatbestände .............73<br />

I. Lebzeitige Zuwendung eines Familienheims unter<br />

Ehegatten, § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG...................................73<br />

1. Anwendungsbereich........................................................73<br />

2. Familienheim...................................................................74<br />

a) Nutzung zu eigenen Wohnzwecken .........................74<br />

b) Bebaute Grundstücke im Sinne des § 181 Abs. 1<br />

Nr. 1 – 5 BewG..........................................................75<br />

3. Umfang der Befreiung.....................................................76<br />

II. Erwerb des Familienheims von Todes wegen durch den<br />

Ehepartner, § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG .................................80<br />

1. Erwerb von Todes wegen ...............................................80<br />

2. Sinn und Zweck der Regelung........................................81<br />

3. Begünstigte Objekte........................................................81<br />

4. Eigennutzung durch den Erblasser bis zum Erbfall ........82<br />

5. Bestimmung zur unverzüglichen Selbstnutzung durch<br />

den Erwerber...................................................................82<br />

6. Ausschluss der Steuerbefreiung – Begünstigungs-<br />

transfer ............................................................................83<br />

7. Nachträglicher Wegfall der Steuerbefreiung...................84<br />

III. Erwerb des Familienheims von Todes wegen durch Kinder<br />

oder Kinder verstorbener Kinder, § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG 86<br />

1. Sinn und Zweck der Regelung........................................86<br />

2. Voraussetzungen ............................................................86<br />

71


72<br />

3. Umfang der Steuerbefreiung...........................................87<br />

4. Nachträglicher Wegfall der Steuerbefreiung ...................89<br />

C. Zweifelsfragen <strong>bei</strong> der Auslegung einzelner Tatbestände......89<br />

I. Im Rahmen der lebzeitigen Übertragung nach § 13 Abs. 1<br />

Nr. 4a ErbStG – Lebensmittelpunkt <strong>bei</strong>der oder eines<br />

Ehegatten – ............................................................................89<br />

II. Im Rahmen des Erwerbs von Todes wegen nach<br />

§ 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG......................................................91<br />

1. Definition des Familienheims i.S.d.<br />

§ 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG ..............................................91<br />

2. Umfang der Selbstnutzung durch den Erwerber.............94<br />

3. Umfang der entfallenden Steuerbefreiung ......................95<br />

4. Zwingende Gründe..........................................................96<br />

a) Beim Erblasser..........................................................96<br />

b) Beim Erwerber ..........................................................98<br />

D. Folgerungen für die notarielle Gestaltungspraxis.................102<br />

I. Lebzeitige Übertragung eines Familienheims als<br />

Gestaltungsmittel..................................................................102<br />

II. Nießbrauchsgestaltungen ....................................................104<br />

III. Teilungsanordnung oder Vorausvermächtnis ......................105<br />

IV. Ausgleich von Belastungsunterschieden <strong>bei</strong> der<br />

Testamentsgestaltung..........................................................105<br />

V. Ausschluss und Kürzung des Schuldenabzugs ...................106<br />

E. Fazit .......................................................................................107


A. Einführung<br />

Bereits nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG a.F. war die Übertragung eines<br />

zu eigenen Wohnzwecken genutzten Familienheims schenkungsteuerfrei.<br />

Daran hat sich durch die Reform des Erbschaftsteuer- und<br />

Schenkungsteuerrechts 2008/2009 nichts geändert. Während bislang<br />

nur die lebzeitige Zuwendung eines Familienheims unter Ehegatten<br />

steuerfrei war, gewährt der durch die Erbschaftsteuerreform neu geschaffene<br />

§ 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG auch <strong>bei</strong>m Erwerb von Todes<br />

wegen durch den überlebenden Ehepartner oder Lebenspartner eine<br />

vollständige Steuerbefreiung. Der Gesetzgeber knüpft diese allerdings<br />

an strengere Bedingungen. Im Zuge der Erbschaftsteuerrechtsreform<br />

hat er erstmals auch den Erwerb eines Familienheims von Todes wegen<br />

durch Kinder oder Kinder verstorbener Kinder von der Erbschaftsteuer<br />

befreit, soweit die Wohnfläche der Wohnung 200 qm nicht übersteigt,<br />

§ 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG. Eine lebzeitige Zuwendung, wie sie für Ehegatten<br />

nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG steuerbefreit ist, bleibt hingegen<br />

<strong>bei</strong> Kindern und Enkeln weiterhin voll steuerpflichtig.<br />

Die neuen Befreiungstatbestände werfen zahlreiche Fragen auf, die im<br />

Folgenden erörtert werden sollen.<br />

B. Überblick über die einzelnen Befreiungstatbestände<br />

I. Lebzeitige Zuwendung eines Familienheims unter Ehegatten,<br />

§ 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG<br />

1. Anwendungsbereich<br />

Die Zuwendung eines Familienwohnheims zwischen Ehegatten bleibt<br />

schenkungsteuerfrei, und zwar künftig auch für eingetragene Lebenspartner<br />

und für Objekte, die sich in einem Mitgliedstaat der EU oder<br />

einem Staat des EWR befinden. Die Begünstigung gilt nur für Übertragungen<br />

unter Lebenden und während bestehender Ehe. Sie kann bis<br />

zur Rechtskraft der Scheidung (also auch noch im Rahmen von<br />

Scheidungsvereinbarungen) in Anspruch genommen werden. Es<br />

kommen alle in § 7 Abs. 1 ErbStG aufgeführten Erwerbsvorgänge in<br />

Betracht. Nicht begünstigt ist daher eine Schenkung auf den Todesfall<br />

(§ 2301 BGB); nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG gilt diese als Erwerb von<br />

Todes wegen.<br />

73


Die Zuwendung kann in der Übertragung von Alleineigentum oder Miteigentum<br />

bestehen oder durch Geldzuwendungen zum Zwecke des<br />

Kaufs oder der Herstellung erfolgen sowie zur Tilgung von Verbindlichkeiten<br />

gegeben werden, die der andere Ehegatte im Zusammenhang<br />

mit der Anschaffung oder Herstellung des Familienwohnheims begründet<br />

hat. In welchem Güterstand die Eheleute leben, ist unerheblich.<br />

Auch eine Übertragung unter Nießbrauchsvorbehalt ist unschädlich. 1<br />

Im Gegensatz zur Zuwendung von Familienheimen von Todes wegen<br />

(§ 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG) braucht der Beschenkte das Objekt<br />

weder für einen bestimmten Zeitraum in seinem Eigentum zu halten,<br />

noch ist es erforderlich, dass er es nach der Schenkung weiter zu<br />

eigenen Wohnzwecken nutzt. Voraussetzung ist lediglich, dass das<br />

Objekt im Übertragungszeitpunkt als Familienheim genutzt wird.<br />

2. Familienheim<br />

Entgegen der bisherigen Fassung spricht das Gesetz nicht vom<br />

„Familienwohnheim,“ sondern von einem „Familienheim.“ Den<br />

Gesetzesmaterialien kann eine Begründung für diese Begriffsmodifizierung<br />

nicht entnommen werden. Maßgeblich ist jedoch, dass sich<br />

auch die Definition geändert hat: Nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a a.F. war das<br />

Familienwohnheim ein zu eigenen Wohnzwecken genutztes Haus oder<br />

eine zu eigenen Wohnzwecken genutzte Eigentumswohnung. Nach der<br />

Neuregelung gilt als Familienheim ein bebautes Grundstück im Sinne<br />

von § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BewG, soweit darin eine Wohnung zu<br />

eigenen Wohnzwecken genutzt wird.<br />

a) Nutzung zu eigenen Wohnzwecken<br />

Wesentliches Kriterium des Familienheims ist die Nutzung zu eigenen<br />

Wohnzwecken. Das setzt voraus, dass die Ehegatten die Wohnung<br />

gemeinsam, ggf. mit zum Haushalt gehörenden Familienmitgliedern,<br />

insbesondere Kindern, Enkeln, Eltern und Schwiegereltern, nicht nur<br />

vorübergehend bewohnen. Das Familienheim wird nicht durch eine gemeinsame<br />

Widmung der Eheleute, sondern durch eine tatsächliche<br />

gemeinsame Nutzung begründet. In der Wohnung muss sich der Mittelpunkt<br />

des familiären Lebens <strong>bei</strong>der Ehegatten oder Lebenspartner be-<br />

1 Viskorf, in: Viskorf/Knobel/Schuck, ErbStG, 3. Aufl. (2009), § 13 Rn. 39.<br />

74


finden. 2 Dies ist auch dann zu bejahen, wenn einer der Ehegatten<br />

berufsbedingt während der Woche an seinem Beschäftigungsort lebt<br />

und sich nur am Wochenende und während der ar<strong>bei</strong>tsfreien Zeit in der<br />

gemeinsamen Wohnung aufhalten kann. 3<br />

Der Lebensmittelpunkt der Ehegatten kann jedoch nur in einer<br />

Wohnung liegen. 4 Zweitwohnungen, Ferien- oder Wochenendhäuser<br />

stellen demnach kein Familienheim dar und sind insofern nicht steuerfrei<br />

nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG. 5 Schließlich will der Gesetzgeber,<br />

was bereits der Begriff „Familienheim“ deutlich macht, nicht jede von<br />

Ehegatten bewohnbare Immobilie steuerfrei stellen, sondern ausschließlich<br />

den Kernbereich der ehelichen Lebensgemeinschaft. 6<br />

Bei einem gemeinsamen Umzug der Eheleute wird die neue Wohnung<br />

zum Familienheim, die bislang bewohnte ist damit nicht mehr befreit.<br />

Hier<strong>bei</strong> ist zu berücksichtigen, dass es <strong>bei</strong> § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG<br />

keinen Objektverbrauch gibt, die Ehepartner können also während der<br />

Ehe mehrmals bebaute Grundstücke übertragen, sofern diese zum<br />

Zeitpunkt der Zuwendung jeweils als Familienheim zu qualifizieren sind.<br />

Die Voraussetzungen einer Steuerbefreiung liegen daher nicht vor,<br />

wenn die Übertragung erfolgen soll, bevor die Ehegatten die Wohnung<br />

bezogen haben, etwa weil noch Renovierungsar<strong>bei</strong>ten vorab erforderlich<br />

waren; 7 zu diesem Zeitpunkt befindet sich ihr Lebensmittelpunkt<br />

noch in ihrer bisherigen Wohnung.<br />

b) Bebaute Grundstücke im Sinne des § 181 Abs. 1 Nr. 1 – 5 BewG<br />

Nach neuer Rechtslage ist jedes bebaute Grundstück i.S.d. § 181 Abs.1<br />

Nr. 1–5 BewG begünstigt, soweit sich darauf ein Familienheim befindet.<br />

Mit der neuen Formulierung trug der Gesetzgeber zunächst der Kritik<br />

2<br />

R 43 Abs. 1 S. 1 ErbStR 2003; vgl. auch Hardt, ZEV 2004, 408, 409; Kapp/Ebeling,<br />

ErbStG, 12. Aufl., 52.Erg.-Lfg. (2008), § 13 Rn. 38; Kien-Hümbert, in: Moench,<br />

ErbStG, 49.Erg-Lfg., § 13 Rn. 27 f.<br />

3<br />

Vgl. Geck, ZEV 2008, 557, 558.<br />

4<br />

Kien-Hümbert, in: Moench (Fn. 2), § 13 Rn. 27; Viskorf, in: Viskorf/Knobel/Schuck<br />

(Fn. 1), § 13 Rn. 39.<br />

5<br />

R 43 Abs. 1 S. 10 ErbStR 2003; Geck, ZEV 2006, 108; Kien-Hümbert, in: Moench<br />

(Fn. 2), § 13 Rn. 27; Meincke, ErbStG, 15. Aufl., § 13 Rn. 20; Schumann, DStR 2009,<br />

197, 198; Viskorf, in: Viskorf/Knobel/Schuck (Fn. 1), § 13 Rn. 39; a.A.<br />

6<br />

Herrmann/B.Michel, in: Wilms/Jochum, ErbStG, 37. Erg.-Lfg.,§ 13 Rn. 42; Jülicher, in:<br />

Troll/Gebel/Jülicher,ErbStG, 38. Erg.-Lfg (2009), § 13 Rn. 69.<br />

Vgl. BT-Drs. 13/901, 157; BT-Drs. 13/1558, 176.<br />

7<br />

A.A. Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher (Fn. 5), § 13 Rn. 62.<br />

75


am bisherigen Wortlaut des Gesetzes Rechnung, der als „ungenau“ 8<br />

bezeichnet wurde; Zuwendungsgegenstand ist nach dem Zivilrecht nicht<br />

ein Haus, wie die bisherige Gesetzesfassung meinte, sondern ein<br />

Grundstück, das mit einem oder mehreren Wohnungen bebaut ist. Angesichts<br />

dieser Ungenauigkeit bestanden Zweifel, ob mit dem bisherigen<br />

Begriff „Eigentumswohnung“ nur die nach dem WEG verselbständigte<br />

Eigentumswohnung gemeint war oder jede im Eigentum des<br />

Zuwenders befindliche Wohnung.<br />

Diese Ungenauigkeiten sind nunmehr beseitigt. Mit der Bezugnahme<br />

auf § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BewG steht außer Frage, dass die Steuerbefreiung<br />

Ein- und Zweifamilienhäuser, Mietwohngrundstücke,<br />

Wohnungs- und Teileigentum, Geschäftsgrundstücke und gemischt<br />

genutzte Grundstücke in gleicher Weise erfasst. Damit hat der Gesetzgeber<br />

klargestellt, dass die Eigenart des Gebäudes für die Frage der<br />

Steuerbefreiung unerheblich ist, wenn es sich um eines der genannten<br />

Objekte handelt. Die Steuerbefreiung bezieht sich nach ihrem Sinn und<br />

Zweck nicht nur auf das Gebäude, sondern auch auf das Grundstück,<br />

dessen wesentlicher Bestandteil es nach § 94 Abs. 1 Satz 1 BGB ist.<br />

Auch übergroße Grundstücke sind uneingeschränkt begünstigt. Eine<br />

dem § 72 Abs. 2 BewG und dem § 74 Satz 1 2. Halbsatz BewG einschränkende<br />

Regelung fehlt hier. In welchem Umfang allerdings diese<br />

Grundstücke steuerbefreit sind, hängt davon ab, in welcher Weise sie<br />

als Familienheim genutzt werden. Unbebaute Grundstücke sind von der<br />

Vergünstigung ausgeschlossen, Gebäude auf fremdem Grund und<br />

Boden gelten dagegen als bebaute Grundstücke.<br />

3. Umfang der Befreiung<br />

War eine selbstständige Wohnung in einem Zwei- oder Dreifamilienhaus<br />

vermietet, hat die Finanzverwaltung 9 die Steuerfreiheit bisher ganz versagt,<br />

also eine Aufteilung in einen selbst genutzten begünstigten Teil<br />

und einen fremd vermieteten abgelehnt. Um die Steuerfreiheit auch in<br />

derartigen Fällen zu erhalten, war es erforderlich, die Immobilie vor der<br />

Übertragung gegebenenfalls in Eigentumswohnungen aufzuteilen.<br />

Nach der Neufassung des § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG ist die Zuwendung<br />

eines bebauten Grundstücks i.S.d. § 181 Abs. 1 Nr.1-5 BewG steuerfrei,<br />

8 Geck, ZEV 1996, 107, 108; Hardt, ZEV 2004, 408; Tiedtke/Wälzholz, ZEV 2000, 19.<br />

9 R 43 Abs. 1 ErbStR 2003.<br />

76


soweit darin eine Wohnung zu eigenen Zwecken genutzt wird. Der<br />

Gesetzgeber hat damit eine anteilige Freistellungsregelung getroffen. 10<br />

Damit ist der frühere Meinungsstreit 11 zu der Frage, ob die Steuerbefreiung<br />

<strong>bei</strong> teilweiser Fremdvermietung ganz (Alles- oder- Nichts-<br />

Prinzip) oder nur anteilig zu versagen war, überholt. Die Formulierung<br />

„soweit“ spricht für eine anteilige Freistellungsregel. In der Gesetzesbegründung<br />

werden die Änderungen in § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG zwar als<br />

„redaktionelle Anpassung“ 12 bezeichnet und im Übrigen nicht weiter<br />

erörtert. Das widerlegt indes keinesfalls die vorliegende Auslegung, die<br />

bereits vor der Erbschaftsteuerreform dem Normzweck Geltung verschaffte<br />

13 und nunmehr durch den eindeutigen Wortlaut der Vorschrift<br />

bestätigt wird.<br />

Wird ein Ein- oder Zweifamilienhaus vollständig von den Ehegatten zu<br />

eigenen Wohnzwecken genutzt, so ist die gesamte Zuwendung steuerfrei.<br />

Ist dies jedoch nicht der Fall, muss das zivilrechtlich einheitliche<br />

Eigentum nach dem Nutzungs- und Funktionszusammenhang in einen<br />

eigen genutzten und einen fremd vermieteten oder gewerblich genutzten<br />

Teil aufgeteilt werden. Dies geschieht grundsätzlich nach dem<br />

Verhältnis der Wohn- und Nutzflächen. Hierdurch wird einerseits verhindert,<br />

dass Vermögensteile steuerfrei sind, die nicht den Kernbereich<br />

der ehelichen Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft berühren.<br />

Andererseits ermöglicht die Neuregelung eine steuerliche Begünstigung<br />

dieses Kernbereichs <strong>bei</strong> Gebäuden, in denen die Wohnnutzung neben<br />

der gewerblichen und beruflichen Nutzung insgesamt nicht mehr überwiegt.<br />

Damit ist eine eigen genutzte Wohnung auch dann steuerfrei, wenn sie<br />

sich in einem Anwesen befindet, das überwiegend fremd vermietet ist<br />

oder gewerblich genutzt wird. 14 Bei der räumlichen Abgrenzung des<br />

10 Vgl. auch Richter/Viskorf/Philipp, DB 2009, Beilage Nr. 2 zu Heft Nr.6, S. 10.<br />

11 Vgl. BFH vom 26.2.2009 – II R 69/06, BStBl. II 2009, 480, 481, FG Rheinland-Pfalz,<br />

Urteil vom 18.02.1999, EFG 1999, 619; FG Nürnberg, Urteil vom 5.10.2006,<br />

IV 292/2003, EFG 2007, S. 207; Hardt; ZEV 2004, 408, 409; Jülicher, in:<br />

Troll/Gebel/Jülicher (Fn.5), § 13 Rn. 65; Lemaire, EFG 2007, 209; Tiedtke/Wälzholz,<br />

ZEV 2000, 19,20; Wälzholz, FR 2007, 638, 641.<br />

12 BT – Drs. 16/11107, 10.<br />

13 Vgl. BFH vom 26.2.2009 – II R 69/06, BStBl. II 2009, 480, 481; Tiedtke/Wälzholz,<br />

ZEV 2000, 19,20; Wälzholz, FR 2007, 638.<br />

14 Diese Auffassung wird nunmehr von der Finanzverwaltung geteilt, vgl. die Erlasse der<br />

obersten Finanzbehörden der Länder zur Anwendung der geänderten Vorschriften<br />

des Erbschaftsteuer-und Schenkungsteuergesetzes vom 25.06.2009, Abschnitt 3<br />

77


Familienheims ist nicht erforderlich, dass es sich um jeweils abgeschlossene<br />

Wohnungen i.S.d. § 181 Abs. 9 BewG handelt. Eine<br />

Wohnung i.S. dieser Regelung ist <strong>bei</strong> einer Wohneinheit gegeben, die<br />

zwar nach Größe, Ausstattung und Abgeschlossenheit den Wohnungsbegriff<br />

erfüllt. Es kann aber auch die Zusammenfassung mehrerer<br />

Wohnungen i.S.d. § 181 Abs. 9 BewG in einem Objekt als Familienheim<br />

gelten, wenn sich die tatsächliche Wohnnutzung über mehrere solcher<br />

Einheiten erstreckt. 15 Entscheidend ist der Nutzungs- und Funktionszusammenhang.<br />

Erforderlich ist jedoch, dass die jeweiligen Einheiten<br />

räumlich abgrenzbar sind. Bewohnen die Ehegatten gemeinsam im<br />

dritten Stock eine Wohnung und nutzen sie im Erdgeschoss einen<br />

Fitnessraum mit Sauna, so ist auch dieser steuerbefreit. Das Gleiche<br />

gilt, wenn Ehegatten mehrere Wohnungen in einem Haus gemeinsam<br />

nutzen oder weitere Wohnungen in dem von ihnen bewohnten Hausanwesen<br />

nahen Angehörigen oder einer angestellten Haushaltshilfe zur<br />

Verfügung stellen, falls diese Personen mit den Ehegatten einen gemeinsamen<br />

Hausstand führen. Es ist unerheblich, ob dies entgeltlich<br />

oder unentgeltlich geschieht und das Nutzungsrecht auf einem dinglichen<br />

Wohnrecht beruht. 16 Garagen, Dachböden und Keller nehmen an<br />

der Steuerbefreiung ebenso teil. 17 Eine Garage ist selbst dann steuerbefreit,<br />

wenn sie in unmittelbarer Nähe zur ehelichen Wohnung, jedoch auf<br />

einem anderen Grundstück liegt. 18<br />

Fraglich ist, ob ein Ar<strong>bei</strong>tszimmer, das sich in der gemeinsamen<br />

Wohnung der Ehegatten befindet, nach der neuen Rechtslage <strong>bei</strong> der<br />

Berechnung der steuerfreien Nutzfläche zu berücksichtigen ist. Bislang<br />

galt es als unschädlich. 19 Bei strenger Beurteilung des Nutzungs- und<br />

Funktionszusammenhangs wäre dies grundsätzlich zu verneinen.<br />

Andererseits ist die Aufspaltung des Zuwendungsgegenstandes in<br />

steuerfreies und steuerpflichtiges Vermögen auf abgrenzbare Teile zu<br />

begrenzen. 20 Das Ar<strong>bei</strong>tszimmer bleibt jedoch trotz seiner Nutzung zu<br />

beruflichen Zwecken Teil der ehelichen Wohnung. Als solcher wird er<br />

Abs. 2 Satz 11 (BStBl. I 2009, 713, 716) und Schmitt, in: Tiedtke, ErbStG (2009), § 13<br />

Rn. 125.<br />

15 Viskorf, in: Viskorf/Knobel/Schuck (Fn.1), § 13 Rn. 38.<br />

16 BFH, Urteil vom 26.02.2009 – II R 69/06, BStBl. II 2009, 480,481 = DStR 2009, 575,<br />

576 = ZEV 2009, 257 mit Anmerkung von Schlünder/Geißler.<br />

17 Geck, ZEV 1996, 107, 108.<br />

18 Hardt, ZEV 2004, 408, 410; Kien-Hümbert, in: Moench (Fn. 2), § 13 Rn. 27.<br />

19 FG Nürnberg, Urteil vom 05.10.2006 – IV 292/2003, 2007,207; H 43 ErbStH 2003;<br />

Handzik, DStZ 1999, 416, 417; Herrmann/B.Michel, in: Wilms/Jochum (Fn. 5), § 13<br />

Rn. 42; Kapp/Ebeling (Fn. 2), § 13 Rn. 38.4; Kien-Hümbert, in: Moench (Fn. 2), § 13<br />

Rn.28; Weinmann, ZEV 1995, 102.<br />

20 Vgl. Tiedtke/Wälzholz, ZEV 2000, 19, 20.<br />

78


ausdrücklich von der Steuerbefreiung erfasst. Jedenfalls ist die Nutzung<br />

zu anderen als Wohnzwecken unschädlich, wenn sie, wie <strong>bei</strong> der<br />

Nutzung eines Ar<strong>bei</strong>tszimmers, von untergeordneter Bedeutung ist. 21<br />

Dementsprechend ist auch ein im Wohnbereich belegenes häusliches<br />

Ar<strong>bei</strong>tszimmer der Wohnnutzung der Ehegatten zuzurechnen, wenn es<br />

an den Ar<strong>bei</strong>tgeber eines Ehegatten vermietet ist. 22<br />

Die unentgeltliche gewerbliche oder freiberufliche Mitbenutzung der<br />

Wohnung ist grundsätzlich unschädlich, wenn die Wohnnutzung überwiegt.<br />

Für Arztpraxen oder Anwaltskanzleien, die sich in einem – ansonsten<br />

privat genutzten – Zweifamilienhaus befinden, kommt es somit<br />

auf den Einzelfall an. Nur wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, nehmen<br />

sie an der Steuerbefreiung teil. Eine gewerbliche oder freiberufliche<br />

Nutzung außerhalb der eigenen Wohnung, eine Fremdvermietung oder<br />

unentgeltliche Überlassung weiterer, in dem Grundstück vorhandener<br />

Wohnungen an Kinder oder Eltern ist nicht begünstigt. 23<br />

Beispiel 1 24<br />

Der Ehemann (M) schenkt seiner Ehefrau (F) das Eigentum am Grundstück<br />

mit einem dreigeschossigem Wohngebäude und einem eingeschossigem<br />

Anbau. Im EG, im l. OG und im Dachgeschoss befinden<br />

sich je eine Wohnung von 100 qm. Im gleich großen Anbau liegen<br />

Praxisräume, die M freiberuflich nutzt. Die Wohnungen sind über ein<br />

gemeinsames Treppenhaus zugänglich, die Praxis hat einen separaten<br />

Eingang. In dem Haus wohnen M und F mit ihren Kindern im EG und l.<br />

OG und die Mutter der F im DG. Sie führen einen gemeinsamen Haushalt.<br />

Ein Raum im DG ist an eine familienfremde Pflegekraft vermietet,<br />

die F <strong>bei</strong> der Betreuung ihrer Mutter unterstützt. Der Grundbesitzwert<br />

beträgt 1,2 Mio. €.<br />

Die Vergünstigung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG ist dem Umfang<br />

nach beschränkt auf die eigenen Wohnzwecken dienende Wohnung.<br />

Nicht begünstigt sind alle fremd vermieteten oder anderen Zwecken der<br />

Ehegatten dienenden Grundstücksteile. Daraus folgt, dass alle Grund-<br />

21 Vgl. Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zur Anwendung der<br />

geänderten Vorschriften des Erbschaftsteuer-und Schenkungsteuergesetzes vom<br />

25.06.2009, Abschnitt 3 Abs. 2 Satz 8 und 9 BStBl. I 2009, 713, 715).<br />

22 BFH, Urteil vom 26.02.2009 – II R 69/06, BStBl. II 2009, 480 = DStR 2009, 575.<br />

23 Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zur Anwendung der geänderten<br />

Vorschriften des Erbschaftsteuer-und Schenkungsteuergesetzes vom 25.06.2009,<br />

Abschnitt 3 Abs. 2 Satz 12 (BStBl. I 2009, 713, 715).<br />

24 In Anlehnung an Viskorf, in: Viskorf/Knobel/Schuck (Fn. 1), § 13 Rn. 45.<br />

79


stücksteile, die F zu Wohnzwecken nutzt, steuerfrei bleiben. Es ist unerheblich,<br />

ob die einzelnen Wohneinheiten jeweils als abgeschlossene<br />

Wohnungen i.S.d. § 181 Abs. 9 BewG anzusehen sind. Selbst wenn<br />

dies so wäre und F im bewertungsrechtlichen Sinne mehrere<br />

Wohnungen von M erhalten hätte, kommt es allein auf den Umfang der<br />

tatsächlichen Wohnnutzung durch F an; ein Familienheim kann auch<br />

aus mehreren Wohnungen im bewertungsrechtlichen Sinne bestehen.<br />

Da F zusammen mit Angehörigen (Mutter und Kindern) über alle<br />

Etagen einen gemeinsamen Haushalt geführt hat, umfasst die für die<br />

Steuerbefreiung maßgebliche Wohnnutzung der F alle Wohnräume des<br />

Hauses, also insgesamt 300 qm. Die Überlassung von Räumen an<br />

Pflegkräfte ist ebenfalls unschädlich. 25<br />

Nicht begünstigt sind die im Anbau durch M freiberuflich genutzten<br />

Praxisräume.<br />

Eine flächenweise Aufteilung ergibt damit eine der Schenkungsteuer<br />

unterliegende Zuwendung des M an die F i. H.v. (1.200 000 € : 400 qm)<br />

x 100 qm = 300.000 €, die allerdings im Hinblick auf den Ehegattenfreibetrag<br />

(§ 16 ErbStG) in Höhe von 500.000 € ebenfalls steuerfrei bleibt.<br />

II. Erwerb des Familienheims von Todes wegen durch den Ehe-<br />

partner, § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG<br />

1. Erwerb von Todes wegen<br />

Nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG ist nunmehr erstmalig (mit Wirkung<br />

vom 01.01.2009 an) auch der Erwerb von Todes wegen des Eigentums<br />

oder Miteigentums an einem im Inland oder in einem Mitgliedstaat der<br />

EU oder einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums belegenen<br />

bebauten Grundstück i.S. d. § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BewG durch den<br />

überlebenden Ehegatten oder den überlebenden Lebenspartner steuerfrei.<br />

Ein derartiger Erwerb ist gegeben, wenn der Erwerber Erbe, Miterbe<br />

oder Vermächtnisnehmer wird. Dies gilt auch für eine Schenkung<br />

auf den Todesfall und für einen Erwerb i.S.d. § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG.<br />

Wird das Familienheim also als Abfindung für einen Pflichtteils- oder<br />

Vermächtnisanspruch an den anderen Ehegatten übertragen, ist diese<br />

Zuwendung ein Erwerb von Todes wegen. 26<br />

25 Vgl. Viskorf, in: Viskorf/Knobel/Schuck (Fn. 1), § 13 Rn. 46.<br />

26 Geck, ZEV 2008, 557, 559.<br />

80


2. Sinn und Zweck der Regelung<br />

Die Gesetzesbegründung 27 nennt ausdrücklich zwei Ziele der<br />

Steuerfreistellung von Wohneigentum für Ehegatten und Lebenspartner:<br />

den Schutz des gemeinsamen familiären Lebensraumes und die<br />

Lenkung in Grundvermögen schon zu Lebzeiten des Erblassers. Vor<br />

dem Hintergrund der Finanzmarktentwicklung des Jahres 2008 diene<br />

die Steuerbefreiung dazu, das Familiengebrauchsvermögen krisenfest<br />

zu erhalten. Ein in diesem Sinne besonders geschütztes Familiengebrauchsvermögen<br />

sei <strong>bei</strong> Ehegatten und Lebenspartnern stets anzunehmen.<br />

28<br />

Ob diese Begründung ausreicht, eine willkürliche Ungleichbehandlung<br />

zu vermeiden, muss bereits heute in Frage gestellt werden, 29 weil die<br />

sachliche Steuerbefreiung des § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG für das<br />

Familienheim nicht auf die (nochmals deutlich angehobenen) persönlichen<br />

Freibetrage angerechnet, sondern zusätzlich zu diesen gewährt<br />

wird. Damit ist das Familienheim als privat genutztes Grundvermögen<br />

gegenüber anderem Vermögen privilegiert, ohne dass Gründe des Gemeinwohls<br />

erkennbar sind, die dies rechtfertigen können.<br />

3. Begünstigte Objekte<br />

Soweit es um die Art der begünstigten Objekte (bebaute Grundstücke),<br />

ihre Belegenheit und den Umfang der Steuervergünstigung geht, kann<br />

auf die Ausführungen zu § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG verwiesen werden.<br />

Auch hier gewährt der Gesetzgeber eine anteilige Steuerbefreiung. Das<br />

Familieheim ist begünstigt, „soweit“ der Erblasser darin bis zum Erbfall<br />

eine Wohnung zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat. Eine teilweise<br />

Fremdvermietung oder gewerbliche Nutzung ist somit auch im Rahmen<br />

des § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG steuerunschädlich. Der Erwerber erhält<br />

die Steuerfreiheit also nur für die vom Erblasser zu eigenen Wohnzwecken<br />

genutzten Teile des jeweiligen Anwesens, soweit er sie tatsächlich<br />

selbst nutzen wird. Ist der überlebende Ehegatte lediglich Miterbe,<br />

kommt ihm die Steuerbefreiung nur in Höhe seiner Erbquote zugute.<br />

30<br />

27<br />

BT - Drs. 16/11107, 10.<br />

28<br />

BT - Drs. 16/11107, 10.<br />

29<br />

Vgl. Mayer, ZEV 2009, 439; Steiner, ErbStB 2009, 123; Viskorf, in: Viskorf/Knobel/<br />

Schuck (Fn. 1) § 13 Rn. 49:<br />

30<br />

Geck, ZEV 2008, 557, 559.<br />

81


Zweitwohnungen, Ferien- oder Wochenendhäuser sind auch <strong>bei</strong> einer<br />

Übertragung eines Familienheimes von Todes wegen ausgeschlossen.<br />

Dies beruht darauf, dass das begünstigte Objekt jedenfalls zu Lebzeiten<br />

des Erblassers dessen Lebensmittelpunkt sein muss.<br />

4. Eigennutzung durch den Erblasser bis zum Erbfall<br />

Grundsätzlich muss der Erblasser das jeweils zu vererbende Wohneigentum<br />

bis zum Erbfall bewohnen. § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG lässt<br />

allerdings eine Ausnahme zu: Die Steuerbefreiung tritt auch dann ein,<br />

wenn der Erblasser das Familienheim verlassen hat, jedoch nur, wenn<br />

er aus zwingenden Gründen an der Selbstnutzung gehindert war. Diese<br />

Ausnahmeregelung stellt eine Erleichterung gegenüber der Zuwendung<br />

unter Lebenden dar. Dort muss der Zuwendende zwingend bis zum<br />

Vollzug der Zuwendung das Familienheim zu Wohnzwecken nutzen.<br />

Eine Ausnahme von diesem Grundsatz hat der Gesetzgeber <strong>bei</strong>m Vorliegen<br />

zwingender Gründe lediglich für den Erwerb von Todes wegen<br />

vorgesehen.<br />

Welche Gründe als derart zwingend anzusehen sind, dass sie eine anerkannte<br />

Hinderung des Erblassers an einer Selbstnutzung des Eigenheims<br />

darstellen, ist zweifelhaft. Im Zusammenhang mit dem überlebenden<br />

Ehegatten fordert der Gesetzgeber 31 das Vorliegen von<br />

„objektiven Gründen“ und nennt als Beispiele die Pflegebedürftigkeit.<br />

Auf die Frage, wie der unbestimmte Rechtsbegriff der zwingenden<br />

Gründe auszulegen ist und ob darunter auch wirtschaftliche und<br />

persönliche Gründe fallen können, werde ich später eingehen.<br />

5. Bestimmung zur unverzüglichen Selbstnutzung durch den Er-<br />

werber<br />

Die Steuerbefreiung setzt weiter voraus, dass das Familienheim <strong>bei</strong>m<br />

erwerbenden Ehegatten unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen<br />

Wohnzwecken bestimmt ist. Es genügt also nicht, dass der überlebende<br />

Ehegatte bis zum Zeitpunkt des Erbfalles seinen Lebensmittelpunkt in<br />

dem Wohneigentum des Erblassers hatte. Er muss ihn dort auch bestimmungsgemäß<br />

belassen. Das ist ein weiterer wesentlicher Unterschied<br />

zur Steuerbefreiung <strong>bei</strong> Zuwendungen unter Lebenden nach<br />

§ 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG. Danach muss der Beschenkte das Objekt<br />

weder für einen bestimmten Zeitraum in seinem Eigentum halten, noch<br />

31 BT - Drs. 16/11107, 10.<br />

82


ist erforderlich, dass er die Wohnung nach der Schenkung weiter zu<br />

eigenen Wohnzwecken nutzt. Es genügt vielmehr, dass das Objekt im<br />

Übertragungszeitpunkt als Familienheim gedient hat.<br />

Eine unverzügliche Selbstnutzung ist nicht mehr gegeben, falls die<br />

Wohnung fremd vermietet war oder leer stand. Eine bestimmte zeitliche<br />

Vorgabe kann nicht gemacht werden, da es auf die Besonderheiten des<br />

Einzelfalles ankommt. Dem Erwerber ist eine angemessene Überlegungsfrist<br />

zu gewähren, die in der Regel mindestens drei Monate beträgt.<br />

32 Unschädlich dürfte es sein, wenn der Erwerber zunächst eine<br />

umfassende Sanierung bzw. Renovierung des Gebäudes vornimmt oder<br />

die Kündigungsfrist seiner bisherigen Wohnung abwartet. 33<br />

Entscheidend ist, dass keine längere Zeitspanne verstreicht, als sie zur<br />

Instandsetzung der Wohnräume erforderlich ist.<br />

6. Ausschluss der Steuerbefreiung – Begünstigungstransfer<br />

Die Steuerbefreiung ist nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 2 ErbStG ausgeschlossen,<br />

soweit der Erwerber das begünstigte Vermögen auf Grund<br />

einer letztwilligen Verfügung oder einer rechtsgeschäftlichen Verfügung<br />

des Erblassers auf einen Dritten übertragen muss (Begünstigungstransfer).<br />

Das Gleiche gilt, wenn ein Erbe im Rahmen der Teilung des<br />

Nachlasses begünstigtes Vermögen auf einen Miterben überträgt, nicht<br />

aber, wenn dies außerhalb oder nach bereits erfolgter Nachlassteilung<br />

geschieht 34 . Die Zehnjahresfrist beginnt in derartigen Fällen auch dann<br />

mit dem Erbfall, wenn die Erbauseinandersetzung erst einige Jahre<br />

danach erfolgt. 35<br />

Korrespondierend zur anteiligen Freistellungsregel hat der Gesetzgeber,<br />

wie die Formulierung „soweit“ zeigt, eine anteilige Ausschlussregel<br />

konzipiert. Der Erbe soll die Steuerbefreiung nur insoweit nicht erhalten,<br />

als er das Familienheim oder Teile davon an Dritte weiter übertragen<br />

muss. Hat also ein Ehepaar ein dem Erblasser gehörendes Zweifamilienhaus<br />

bewohnt, und ist die als Erbin eingesetzte Ehefrau auf<br />

Grund eines Vermächtnisses verpflichtet, eine der Wohnungen an einen<br />

Dritten zu übereignen, dann kann sie nur für das ihr verbleibende<br />

Wohnungseigentum Steuerbefreiung beanspruchen. Das Gleiche gilt,<br />

wenn sie Teile des Hausgrundstücks abtrennen lässt und diese einem<br />

32 Steiner, ErbStB 2009, 123, 127.<br />

33 Viskorf, in: Viskorf/Knobel/Schuck (Fn. 1), § 13 Rn. 54.<br />

34 Viskorf, in: Viskorf/Knobel/Schuck (Fn. 1), § 13 Rn. 80.<br />

35 Mayer, ZEV 2009, 2009, 439, 444.<br />

83


Miterben, etwa dem gemeinsamen Sohn, herausgibt. Die Vorschrift<br />

bewirkt, dass nur in den Genuss der Steuerbefreiung kommt, wer das<br />

Grundstück tatsächlich erhält und auch die persönlichen Voraussetzungen<br />

der Befreiungsnorm erfüllt. Für den Ersterwerber sind damit<br />

keine Nachteile verbunden; er kann die Belastung, die sich aus der<br />

Weitergabeverpflichtung ergibt, <strong>bei</strong> seinem Nachlass abziehen.<br />

Überträgt ein Erbe erworbenes begünstigtes Vermögen im Rahmen der<br />

Teilung des Nachlasses auf einen Dritten und erhält der Erwerber dafür<br />

nicht begünstigtes Vermögen, das der Dritte vom Erblasser erworben<br />

hat, dann erhöht sich gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 4 ErbStG der Wert<br />

des begünstigten Vermögens des Dritten um den Wert des dem Erben<br />

hingegebenen Vermögens, höchstens jedoch um den Wert des von<br />

diesem erhaltenen Vermögens. Diese – nahezu unverständliche – Vorschrift<br />

soll bewirken, dass der Dritte so gestellt wird, als habe er von<br />

Anfang an begünstigtes Vermögen (vom Erblasser) erhalten.<br />

Andererseits erhöht sich der Wert des Nachlasses <strong>bei</strong>m Erben um die<br />

Gegenleistung, die er von dem Dritten erlangt.<br />

Beispiel 2<br />

M wird von seiner Ehefrau F allein beerbt. Sie ist jedoch mit dem Vermächtnis<br />

beschwert, das Familienheim (180 qm) an ihre Tochter T zu<br />

übertragen, die unverzüglich dort einzieht.<br />

F kann die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 2 ErbStG nicht<br />

in Anspruch nehmen, weil sie das Familienheim aufgrund des Vermächtnisses<br />

auf T übertragen muss. T erhält die Vergünstigung nach<br />

§ 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG unmittelbar, da ein Erwerb von Todes wegen<br />

gemäß § 3 ErbStG gegeben ist.<br />

Abwandlung<br />

T ist enterbt, macht aber gegenüber ihrer Mutter F den Pflichtteil<br />

geltend. Zur Abgeltung dieses Anspruchs erhält sie das Familienheim.<br />

Da T das begünstigte Objekt erlangt, steht ihr (und nicht F) die Steuerbefreiung<br />

nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG zu.<br />

7. Nachträglicher Wegfall der Steuerbefreiung<br />

Nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG fällt die Steuerbefreiung mit<br />

Wirkung für die Vergangenheit weg, wenn der Erwerber das Familien-<br />

84


heim innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb nicht mehr zu Wohnzwecken<br />

selbst nutzt, es sei denn, er ist aus zwingenden Gründen an<br />

einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert. Die Steuerbefreiung<br />

entfällt nicht nur zeitanteilig, sondern vollständig, also auch<br />

dann, wenn die Nutzung kurz vor dem Ende der Zehnjahresfrist aufgegeben<br />

wird.<br />

Die Bedingung der zehnjährigen Selbstnutzung begründet der Gesetzgeber<br />

wie folgt: „Der Schutz des gemeinsamen familiären Lebensraumes<br />

gebietet es jedoch andererseits, die Steuerbefreiung davon<br />

abhängig zu machen, dass der überlebende Ehegatte oder Lebenspartner<br />

das Familienheim auch tatsächlich zu eigenen Wohnzwecken<br />

nutzt. Gibt er diese Nutzung innerhalb von zehn Jahren auf, ist ein<br />

solcher Schutz nicht mehr geboten.“ 36 Bezeichnend da<strong>bei</strong> ist, dass der<br />

Gesetzgeber diese Behaltensfrist <strong>bei</strong> Erwerben vom verstorbenen Ehegatten<br />

mit dem Schutz des gemeinsamen familiären Lebensraumes<br />

begründet. Nach dem Ableben eines Ehegatten wird man sicherlich<br />

nicht mehr von einem gemeinsamen familiären Lebensraum sprechen<br />

können. Im Schrifttum 37 wird daher teilweise angenommen, die zehnjährige<br />

Selbstnutzungsobliegenheit sei vor allem deshalb normiert<br />

worden, um Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit der Steuerfreistellung<br />

zu begegnen. Schließlich sei die Steuerbefreiung des privat<br />

genutzten Wohneigentums unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung<br />

i.S.d. Art. 3 GG als kritisch zu bewerten.<br />

Ein Verstoß gegen die Nutzungsfrist von zehn Jahren ist die Veräußerung,<br />

Vermietung oder der Leerstand des Familienheims. Der Erwerber<br />

ist verpflichtet, diese Ereignisse dem Finanzamt anzuzeigen 38 .<br />

Da das ErbStG keine eigenständige Anzeigepflicht vorsieht, folgt dies<br />

aus § 153 Abs. 2 AO, der eine allgemeine Anzeigepflicht anordnet,<br />

wenn die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung oder sonstige<br />

Steuervergünstigung nachträglich ganz oder teilweise wegfallen. Es<br />

findet dann eine Nachversteuerung statt. Ein bestandskräftiger Steuerbescheid<br />

ist nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu ändern.<br />

Es müssen <strong>bei</strong> der zehnjährigen Behaltensfrist hinsichtlich der<br />

Nutzungsintensität die gleichen Maßstäbe gelten wie für die Frage, ob<br />

ein Familienheim vorliegt, allerdings mit der Maßgabe, dass das Wohneigentum<br />

nunmehr nur noch von einem Ehegatten bewohnt wird. Das<br />

36 BT – Drs. 16/11107, 10.<br />

37 Geck, ZEV 2008, 557, 558.<br />

38 Vgl. dazu Mannek/Höne, ZEV 2009, 329,331.<br />

85


edeutet, dass es nicht ausreicht, wenn der länger lebende Ehepartner<br />

die bisherige Familienwohnung als Zweitwohnung weiternutzt, seinen<br />

Lebensmittelpunkt jedoch inzwischen in einer anderen Wohnung hat.<br />

Ein Verlassen des Familienheims durch den überlebenden Ehegatten ist<br />

nur dann unschädlich, wenn dieser durch zwingende Gründe an einer<br />

Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert ist.<br />

Was unter diesem unbestimmten Rechtsbegriff zu verstehen ist, werde<br />

ich später im Rahmen der Zweifelfragen ( C II, 4) erörtern.<br />

III. Erwerb des Familienheims von Todes wegen durch Kinder oder<br />

Kinder verstorbener Kinder, § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG<br />

1. Sinn und Zweck der Regelung<br />

Ähnlich wie die Steuerbefreiung von Wohneigentum für Ehegatten dient<br />

nach der Gesetzesbegründung 39 auch die Freistellung des Erwerbs von<br />

Todes wegen durch Kinder oder Enkel dem Schutz des gemeinsamen<br />

familiären Lebensraumes und dem Ziel der Lenkung in Grundvermögen<br />

schon zu Lebzeiten des Erblassers. Die Regelung soll nach dem Willen<br />

des Gesetzgebers vor dem Hintergrund der Finanzmarktentwicklung<br />

des Jahres 2008 ebenfalls einen Beitrag dazu leisten, das Familiengebrauchsvermögen<br />

krisenfest zu erhalten. 40 Die begrenzte Steuerbefreiung<br />

soll sicherstellen, „dass Wohnungseigentum bis zu einer bestimmten<br />

Grenze an die Kinder steuerfrei vererbt werden kann, wenn<br />

der Erbe ansonsten wegen seiner Erbschaftsteuerverpflichtungen zur<br />

Veräußerung gezwungen wäre.“ 41<br />

2. Voraussetzungen<br />

Die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG setzt voraus, dass<br />

es sich <strong>bei</strong> dem von Todes wegen erlangten Wohneigentum um das<br />

Familienheim des Erblassers gehandelt und er dieses bis zum Erbfall zu<br />

eigenen Zwecken genutzt hat oder aus zwingenden Gründen an der<br />

Nutzung gehindert war. Die Wohneinheit muss <strong>bei</strong>m Erwerber schließlich<br />

unverzüglich zur eigenen Nutzung bestimmt sein. Es muss sich um<br />

ein bebautes Grundstück i. S. d. § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BewG<br />

handeln, das entweder im Inland, in einem EU-Mitgliedstaat oder in<br />

einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraumes belegen ist.<br />

39 BT – Drs. 16/11107, 10.<br />

40 BT – Drs. 16/11107, 11.<br />

41 BT – Drs. 16/11107, 11.<br />

86


Begünstigt ist nur der Erwerb von Todes wegen (Erbe, Vermächtnis,<br />

Auflage, Schenkung von Todes wegen) durch Kinder oder Kinder verstorbener<br />

Kinder im Sinne der Steuerklasse I. Nr. 2. Keine Steuerbefreiung<br />

ist demnach zu gewähren, wenn der Erblasser seinen Sohn zum<br />

Erben eingesetzt und dessen Tochter das von ihm bewohnte Familienheim<br />

im Rahmen eines Vermächtnisses zugewandt hat. Sind <strong>bei</strong>de<br />

Kinder des Erblassers Miterben eines Familienheims zu gleichen Teilen<br />

geworden, so kann die Steuerbefreiung nur beanspruchen, wer auch<br />

tatsächlich unverzüglich einzieht.<br />

3. Umfang der Steuerbefreiung<br />

Auch <strong>bei</strong>m Erwerb von Todes wegen durch Kinder oder Kinder verstorbener<br />

Kinder sieht das Gesetz nur eine anteilige Freistellung vor.<br />

Die Steuerfreiheit wird also lediglich für die vom Erblasser zu eigenen<br />

Wohnzwecken genutzten Teile des jeweiligen Anwesens gewährt,<br />

soweit sie <strong>bei</strong>m Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen<br />

Wohnzwecken bestimmt sind und die Wohnfläche der Wohnung 200<br />

Quadratmeter nicht übersteigt. Die Begrenzung der Wohnfläche ist als<br />

Freibetrag zu verstehen. 42 Das bedeutet, dass lediglich der Teil der<br />

Wohnfläche, der 200 qm übersteigt, der Besteuerung unterliegt.<br />

Die Formulierung des Gesetzes („soweit“) spricht für die Annahme eines<br />

Freibetrages. Hätte der Gesetzgeber stattdessen mit der Wohnflächengrenze<br />

eine abschließende Voraussetzung für die Steuerbefreiung<br />

normieren wollen, <strong>bei</strong> deren Nichtvorliegen das Familienheim insgesamt<br />

erbschaftsteuerpflichtig ist, hätte er die Begriffe „sofern“ oder „wenn“<br />

verwendet. 43<br />

In der Gesetzesbegründung 44 heißt es, eine nur begrenzte Freistellung<br />

für Kinder trage der grundsätzlich geringeren Bindung erwachsener<br />

Kinder an ihre Eltern Rechnung. Bei der Begrenzung auf 200 qm hat der<br />

Gesetzgeber typisierend eine nach seiner Ansicht noch angemessene<br />

Größenordnung für Familienheime zugrunde gelegt. Da<strong>bei</strong> soll die<br />

Orientierung an einer Quadratmeterzahl den regional bestehenden<br />

Unterschieden der Grundstückswerte Rechnung tragen. 45<br />

42 Geck, ZEV 2008, 557, 559; Richter/Viskorf/Philipp, DB 2009, Beilage Nr. 2 zu Heft<br />

Nr.6, S. 10; Tiedtke/Schmitt, NJW 2009, 2632, 2639.<br />

43 Geck, ZEV 2008, 557, 559.<br />

44 BT – Drs. 16/11107, 11.<br />

45 BT – Drs. 16/11107, 11.<br />

87


Wie <strong>bei</strong>m Erwerb vom Ehegatten oder Lebenspartner ist die Steuerbefreiung<br />

ausgeschlossen, soweit der Erwerber das begünstigte Vermögen<br />

auf Grund einer letztwilligen Verfügung des Erblassers auf einen<br />

Dritten übertragen muss oder im Rahmen der Teilung des Nachlasses<br />

begünstigtes Vermögen an einen Miterben herausgibt, § 13 Abs. 1<br />

Nr. 4c S. 2 und 3 ErbStG.<br />

Die Beschränkung der Steuerbefreiung auf 200 m² ist objekt-, und nicht<br />

personenbezogen 46 . Auch <strong>bei</strong> einer Wohnfläche von 400 m² und zwei<br />

Miterben zu je ½ beschränkt sich die begünstigte Wohnfläche auf 200<br />

m² mit der Maßgabe, dass jeder Miterbe lediglich einen hälftigen Anteil<br />

an der begünstigten Wohnfläche von 200 m² erwirbt. 47<br />

Beispiel 3<br />

Erblasser E hinterlässt seinen <strong>bei</strong>den Kindern A und B je zur Hälfte ein<br />

bis dahin von ihm selbst genutztes Einfamilienhaus mit einem Grundbesitzwert<br />

von 450.000 Euro und einer Wohnfläche von 300 m². Beide<br />

Kinder nutzen das Haus nach dem Tod des Erblassers mehr als 10<br />

Jahre.<br />

Es sind insgesamt nur 200 m² Wohnfläche begünstigt. Hier<strong>bei</strong> ist auf die<br />

Wohnung des Erblassers abzustellen. Die begünstigte Fläche entspricht<br />

also 2/3 der Gesamtwohnfläche. Bei jedem Kind sind folglich von dem<br />

hälftigen Grundbesitzwert von 225.000 Euro nur 2/3, also 150.000 Euro<br />

befreit. 48<br />

Beispiel 4<br />

Erblasser E vererbt seiner Ehefrau F und seiner Tochter T je zur Hälfte<br />

ein bis dahin selbstgenutztes Einfamilienhaus mit einem Grundbesitzwert<br />

von 600.000 Euro und einer Wohnfläche von 300 m². Beide nutzen<br />

das Haus mehr als zehn Jahre nach dem Erbfall.<br />

Der hälftige Erwerb der F ist in voller Höhe befreit (300.000 Euro), da<br />

§ 13 Abs. 1 Nr.4b ErbStG keine Wohnflächenbegrenzung vorsieht. Der<br />

46<br />

Tiedtke/Schmitt, NJW 2009, 2632, 2639; Viskorf, in: Viskorf/Knobel/Schuck (Fn. 1),<br />

§ 13 Rn. 67.<br />

47<br />

Vgl. Mayer, ZEV 2009, 439, 41; Schmitt, in: Tiedtke, ErbStG (2009), § 13 Rn. 188; a.<br />

A. Meincke, ErbStG, 15. Aufl. (2009), § 13 Rn. 29; Schumann, DStR 2009, 197, 200;<br />

Steiner, ErbStB 2009, 123, 128.<br />

48<br />

Vgl. Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zur Anwendung der<br />

geänderten Vorschriften des Erbschaftsteuer-und Schenkungsteuergesetzes vom<br />

25.06.2009, H 4 (BStBl. I 2009, 713, 718).<br />

88


hälftige Erwerb der T (300.000 Euro), ist nur zu 2/3 (200.000 Euro) befreit,<br />

da § 13 Abs. 1 Nr.4c ErbStG die Befreiung auf eine Wohnfläche<br />

von 200 m² begrenzt. Dies entspricht 2/3 der Gesamtfläche von 300<br />

m². 49<br />

4. Nachträglicher Wegfall der Steuerbefreiung<br />

Auch <strong>bei</strong>m Erwerb von Todes wegen durch Kinder oder Enkel entfällt<br />

die Steuerbefreiung rückwirkend, wenn der Erwerber das Familienheim<br />

innerhalb von zehn Jahren nicht mehr zu Wohnzwecken selbst nutzt, es<br />

sei denn, er ist aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung gehindert.<br />

Ein Verstoß gegen die Selbstnutzungsfrist von zehn Jahren liegt<br />

vor, wenn das Familienheim längere Zeit leer steht, veräußert oder<br />

fremd vermietet wird. Für die Frage, wann ein zwingender Grund in<br />

diesem Sinne vorliegt, gelten die gleichen Erwägungen wie im Rahmen<br />

des § 13 Abs.1 Nr. 4b ErbStG. Zwingend sind nach der Gesetzesbegründung<br />

solche Umstände, die eine Selbstnutzung objektiv unmöglich<br />

machen, was <strong>bei</strong>spielsweise angenommen werden kann, wenn der<br />

Erwerber stirbt oder pflegebedürftig ist, nicht hingegen <strong>bei</strong> einem freiwilligen<br />

Wechsel in ein Seniorenheim oder einem beruflich veranlassten<br />

Wohnortwechsel.<br />

C. Zweifelsfragen <strong>bei</strong> der Auslegung einzelner Tatbestände<br />

I. Im Rahmen der lebzeitigen Übertragung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a<br />

ErbStG – Lebensmittelpunkt <strong>bei</strong>der oder eines Ehegatten –<br />

Umstritten ist, ob im maßgeblichen Übertragungszeitpunkt <strong>bei</strong>de Ehegatten<br />

in der Wohnung ihren Lebensmittelpunkt haben müssen oder ob<br />

es ausreicht, wenn jedenfalls der Erwerber dort wohnt. Es geht in<br />

diesen Fällen insbesondere um die Frage, ob die Steuerbefreiung auch<br />

dann zu gewähren ist, wenn die Ehegatten bereits zum Zeitpunkt der<br />

Zuwendung dauerhaft getrennt leben oder der übertragende Ehegatte<br />

aus beruflichen Gründen seinen Lebensmittelpunkt an einen anderen<br />

Ort verlegt hat. Das FG Berlin 50 und auch der BFH 51 haben dies zur<br />

49 Vgl. Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zur Anwendung der<br />

geänderten Vorschriften des Erbschaftsteuer-und Schenkungsteuergesetzes vom<br />

25.06.2009, H 4 (BStBl. I 2009, 713, 718).<br />

50 Urteil 28.01.2003 – 5 K 5257/01, DStRE 2004, 217.<br />

51 Urteil vom 26.02.2009 – II R 69/06, BStBl. II 2009, 480, 481 = DStR 2009, 575, 576 =<br />

ZEV 2009, 257 mit Anmerkung von Schlünder/Geißler.<br />

89


alten Rechtslage bejaht, wenn die Wohnung ursprünglich die gemeinsame<br />

Wohnung der Eheleute war, später aber infolge der<br />

Trennung nur noch von einem Ehegatten mit Kindern bewohnt wird.<br />

Schließlich sei unter dem Begriff Familie auch ein mit einem gemeinsamen<br />

Kind zusammenlebender Ehegatte zu verstehen. Auch im<br />

Fall des Getrenntlebens diene die Übertragung des Hauses dem Ausgleich<br />

des während der Ehezeit gemeinsam Erwirtschafteten. 52 Das<br />

Schrifttum 53 ist dem weitgehend gefolgt.<br />

Gleichwohl ist dieser Auffassung ist nicht zuzustimmen. 54 Wenn § 13<br />

Abs. 1 Nr. 4a ErbStG <strong>bei</strong> Zuwendungen unter lebenden Ehegatten von<br />

der Nutzung „zu eigenen Wohnzwecken“ spricht, ist davon auszugehen,<br />

dass sich dies nicht lediglich auf einen, sondern auf <strong>bei</strong>de Ehegatten<br />

bezieht, also vorausgesetzt wird, dass <strong>bei</strong>de die Wohnung im Zeitpunkt<br />

der Zuwendung tatsächlich nutzen. Zweck der Befreiung ist „der Schutz<br />

des gemeinsamen familiären Lebensraums“. 55 Von einem gemeinsamen<br />

familiären Lebensraum kann <strong>bei</strong> dauerhaft Getrenntlebenden<br />

jedoch nicht die Rede sein.<br />

Dementsprechend geht auch die Finanzverwaltung sowohl in den Erbschaftsteuerrichtlinien<br />

56 als auch in den gleichlautenden Erlassen 57 der<br />

obersten Finanzbehörden der Länder zur Anwendung der geänderten<br />

Vorschriften des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes vom<br />

25.06.2009 in Abschnitt 3, Abs. 2 Satz 1 davon aus, dass ein bebautes<br />

Grundstück nur als Familienheim gelte, „soweit darin eine Wohnung<br />

gemeinsam zu eigenen Wohnzwecken genutzt wird.“<br />

Abwandlung von Beispiel 1<br />

M hat sich von F getrennt und ist aus dem Familienheim ausgezogen.<br />

Nach Ansicht der Finanzverwaltung 58 und der hier vertretenen Auffassung<br />

liegen die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung der F<br />

52<br />

FG Berlin, Urteil 28.01.2003 – 5 K 5257/01, DStRE 2004, 217, 218;.<br />

53<br />

Herrmann/B.Michel, in: Wilms/Jochum (Fn. 5), § 13 Rn.42; Meincke (Fn.47), § 13<br />

Rn. 20; Schlünder/Geißler, DStR 2006, 260, 261, Schumann, DStR 2009, 197, 199;<br />

Viskorf, in: Viskof/Knobel/Schuck (Fn.1), § 13 Rn. 39 m.w.N.<br />

54<br />

Götz, FamRB 2005, 186; Schmitt, in: Tiedtke (Fn. 47), § 13 Rn. 114.<br />

55<br />

BT-Drs. 16/11107, 12.<br />

56<br />

R 43 Abs. 1 Satz 3 ErbStR 2003.<br />

57<br />

BStBl. I 2009, 713, 715.<br />

58<br />

R 43 Abs. 1 Satz 3 ErbStR 2003; gleichlautende Erlassen der obersten<br />

Finanzbehörden der Länder zur Anwendung der geänderten Vorschriften des<br />

90


nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG nicht vor. Folgt man der Rechtsprechung<br />

des BFH, 59 scheitert die Befreiung der Grundstücksschenkung<br />

des Ehemannes M an seine Frau dagegen nicht daran, dass<br />

M seinen Lebensmittelpunkt an einen anderen Ort verlegt hat.<br />

Die Zuwendung eines Familienheims ist auch dann nicht privilegiert,<br />

wenn der verfügende Ehegatte aus gesundheitlichen Gründen die gemeinsame<br />

Wohnung verlassen musste und zum Zeitpunkt der Übertragung<br />

in einem Pflegeheim lebt. Anders als in § 13 Abs. 1 Nr. 4b<br />

ErbStG enthält das Gesetz für Zuwendungen unter Lebenden keine<br />

Ausnahme für den Fall, dass der zuwendende Ehegatte „aus<br />

zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken<br />

gehindert war.“<br />

Eine Eigennutzung liegt dagegen auch dann vor, wenn die Übertragung<br />

gegen Vorbehaltsnießbrauch erfolgt. Schließlich nutzt der beschenkte<br />

Ehegatte das Wohneigentum aufgrund ehelicher Gemeinschaft mit. 60<br />

Die Nutzungsbeschränkung durch den Vorbehaltsnießbrauch ist unerheblich,<br />

weil bereits die Übertragung des Familienheims ohne vorbehaltene<br />

Nutzung begünstigt ist.<br />

II. Im Rahmen des Erwerbs von Todes wegen nach § 13 Abs. 1<br />

Nr. 4b ErbStG<br />

1. Definition des Familienheims i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG<br />

§ 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG nimmt hinsichtlich der Definition des<br />

Familienheims nicht auf § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG Bezug, sondern<br />

wählt eine eigene Formulierung. Danach gilt als Familienheim jedes<br />

bebaute Grundstück, soweit der Erblasser darin bis zum Erbfall eine<br />

Wohnung zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat oder <strong>bei</strong> der er aus<br />

zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken<br />

gehindert war und die <strong>bei</strong>m Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu<br />

eigenen Wohnzwecken bestimmt ist.<br />

Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes vom 25.06. 2009, Abschnitt 3 Abs. 2<br />

Satz 1 (BStBl. I 2009, 713, 715.<br />

59 Urteil vom 26.02.2009 –II R 69/06, BStBl. II 2009, 480; ebenso Viskorf, in:<br />

Viskorf/Knobel/Schuck (Fn. 1), § 13 Rn. 39 und 46.<br />

60 Geck, ZEV 1996, 107, 108; Kapp/Ebeling (Fn. 2), 13 Rn. 38.4; Tiedtke/Schmitt, NJW<br />

209, 2632, 2633; Viskorf, in: Viskorf//Knobel/Schuck (Fn. 1), § 13 Rn. 39.<br />

91


Wollte man hierin eine für § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG eigenständige<br />

Definition des Begriffes Familienheim sehen, wäre es nicht erforderlich,<br />

dass der erwerbende Ehegatte die Wohnung des vererbenden Ehegatten<br />

bewohnt hat; es käme lediglich darauf an, dass die Wohnung <strong>bei</strong><br />

ihm unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt<br />

ist. Dann könnte eine Ehefrau, die sich von ihrem Ehemann viele<br />

Jahre vor dessen Ableben getrennt hat, das von ihm allein bewohnte<br />

Anwesen steuerfrei erben, wenn sie nur bereit wäre, unverzüglich einzuziehen.<br />

Gestützt auf den Wortlaut des § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG wird demgemäß<br />

sowohl in der Rechtslehre 61 als auch von der Finanzverwaltung<br />

die Ansicht vertreten, es werde nicht verlangt, dass der Erwerber im<br />

Zeitpunkt des Todes des vorverstorbenen Ehegatten das begünstigte<br />

Objekt bereits bewohnt habe. Es reiche vielmehr aus, wenn er sich erst<br />

nach dem Tod seines Ehegatten dafür entscheide, seinen Lebensmittelpunkt<br />

in dem Familienheim neu zu begründen. So heißt es in Abschnitt<br />

4, Abs. 2 Satz 4 und 5 der Erlasse 62 der obersten Finanzbehörden<br />

der Länder zur Anwendung der geänderten Vorschriften des<br />

Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes vom 25.06.2009: „Der<br />

überlebende Ehegatte oder Lebenspartner muss in der erworbenen<br />

Wohnung unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, die Nutzung zu<br />

eigenen Wohnzwecken aufnehmen.“<br />

Diese Auslegung ist für die Steuerpflichtigen günstig. Sie sollte daher<br />

nicht in Frage gestellt werden. Gleichwohl ist sie bedenklich 63 . Die Bedenken<br />

ergeben sich aus dem Begriff des Familienheims, der dem § 13<br />

Abs. 1 Nr. 4a ErbStG zugrunde liegt.<br />

Im Rahmen dieser Vorschrift ist es für die Frage, ob ein Familienheim<br />

vorliegt, zwingend erforderlich, dass sich in der Wohnung der Mittelpunkt<br />

des familiären Lebens <strong>bei</strong>der Ehegatten oder Lebenspartner befindet.<br />

Die Ehegatten müssen also auch im Zeitpunkt der Zuwendung<br />

die Wohnung gemeinsam zu eigenen Wohnzwecken nutzen (vgl. oben<br />

C I.).<br />

In § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG wollte der Gesetzgeber zwar weitere<br />

Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung formulieren. Es kann aber<br />

61<br />

Schumann, DStR 2009, 197, 199; Viskorf, in: Viskorf/Knobel/Schuck (Fn. 1), § 13<br />

Rn. 52.<br />

62<br />

BStBl. I 2009, 713, 716.<br />

63<br />

Vgl. Tiedtke/Schmitt, NJW 2632, 2635.<br />

92


davon ausgegangen werden, dass er einen Begriff innerhalb einer Vorschrift<br />

nicht unterschiedlich definiert hat, sondern den Begriff des<br />

Familienheims im Rahmen des § 13 ErbStG einheitlich verwenden will.<br />

Dafür spricht auch die Gesetzesbegründung, 64 nach welcher § 13<br />

Abs. 1 Nr. 4b ErbStG dem Schutz des gemeinsamen familiären Lebensraumes<br />

dient. Obwohl dies in § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG nicht ausdrücklich<br />

kodifiziert ist, setzt das voraus, dass der begünstigte Ehegatte in<br />

den familiären Wohnräumen bis zum Erbfall oder zumindest solange<br />

wohnen muss, bis der Erblasser diese aus zwingenden Gründen verlässt.<br />

65 Hat der überlebende Ehegatte das Wohneigentum des Erblassers<br />

bereits zuvor verlassen, handelt es sich nicht mehr um ein<br />

Familienheim.<br />

Wegen der vom Gesetzgeber gewollten Parallelität von Nr. 4a und<br />

Nr. 4b wird demgegenüber im Schrifttum vereinzelt 66 sogar eine entgegen<br />

gesetzte Schlussfolgerung gezogen. Die Finanzverwaltung solle<br />

zukünftig (auch) <strong>bei</strong> § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG auf das Erfordernis einer<br />

gemeinsamen Wohnnutzung <strong>bei</strong>der Ehegatten im Übertragungszeitpunkt<br />

verzichten. Dieser Ansicht ist nicht zuzustimmen 67 . Sie ist weder<br />

mit dem Gesetzeswortlaut noch mit dem Willen des Gesetzgebers vereinbar.<br />

Etwas anderes gilt, wenn der Ehemann das ihm gehörende gemeinsam<br />

bewohnte Einfamilienhaus verlässt, weil er in einem Pflegeheim betreut<br />

werden muss, und seine gesunde und rüstige Ehefrau mit ihm in das<br />

Heim gezogen ist, um ihn besser pflegen zu können. Dann kann sie<br />

später, wenn sie nach dem Ableben ihres Mannes in die Wohnung<br />

zurückziehen möchte, die Steuerbefreiung beanspruchen. Nicht zu<br />

fordern ist, dass der überlebende Ehegatte auch noch im Zeitpunkt des<br />

Erbfalles das Wohneigentum zu eigenen Wohnzwecken nutzt; hat der<br />

Erblasser die gemeinsame Wohnung aus zwingenden Gründen verlassen,<br />

fehlt es bereits deshalb an einem gemeinsamen familiären<br />

Lebensraum.<br />

Die Voraussetzungen der Steuerbefreiung liegen auch dann nicht vor,<br />

wenn der Erblasser zum Zeitpunkt der Eheschließung seine Wohnung<br />

bereits verlassen hat und kurz vor seinem Ableben im Seniorenheim<br />

heiratet. Da<strong>bei</strong> ist es unerheblich, ob er mit seiner Ehefrau vor der Ehe-<br />

64 BT - Drs. 16/11107, 10.<br />

65 Schmitt, in: Tiedtke (Fn. 47), § 13 Rn.139.<br />

66 Schumann, DStR 2009, 197, 199.<br />

67 Tiedtke/Schmitt, NJW 2009, 2632, 2635.<br />

93


schließung in seiner Wohnung zusammengelebt hat. Ein gemeinsames<br />

Familienheim setzt jedenfalls voraus, dass Erblasser und Erbin darin<br />

bereits als Ehegatten gelebt haben.<br />

2. Umfang der Selbstnutzung durch den Erwerber<br />

Fraglich ist, ob die beabsichtigte unverzügliche Selbstnutzung im<br />

gleichen Umfang erfolgen muss wie zu Lebzeiten des Erblassers. Kann<br />

also eine Ehefrau, die mit ihrem Ehemann ein Zweifamilienhaus alleine<br />

bewohnt hat, die volle Steuerbefreiung beanspruchen, wenn sie bereits<br />

zum Zeitpunkt des Erbfalles oder kurze Zeit später konkrete Pläne hat,<br />

nur eine der <strong>bei</strong>den Wohnungen zu bewohnen und die andere zu vermieten?<br />

Nach dem Gesetzeswortlaut ist das erlangte Wohneigentum<br />

„soweit“ steuerbefreit, als der Erblasser darin bis zum Erbfall eine<br />

Wohnung zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat oder <strong>bei</strong> der er aus<br />

zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken<br />

gehindert war und die <strong>bei</strong>m Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu<br />

eigenen Wohnzwecken bestimmt ist.<br />

Bei grammatikalischer Auslegung ist davon auszugehen, dass sich die<br />

in der Formulierung „soweit“ zum Ausdruck kommende anteilige Freistellung<br />

nicht nur auf den Umfang der Selbstnutzung durch den Erblasser,<br />

sondern auch auf die Bestimmung zur Selbstnutzung <strong>bei</strong>m Erwerber<br />

bezieht. Ausgehend vom Wortlaut der Vorschrift wird daher im<br />

Schrifttum 68 eine Steuerbefreiung nur angenommen, „soweit die<br />

Wohnung <strong>bei</strong>m Erwerber unverzüglich zu eigenen Wohnzwecken bestimmt<br />

ist.“ Diese Auslegung entspricht auch der Wertung des Gesetzgebers,<br />

der in § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 3 ErbStG ausdrücklich bestimmt<br />

hat, dass der Ehegatte die Steuerbefreiung nicht in Anspruch nehmen<br />

kann, soweit er das begünstigte Vermögen auf Grund einer letztwilligen<br />

Verfügung oder einer rechtsgeschäftlichen Verfügung des Erblassers<br />

auf einen Dritten übertragen muss. Wenn die Steuerbefreiung <strong>bei</strong><br />

demjenigen eingeschränkt wird, der zur Weiterübertragung von Teilen<br />

des Familienheims verpflichtet ist, dann muss dies erst Recht gelten,<br />

wenn ein Erwerber freiwillig handelt. Schließlich kann die steuerrechtliche<br />

Privilegierung nicht weiter reichen, als dies zum Schutz des vom<br />

Erwerber tatsächlich genutzten Lebensraumes erforderlich ist. 69<br />

68<br />

Richter/Viskorf/Philipp, DB 2009, Beilage Nr. 2 zu Heft Nr.6, S. 10; Schmitt, in:<br />

Tiedtke (Fn. 47), § 13 Rn. 151.<br />

69<br />

Tiedtke/Schmitt, NJW 2009, 2632, 2636.<br />

94


Der entgegen gesetzten Ansicht 70 , nach der jede auch teilweise Fremdvermietung<br />

oder –nutzung sowie Leerstand oder Nutzung zu anderen<br />

als Wohnzwecken begünstigungsschädlich sein solle, ist daher nicht<br />

zuzustimmen.<br />

3. Umfang der entfallenden Steuerbefreiung<br />

Fraglich ist auch, ob und in welchem Umfang die Steuerbefreiung wegfällt,<br />

wenn innerhalb der zehnjährigen Nutzungsfrist der begünstigte<br />

Ehegatte nicht die Nutzung des gesamten Familienwohnheims aufgibt,<br />

sondern nur flächenmäßig einen Teil davon, wenn er also eine<br />

Wohnung eines bislang insgesamt genutzten Zweifamilienhauses vermietet<br />

oder ein als Gartenfläche genutztes Grundstück eigenständig<br />

veräußert. Der Gesetzeswortlaut ist, was den Umfang der entfallenen<br />

Steuerbefreiung anbelangt, nicht eindeutig. Das Gesetz sagt nicht, dass<br />

die Steuerbefreiung wegfällt, „soweit“ der Erwerber das Familienheim<br />

innerhalb von zehn Jahren nicht mehr zu Wohnzwecken selbst nutzt,<br />

sondern dass die Steuerbefreiung wegfällt, „wenn“ der Erwerber das<br />

Familienheim innerhalb von zehn Jahren nicht mehr zu Wohnzwecken<br />

selbst nutzt. Andererseits kann hieraus nicht zwingend gefolgert<br />

werden, dass der Gesetzgeber einen generellen und nicht nur einen<br />

anteiligen Wegfall der Steuerbefreiung regeln wollte. Für den Wegfall<br />

der Steuerbefreiung kann im Ergebnis nichts anderes gelten als für ihre<br />

Gewährung zum Zeitpunkt des Erwerbs. Der Gesetzgeber hat für das<br />

Familienheim eine anteilige Freistellungsregelung geschaffen. Die<br />

Steuerbefreiung orientiert sich am Umfang, zu dem ein bebautes<br />

Grundstück tatsächlich zu eigenen Wohnzwecken genutzt wird. Das gilt<br />

auch, wenn es um die Selbstnutzung des Familienheims durch den<br />

erwerbenden Ehegatten geht. Das Prinzip der anteiligen Freistellung ist<br />

schließlich im Rahmen des Wegfalls der Steuerbefreiung nach § 13<br />

Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG fortzusetzen. 71 Das bedeutet, die Steuerbefreiung<br />

fällt nachträglich nur weg, soweit der Erwerber das Gebäude<br />

nicht mehr selbst nutzt. Hat also der Ehegatte eine Wohnung seines<br />

bislang selbst genutzten Zweifamilienhauses vermietet oder veräußert,<br />

so fällt die Steuerbefreiung lediglich für diese nachträglich weg 72 . Dieses<br />

Ergebnis ist auch sachgerecht und entspricht der verfassungsrechtlichen<br />

Rechtfertigung der steuerlichen Begünstigung des Familien-<br />

70<br />

Viskorf, in: Viskorf/Knobel/Schuck (Fn. 1), § 13 Rn. 55.<br />

71<br />

Schmitt, in: Tiedtke (Fn. 47), § 13 Rn 174.<br />

72<br />

Steiner, ErbStB 2009, 123, 127; a.A. Viskorf, in: Viskorf/Knobel/Schuck (Fn. 1), § 13<br />

Rn. 55.<br />

95


heims 73 . Die Steuerbefreiung fällt mit Wirkung für die Vergangenheit<br />

weg, die Bewertung des Grundstücks orientiert sich also am Zeitpunkt<br />

des Erbfalles. Vermögensminderungen bleiben daher genauso wie<br />

Wertsteigerungen außer Betracht.<br />

4. Zwingende Gründe<br />

Den Begriff der zwingenden Gründe verwendet das Gesetz mehrmals.<br />

Er ist <strong>bei</strong>m Erblasser, aber auch <strong>bei</strong>m Erwerber beachtlich, soweit es<br />

um den Erwerb eines Familienheims von Todes wegen durch den<br />

überlebenden Ehegatten oder durch Kinder und Kinder verstorbener<br />

Kínder geht. Es handelt sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der<br />

zahlreiche Zweifelsfragen aufwirft, die, solange die Rechtsprechung sie<br />

nicht beantwortet hat, die Rechtssicherheit beeinträchtigen können.<br />

a) Beim Erblasser<br />

Als zwingende Gründe kommen nur solche in Betracht, die es dem<br />

Erblasser unmöglich machen, im bisherigen Familienheim weiterhin<br />

seinen Lebensmittelpunkt zu belassen. Dazu zählen vor allem gesundheitliche<br />

Einschränkungen, die umfassende Betreuung erfordern und<br />

einen weiteren Verbleib in der Familienwohnung als nicht länger zumutbar<br />

erscheinen lassen. Dies ist etwa der Fall, wenn der pflegebedürftige<br />

Erblasser zu seinen Kindern oder in ein Pflegeheim zieht.<br />

Im Schrifttum 74 wird vereinzelt darauf hingewiesen, dass <strong>bei</strong> der Pflegebedürftigkeit<br />

die Pflegestufe 3 vorliegen müsse. Dieser Auffassung ist<br />

nicht zuzustimmen 75 . Sie wird auch von der Finanzverwaltung nicht<br />

vertreten; die gleich lautenden Erlasse 76 der obersten Finanzbehörden<br />

der Länder zur Anwendung der geänderten Vorschriften des Erbschaftsteuer-<br />

und Schenkungsteuergesetzes vom 25.06.2009 stellen jeweils<br />

nur auf die Pflegebedürftigkeit des Erwerbers ab, fordern also nicht die<br />

Pflegestufe 3. Dieser kommt daher nicht mehr als eine Indizwirkung<br />

zu 77 . Bei der Frage der Pflegebedürftigkeit muss vielmehr jeweils im<br />

Einzelfall geprüft werden, ob es zumutbar ist, dass der Erwerber aufgrund<br />

seines Gesundheitszustandes weiterhin in seinem Familienheim<br />

verbleiben kann oder ob dies nicht der Fall ist. Da<strong>bei</strong> sollten die An-<br />

73 Tiedtke/Schmitt, NJW 209, 2632, 2638.<br />

74 Schumann, DStR 2009, 197, 199.<br />

75 Tiedtke/Schmitt, NJW 2009, 2632, 2638.<br />

76 BStBl. I 2009, 713, 716.<br />

77 Steiner, ErbStB 2009, 123, 127; Tiedtke/Schmitt, NJW 2009, 2632, 2638.<br />

96


forderungen nicht überspannt werden, da im Regelfall niemand ohne<br />

zwingenden Grund ins Pflegeheim geht 78 .<br />

Ein zwingender Grund ist auch zu bejahen, wenn der Erblasser aufgrund<br />

einer neu aufgetretenen Behinderung in eine behindertengerechte<br />

Wohnung umziehen muss. 79<br />

Es fragt sich aber, ob dies auch dann zu bejahen ist, wenn ein gesunder<br />

und rüstiger Senior freiwillig in ein Altersheim wechselt. Bei einer lediglich<br />

freiwilligen Änderung der Lebensplanung kommt eine Steuerbefreiung<br />

gerade nicht in Betracht. 80 Bei der Beurteilung des Gesundheitszustandes<br />

ist in diesen Fällen eine Grenzziehung fließend und die<br />

Festlegung bestimmter Kriterien äußerst problematisch. In der Praxis<br />

wird es außerdem schwierig sein, im Zeitpunkt des Erbfalles zu klären,<br />

wie der Gesundheitszustand und die Vitalität des Erblassers waren, als<br />

dieser den Wohnungswechsel vornahm.<br />

Wird der Erblasser erst pflegebedürftig, nachdem er das Familienheim<br />

verlassen hat, dann wird man zu Recht darauf hinweisen, dass er früher<br />

oder später sowieso das Familienheim hätte verlassen müssen. In<br />

diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, zu welchem Zeitpunkt<br />

die Verhinderung aus zwingenden Gründen vorgelegen haben<br />

muss: zum Zeitpunkt des Verlassens des Familienheims oder zum Zeitpunkt<br />

des Erbfalles? Aus der Formulierung des Gesetzestextes lässt<br />

sich dies nicht zweifelsfrei entnehmen. Aus dem Sinn und Zweck der<br />

Vorschrift ergibt sich jedoch, dass die Hinderungsgründe bereits vorliegen<br />

müssen, wenn der Erblasser die Wohnung verlässt. 81 Schließlich<br />

setzt der Begriff Familienheim voraus, dass das jeweilige Wohneigentum<br />

der Mittelpunkt des familiären Lebens <strong>bei</strong>der Ehegatten ist. Dies ist<br />

jedoch nicht der Fall, wenn ein Ehegatte oder Lebenspartner die<br />

Wohnung dauerhaft verlassen hat<br />

In der Rechtslehre 82 wird die Ansicht vertreten, die Steuerbefreiung des<br />

§ 13 Abs. 1 Nr. 4b und Nr. 4c ErbStG entfalle, wenn der verstorbene<br />

Ehegatte seinen Haushalt wegen einer Heimunterbringung oder aus<br />

sonstigen zwingenden Gründen bereits zu seinen Lebzeiten aufgelöst<br />

78 Viskorf, in: Viskorf/Knobel/Schuck (Fn. 1), § 13 Rn. 53.<br />

79 Schumann, DStR 2009, 197,199<br />

80 Richter/Viskorf/Philipp, DB 2009, Beilage Nr. 2 zu Heft Nr.6, S. 10; Schmitt, in:<br />

Tiedtke (Fn. 47), § 13 Rn. 145; Steiner, ErbStB 2009, 123, 126.<br />

81 Schmitt, in: Tiedtke (Fn. 47), § 13 Rn. 146.<br />

82 Viskorf, in: Viskorf/Knobel/Schuck (Fn. 1), § 13 Rn. 53, 59 und 72.<br />

97


und die Wohnung an Dritte vermietet hat. Mit der Fremdvermietung<br />

habe er seinen familiären Lebensraum aufgegeben. Etwas anderes<br />

gelte nur, wenn dem verstorbenen Ehegatten oder Lebenspartner seine<br />

Wohnung bis zuletzt zur Verfügung stehe. Dem ist nicht zuzustimmen.<br />

Bereits aus dem Wortlaut des § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG folgt das<br />

Gegenteil: Dort wird eine Wohnung, <strong>bei</strong> der der Erblasser aus<br />

zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken<br />

gehindert war, einem Familienheim gleichgestellt, das dieser bis zum<br />

Erbfall zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat. Eine anschließende Vermietung<br />

ist dann genauso unschädlich wie ein Leerstand. Dies ist anerkannt,<br />

wenn der Erwerber die Eigennutzung aus zwingenden Gründen<br />

aufgeben musste. 83 Für den Erblasser kann daher nichts anderes<br />

gelten.<br />

Denkbar seien, heißt es wiederholt im Schrifttum 84 auch andere berufliche,<br />

wirtschaftliche oder private Gründe, die zwingend einer Selbstnutzung<br />

der Wohnung durch den Erblasser entgegenstehen. So könne<br />

auch der Wohnungswechsel in einen weiter entfernt liegenden Ar<strong>bei</strong>tsort,<br />

die Pflege eines (weit entfernt wohnenden) Angehörigen oder der<br />

Umstand ein zwingender Hinderungsgrund sein, dass der Erblasser<br />

nicht in der Lage sei, die Kosten des Familienheims aus den laufenden<br />

Einnahmen zu decken. Diese Auffassung ist zwar verständlich, mit dem<br />

Willen des Gesetzgebers aber nicht vereinbar. Danach müssen<br />

objektive Gründe vorliegen, die dem Erblasser das selbständige Führen<br />

eines Haushalts unmöglich machen. Demnach kommt es nicht darauf<br />

an, ob es dem Erblasser zuzumuten ist, an einem bestimmten Wohnort<br />

seinen Wohnsitz zu belassen.<br />

b) Beim Erwerber<br />

Als zwingende Gründe <strong>bei</strong>m Erwerber kommen – wie <strong>bei</strong>m Erblasser –<br />

ebenfalls nur solche in Betracht, die eine Nutzung der Wohnung zu<br />

eigenen Wohnzwecken objektiv unmöglich machen. In diesen Fällen ist<br />

eine anschließende unentgeltliche Überlassung, Vermietung oder der<br />

Verkauf des Familienheims unschädlich. Das gilt – jedenfalls nach der<br />

Auffassung der Finanzverwaltung 85 – auch dann, wenn der überlebende<br />

83<br />

Viskorf, in: Viskorf/Knobel/Schuck (Fn.1), § 13 Rn. 56.<br />

84<br />

Steiner, ErbStB 2009, 123, 126; Viskorf, in: Viskorf/Knobel/Schuck (Fn. 1) § 13<br />

Rn. 53.<br />

85<br />

Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zur Anwendung der geänderten<br />

Vorschriften des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes vom 25.06.2009,<br />

Abschnitt 4, Abs. 2 Satz 5 und Abs. 6 Sätze 9 ff. (BStBl. I 2009, 713, 716, 717); a.A.<br />

Steiner, ErbStB 2009, 123, 127; Viskorf, in Viskorf/Knobel/Schuck (Fn. 1), § 13<br />

98


Ehegatte oder Lebenspartner aus objektiv zwingenden Gründen schon<br />

im Zeitpunkt des Erwerbs an der Nutzung zu eigenen Wohnzwecken<br />

gehindert war, er z.B. bereits selbst in einem Pflegeheim lebt. Entfallen<br />

die Hinderungsgründe innerhalb der Zehnjahresfrist, muss der Erwerber<br />

die Nutzung des Familienheims unverzüglich nach ihrem Wegfall zu<br />

eigenen Wohnzwecken aufnehmen und bis zum Ablauf des Zehnjahreszeitraums<br />

oder dem erneuten Eintritt objektiv zwingender Gründe<br />

ausüben. Anderenfalls fällt die Steuerbefreiung rückwirkend weg.<br />

Fraglich ist, ob dies auch dann gilt, wenn der Erwerber das Familienheim<br />

bereits veräußert hat, als tatsächlich zwingende Hinderungsgründe<br />

vorlagen. 86 Eine erneute Nutzung ist hier regelmäßig nicht mehr<br />

möglich. Eine Nachversteuerung würde in diesem Fall jedenfalls dann<br />

eine unbillige Härte darstellen, wenn der Wegfall der objektiven<br />

Hinderungsgründe unvorhersehbar ist und vom Erwerber nicht beeinflusst<br />

werden kann, etwa <strong>bei</strong> einer schweren Pflegebedürftigkeit. Der<br />

Erwerber müsste, obwohl objektive Hinderungsgründe vorliegen, seine<br />

Veräußerungsabsicht bis zum Ablauf der Zehnjahresfrist aufschieben,<br />

wenn er nicht das Risiko einer unvorhergesehenen Nachversteuerung<br />

eingehen möchte. Dieser Auffassung ist daher nicht zuzustimmen 87 .<br />

Ist andererseits der Wegfall der Hinderungsgründe absehbar, etwa<br />

wenn <strong>bei</strong> einem Minderjährigen die Vollendung des 18. Lebensjahres<br />

noch innerhalb der Zehnjahresfrist liegt, kann der Zweck der Steuerbefreiung,<br />

das Familienheim krisenfest zu erhalten, noch erreicht werden.<br />

Das ist indes nicht der Fall, wenn das Familienheim in der Annahme<br />

dauerhafter objektiver Verhinderung bereits veräußert wurde.<br />

Es ist daher sachgerecht, danach zu differenzieren, ob der Wegfall der<br />

objektiven Hinderungsgründe im Zeitpunkt der Veräußerung vorhersehbar<br />

war. Ist dies der Fall, führt eine Veräußerung zur Nachversteuerung,<br />

anderenfalls bleibt es <strong>bei</strong> der Steuerbefreiung.<br />

Rn. 54; sie meinen, die zwingenden Gründe suspendierten nur das Erfordernis der<br />

vollen zehnjährigen Selbstnutzung, änderten aber nichts am Grundtatbestand, der<br />

gemäß dem Begünstigungszweck der Norm zwingend voraussetze, dass das<br />

begünstigte Objekt nach dem Erwerb zum Familienheim des Erwerbers werden<br />

könne und auch tatsächlich zu einem solchen werde. Sei der überlebende Ehegatte<br />

daher von Anfang an an der Selbstnutzung verhindert, müsse die Steuerbefreiung<br />

daher selbst dann versagt werden, wenn dies aus zwingenden Gründen geschehe.<br />

86 Bejahend Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zur Anwendung der<br />

geänderten Vorschriften des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes vom<br />

25.06.2009, Abschnitt 4 Abs. 2 Satz 11 (BStBl. I 2009, 713, 717).<br />

87 Tiedtke/Schmitt, NJW 2632, 2637.<br />

99


Ein zwingender Grund ist <strong>bei</strong>spielsweise ferner anzunehmen, wenn das<br />

Wohnobjekt infolge eines Umstandes, den der Erwerber nicht zu vertreten<br />

hat, vollständig zerstört oder zumindest für längere Zeit unbewohnbar<br />

wurde. Das Gleiche muss gelten, wenn das Familienheim<br />

gegen den Willen des Erwerbers enteignet wird.<br />

Fraglich ist indes, ob ein zwingender Grund vorliegt, wenn das<br />

Familienheim im Rahmen einer Zwangsvollstreckungsmaßnahme verwertet<br />

wird und der Erwerber in diesem Zusammenhang sein Eigentum<br />

daran verliert. Veräußert ein Erwerber das Familienheim selbst, um<br />

Schulden zu tilgen, stellt dies keinen zwingenden Grund dar. Die<br />

Rechtslage kann nicht anders sein, wenn auf Grund der Schulden Vollstreckungsmaßnahmen<br />

eingeleitet werden. 88 Handelt es sich um<br />

Verbindlichkeiten, die im Zusammenhang mit der Anschaffung oder dem<br />

Erwerb des Eigenheims stehen, führt der Wegfall der Steuerbefreiung<br />

ohnehin dazu, dass § 10 Abs. 6 ErbStG einem Schuldenabzug nicht<br />

mehr entgegensteht. Hat der Erwerber die Schulden jedoch anderweitig<br />

begründet, und greifen seine Gläubiger jetzt im Wege der Zwangsvollstreckung<br />

auf das Familienheim zu, so ist er genauso wenig schutzwürdig<br />

wie der Erbe anderer Vermögenswerte, die er infolge der<br />

Zwangsvollstreckung verliert. Zweck der Steuerbefreiung ist es, das<br />

Familienheim krisenfest zu erhalten. 89 Dieser Zweck kann jedenfalls<br />

nicht mehr erreicht werden, wenn das jeweilige Wohnungseigentum<br />

Opfer der Schulden des Erwerbers wird.<br />

Auch <strong>bei</strong>m Erwerber kann es um die Frage gehen, ob berufliche Veränderungen<br />

die Annahme eines zwingenden Grundes rechtfertigen.<br />

Wird etwa der länger lebende Ehegatte durch seinen Ar<strong>bei</strong>tgeber von<br />

München nach Hamburg versetzt, so ist es ihm in der Regel unmöglich,<br />

das in München belegene Familienheim weiter zu eigenen Wohnzwecken<br />

zu nutzen. Hier<strong>bei</strong> ist allerdings zu berücksichtigen, dass die<br />

verfassungsrechtliche Rechtfertigung der besonderen Verschonung des<br />

familiären Wohneigentums nur enge Ausnahmen zulässt. Eine<br />

Änderung der Lebenssituation ist daher nur dann als zwingend anzusehen,<br />

wenn der Betroffene objektiv keinen Einfluss hierauf hat. Bei<br />

einer Änderung der Lebensplanung ist dies hingegen nicht der Fall.<br />

Obwohl einzelne Abgeordnete auf die Problematik der beruflichen Versetzung<br />

hingewiesen haben, werden in der Gesetzesbegründung 90 als<br />

88 Schmitt, in: Tiedtke (Fn. 47), § 13 Rn. 168.<br />

89 BT – Drs. 16/11107, 10.<br />

90 BT – Drs. 16/11107, 10.<br />

100


Beispiele für zwingende Gründe lediglich der Tod oder die Pflegebedürftigkeit<br />

des Erwerbers genannt.<br />

Nach dem Willen des Gesetzgebers müssen „objektive Gründe vorliegen,<br />

die das selbständige Führen eines Haushaltes in dem erworbenen<br />

Eigenheim unmöglich machen.“ Der Gesetzgeber stellt also<br />

für die Ausnahme von der zehnjährigen Eigennutzung allein darauf ab,<br />

ob der Erwerber in der Lage ist, einen Haushalt selbständig zu führen,<br />

nicht jedoch darauf, ob dem Erwerber zuzumuten ist, an einem bestimmten<br />

Wohnort seinen Wohnsitz zu belassen. Deshalb können<br />

beruflich veranlasste Wohnsitzwechsel grundsätzlich nicht berücksichtigt<br />

werden. Sie führen daher zu einem Wegfall der ursprünglichen<br />

Steuerbefreiung. 91<br />

Fraglich ist allerdings, ob eine Zwischenvermietung während eines<br />

beruflich bedingten Auslandsaufenthalts steuerunschädlich sein kann,<br />

wenn der Auslandsaufenthalt lediglich vorübergehender Natur ist und<br />

die Selbstnutzung anschließend unverzüglich aufgenommen wird. Das<br />

ist im Ergebnis zu bejahen. Zwar ist der Erwerber auch <strong>bei</strong> einer derartigen<br />

Gestaltung keinesfalls aus zwingenden Gründen an einer<br />

Selbstnutzung der Wohnung gehindert. 92 Die Steuerfreiheit beruht aber<br />

darauf, dass es <strong>bei</strong> dieser und ähnlichen Konstellationen von vornherein<br />

an einer endgültigen Aufgabe der Selbstnutzung fehlt; wer, aus welchen<br />

Gründen auch immer, die von ihm selbst genutzte Wohnung vorübergehend<br />

leer stehen lässt oder vermietet, gibt die Selbstnutzung nicht,<br />

wie es die gesetzliche Regelung fordert, endgültig auf, wenn er von<br />

Anfang an die Absicht hat, die Selbstnutzung zu eigenen Zwecken anschließend<br />

wieder aufzunehmen 93 .<br />

Ein Umzug anlässlich einer späteren Wiederverheiratung ist dagegen<br />

nicht steuerunschädlich. 94 Eine derartige Veränderung der Lebensplanung<br />

ist ausschließlich subjektiv geprägt. Dass Art. 6 Abs. 1 GG Ehe<br />

und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung<br />

stellt, ändert daran nichts.<br />

Im Rahmen des Erwerbs eines Familienheims durch Kindern und Kinder<br />

verstorbener Kinder (§ 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG kommt es insbesondere<br />

91 Schmitt, in: Tiedtke (Fn. 47), § 13 Rn. 171.<br />

92 So aber Schumann, DStR 2009, 197, 199.<br />

93 Tiedtke/Schmitt, NJW 2009, 2632, 2638.<br />

94 Tiedtke/Schmitt, NJW 2009, 2632, 2639; a. A. Mayer, ZEV 2009, 439, 440;<br />

Schumann, DStR 2009, 197, 200; Steiner, ErbStB 2009, 123, 127.<br />

101


darauf an, ob ein zwingender Grund gegeben ist, wenn sich der Erwerber<br />

aufgrund seiner Berufsausbildung oder seines Studiums in einer<br />

anderen Stadt aufhalten muss. Grundsätzlich ist dies zu verneinen. 95<br />

Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Steuerbefreiung des<br />

Familienheims lässt nur enge Ausnahmen zu. Berufsausbildung und<br />

Studienwahl sind Fragen der persönlichen und damit autonom<br />

motivierten Lebensplanung, begründen hingegen keine objektiven<br />

Hinderungsgründe. Hält sich der Student oder Auszubildende regelmäßig<br />

an den Wochenenden während der ausbildungs- bzw. vorlesungsfreien<br />

Zeit in dem Wohneigentum auf, kann i.d.R. eine Selbstnutzung<br />

zu eigenen Wohnzwecken noch bejaht werden, jedenfalls<br />

dann, wenn noch weitere Familienangehörige in der Wohnung ihren<br />

Lebensmittelpunkt haben.<br />

Objektiv zwingende Gründe liegen ebenfalls vor, wenn ein minderjähriges<br />

Kind ein Familienheim erbt. Wird es in einem Waisenhaus oder<br />

in einer Pflegefamilie untergebracht, so liegen objektive Gründe vor, die<br />

ihm das selbständige Führen eines Haushaltes in dem erworbenen<br />

Familienheim unmöglich machen 96 . Das Gleiche gilt, wenn der überlebende<br />

Erziehungsberechtigte, der das Aufenthaltsbestimmungsrecht<br />

ausübt, in einen anderen Ort zieht und das minderjährige Kind ihm deshalb<br />

folgen muss.<br />

D. Folgerungen für die notarielle Gestaltungspraxis<br />

I. Lebzeitige Übertragung eines Familienheims als Gestaltungs-<br />

mittel<br />

Aus der Sicht der Gestaltungspraxis bleibt nach alledem die lebzeitige<br />

Zuwendung eines Familienheims an den Ehegatten oder Lebenspartner<br />

nach wie vor interessant. Sie verdient den Vorzug vor einer Übertragung<br />

von Todes wegen nach § 13 Abs. Nr. 4b ErbStG, weil sie mit keiner<br />

Behaltensfrist und damit auch nicht dem Risiko der Nachversteuerung<br />

verbunden ist. 97 Der Beschenkte muss das Objekt weder für einen bestimmten<br />

Zeitraum in seinem Eigentum halten, noch ist erforderlich,<br />

95 Vgl. Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zur Anwendung der<br />

geänderten Vorschriften des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes vom<br />

25.06.2009, Abschnitt 4, Abs.6 Satz 9 (BStBl. I 2009, 713, 717); Schmitt, in: Tiedtke<br />

(Fn. 47), § 13 Rn. 193.<br />

96 Vgl. Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zur Anwendung der<br />

geänderten Vorschriften des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes, Stand<br />

01.04.2009, Abschnitt 4, Abs.7 Satz 5 BStBl. I 2009, 713, 717).<br />

97 Vgl. Mayer, ZEV 2009, 439, 442; Steiner, ErbStB 2009, 123, 124.<br />

102


dass er die Wohnung nach der Schenkung weiter zu eigenen Wohnzwecken<br />

nutzt. Sowohl eine spätere Veräußerung als auch eine<br />

Nutzungsänderung durch den Begünstigten sind unbeachtlich. Es ist<br />

lediglich erforderlich, dass der Erblasser bis zum Vollzug der Zuwendung<br />

das Familienheim zu Wohnzwecken genutzt hat. Eine Ausnahme<br />

von diesem Grundsatz hat der Gesetzgeber <strong>bei</strong>m Vorliegen<br />

zwingender Gründe lediglich für den Erwerb von Todes wegen vorgesehen.<br />

§ 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG ist eine sachliche Befreiung, die unabhängig<br />

(und damit zusätzlich) vom persönlichen Ehegattenfreibetrag nach § 16<br />

Abs. 1 Nr. 1 ErbStG und dem besonderen Versorgungsfreibetrag nach<br />

§ 17 Abs.1 ErbStG gewährt wird. 98 Eine Wertobergrenze gibt es nicht.<br />

Durch die Übertragung des Familienheims können deshalb Vermögensverschiebungen<br />

in unbegrenzter Höhe schenkungsteuerfrei vorgenommen<br />

werden. Es findet auch keine Angemessenheitsprüfung<br />

statt. Es tritt weder Objektverbrauch ein, noch gibt es eine Objektbeschränkung.<br />

99 Die Ehegatten können daher sowohl ein Familienheim<br />

nacheinander hin und her übertragen als auch im Laufe der Ehe für<br />

mehrere jeweils selbst genutzte Immobilien die Steuerbefreiung in Anspruch<br />

nehmen.<br />

Insoweit kann § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG ein wesentliches Gestaltungsmittel<br />

sein, um eine optimale Verteilung des Familienvermögens<br />

schenkungsteuerfrei zu erreichen. Verkauft die beschenkte<br />

Ehefrau das ihr übertragene Familienheim an ihren Ehemann zurück,<br />

kann ihr aufgrund dieser Gestaltung Bargeld in unbegrenzter Höhe und<br />

außerhalb der persönlichen Freibeträge schenkungsteuerfrei zugewendet<br />

werden, sofern im Einzelfall kein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten<br />

nach § 42 AO gegeben ist. Ein solcher Fall kann<br />

gegebenenfalls eintreten, wenn ein Objekt kurz vor der Übertragung auf<br />

den anderen Ehegatten zum Familienheim wird, die Nutzung zu eigenen<br />

Wohnzwecken dann aber kurze Zeit nach der Zuwendung wieder aufgegeben<br />

wird. 100<br />

98 Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher (Fn. 5), § 13 Rn. 58; Viskorf, in<br />

Viskorf/Knobel/Schuck (Fn. 1) § 13 Rn. 49.<br />

99 Tiedtke/Schmitt, NJW 2009, 2632, 2634. m.w.N.<br />

100 Geck, ZEV 1996, 107,109; Viskorf, in: Viskorf/Knobel/Schuck (Fn. 1), § 13 Rn. 43.<br />

103


II. Nießbrauchsgestaltungen<br />

Dem Wortlaut nach fällt die Steuerbefreiung mit Wirkung für die Vergangenheit<br />

nur weg, wenn der Erwerber innerhalb von zehn Jahren<br />

nach dem Erwerb das Familienheim nicht mehr zu Wohnzwecken selbst<br />

nutzt. Im Schrifttum 101 wird daher die Auffassung vertreten, eine Veräußerung<br />

des Familienheims stelle keinen Verstoß gegen die Zehnjahresfrist<br />

dar, wenn der Erwerber das Familienheim weiter bewohne,<br />

etwa als Mieter, aufgrund eines Wohnrechts oder als Nießbraucher.<br />

Dem ist jedoch nicht zuzustimmen. 102 Der Gesetzgeber wollte Wohneigentum<br />

erbschaftsteuerrechtlich nicht schlechthin privilegieren,<br />

sondern nur in einem familiären Nutzungs- und Funktionszusammenhang.<br />

Mit der zehnjährigen Nutzungsfrist hat er höhere Anforderungen<br />

aufgestellt als <strong>bei</strong> der zehnjährigen Behaltensfrist, etwa für Kulturgüter.<br />

Wenn er über das bloße Behalten hinaus die Selbstnutzung zu eigenen<br />

Wohnzwecken des erlangten Wohneigentums fordert, dann ist damit ein<br />

Nutzen als Eigentümer oder Miteigentümer gemeint. Nach der<br />

Gesetzesbegründung „dient die Regelung dazu, das Familiengebrauchsvermögen<br />

krisenfest zu erhalten.“ 103 Die Veräußerung des<br />

Familienheims ist genau das Gegenteil. Der Erwerber soll mit der<br />

Steuerbefreiung davor geschützt werden, dass er das Familienheim<br />

angesichts der Erbschaftsteuer veräußern muss. Verkauft er es gleichwohl,<br />

verliert seine erbschaftsteuerliche Privilegierung ihre Grundlage.<br />

Die Steuerbefreiung entfällt also, wenn der Erwerber das Familienheim<br />

zwar weiter bewohnt, das Eigentum aber an einen Dritten überträgt.<br />

Es ist deshalb weder ratsam, die Kinder unmittelbar zu Erben einzusetzen<br />

und sie bezüglich des Familienheims mit einem Nießbrauchsvermächtnis<br />

zugunsten des längerlebenden Ehegatten zu belasten noch<br />

den als Erben eingesetzten überlebenden Ehegatten mit dem Vermächtnis<br />

zu beschweren, das Familienheim zwar auf die Kinder zu<br />

übertragen, sich vorab aber einen Vorbehaltsnießbrauch einzuräumen.<br />

In <strong>bei</strong>den Fällen liegen die Voraussetzungen der Steuerbefreiung für<br />

das Familienheim nicht vor, und zwar weder für die Kinder noch für den<br />

überlebenden Ehegatten. Dieser kann die Steuerbefreiung nicht in An-<br />

101<br />

Geck, ZEV 2008, 557, 55; Mayer, ZEV 2009, 439, 443; Steiner, ErbStB 2009, 123,<br />

127.<br />

102<br />

So auch Richter/Viskorf/Philipp, DB 2009, Beilage Nr. 2 zu Heft Nr.6, S. 10; Schmitt,<br />

in: Tiedtke (Fn. 47), § 13 Rn .172; Viskorf, in: Viskorf/Knobel/Schuck (Fn. 1), § 13<br />

Rn. 55.<br />

103<br />

BT – Drs. 16/11107, 10.<br />

104


spruch nehmen, weil er nicht, wie es § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG erfordert,<br />

das Eigentum erwirbt, und den Kindern steht die Vergünstigung<br />

nicht zu, weil es an einer Selbstnutzung durch sie fehlt. Daran ändert<br />

auch der Umstand nichts, wenn sie in das Familienheim einziehen<br />

sollten, es also faktisch selbst nutzen. Dieser Nutzung fehlt eine<br />

gesicherte Rechtsposition. Sie kann jederzeit durch den Nießbraucher<br />

beendet werden. 104 Sie ist deshalb nicht ausreichend.<br />

Testamentsgestaltungen, die nach wie vor das Familienheim durch<br />

Nießbrauchs- oder Wohnrechte aufspalten, sollten daher im Hinblick auf<br />

die Steuerbefreiung nach den § 13 Abs. 1 Nr. 4b und Nr. 4c ErbStG<br />

überprüft werden.<br />

III. Teilungsanordnung oder Vorausvermächtnis<br />

Eheleute übertragen ein Familienheim häufig im Rahmen eines Berliner<br />

Testaments zunächst auf den überlebenden Ehegatten und erst nach<br />

seinem Tod auf die gemeinsamen Kinder als Schlusserben. Steht<br />

bereits zur Zeit der Testamentserrichtung fest, welches Kind das<br />

Familienheim zu eigenen Wohnzwecken nutzen wird, kann dies nach<br />

neuer Rechtslage sowohl durch eine Teilungsanordnung als auch durch<br />

ein (Voraus-)Vermächtnis geschehen 105 . Durch den<br />

Begünstigungstransfer (§ 13 Abs. 1 Nr. 4c Sätze 2-5 ErbStG) ist sichergestellt,<br />

dass die Steuerbefreiung erhält, wer das Familienheim selbst<br />

nutzt.<br />

IV. Ausgleich von Belastungsunterschieden <strong>bei</strong> der Testaments-<br />

gestaltung<br />

Die Steuerbefreiung für das Familienheim im Todesfall kommt nur dem<br />

Erben zugute, der dieses Objekt erlangt. Im Vergleich zu den übrigen<br />

Erben, die z.B. ausschließlich Geld, also kein privilegiertes Vermögen,<br />

erhalten, kann es daher zu erheblichen Belastungsunterschieden<br />

führen, die in vielen Fällen nicht der vom Erblasser gewollten wirtschaftlichen<br />

Gleichstellung entspricht. Deshalb sind <strong>bei</strong> der Testamentsgestaltung<br />

vermehrt die erbschaftsteuerlichen Auswirkungen zu berücksichtigen.<br />

Dies kann einerseits dadurch geschehen, dass der Erblasser<br />

dem Kind, welches die Steuerbefreiung nicht erhält, von vorn herein<br />

mehr nicht privilegiertes Vermögen zuweist. Andererseits ist es auch<br />

ratsam, den begünstigten Erben zugunsten des Benachteiligten mit<br />

104 Mayer, ZEV 2009, 439, 443.<br />

105 Mayer, ZEV 2009, 439, 443.<br />

105


edingten Geldvermächtnissen 106 für den Fall zu beschweren, dass der<br />

Begünstigte die Voraussetzungen der Steuerbefreiung erfüllt, das<br />

Familienheim also insbesondere zehn Jahre selbst nutzt.<br />

Beispiel 5<br />

V wird von K1 und K 2 zu je ½ beerbt. In seinem Nachlass befindet sich<br />

ein selbstgenutztes Familienheim mit einer Wohnfläche von 200 qm<br />

(Wert: 1 Mio. €) und Kapitalvermögen in Höhe von 1,8 Mio €. Das<br />

Testament sieht vor, dass K 1 das Familienheim und 400.000 € erhält.<br />

Den Rest, also 1,4 Mio € Kapitalvermögen, soll K2 erhalten. K1 ist<br />

bereit, das Familienheim unverzüglich selbst zu nutzen.<br />

Der Erwerb von K1 in Höhe von 1,4 Mio € ist unter Berücksichtigung<br />

des persönlichen Freibetrages nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG (400.000<br />

€) insgesamt steuerfrei, falls sie die Selbstnutzung des Familienheims<br />

nicht innerhalb von zehn Jahren ohne zwingenden Grund aufgibt.<br />

K2 kann dagegen von seinen Erwerb in Höhe von 1.4 Mio € lediglich<br />

seinen persönlichen Freibetrag von 400.000 € abziehen und muss von<br />

dem Rest (1,0 Mio €) 19 % Erbschaftsteuer zahlen, so dass ihm nach<br />

Abzug der Steuer davon nur 810.000 € verbleiben, während K1 das<br />

Familienheim im Wert von ebenfalls 1,0 Mio € steuerfrei erhält.<br />

Wenn V seine Kinder K1 und K2 wirtschaftlich gleich behandeln wollte,<br />

hätte er diese unterschiedliche Erbschaftsteuerbelastung <strong>bei</strong> der<br />

Testamentsgestaltung berücksichtigen, also anordnen müssen, dass K1<br />

an K2 vermächtnisweise die Differenz ausgleicht, falls feststeht, dass ihr<br />

die Steuerbefreiung für das Familienheim verbleibt. Da auch diese<br />

Leistung <strong>bei</strong> K2 der Erbschaftsteuer unterliegt, reicht es nicht aus, wenn<br />

K1 lediglich 95.000 € zahlt. K1 müsste vielmehr 104.972 € aufwenden,<br />

um die vom Erblasser gewollte Gleichbehandlung zu bewirken. Nach<br />

Abzug einer Steuer von 19.994 € <strong>bei</strong> K2 verbleibt jedem Kind dann ein<br />

Vermögen in Höhe von 895.028 €.<br />

V. Ausschluss und Kürzung des Schuldenabzugs<br />

Nach § 10 Abs. 6 Satz 1 ErbStG sind Schulden und Lasten nicht abzugsfähig,<br />

soweit sie in wirtschaftlichem Zusammenhang mit Vermögensgegenständen<br />

stehen, die nicht der Besteuerung nach dem<br />

ErbStG unterliegen. Dazu gehören auch die Steuerbefreiungen für die<br />

106 Vgl. Mayer, ZEV 2009, 439, 444.<br />

106


Zuwendung eines Familienheims nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a, Nr. 4b und<br />

Nr.4c ErbStG. Ein Schuldenabzug kommt jedoch in Betracht, wenn die<br />

Steuerbefreiung nachträglich, z.B. wegen Verstoßes gegen die zehnjährige<br />

Haltefrist, wegfällt. Gegebenenfalls ist der Schuldenabzug in der<br />

Wertrelation des begünstigten Familienheims zum Gesamtgebäude<br />

aufzuteilen.<br />

Beispiel 6<br />

Sachverhalt wie im Beispiel 1. Neben dem Grundbesitzwert von 1.2 Mio.<br />

€ gehört zum Nachlass aber ferner ein Bankguthaben von 800.000 €<br />

sowie Erblasserschulden in Höhe von 200.000 €, die mit der Anschaffung<br />

des Grundstücks zusammenhängen.<br />

Der Reinnachlass beträgt<br />

(1,2 Mio. € plus 800.000 € – 200.000 € =)<br />

1.800.000 €<br />

abzüglich Steuervergünstigung nach § 13<br />

Abs. 1 Nr. 4a ErbStG<br />

– 900.000 €<br />

plus Schuldenabzugsbeschränkung nach<br />

§ 10 Abs. 6 Satz 1 ErbStG<br />

(900.000 €: 1.200.000. €) x 200.000 € =<br />

+ 150.000 €<br />

Steuerpflichtiger Erwerb 1.050.000 €<br />

E. Fazit<br />

Die Erbschaftsteuerreform 2008/2009 hat den Anwendungsbereich des<br />

§ 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG für die lebzeitige Übertragung eines<br />

Familienheims erweitert. Die Steuerfreiheit gilt nunmehr nicht nur für<br />

Ehegatten, sondern auch für eingetragene Lebenspartnerschaften und<br />

für solche Grundstücke i.S.d. § 181 Abs. 1 Nr.1 bis 5 BewG, die in<br />

einem Mitgliedstaat der EU oder einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums<br />

belegen sind, soweit darin eine Wohnung zu eigenen<br />

Zwecken genutzt wird. Der Gesetzgeber hat damit eine anteilige Freistellungsregelung<br />

getroffen. Die Steuervergünstigung wird nur für die zu<br />

eigenen Wohnzwecken genutzten Teile des jeweiligen Anwesens gewährt.<br />

Damit hat sich der Meinungsstreit zu der Frage erledigt, ob und in<br />

welchem Umfang eine Steuerbefreiung zu gewähren ist, wenn einzelne<br />

Wohnungen des Gebäudes, in dem sich das Familienheim befindet,<br />

fremd vermietet sind oder gewerblichen Zwecken dienen. Diese<br />

Regelungen sind uneingeschränkt zu begrüßen.<br />

107


Demgegenüber enthalten die Befreiungstatbestände für den Erwerb<br />

eines Familienheims von Todes wegen (§ 13 Abs. 1 Nr. 4b und § 13<br />

Abs. 1 Nr. 4c ErbStG) erhebliche Einschränkungen. Voraussetzung ist<br />

nicht nur, dass der Erblasser das Objekt bis zum Erbfall zu eigenen<br />

Wohnzwecken genutzt hat, sondern auch, dass es <strong>bei</strong>m Erwerber unverzüglich<br />

zur Selbstnutzung bestimmt ist und diese ununterbrochen für<br />

zehn Jahre fortdauert. Dadurch wird der Erwerber mit einem Nachversteuerungsrisiko<br />

belastet. Beim Erwerb von Todes wegen durch Kinder<br />

oder Kinder verstorbener Kinder kommt hinzu, dass das Gesetz die<br />

Steuerfreiheit auf eine Wohnfläche von 200 qm begrenzt.<br />

Unbefriedigend ist ferner, dass häufig geprüft werden muss, ob der<br />

Erblasser oder der Erwerber aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung<br />

gehindert war. Damit kommt es auf unbestimmte Rechtsbegriffe<br />

an, die wegen ihrer schwierigen und zweifelhaften Auslegung<br />

die Rechtssicherheit gefährden können.<br />

Schließlich bestehen gravierende verfassungsrechtliche Bedenken<br />

gegen die Neuregelung. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollen<br />

die Steuervergünstigung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b und Nr. 4c ErbStG<br />

dem „Schutz des gemeinsamen familiären Lebensraums“ und „der<br />

Lenkung in Grundvermögen schon zu Lebzeiten des Erblassers“<br />

dienen. Ob diese Begründung ausreicht, eine willkürliche Ungleichbehandlung<br />

zu vermeiden, muss jedoch in Frage gestellt werden, weil die<br />

sachliche Steuerbefreiung nach diesen Vorschriften für das Familienheim<br />

nicht auf die (nochmals deutlich angehobenen) persönlichen Freibeträge<br />

angerechnet, sondern zusätzlich zu diesen gewährt wird. Damit<br />

ist das Familienheim als privat genutztes Grundvermögen gegenüber<br />

anderem Vermögen privilegiert, ohne dass Gründe des Gemeinwohls<br />

erkennbar sind, die dies rechtfertigen können.<br />

Aus der Sicht der Gestaltungspraxis verdient nach alledem die lebzeitige<br />

Zuwendung eines Familienheims an den Ehegatten oder<br />

Lebenspartner nach wie vor den Vorzug vor einer Übertragung von<br />

Todes wegen nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b und § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG,<br />

weil sie mit keiner Behaltensfrist und damit auch nicht dem Risiko der<br />

Nachversteuerung verbunden ist. Der Beschenkte muss das Objekt<br />

weder für einen bestimmten Zeitraum in seinem Eigentum halten, noch<br />

ist erforderlich, dass er die Wohnung nach der Schenkung weiter zu<br />

eigenen Wohnzwecken nutzt. Es gibt weder eine Wertobergrenze, noch<br />

tritt ein Objektverbrauch ein. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen<br />

aber auch gegen diese Steuerbefreiung.<br />

108


Mietkauf und ähnliche Verträge<br />

Prof. Dr. Stefan Hügel,<br />

Notar, Weimar, Präsident der Notarkammer Thüringen<br />

Mitglied des Vorstands der NotRV<br />

Seite<br />

I. Allgemeines ...............................................................................111<br />

II. Rechtliche Einordnung des Mietkaufs....................................112<br />

1. Definition des sog. Mietkaufs<br />

(Mietvertrag mit Ankaufsrecht).............................................112<br />

2. Abgrenzung zum Ratenzahlungs- und Rentenkaufvertrag..113<br />

III. Der mietvertragliche Teil des Mietkaufvertrages...................113<br />

1. Allgemeines..........................................................................113<br />

2. Beurkundungsbedürftigkeit ..................................................115<br />

3. Mietparteien..........................................................................116<br />

4. Mietdauer .............................................................................117<br />

a) Allgemeine Überlegungen.............................................117<br />

b) Zeitmietvertrag ..............................................................118<br />

c) Mindestlaufzeit durch Kündigungsausschluss ..............118<br />

aa) Ausschluss der außerordentlichen Kündigung .....119<br />

bb) Ausschluss der ordentlichen Kündigung .............119<br />

d) Dauer des Kündigungsausschlusses............................120<br />

aa) Kündigungsausschluss im Individualvertrag.........120<br />

bb) Kündigungsausschluss im Formularvertrag .........120<br />

cc) Ergebnis für den Mietkaufvertrag..........................121<br />

5. Kosten der Instandhaltung und Instandsetzung...................121<br />

a) Allgemeines...................................................................121<br />

b) Überwälzung der gesamten Instandhaltungs- und<br />

Instandsetzungskosten .................................................122<br />

6. Erschließungskosten............................................................123<br />

109


110<br />

7. Rechte des Mieters <strong>bei</strong> Sach- und Rechtsmängeln.............124<br />

8. Kündigung ............................................................................125<br />

9. Mietkaufbedingte zusätzliche Vereinbarungen ....................126<br />

a) Genehmigungsbedürftigkeit des Kaufvertrags..............126<br />

b) Verwendungsabrede hinsichtlich der Miete ..................130<br />

IV. Der kaufrechtliche Teil des Mietkaufvertrages ......................132<br />

1. Allgemeines..........................................................................132<br />

2. Das Ankaufsrecht des Mietkäufers ......................................132<br />

a) Allgemeine Gestaltungsüberlegungen ..........................132<br />

b) Regelung der Vererblichkeit des Ankaufsrechts...........133<br />

c) Regelung der Übertragbarkeit des Ankaufsrechts........134<br />

d) Angebotsfrist .................................................................134<br />

3. Anrechnung der geleisteten Mietzahlungen auf<br />

den Kaufpreis .......................................................................135<br />

a) Totalanrechnung ...........................................................135<br />

b) Teilanrechnung..............................................................135<br />

c) Anrechnung <strong>bei</strong> Mietminderung ....................................136<br />

4. Erschließungskosten............................................................137<br />

V. Schlussbemerkung ...................................................................137


I. Allgemeines<br />

Der Mietkauf ist „in“. In regionalen und überregionalen Immobilienanzeigen<br />

wird damit geworben, dass der Erwerb einer bestimmten Immobilie<br />

auch in Form eines Mietkaufs möglich ist. Manche Makler halten<br />

diesen Vertragstyp geradezu für das Zaubermittel schlechthin, mit dem<br />

ein Kaufinteressent, dem eine übliche Finanzierung durch Kreditinstitute<br />

verwehrt wird, dennoch den Erwerb der eigenen vier Wände realisieren<br />

kann. Nachfragen hinsichtlich einer solchen <strong>Vertragsgestaltung</strong> machen<br />

aber schnell sichtbar, dass keine eindeutigen Vorstellungen hinsichtlich<br />

des Inhalts eines Mietkaufvertrages vorhanden sind. Klar ist immer nur,<br />

dass das Vertragsobjekt zunächst nicht gekauft, sondern unter gleichzeitiger<br />

Einräumung eines Ankaufrechts und Anrechnung der Mietzahlungen<br />

auf den Kaufpreis nur gemietet werden oder der Kaufpreis<br />

abgestottert werden soll. Mangels zahlungsfähiger oder kreditwürdiger<br />

Käufer soll die zum Verkauf stehende Immobilie an einen Interessenten,<br />

der zum jetzigen Zeitpunkt an sich nicht über die notwendigen<br />

finanziellen Mittel zum Kauf verfügt, veräußert werden. Der veräußerungswillige<br />

Eigentümer erhält so einen Käufer für seine zum Verkauf<br />

stehende Immobilie und diesem wird der Ankauf ermöglicht, obwohl<br />

eine Finanzierung durch Kreditinstitute nicht erfolgt. Auf den ersten<br />

Blick erweist sich damit der Mietkauf als der Stein der Weisen.<br />

Wird man als Vertragsgestalter gebeten, den Wunsch nach einem Mietkauf<br />

einer Immobilie vertraglich umzusetzen, fühlt man sich regelmäßig<br />

unwohl. Die wenige Rechtsprechung, die zum Problem Mietkauf ergangen<br />

ist, beschäftigt sich weitgehend mit dem „alten“ steuerlich<br />

motivierten Mietkaufmodell. Einschlägige, vertiefte Literatur war lange<br />

Zeit nicht veröffentlicht 1 . Soweit sich die Literatur überhaupt mit dem<br />

Mietkauf beschäftigt, finden sich nur wenige Zeilen zu diesem Vertragstyp,<br />

die meist deckungsgleich referieren, dass man zwischen<br />

Grundtypen des Mietkaufs unterscheiden könne 2 , nämlich dem Mietvertrag<br />

mit Ankaufsrecht sowie dem Ratenzahlungskaufvertrag. Die sich<br />

aus dieser grundsätzlichen Zweiteilung ergebenden Konsequenzen<br />

werden dann aber nicht mehr erörtert.<br />

Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich ausschließlich mit dem Mietkaufvertrag,<br />

also einem Mietvertrag mit Ankaufsrecht, und nicht mit dem<br />

sog. Ratenzahlungskaufvertrag. Zum einen deshalb, weil dies den<br />

1 Die ersten vertieften Erörterungen finden sich <strong>bei</strong> Salzig, NotBZ 2005, 10 ff. und 54 ff.<br />

2 Z. B. Krauß, Immobilienkaufverträge in der Praxis, Rn. 141.<br />

111


Rahmen der zur Verfügung stehende Zeit <strong>bei</strong> Weitem sprengen würde<br />

und zum anderen deshalb, weil im Zusammenhang mit den sog.<br />

<strong>Problemimmobilien</strong>, die Gegenstand dieses Symposium sind, regelmäßig<br />

der Mietkaufvertrag und nicht der Ratenzahlungskaufvertrag, das<br />

in Frage kommende Gestaltungsmittel ist. Selbstverständlich können<br />

nicht alle im Zusammenhang mit einem Mietkaufvertrag möglicherweise<br />

auftretenden Problem an dieser Stelle dargestellt werden 3 . Der Focus<br />

ist vielmehr auf die gestalterischen Probleme gerichtet, die aus dem<br />

Zusammenspiel von Miet- und Kaufrecht entstehen können. Reine<br />

materiell-rechtliche Fragen des Miet- oder Kaufrechts bleiben weitgehend<br />

unbeachtet.<br />

II. Rechtliche Einordnung des Mietkaufs<br />

1. Definition des sog. Mietkaufs (Mietvertrag mit Ankaufsrecht)<br />

Mietvertrag und Kaufvertrag können nach dem allgemeinen Grundsatz<br />

der Gestaltungsfreiheit beliebig miteinander kombiniert werden. Beim<br />

Mietvertrag mit Ankaufsrecht handelt es sich um einen<br />

gemischttypischen Vertrag, nämlich um einen Mietvertrag, verbunden<br />

mit einem angebotenen oder durch Ausübungserklärung des Mieters<br />

bedingten Kaufvertrag 4 . Mietzahlungen werden da<strong>bei</strong> – zumindest teilweise<br />

– auf den künftig ggf. fälligen Kaufpreis angerechnet 5 . Miet- und<br />

Kaufrecht gelangen <strong>bei</strong> einer solchen Konstruktion aber für jeden Teil<br />

getrennt zur Anwendung 6 . Diese grundsätzliche Trennung ist zutreffend<br />

und vor dem Hintergrund zu sehen, dass während der mietrechtlichen<br />

Phase nicht feststeht, ob ein Kaufvertrag zustande kommt und es<br />

demnach auch <strong>bei</strong> einem reinen Mietvertrag bleiben kann. Kaufrecht gilt<br />

prinzipiell nur für den kaufrechtlichen Teil des Vertrages. Der Mietkauf<br />

ist demnach im Regelfall keine Mischung mehrerer unterschiedlicher<br />

Vertragselemente, sondern eine Koppelung von zwei Verträgen. Bis zur<br />

Ausübung der Kaufoption regeln sich die Rechtsbeziehungen nach<br />

Mietrecht, danach nach Kaufrecht 7 .<br />

3<br />

Ausführlich hierzu Hügel/Salzig, Mietkauf und andere Formen des Grundstücks-<br />

Ratenkaufs, 2. Aufl. 2010.<br />

4<br />

Ebenso Biermann-Ratjen, DNotZ 2007, 791; Palandt/Weidenkaff, Einf. v. § 535 BGB<br />

Rn. 30; instruktiv zu den einzelnen Optionsarten Wagner, NotBZ 2000, 69.<br />

5<br />

BGH NJW 1987, 1069; BGH WM 1990 1307; OLG Köln MittRhNotK 1989, 191;<br />

Palandt/Weidenkaff, Einf. v. § 535 BGB Rn. 30.<br />

6<br />

Palandt/Weidenkaff, Einf. v. § 535 BGB Rn. 30; Ehlert, in: Bamberger/Roth § 535<br />

Rn. 38; Schloßer, MDR 2003, 71.<br />

7 Erman/Jendrek, Vor § 535 Rn. 32.<br />

112


2. Abgrenzung zum Ratenzahlungs- und Rentenkaufvertrag<br />

Der Ratenzahlungskauf unterscheidet sich vom Mietkauf hauptsächlich<br />

dadurch, dass der Kaufvertrag unbedingt abgeschlossen wird und aus<br />

diesem Grund die zumeist für die gesamte Laufzeit feststehenden und<br />

in der Regel monatsweise zu erbringenden Zahlungsraten von Anbeginn<br />

kaufpreistilgenden Charakter haben 8 . Durch die Ratenzahlung<br />

wird der Kaufpreis im Ergebnis gestundet 9 . Beim Ratenzahlungskauf ist<br />

es im Regelfall auch gerechtfertigt, den Käufer bereits mit Vertragsschluss<br />

und Besitzübergang als wirtschaftlichen Eigentümer zu behandeln,<br />

weil anders als <strong>bei</strong>m Mietkauf sein Erwerbswille fest steht.<br />

Der Ratenzahlungskauf ist nicht nur vom Mietvertrag mit Ankaufsrecht,<br />

sondern auch vom Grundstückskauf auf Rentenbasis abzugrenzen 10 .<br />

Dies ist der Erwerb eines Grundstücks mit der Verpflichtung des<br />

Käufers, dem Verkäufer auf eine bestimmte Dauer oder auf Lebenszeit<br />

eine Rente in bestimmter Höhe zu zahlen 11 . Motiv für einen solchen<br />

Vertrag ist entweder der Wunsch des Verkäufers nach einer gesicherten<br />

Altersversorgung oder die mangelnde Bereitschaft oder Fähigkeit des<br />

Käufers, den Kaufpreis über eine Bank zu finanzieren. Der Kaufvertrag<br />

mit Verrentung des Kaufpreises ist meist in Konstellationen anzutreffen,<br />

in denen die Vertragsparteien miteinander verwandt sind.<br />

III. Der mietvertragliche Teil des Mietkaufvertrages<br />

1. Allgemeines<br />

Das Mietrecht zählt üblicherweise nicht zur Kernkompetenz des<br />

Notariats. Aus diesem Grund herrscht <strong>bei</strong> den meisten Notaren eine<br />

gewisse Scheu vor, einen Mietvertrag selbst zu gestalten. Es besteht<br />

vielmehr oft die Versuchung, diesbezüglich ein im Handel oder von einschlägigen<br />

Verbänden vertriebenes Formular heranzuziehen in dem<br />

Vertrauen, dass dieses die aktuellen mietrechtlichen Vorgaben zutreffend<br />

umsetzt. Indes ist <strong>bei</strong> einem solchen Vorgehen zu beachten,<br />

dass die üblichen Formulare der Haus- und Grundstückseigentümervereine<br />

oder der Mietervereine den „normalen“, also nicht mit einem<br />

8 Zustimmend Biermann-Ratjen, DNotZ 2007, 791.<br />

9 Brambring, in: Beck’sches Notarhandbuch, A I Rn. 345; Krauß, Immobilienkaufver-<br />

träge in der Praxis, Rn. 147.<br />

10 Brambring, in: Beck’sches Notarhandbuch, A I Rn. 346 ff. mit Formulierungsvorschlag<br />

in Rn. 348.<br />

11 Siehe hierzu Koenen, MittRhNotK 1994, 329; v. Herzberg, MittRhNotK 1988, 55.<br />

113


Ankaufsrecht verknüpften Wohnungsmietvertrag zum Gegenstand<br />

haben und aus diesem Grund in vielen Details nicht passen. Schließlich<br />

ist zu bedenken, dass die Rechtsprechung zum (Wohnraum-)Mietrecht<br />

ständig im Fluss ist, so dass auf die Aktualität des jeweils verwendeten<br />

Formulars in besonderem Maße geachtet werden muss. Besondere<br />

Aufmerksamkeit verdient in diesem Zusammenhang der Umstand, dass<br />

solche Formulare rechtlich als Allgemeine Geschäftsbedingungen nach<br />

den §§ 305 ff BGB bewertet werden. Gerade im Mietrecht legt aber die<br />

Rechtsprechung bekanntermaßen <strong>bei</strong> der Frage nach der Zulässigkeit<br />

von Allgemeinen Geschäftsbedingungen einen strengen Maßstab an.<br />

Viele Regelungen, die individuell ausgehandelt rechtlich unbedenklich<br />

sind, werden als Allgemeine Geschäftsbedingung rechtlich nicht anerkannt.<br />

Aus diesen Gründen sollte der Notar auf Grundlage des<br />

erfolgten Vorgesprächs, einen eigenen Vorschlag auch für den mietrechtlichen<br />

Teil des von Beteiligten tatsächlich gewünschten Vertrages<br />

machen.<br />

Allgemein empfiehlt es sich, in diesen Mietvertrag nur die wirklich<br />

regelungsbedürftigen Punkte aufzunehmen. Gerade Formularmietverträge<br />

sind oft inhaltlich überladen und damit unübersichtlich. Die bloße<br />

Wiederholung unabdingbarer gesetzlicher Bestimmungen im Wortlaut<br />

oder mietvertraglicher Selbstverständlichkeiten entspricht auch nicht der<br />

sonstigen <strong>Vertragsgestaltung</strong>stechnik der Notare. Ebenso wie in den<br />

sonstigen Rechtsgebieten sollte sich der Notar auf die erforderlichen<br />

vertraglichen Regelungen beschränken. Eine solche Gestaltung erhöht<br />

im Ergebnis die Verständlichkeit und Vertragstreue der Parteien. Aus<br />

diesem Grund vertritt Blank 12 die Ansicht, dass die meisten Verhältnisse<br />

über Wohnraum hinreichend geregelt werden können, wenn die<br />

Parteien Vereinbarungen treffen über<br />

- Vertragsparteien<br />

- Mietgegenstand<br />

- Miete und Betriebskosten<br />

- Zahlungsweise<br />

- Schönheitsreparaturen.<br />

Über diesen Kernbestand hinaus sollte nur noch das geregelt werden,<br />

was die Parteien selbst für regelungsbedürftig halten. Entsprechend<br />

diesem Rat beschränken sich die Ausführungen auf diese wesentlichen<br />

12 Blank, in: Münchener Vertragshandbuch, 5. Aufl. 2003, Band 5, II. Anm. 1.<br />

114


Punkte und erörtern darüber hinaus nur solche Fragen, die sich aus den<br />

Besonderheiten eines Mietkaufs ergeben können.<br />

2. Beurkundungsbedürftigkeit<br />

Beim Mietkauf stellt sich zunächst die Frage, ob und in welchem Umfang<br />

der Vertrag durch einen Notar zu beurkunden ist. Nach § 311 b<br />

Abs.1 BGB bedarf ein Vertrag, durch den sich der eine Teil verpflichtet,<br />

das Eigentum an einem Grundstück zu übertragen oder zu erwerben,<br />

der notariellen Beurkundung. Da der Mietkauf inhaltlich eine Verknüpfung<br />

von einem mietrechtlichen und einem kaufrechtlichen Teil<br />

eines Vertrages über ein Grundstück ist, besteht in der Praxis die Versuchung,<br />

die gesetzliche Formvorschrift des § 311 b Abs.1 BGB nur auf<br />

den kaufrechtlichen Teil des Mietkaufvertrages anzuwenden, den mietrechtlichen<br />

Teil hingegen nur schriftlich zu fixieren.<br />

Nach allgemeiner Auffassung bedarf ein Rechtsgeschäft, das eine<br />

Grundstücksverkaufs- oder Erwerbsverpflichtung enthält, insgesamt der<br />

notariellen Beurkundung 13 . Aus diesem sog. Vollständigkeitsgrundsatz<br />

ergibt sich, dass auch ein Vertrag, der an sich nicht der notariellen Beurkundung<br />

unterliegt, gleichwohl zu beurkunden ist, wenn er mit einem<br />

Grundstückskaufvertrag eine rechtliche Einheit im Sinne eines einheitlichen<br />

Schuldverhältnisses bildet. In der Literatur werden solche Verträge<br />

als zusammengesetzte Verträge bezeichnet 14 . Das Kriterium der<br />

rechtlichen Einheit bestimmt sich nach der Rechtsprechung des BGH<br />

und der überwiegend zustimmenden Literatur 15 danach, ob das eigentlich<br />

formfreie Rechtsgeschäft nach dem Willen auch nur einer der<br />

Parteien, auf den sich die andere Seite einlässt, mit dem beurkundungspflichtigen<br />

Rechtsgeschäft stehen und fallen soll 16 . Hierfür<br />

ist nach Ansicht der Rechtsprechung keine wechselseitige Abhängigkeit<br />

der <strong>bei</strong>den Verträge erforderlich. Es ist vielmehr für die Bejahung der<br />

Beurkundungsbedürftigkeit <strong>bei</strong>der Verträge notwendig und ausreichend,<br />

dass der grundstücksgeschäftliche Teil von dem anderen Vertrag abhängt<br />

17 . Eine umgekehrte Abhängigkeit des als solchen dem § 311 b<br />

BGB nicht unterliegenden Vertrages vom Grundstücksgeschäft be-<br />

13 MünchKommBGB/Kanzleiter, § 311 B Rn. 50; Keim, RNotZ 2005, 102.<br />

14 Statt aller Heckschen, Beck’sches Notarhandbuch, A I Rn. 191; Frank, NotBZ 2003,<br />

211.<br />

15 Palandt/Grüneberg, § 311 b Rn. 32; Gehrlein, in: Bamberger/Roth, § 311 b Rn. 25.<br />

16 BGH DNotZ 2009, 619; BGH NJW 2002, 2559; BGH NJW 2001, 226; BGH NJW<br />

2000, 51.<br />

17 BGH DNotZ 2009, 619; BGH NJW 2002, 2559; OLG Dresden NotBZ 2005, 364;<br />

ausführlich hierzu Opgenhoff, RNotZ 2006, 257 ff.<br />

115


gründet dagegen keinen Beurkundungszwang für <strong>bei</strong>de Verträge 18 . Ob<br />

die Vertragsparteien eine rechtliche Einheit gewollt haben, ist durch<br />

Auslegung zu ermitteln. Da<strong>bei</strong> sind die Begleitumstände einzubeziehen<br />

und die bestehenden Interessen zu berücksichtigen 19 .<br />

Beurteilt man die Fälle eines Mietkaufs vor diesem Hintergrund, kann<br />

man nur zur Beurkundungsbedürftigkeit auch des mietrechtlichen Teils<br />

gelangen 20 . Der verkaufswillige Mietverkäufer wird nämlich zur Einräumung<br />

eines die freie Verfügungsbefugnis über das Grundstück einschränkenden<br />

Ankaufsrechts nur bereit sein, wenn durch den gleichzeitigen<br />

Abschluss des Mietvertrages eine sofort wirksam werdende<br />

Zahlungsverpflichtung des Mietkäufers begründet wird. Der kaufvertragliche<br />

Teil der vertraglichen Abrede ist damit vom Mietvertrag abhängig.<br />

Das Ankaufsrecht und der Mietvertrag sind sogar wirtschaftlich miteinander<br />

verknüpft. Der noch zu zahlende Kaufpreis im Falle der<br />

Ausübung der Kaufoption hängt von der Laufzeit des Mietvertrages ab,<br />

da der Mietzins auf den Kaufpreis (teilweise) angerechnet wird. Im<br />

Übrigen entspricht es dem Willen des Mietverkäufers, das Ankaufsrecht<br />

nur einer Person einzuräumen, die auch das Objekt von ihm anmietet.<br />

Der Mietkäufer anderseits möchte sicherstellen, dass die geleisteten<br />

Mietzahlungen nicht unberücksichtigt bleiben, wenn er das Optionsrecht<br />

ausübt. Diese wechselseitige Abhängigkeit der <strong>bei</strong>den Verträge begründet<br />

zusätzlich die Notwendigkeit einer notariellen Beurkundung des<br />

gesamten Mietkaufvertrages. Dies entspricht im Übrigen auch der<br />

überwiegenden Ansicht 21 <strong>bei</strong> der Frage nach einer Beurkundungsbedürftigkeit<br />

von Leasingverträgen. Ein Mietkaufvertrag über eine Immobilie<br />

ist in jedem Fall beurkundungsbedürftig.<br />

3. Mietparteien<br />

Hinsichtlich der Vertragsparteien bestehen zunächst keine Besonderheiten<br />

im Vergleich zum übrigen Vertragsrecht. Soll das Mietkaufobjekt<br />

18 BGH DNotZ 2009, 619; BGH NJW 2002, 2559.<br />

19 OLG Dresden NotBZ 2005, 364.<br />

20 BGH NJW 1987, 1069; OLG Saarbrücken, Urt. v. 22.3.2007 – 8 U 602/06-160, IMR<br />

2007, 254; OLG Schleswig OLGR 1998, 3; Keim, RNotZ 2005, 107; Bachmayer,<br />

BWNotZ 2004, 32; Basty, DNotZ 1996, 630, 632; Hertel. In: Würzburger Notarhandbuch,<br />

Teil 2, Rn. 490; Grziwotz/Everts/Heinemann/Koller, Grundstückskaufverträge,<br />

Rn. 35; Heckschen, in: Beck’sches Notarhandbuch, A I Rn. 196; Krauß, Immobilienkaufverträge,<br />

Rn. 142; Gehrlein, in: Bamberger/Roth § 311 b Rn. 26; a. A. OLG<br />

Düsseldorf DNotZ 1996, 39, 40 mit der apodiktischen Begründung, der Mietvertrag sei<br />

nicht Inhalt der Vereinbarung des Ankaufsrechts, sondern allenfalls dessen Grundlage.<br />

Zweifelhaft auch OLG Köln MittRhNotK 1989, 191.<br />

21 Vgl. Keim, RNotZ 2005, 107 m.w.N..<br />

116


an mehrere Personen überlassen werden, muss wie üblich geklärt<br />

werden, in welchem Berechtigungsverhältnis diese untereinander<br />

stehen. Mangelt es an einer eindeutigen vertraglichen Festlegung,<br />

müsste dieses durch Auslegung ermittelt werden 22 . Eine solche Auslegung<br />

darf <strong>bei</strong> einem Mietkaufvertrag aber nicht notwendig werden,<br />

weil der mietvertragliche mit dem kaufvertraglichen Teil korrespondiert<br />

und übereinstimmen muss. Es muss berücksichtigt werden, dass die<br />

jetzigen Mietvertragspartner möglicherweise zukünftig Beteiligte eines<br />

Grundstückskaufvertrages werden. Unterschiedliche mietvertragliche<br />

und kaufvertragliche Berechtigungsverhältnisse würden vor diesem<br />

Hintergrund verwirren und möglicherweise zu Komplikationen führen.<br />

Deshalb empfiehlt es sich dringend, mit den Beteiligten abzustimmen, in<br />

welchem Berechtigungsverhältnis mehrere Personen auf Mieter- bzw.<br />

Käuferseite zueinander stehen. Zweckmäßig ist es da<strong>bei</strong>, das für den<br />

Kaufvertrag angedachte Berechtigungsverhältnis auch für den Mietvertrag<br />

vorzusehen.<br />

4. Mietdauer<br />

a) Allgemeine Überlegungen<br />

Das Mietrecht unterscheidet zwischen Mietverhältnissen auf unbestimmte<br />

und bestimmte Zeit. Nach § 542 BGB endet ein Mietverhältnis,<br />

das auf eine bestimmte Zeit eingegangen ist, mit Ablauf dieser Zeit,<br />

ansonsten mit einer Kündigung entsprechend der gesetzlichen Vorschriften.<br />

Eine jederzeit mögliche Kündigung des Mietverhältnisses<br />

entspricht aber in jedem Fall nicht den Vorstellungen der Vertragsparteien<br />

eines Mietkaufvertrages. Vielmehr soll bereits mit Abschluss<br />

des Mietverhältnisses der Mietkäufer Sicherheit im Hinblick auf einen<br />

späteren Eigentumserwerb erlangen. Er möchte Sicherheit davor, dass<br />

der Vermieter vor Ablauf der Kaufangebotsbindungsfrist den Mietvertrag<br />

einseitig zu Fall bringt. Der Mietverkäufer möchte im Gegenzug nicht<br />

einen normalen Mieter haben, sondern jemanden, der den Erwerb der<br />

Immobilie fest im Visier hat und sich nicht einfach innerhalb des Zeitraums,<br />

in dem der Mietverkäufer unwiderruflich an das Kaufvertragsangebot<br />

gebunden ist, ohne wichtigen Grund einseitig vom Mietvertrag<br />

lösen kann. Dem wirtschaftlichen Interesse des Mietverkäufers entspricht<br />

es deshalb in der Regel, wenn das Recht des Mieters zur<br />

Kündigung des Mietverhältnisses für einen bestimmten Zeitraum ausgeschlossen<br />

ist, wo<strong>bei</strong> es naheliegend ist, die Länge dieses Zeitraums<br />

22 MünchKommBGB/Häublein, § 535 Rn. 46.<br />

117


an die Dauer der Bindung des Verkäufers an sein Verkaufsangebot zu<br />

knüpfen.<br />

b) Zeitmietvertrag<br />

Das Interesse <strong>bei</strong>der Parteien an einer Mindestlaufzeit des Mietverhältnisses<br />

könnte durch den Abschluss eines, auf eine bestimmte Zeit fest<br />

und unkündbar abgeschlossenen Mietvertrages verwirklicht werden.<br />

Denkbar wäre zunächst der Abschluss eines sog. Zeitmietvertrags.<br />

Das Gesetz enthält für Mietverhältnisse über Wohnraum besondere<br />

Vorgaben für den Zeitmietvertrag. Danach ist der Abschluss eines<br />

solches Vertrages nur zulässig, wenn einer der gesetzlichen Befristungsgründe<br />

vorliegt. Diese sind in § 575 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BGB und<br />

§ 549 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 BGB sowie in § 549 Abs. 3 BGB enthalten.<br />

Beim typischen Mietvertrag mit Ankaufsrecht über ein Wohnhausgrundstück<br />

liegt aber keiner der gesetzlichen Ausnahmetatbestände vor, die<br />

den Abschluss eines Zeitmietvertrages gestatten würden. Ein Ausnahmetatbestand<br />

kann auch individualvertraglich nicht geschaffen<br />

werden, denn gemäß § 575 Abs. 4 BGB sind zum Nachteil des Mieters<br />

abweichende Vereinbarungen unwirksam.<br />

Die vorbezeichneten Einschränkungen für den Abschluss von Zeitmietverträgen<br />

gelten nur für Wohnraummietverhältnisse. Sie bilden hingegen<br />

für Mietkaufverträge, deren Vertragsgegenstand Gewer<strong>bei</strong>mmobilien<br />

sind, kein Hindernis für den Abschluss von solchen zeitlich<br />

fixierten Mietverträgen. In diesem Bereich kann somit je nach<br />

Interessenlage der Beteiligten ein Zeitmietvertrag die geeignete Gestaltung<br />

sein.<br />

c) Mindestlaufzeit durch Kündigungsausschluss<br />

Das dargestellte Bindungsinteresse würde durch Abschluss eines unbefristeten<br />

Mietvertrages mit einem befristeten, in aller Regel mit der<br />

Bindungsfrist aus dem Kaufvertragsangebot deckungsgleichen <strong>bei</strong>derseitigen<br />

Ausschluss des Rechtes zur Kündigung erreicht. Vor diesem<br />

Hintergrund ist zunächst zu klären, ob das Recht zur Kündigung für<br />

einen bestimmten Zeitraum wirksam ausgeschlossen werden kann.<br />

118


aa) Ausschluss der außerordentlichen Kündigung<br />

Ein Ausschluss des Rechts zur außerordentlichen Kündigung ist wegen<br />

§ 569 Abs.5 BGB zumindest im Hinblick auf nachteilige Wirkungen<br />

gegenüber dem Mieter unwirksam. 23 Im übrigen erscheint es auch sachgerecht,<br />

das Recht auf außerordentliche Kündigung <strong>bei</strong> Vorliegen<br />

wichtiger Gründe, wie <strong>bei</strong> jedem Dauerschuldverhältnis auch, bestehen<br />

zu lassen.<br />

bb) Ausschluss der ordentlichen Kündigung<br />

Das gewünschte Ergebnis einer bestimmten Mindestlaufzeit des Mietvertrages<br />

kann durch einen Verzicht auf eine ordentliche Kündigung<br />

innerhalb eines bestimmten Zeitraums erzielt werden. Eine solche<br />

Konstruktion wurde früher teilweise für unwirksam gehalten, weil sie<br />

einem unzulässigen Zeitmietvertrag im Sinne des § 575 Abs. 1, Abs. 4<br />

BGB gleichzusetzen sei 24 . Diese Frage ist jedoch durch den BGH 25 im<br />

gegenteiligen Sinne entschieden worden. Zur Begründung verweist der<br />

BGH darauf, dass die grundsätzliche Unzulässigkeit des Zeitmietvertrages<br />

eine automatische Beendigung des Wohnraummietverhältnisses<br />

allein durch Zeitablauf, ohne dass der Mieter Kündigungsschutz genießt,<br />

verhindern soll. § 575 Abs. 4 BGB schützt den Mieter demnach<br />

vor dem Verlust der Wohnung, nicht aber vor einer mit Hilfe des befristeten<br />

Kündigungsausschlusses beabsichtigten längeren Bindung an<br />

den Mietvertrag.<br />

Der BGH sieht in einem vertraglich vereinbarten, <strong>bei</strong>derseitigen befristeten<br />

Kündigungsausschluss auch keine für den Mieter nachteilige<br />

Vereinbarung im Sinne des § 573 c Abs. 4 BGB. Durch einen <strong>bei</strong>dseitigen<br />

Kündigungsverzicht würden die gesetzlich einzuhaltenden<br />

Kündigungsfristen nicht verändert, da sich die Frage, mit welcher Frist<br />

das Mietverhältnis gekündigt werden kann, erst stelle, wenn dem<br />

Kündigenden ein Kündigungsrecht zustehe 26 .<br />

23 Blank/Börstinghaus, § 575 Rn. 89.<br />

24 Lammel, WuM 2003, 123 f.<br />

25 BGH, Urteil v. 22.12.2003 – VIII ZR 81/03, NJW 2004, 1448 = NZM 2004, 216 = MDR<br />

2004, 436 = ZMR 2004, 251 mit Anm. Häublein = MietRB 2004, 161 = WuM 2004,<br />

157.<br />

26 BGH, Urteil v. 22.12.2003 – VIII ZR 81/03, NJW 2004, 1448 = NZM 2004, 216 = MDR<br />

2004, 436 = ZMR 2004, 251 mit Anm. Häublein = MietRB 2004, 161 = WuM 2004,<br />

157.<br />

119


d) Dauer des Kündigungsausschlusses<br />

aa) Kündigungsausschluss im Individualvertrag<br />

Die Grundsatzentscheidung des BGH zur Zulässigkeit eines<br />

Kündigungsverzichts 27 hatte einen individuell vereinbarten, zeitlich auf<br />

60 Monate befristeten Kündigungsverzicht (nur des Mieters) zum<br />

Gegenstand. Insgesamt wird man individualvertraglich von einer beliebigen<br />

Dauer ausgehen können, da der Mietvertrag gem. § 544 BGB<br />

jedenfalls nach 30 Jahren kündbar ist und für den Fall der Staffelmietvereinbarung<br />

wegen § 557 a Abs.3 BGB für den Mieter nach Ablauf von<br />

4 Jahren ein Recht zur außerordentlichen Kündigung mit gesetzlicher<br />

Frist besteht.<br />

bb) Kündigungsausschluss im Formularvertrag<br />

Die grundsätzliche Zulässigkeit eines Kündigungsverzichts in Formular-<br />

mietverträgen kann zwischenzeitlich als für die Praxis geklärt<br />

bezeichnet werden. Auch in einem Formularmietvertrag über Wohnraum<br />

kann für einen bestimmten Zeitraum wechselseitig wirksam auf die<br />

ordentliche Kündigung verzichtet werden kann. Sofern sich die Dauer<br />

des Kündigungsverzichts in einem angemessenen Rahmen bewegt,<br />

benachteiligt eine solche Regelung in einem Formularmietvertrag den<br />

Mieter jedenfalls dann nicht unangemessen im Sinne des § 307 BGB,<br />

wenn sie für <strong>bei</strong>de Vertragsseiten gelten soll 28 . Für Formularverträge<br />

sieht der BGH den <strong>bei</strong>derseitigen Kündigungsverzicht dann als unangemessene<br />

Benachteiligung des Mieters an, wenn seine Dauer mehr<br />

als vier Jahre beträgt 29 . Eine solche Vereinbarung benachteilige den<br />

Mieter nämlich nur dann nicht unangemessen, wenn sie zeitlich überschaubar<br />

sei. Da das Gesetz in § 557 a Abs. 3 BGB <strong>bei</strong> Staffelmietverträgen<br />

eine Bindung von 4 Jahren ab Vertragsabschluss 30 vorsehe,<br />

stelle dieser Zeitraum auch die Grenze für eine unangemessene Benachteiligung<br />

<strong>bei</strong> einem formularmäßig vereinbarten Kündigungsverzicht<br />

dar 31 .<br />

27 BGH, Urteil v. 22.12.2003 – VIII ZR 81/03, NJW 2004, 1448 = NZM 2004, 216 = MDR<br />

2004, 436 = ZMR 2004, 251 mit Anm. Häublein = MietRB 2004, 161 = WuM 2004,<br />

157.<br />

28 BGH NJW 2005, 1574 = ZMR 2005, 443; BGH NJW 2004, 3117 = NZM 2004, 733 =<br />

WuM 2004, 542; kritisch hierzu Derleder, NZM 2004, 249; Horst, MDR 2004, 437.<br />

29 BGH NJW 2005, 1574 = ZMR 2005, 443.<br />

30 BGH NJW-RR 2006, 1236 = NZM 2006, 579.<br />

31 BGH NJW 2006, 1059 = ZMR 2006, 270 = NZM 2006, 254.<br />

120


Da der Verzicht jedoch in einem Formularvertrag erfolgt, muss der Vermieter<br />

sicherstellen, dass der Kündigungsausschluss nicht überraschend<br />

i.S.v. § 305 c Abs.1 BGB ist, da widrigenfalls die Klausel nicht<br />

wirksam in den Vertrag einbezogen wurde 32 . In einer notariellen Urkunde,<br />

die eine entsprechende Belehrung durch den Notar sicherstellt,<br />

wird dies regelmäßig kein Problem darstellen. Vorsorglich sollte eine<br />

entsprechende Belehrung im Vertrag enthalten sein.<br />

cc) Ergebnis für den Mietkaufvertrag<br />

Schlussfolgerung für den Mietkauf ist, dass ein wechselseitiger Verzicht<br />

auf eine ordentliche Kündigung sowohl in individuell ausgehandelter als<br />

auch in formularvertraglicher Form, dort aber nur in bestimmten zeitlichen<br />

Grenzen, möglich ist. Für die Gestaltung eines Mietkaufvertrages<br />

lässt sich hieraus ableiten, dass eine individuell ausgehandelte<br />

Regelung die in jedem Fall sichere Variante auch hinsichtlich der Laufzeit<br />

des Kündigungsverzichts ist. In aller Regel dürfte diese Frage tatsächlich<br />

im Rahmen eines Mietkaufvertrages individuell ausgehandelt<br />

werden, weil nämlich die Zeitdauer des Verzichts regelmäßig mit der<br />

Laufzeit des Kaufangebots abgestimmt sein wird, und einen Kern der<br />

Vertragsverhandlungen ausmachen dürfte. Für diesen Fall erscheint es<br />

unbedenklich, wenn der Mietkäufer auch über einen längeren Zeitraum,<br />

<strong>bei</strong>spielsweise 10 Jahre, auf sein Kündigungsrecht verzichtet, sofern<br />

das Kaufangebot des Mietverkäufers für den gleichen Zeitraum gilt.<br />

5. Kosten der Instandhaltung und Instandsetzung<br />

a) Allgemeines<br />

Nach §§ 535 Abs.1, 536 BGB hat der Vermieter dem Mieter die Mietsache<br />

in einem dem vertragsgemäßen Gebrauch entsprechenden Zustand<br />

zu überlassen und sie während der Mietzeit in diesem Zustand zu<br />

erhalten. Ihm obliegt somit die Instandhaltung und Instandsetzung des<br />

Mietobjekts. Unter Kosten der Instandhaltung werden grundsätzlich die<br />

Kosten verstanden, die zur Erhaltung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs<br />

aufgewendet werden müssen, um die durch Abnutzung,<br />

Alterung und Witterungseinwirkung entstehenden baulichen und<br />

sonstigen Mängel ordnungsgemäß zu beseitigen. Bei den Instandsetzungskosten<br />

handelt es sich in der Regel um Kosten aus Reparatur<br />

32 Brock/Lattka, NZM 2004, 729; Streyl, NZM 2005, 363<br />

121


und Wiederbeschaffung 33 . Regelmäßig entspricht es dem Willen der<br />

Vertragsparteien, es nicht <strong>bei</strong> dieser gesetzlichen Grundregel zu belassen,<br />

sondern abweichend hiervon diese Kosten – zumindest teilweise<br />

– auf den Mieter zu übertragen. Gerade <strong>bei</strong> einem Mietkaufvertrag<br />

dürften sich die Beteiligten im Hinblick auf den angedachten Erwerb<br />

der Immobilie durch den Mietkäufer darauf verständigen, dass die<br />

Kosten der Instandhaltung und Instandsetzung vom Mietkäufer getragen<br />

werden sollen. Vor diesem Hintergrund bedarf es einer Untersuchung,<br />

ob und wie dieser Wunsch rechtlich umgesetzt werden kann.<br />

b) Überwälzung der gesamten Instandhaltungs- und Instandsetzungskosten<br />

Eine Verpflichtung des Mieters zur Instandhaltung und Instandsetzung<br />

der Mietsache kann durch eine individuelle vertragliche Regelung begründet<br />

werden, insbesondere dann, wenn sie in die Kalkulation der<br />

Miete eingegangen ist 34 . Auch die formularmäßige Auferlegung der<br />

Kosten für Instandhaltung und Instandsetzung ist nach herrschender<br />

Ansicht jedenfalls für gewerblich genutzten Mietraum möglich, sofern<br />

sich diese Verpflichtung auf Schäden beschränkt, die dem Mietgebrauch<br />

und der Risikosphäre des Mieters zuzuordnen sind 35 . Äußerst<br />

zweifelhaft hingegen ist die formularmäßige vollständige Überwälzung<br />

dieser Kosten auf den Mieter von Wohnraum 36 . An Stelle einer vollständigen<br />

Überwälzung der Kosten für Instandhaltung und Instandsetzung<br />

hat sich vielmehr die Übernahme der sog. Schönheitsreparaturen<br />

durch den Mieter durchgesetzt.<br />

Selbst wenn die vollständige Überwälzung dieser Kosten im Einzelfall<br />

zulässig sein sollte, wird diese Gestaltung regelmäßig nicht den Vorstellungen<br />

der Beteiligten eines Mietkaufvertrages entsprechen.<br />

Solange der Mietkaufvertrag sich im mietvertraglichen Stadium befindet,<br />

wird der Mietkäufer ohne feststehende Erwerbsabsicht kaum bereit sein,<br />

die vollständige Instandhaltung und Instandsetzung zu übernehmen.<br />

Sollte das Ankaufsrecht jedoch wahrgenommen werden, ändert sich<br />

diese Betrachtung. Spätere Instandhaltungs- und Instandsetzungskosten<br />

werden <strong>bei</strong> der Kaufpreisbemessung für das Vertragsobjekt im<br />

33<br />

BGH, Urt. v. 6.4.2005 – XII ZR 158/01, ZMR 2005, 844; Schmidt-Futterer/Eisenschmid,<br />

§ 535 Rn. 64 m.w.N.<br />

34<br />

BGH NJW 2002, 2383; Palandt/Weidenkaff, § 535 BGB Rn. 32.<br />

35<br />

BGH, Urt. v. 6.4.2005 – XII ZR 158/01, ZMR 2005, 844; Schmidt-Futterer/Eisenschmid,<br />

§ 535 Rn. 73 m.w.N.<br />

36<br />

Vgl. Palandt/Weidenkaff, § 535 BGB Rn. 32.<br />

122


Regelfall nicht eingerechnet. Erwirbt der Mietkäufer die Immobilie,<br />

wollen die Parteien regelmäßig wirtschaftlich so gestellt sein, als ob der<br />

Mietkäufer vom Vertragsbeginn an der wirtschaftliche Berechtigte und<br />

Verpflichtete gewesen wäre. Diese Vorstellungen können vertraglich nur<br />

dadurch realisiert werden, dass der Mietverkäufer zunächst die<br />

Instandhaltungs- und Instandsetzungskosten trägt, jedoch eine Erstattungspflicht<br />

für diese Kosten im Falle der Optionsausübung vorgesehen<br />

wird.<br />

6. Erschließungskosten<br />

Im Hinblick auf den möglicherweise zustande kommenden Kaufvertrag<br />

ist eine Regelung dazu angezeigt, welche Vertragspartei etwaige<br />

während der Angebotsphase anfallende Erschließungskosten zu tragen<br />

hat. Die Erschließungskosten hat nach der gesetzlichen Regelung des<br />

§ 535 Abs. 1 S. 3 BGB der Vermieter zu tragen, da die Erschließungskosten<br />

unter das Tatbestandsmerkmal der „Lasten“ fallen 37 . Diese<br />

Lastentragungspflicht kann grundsätzlich – bezogen auf das Innenverhältnis<br />

der Mietvertragsparteien – durch Vereinbarung dem Mieter auferlegt<br />

werden 38 . Dies gilt indes nicht für Wohnraummietverträge, zu<br />

denen der Mietkaufvertrag in den meisten Fällen zählt. In diesem Bereich<br />

können nur die Betriebskosten i.S.v. § 2 BetrKV auf den Mieter<br />

umgelegt werden 39 . Erschließungskosten stellen jedoch keine laufenden<br />

öffentlichen Lasten im Sinne dieser Verordnung dar. Die Vereinbarung<br />

der Umlage anderer Kosten als Betriebskosten ist wegen § 556 Abs. 4<br />

BGB grundsätzlich nichtig. Damit scheidet die Übertragung der Erschließungskosten<br />

auf den Mieter für einen wesentlichen Teil der Mietkauffälle<br />

aus. Aber auch außerhalb der Wohnraummietverhältnisse<br />

begegnet die komplette Abwälzung dieser Lasten im Formularvertrag im<br />

Hinblick auf § 307 Abs. 2 Nr.1 BGB Bedenken 40 . Vor diesem Hintergrund<br />

empfiehlt es sich, die Erschließungskosten entsprechend der<br />

Regelung in § 537 Abs.1 Satz 3 BGB <strong>bei</strong>m Vermieter zu belassen.<br />

Dies dürfte im Regelfall auch den Interessen der Beteiligten entsprechen.<br />

Zwar ist zu berücksichtigen, dass eine mit einer nach Mietvertragsabschluss<br />

erfolgenden Erschließungsmaßnahme verbundene<br />

Wertsteigerung des Wohngrundstücks im Kaufpreis keine Berücksichtigung<br />

finden kann, da dieser im Zeitpunkt der Angebotsangabe<br />

37 Palandt/Weidenkaff, § 535 BGB Rn. 68; Ehlert, in: Bamberger/Roth, § 535 Rn. 206.<br />

38 Palandt/Weidenkaff, § 535 BGB Rn. 69.<br />

39 Ehlert, in: Bamberger/Roth, § 535 Rn 207; Palandt/Weidenkaff, § 556 Rn. 4.<br />

40 Vgl. Ehlert, in: Bamberger/Roth, § 535 Rn. 207.<br />

123


feststeht, und damit die Wertsteigerung im Fall der Annahme des Kaufvertragsangebotes<br />

dem Käufer zugute kommt. Diese Überlegungen<br />

gelten aber eben nur für den Fall der Kaufoptionsausübung. Bleibt der<br />

Mietkäufer normaler Mieter, wird er kaum bereit sein, die Erschließungskosten<br />

für den Vermieter zu übernehmen. Aus diesem<br />

Grund erscheint es sachgerecht, die Pflicht zur Lastentragung der Erschließungskosten<br />

<strong>bei</strong>m Vermieter zu belassen und nur für den Fall des<br />

Ankaufs im kaufvertraglichen Teil eine Freistellung des Mietkäufers<br />

hinsichtlich der Erschließungskosten vorzusehen, die zwischen dem<br />

Vertragsabschluss und der Ausübung des Ankaufsrechts angefallen<br />

sind.<br />

7. Rechte des Mieters <strong>bei</strong> Sach- und Rechtsmängeln<br />

Die Haftung des Vermieters <strong>bei</strong> Vorliegen eines Sachmangels (§ 536<br />

Abs. 1 und 2 BGB) oder eines Rechtsmangels (§ 536 Abs. 3 BGB) ist im<br />

Rahmen eines Wohnraummietverhältnisses zwingend, kann also nicht<br />

zum Nachteil des Mieters eingeschränkt oder gar ausgeschlossen<br />

werden (§ 536 Abs. 4 BGB). Leidet die Mietsache an einem Sach- oder<br />

Rechtsmangel, kann der Mieter die Miete mindern. Wird der Mietkaufvertrag<br />

somit über Wohnraum geschlossen, scheidet eine Abbedingung<br />

des § 536 BGB von vorneherein aus. Etwas anders kann sich im<br />

Einzelfall <strong>bei</strong> einem Mietkaufvertrag über eine Gewer<strong>bei</strong>mmobilie ergeben.<br />

Entgegen den obigen Überlegungen wird <strong>bei</strong>m Mietkauf überlegt, die<br />

Sach- und Preisgefahr auf den Mietkäufer abzuwälzen. Für die Zulässigkeit<br />

einer solchen Abwälzung wird vorgetragen, dass die Stellung<br />

des Mietkäufers der eines Käufers noch mehr angenähert ist als <strong>bei</strong>m<br />

Finanzierungsleasing 41 . Im Leasingrecht wiederum ist anerkannt, dass<br />

die Übertragung der Sach- und Preisgefahr keine unangemessene Benachteiligung<br />

des Leasingnehmers im Sinne von § 307 BGB darstellt<br />

und auch in einem Formularvertrag zulässig ist 42 . Beim Mietkauf erwerbe<br />

der Mietkäufer jedoch in der Regel nach Begleichung aller Raten<br />

das Eigentum am Objekt entweder automatisch oder nach Ausübung<br />

eines Optionsrechts, weshalb er eine erwerbsähnliche Position einnähme<br />

43 . Dieser Ansicht kann in dieser Allgemeinheit indes nicht <strong>bei</strong>getreten<br />

werden. Sie beruht im Wesentlichen darauf, dass – wie auch<br />

sonst weitgehend – nicht zwischen den unterschiedlichen Gestaltungs-<br />

41 Schloßer, MDR 2003, 72.<br />

42 BGH NJW 2004, 1041; v. Westphalen, NJW 2004, 1998.<br />

43 Schloßer, MDR 2003, 71.<br />

124


varianten des Mietkaufs unterschieden wird. Sie ist sicher im Bereich<br />

des Ratenzahlungskaufs zutreffend, da in diesem Bereich der Erwerb<br />

des Vertragsobjekts feststeht. Der Wille der Parteien ist bereits auf den<br />

Erwerb der Immobilie gerichtet. Die Einigung über den Eigentumsübergang<br />

wird regelmäßig bereits im Ratenzahlungsvertrag erklärt, wenn<br />

auch der Vollzug im Grundbuch regelmäßig bis zur vollständigen<br />

Zahlung zurückgehalten wird. Nur vor diesem Hintergrund ist es gerechtfertigt,<br />

den Ratenzahlungskäufer schon als wirtschaftlichen Eigentümer<br />

i.S.v. § 39 AO einzuordnen und <strong>bei</strong> einer Bilanzierung das Wirtschaftsgut<br />

in der Bilanz des Mieters zu aktivieren sowie diesem<br />

eventuell bestehende steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten und<br />

öffentliche Fördermittel zu zugestehen. Bei einem solchen feststehenden<br />

Eigentumsübergang erscheint es gerechtfertigt, die Sach-<br />

und Gegenleistungsgefahr wie <strong>bei</strong>m Leasingvertrag schon zum Beginn<br />

des Ratenzahlungsvertrages auf den Ratenzahlungskäufer übergehen<br />

zu lassen 44 .<br />

Im Bereich des Mietkaufs ist der Erwerb jedoch nur eine – wenn auch<br />

wahrscheinliche – Möglichkeit. Solange jedoch der Mietkäufer sich noch<br />

nicht auf den Erwerb der Immobilie festgelegt hat, findet entsprechend<br />

der aufgezeigten getrennten Beurteilung von Mietvertrag und Kaufvertrag<br />

eine ausschließliche Anwendung mietvertraglicher Vorschriften<br />

statt. Der Mietkäufer steht noch nicht als späterer Eigentümer fest. Er<br />

kann dementsprechend auch noch nicht steuerlich als wirtschaftlicher<br />

Eigentümer angesehen werden. Dementsprechend ist eine klauselmäßige<br />

Überwälzung der Sach- und Preisgefahr nicht möglich. Zulässig<br />

ist sie grundsätzlich im Bereich einer Individualvereinbarung, wo<strong>bei</strong><br />

nochmals darauf hingewiesen werden darf, dass die Einstandspflicht<br />

des Vermieters für Sach- und Rechtsmängel <strong>bei</strong> einem Wohnraummietverhältnis<br />

nicht zum Nachteil des Mieters eingeschränkt oder gar ausgeschlossen<br />

werden kann (§ 536 Abs. 4 BGB). Da Mietkaufverträge im<br />

Regelfall wohl über einen Wohnraum abgeschlossen werden dürften,<br />

erübrigt sich für diesen Bereich die obige Diskussion. Sie kann letztlich<br />

nur für Gewer<strong>bei</strong>mmobilien eine Rolle spielen.<br />

8. Kündigung<br />

Übt der Mietkäufer innerhalb der Ankaufsfrist seine Kaufoption nicht<br />

aus, wird regelmäßig das Interesse des Mietverkäufers am Mietkaufvertrag<br />

mit diesem Vertragspartner erloschen sein. Der Verkauf der Im-<br />

44 Insoweit besteht Übereinstimmung mit Schloßer, MDR 2003, 72.<br />

125


mobilie ist gescheitert, der Mietkäufer hat auf Dauer die Stellung eines<br />

normalen Mieters. In dieser Situation wird der Mietverkäufer häufig das<br />

Interesse haben, die Rechtsbeziehungen zum bisherigen Vertragspartner<br />

zu beenden und sich einen neuen Mietkäufer zu suchen. Hierzu<br />

wäre es notwendig, das noch bestehende Mietverhältnis aufzulösen.<br />

Verhält sich der Mietkäufer vertragsgerecht, besteht für den Mietverkäufer<br />

keine Möglichkeit, das Mietverhältnis zu diesem Zeitpunkt zu<br />

kündigen.<br />

Naheliegend erscheint es deshalb, den Bestand des Mietvertrages vom<br />

Erlöschen des Ankaufsrechts dergestalt abhängig zu machen, das es im<br />

Gleichlauf mit dem Auslauf der Kaufoption erlischt. Eine solche <strong>Vertragsgestaltung</strong><br />

verhindert allerdings § 575 BGB, soweit es sich um<br />

Wohnraum handelt. Danach sind Mietverträge auf bestimmte Zeit nur<br />

unter den in § 575 Abs.1 Nr.1 – 3 BGB genannten Voraussetzungen<br />

zulässig 45 , die regelmäßig <strong>bei</strong> einem Mietkaufvertrag nicht gegeben sein<br />

werden. Eine gegen diese gesetzliche Regelung zum Nachteil des<br />

Mieters abweichende Vereinbarung ist unzulässig. Der Mietvertrag gilt<br />

als auf unbestimmte Zeit abgeschlossen (§ 575 Abs.1 Satz 2 BGB). Bei<br />

einem Mietvertrag über Gewerberäume ist allerdings eine solche Gestaltung<br />

zulässig und sinnvoll, wenn auch nicht von erheblicher Bedeutung,<br />

weil in diesem Bereich eine ordentliche Kündigung grundsätzlich<br />

möglich ist.<br />

Der Mietverkäufer einer Wohnraumimmobilie muss sich somit <strong>bei</strong> Vertragsschluss<br />

darüber bewusst sein, dass er sich für den Fall der Nichtausübung<br />

des Ankaufsrechts nicht vom Vertrag lösen kann, er hinsichtlich<br />

seiner Immobilie mietvertraglich gebunden ist und ihm insoweit nur<br />

das ordentliche, allerdings stark eingeschränkte Kündigungsrecht nach<br />

den §§ 573 ff BGB zusteht.<br />

9. Mietkaufbedingte zusätzliche Vereinbarungen<br />

a) Genehmigungsbedürftigkeit des Kaufvertrags<br />

Zusätzlicher Regelungsbedarf ergibt sich aus dem Umstand, dass der<br />

Mietkäufer die Immobilie mit der Absicht des späteren Erwerbs anmietet.<br />

Es muss aus seiner Sicht sichergestellt sein, dass im Falle der<br />

Ausübung des Ankaufsrechts der Erwerb rechtlich möglich ist und seine<br />

Zahlungen auch als (teilweise) Anzahlung auf den Kaufpreis den Ankauf<br />

45 Siehe Ziffer II 4 b.<br />

126


ealisieren und nicht lediglich als Entgelt für die Gebrauchsüberlassung<br />

angesehen werden. Der Anspruch des Mietkäufers auf Verschaffung<br />

des Eigentums aus dem Ankaufsrecht wird zunächst dadurch abgesichert,<br />

dass hierfür eine Vormerkung im Grundbuch des Grundstückseigentümers<br />

eingetragen wird 46 . Sofern jedoch der Kaufvertrag<br />

einer öffentlich-rechtlichen Genehmigung bedarf, ist die eingetragene<br />

Vormerkung allein kein ausreichender Schutz. Ohne Vorliegen der notwendigen<br />

Genehmigungen kann nicht sicher beurteilt werden, ob der<br />

Mietkäufer auch Eigentümer werden kann. Bis zur Genehmigungserteilung<br />

ist der durch die Ausübung des Ankaufsrechts zustande gekommene<br />

Kaufvertrag schwebend unwirksam 47 . Wird die Genehmigung<br />

unanfechtbar versagt, ist das Rechtsgeschäft nichtig (§134 BGB), da es<br />

einer öffentlich-rechtlichen Verfügungsbeschränkung widerspricht.<br />

An sich würde es naheliegender erscheinen, die für den Kaufvertrag<br />

notwendigen behördlichen Genehmigungen erst einzuholen, wenn der<br />

Mietkäufer sich für den Ankauf entschieden hat, schon um erst dann die<br />

Vollzugsgebühr des § 146 Abs.1 KostO auszulösen. Bei diesem Vorgehen<br />

wäre der Mietkäufer aber <strong>bei</strong> Bestehen einer Genehmigungspflicht<br />

nicht im Hinblick auf den Eigentumserwerb abgesichert. Aus<br />

diesem Grund ist es sinnvoll, die für die Eigentumsumschreibung im<br />

Grundbuch erforderlichen Genehmigungen bereits <strong>bei</strong> Abschluss des<br />

Mietkaufvertrages zu beantragen und auch den Mietvertrag von der<br />

Erteilung dieser Genehmigungen abhängig zu machen. Als mögliche<br />

Genehmigungen kommen insbesondere in Betracht<br />

- sanierungsrechtliche Genehmigung nach § 144 Abs2. BauGB<br />

- landwirtschaftliche Genehmigung nach § 2 Abs.1 GrstVG<br />

- Genehmigung nach § 51 BauGB für Grundstücke im Umlegungsgebiet<br />

- in den neuen Bundesländern die Genehmigung nach § 2 GVO 48 .<br />

Aber auch sonstige privatrechtliche Genehmigungserfordernisse, wie<br />

<strong>bei</strong>spielsweise eine Zustimmungserfordernis nach § 12 WEG <strong>bei</strong> Erwerb<br />

von Wohnungseigentum oder öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche<br />

Vorkaufsrechte können den Erwerb der Mietkaufimmobilie<br />

verhindern. Letztendlich gilt es, wie <strong>bei</strong>m normalen Immobilienkaufver-<br />

46 Siehe hierzu B III 2 a.<br />

47 Vgl. BGH NJW 1995, 318; Schöner/Stöber, Rn. 3805.<br />

48 Zu möglichen weiteren Genehmigungen siehe Schöner/Stöber, Rn.3800 ff; Hügel,<br />

GBO, Verfügungsbeeinträchtigungen Rn. 35 ff; Hertel, in: Würzburger Notarhandbuch,<br />

Teil 2 Rn. 430 ff.<br />

127


trag, abzuklären, ob der Eigentumsumschreibung im Grundbuch rechtliche<br />

Hindernisse entgegen stehen. Insoweit gibt es in diesen Zusammenhang<br />

keine Neuerungen. Die Besonderheit besteht lediglich<br />

darin, dass diese Vollzugstätigkeit bereits <strong>bei</strong> Abschluss des Mietkaufvertrages<br />

zu erfolgen hat. Ebenso wie <strong>bei</strong>m normalen Grundstückskaufvertrag<br />

gilt es zudem, den Mietkäufer vor einer „ungesicherten Vorleistung“<br />

(Miete nur als Entgelt für Gebrauchsüberlassung) zu schützen.<br />

Dies kann nur dadurch erreicht werden, dass der Vollzug des Mietkaufvertrages<br />

durch Inbesitznahme der Mietsache durch den Mietkäufer<br />

davon abhängig gemacht wird, dass der Notar den Beteiligten das Vorliegen<br />

sämtlicher für die Eigentumsumschreibung erforderlicher Genehmigungen<br />

mit Ausnahme der Unbedenklichkeitsbescheinigung des<br />

Finanzamtes mitteilt.<br />

Eine solche <strong>Vertragsgestaltung</strong> ist nicht nur sinnvoll, sondern möglicherweise<br />

vor dem Hintergrund des §§ 18, 17 BeurkG auch geboten.<br />

Nach § 18 BeurkG hat der Notar auf die notwendigen gerichtlichen oder<br />

behördlichen Genehmigungen oder Bestätigungen hinzuweisen und<br />

hierüber einen Vermerk in die Urkunde aufzunehmen. In diesem Zusammenhang<br />

ist nicht nur auf die bloße Tatsache der Genehmigungsbedürftigkeit,<br />

sondern auch auf die Folgen der Genehmigungsversagung<br />

hinzuweisen 49 . Diesem Erfordernis wird ein Hinweis lediglich im<br />

kaufrechtlichen Teil der Urkunde kaum gerecht, da der Mietkäufer die<br />

Auswirkungen einer Genehmigungsversagung in ihrer Gesamtheit auf<br />

den Mietkaufvertrag nur schwer überschauen kann. Eine diesbezügliche<br />

Belehrungspflicht ergibt sich aber wohl zumindest aus § 17 BeurkG.<br />

Die Notwendigkeit einer solchen Absicherung hat jedoch noch weiteren<br />

Einfluss auf die <strong>Vertragsgestaltung</strong>. Grundsätzlich kann das Ankaufsrecht<br />

als Kaufangebot oder als aufschiebend bedingter Kaufvertrag<br />

ausgestaltet werden. Die Besonderheit des Angebots besteht allerdings<br />

gerade darin, dass ein Kaufvertrag über die Immobilie erst mit dessen<br />

Annahme abgeschlossen wird. Vor diesem Hintergrund stellt sich die<br />

Frage, ob für ein Angebot auf Abschluss eines Grundstückskaufvertrages<br />

bereits die für den Vertrag notwendigen Genehmigungen eingeholt<br />

und erteilt werden können. Diese Frage kann für alle erdenklichen<br />

Genehmigungen nicht einheitlich beurteilt werden. Es ergeben<br />

sich jedoch für einige, in der Praxis wichtige Genehmigungen folgende<br />

Überlegungen:<br />

49 Hertel, in: Würzburger Notarhandbuch, Teil 2 Rn. 430.<br />

128


Nach § 2 Abs.1 GVO bedarf die Auflassung und der schuldrechtliche<br />

Vertrag bezüglich eines in den neuen Bundesländern belegenen Grundstücks<br />

der Genehmigung nach der Grundstücksverkehrsordnung. Das<br />

Angebot zu einem solchen Vertrag ist nicht genehmigungspflichtig. Es<br />

ist jedoch als solches auch nicht genehmigungsfähig. Dies ergibt sich<br />

aus § 1 Abs.1 Satz 2 GVO. Nach dieser Bestimmung kann eine Genehmigung<br />

nach der GVO auch schon vor Abschluss des Rechtsgeschäfts<br />

erteilt werden, wenn das im voraus genehmigte Rechtsgeschäft<br />

binnen zwei Jahren nach der Ausstellung der Genehmigung<br />

abgeschlossen wird. Diese Regelung lässt nur den Schluss zu, dass<br />

das Angebot selbst nicht genehmigungsfähig ist, aber für ein Angebot<br />

die Genehmigung eingeholt werden kann, die allerdings nach zwei<br />

Jahren wieder unwirksam wird, wenn es bis dahin nicht angenommen<br />

worden ist. Damit wäre der Mietkäufer nur für zwei Jahre rechtlich<br />

abgesichert. Selbstverständlich besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit,<br />

dass ein erneuter Genehmigungsantrag ebenfalls positiv beschieden<br />

würde. Eine absolute Gewissheit indes bedeutet dies nicht.<br />

Die Genehmigung nach dem Grundstücksverkehrsgesetz kann nach § 2<br />

Abs.1 Satz 3 GrdstVG auch für einen Kaufvertragsentwurf erteilt<br />

werden. Deshalb ist grundsätzlich auch ein Verkaufsangebot genehmigungsfähig<br />

50 . Problematisch kann dies jedoch für Angebote mit<br />

längerer Frist sein. Nach Ansicht des BGH kann aufgrund des Sinnzusammenhangs<br />

des GrdstVG auch eine Vereinbarung, die bereits die<br />

Einzelheiten des Ankaufsrechts regelt, noch nicht als genehmigungsfähig<br />

angesehen werden, wenn das Vorliegen etwaiger Gründe für die<br />

Versagung der Genehmigung (§ 9 GrdstVG) sich umfassend und abschließend<br />

erst im Zeitpunkt der Ausübung des Ankaufsrechts beurteilen<br />

lässt. Dem Sinn und Zweck des GrdstVG (Verhinderung einer<br />

Verschlechterung der Agrarstruktur und Sicherung land- und forstwirtschaftlicher<br />

Betriebe) ist nur – zugleich aber auch hinreichend – Genüge<br />

getan, wenn in diesem Zeitpunkt keine gesetzlichen Versagungsgründe<br />

vorliegen 51 . Damit besteht das Risiko, dass für ein Verkaufsangebot mit<br />

längerer Laufzeit eine Genehmigung nach dem GdstVG nicht erteilt<br />

werden kann.<br />

Diese vorgenannten Probleme lassen sich dadurch vermeiden, dass<br />

das im Mietkaufvertrag enthaltene Kaufangebot nicht in Form eines<br />

Angebots, sondern als aufschiebend bedingter Kaufvertrag konstruiert<br />

wird. Bei dieser Gestaltung wird bereits die endgültige vertragliche<br />

50 Schöner/Stöber, Rn. 3953 m.w.N.<br />

51 BGH MDR 1983, 834.<br />

129


Einigung beurkundet, die genehmigungsfähig im oben dargestellten<br />

Sinne ist. Mit Erteilung der Genehmigung für das vertragliche Rechtsgeschäft<br />

wird dieses rückwirkend von seinem Abschluss an wirksam 52 .<br />

Die Wirksamkeit des Vertrages hängt nicht davon ab, wann der Vertrag<br />

dem Grundbuch zum Vollzug vorgelegt wird. Aus diesem Grund<br />

empfiehlt es sich in jedem Fall, das Ankaufsrecht als bedingten Kaufvertrag<br />

auszugestalten, sofern die Wirksamkeit des Kaufvertrags von<br />

einer Genehmigung abhängig ist.<br />

Bedarf der Kaufvertrag zu seiner Wirksamkeit einer Genehmigung, ist<br />

somit eine Prüfung erforderlich, ob diese vorab für das zukünftige<br />

Rechtsgeschäft oder ein Angebot hierfür eingeholt werden kann und ob<br />

diese auch zeitlich unbefristet erteilt werden kann. Ist dies der Fall oder<br />

ist eine Genehmigung nicht notwendig, kann die Kaufoption auch als<br />

Angebot ausgestaltet werden. Anderenfalls verdient der aufschiebend<br />

bedingte Kaufvertrag den Vorzug. Will man seine <strong>Vertragsgestaltung</strong><br />

nicht einzelfallabhängig in der Grundkonzeption veränderlich haben,<br />

kann als Standardlösung nur der aufschiebend bedingte Kaufvertrag<br />

gewählt werden.<br />

b) Verwendungsabrede hinsichtlich der Miete<br />

Sofern das vertragsgegenständliche Wohnhausgrundstück mit<br />

valutierten Grundpfandrechten belastet ist, bedarf es einer zusätzlichen<br />

Vereinbarung der Beteiligten. Übt der Mietkäufer seine Kaufoption aus,<br />

werden nämlich die bereits geleisteten Mietzahlungen (teilweise) auf<br />

den Kaufpreis angerechnet. Vor allem in den Fällen, in denen die Option<br />

erst nach einem längeren Zeitraum erfolgt, ist zu diesem Zeitpunkt auf<br />

diese Weise bereits ein nicht unerheblicher Teil des vereinbarten Kaufpreises<br />

an den Mietverkäufer geleistet. Valutieren die Grundpfandrechte<br />

noch in einer Höhe, die an den vereinbarten Kaufpreis heranreicht, kann<br />

dies dazu führen, dass die Bank aufgrund des zur Ablösung nicht mehr<br />

ausreichenden Restkaufpreises die Pfandfreigabe nicht erklärt. In einer<br />

solchen Situation ist der lastenfreie Erwerb der Immobilie nicht mehr<br />

sichergestellt, obwohl der Mietkäufer den geschuldeten Kaufpreis erbracht<br />

hat. Dasselbe Problem tritt auf, wenn bereits der vereinbarte<br />

Gesamtkaufpreis nicht zur Lastenfreistellung ausreicht. Dieses Problem<br />

muss durch eine geeignete <strong>Vertragsgestaltung</strong> verhindert werden.<br />

52 BGH NJW 1995, 318.<br />

130


Naheliegend erscheint es, den Mietverkäufer im mietrechtlichen Teil des<br />

Vertrages zu verpflichten, die Miete ausschließlich zur Wegfertigung der<br />

grundpfandrechtsgesicherten Darlehensverbindlichkeiten zu verwenden.<br />

Eine solche, sich auf das Innenverhältnis der Vertragsteile beschränkende,<br />

rein schuldrechtliche Lösung genügt aber den<br />

Sicherungsinteressen des Mietkäufers <strong>bei</strong> einem Mietkauf in der Regel<br />

nicht, auch wenn <strong>bei</strong> Ausübung der Kaufoption die Fälligkeit des Restkaufpreises<br />

davon abhängig gemacht wird, dass dieser zur Lastenfreistellung<br />

ausreicht. Sofern die Lastenfreistellung durch Bezahlung des<br />

geschuldeten Restkaufpreises nicht bewirkt werden könnte, tritt zwar<br />

keine Restkaufpreisfälligkeit ein, jedoch ist der Mietkäufer nicht in<br />

seinem Interesse auf einen lastenfreien Erwerb der Immobile geschützt.<br />

Möglicherweise ist der Kauf insgesamt gefährdet. Aus diesem Grund<br />

sollte sich der gestaltende Notar nicht mit einer Verwendungsabrede der<br />

<strong>bei</strong>den Parteien zufrieden geben.<br />

Die notwendige Sicherheit kann nur dadurch erzielt werden, dass die<br />

Bank des Mietverkäufers bereits <strong>bei</strong> Mietkaufvertragsabschluss beteiligt<br />

wird. Es bietet sich das Einholen einer Lastenfreistellungserklärung der<br />

Bank dergestalt an, wie sie es auch <strong>bei</strong> Bauträgerverträgen nach § 3<br />

Abs.2 MaBV üblich ist 53 . Die Bank gibt eine verpflichtende Erklärung<br />

gegenüber dem Mietkäufer ab, dass sie für den Verkaufsfall das Vertragsobjekt<br />

von den eingetragenen Grundpfandrechten freigeben wird<br />

unter der Voraussetzung, dass der Mietkäufer die nach dem Mietkaufvertrag<br />

geschuldeten Beträge vollständig geleistet hat. Ebenso wie <strong>bei</strong><br />

Bauträgerverträgen wird die Bank diese Erklärung im Regelfall davon<br />

abhängig machen, dass die monatliche Miete auf ein von ihr benanntes<br />

Konto gezahlt wird. Hiergegen bestehen ebenso wie im Bauträgerrecht<br />

54 keine Bedenken. Sofern jedoch die Bank darüber hinaus auch<br />

die Abtretung der geschuldeten Mietbeträge an sich verlangt 55 , ist durch<br />

eine geeignete Gestaltung sicherzustellen, dass sich diese Abtretung<br />

nur auf die Kaltmiete bezieht. Die Nebenkostenvorauszahlung des Mietkäufers<br />

dient nämlich dazu, die Betriebskosten der Immobilie zu begleichen<br />

und nicht zur Rückführung des ausgereichten Kredits. Um den<br />

Mietkäufer mittels einer geeigneten <strong>Vertragsgestaltung</strong> abzusichern,<br />

bietet sich an, diese Freistellungsverpflichtungserklärung der Bank entweder<br />

vor dem Beurkundungstermin einzuholen bzw. den Vollzug des<br />

Mietkaufvertrages vom Vorliegen einer solchen Erklärung abhängig zu<br />

53 Zur Ablösung von Privatgläubigern siehe Vierling, MittBayNot 2009, 78.<br />

54 Siehe z. B. Marcks, MaBV, § 3 Rn. 13 a.<br />

55 Zum Problem eines abgetretenen Mietzinsanspruchs <strong>bei</strong> Beschlagnahme durch<br />

nachrangige Grundpfandrechtsgläubiger siehe BGH DNotZ 2005, 919.<br />

131


machen. Der Notar kann und sollte mit der Einholung der Erklärung<br />

beauftragt sowie verpflichtet werden, das Vorliegen der Erklärung den<br />

Beteiligten mitzuteilen. Auch insoweit kann das Modell der grundstückskaufvertraglichen<br />

Fälligkeitsüberwachung Anwendung finden.<br />

Zusätzlich sollte beachtet werden, dass die Ansprüche des Mietverkäufers<br />

auf die Miete der Pfändung unterliegen. Erfolgt eine Pfändung,<br />

würde die Miete nicht mehr zur Befriedigung der durch das Grundpfandrecht<br />

gesicherten Verbindlichkeiten dienen können. Dementsprechend<br />

ist durch eine geeignete Formulierung sicher zu stellen, dass die Miete<br />

nur zur Begleichung dieser Schulden verwendet werden kann. Dies<br />

könnte auch durch Abtretung der Mietansprüche an die Gläubigerin<br />

vertraglich umgesetzt werden. Das Problem einer unwirksamen Vorausverfügung<br />

des Grundstückseigentümers über die Miete im Hinblick auf<br />

§§ 1192 Abs. 1, 1124 Abs. 2 Abs. 2 BGB stellt sich hier nicht 56 , da die<br />

Miete gerade dem Grundpfandrechtsgläubiger zufließen soll. In jedem<br />

Fall ist hier eine Störfallvorsorge notwendig.<br />

IV. Der kaufrechtliche Teil des Mietkaufvertrages<br />

1. Allgemeines<br />

Übt der Mietkäufer das ihm eingeräumte Ankaufsrecht aus, kommt über<br />

die zunächst angemietete Immobilie ein Kaufvertrag zustande. In<br />

diesem Bereich betritt der Vertragsgestalter wieder gesichertes Terrain.<br />

Die Gestaltung von Grundstückskaufverträgen ist notarieller Alltag. Der<br />

Inhalt des kaufvertraglichen Teils des Mietkaufvertrages entspricht zunächst<br />

den üblichen Kautelen eines Grundstückskaufvertrages. Im<br />

Folgenden werden nur die hiervon abweichenden Gestaltungsgesichtspunkte<br />

angesprochen.<br />

2. Das Ankaufsrecht des Mietkäufers<br />

a) Allgemeine Gestaltungsüberlegungen<br />

Zunächst darf darauf hingewiesen werden, dass das auch als (Ankaufs-)<br />

Option bezeichnete Ankaufsrecht im deutschen Recht nicht als eigenständiges<br />

Rechtsinstitut existiert 57 , sondern im Zusammenhang mit<br />

einem Mietvertrag entweder als Angebot bzw. Angebotsvertrag oder als<br />

56 Vgl. hierzu BGH NJW 2007, 2919.<br />

57 Wagner, NotBZ 2000, 69, 77.<br />

132


aufschiebend bedingter Kauf(Haupt-)vertrag ausgestaltet sein kann.<br />

Angebot bzw. Angebotsvertrag auf der einen Seite und aufschiebend<br />

bedingter Kauf(Haupt-)vertrag auf der anderen Seite bieten sowohl Vor-<br />

als auch Nachteile.<br />

Ein reines und getrennt beurkundetes Verkaufsangebot wird in der Vertragspraxis<br />

in aller Regel schon deshalb nicht in Betracht kommen, weil<br />

der Mietvertrag und das Kaufangebot als einheitliches Rechtsgeschäft<br />

<strong>bei</strong>de der notariellen Beurkundung bedürfen 58 und deshalb aus Kostengründen<br />

und Zweckmäßigkeitsüberlegungen eine einheitliche Beurkundung<br />

nahe liegt. Denkbar ist aber, das Kaufangebot des Mietverkäufers<br />

als Angebot des Mietverkäufers oder als aufschiebend bedingten<br />

Hauptvertrag auszugestalten.<br />

Grundsätzlich ergeben sich keine Unterschiede, die entweder das Angebot/Angebotsvertrag<br />

bzw. den aufschiebend bedingten Kaufvertrag<br />

als einzig richtige Gestaltung nahe legen. Indes können die bereits<br />

erfolgten Erörterungen zu eventuell notwendigen Genehmigungen des<br />

Kaufvertrags an dieser Stelle nicht unberücksichtigt bleiben 59 . Da bestimmte<br />

Genehmigungen nicht für ein Angebot eingeholt werden<br />

können bzw. für ein Angebot nicht zeitlich unbefristet gelten, gibt dieser<br />

Umstand den Ausschlag für eine sachgerechte Gestaltung des Ankaufrechts.<br />

Immer wenn die Wirksamkeit des Vertrags von einer Genehmigung<br />

abhängt, sollte der aufschiebend bedingte Kaufvertrag gewählt<br />

werden, um den Mietkäufer in seinen Erwerbsabsichten abzusichern.<br />

b) Regelung der Vererblichkeit des Ankaufsrechts<br />

Inwieweit das Recht, das Vertragsangebot anzunehmen oder die Option<br />

auszuüben, vererblich ist, muss grundsätzlich durch Auslegung im<br />

Einzelfall ermittelt werden 60 . Die Frage der Vererblichkeit sollte aus<br />

diesem Grunde ausdrücklich im Vertrag geregelt werden. Dies gilt auch<br />

dann, wenn jeder der <strong>bei</strong>den Angebotsempfänger zur Bewirkung eines<br />

Gleichlaufs mit der mietrechtlichen Vorschrift des § 563 a Abs. 1 BGB<br />

sein Recht auf Kaufvertragsannahme aufschiebend bedingt auf den<br />

Zeitpunkt seines Vorversterbens an den anderen Mietkäufer abtritt.<br />

Denn damit ist noch nicht geregelt, was gelten soll, wenn <strong>bei</strong>de Angebotsempfänger<br />

zeitgleich, gleichzeitig oder kurz hintereinander ver-<br />

58 Siehe Ziffer II 2.<br />

59 Siehe Ziffer II 9 a.<br />

60 Wagner, NotBZ 2000, 69, 73 mit weiteren Nachweisen dort in Fn. 43.<br />

133


sterben. Wenn in einer solchen Situation die Angebotsempfänger von<br />

ihren im gemeinsamen Haushalt lebenden Kindern aufgrund Gesetzes<br />

oder aufgrund letztwilliger Verfügung beerbt werden, würde durch die im<br />

Mietkaufvertrag bestimmte Vererblichkeit des Annahmerechts wiederum<br />

ein Gleichlauf zwischen dieser Rechtsposition und der aus dem Mietverhältnis<br />

geschaffen, denn § 563 Abs. 2 S. 1 BGB ordnet zugunsten<br />

der im gemeinsamen Haushalt lebenden Kinder des Mieters hinsichtlich<br />

des Mietvertrages ein Eintritts- bzw. Fortsetzungsrecht an.<br />

c) Regelung der Übertragbarkeit des Ankaufsrechts<br />

Regelungsbedürftig ist auch die Übertragbarkeit der Annahmeposition<br />

des Angebotsempfängers gemäß §§ 413, 398 BGB, da auf den ersten<br />

Blick jedenfalls eine gesetzliche Vorgabe für oder gegen eine Übertragbarkeit<br />

nicht besteht 61 .<br />

Das Ziel einer jeden <strong>Vertragsgestaltung</strong> besteht aber darin, Streitfragen<br />

und Unklarheiten erst gar nicht entstehen zu lassen. Die Frage der<br />

Übertragbarkeit der Annahmeposition des Angebotsempfängers sollte<br />

deshalb im Angebotstext ausdrücklich geregelt sein.<br />

d) Angebotsfrist<br />

Unbedingt regelungsbedürftig ist der Zeitraum, innerhalb dessen der<br />

Mietverkäufer an sein Angebot gebunden ist. Es bestehen hierfür<br />

grundsätzlich keine Vorgaben, so dass die Beteiligten die Dauer frei<br />

vereinbaren können. Gleichwohl erscheint es sinnvoll, die Angebotsfrist<br />

mit den mietrechtlichen Vereinbarungen der Parteien in Übereinstimmung<br />

zu bringen. Verzichten die Beteiligten im mietrechtlichen Teil<br />

<strong>bei</strong>spielsweise auf das Recht der ordentlichen Kündigung für einen bestimmten<br />

Zeitraum 62 , erscheint es in jedem Fall ratsam, dem Mietkäufer<br />

im Gegenzug ein Ankaufsrecht zumindest für diesen Zeitraum einzuräumen.<br />

Ob ein längeres Ankaufsrecht sinnvoll und gewünscht ist, muss<br />

im Einzelfall geklärt werden. Es darf aber nicht übersehen werden, dass<br />

die Laufzeit des Angebots für den Mietkäufer einen der zentralen<br />

Punkte des Mietkaufvertrages darstellt.<br />

61 Wagner, NotBZ 2000, 69, 73.<br />

62 Siehe hierzu B II 6 c.<br />

134


3. Anrechnung der geleisteten Mietzahlungen auf den Kaufpreis<br />

Für die Frage, ob die Kalt- bzw. Nettomiete in voller Höhe oder nur teilweise<br />

auf den Kaufpreis anzurechnen ist, gibt es keine allgemein gültige<br />

Antwort und auch keine rechtliche Faustformel. Über die Anrechnungsgröße<br />

entscheiden letztendlich Marktlage und Verhandlungsführung der<br />

Kaufvertragsparteien. Soweit die Miete nicht auf den Kaufpreis angerechnet<br />

wird, kann man ihr wirtschaftlich die Funktion eines<br />

Bindungsentgeltes oder einer Verzinsung des noch offenen Kaufpreisbetrages<br />

<strong>bei</strong>messen. Auf Grund der aktuellen Marktlage wird insbesondere<br />

in den neuen Bundesländern in vielen Fällen nur eine Vollanrechnung<br />

vertraglich durchsetzbar sein.<br />

Vertragsgestalterisch empfiehlt es sich, die Frage der Anrechnung unmittelbar<br />

im Anschluss an die Kaufpreishöhe zu regeln, da im Falle der<br />

Ausübung der Kaufoption der noch zu zahlende Kaufpreis zu ermitteln<br />

ist. Denkbare und praktisch relevante Anrechnungsvarianten sind:<br />

a) Totalanrechnung<br />

Bei kaum oder nur schwer veräußerbaren Immobilien dürften wohl die<br />

Fallgestaltungen überwiegen, <strong>bei</strong> denen die bis zur Beendigung des<br />

Mietvertrages bzw. der Mietzahlungspflicht tatsächlich an den Verkäufer<br />

bzw. an einen abzulösenden Grundpfandgläubiger gezahlten Kaltmieten<br />

in voller Höhe auf den Kaufpreis angerechnet werden, weil andernfalls<br />

der verkaufswillige Mietverkäufer auf der Immobilie „sitzen bliebe“.<br />

b) Teilanrechnung<br />

Wenn der Mietverkäufer zu einer solchen „Totalanrechnung“ nicht bereit<br />

und angesichts der Marktlage dazu auch nicht faktisch gezwungen ist,<br />

kommt auch eine Teilanrechnung in Betracht. Es bestehen im Hinblick<br />

darauf, dass der Mietkauf Elemente eines Kreditgeschäfts aufweist<br />

grundsätzlich zwei plausible Ansätze dafür, die Kaltmiete in einen auf<br />

den Kaufpreis anzurechnenden und einen nicht anzurechnenden Teil<br />

aufzuteilen. So könnte etwa vereinbart werden, dass die Gesamtkaufpreisschuld<br />

unter Zugrundelegung einer fiktiven Gesamtlaufzeit von z.<br />

B. zwanzig Jahren mit dem gesetzlichen Zinssatz des § 246 BGB zu<br />

verzinsen ist und der auf die einzelnen Monatsmieten entfallende,<br />

betragsmäßig ausgewiesene Zinsanteil nicht auf den Kaufpreis angerechnet<br />

wird. Sofern die Mietzahlungen vom Mietverkäufer zur Wegfertigung<br />

eines Grundpfanddarlehens verwendet werden (müssen), ist<br />

135


es auch denkbar, den in der jeweiligen Monatsmiete fiktiv enthaltenen<br />

Darlehenszinsanteil von der Kaufpreisanrechnung freizustellen. Auch<br />

dieser, über die Laufzeit des Mietvertrages nicht zwingend betragsmäßig<br />

gleichbleibende Zinsanteil (etwa <strong>bei</strong> einem Amortisations- bzw.<br />

Tilgungsdarlehen) müsste in der Monatskaltmiete gesondert ausgewiesen<br />

werden.<br />

c) Anrechnung <strong>bei</strong> Mietminderung<br />

Nicht eindeutig beantworten lässt sich die Frage, wie die Anrechung<br />

erfolgen soll, wenn der Mietkäufer die vereinbarte Miete berechtigterweise<br />

wegen Mängeln des Vertragsgegenstandes gemindert hat. Hier<br />

wird danach zu differenzieren sein, weshalb die Minderung vorgenommen<br />

wurde. Erfolgte die Minderung, weil der Vertragsgegenstand<br />

nicht die vertraglich vereinbarte Beschaffenheit besessen hat, so ist der<br />

einbehaltene Betrag als geleistete Mietzahlung zu bewerten und führt<br />

dementsprechend zu einer Reduzierung des Restkaufpreises. Hat der<br />

Mietkäufer aber nur deswegen die Möglichkeit zur Minderung, weil der<br />

Mietverkäufer während der Mietphase grundsätzlich für die Instandhaltung<br />

und Instandsetzung der Mietsache verantwortlich ist, so ergibt<br />

sich in der Regel ein anderes Ergebnis. Wäre der Vertragsgegenstand<br />

sofort verkauft worden, wäre dieser nachträglich eintretende Mangel in<br />

die Risikosphäre des Käufers gefallen. Deshalb erscheint es sachgerecht,<br />

solche Minderungsbeträge <strong>bei</strong> der Anrechung auf den Kaufpreis<br />

nicht zu berücksichtigen und nur die geminderten, tatsächlich geleisteten<br />

Mietzahlungen auf den Kaufpreis anzurechen.<br />

Ein ähnliches Bild ergibt sich <strong>bei</strong> einer Minderung der Miete wegen einer<br />

Abweichung der tatsächlichen von der vereinbarten Wohnfläche. Bei<br />

Überschreitung der Erheblichkeitsgrenze von 10 % führt dies im Mietrecht<br />

stets zu einem Recht auf Minderung 63 . Beim Kauf einer gebrauchten<br />

Immobilie wird hingegen die Wohn- Nutzfläche regelmäßig<br />

nicht zum Inhalt einer Beschaffenheitsvereinbarung gemacht und berechtigt<br />

<strong>bei</strong> einer Abweichung nur in Ausnahmefällen zu einer<br />

Minderung des Kaufpreises. Aus diesem Grund sind auch die wegen<br />

einer Verminderung der Wohnfläche reduzierten Mietzahlungen nur in<br />

ihrer tatsächlich geleisteten Höhe auf den Kaufpreis anzurechnen, wenn<br />

im kaufvertraglichen Teil eine Haftung des Mietverkäufers für den Zustand<br />

der Immobilie zulässig ausgeschlossen ist.<br />

63<br />

BGH NJW 2004, 1947 = ZMR 2004, 495; OLG Karlsruhe NZM 2002, 218 = ZMR<br />

2003, 183.<br />

136


4. Erschließungskosten<br />

Bei der Frage, welche Kaufvertragspartei ab welchem Zeitpunkt anfallende<br />

Erschließungskosten i.w.S. zu tragen hat, darf zunächst auf die<br />

mietrechtlichen Ausführungen verwiesen werden. Sinnvoll erscheint<br />

eine Regelung, nach der solche Beiträge und Kosten im Außenverhältnis<br />

bis zur Beendigung des Mietverhältnisses der Mietverkäufer und –<br />

sofern die Kaufvertragsannahme erfolgt – nach diesem Zeitpunkt der<br />

Mietkäufer zu tragen hat. Daneben hat jedoch der Käufer dem Verkäufer<br />

im Fall der Kaufvertragsannahme während der Mietzeit verauslagte<br />

Erschließungskosten zu erstatten, da die mit den durchgeführten<br />

Erschließungsmaßnahmen verbundene Wertsteigerung des vertragsgegenständlichen<br />

Grundstücks dem Käufer zugute kommt, ohne dass<br />

dies <strong>bei</strong> der Kaufpreisfestsetzung bereits berücksichtigt werden konnte.<br />

Zur Sicherung des Käufers bietet es sich an, den Freistellungs- bzw.<br />

Erstattungsanspruch des Mietverkäufers an die Kaufpreisfälligkeit zu<br />

koppeln, um zu verhindern, dass der Käufer ohne gesicherten Anspruch<br />

auf lastenfreie Eigentumsübertragung Erschließungskosten tragen<br />

muss. Im Gegenzug kann zur Sicherung des Verkäufers der Vollzug der<br />

Eigentumsumschreibung nicht nur von der Zahlung des Kaufpreises,<br />

sondern darüber hinaus auch von der Erstattung der angefallenen Erschließungskosten<br />

abhängig gemacht werden.<br />

V. Schlussbemerkung<br />

Die vorstehenden Ausführungen dürften deutlich gemacht haben, dass<br />

<strong>bei</strong> der Gestaltung eines Mietkaufvertrages vor allem das Zusammenspiel<br />

der mietrechtlichen Ebene mit der späteren kaufrechtlichen Ebene<br />

besondere Aufmerksamkeit verdient. Soweit das Mietrecht zwingend<br />

eine bestimmte Regelung bedingt, die für den Fall des Zustandekommens<br />

eines Kaufvertrages nicht dem Willen der Vertragsparteien<br />

entspricht, muss für eine Korrektur im kaufrechtlichen Teil gesorgt<br />

werden.<br />

137


Hausübertragung zwischen Pflegeheim und Hartz IV<br />

Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz,<br />

Notar, Regen<br />

Mitglied des Vorstands des INotR Würzburg<br />

Seite<br />

I. Hausübergabe – Vorweggenommene Erbfolge,<br />

Generationengerechtigkeit und notarielle Rechtspflege ......140<br />

1. Vorweggenommene Erbfolge – Instrument der<br />

Generationennachfolge........................................................140<br />

2. Der alte Großvater und die demografische Entwicklung......143<br />

3. Generationengerechtigkeit und Vertragsgerechtigkeit in<br />

der Gesellschaft des Weniger ..............................................146<br />

II. Die Interessenlage <strong>bei</strong> der Hausübertragung und Alternativ-<br />

lösungen ....................................................................................148<br />

1. Die (nicht vereinbaren) Interessen der Beteiligten...............148<br />

2. „Ausstattung“ – der Joker?...................................................153<br />

3. Hausübergabe und Sozialrecht – häufig gestellte Fragen...156<br />

III. Pflegekosten, Versorgungs- und Sozialleistungen ...............157<br />

1. Die Pflegeversicherung statt Wart und Pflege .....................157<br />

a) Versorgung des Hausübergebers als Rechtspflicht?....157<br />

b) Pflegeversicherung als Teilkaskoversicherung und<br />

Pflegegeld .....................................................................159<br />

aa) Deckungslücke trotz Pflegeversicherung..............159<br />

bb) Pflegeverpflichtung und Pflegebedürftigkeit .........160<br />

cc) Haus plus Geld für das Kind?................................167<br />

2. Deckung des verbleibenden Fehlbetrages...........................172<br />

a) Einkommen und Vermögen – Grundsatz der<br />

Subsidiarität...................................................................172<br />

aa) Nachrang und Vermögensplanung .......................172<br />

bb) Sozialhilfeleistungen <strong>bei</strong> stationärer Pflege ..........176<br />

138


cc) Die Grundsicherung im Alter .................................178<br />

b) Verwertung des eigenen Einkommens und<br />

Vermögens....................................................................183<br />

aa) Austragsleistungen als Einkommen?....................183<br />

bb) Familienheim – wie groß darf´s denn sein?..........194<br />

cc) Rückübertragung (§ 528 BGB)..............................198<br />

dd) Die Alternative – behalten, aber Haftung<br />

der Erben ..............................................................215<br />

(1) Die Schenkung auf den Todesfall..................215<br />

(2) Die Haftung der Erben...................................217<br />

c) Hartz IV <strong>bei</strong>m übernehmenden Kind.............................221<br />

IV. Familienrechtliche Unterhaltspflichten...................................225<br />

1. Verwandtenunterhalt für Pflegeheimkosten? .......................225<br />

2. Unterhaltsbedarf der Eltern ..................................................227<br />

3. Leistungsfähigkeit des in Anspruch genommenen Kindes ..233<br />

a) Was bleibt vom Einkommen? .......................................233<br />

b) Hausverkauf für den Elternunterhalt? ...........................240<br />

c) Verwirkung des Elternunterhalts ...................................243<br />

d) Pflegeleistungen statt Zahlung?....................................244<br />

V. Viertes Gebot am Ende?...........................................................244<br />

139


I. Hausübergabe – Vorweggenommene Erbfolge,<br />

Generationengerechtigkeit und notarielle Rechtspflege<br />

1. Vorweggenommene Erbfolge – Instrument der Generationen-<br />

nachfolge<br />

Die vorweggenommene Erbfolge wird üblicherweise als vorzeitige Einräumung<br />

einer dem Übernehmer als potenziellen Erben mit dem<br />

späteren Erbfall verbundenen Rechtsposition definiert. 1 Als Gründe<br />

werden die Vermeidung von Erbstreitigkeiten einschließlich Auslegungsschwierigkeiten<br />

eines Testaments, die sukzessive Heranführung<br />

des Übernehmers an die Verantwortung und die Möglichkeit, den Zeitpunkt<br />

– anders als grundsätzlich <strong>bei</strong>m Tod – selbst zu bestimmen,<br />

sowie die durch den Zehn-Jahreszeitraum mögliche mehrfache Inanspruchnahme<br />

der erbschaftsteuerlichen Freibeträge genannt. 2<br />

Zivilrechtlich handelt es sich meist um eine gemischte Schenkung, eine<br />

Auflagenschenkung oder einen familienrechtlichen Vertrag. 3 Die Einordnung<br />

hat Bedeutung für die Notbedarfseinrede und die Rückforderung.<br />

Hiernach soll es nach h. M. auf das Wertverhältnis des entgeltlichen<br />

und des unentgeltlichen Vertragsteils ankommen. Überwiegt<br />

der Schenkungsteil, so ist es im Hinblick auf die Interessen des<br />

Schenkenden angemessen, dass er den Schenkungsgegenstand von<br />

vornherein behält oder gegen Rückerstattung der Gegenleistung<br />

zurückerhält. Überwiegt der entgeltliche Teil, so fordern die berechtigten<br />

Interessen des (teilweise) Beschenkten, dass er den Zuwendungs-<br />

1 S. nur Bamberger/Roth/Wagner, BGB, 2. Aufl. 2008, § 593a Rn. 4. Vgl. auch von<br />

Hoyenberg, Vorweggenommene Erbfolge, 2010, 1. Kap. Rn. 4 f.<br />

2 S. nur Fey, in: Beck´sches Steuer- und Bilanzrechtslexikon, Stand: 1.1.2010, s. v.<br />

Vorweggenommene Erbfolge Rn. 2 f.; R. Kössinger, in: Nieder/Kössinger, Hdb. der<br />

Testamentsgestaltung, 3. Aufl. 2008, § 6 Rn. 192; Holland, in: Würzburger Notarhandbuch,<br />

2. Aufl. 2010, Teil 2, Kap. 7 Rn. 2 ff.; Jerschke, in: Beck`sches Notarhandbuch,<br />

5. Aufl. 2009, A V Rn. 1; Krauß, Überlassungsverträge in der Praxis,<br />

2. Aufl. 2010, Rn. 7 ff.; Langenfeld, in: Langenfeld/Günther, Grundstückszuwendungen<br />

zur lebzeitigen Vermögensnachfolge, 6. Aufl. 2010, Kap. 1 Rn. 28 ff.;<br />

Mayer, Der Übergabevertrag, 2. Aufl. 2001, Rn. 29; Spiegelberger, Unternehmensnachfolge,<br />

2. Aufl. 2009, Rn. 11 ff. u. http://www.notare.bayern.de/front.php?artID=75<br />

(Stand: 2.6.2010); vgl. auch BGH, DNotZ 1992, 32, 33: Priester, DNotZ 1991, 507,<br />

522 u. Winkler, DNotZ 1998, 547. Zum Hofübergabevertrag als Übergabe des Hofes<br />

auf den Hoferben im Wege der vorweggenommenen Erbfolge s. § 17 Abs. 1 HöfeO<br />

sowie dazu Lange/Kuchinke, Erbrecht, 5. Aufl. 2001, § 53 V 1 (= S. 1354).<br />

3 S. nur Spiegelberger, DStR 2004, 1104; ders., Vermögensnachfolge, 1994, Rn. 1 ff.;<br />

von Hoyenberg, Vorweggenommene Erbfolge, 2010, 1. Kap. Rn. 6 ff. u. Mayer, Der<br />

Übergabevertrag, 2. Aufl. 2001, Rn. 6 ff.; vgl. auch BGH, DNotZ 1988, 364 u. BGH,<br />

MittBayNot 1989, 206.<br />

140


gegenstand herausverlangen bzw. behalten darf und lediglich den<br />

Mehrwert zu erstattet hat, der die Gegenleistung übersteigt. 4<br />

Die Übertragung des Familienheims ist jedoch in den Augen der Beteiligten<br />

mehr als eine lediglich steuerlich motivierte Immobilienübertragung<br />

oder ein juristisch-dogmatisch zu subsumierender Vorgang.<br />

Das meist im Miteigentum der Partner stehende Familienwohnheim 5<br />

bildet regelmäßig den Hauptvermögensgegenstand der Eltern, die<br />

diesen gleichsam in einem Akt des vorweggenommenen Sterbens<br />

(„Übergeben heißt nicht mehr Leben“) auf die nächste Generation übertragen.<br />

Es ist deshalb nicht zufällig, wenn häufig im Zusammenhang mit<br />

der Hausübergabe auch die „standesgemäße Beerdigung“ und die<br />

Tragung der Beerdigungskosten einschließlich eines Leichenschmauses<br />

sowie die Grabpflege mitgeregelt werden. 6 Es handelt sich<br />

um einen Akt der Ordnung der letzten Dinge. 7 Die Protokollierung der<br />

Hausübertragung wird da<strong>bei</strong> nicht als Schenkung seitens der Übergeber<br />

an die dies „mit Dank“ annehmenden Erwerber angesehen; jedenfalls<br />

im ländlichen Bereich wird zwischen den Alten und Jungen hier<strong>bei</strong><br />

genauso gefeilscht wie <strong>bei</strong>m Kuhhandel. Der Notar muss hier mehr<br />

Diplomat als Jurist sein. 8 Oder in moderner Diktion: Er muss als gestaltender<br />

Jurist Vertragsmediation betreiben. 9<br />

Ludwig Thoma hat diesen Vorgang, nämlich das Verbriefen einer Übergabe<br />

vor einem königlich bayerischen Notar und den damit verbundenen<br />

Handel über das Abstandsgeld, die jährlichen<br />

Austragsreichnisse und über die Inventarstücke, welche den Über-<br />

4 S. nur Bamberger/Roth/Gehrlein, BGB, 2. Aufl. 2008, § 516 Rn. 15 u. Palandt/<br />

Weidenkaff, BGB, 69. Aufl. 2010, § 516 Rn. 16; zur Gegenauffassung vgl.<br />

MünchKommBGB/J. Koch, 5. Aufl. 2008, § 516 Rn. 41, wonach der Empfänger<br />

grundsätzlich nur zur Behebung des Notbedarfs verpflichtet ist und ihm lediglich die<br />

Möglichkeit eingeräumt wird, seine Zahlungspflicht durch Rückgabe des erlangten<br />

Gegenstandes Zug um Zug gegen die von ihm geleistete Zahlung abzuwenden.<br />

5 S. Reithmann, zit. nach Lenz/Fuchs, DNotZ (SoH) 1973, 111, 113, der plastisch vom<br />

„Güterstand des ideellen Miteigentums“ spricht, u. dazu Grziwotz, FamRZ 2002,<br />

1669.<br />

6 S. dazu nur Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 14. Aufl. 2008, Rn. 934 § 2 Ziff. 2e u.<br />

von Hoyenberg, Vorweggenommene Erbfolge, 2010, 4. Kap. Rn. 99 ff.<br />

7 Vgl. Thoma, Bauernmoral (1908) in: Gesammelte Werke, 1. Band, 1968, S. 559, 564;<br />

vgl. auch ders., Hochzeit. Eine Bauerngeschichte, in: Gesammelte Werke, 3. Band,<br />

1968, S. 88).<br />

8 So ausdrücklich Kaltenstadler, Liebe – Hochzeit – Heiraten im nordwestlichen Oberbayern,<br />

in: Amperland, 35, 1999, 1 ff.<br />

9 Walz, in: ders. (Hrsg.), Verhandlungstechnik für Notare, 2003, S. 139 ff.<br />

141


gebern noch verbleiben sollten, kenntnisreich geschildert. 10 Im Anschluss<br />

an die jeweilige, nach einigem Hin und Her erfolgte Einigung<br />

der Beteiligten diktiert der Notar in der Erzählung seinem Schreiber: „...<br />

im übrigen sind mit übergeben alle Ein- und Zubehörungen, die<br />

Gesamtheit des Inventars an Haus- und Baumannsfahrnissen, das vorhandene<br />

Vieh, alle Ökonomiegerätschaften, alle Getreide-, Heu-, Stroh-,<br />

Futter-, Holz- und sonstigen Vorräte, die übrigen Mobilien, im Hause<br />

selbstverständlich und alles was wand-, band-, niet- und nagelfest ist.“<br />

Ausgenommen waren drei Kleiderkästen, zwei Truhen mitsamt dem<br />

Inhalt, ein Tisch, eine Bank und zwei Stühle, ein kleiner Schüsselkorb,<br />

vier Holzteller und zwei Schüsseln sowie zwei Bienenstöcke mit den<br />

Bienenschwärmen. Zum Austrag heißt es: „Die Übergeber bedingen<br />

sich als natürlichen Austrag auf Lebensdauer vom Anwesen aus<br />

folgende unentgeltliche Leistungen und Reichnisse: a) Die täglich ihrem<br />

Alter und ihren Gesundheitsverhältnissen entsprechende Kost über<br />

Tisch gemeinsam mit den Übernehmern, wo<strong>bei</strong> ausdrücklich bedungen<br />

wird, dass die Übergeber wöchentlich ein Pfund Rindfleisch erhalten<br />

sollen und in Krankheitsfällen nötigenfalls auch eine leichter verdauliche<br />

Kost ... Außerdem erhalten die Übergeber täglich b) das ganze Jahr das<br />

hindurch von Georgi bis Michaeli zwei Liter gute Milch, die übrige Zeit<br />

einen Liter, c) täglich von Georgi bis Michaeli jeden Jahres ein Ei. Die<br />

übrige Zeit des Jahres fällt dieses Reichnis weg, d) jede Woche am<br />

Samstag zwei roggene Nudeln, e) zu jeder Backzeit einen weißen Laib<br />

Brot, f) an Weihnachten, Ostern, Pfingsten und Kirchweih je zwei Pfund<br />

nicht zu fettes Schweinefleisch, g) jährlich vier Hektoliter Korn, zwei<br />

Hektoliter Weizen, drei Ster einen Meter langes Scheitholz, drei Ster<br />

Prügel, einen Schab gehacktes Wied, zwölf Pfund Schmalz, zehn Pfund<br />

Kaffee, zehn Pfund Zucker, und jährlich den dritten Teil des im Anwesen<br />

gedeihenden Obstes, h) den Übergebern ist das ganze Jahr ein Schaf<br />

in Futter zu halten und gut zu verpflegen.“ Ferner wurden nach altem<br />

Brauch und Herkommen die Kleidungsstücke geschrieben: „(für den<br />

Übergeber) jährlich zwei Hemden, ein Schaber, ein Paar Vorschuhe, ein<br />

Paar Pantoffel, alle zwei Jahre ein Paar neue Schaftstiefel ... (für die<br />

Übergeberin) jährlich zwei Hemden, ein Paar Pantoffel, ein Paar<br />

Schuhe, zwei Schürzen, drei Kilo Flachs, alle zwei Jahre ein wollener<br />

Rock.“ Es folgen dann noch die Schlussbestimmungen, „dass den<br />

Übergebern der unverwehrte Aufenthalt in der Wohnstube, die<br />

Mitbenutzung der Küche und der freie Zugang zum Brunnen zustehen<br />

sollte, dass ihnen auf Verlangen die Kost in des Austragsstüberl<br />

verbracht werden müsste und endlich, dass den Übergebern alle<br />

10<br />

Vgl. Thoma, Hochzeit. Eine Bauerngeschichte, in: Gesammelte Werke, 3. Band,<br />

1968, S. 88, 125 ff.<br />

142


Reichnisse auf eine halbe Stunde Entfernung nachgebracht werden<br />

sollten, wenn sie infolge liebloser Behandlung nicht mehr auf dem<br />

Anwesen bleiben wollten.“ 11<br />

2. Der alte Großvater und die demografische Entwicklung<br />

Es war einmal ein alter Mann, dem waren die Augen trüb geworden, die<br />

Ohren taub und die Knie zitterten ihm. Wenn er nun <strong>bei</strong> Tische saß und<br />

den Löffel kaum halten konnte, schüttete er Suppe auf das Tischtuch,<br />

und es floß ihm auch etwas wieder aus dem Mund. Sein Sohn und<br />

dessen Frau ekelten sich davor. Der alte Großvater setzte sich hinter<br />

den Ofen in die Ecke und aß aus einem hölzernen Schüsselchen, um<br />

auf keinen Fall ins Heim zu müssen. Wie sie da so sitzen, blättert der<br />

kleine Enkel in einem Buch. „Was machst du da?“, fragt der Vater. „Ich<br />

sehe nach, was ich einmal bezahlen muss, wenn der Großvater und ihr<br />

ins Heim kommt.“ Da sahen sich Mann und Frau eine Weile an, fingen<br />

endlich an zu weinen, holten den alten Großvater an den Tisch und<br />

ließen ihn von nun an immer mitessen, sagten auch nichts, wenn er ein<br />

wenig verschüttete. 12 Dieses (hier modernisierte) Märchen vom<br />

Generationenvertrag ist eines der kürzesten in der Sammlung der Gebrüder<br />

Grimm. Wohlverstandenes Eigeninteresse und humane Verpflichtung,<br />

so lehrt es, sind Grundlage des Vertrages zwischen Alt und<br />

Jung. Er wird zunehmend brüchig. Häufig zitierter Grund ist die demografische<br />

Entwicklung. Statistiken belegen, dass der Anteil der Senioren<br />

an der Gesamtbevölkerung in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen<br />

hat. Er wird auch in Zukunft weiter ansteigen: In den<br />

nächsten vier Jahren wird die Gruppe 1 der dann 50- bis 75-Jährigen<br />

knapp 27 Millionen Menschen bzw. ein Drittel der Gesamtbevölkerung<br />

ausmachen. Und bereits in zwanzig Jahren wird es doppelt so viele<br />

ältere Menschen wie Jüngere in Deutschland geben. 13 Die Zahl der<br />

11 Vgl. Thoma, Hochzeit. Eine Bauerngeschichte, in: Gesammelte Werke, 3. Band,<br />

1968, S. 88, 130 ff.; vgl. auch das Aushandeln der Übergabebedingungen durch die<br />

Eltern, während das junge Paar eine „andere Prüfung“ durchführt, <strong>bei</strong> Thoma, Die<br />

Probier, in: Gesammelte Werke, 3. Band, 1968, S. 83, 84 ff.<br />

12 Nach Grimm, Märchen, 1995, S. 51 (in der Erstauflage von 1812 unter Nr. 78).<br />

13 S. nur Otten/Melsheimer, in: APuZ 41/2009 S. 31, 33; Birg, in: APuZ B 20/2003, 6,<br />

7 ff. Vgl. auch den Schlussbericht der Enquete-Kommission „Demographischer<br />

Wandel – Herausforderungen unserer älter werdenden Gesellschaft an den Einzelnen<br />

und die Politik“, BT-Drs: 14/8800; s. auch http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/14/088/<br />

1408800.pdf (Stand: 7.6.2010); Egeler, http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/<br />

Sites/destatis/Internet/DE/Presse/pk/2009/Bevoelkerung/bevoelkerungsentwicklung20<br />

09__Uebersicht,templateId=renderPrint.psml u. für Bayern Kurzidim, BayGT 2010,<br />

3 ff. sowie Steiner, BayGT 2010, 194 ff. S. aber auch Amann, Die großen Alterslügen,<br />

2004, S. 119 ff.<br />

143


pflegebedürftigen alten Menschen soll Schätzungen zufolge schon in<br />

den nächsten zehn Jahren um 50 Prozent auf dann drei Millionen und in<br />

zwanzig Jahren auf fünf Millionen Menschen anwachsen. 14 Selbst wenn<br />

im Rahmen des Pflegerisikos der medizinische Fortschritt berücksichtigt<br />

wird, muss man davon ausgehen, dass fast jeder Dritte aus der<br />

Generation 50plus zu einem Pflegefall wird. Sollen die Betroffenen in<br />

Heimen untergebracht werden, müssten schätzungsweise 50.000<br />

Heime gebaut werden. Gleichzeitig nimmt die Bedeutung der Familie als<br />

soziales Netzwerk kontinuierlich ab. 15 Ein Grund ist das Anwachsen der<br />

Singlehaushalte vor allem in Großstädten; aber auch <strong>bei</strong> bestehenden<br />

Familienbeziehungen wohnen die „Mitglieder“ ar<strong>bei</strong>tsmarktbedingt zu<br />

weit voneinander entfernt, als dass der Verband als Versorgungs- und<br />

Unterstützungssystem noch funktionieren könnte. In der Gesellschaft<br />

der Zukunft wird es somit mehr alte als Junge und mehr Alleinstehende<br />

als Familien geben.<br />

Früher war der ältere Mensch einfach nur ein Greis – anspruchslos und<br />

überwiegend mit den Gebrechen des Alters beschäftigt. Heute heißen<br />

die Greise Senioren 16 oder als Generation 50plus. 17 Alter wird nicht<br />

mehr durch Defizite definiert, aber auch nicht richtigerweise durch die<br />

Wahrnehmung generationenspezifischer Merkmale. 18 Die Alten<br />

regredieren auf einen gleichsam alterlosen Zustand. 19 Dieser stellt eine<br />

Art neuer „Fluchtposition“ dar. Wird die Grenze für das Alter erhöht 20<br />

oder fällt sie ganz, muss ich mich als Betroffener nicht mit Ängsten vor<br />

Schmerz, Krankheit, Einsamkeit, Hinfälligkeit, Demenz und Tod auseinandersetzen.<br />

21 Und ich kann mich dem Generationenkonflikt und<br />

14<br />

S. nur Görnert-Stuckmann, Umzug in die dritte Lebensphase, 2005, S. 13; Otten/<br />

Melsheimer, in: APuZ 41/2009 S. 31, 33 u. Birg, in: APuZ 32/2003, 6. 7 ff. Vgl. auch<br />

Ministerium für Ar<strong>bei</strong>t und Soziales Baden-Württemberg, Familien in Baden-<br />

Württemberg, 2009, S. 2. Teilw. abw. Kruse, Die Zukunft liegt im Alter, 2006, S. 27 f.<br />

S. aber auch Amann, Die großen Alterslügen, 2004, S. 173 ff.<br />

15<br />

S. nur Görnert-Stuckmann, Umzug in die dritte Lebensphase, 2005, S. 14.<br />

16<br />

Klute, in: „Süddeutsche Zeitung“ Nr. 82 v. 10./11.4.2010, S. 3.<br />

17<br />

Vgl. nur http://www.bundesverband50plus.com/ (Stand: 2.6.2010), http://www.forum-fuersenioren.de/<br />

(Stand: 2.6.2010), http://www.fiftypluslifestyle.com.au/ (Stand: 7.6.2010) u.<br />

http://www.50plus-treff.de/ (Stand: 2.6.2010). S. auch Kruse, Die Zukunft liegt im<br />

Alter, 2006, S. 7 ff. u. Niejahr, in: „Das Parlament“, 54. Jg., Nr. 48 v. 22.11.2004, S. 1.<br />

18<br />

Teilw. abw. Görnert-Stuckmann, Umzug in die dritte Lebensphase, 2005, S. 15.<br />

19<br />

Seidl, in: APuZ 49-50/2005, 3, 4 f.; vgl. zum ähnlichen Phänomen des Verschwindens<br />

der Kindheit Postman, Die zweite Aufklärung, 1999, S. 241 ff. u. Bly, Die kindliche<br />

Gesellschaft, 1998, S. 182 ff.<br />

20<br />

S. nur Otten/Melsheimer, in: APuZ 41/2009, 31 f.<br />

21<br />

S. nur Schirrmacher, Das Methusalem-Komplott, 2005, S. 133 f. u. Jakoby, Geheimnis<br />

Sterben, 3. Aufl. 2004, S. 191.<br />

144


letztlich der „Altenaussetzung“ 22 entziehen, muss also nicht befürchten,<br />

dass mich mein Sohn zu entmündigen versucht, wenn ich fast 90 Jahre<br />

alt geworden bin, um in den Besitz des Familienvermögens zu<br />

kommen. 23 Und ich muss nicht die Frage stellen, was wird mit mir geschehen,<br />

wenn ich zum Pflegefall werde? 24<br />

Die Einführung der sozialen Rentenversicherung am Ende des 19.<br />

Jahrhunderts und der Pflegeversicherung 1994 hat dieser Konflikt nur<br />

scheinbar in den Hintergrund treten lassen. 25 Beruhen diese<br />

Sicherungssystem doch auf dem Grundsatz der Umlagenfinanzierung. 26<br />

Die Überforderung der staatlichen Sozialkassen 27 lässt das Thema der<br />

(brüchigen) Familiensolidarität wieder aktuell werden. Oder mit einem<br />

modernen Märchen: „Wir schreiben das Jahr 2035. Rund 49 Prozent<br />

der deutschen Bevölkerung wird älter als 65 Jahre. Viele davon sind<br />

pflegebedürftig, aber es gibt kaum noch jemanden, der sie pflegen<br />

könnte. Da die meisten Älteren allein leben, gibt es kaum noch Unterstützung<br />

für sie. Die Zustände auf Pflegestationen sind erbarmungswürdig.<br />

Die Menschen werden über Schläuche ernährt, weil niemand<br />

die Zeit zum Füttern hat. Sie liegen in Windeln, weil es zu wenige Helfer<br />

gibt, die die alten Herrschaften zu Toilette begleiten. Die meisten<br />

werden mit Beruhigungstabletten versorgt, damit sie sich nicht hin und<br />

her wälzen oder laut jammern. Die Regierung hat ein Gesetz erlassen,<br />

wonach Menschen, die alt und zugleich schwer pflegebedürftig sind,<br />

eine so genannte ’Einschlafpille’ bekommen. Die Angehörigen oder der<br />

gesetzliche Betreuer müssen die Einverständniserklärung unterschreiben,<br />

wenn es die alten Menschen selbst nicht mehr können. Die<br />

meisten schlucken diese Pille widerstandslos. Sie bekommen sie am<br />

Abend. Dann kann man die Toten in der Nacht unauffälliger abholen.“ 28<br />

Die gestiegene Lebenserwartung steht einer gestiegenen Sterblichkeitserwartung<br />

gegenüber. Oder pointierter ausgedrückt: Die Botschaft<br />

lautet: Stirb rechtzeitig, bevor die nachfolgende Generation für dich<br />

22<br />

S. zu ihr nur Wernhart, in: Figl (Hrsg.), Hdb. Religionswissenschaft, 2003, S. 260,<br />

271 f.<br />

23<br />

Zu der Klage des Iophon Flashar, Sophokles, 2000, S. 164.<br />

24<br />

Vgl. Grziwotz, BayGT 2009, 400, 401.<br />

25<br />

So aber Schirrmacher, Das Methusalem-Komplott, 2005, S. 56.<br />

26<br />

S. nur Birg, Die ausgefallene Generation, 2005, S. 120 u. Repnik, in: Teufel (Hrsg.),<br />

Von der Risikogesellschaft zur Chancengesellschaft, 2001, S. 159, 160.<br />

27<br />

So bereits Wehner, in: „Der Spiegel“ Nr. 5 v. 30.1.1978, S. 32 f.<br />

28<br />

Riffert, in: „Kirche im Rundfunk“, 1. Jg., Nr. 10 v. 7.5.2008, S. 329, 333. Vgl. auch<br />

Gronemeyer, Kampf der Generationen, 2004, S. 124 zum „Austherapieren“ im<br />

„Sterbeknast“; Schmähl, in: FS f. Hauser, 2001, S. 180 u. Guha, Von der Entwertung<br />

des Alters, in: Vorgänge 150, 2000, S. 41.<br />

145


aufkommen muss. 29 Dass dies keine Horrorvision ist, belegt die liberale<br />

Gesetzgebung der Niederlande hinsichtlich des Sterbens auf Verlangen.<br />

Immer mehr alte Menschen wechseln aus Holland in grenznahe<br />

deutsche Seniorenheime. 30 Sie haben das Gefühl, sich in ihrer Heimat<br />

dafür rechtfertigen zu müssen, dass sie noch leben und nicht von den<br />

legalen Möglichkeiten der Sterbehilfe Gebrauch machen wollen. Zu alt.<br />

Zu teuer. Der ökonomisch begründete Sterbensdruck scheint zuzunehmen.<br />

Vielleicht ist es deshalb – aus heutiger Sicht – gut, dass das<br />

Märchen „Der alte Großvater und der Enkel“ nicht endet wie andere<br />

Märchen: „Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.“<br />

Dieser Schluss hätte nämlich das schöne Happy-End zerstört. 31<br />

3. Generationengerechtigkeit und Vertragsgerechtigkeit in der<br />

Gesellschaft des Weniger<br />

Die Menschen werden künftig nicht nur älter, sie werden auch ärmer. 32<br />

Der in der Theorie geführte Diskurs über „intergenerationelle Gerechtigkeit“<br />

33 scheint in der Praxis von einer rasch um sich greifenden Entsolidarisierung<br />

überholt zu werden. Der „Kampf der Generationen“ 34 ist<br />

ein gesellschaftliches Problem, 35 aber zunehmend auch ein Problem der<br />

einzelnen Familien. 36 Konkret lautet es: Wohin mit „Oma“ und „Opa“,<br />

wenn sie Pflegefall werden? 37 Und wer muss für die Pflegeheimkosten<br />

aufkommen? Die Versorgung eines alten Menschen ist derzeit noch<br />

29<br />

Vgl. Jakoby, Geheimnis Sterben, 3. Aufl. 2004, S. 150.<br />

30<br />

So Haberer, in: „Kirche und Rundfunk“, 55 Jg., Nr. 6 v. 12.3.2006, S. 89, 91.<br />

31<br />

Ebenso Müller, in: „Süddeutsche Zeitung“ Nr. 185 v. 13.8.2003, S. 11.<br />

32<br />

S. nur Beck, in: „Süddeutsche Zeitung“ Nr. 27 v. 3.2.2005, S. 15; vgl. auch<br />

Gronemeyer, Kampf der Generationen, 2004, S. 86 f.; Welzk, in: „Das Parlament“,<br />

57. Jg., Nr. 31 v. 30.7.2007, S. 1 u. Klingholz, in: „GEO“, Nr. 5/2004, S. 89, 94. Zu<br />

Metropolregionen s. Krautzberger/Selke, UPR 2010, 50 ff.<br />

33<br />

S. insbes. Rawls, Politischer Liberalismus, 2003, S. 81 ff. u. 385 f.<br />

34<br />

Gronemeyer, Kampf der Generationen, 2004, S. 15 ff.; Schirrmacher, Das<br />

Methusalem-Komplott, 2005, S. 56 ff.; Opaschowski, Der Generationenpakt, 2004,<br />

S. 11 ff. u. Fukuyama, in: „Der Spiegel“ Nr. 21/2002, S. 127, 128. S. auch<br />

Butterwegge, http://www.oeko-net.de/Kommune/Kommune01-01/zzbutter.htm (Stand:<br />

2.6.2010); Amrhein/Schlüter, in: APuZ 8/2005, 9, 10 ff; Dallinger, in: APuZ 8/2005,<br />

29 ff.; Wehrspann/Wehrspann, in: APuZ B 27/2003, 3 ff.<br />

35<br />

Zur Generationengerechtigkeit in der Verfassung s. Steiner, NZS 2004, 505, 508 u.<br />

Tremmel, in: APuZ 8/2005, 18 ff. Vgl. auch Kirchhof, KuR 1998, 37.<br />

36<br />

So Ziegler, Familienpflege und Familiensolidarität, Diss. Konstanz, 2000, S. 1; Sigma,<br />

Survey zum Generationenverhältnis in Baden-Württemberg, 1999, S. 23 u. Staudinger,<br />

in: APuZ B 20/2003, 35, 41.<br />

37<br />

S. nur Fröhlingsdorf/Jung/Ludwig/Neumann/Schmidt, in: „Der Spiegel“ Nr. 19 v.<br />

9.5.2005, S. 86 ff.<br />

146


immer vorwiegend Aufgabe der Angehörigen, vor allem der Frauen. 38<br />

Die Angehörigenpflege, d. h. die Entscheidung, die Eltern selbst zu<br />

pflegen, ist regelmäßig mit sozialökonomischen Kosten wie dem Verzicht<br />

auf berufliche Weiterentwicklungsmöglichkeiten oder Einkommen<br />

verbunden. 39 Kostenerwägungen haben nicht zuletzt unter diesem<br />

Aspekt <strong>bei</strong> der Entscheidung für die häusliche oder stationäre Pflege<br />

eine besondere Bedeutung; demgegenüber scheinen moralische Erwägungen<br />

eine eher untergeordnete Rolle zu spielen. 40 Die größte<br />

Bereitschaft zur häuslichen Versorgung besteht <strong>bei</strong> Personen mit<br />

niedrigem Sozialstatus, d. h. im Unterschicht-Milieu. Umgekehrt zeigt<br />

sich die geringste Bereitschaft <strong>bei</strong> einem hohen Sozialstatus mit einem<br />

modernen Lebensentwurf, d. h. im liberal-bürgerlichen Milieu. 41 Die<br />

Solidarität im Nahraum, die Versorgung pflegebedürftiger Angehöriger,<br />

erfordert den Einsatz der gesamten Person und Kontinuität, sie ist deshalb<br />

schwer kündbar. Die Fernraumsolidarität, d. h. das gesellschaftliche<br />

oder soziale Engagement, kann dagegen zeitlich begrenzt geleistet<br />

werden, ist einseitig lösbar, muss nur ausschnittweise erbracht<br />

werden und bietet die Chance auf öffentliche Anerkennung. 42<br />

Umgekehrt ist die Erwartungshaltung der älteren Generation eindeutig:<br />

Über 90 Prozent der Bevölkerung bevorzugen eine Pflege in der<br />

Familie. 43 Die Übersiedlung in ein Altersheim ist für viele Ältere die<br />

schmerzlichste Entscheidung ihres Lebens. Mit dem Verlust der eigenen<br />

vier Wände geht (scheinbar) auch die Selbstbestimmung verloren. 44<br />

Positiv scheint es zu sein, dass auch die Kinder die Familienpflege befürworten,<br />

jedoch nur, wenn sie nicht davon betroffen sind. 45 Es ist des-<br />

38<br />

Görnert-Stuckmann, Umzug in die dritte Lebensphase, 2005, S. 34. S. auch<br />

http://www.aok-bv.de/presse/pressemitteilungen/2009/index_01874.html (Stand: 2.6.2010).<br />

S. dazu auch Beckers, Beratung von pflegenden Angehörigen: Eine queerfeministische<br />

Diskussionsanalyse, Diss. Kassel 2007, 2008, S. 76 ff.<br />

39<br />

Ministerium für Ar<strong>bei</strong>t und Soziales Baden-Württemberg, Familien in Baden-<br />

Württemberg, 2009, S. 14 u. Blinkert/Klie, in: APuZ 12-13/2008, S. 25, 26 ff.<br />

40<br />

Blinkert/Klie, in: APuZ 12-13/2008, S. 25, 28.<br />

41<br />

Zur familienzerstörenden Mobilität s. Ziegler, Familienpflege und Familiensolidarität,<br />

Diss. Konstanz, 2000, S. 15.<br />

42<br />

Blinkert, http://www.soziologie.uni-freiburg.de/Personen/blinkert/ (Stand: 2.6.2010);<br />

vgl. auch Blinkert/Klie, Solidarität in Gefahr, 2004, S. 87 ff.<br />

43<br />

Stosberg, Alter und Familie, 1995, S. 187 u. Ziegler, Familienpflege und Familiensolidarität,<br />

Diss. Konstanz, 2000, S. 33.<br />

44<br />

S. http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/Pdf-Anlagen/Auf-der-<br />

Suche-nach-einem-Heim,property=pdf,bereich=bmfsfj,rwb=true.pdf (Stand:8.6.2010);<br />

Saup, Alter und Umwelt, 1993, S. 57 ff.; Schrep, in: „Der Spiegel“ Nr. 19 v. 9.5.2005,<br />

S. 98.<br />

45<br />

Schütze/Wagner, in: Nauck/Onnen-Isemann (Hrsg.), Familie im Brennpunkt von<br />

Wissenschaft und Forschung, 1995, S. 307, 316 u. Ziegler, Familienpflege und<br />

Familiensolidarität, Diss. Konstanz, 2000, S. 34.<br />

147


halb davon auszugehen, dass die Pflege der Eltern künftig nicht mehr<br />

allein durch Familienangehörige erbracht werden kann. Die Verteilungskämpfe<br />

der Zukunft werden deshalb wohl um bezahlbare und<br />

menschenwürdige Altenheimplätze ausgetragen werden. 46 Und es<br />

scheint so, als würden Verlierer und Gewinner hinsichtlich der Betreuung<br />

in Notlagen nicht von vornherein feststehen. 47 Dies zeigt auch<br />

das Beispiel der Hitzekatastrophe in Chicago von 1995. 48<br />

II. Die Interessenlage <strong>bei</strong> der Hausübertragung und<br />

Alternativlösungen<br />

1. Die (nicht vereinbaren) Interessen der Beteiligten<br />

Die Übertragung von Immobilien 49 im Rahmen der Vermögensnachfolge<br />

ist zum einen durch die Übertragung des Eigentumsrechts auf die<br />

nachfolgende Generation und zum anderen nach ihrer ursprünglichen<br />

Intention auch durch die Versorgung des Übertragenden gekennzeichnet.<br />

Besonders deutlich wird dieses Zusammenspiel der <strong>bei</strong>den<br />

Zwecke <strong>bei</strong> der landwirtschaftlichen Hofübergabe. 50 Ähnlich ist dies <strong>bei</strong><br />

der Übertragung kleinerer Betriebe. Aber auch die Übertragung eines<br />

Hauses oder einer Eigentumswohnung unter Vorbehalt des Nießbrauchs<br />

stellt häufig noch eine Art „Schrumpfungsmodell“ dieser<br />

klassischen Überlassungsfunktionen dar. Ein dritter Zweck kommt meist<br />

hinzu, nämlich die Erhaltung der Immobilie in der Familie, jedenfalls<br />

solange die übertragenden Eltern am Leben sind. Hier spielt schließlich<br />

auch das Bestreben des Übergebers eine Rolle, die Kinder im Rahmen<br />

der Vermögensverteilung einigermaßen gerecht zu behandeln;<br />

allerdings kann <strong>bei</strong> fehlender Einigungsfähigkeit der dritte Zweck, nämlich<br />

der Erhalt der Immobilie, Anlass einer baldigen Übertragung zur<br />

Ausschaltung oder Reduzierung störender Pflichtteilsansprüche sein.<br />

Nur in einer geringen Zahl der Fälle erfolgt über die Berufsausbildung<br />

hinaus eine Ausstattung der Kinder mit einer Immobilie, ohne dass der<br />

Versorgungsaspekt und der Schutz des Familienvermögens eine Rolle<br />

spielen würden. Auch insoweit kann allerdings die dem Kind erkennbare<br />

46<br />

Schirrmacher, Das Methusalem-Komplott, 2005, S. 18.<br />

47<br />

Blinkert/Klie, in: APuZ 12-13/2008, S. 25, 31.<br />

48<br />

Vgl. Klingenberg, Heat Wave, A Social Autopsy of Disaster in Chicago, 2002,<br />

S. 225 ff.<br />

49<br />

Vgl. auch Jerschke, in: Beck´sches Notar-Handbuch, 5. Aufl. 2009, A V Rn. 1 u.<br />

Mayer, Der Übergabevertrag, 2001, § 1 Rn. 29.<br />

50<br />

Ebenso Langenfeld, Grundlagen der <strong>Vertragsgestaltung</strong>, 2. Aufl. 2010, 6. Kap.<br />

Rn. 27.<br />

148


Erwartung der Eltern, im Alter nicht in ein Pflegeheim „abgeschoben“ zu<br />

werden, eine Rolle spielen.<br />

Die traditionellen Übergabezwecke treffen zunehmend auf veränderte<br />

Rahmenbedingungen. Der Alters- und Alternsstrukturwandel, der<br />

familiale Wandel, der Wandel des Ar<strong>bei</strong>tsmarktes und der Ar<strong>bei</strong>tsbedingungen<br />

sowie der Wandel der Lebens- und Ar<strong>bei</strong>tsverhältnisse 51<br />

stellen die bisherigen Determinanten der Generationenbeziehungen in<br />

Frage. Stichworte sind neben der Hochaltrigkeit, dem zunehmenden<br />

Pflegebedarf und neuen Familienstrukturen vor allem der durch die<br />

Berufstätigkeit der Frauen bedingte Rückzug aus der Familienar<strong>bei</strong>t,<br />

veränderte Familienphasen, Ar<strong>bei</strong>tsmarktprobleme älterer Ar<strong>bei</strong>tnehmer,<br />

der Gegensatz von Stadt und Land, der mögliche Ar<strong>bei</strong>tsplatzverlust<br />

sowie die Unsicherheit der jungen Generation, die ihrerseits<br />

durch den Generationenvertrag kaum noch eine soziale Absicherung<br />

hat. Es kommt deshalb zu einem Wandel der Transferleistungen<br />

zwischen den Generationen. 52 Damit wird künftig eine materielle Absicherung<br />

im Alter, die bisher für die meisten Menschen ein Ergebnis<br />

der Erwerbsar<strong>bei</strong>t war und nur zu einem geringen Teil auf der Basis<br />

ererbten Vermögens erfolgte, 53 für die junge Generation kaum noch<br />

erreichbar. Dem steht das von den Medien und der Werbung vermittelte<br />

Bild der gegenwärtigen Gesellschaft von „fröhlichen Alten, spaßbereiten<br />

Konsumenten im Ruhestand, lustigen Witwen mit der Lizenz zum Geldausgeben“<br />

gegenüber. Während in den 60er Jahren der Generationskonflikt<br />

um die Werte der Gesellschaft ging, ist nunmehr der „Kampf um<br />

die Fleischtöpfe“ entbrannt. 54 Es scheint sich um keine kurze Auseinandersetzung<br />

zu handeln, da sich das Generationenverhältnis und<br />

damit die Generationenbeziehungen verlängern. Die gemeinsame<br />

Lebenszeit von Eltern mit ihren Kindern hat sich in den letzten 100<br />

Jahren verdoppelt. Die sog. Bohnenstangenfamilie wird häufig zu<br />

51<br />

Vgl. Backes, in: Walter (Hrsg.), Erstes, zweites, drittes Lebensalter. Perspektiven der<br />

Generationenar<strong>bei</strong>t, 1999, S. 17, 22 ff.<br />

52<br />

Vgl. auch Backes, in: Walter (Hrsg.), Erstes, zweites, drittes Lebensalter.<br />

Perspektiven der Generationenar<strong>bei</strong>t, 1999, S. 17, 22 ff.; ders., in: ZfGG, 29, 1996,<br />

29 ff.; Kaufmann, in: Lüscher/Schultheiß (Hrsg.), Generationenbeziehungen in „postmodernen“<br />

Gesellschaften, 1993, 95 ff. u. Tews, in: Naegele/Tews (Hrsg.), Lebenslagen<br />

im Strukturwandel des Alters, 1993, S. 15 ff.<br />

53<br />

Vgl. Walter, in: Walter (Hrsg.), Erstes, zweites, drittes Lebensalter. Perspektiven der<br />

Generationenar<strong>bei</strong>t, 1999, S. 32, 40.<br />

54<br />

Zutreffend Miegel, Die deformierte Gesellschaft, 2002, S. 70 f. u. Walter, in: Walter<br />

(Hrsg.), Erstes, zweites, drittes Lebensalter. Perspektiven der Generationenar<strong>bei</strong>t,<br />

1999, S. 32.<br />

149


Problemen führen, da sie erhöhte Anforderungen an die wechselseitige<br />

Verträglichkeit von Jung und Alt stellt. 55<br />

Die Ziele der Versorgungssicherheit für den Veräußerer und der Erhalt<br />

des Familienheims <strong>bei</strong>m Erwerber 56 geraten aufgrund der dargestellten<br />

neuen Rahmenbedingungen <strong>bei</strong> Eintritt der Pflegebedürftigkeit des Veräußerers<br />

in vielen Fällen in Konflikt. Hinzu kommt, dass die dritte<br />

Komponente, nämlich die Vermeidung von Streitigkeiten unter den<br />

künftigen Erben wegen der Angst „weichender“ Kinder, später vom<br />

Staat für Pflegekosten der Eltern in Anspruch genommen zu werden,<br />

vielfach nicht mehr zu erreichen ist. Diese möchten im Falle eines Verzichts<br />

auf ihren „Anteil“ an der elterlichen Immobilie die Sicherheit<br />

haben, für etwaige Pflegekosten der Eltern künftig nicht herangezogen<br />

zu werden. Der Übernehmer seinerseits kann sich häufig, insbesondere<br />

wenn er Um- oder Ausbauten vornimmt und diese durch einen Kredit<br />

finanzieren muss, eine weitere Belastung nicht mehr leisten; außerdem<br />

kann er zur Pflege der Eltern nicht seine Erwerbstätigkeit einschränken<br />

und dadurch auf Einnahmen verzichten. Die übergebenden Eltern<br />

möchten ihrerseits zu Hause gepflegt werden; gleichzeitig soll damit<br />

aber kein Verlust staatlicher Leistungen verbunden sein. Ist eine Heimunterbringung<br />

unvermeidlich, sollen sämtliche Kinder einschließlich des<br />

Hausübernehmers dafür nicht aufkommen, insbesondere soll das Haus<br />

nicht veräußert werden müssen.<br />

Moralische Bedenken bestehen <strong>bei</strong> sämtlichen Beteiligten üblicherweise<br />

nicht, da es Aufgabe der Gesellschaft sei, für pflegebedürftige alte<br />

Menschen zu sorgen. Außerdem komme der Staat auch für diejenigen<br />

Personen auf, die ihr Geld mit vollen Händen ausgegeben haben. Wenn<br />

sich die Eltern das Haus unter Verzicht auf Urlaub und sonstige Annehmlichkeiten<br />

nahezu vom Munde abgespart hätten, wäre es sogar<br />

verwerflich, wenn die Gesellschaft von ihnen nunmehr die Veräußerung<br />

der Immobilie zur Finanzierung der Pflegekosten verlangen oder<br />

ersatzweise die Kinder in Anspruch nehmen würde. Die Argumentation<br />

ähnelt derjenigen von Eltern mit einem behinderten und einem nicht<br />

behinderten Kind, die ihre Immobilie dem „gesunden“ Kind ohne eine<br />

Zahlung für die Heimkosten des behinderten Geschwisterteils erhalten<br />

55<br />

Walter, in: Walter (Hrsg.), Erstes, zweites, drittes Lebensalter. Perspektiven der<br />

Generationenar<strong>bei</strong>t, 1999, S. 32, 34.<br />

56<br />

Vgl. Jerschke, in: Beck´sches Notar-Handbuch, 5. Aufl. 2010, A V Rn. 76, der von<br />

Existenzhilfe für den Übernehmer spricht und ihm folgend Langenfeld, Grundlagen<br />

der <strong>Vertragsgestaltung</strong>, 2. Aufl. 2010, 6. Kap. Rn. 41. S. auch Krauß, Überlassungsverträge<br />

in der Praxis, 2. Aufl. 2010, Rn. 788 ff.<br />

150


wollen. 57 Die Rechtsprechung hat diesbezügliche Behindertentestamente<br />

mit der Begründung anerkannt, dass das Bestreben der Eltern,<br />

das behinderte Kind zu versorgen, zu billigen sei. Der gestaltende Jurist<br />

soll <strong>bei</strong> der Übertragung des Familienheims in gleicher Weise sicherstellen,<br />

dass <strong>bei</strong>m Pflegefall der veräußernden Eltern keine Leistungen<br />

an die öffentliche Hand zu erbringen sind. Insoweit besteht zwischen<br />

den Beteiligten Übereinstimmung, auch wenn diese wirtschaftlich den<br />

Versuch einer Einigung zu Lasten Dritter darstellt.<br />

Zwischen den Beteiligten besteht in Wirklichkeit kein Konsens. Die<br />

Eltern möchten eigentlich sichergestellt haben, dass sie, solange es<br />

eben nur geht, in der übertragenen Immobilie, das heißt zu Hause, gepflegt<br />

und nicht ins Pflegeheim abgeschoben werden. Auf Wunsch der<br />

Kinder und aus Angst, ihr zweites Ziel, nämlich den Erhalt des<br />

Familienheims zu gefährden, erklären sie sich damit einverstanden,<br />

dass eine Pflegeverpflichtung zu ihren Gunsten nicht mehr oder nur<br />

noch eingeschränkt bis zu einem bestimmten Gesundheitszustand oder<br />

bis zu einer zeitlichen Höchstgrenze vertraglich geregelt wird. Dies belegt<br />

auch die häufig rückversichernde Frage <strong>bei</strong> Beurkundung des Vertrages<br />

und in Gegenwart des Notars „Aber du pflegst mich doch und<br />

schiebst mich nicht ins Heim ab?“. Die Antwort kommt ebenso selbstverständlich:<br />

„Das ist doch klar“. Auf Rückfrage des Notars, ob dies<br />

auch vertraglich vereinbart werden soll, folgt unverzüglich ein Nein des<br />

Übernehmers, dem die veräußernden Eltern meist nicht mehr widersprechen.<br />

Mitunter haken die Eltern noch einmal nach und erklären dem<br />

Notar, er solle es schon niederschreiben, aber so, dass die „Jungen“<br />

nichts an den Staat zahlen müssen und auch keine staatlichen<br />

Leistungen verloren gehen. Die weichenden Geschwister reklamieren<br />

ebenso häufig, wenn sie an einer Übergabebesprechung zunächst nicht<br />

beteiligt waren und dann Entwürfe erhalten, wieso denn der Notar vergessen<br />

habe, eine umfassende Pflege zu Gunsten der Eltern durch den<br />

Hausübernehmer in den Vertrag aufzunehmen. Sie sind allerdings<br />

ebenso schnell bereit, diesen Anspruch fallen zu lassen, wenn die<br />

Eltern ihnen gegenüber wirksam auf Unterhaltsansprüche verzichten<br />

oder das Übernehmer-Geschwisterteil sie von Ansprüchen des Staates<br />

wegen Pflegebedürftigkeit der Eltern, insbesondere deren Heimunterbringung,<br />

freistellt. Dies kann sich der Übernehmer nur dann leisten,<br />

wenn er die übertragene Immobilie im Ernstfall veräußert, was<br />

wiederum dem Hauptziel der vorweggenommenen Immobilienüber-<br />

57 Vgl. dazu nur Förster, FF 1999, 169; Grziwotz, ZEV 2002, 409; ders., FamRB 2005,<br />

272 f.; Spall, MittBayNot 2001, 249; Weidlich, ZEV 2001, 94 u. Wendt, ZNotP 2008, 2,<br />

3.<br />

151


tragung widerspricht. Da diese häufig an dasjenige Kind erfolgt, das am<br />

längsten <strong>bei</strong> den Eltern geblieben ist, sind es in der Praxis vielfach nicht<br />

diejenigen Geschwister, deren Kinder noch in Ausbildung sind, sondern<br />

Brüder oder Schwestern, die gut verdienen und entweder keine Kinder<br />

oder keine Kinder in Berufsausbildung mehr haben, einen großzügigen<br />

Lebensstandard pflegen und durch eine Inanspruchnahme für Pflegeleistungen<br />

der Eltern einen gewissen sozialen Abstieg befürchten.<br />

Mitunter scheuen Eltern die für sie sicherlich nicht angenehme Diskussion<br />

zwischen den Kindern über die möglichen „Heimkosten der<br />

Eltern“ und übertragen das Familienheim deshalb ohne Hinzuziehung<br />

der weichenden Kinder. Auch damit wird ein Ziel der vorweggenommenen<br />

Erbfolge, nämlich der Streitvermeidung aufgegeben.<br />

Kommt es nach Ablauf von zehn Jahren nach der Übertragung zum<br />

Pflegefall und werden die „übergangenen“ Kinder für Heimkosten<br />

herangezogen, wird wegen der fehlenden Information dem Notar der<br />

Vorwurf eines kollusiven Zusammenwirkens mit dem „Erbschleicher-<br />

Geschwisterteil“ gemacht. Dass ein Kind das (wertvolle) Haus bekommen<br />

hat und dann noch die leer ausgegangenen Geschwister für<br />

Pflegeheimkosten der Eltern aufkommen müssen, erweckt zumindest<br />

auf den ersten Blick den Anschein einer Ungerechtigkeit. Tauscht man<br />

diese durch den Staat aus, hat jedoch kaum noch jemand Bedenken.<br />

Nachdem die mit der vorweggenommenen Erbfolge hinsichtlich des<br />

Familienheims verfolgten Ziele nicht gleichzeitig verwirklicht werden<br />

können, handelt es sich häufig um einen Kompromiss in der Hoffnung,<br />

dass „es schon gut gehen wird“, also der Pflegefall der Eltern nicht eintritt.<br />

Zudem stimmen die beurkundeten rechtlichen Willenserklärungen<br />

und die eigentlichen Interessen der Beteiligten meist nicht überein, so<br />

dass <strong>bei</strong> insoweit auftretenden Problemen die scheinbare Einigung<br />

schnell einem Konflikt weicht. Dies macht die nachfolgende Übersicht<br />

deutlich:<br />

152


Beteiligte Eigentliches Interesse Beurkundete Erklärung<br />

Eltern Umfassende Pflege zu<br />

Hause (kein Abschieben<br />

ins Pflegeheim)<br />

Übernehmer Erhalt der Immobilie und<br />

Freistellung von nicht<br />

mehr finanzierbaren<br />

Weichende<br />

Geschwister<br />

Zahlungen<br />

Unterhaltsverzicht der<br />

Eltern<br />

2. „Ausstattung“ – der Joker?<br />

Wohnrecht ohne/mit<br />

lediglich eingeschränkter<br />

Pflegeverpflichtung<br />

Teilweise Freistellung der<br />

Geschwister von Kosten<br />

der Sozialleistungsträger<br />

(Gegenständlich beschränkter)<br />

Pflichtteilsverzicht und<br />

mitunter ungesicherte<br />

Freistellungsverpflichtung<br />

des Hausübernehmers<br />

bis zu einer bestimmten<br />

Höhe<br />

Als Ausweichlösungen kommen der Verzicht auf die lebzeitige Hausübertragung<br />

und die entgeltliche lebzeitige Übertragung in Betracht. Die<br />

Zuwendung der Immobilie durch Verfügung von Todes wegen hat für<br />

den Übernehmer den Vorteil, dass er zu Lebzeiten der Eltern nicht gezwungen<br />

ist, den unentgeltlich zugewandten Wert der Immobilie für<br />

Pflegekosten aufwenden zu müssen. Allerdings geht <strong>bei</strong> jungen Übergebern<br />

die Möglichkeit verloren, das Haus <strong>bei</strong>m Übernehmer vor dem<br />

Sozialhilferückgriff „in Sicherheit zu bringen“. Zudem entfällt auch die<br />

Möglichkeit der Pflichtteilsminderung und –vermeidung, da <strong>bei</strong> Vollzug<br />

der Übertragung der Pflichtteilsergänzungsanspruch quotal pro Jahr um<br />

1/10 reduziert wird (2325 Abs. 3 Satz 1 BGB) und nach zehn Jahren<br />

sogar voll unberücksichtigt bleibt (§ 2325 Abs. 3 Satz 2 BGB). 58 Der aus<br />

den Zeiten der Eigenheimzulagenförderung bekannte – und von den<br />

Beteiligten nach deren Aussage tatsächlich auch gewollte – Verkauf des<br />

Familienheims durch die Eltern an ein Kind löst die oben beschriebenen<br />

Probleme im Normalfall nicht, da das Kind auf die Rückschenkung des<br />

Geldes, das es kurzfristig finanziert hat, angewiesen ist. Anders kann<br />

dies <strong>bei</strong> einem Notverkauf sein, wenn die Eltern ihrerseits Bankschulden<br />

nicht mehr tragen können und die Versteigerung droht. Als entgeltliche<br />

58<br />

Vgl. dazu nur Gietl, in: Dauner-Lieb/Grziwotz/Hohmann-Dennhardt, Pflichtteilsrecht,<br />

2010, § 2325 Rn. 74 f.<br />

153


„Alternative“ zur vorweggenommenen Erbfolge wird deshalb auch<br />

weniger der Verkauf als die Ausstattung diskutiert.<br />

Dieser Zuwendungsgrund resultiert aus dem Bestreben der Eltern, dem<br />

Kind mit Rücksicht auf eine bestimmte Bedürfnislage eine materielle<br />

Starthilfe in seine Selbstständigkeit zu geben. 59 Nach der gesetzlichen<br />

Definition (§ 1624 BGB) handelt es sich da<strong>bei</strong> um eine Zuwendung der<br />

Eltern an das Kind, die mit Rücksicht auf seine Verheiratung oder die<br />

Erlangung einer selbstständigen Lebensstellung zur Begründung oder<br />

zur Erhaltung der Wirtschaft oder der Lebensstellung erfolgt. 60 Das<br />

Institut der Ausstattung ist wegen der Gewährung von Ausbildungsunterhalt<br />

(§ 1610 Abs. 2 BGB) eigentlich ungebräuchlich geworden. 61<br />

Auch wenn die Ausstattung häufig als Aussteuer <strong>bei</strong> der Eheschließung<br />

erfolgt, ist sie unabhängig von der Eheschließung möglich. 62 Das<br />

Gesetz nimmt die Ausstattung grundsätzlich vom Schenkungsrecht aus.<br />

Dies gilt insbesondere auch für die Rückforderungsrechte der §§ 528 ff.<br />

BGB. Auf sie ist deshalb ferner der Pflichtteilsergänzungsanspruch des<br />

§ 2325 BGB nicht anwendbar. 63 Die Ausstattung ist nach § 2050 Abs. 1<br />

BGB <strong>bei</strong> der Auseinandersetzung zwischen gesetzlichen Erben zur<br />

Ausgleichung zu bringen; allerdings kann der Erblasser etwas anderes<br />

anordnen. Zwingend und unabhängig von der Frist des § 2325 Abs. 3<br />

BGB ist demgegenüber die Ausgleichungspflicht gemäß § 2316 BGB<br />

<strong>bei</strong> der Berechnung des Pflichtteils. 64 Typische Fälle der Ausstattung<br />

sind die Übertragung eines Bauplatzes, eines von den Eltern nicht mehr<br />

benötigten Eigenheims oder einer vermieteten Eigentumswohnung, auf<br />

deren Erträge die Eltern nicht angewiesen sind. 65<br />

59<br />

S. Coester, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2007, § 1624 Rn. 1; Holland, in: Würzburger<br />

Notarhandbuch, 2. Aufl. 2010, Teil 2, Kap. 7 Rn. 24 ff u. Kerscher/Tanck, ZEV<br />

1997, 354, 355. Deshalb scheidet die Zuwendung an einen Minderjährigen regelmäßig<br />

als Ausstattung aus; vgl. Sailer, NotBZ 2002, 81 (a. A. Coester, in: Staudinger,<br />

BGB, Neubearb. 2007, § 1624 Rn. 7).<br />

60<br />

S. dazu auch BGHZ 44, 91; BGH, DNotZ 2008, 124 = FamRZ 2007, 607 = MDR<br />

2007, 1218 = NJW-RR 2007, 1390 = NotBZ 2008, 25 = NZM 2007, 694 = ZEV 2007,<br />

588 u. Jacob, AcP 207, 2007, 198, 217.<br />

61<br />

So Diederichsen, in: Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010, § 1624 Rn. 1. Teilw. abw. Langenfeld/Günther,<br />

Grundstückszuwendungen zur lebzeitigen Vermögensnachfolge,<br />

6. Aufl. 2010, Kap. 7 Rn. 46.<br />

62<br />

Vgl. nur RG, JW 1906, 426.<br />

63<br />

Zur Ausstattung als Gestaltungsmöglichkeit deshalb Knodel, ZRB 2006, 125; s. auch<br />

Langenfeld, Grundlagen der <strong>Vertragsgestaltung</strong>, 2. Aufl. 2010, 6. Kap. Rn. 49 u. von<br />

Hoyenberg, Vorweggenommene Erbfolge, 2010, 3. Kap. Rn. 6.<br />

64<br />

S. nur R. Kössinger, Nieder/Kössinger, Hdb. der Testamentsgestaltung, 3. Aufl. 2008,<br />

§ 21 Rn. 149.<br />

65<br />

Sailer, NotBZ 2002, 81.<br />

154


Die Ausstattung als Vertragstyp wird gerade im Hinblick auf die spätere<br />

Pflegebedürftigkeit der Eltern als Vertragstyp von erheblicher<br />

praktischer Bedeutung in der notariellen Praxis bezeichnet. 66 Auch<br />

wenn es sich grundsätzlich um keine Schenkung handelt, unterliegt die<br />

Ausstattung dennoch der Anfechtung des Gläubigers und des Insolvenzverwalters.<br />

67 Zwar kann eine Ausstattung im Hinblick auf die<br />

heute bestehenden Vermögensverhältnisse über die Berufsausbildung<br />

hinaus gehen, 68 jedoch gilt die Privilegierung, der Nichtanwendung insbesondere<br />

des Schenkungswiderrufs nur für den angemessenen Teil,<br />

also denjenigen Teil, der das den Vermögensverhältnissen der Eltern<br />

entsprechende Maß nicht übersteigt. Auf das Übermaß findet, obwohl<br />

auch insoweit eine Ausstattung vorliegt, das Schenkungsrecht, insbesondere<br />

der Schenkungswiderruf Anwendung. 69 Maßgeblich für die<br />

Ermittlung des Vorliegens einer übermäßigen Ausstattung ist der Zeitpunkt<br />

der Zuwendung. Ein Übermaß liegt sicher dann vor, wenn die<br />

Ausstattung dazu führt, dass die Eltern ihren eigenen standesgemäßen<br />

Unterhalt und die Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten gefährden sowie von<br />

Ausstattungen anderer Kinder absehen müssen.<br />

Ob im Einzelfall eine Ausstattung vorliegt, hängt wesentlich von der<br />

Absicht der zuwendenden Eltern ab. Eine Gewährung zur Begründung<br />

einer Lebensstellung kann auch dann vorliegen, wenn weitere Motive<br />

bestehen. 70 Wollen diese jedoch nur von Kosten entlastet und hinsichtlich<br />

Versorgungsleistungen gesichert sein, handelt es sich um einen<br />

Vertrag der vorweggenommenen Erbfolge und nicht um eine Ausstattung.<br />

71 Umstritten ist, ob eine solche vorliegt, wenn ein Hausgrundstück<br />

mit Mitteln oder Leistungen des Erwerbers renoviert oder ausgebaut<br />

werden soll. 72 Jedenfalls dann, wenn dem geringverdienenden<br />

66 S. nur Albrecht, in: Albrecht/Hertel/Kesseler, Aktuelle Probleme der notariellen<br />

<strong>Vertragsgestaltung</strong> im Immobilienrecht, 2010, S. 100 u. Langenfeld, Grundlagen der<br />

<strong>Vertragsgestaltung</strong>, 2. Aufl. 2010, 6. Kap. Rn. 49. Vgl. auch Krauß, MittBayNot 2005,<br />

349, 350 Fn. 9.<br />

67 Jacob, AcP 207, 2007, 198, 211; Diederichsen, in: Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010,<br />

§ 1624 Rn. 2; Sailer, NotBZ 2002, 81, 82; teilw. abw. Huber, AnfG, 10. Aufl. 2006, § 4<br />

Rn. 23; vgl. auch Meincke, ErbStG, 15. Aufl. 2009, § 7 Rn. 9.<br />

68 So Langenfeld, Grundlagen der <strong>Vertragsgestaltung</strong>, 2. Aufl. 2010, 6. Kap. Rn. 49.<br />

69 So Diederichsen, in: Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010, § 1624 Rn. 2; Schmid, BWNotZ<br />

1971, 29, 30; Sailer, NotBZ 2002, 81, 82; v. Sachsen Gessaphe, in:<br />

MünchKommBGB, 5. Aufl. 2008, § 1624 Rn. 1, der allerdings lediglich den Ausstattungscharakter<br />

hinsichtlich des unangemessenen Teils verneint.<br />

70 Sailer, NotBZ 2002, 81, 85.<br />

71 Ebenso von Hoyenberg, Vorweggenommene Erbfolge, 2010, 1. Kap. Rn. 60.<br />

72 Bejahend LG Mannheim, NJW 1970, 2111 (Wohnungsüberlassung) u. Sailer, NotBZ<br />

2002, 81, 85; a. A. Jerschke, in: Beck´sches Notar-Handbuch, 5. Aufl. 2010, A V<br />

Rn. 38.<br />

155


Kind durch die Übertragung auch das Besitzen und Bewohnen eines<br />

Eigenheims ermöglicht werden soll, kann teilweise eine Ausstattung<br />

gegeben sein. 73 Die Formulierung, dass die Zuwendung auch zur Erlangung<br />

eines selbstständigen Lebens des erwerbenden Kindes<br />

erfolgt, 74 schließt hinsichtlich des als Ausstattung gewährten Teils das<br />

Rückforderungsrecht wegen Notbedarfs des Schenkers aus und wird<br />

deshalb vom Hausübernehmer mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen.<br />

Die Geschwister des Hausübernehmers werden dagegen die<br />

Vereinbarung einer Ausstattung als Typenunehrlichkeit, die zu ihren<br />

Lasten erfolgt, ansehen. Der Umstand, dass über die Zehnjahresfrist<br />

des § 2325 Abs. 3 Satz 2 BGB hinaus die Ausgleichung der Ausstattung<br />

<strong>bei</strong> der Pflichtteilsberechnung zugrunde zu legen ist (§ 2316 Abs. 3<br />

BGB), 75 wird jedenfalls dann, wenn die Eltern hochbetagt und (im<br />

Übrigen) gesund zu Hause versterben, den Hausübernehmer nicht erfreuen.<br />

Dies gilt vor allem dann, wenn die Geschwister einen Erb- oder<br />

zumindest einen auch nur gegenständlich beschränkten<br />

Pflichtteilsverzicht erklärt haben. Erfolgt die Hausübertragung auf einen<br />

Neffen oder eine Nichte kann sie ohnehin nicht als Ausstattung erfolgen,<br />

da diese nicht in den persönlichen Anwendungsbereich des Instituts<br />

fallen, selbst wenn insoweit eine ähnliche Motivationslage vorliegen<br />

kann. Gleiches gilt auch <strong>bei</strong> der Zuwendung an Enkel 76 und Schwiegerkinder.<br />

77 Schließlich scheidet eine Ausstattung aus, wenn das Kind, das<br />

das Haus übernimmt, bereits in beruflich gesicherter Position steht und<br />

selbst Eigentümer einer Immobilie ist.<br />

3. Hausübergabe und Sozialrecht – häufig gestellte Fragen<br />

Die zwischenzeitlich <strong>bei</strong> der Besprechung einer Haus- oder Wohnungsübergabe<br />

zuerst gestellten Fragen der Beteiligten lauten zwischenzeitlich<br />

häufig:<br />

„Was ist, wenn die Eltern ins Pflegeheim müssen?“<br />

„Wer muss dann für die Kosten aufkommen?“<br />

„Muss dann das Haus bzw. die Eigentumswohnung verkauft werden?“<br />

„Was geschieht mit den vereinbarten Leistungen und dem Wohnungsrecht?“<br />

73<br />

Sailer, NotBZ 2002, 81, 85.<br />

74<br />

Vgl. Langenfeld, in: Münchener Vertragshandbuch, Bd. 6, 5. Aufl. 2003, Form. VI.11<br />

§ 2 u. Anm. 2.<br />

75<br />

Vgl. Jerschke, in: Beck´sches Notar-Handbuch, 5. Aufl. 2009, A V Rn. 88. u. DNotI-<br />

Report 2008, 1 ff.<br />

76<br />

Krit. Coester, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2007, § 1624 Rn. 7.<br />

77<br />

LG Mannheim, NJW 1976, 2111.<br />

156


„Muss dafür an den Sozialträger eine umgerechnete Geldleistung erbracht<br />

werden?“<br />

„Was kann man tun, um eine Inanspruchnahme durch den Sozialleistungsträger<br />

zu vermeiden?“<br />

„Ist das Vererben der Immobilie die bessere Lösung?“.<br />

III. Pflegekosten, Versorgungs- und Sozialleistungen<br />

1. Die Pflegeversicherung statt Wart und Pflege<br />

a) Versorgung des Hausübergebers als Rechtspflicht?<br />

Alte Hausüberlassungsverträge unterscheiden sich auch im städtischen<br />

Bereich in einem Punkt kaum von einer landwirtschaftlichen Hofübergabe,<br />

nämlich dem der <strong>bei</strong> Bedarf zu erbringenden Dienstleistungen,<br />

die häufig „Wart und Pflege“ 78 genannt und durch eine Reallast im<br />

Grundbuch gesichert wurden. 79 Der Hausübernehmer verpflichtet sich,<br />

seine Eltern „diesen Hege und Pflege in gesunden und kranken Tagen<br />

angedeihen zu lassen und für den Fall einer bestehenden Notwendigkeit<br />

auch für die Gestellung einer Pflegeperson zu sorgen, so dass eine<br />

umfassende Pflege und Versorgung [der Eltern] gewährleistet ist.“ 80 Zu<br />

dem Recht auf Pflege zählte einst auch der freie Bezug von Arzneimitteln,<br />

ärztliche Versorgung und freier Krankenhausaufenthalt, sofern<br />

solche Leistungen nach ärztlichen Anordnungen notwendig wurden.<br />

Oder noch umfassender wurde vereinbart: „Bei Krankheit oder Altersschwäche<br />

Wart und Pflege, Waschen und Schuheputzen, Besorgung<br />

aller Gänge, besonders zu Arzt, Apotheke, Geistlichen. Falls der Berechtigte<br />

in ein Alters- oder Pflegeheim zieht, sind die Kosten vom<br />

Übernehmer zu tragen.“ 81 Die Weggabe des wesentlichen Vermögens<br />

sollte gleichsam durch die Pflicht zur Gewährung des nicht gedeckten<br />

Lebensbedarfs nach den Verhältnissen der Beteiligten, nach Herkommen<br />

und Ortsüblichkeit kompensiert werden. Das „vermögens-<br />

78<br />

So Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 14. Aufl. 2008, Rn. 1327.<br />

79<br />

BGHZ 130, 342 = DNotZ 1996, 93 = FGPrax 1995, 186 = MDR 1996, 253 = NJW<br />

1995, 2780 = WM 1995, 2033.<br />

80<br />

Vgl. BGH, DNotZ 2002, 702, 703 = FamRZ 2002, 1178 = MDR 2002, 271 =<br />

MittBayNot 2002, 179 = NJW 2002, 440 = NotBZ 2002, 182 = RNotZ 2002, 279 = WM<br />

2002, 598 = ZEV 2002, 116. Krit. Mayer, MittBayNot 2002, 152 ff.<br />

81<br />

So in der Entscheidung des LG München II, MittBayNot 1990, 244, wonach dies in<br />

einem Übergabevertrag vom 18.12.1989 vereinbart wurde.<br />

157


mäßige Ausziehen“ durch die Weggabe der Immobilie zu Lebzeiten 82<br />

wurde durch vertragliche Unterhaltspflicht der Kinder gegenüber ihren<br />

Eltern, die den gesamten nicht gedeckten Lebensbedarf einschließlich<br />

persönlicher Betreuungsleistungen umfasste, abgesichert. Die Zusage<br />

des umfassenden Pflegeanspruchs sollte dem Veräußerer ermöglichen,<br />

weiterhin in „seiner“ Immobilie zu leben und versorgt zu werden. Hinzu<br />

kommt ein zweiter Aspekt, den der BGH 83 in seiner vielfach kritisierten<br />

Entscheidung vom 21.9.2001 angesprochen hat. Die Vorstellung, zum<br />

„Sozialhilfeempfänger“ zu werden, ist den Eltern, die ihr Haus übertragen,<br />

auch heute noch schwer vermittelbar. Bei denjenigen Personen,<br />

die gegenwärtig ihre Immobilien übertragen, handelt es sich um die<br />

Nachkriegsgeneration, die entweder selbst das betreffende Vermögen<br />

erar<strong>bei</strong>tet oder miterlebt hat, wie ihre Eltern unter Verzicht auf Urlaub<br />

und unter Ableistung von Überstunden die Schulden aus der Anschaffung<br />

oder dem Bau der Immobilie bezahlt haben. Ihnen ist die<br />

Vorstellung, auf Sozialhilfeleistungen angewiesen zu sein und zum<br />

„Sozialamt gehen zu müssen“, persönlich unangenehm.<br />

Pflegeverpflichtungen im Zusammenhang mit Hausübertragungen<br />

werden gegenwärtig trotz dieser Interessenlage gar nicht mehr oder nur<br />

noch eingeschränkt vereinbart. Hintergrund ist die Befürchtung, durch<br />

eine entsprechende Klausel könnten die sonst gewährten Leistungen<br />

der Pflegeversicherung verloren gehen. Zudem besteht im Hinblick auf<br />

die Ar<strong>bei</strong>tsmarktlage und eventuelle finanzielle Belastungen durch An-<br />

oder Umbaumaßnahmen Einigkeit darüber, dass der Hausübernehmer<br />

durch die Pflegeverpflichtung nicht zur Kündigung seiner Ar<strong>bei</strong>tsstelle<br />

gezwungen werden soll. Die Versorgungszusage wird deshalb zeitlich<br />

oder im Hinblick auf den Pflegebedarf der Übergeber sowie zusätzlich<br />

örtlich auf die übergebene Immobilie beschränkt. Typisch ist die Pflegepflicht<br />

<strong>bei</strong> Krankheit und Gebrechlichkeit des Veräußerers im übergebenen<br />

Anwesen, soweit es dem Erwerber zumutbar ist, wo<strong>bei</strong> der<br />

Umfang der Leistungen den Erwerber nicht stärker belasten darf, als<br />

dies <strong>bei</strong> Pflegestufe I (§ 15 SGB XI) der Fall ist. 84 Die Verpflichtungen<br />

82 Vgl. zum Spruch „Zieh Dich nicht aus, bevor Du ins Bett gehst!“ nur von Hoyenberg,<br />

Vorweggenommene Erbfolge, 2010, 1. Kap. Rn. 2. S. auch Beck, MittBayNot 1967,<br />

89.<br />

83 BGH, DNotZ 2002, 702, 703 = FamRZ 2002, 1178 = MDR 2002, 271 = MittBayNot<br />

2002, 179 = NJW 2002, 440 = NotBZ 2002, 182 = RNotZ 2002, 279 = WM 2002, 598<br />

= ZEV 2002, 116.<br />

84 S. nur Holland, in: Würzburger Notarhandbuch, 2. Aufl. 2010, Teil 2 Kap. 7 Rn. 85;<br />

Basty, in: Kersten/Bühling, Formularbuch und Praxis der Freiwilligen Gerichtsbarkeit,<br />

22. Aufl. 2008, § 39 Rn. 51 M; Spiegelberger, in: Münchener Vertragshandbuch,<br />

158


uhen ferner, wenn der Berechtigte aufgrund ärztlicher Feststellung<br />

notwendigerweise in einem Heim untergebracht ist. 85 Ein unzulässiger<br />

Vertrag zu Lasten des Sozialleistungsträgers liegt in den letztgenannten<br />

Einschränkungen nicht. 86 Auch die Bedingung, dass die Leistungen nur<br />

zu erbringen sind, wenn der Übernehmer das Pflegegeld erhält, ist zulässig.<br />

87 Zweckmäßigerweise ist jedoch zu differenzieren zwischen denjenigen<br />

Leistungen, für die das Pflegegeld gewährt wird, und denjenigen<br />

der häuslichen Hilfe und Unterstützung, die unabhängig von der Einstufung<br />

in eine Pflegestufe zu erbringen sind. Sie schuldet der Hausübernehmer<br />

auch dann, wenn die Eltern die übrigen Leistungen durch<br />

einen professionellen Pflegedienst oder eine andere Person wie z. B.<br />

ein Geschwisterteil erbringen lassen und dafür das Pflegegeld verwenden.<br />

b) Pflegeversicherung als Teilkaskoversicherung 88 und Pflegegeld<br />

aa) Deckungslücke trotz Pflegeversicherung<br />

Für die Übergeber besteht eine Pflegeversicherung, deren Zweck es ist,<br />

das Risiko der Pflegebedürftigkeit versicherungsrechtlich abzusichern,<br />

damit die Betroffenen nicht auf Sozialhilfeleistungen angewiesen sind. 89<br />

Der Kreis der Versicherten ist mit demjenigen der gesetzlichen<br />

Krankenversicherung identisch (§ 1 Abs. 2 Satz 1 SGB XI). Versicherte<br />

der privaten Krankenversicherungsunternehmen sind verpflichtet, eine<br />

private Pflegeversicherung abzuschließen, deren Leistungsumfang<br />

Bd. 6, 5. Aufl. 2003, Form. VI.3 Anm. 9; Feick, in: Beck´sches Formularbuch Bürgerliches,<br />

Handels- und Wirtschaftsrecht, 10. Aufl. 2010, III C.4 Ziff. 2.<br />

85<br />

S. nur Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 14. Aufl. 2008, Rn. 934 § 2 Nr. 2 d.<br />

86<br />

So aber noch BGH, DNotZ 2002, 702, 705 = FamRZ 2002, 1178 = MDR 2002, 271 =<br />

MittBayNot 2002, 179 = NJW 2002, 440 = NotBZ 2002, 182 = RNotZ 2002, 279 = WM<br />

2002, 598 = ZEV 2002, 116; anders nunmehr BGH, FamRZ 2004, 690 = MittBayNot<br />

2004, 180 = NJW-RR 2003, 577 = NotBZ 2003, 314 = RNotZ 2003, 450 = ZEV 2003,<br />

211 u. BGH, DNotZ 2009, 431 = FamRZ 2009, 598 = MDR 2009, 559 = MietRB 2009,<br />

175 = MittBayNot 2009, 298 = NJW 2009, 1348 = NZM 2009, 251 = Rpfleger 2009,<br />

309 = WuM 2009, 184 = ZEV 2009, 252 = ZMR 2009, 434; vgl. Krüger, ZNotP 2010,<br />

2, 3 f.<br />

87<br />

Vgl. Amann, DNotI-Report 1995, 62, 64 u. Jerschke, in: Beck´sches Notar-Handbuch,<br />

5. Aufl. 2009, A V Rn. 205 u. Langenfeld, in Langenfeld/Günther, Grundstückszuwendungen<br />

zur lebzeitigen Vermögensnachfolge, 6. Aufl. 2010, Kap. 4 Rn. 4.14;<br />

krit. Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 14. Aufl. 2008, Rn. 934 Fn. 3 u. Mayer, ZEV<br />

1997, 176, 179.<br />

88<br />

Als unschön bezeichnet von Birn, in: Otto/Gurgel (Hrsg.), Hdb. des Fachanwalts<br />

Sozialrecht, 2008, Kap. 13 Rn. 55.<br />

89<br />

S. nur Muckel, Sozialrecht, 3. Aufl. 2009, § 9 Rn. 1 u. Schulin, NZS 1994, 433 ff.; vgl.<br />

auch Vigener, NDV 1996, 269.<br />

159


demjenigen der gesetzlichen Pflegeversicherung entspricht (§ 22 Abs. 1<br />

SGB XI). 90<br />

Bei den im Rahmen der Pflegeversicherung gewährten Leistungen<br />

handelt es sich nicht um eine staatliche „Fürsorge“, sondern um letztlich<br />

<strong>bei</strong>tragserkaufte Leistungen einer Sozialversicherung. 91 Ihre Leistungen<br />

sollen die familiäre Pflege und Betreuung ergänzen; <strong>bei</strong> stationärer<br />

Pflege werden die Pflegebedürftigen von pflegebedingten Aufwendungen<br />

entlastet, die Aufwendung für Unterkunft und Unterbringung<br />

haben sie selbst zu tragen (§ 41 Abs. 2 SGB XI). Die Pflegeversicherung<br />

hat nur eine ergänzende Funktion, sie ist keine Vollversorgung.<br />

92 Sie deckt nicht den vollen Bedarf ab, der im Leistungsfall<br />

entsteht, sondern ist auf Pauschalen, d. h. gedeckelte Leistungen beschränkt.<br />

93 Ein über die „Grundpflegesicherung“ hinausgehender Bedarf<br />

muss durch den Pflegebedürftigen selbst oder seine unterhaltspflichtigen<br />

Angehörigen finanziert werden. Erst wenn auch dies nicht<br />

möglich ist, tritt die Sozialhilfe ein. Wie wenig die Pflegeversicherung<br />

das Pflegerisiko „Heimaufenthalt“ tatsächlich abdeckt, zeigt sich daran,<br />

dass ca. 80 Prozent der stationär untergebrachten Pflegebedürftigen auf<br />

eine Finanzierung der Pflege durch den Sozialhilfeträger angewiesen<br />

sind. 94<br />

bb) Pflegeverpflichtung und Pflegebedürftigkeit<br />

Die zentrale Systementscheidung der Pflegeversicherung ist der Vorrang<br />

der häuslichen Pflege (§ 3 SGB XI) vor der stationären Unterbringung.<br />

95 Die Pflegeversicherung soll die Pflegebereitschaft der Angehörigen<br />

unterstützen, damit zum einen die Pflegebedürftigen möglichst<br />

lange in ihrer gewohnten häuslichen Umgebung bleiben können<br />

90<br />

§§ 22 Abs. 1 Satz 1, 23 Abs. 1 Satz 2 SGB XI; zu den diesbezüglichen Anforderungen<br />

s. nur Udsching, SGB XI, 3. Aufl. 2010, § 23 Rn. 17 u. Ladage, in: FS 50<br />

Jahre BSG, 2004, S. 673, 679 ff. Zu Unterschieden s. Bastian, NZS 2004, 76 ff.<br />

91<br />

S. nur Udsching, SGB XI, 3. Aufl. 2010, Einl. Rn. 1; Mayer, ZEV 1997, 176; Rastätter,<br />

ZEV 1996, 281, 286; Weyland, MittRhNotK 1997, 55, 58 f. u. Vaupel, RNotZ 2009,<br />

497, 498.<br />

92<br />

Vgl. auch BVerfG, FamRZ 2003, 1084; Muckel, Sozialrecht, 3. Aufl. 2009, § 9 Rn. 16;<br />

Udsching, SGB XI, 3. Aufl. 2010, Einl. Rn. 1 u. Waltermann, Sozialrecht,<br />

7. Aufl. 2008, Rn. 215.<br />

93<br />

Vgl. § 36 Abs. 3 SGB XI für häusliche Pflegeleistungen, § 37 Abs. 1 Satz 2 SGB XI für<br />

das Pflegegeld und § 43 Abs. 5 SGB XI für die Pflege in vollstationären Einrichtungen.<br />

94<br />

Udsching, SGB XI, 3. Aufl. 2010, Einl. Rn. 1 u. 9.<br />

95<br />

Vgl. KSW/Philipp, 2009, § 3 SGB XI Rn. 1 u. Muckel, Sozialrecht, 3. Aufl. 2009, § 9<br />

Rn. 17.<br />

160


und zum anderen die höheren Kosten einer stationären Pflege und Betreuung<br />

vermieden werden. Der Vorrang der häuslichen Pflege kann<br />

jedoch nicht gegen den Willen der pflegebedürftigen Person durchgesetzt<br />

werden. Die in § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB XI als Ausfluss des auch<br />

durch die Menschenwürde (Art. 1 u. 2 GG) garantierten Selbstbestimmungsrechts<br />

geregelten Entscheidungsfreiheit des Betroffenen<br />

geht vor. 96 Eine Pflegeverpflichtung der Angehörigen, deren Verletzung<br />

zu einer Leistungskürzung führen würde, sieht das Gesetz nicht vor.<br />

Wünscht der Pflegebedürftige eine vollstationäre Pflege („Kinder, ich<br />

halt´s nicht mehr aus. Ich gehe ins Pflegeheim.“), ist eine Leistungskürzung<br />

(§ 43 Abs. 4 SGB XI) nur möglich, wenn die stationäre Versorgung<br />

nicht erforderlich ist. Allerdings erfolgt dies in der Praxis selten.<br />

Meist stellen sich die Kassen einem Wunsch nach stationärer Pflege<br />

nicht in den Weg. 97 Der Vorrang der häuslichen Betreuung gilt zudem<br />

nicht, soweit die Betreuung in einer geeigneten stationären Einrichtung<br />

zumutbar und die ambulante Leistung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten<br />

verbunden ist, wenn für die Kosten der Pflege, die nicht von der<br />

Pflegeversicherung gedeckt sind, ergänzend Hilfe zur Pflege (§§ 61 ff.<br />

SGB XII) beantragt wird. Die Zumutbarkeit bestimmt sich nach den<br />

persönlichen, familiären und örtlichen Umständen. Hierzu zählt insbesondere<br />

auch der Erhalt der Pflege durch einen Angehörigen, die<br />

<strong>bei</strong>m Wechsel in ein Heim nicht mehr möglich ist und deshalb einer<br />

Heimunterbringung gegen den Wunsch des Betroffenen entgegenstehen<br />

kann. Als „Faustregel“ für unverhältnismäßige Mehrkosten der<br />

häuslichen Pflege gegenüber den Kosten einer abgelehnten vollstationären<br />

Unterbringung, die zur Leistungsverweigerung führen<br />

können, wird eine Überschreitung um mehr als 20 % zugrunde gelegt. 98<br />

Die Leistungsberechtigung in der Pflegeversicherung setzt eine Vorversicherungszeit<br />

von zwei Jahren in den letzten zehn Jahren vor der Antragstellung<br />

voraus (§ 33 Abs. 2 Nr. 6 SGB XI). Die Versicherungszeit<br />

muss zum Zeitpunkt der Antragstellung, also nicht <strong>bei</strong> Eintritt des Versicherungsfalls<br />

vorliegen. Der Pflegebedürftige kann deshalb mit der<br />

Antragstellung so lange warten, bis er die erforderliche Vorversicherungszeit<br />

erfüllt hat und auf diese Weise in die Leistungsberechtigung<br />

hinein wächst. 99 Weitere Anspruchsvoraussetzung ist die<br />

96<br />

Udsching, SGB XI, 3. Aufl. 2010, § 3 Rn. 3 u. Muckel, Sozialrecht, 3. Aufl. 2009, § 9<br />

Rn. 17.<br />

97<br />

KSW/Philipp, 2009, § 3 SGB XI Rn. 3 a. E.<br />

98<br />

KSW/Philipp, 2009, § 3 SGB XI Rn. 6.<br />

99<br />

Udsching, SGB XI, 3. Aufl. 2010, § 33 Rn. 6; Plagemann/von der Decken, MAH<br />

Sozialrecht, 3. Aufl. 2009. § 33 Rn. 14; KSW/Philipp, 2009, § 37 SGB XI Rn. 2.<br />

161


Einstufung in eine der Pflegestufen wegen Pflegebedürftigkeit (§§ 14,<br />

15 SGB XI). Der Begriff der Pflegebedürftigkeit 100 hat auch im Rahmen<br />

der Vereinbarung der Versorgungsleistungen <strong>bei</strong> der Immobilienübertragung<br />

Bedeutung. Die Vorgaben des Pflegeversicherungsrechts bestimmen<br />

insoweit auch das Vertragsgefüge. 101 Umstritten ist, ob im<br />

Vertrag eine statische oder dynamische Verweisung auf das Recht der<br />

Pflegeversicherung erfolgen soll. 102 Unabhängig davon hat im Rahmen<br />

der <strong>Vertragsgestaltung</strong> der Begriff der „Pflegebedürftigkeit“ nach den<br />

sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen Bedeutung. Er hat drei<br />

Voraussetzungen, nämlich<br />

- das Vorliegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit<br />

und/oder einer Behinderung,<br />

- deren Ursächlichkeit für einen Hilfebedarf <strong>bei</strong> den gewöhnlich und<br />

regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens<br />

und<br />

- das Erreichen einer bestimmten Qualität des Hilfebedarfs im Hinblick<br />

auf die Dauer der Hilfsbedürftigkeit und den zeitlichen Umfang<br />

der erforderlichen Hilfe.<br />

Knüpft die Verpflichtung zur Erbringung von Versorgungsleistungen an<br />

die Pflegebedürftigkeit im Sinne des Pflegeversicherungsrechts an, ist<br />

zunächst festzustellen, dass der Gesetzgeber weder den Begriff der<br />

Krankheit noch den Begriff der Behinderung dort definiert hat. 103<br />

Allerdings beschreibt das Gesetz <strong>bei</strong>de Voraussetzungen <strong>bei</strong>spielhaft<br />

(§ 14 Abs. 2 SGB XI). Danach liegen Krankheiten oder Behinderungen<br />

<strong>bei</strong> Funktionsstörungen am Stütz- und Bewegungsapparat, Funktionsstörungen<br />

der inneren Organe sowie der Sinnesorgane, Störungen des<br />

100 Vgl. auch BVerfG, NJW 2003, 3044 = NZS 2003, 535.<br />

101 S. nur Mayer, ZEV 1997, 176, 177; Holland, in: Würzburger Notarhandbuch,<br />

2. Aufl. 2010, Teil 2 Kap. 7 Rn. 85 u. Langenfeld, in: Langenfeld/Günther, Grundstückszuwendungen<br />

zur lebzeitigen Vermögensnachfolge, 6. Aufl. 2010, Kap. 4<br />

Rn. 85 u. 4.12.<br />

102 Die statische Verweisung halten Mayer, ZEV 1995, 269, 273; Langenfeld, in: Langenfeld/Günther,<br />

Grundstückszuwendungen zur lebzeitigen Vermögensnachfolge,<br />

6. Aufl. 2010, Kap. 4 Rn. 85 u. Weyland, MittRhNotK 1997, 55, 72 für „seriöser“. Soll<br />

gleichzeitig das Pflegegeld an den Pflegeverpflichteten weitergegeben werden, ist<br />

allein die dynamische Verweisung interessengerecht, da sonst <strong>bei</strong>m Übergeber eine<br />

Versorgungslücke verbleiben kann.<br />

103 Zum Krankheitsbegriff der gesetzlichen Krankenversicherung s. Wilke, in:<br />

Hauck/Noftz, SGB V, Gesetzliche Krankenversicherung, Stand: 2010, § 27 Rn. 4 u.<br />

Lang, in: Becker/Kingreen, SGB V, 2. Aufl. 2010, § 27 Rn. 10 zum<br />

Behinderungsbegriff s. § 2 Abs. 1 SGB IX. Zur Abgrenzung von alterstypischen<br />

Beeinträchtigungen s. nur KSW/Kreikebohm, 2009, § 3 SGB IX Rn. 2.<br />

162


zentralen Nervensystems sowie Antriebs-, Gedächtnis- oder<br />

Orientierungsstörungen, endogenen Psychosen, Neurosen und<br />

geistigen Behinderungen vor. Im Rahmen der sozialen Pflegeversicherung<br />

sind organische Erkrankungen und geistig-seelische Erkrankungen<br />

gleichgestellt, d. h. seelisch kranke Menschen erhalten<br />

Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung, selbst wenn sie<br />

motorisch in der Lage wären, bestimmte Verrichtungen selbst auszuführen.<br />

Sind auch die Versorgungsleistungen in diesen Fällen bereits<br />

geschuldet, führt dies häufig zu Konflikten, wenn das Kind trotz seiner<br />

vollen Berufstätigkeit dem organisch nicht kranken Elternteil, der nach<br />

seiner Meinung „nur nicht will“, Versorgungsleistungen erbringen muss.<br />

Im Rahmen der Pflegeversicherung muss die Krankheit oder Behinderung<br />

alleinige oder zumindest wesentliche Ursache des entstehenden<br />

Hilfebedarfs sein. Krankheit oder Behinderung müssen sich<br />

somit gerade dahingehend auswirken, dass der Betroffene bestimmte<br />

Fähigkeiten motorischer, geistiger oder seelischer Art nicht oder nicht<br />

mehr in vollem Umfang hat. Nicht ausreichend ist, dass bestimmte<br />

Tätigkeiten nur noch erschwert durchgeführt werden können. Ebenso<br />

genügt es nicht, wenn ein Hilfebedarf wegen anderer Defizite besteht,<br />

etwa der Unfähigkeit des überlebenden Vaters zu kochen, die Wäsche<br />

zu machen, Reparaturen an der Kleidung durchzuführen oder zu<br />

bügeln.<br />

Eine weitere Abweichung zwischen dem Begriff der Pflegebedürftigkeit<br />

im Sinne des Sozialversicherungsrechts und der <strong>bei</strong> der vertraglichen<br />

Vereinbarung gewollten Unterstützung ergibt sich daraus, dass nicht<br />

jeglicher Funktionsausfall oder jedes Funktionsdefizit ausreicht, den<br />

Versicherungsfall zu begründen. Bezugspunkt im Rahmen der Pflegeversicherung<br />

sind die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden<br />

Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens, wo<strong>bei</strong> dieser Begriff<br />

wiederum durch den Verrichtungskatalog in § 14 Abs. 4 SGB XI bestimmt<br />

wird. Es handelt sich da<strong>bei</strong> um solche der Grundpflege, nämlich<br />

um die Körperpflege (Waschen, 104 Duschen, Baden, Zahnpflege,<br />

Kämmen, Rasieren, Darm- oder Blasenentleerung), die Ernährung<br />

(mundgerechtes Zubereiten der Nahrung und Nahrungsaufnahme) und<br />

die Mobilität (selbstständiges Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und<br />

Auskleiden, Gehen, Stehen, 105 Treppensteigen, Verlassen und Wieder-<br />

104 Hierzu gehört auch das Haarewaschen (BSG, NZS 2001, 265).<br />

105 Hierzu gehört auch das Liegen und das Sitzen, BSG, NZS 2001, 39; vgl. auch BSG,<br />

NJWE-FER 2000, 68 = NZS 2000, 93.<br />

163


aufsuchen der Wohnung). 106 Davon zu trennen ist der Bereich der hauswirtschaftlichen<br />

Versorgung (Einkaufen, Kochen, Reinigen der<br />

Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung<br />

und Beheizen). 107 Aus dieser Begrenzung der zu berücksichtigenden<br />

Funktionsausfälle auf bestimmte Verrichtungen ergibt sich nochmals,<br />

dass die Pflegeversicherung lediglich einen Teilbereich des Lebens<br />

erfasst. 108 Insbesondere <strong>bei</strong> Demenzerkrankungen geht der tatsächliche<br />

Pflegeaufwand jedoch häufig weit über dem Katalog des § 14 Abs. 4<br />

SGB XI hinaus, und umfasst auch eine soziale Betreuung, nämlich eine<br />

Anleitung, Begleitung und Beaufsichtigung. Beispiel ist die Begleitung<br />

zu Gottesdiensten oder im Rahmen von Spaziergängen. 109 Zudem sind<br />

Hilfeleistungen die nicht im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung<br />

des Lebens im häuslichen Umfeld erforderlich werden, sondern wegen<br />

einer außerhäusigen Berufstätigkeit anfallen, ebenfalls nicht von den<br />

Verrichtungen des täglichen Lebens erfasst. Gleiches gilt für krankheitsspezifische<br />

Pflegemaßnahmen, soweit sie nicht untrennbarer Bestandteil<br />

einer Verrichtung der Grundpflege sind, sowie die für die Übergeber<br />

häufig besonders wichtige Kommunikation. Auch insoweit trifft ein Anknüpfen<br />

der vertraglich zu übernehmenden Versorgungsleistungen an<br />

den Begriff der Pflegebedürftigkeit des Sozialversicherungsrechts häufig<br />

nicht das von den Übergebern Gewollte. Zudem transferiert, wie die<br />

Diskussion über die diesbezügliche Erweiterung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs<br />

gezeigt hat, eine statische Anknüpfung an die derzeitige<br />

Definition 110 die Mängel 111 der sozialen Pflegeversicherung auch ins<br />

Recht der Versorgungsleistungen anlässlich einer Hausübergabe.<br />

Der Versicherungsfall tritt zudem erst ein, wenn der Hilfebedarf auf<br />

Dauer, d. h. voraussichtlich für mindestens sechs Monate, besteht (§ 14<br />

Abs. 1 SGB XI). Ein lediglich vorübergehender Hilfebedarf soll noch<br />

keine Pflegebedürftigkeit auslösen. 112 Auch insoweit besteht der Betreuungsbedarf<br />

der Übergeber bereits unterhalb dieser Schwelle, da sie<br />

106<br />

§ 14 Abs. 4 Nr. 1, Nr. 2 u. Nr. 3 SGB XI.<br />

107<br />

§ 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI; zur Abgrenzung z. B. im Hinblick auf die Intensität der<br />

Hilfeleistungen s. nur BSG, NJWE-FER 2000, 21; BSGE 94, 192 = NZS 2006, 91;<br />

BSG, NZS 2002, 484 = SGb 2002, 570 u. BSG, NZS 2004, 206 = SGb 2004, 194. Zur<br />

Abgrenzung der Kostentragung der häuslichen Krankenpflege zwischen Krankenkasse<br />

und Pflegeversicherung s. nunmehr § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V.<br />

108<br />

Zur Verfassungsgemäßheit BVerfG, NZS 2003, 535 = NJW 2003, 3044; BVerfG,<br />

FamRZ 2003, 1084 u. BSG, NZS 2004, 431.<br />

109<br />

BSG, NVwZ 2001, 959 = NJW 2001, 2197.<br />

110<br />

Vgl. dazu bereits oben Fn. 103.<br />

111<br />

Zur Diskussion s. nur BT-Drs. 16/7439, S. 44 f.; Igel, NJW 2008, 2214, 2219 u.<br />

Udsching, SGb 2007, 694 ff.<br />

112<br />

Zur diesbezüglichen Prognose BSG, NZS 2006, 40.<br />

164


auch <strong>bei</strong> kurzzeitigen und vorübergehenden Erkrankungen auf Hilfe<br />

angewiesen sind. Gleiches gilt, wenn ein Anstieg des Pflegebedarfs für<br />

einen kürzeren Zeitraum als sechs Monate eintritt. Werden die vertraglichen<br />

Leistungen auf den Umfang der Pflegestufe I nach § 15 SGB XI<br />

begrenzt, bleibt der Hausübergeber unversorgt, obwohl er auch keine<br />

Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung erhält. 113<br />

Die Pflegebedürftigkeit wird sozialversicherungsrechtlich entsprechend<br />

dem Umfang des Hilfebedarfs in drei Pflegestufen eingeteilt (§ 15 SGB<br />

XI). Von dieser Einstufung hängt auch die Höhe der zu erwartenden<br />

Leistung ab. Neben dem zeitlichen Aufwand ist auch das Kriterium der<br />

Häufigkeit von Hilfeleistungen von Bedeutung. Der Zeitaufwand, der für<br />

Hilfeleistung erbracht werden muss, hängt zunächst vom Umfang der<br />

Funktionsausfälle und Funktionsdefizite ab, <strong>bei</strong> welchen Verrichtungen<br />

des täglichen Lebens der Betroffene der Hilfe durch Dritte bedarf.<br />

Entscheidend hierfür ist der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger<br />

für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen<br />

Versorgung benötigt. Insofern können die diesbezüglichen Richtwerte<br />

auch für vertragliche Vereinbarungen Anhaltspunkte geben.<br />

Allerdings sind auch im Sozialversicherungsrecht die tatsächlichen<br />

Lebensumstände des zu Pflegenden, seine Gewohnheiten, seine Vorlieben<br />

und Abneigungen zu berücksichtigen. Der Mindestzeitaufwand<br />

beträgt <strong>bei</strong> der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) mindestens 90<br />

Minuten täglich, wo<strong>bei</strong> auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen<br />

müssen (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI), 114 <strong>bei</strong> der Pflegestufe II<br />

(schwer Pflegebedürftige) mindestens drei Stunden täglich, wo<strong>bei</strong><br />

mindestens zwei Stunden auf die Grundpflege entfallen müssen (§ 15<br />

Abs. 3 SGB XI), und <strong>bei</strong> der Pflegestufe III (Schwerstpflegebedürftige)<br />

mindestens fünf Stunden täglich, wo<strong>bei</strong> auf die Grundpflege mindestens<br />

vier Stunden entfallen müssen (§ 15 Abs. 3 Nr. 3 SGB XI). Da da<strong>bei</strong><br />

allein der Hilfebedarf hinsichtlich der in § 14 Abs. 4 SGB XI aufgeführten<br />

Verrichtungen maßgebend ist, 115 kann der tatsächliche Zeitaufwand für<br />

die Versorgung des Übergebers, insbesondere <strong>bei</strong> einer Demenzerkrankung,<br />

erheblich darüber hinausgehen. Ist eine weitergehende<br />

Hilfe vertraglich vereinbart, kann der tatsächliche Zeitaufwand für den<br />

Übernehmer wesentlich größer sein. Zur Feststellung des Zeitaufwands<br />

113 BSG, NZS 1998, 479 = SGb 1999, 303.<br />

114 Deshalb erreicht Basty, in: Kersten/Bühling, Formularbuch und Praxis der Freiwilligen<br />

Gerichtsbarkeit, 22. Aufl. 2008, § 39 Rn. 49 M trotz umfassender Formulierung der<br />

Wart- und Pflegeverpflichtung nicht einmal die Pflegestufe I; dies wird für die Betroffenen<br />

nicht deutlich.<br />

115 BSGE 85, 278 = , NZS 2000, 555 = SGb 2001, 32.<br />

165


wird nunmehr auch die „einfache Behandlungspflege“ berücksichtigt,<br />

wenn sie regelmäßig und auf Dauer untrennbar Bestandteil der Hilfe <strong>bei</strong><br />

den Verrichtungen der Grundpflege ist oder zwangsläufig in einem unmittelbaren<br />

zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit diesen Verrichtungen<br />

vorgenommen werden muss (§ 15 Abs. 3 Satz 2 u. 3 SGB<br />

XI). 116 Wichtig ist, dass unterhalb der Schwellenwerte lange Zeit kein<br />

Anspruch auf eine Leistung aus der Pflegeversicherung bestanden hat<br />

und damit <strong>bei</strong> einem Anknüpfen der Versorgungspflicht an die sozialrechtlichen<br />

Vorgaben auch weiterhin keine Betreuung der Eltern durch<br />

den Hausübernehmer erfolgt.<br />

Seit 1.1.2002 können der Pflegebedürftige in häuslicher Pflege, <strong>bei</strong><br />

denen neben dem Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und der<br />

hauswirtschaftlichen Versorgung ein erheblicher Bedarf an allgemeiner<br />

Beaufsichtigung und Betreuung gegeben ist, eine zusätzliche Leistung<br />

beanspruchen. Dies gilt nicht nur für pflegebedürftige Personen der<br />

Pflegestufen, sondern auch für Personen, deren Hilfebedarf im Bereich<br />

der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung noch nicht das<br />

Ausmaß der Pflegestufe I erreicht hat, sowie für Personen mit demenzbedingten<br />

Fähigkeitsstörungen, einer geistigen Behinderung oder<br />

psychischen Erkrankung, deren Alltagskompetenz erheblich eingeschränkt<br />

ist, sofern ein erheblicher Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung<br />

und Betreuung gegeben ist (§ 45a SGB XI). Beispiele sind<br />

das unkontrollierte Verlassen des Wohnbereichs, das Verkennen oder<br />

Verursachen gefährlicher Situationen, der unsachgemäße Umgang mit<br />

gefährlichen Gegenständen und Substanzen sowie die Unfähigkeit,<br />

eigenständig den Tagesablauf zu planen und zu strukturieren. Diese<br />

Personen erhalten zusätzlich Betreuungsleistungen von 100 bis 200<br />

Euro monatlich erstattet. Es muss sich da<strong>bei</strong> um besondere Angebote<br />

der allgemeinen Anleitung und Betreuung handeln; Leistungen der<br />

Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung scheiden demgegenüber<br />

aus. Der gewährte Betreuungsbetrag ist zudem zweckgebunden<br />

zur Erstattung von Aufwendungen, die dem Pflegebedürftigen entstehen.<br />

Sie können deshalb nicht an den pflegenden Angehörigen<br />

„weiter gereicht“, sondern nur für eine teilstationäre oder Kurzzeitpflege,<br />

zugelassene Pflegedienste und sogenannte niedrigschwellige Betreuungsangebote,<br />

die der landesrechtlichen Anerkennung bedürfen,<br />

verwendet werden. Eine Änderung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs ist<br />

damit zudem nicht verbunden. Deshalb bleibt es <strong>bei</strong> dem fehlenden<br />

116 S. dazu Griep, PflegeR 2008, 202 ff.<br />

166


vertraglichen Anspruch auf Pflege, wenn allein auf die sozialversicherungsrechtliche<br />

Pflegebedürftigkeit abgestellt wird.<br />

cc) Haus plus Geld für das Kind?<br />

Die Pflegeversicherung gewährt Leistungen <strong>bei</strong> häuslicher Pflege als<br />

Pflegesachleistung, und zwar nicht nur <strong>bei</strong> der Pflege im eigenen Haushalt,<br />

sondern auch <strong>bei</strong> Unterbringung in einem Altersheim. 117 Die häusliche<br />

Pflege muss somit nicht im Haushalt des Pflegebedürftigen<br />

erfolgen. Für die Einordnung ist nicht der Aufenthaltsort, sondern die Art<br />

der Pflege maßgebend. Leistungen der häuslichen Pflege sind deshalb<br />

auch zulässig, wenn die Pflege außerhalb speziell für die stationäre<br />

Pflege zugelassener Einrichtungen oder Einrichtungsformen in umfassender,<br />

auch pflegerischer Betreuung erfolgt (§ 36 Abs. 1 Satz 2<br />

SGB XI). Bei Leistungserbringung im übergebenen Haus handelt es<br />

sich in der Regel um ambulante Pflegedienstleistungen, die unmittelbar<br />

zwischen der Pflegekasse und den Leistungserbringern abgerechnet<br />

werden. 118 Unberührt bleibt der zivilrechtliche Vertrag zwischen dem<br />

Pflegedienst und dem Pflegebedürftigen über Art und Umfang der<br />

Pflegeleistungen. Die Pflegekasse kann zur Sicherstellung der häuslichen<br />

Pflege auch ausnahmsweise mit einer Einzelpflegekraft einen<br />

Versorgungsvertrag schließen (§ 77 Abs. 1 SGB XI), soweit und solange<br />

eine Versorgung nicht durch einen zugelassenen Pflegedienst<br />

gewährleistet werden kann. Ausgeschlossen sind allerdings Verträge<br />

mit Verwandten oder Verschwägerten des Pflegebedürftigen bis zum<br />

dritten Grad sowie mit Personen, die mit dem Pflegebedürftigen in<br />

häuslicher Gemeinschaft leben (§ 77 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbs. SGB XI).<br />

Hintergrund ist, dass die Pflegesachleistung für ambulante Pflegedienste,<br />

das Pflegegeld übersteigt, das dem selbst für seine Pflege<br />

sorgenden Betroffenen gewährt wird. Ein Vertrag zwischen der Pflegekasse<br />

und dem im Gesetz genannten Angehörigen über eine Einzelpflege<br />

ist nichtig. Dies gilt auch dann, wenn der pflegende Angehörige<br />

eine ausgebildete Pflegekraft ist. 119<br />

Alternativ zur Pflegesachleistung wird Pflegegeld (§ 37 Abs. 1 SGB XI)<br />

für selbst beschaffte Pflegehilfen gewährt. Der Pflegebedürftige kann<br />

117 Vgl. § 28 Abs. 1 u. Abs. 1a SGB XI.<br />

118 In der privaten Pflegeversicherung wird an Stelle der Sachleistung die Leistung als<br />

Aufwendungsersatz an den Versicherungsnehmer erbracht (§§ 1 Abs. 1, 6 MBPPV<br />

2009).<br />

119 BSG, NJW 2000, 1813; Udsching, SGB XI, 3. Aufl. 2010, § 77 Rn. 9. Vgl. auch<br />

BVerwGE 90, 217 = NVwZ 1993, 66 = MDR 1993, 396.<br />

167


selbst bestimmen, ob er den Einsatz eines ambulanten Pflegedienstes<br />

wünscht oder die Pflege durch Angehörige, also nicht erwerbsmäßig<br />

tätige Personen. Voraussetzung ist lediglich, dass die Pflege hierdurch<br />

sichergestellt ist. 120 Eine Kombination von Sachleistung und Pflegegeld<br />

ist möglich (§ 38 SGB XI), wenn der Betroffene teilweise Leistungen<br />

eines Pflegedienstes in Anspruch nimmt und daneben Pflegegeld erhält.<br />

Das Pflegegeld wird in diesem Fall um den Prozentsatz gemindert, in<br />

dem der Pflegebedürftige Sachleistungen in Anspruch nimmt (§ 38 Satz<br />

2 SGB XI). Betragen <strong>bei</strong>spielsweise die Kosten der ambulanten Pflegehilfe<br />

monatlich 220 Euro, so ist die Pflegesachleistung zu 50 % in Anspruch<br />

genommen worden. Es wird dann nur noch das hälftige Pflegegeld<br />

an den Pflegebedürftigen ausbezahlt. An die Entscheidung der<br />

Wahl einer kombinierten Geld- und Sachleistung ist der Pflegebedürftige<br />

für mindestens sechs Monate gebunden, sofern keine wesentliche Veränderung<br />

z. B. in der Pflegesituation eintritt. 121 Das Pflegegeld für selbst<br />

beschaffte Pflegehilfen kann auch dann in Anspruch genommen<br />

werden, wenn der Pflegebedürftige in einem Altenwohnheim oder einer<br />

nicht zugelassenen Einrichtung lebt. Das Pflegegeld wird in<br />

pauschalierter Höhe, abgestuft nach Pflegestufen gewährt. Es beträgt<br />

monatlich<br />

<strong>bei</strong> Pflegestufe I 225 Euro (ab 1.1.2012: 235 Euro),<br />

<strong>bei</strong> Pflegestufe II 430 Euro (ab 1.1.2012: 440 Euro) und<br />

<strong>bei</strong> Pflegestufe III 685 Euro (ab 1.1.2012: 700 Euro). 122<br />

Über die tatsächliche Verwendung des Pflegegelds enthält das Gesetz<br />

keine Bestimmung. Der Pflegebedürftige muss hierüber auch keinen<br />

Nachweis führen; solange seine Betreuung sichergestellt ist, kann er die<br />

Mittel auch anderweitig verwenden. 123 Zulässig ist es auch, die vertragliche<br />

Pflegeverpflichtung des Hausübernehmers von der „Weiterleitung“<br />

des Pflegegeldes abhängig zu machen. 124<br />

120<br />

Plagemann/von der Decken, MAH Sozialrecht, 3. Aufl. 2009. § 33 Rn. 45.<br />

121<br />

Dies gilt also nicht <strong>bei</strong> einer vorübergehenden Verhinderungspflege nach § 39 SGB<br />

XI.<br />

122<br />

Demgegenüber beträgt die Pflegesachleistung monatlich in Pflegestufe I 440 Euro (ab<br />

1.1.2012: 450 Euro), <strong>bei</strong> Pflegestufe II 1.040 Euro (ab 1.1.2012: 1.100 Euro) und <strong>bei</strong><br />

Pflegestufe III 1.510 Euro (ab 1.1.2012: 1.550,-- Euro), wo<strong>bei</strong> sich der Betrag in<br />

Pflegestufe III in Härtefällen auf 1.918 Euro erhöhen kann.<br />

123<br />

KSW/Philipp, 2009, § 37 SGB XI Rn. 5.<br />

124<br />

Jerschke, in: Beck´sches Notar-Handbuch, 5. Aufl. 2009, A V Rn. 205 u. Langenfeld,<br />

in: Langenfeld/Günther, Grundstückszuwendungen zur lebzeitigen Vermögensnachfolge,<br />

6. Aufl. 2010, Kap. 4 Rn. 4.14.<br />

168


Bei dem Pflegegeld, das an den Pflegebedürftigen erbracht wird,<br />

handelt es sich um kein Einkommen i. S. des Einkommensteuerrechts;<br />

die Leistungen sind nach § 3 Nr. 1a EStG steuerfrei. Dies gilt auch,<br />

wenn diese Leistungen an Pflegepersonen weitergeleitet werden (§ 3<br />

Nr. 36 EStG). 125 Dies gilt ferner, wenn ein Anspruch auf Pflegegeld nicht<br />

besteht, nicht geltend gemacht wird oder <strong>bei</strong>spielsweise ein Geschwisterteil<br />

die Pflegeperson bezahlt, wenn damit Leistungen zur<br />

Grundpflege oder hauswirtschaftlichen Versorgung entlohnt werden, die<br />

Eltern pflegebedürftig i. S. des § 14 Abs. 1 SGB XI sind und es sich <strong>bei</strong><br />

der pflegenden Person um einen Angehörigen i. S. von § 15 AO oder<br />

eine Person handelt, die mit der Pflege eine sittliche Pflicht (§ 33 Abs. 2<br />

EStG) erfüllt. Steuerfrei sind Einnahmen bis zur Höhe des Pflegegeldes.<br />

Für den übersteigenden Betrag kommt eine Besteuerung als Einkünfte<br />

aus nichtselbstständiger Ar<strong>bei</strong>t oder als wiederkehrende Bezüge in Betracht,<br />

wenn es sich um eine steuerbare Leistung handelt; dies wird in<br />

der Regel <strong>bei</strong> einer Pflege durch Angehörige zu verneinen sein. 126<br />

Hintergrund ist, dass das weitergeleitete Pflegegeld lediglich eine<br />

finanzielle „Anerkennung“ darstellt 127 und keine adäquate Entlohnung; 128<br />

trotz des Erhalts des Pflegegelds bleibt die Verantwortung der Angehörigen<br />

daneben ergänzend bestehen.<br />

Beim Bezug von Pflegegeld besteht die gesetzliche Verpflichtung in<br />

abgestuften Zeiträumen entsprechend der Pflegestufe „Beratungseinsätze“<br />

zur Qualitätssicherung und pflegefachlichen Unterstützung<br />

ambulanter Pflegedienste abzurufen. Die Verpflichtung besteht jedoch<br />

nur, wenn der Pflegebedürftige ausschließlich Pflegegeld bezieht, nicht<br />

<strong>bei</strong> einer Kombinationsleistung. 129 Die Kosten der Beratungseinsätze<br />

werden von der Pflegekasse zusätzlich zum Pflegegeld bezahlt (§ 37<br />

Abs. 3 Satz 3 SGB XI). Kommt der Pflegebedürftige der Pflicht zum<br />

Abruf von Beratungseinsätzen nicht nach, kann das Pflegegeld in angemessenem<br />

Umfang gekürzt werden. Umgekehrt steht für Personen,<br />

<strong>bei</strong> denen ein erheblicher Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung und<br />

Betreuung festgestellt ist (§ 45a SGB XI), für die aber noch keine<br />

Pflegebedürftigkeit i. S. von 14 SGB XI vorliegt, Anspruch auf einen<br />

halbjährlichen Beratungsbesuch (§ 37 Abs. 3 Satz 5 SGB XI).<br />

125<br />

S. nur Schmidt/Heinicke, EStG, 29. Aufl. 2010, § 3 s. v. Pflegeversicherung/vergütungen;<br />

von Beckerath, in: Kirchhof, EStG, 9. Aufl. 2010, § 3 Rn. 69.<br />

126<br />

BFHE 189, 424 = , BStBl. II 1999, 776 = NJW 2000, 1815 = DStR 1999, 1807 =<br />

FamRZ 2000, 225.<br />

127<br />

Zur zusätzlichen sozialen Absicherung des pflegenden Angehörigen s. § 44 SGB XI.<br />

128<br />

Udsching, SGB XI, 3. Aufl. 2010, § 77 Rn. 9.<br />

129<br />

KSW/Philipp, 2009, § 37 SGB XI Rn. 6 a. E.<br />

169


Bei einer vollstationären Pflege 130 beschränken sich die Leistungen der<br />

Pflegeversicherung auf die pflegebedingten Aufwendungen, die Aufwendungen<br />

der sozialen Betreuung und die Aufwendungen für<br />

Leistungen der medizinischen Behandlungspflege (§ 43 Abs. 2 Satz 1<br />

SGB XI). Es handelt sich um Einrichtungen, die darauf zielen, die berufliche<br />

und soziale Eingliederung, die Ausbildung oder die Erziehung zu<br />

fördern. 131 Ein Anspruch auf Pflege in einer vollstationären Einrichtung<br />

besteht jedoch nur, wenn häusliche oder teilstationäre Pflege nicht<br />

möglich ist oder wegen der Besonderheit des einzelnen Falls nicht in<br />

Betracht kommt. Die Unmöglichkeit der häuslichen oder teilstationären<br />

Pflege kann auch auf dem Fehlen geeigneter Pflegepersonen oder<br />

familiären Spannungen beruhen. Gleichzeitig ist das Selbstbestimmungsrecht<br />

des Pflegebedürftigen zu beachten (§ 2 SGB XI).<br />

Faktisch besteht deshalb kein Nachrang der Heimunterbringung gegenüber<br />

anderen Pflegearten. Jeder Pflegebedürftige kann, unabhängig<br />

von der Pflegestufe, der er zugeordnet ist, stationäre Pflege wählen,<br />

sofern er hierfür einen sachlichen Grund hat. 132 Der bloße Wunsch des<br />

Pflegebedürftigen ist dagegen nicht ausreichend. 133 Wird trotz<br />

mangelnder Heimbedürftigkeit stationäre Pflege in Anspruch genommen,<br />

wird der Anspruch auf Leistungen der Pflegekasse auf die<br />

Höhe des Sachleistungsanspruchs <strong>bei</strong> häuslicher Pflege (§ 36 Abs. 3<br />

SGB XI) reduziert (§ 43 Abs. 4 SGB XI). Da die Leistungsbeträge <strong>bei</strong><br />

Unterbringung im Heim monatlich in der Pflegestufe I 1.023 Euro, in der<br />

Pflegestufe II 1.279 Euro und für Pflegebedürftige in der Pflegestufe III<br />

1.510 Euro (ab 1.1.2012 1.550 Euro) betragen, tritt <strong>bei</strong> der Pflegestufe<br />

III ein Nachteil <strong>bei</strong> einem Pflegebedürftigen wegen der Ansprüche nicht<br />

ein. Insofern geht der Gesetzeszweck, der Vermeidung des Abschiebens<br />

von pflegebedürftigen Personen, die keiner vollstationären<br />

Pflege bedürfen, in Heime ins Leere. 134 Zudem scheint die Kürzungsvorschrift<br />

in der Praxis keine Bedeutung zu haben. 135 Demgegenüber be-<br />

130<br />

Zur Unterscheidung von vollstationären Einrichtungen und der Hilfe für behinderte<br />

Menschen s. § 43a SGB XI.<br />

131<br />

Es muss sich allerdings um ein durch Versorgungsvertrag zugelassenes Pflegeheim<br />

handeln (§ 72 Abs. 2 SGB XI); andernfalls sind Leistungen nur unter den Ausnahmevoraussetzungen<br />

des § 13 Abs. 3 SGB V möglich, die für die stationäre Pflege kaum<br />

gegeben sein können (KSW/Philipp, 2009, § 43 SGB XI Rn. 5 u. Udsching, SGB XI,<br />

3. Aufl. 2010, § 43 Rn. 27).<br />

132<br />

Str., Udsching, SGB XI, 3. Aufl. 2010, § 43 Rn. 2; KSW/Philipp, 2009, § 43 SGB XI<br />

Rn. 4 u. 12; tlw. abw. Leitherer, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht,<br />

Stand: April 2010, § 43 SGB XI Rn. 17.<br />

133<br />

Birn, in: Otto/Gurgel (Hrsg.), Hdb. des Fachanwalts Sozialrecht, 2008, Kap. 13<br />

Rn. 206.<br />

134<br />

Udsching, SGB XI, 3. Aufl. 2010, § 43 Rn. 23.<br />

135<br />

So KSW/Philipp, 2009, § 43 SGB XI Rn. 12.<br />

170


steht für Versicherte mit erheblichem allgemeinen Betreuungsbedarf,<br />

deren versicherungsbezogener Pflegebedarf die Voraussetzungen der<br />

Pflegestufe I noch nicht erreicht, keine Möglichkeit Leistungen für eine<br />

vollstationäre Pflege zu erhalten. 136<br />

Bei der Heimunterbringung wird nochmals der Charakter der sozialen<br />

Pflegeversicherung als „Teilkaskomodell“ deutlich. Der Heimvertrag, der<br />

zwischen dem Pflegebedürftigen und dem Träger des Pflegeheims abgeschlossen<br />

wird, enthält die vier Entgeltbestandteile der Pflegevergütung,<br />

des Entgelts für Unterkunft (Reinigung, Heizung etc., nicht<br />

Miete), des Entgelts für die Verpflegung und der Investitionskosten, von<br />

denen die Pflegeversicherung lediglich die Pflegevergütung beschränkt<br />

auf die pflegestufenabhängigen Höchstbeträge erstattet. Das Gesetz<br />

sieht ferner eine weitere Begrenzung der Leistung auf 75 % des<br />

gesamten Heimentgelts, also die Summe der vier Entgeltbestandteile,<br />

vor; allerdings hat dies in der Praxis keine Bedeutung, weil diese<br />

Grenze infolge der erheblichen Höhe der Heimentgelte fast immer über<br />

den Beträgen liegt, die das Gesetz für die einzelnen Pflegestufen vorsieht.<br />

Die Kosten für die von der Pflegeversicherung nicht abgedeckten<br />

Entgeltbestandteile kann der Pflegebedürftige nicht aushandeln; ihre<br />

Bemessung erfolgt nach den sogenannten Pflegesätzen nach § 84<br />

Abs. 1 SGB XI.<br />

Aus der Pflegestatistik 2007 137 ergibt sich, dass im Dezember 2007<br />

671.000 Pflegebedürftige vollstationäre Dauerpflege erhalten haben.<br />

Der Anteil der Schwerstpflegebedürftigen (Pflegestufe III) betrug 21 %.<br />

Der Pflegesatz für vollstationäre Dauerpflege für Pflegestufe III betrug<br />

im Durchschnitt 71 Euro pro Tag, der für Unterkunft und Verpflegung 20<br />

Euro pro Tag. Monatlich waren somit für Verpflegung und Unterbringung<br />

in der höchsten Pflegestufe an das Heim rund 2.770 Euro als Vergütung<br />

zu entrichten. Hinzu kommen weitere Ausgaben für Zusatzleistungen<br />

und gesondert berechnete Investitionsaufwendungen. 138<br />

Bereits im Rahmen der Pflegekosten, also ohne Berücksichtigung der<br />

sogenannten Hotel- und Investitionskosten, ergeben sich somit Fehlbeträge.<br />

Die höchsten Heimkosten weisen Nordrhein-Westfalen und<br />

Hamburg auf. Die billigsten Heime bestehen in sind Sachsen-Anhalt und<br />

Niedersachsen. Bleibt <strong>bei</strong> vollstationärer Aufnahme in ein Pflegeheim<br />

eine Unterdeckung, die durch das Einkommen und Vermögen der Eltern<br />

136 Udsching, SGB XI, 3. Aufl. 2010, § 43 Rn. 2 a. E.<br />

137 Statistisches Bundesamt, Pflegestatistik 2007, 2009, S. 4 f.<br />

138 Nach Statistisches Bundesamt, Pflegestatistik 2007, 2009, S. 6 und Tabelle S. 15.<br />

171


nicht aufgebracht werden kann, könnte anlässlich der Hausübergabe<br />

eine Vereinbarung getroffen werden, wonach die Eltern verpflichtet sind,<br />

häusliche und gegebenenfalls ambulante Pflege in Anspruch zu<br />

nehmen, soweit dies nach Begutachtung des Medizinischen Dienstes<br />

möglich ist. Eine Aufnahme in ein Pflegeheim könnten die Eltern aufgrund<br />

dieser vertraglichen Vereinbarung dann nur fordern, wenn dies<br />

aus medizinischen Gründen geboten ist oder die Kosten langfristig von<br />

den Eltern selbst gedeckt werden können. Damit würde die Inanspruchnahme<br />

der Kinder entfallen. Allerdings verstößt diese Vereinbarung<br />

gegen das Selbstbestimmungsrecht der Eltern. Sie enthält zudem einen<br />

gemäß § 1614 Abs. 1 BGB unzulässigen Unterhaltsverzicht.<br />

2. Deckung des verbleibenden Fehlbetrages<br />

a) Einkommen und Vermögen – Grundsatz der Subsidiarität<br />

aa) Nachrang und Vermögensplanung<br />

Eltern, die ihre Immobilie an ein Kind übertragen haben, müssen die<br />

Kosten ihrer häuslichen Pflege und einer Heimunterbringung selbst<br />

tragen, soweit nicht Leistungen der Pflegeversicherung gewährt werden<br />

oder in der Überlassung Vereinbarungen mit den Kindern hinsichtlich<br />

der Pflege und der entsprechenden Kostenerstattung getroffen wurden.<br />

Nur soweit die Eltern hierzu nicht in der Lage sind, greift das staatliche<br />

Fürsorgesystem ein. Es handelt sich hier<strong>bei</strong> regelmäßig um die Sozialhilfe,<br />

da die Grundsicherung für Ar<strong>bei</strong>tssuchende nur erwerbsfähige<br />

Personen erhalten. 139 Sie dürfen zudem die Regelaltersgrenze 140 nicht<br />

erreicht haben. Sie ist bis 2012 <strong>bei</strong> Vollendung des 65. Lebensjahres<br />

erreicht; danach erhöht sie sich entsprechend der in § 7a SGB II enthaltenen<br />

Tabelle und beträgt für Geburtsjahrgänge ab 1964 67 Jahre.<br />

Bedeutung hat die Sozialhilfe – neben dem Bereich der Grundsicherung<br />

– vor allem für nicht gedeckte Pflegeheimkosten. Die Sozialhilfe wird –<br />

mit Ausnahme der Grundsicherung – von Amts wegen ab Kenntnis des<br />

Trägers der Sozialhilfe vom Bedarf gewährt (§ 18 SGB XII). Allerdings<br />

139<br />

§§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 8 Abs. 1 SGB II; vgl. hierzu Blüggel, in: Eicher/Spellbrink,<br />

SGB II, 2. Aufl. 2008, § 8 Rn. 28, wonach eine Krankheit oder Behinderung auf nicht<br />

absehbare Zeit, ab einem Zeitraum von mindestens sechs Monaten vorliegt, so dass<br />

<strong>bei</strong> einer Bejahung der Pflegebedürftigkeit nach § 14 SGB XI eine Erwerbsfähigkeit<br />

regelmäßig ausscheidet.<br />

140<br />

§§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 7a SGB II; vgl. hierzu Nakielski/Kerschbaumer, SozSich,<br />

2007, 85 ff.<br />

172


darf die Hilfe dem Empfänger auch nicht gegen seinen Willen aufgezwungen<br />

werden. 141 Auf die Sozialhilfe besteht grundsätzlich ein<br />

Rechtsanspruch (§ 17 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Deshalb ist es teilweise<br />

Praxis der Behörden, <strong>bei</strong> Vorhandensein von Grundbesitz Leistungen<br />

nur darlehensweise zu gewähren und hierfür eine Sicherung durch Eintragung<br />

eines Grundpfandrechts (kostenfrei) 142 zu fordern, rechtswidrig.<br />

Sozialhilfe erhält nur, wer sich selbst nicht helfen kann. Vorrangig sind<br />

insbesondere der Einsatz des Einkommens und des Vermögens (§ 2<br />

Abs. 1 SGB XII). Bevor der Hilfesuchende öffentliche Mittel in Anspruch<br />

nehmen kann, muss er sein Einkommen und Vermögen zur Bestreitung<br />

seines Bedarfs verwenden. Hierauf muss sich der Betroffene in seinem<br />

rechtsgeschäftlichen Verhalten einstellen. Er darf deshalb keine Vereinbarungen<br />

treffen, die ihn hilfsbedürftig machen. 143 Dem Sozialhilfeträger<br />

stehen zur Wiederherstellung des Nachrangs der Sozialhilfe der<br />

Regress durch Überleitung von Ansprüchen des Leistungsberechtigten<br />

(§ 93 SGB XII) und der Übergang von Unterhaltsansprüchen (§ 94 SGB<br />

XII) zu. Da die Sozialhilfe auf den aktuellen Bedarf abzielt (Bedarfsdeckungsprinzip),<br />

144 ist auch hinsichtlich des Nachrangs der Sozialhilfe<br />

als Einkommen dasjenige anzusetzen, was der Hilfesuchende in dem<br />

jeweiligen Bedarfszeitraum (Bedarfsmonat) erhält, ihm also zufließt. 145<br />

Vermögen ist hingegen das, was in dem Bedarfszeitraum schon vorhanden<br />

ist. Wegen des Bedarfsdeckungsprinzips ist der Hilfeempfänger<br />

umgekehrt grundsätzlich auch nicht zum Ersatz der Sozialhilfeleistungen<br />

verpflichtet, wenn er seine Bedürftigkeit überwunden hat und<br />

wieder selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen kann. 146 Ausnahmen<br />

bestehen dann, wenn der Hilfeempfänger die Voraussetzung für die<br />

Gewährung der Sozialhilfe durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges<br />

Verhalten her<strong>bei</strong>geführt hat (§ 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Eine weitere<br />

Ausnahme gilt für Erben (§ 102 SGB XII).<br />

Bei zielgerichteter Verminderung von Einkommen und Vermögen zum<br />

Zweck der Inanspruchnahme von Sozialhilfe ermöglicht § 26 Abs. 1<br />

Satz 1 Nr. 1 SGB XII die Einschränkung der Leistung auf das zum<br />

Lebensunterhalt Unerlässliche. Voraussetzung ist, dass der später<br />

Leistungsberechtigte sein Einkommen oder Vermögen in der Absicht<br />

141<br />

S. nur Muckel, Sozialrecht, 3. Aufl. 2009, § 13 Rn. 38.<br />

142<br />

§ 64 Abs. 2 SGB X; vgl. dazu Notarkasse A.d.ö.R. (Hrsg.), Streifzug durch die<br />

Kostenordnung, 8. Aufl. 2010, Rn. 681 f.<br />

143<br />

Schneider, in: Otto/Gurgel (Hrsg.), Hdb. des Fachanwalts Sozialrecht, 2008, Kap. 14<br />

Rn. 19.<br />

144<br />

S. nur BVerwGE, 58, 68, 70 u. BVerwGE 99, 114, 118.<br />

145<br />

BVerwG, NJW 1999, 3137.<br />

146<br />

Muckel, Sozialrecht, 3. Aufl. 2009, § 13 Rn. 31.<br />

173


vermindert hat, die Voraussetzung für die Gewährung oder Erhöhung<br />

von Sozialhilfe her<strong>bei</strong>zuführen. Erfasst werden hiervon auch die Fälle<br />

einer Vermögensminderung, wenn Vermögensgegenstände übertragen<br />

oder weggegeben werden, ohne dass hierfür eine äquivalente Gegenleistung<br />

erfolgt. 147 Es muss sich aber um ein aktives Tun hinsichtlich<br />

dieser Lage handeln. 148 Ältere Immobilieneigentümer, die über kein<br />

sonstiges Vermögen verfügen und gesundheitlich „angeschlagen“ sind,<br />

vermindern notwendigerweise durch die Übertragung ihres wesentlichen<br />

Vermögensgegenstandes auf ein Kind ihr Vermögen und erhöhen<br />

dadurch das Risiko der späteren Notwendigkeit von Inanspruchnahme<br />

von Sozialhilfe erheblich. Zusätzlich ist jedoch hinsichtlich der Handlung,<br />

die zur Vermögensminderung führt, ein leichtfertiges oder unlauteres<br />

Verhalten erforderlich. 149 Ferner muss die Handlung mit<br />

direktem Vorsatz vorgenommen werden. Nur dann kann die Absicht<br />

vorliegen, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung der<br />

Sozialhilfeleistung her<strong>bei</strong>zuführen. 150 Wer „auf großem Fuß“ lebt, erfüllt<br />

die Voraussetzungen nicht, da allein ein sozialwidriges Verhalten hierfür<br />

nicht genügt. Der Leistungsberechtigte muss zumindest auch in der<br />

Absicht gehandelt haben, sozialhilfebedürftig zu werden. Dies ist nicht<br />

der Fall, wenn sich der Leistungsberechtigte zwar über den möglichen<br />

Eintritt der Hilfebedürftigkeit bewusst ist, er aber mit der Übertragung<br />

seiner Immobilie altruistische Absichten verfolgt. 151 Insofern regelt das<br />

Zivilrecht, wann ein Anspruch auf Rückgewähr der Schenkung besteht.<br />

Weitgehend ungeklärt ist bisher das Verhältnis der Vorschriften des<br />

Sozialhilferechts zu § 138 BGB. Grundsätzlich können nämlich Rechtsgeschäfte,<br />

die nach Inhalt, Zweck und Beweggrund in erster Linie<br />

darauf angelegt sind, Vermögensverhältnisse zum Schaden der Sozialhilfeträger<br />

und damit auf Kosten der Allgemeinheit zu regeln, gegen die<br />

guten Sitten verstoßen, wenn nicht besondere Rechtfertigungsgründe<br />

vorliegen. 152 Betroffen sind von dieser Rechtsprechung vor allem Unter-<br />

147<br />

Ehmann, in: MAH Sozialrecht, 3. Aufl. 2009, § 38 Rn. 150.<br />

148<br />

Streichsbier, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 26 Rn. 5.<br />

149<br />

Str., wie hier Streichsbier, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 26 Rn. 5.<br />

150<br />

Streichsbier, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 26 Rn. 5 u.<br />

KSW/Coseriu, 2009, § 26 SGB XII Rn. 3; Hohm, in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm,<br />

SGB XII, 17. Aufl. 2006, § 26 Rn. 11 u. Conradis, in: LPK-SGB XII, 8. Aufl. 2008, § 26<br />

Rn. 6.<br />

151<br />

So LSG Berlin-Brandenburg, NotBZ 2008, 242 = ZEV 2008, 547 u. KSW/Coseriu,<br />

2009, § 26 SGB XII Rn. 3.<br />

152<br />

Vgl. BGHZ 86, 82, 86; BGH, NJW 1985, 1835, 1836; BGHZ 111, 36, 40 ff.; BGH,<br />

NJW 1991, 913, 914; BGH, NJW 1992, 3164, 3165; BGH, NJW 2007, 904 = DNotZ<br />

2007, 128 u. BGHZ 178, 322 = NJW 2009, 842 u. OVG Greifswald, NordÖR 1998,<br />

206. S. auch Krauß, in: Beck´sches Notar-Handbuch, 5. Aufl. 2009, A V Rn. 237 c.<br />

174


haltsverzichte in Eheverträgen und Scheidungsvereinbarungen. Für die<br />

Bejahung der Sittenwidrigkeit ist das Vorliegen einer Schädigungsabsicht<br />

nicht erforderlich. 153 Ausreichend ist, wenn der verzichtende Teil<br />

zwingend Sozialhilfe in Anspruch nehmen muss und dies <strong>bei</strong> Beurkundung<br />

des Vertrages den Parteien bekannt ist. Beispiel ist, dass der<br />

verzichtende Partner weder erwerbsfähig ist noch über nennenswertes<br />

Vermögen verfügt. 154 Gleiches gilt, wenn die Verpflichtung zur Zahlung<br />

dazu führt, dass der zahlungspflichtige Teil finanziell nicht mehr in der<br />

Lage ist, seine eigene Existenz zu sichern und deshalb ergänzender<br />

Sozialleistungen bedarf. 155 Dagegen soll eine ehebedingte Zuwendung<br />

während intakter Ehe, die dazu führt, dass nach der Scheidung der<br />

verarmte Ehemann Sozialhilfe erhält, nicht sittenwidrig sei. 156 Praktische<br />

Bedeutung hat die Frage des sittenwidrigen Handelns zu Lasten der<br />

Sozialhilfe ferner auch im Erbrecht erlangt. Höchst umstritten ist die<br />

Frage, ob die Ausschlagung einer Erbschaft durch einen Sozialhilfeempfänger,<br />

die dessen Hilfebedürftigkeit fortbestehen lässt, sittenwidrig<br />

ist. Dies wird von der wohl überwiegenden Ansicht bejaht. 157 Das OLG<br />

Hamm 158 nimmt einen Verstoß gegen die Sitten an, wenn nicht ausnahmsweise<br />

legitime Interessen des Erben geeignet sind, die Ausschlagung<br />

nachvollziehbar zu motivieren, da der Sozialhilfeempfänger<br />

für sich die durch das Sozialstaatsprinzip verbürgte Solidarität der staatlichen<br />

Gemeinschaft in Anspruch nimmt und umgekehrt durch die Ausschlagung<br />

der Gemeinschaft eben diese Solidarität seinerseits verweigert.<br />

159 Demgegenüber wurde das sogenannte Behindertentesta-<br />

153 BGHZ 86, 82, 88; BGH, NJW 1992, 3164; BGH, NJW 1994, 248 u. BGH, DNotZ,<br />

2007, 128 = FamRZ 2007, 197 = FuR 2007, 81 = JuS 2007, 778 = MDR 2007, 526 =<br />

NJW 2007, 904 = NotBZ 2007, 53.<br />

154 S. auch Staudinger/Sack, BGB, Neubearb. 2003, § 138 Rn. 360 a. E. u. Bredthauer,<br />

in: Scholz/Stein, Praxishandbuch Familienrecht, Stand: Okt. 2009 Teil T Rn. 45d.<br />

155 BGHZ 178, 322 = DNotZ 2009, 294 = FamRZ 2009, 198 = FF 2009, 72 = FPR 2009,<br />

48 = FuR 2009, 106 = JuS 2009, 1153 = MDR 2009, 266 = MittBayNot 2009, 152 =<br />

NJW 2009, 842 = NotBZ 2009, 63.<br />

156 Vgl. KG, FamRB 2010, 1, das mangels Schenkung eine Rückforderung nach § 528<br />

BGB verneint.<br />

157 OLG Stuttgart, BWNotZ 2002, 65 = FGPrax 2001, 199 = = NJW 2001, 3484 = ZEV<br />

2002, 367; OLG Hamm, ZEV 2009, 471 = NJW-RR 2010, 83 = RNotZ 2009, 603 =<br />

notar 2009, 491; ablehnend LG Aachen, NJW-RR 2005, 307; Mayer, ZEV 2002, 369,<br />

370; Ivo, FamRZ 2003, 6 ff.; MünchKommBGB/Armbrüster, 5. Aufl. 2006, § 138<br />

Rn. 45; Staudinger/Otte, BGB, Neubearb. 2008, § 1942 Rn. 22.<br />

158 OLG Hamm, ZEV 2009, 471 = NJW-RR 2010, 83 = RNotZ 2009, 603 = notar 2009,<br />

491.<br />

159 Zur Einschränkung der Entschließungsfreiheit des Pflichtteilsberechtigten durch die<br />

Möglichkeit der Überleitung des Pflichtteilsanspruchs auf den Sozialhilfeträger unabhängig<br />

von dessen Geltendmachung s. BGH, ZEV 2005, 117 = RNotZ 2005, 176;<br />

BGH, MittBayNot 2006, 340 u. Menzel, Entschließungsfreiheiten im Erbrecht und<br />

Drittinteressen, 2008, S. 193 ff.; s. zur umgekehrten Entscheidung im Insolvenzrecht<br />

175


ment als sittenkonform angesehen. 160 Der Grundsatz der Testierfreiheit<br />

und die Motivation, die eigenen Kinder über die Möglichkeiten des<br />

Sozialrechts hinaus zu begünstigen, sollen der Verfügung die Sittenwidrigkeit<br />

nehmen. Nach anderer Ansicht begründet das Nachrangprinzip<br />

keine Verpflichtung Dritter, einem Bedürftigen zu helfen. 161<br />

Allerdings sind <strong>bei</strong> der parallelen Gestaltung des sogenannten „Überschuldeten-<br />

bzw. Bedürftigen-Testaments“ zum Schutz des Nachlasses<br />

vor dem Träger der Sozialhilfe Bedenken erhoben worden. 162 Seine<br />

Entscheidung, 163 die im Bereich des SGB II ergangen ist, hat das SG<br />

Dortmund damit begründet, dass die Testierfreiheit nicht soweit gehen<br />

könne, dass dem Erben sämtliche Annehmlichkeiten (Hobbies, Reisen<br />

usw.) aus dem Nachlass finanziert würden, während für den Lebensunterhalt<br />

der Steuerzahler aufkommen müsse. Die Frage der Sittenwidrigkeit<br />

von Hausübertragungen ist somit noch nicht völlig geklärt. 164<br />

Es dürfte insoweit auf den Einzelfall ankommen. Bei einem normalen<br />

Vermögen und lediglich dem allgemeinen Pflegerisiko dürfte eine<br />

Sittenwidrigkeit der Hausübertragung selbst dann zu verneinen sein,<br />

wenn durch die <strong>Vertragsgestaltung</strong> versucht wird, das Familienheim der<br />

Familie zu erhalten. Insofern ist schließlich auch das Argument des<br />

BGH zu den sogenannten Behindertentestamenten zutreffend, dass der<br />

Grundsatz der Subsidiarität der Sozialhilfe durch die Einführung von<br />

Schonvermögen durch den Gesetzgeber selbst mehrfach in erheblichem<br />

Maße durchbrochen wurde. 165<br />

bb) Sozialhilfeleistungen <strong>bei</strong> stationärer Pflege<br />

Die Sozialhilfeleistungen unterteilen sich in die Hilfe zum Lebensunterhalt<br />

und die Hilfen zur Bewältigung einzelner Bedarfssituationen (früher:<br />

Hilfen in besonderen Lebenslagen). Hilfe zum Lebensunterhalt wird<br />

Personen gewährt, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder<br />

nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus<br />

BGH, DNotZ 2009, 862 = FamRZ 2009, 1485 = MDR 2009, 1191 = MittBayNot 2010,<br />

52 = NJW-RR 2010, 121 = NZI 2009, 563 = WM 2009, 1517 = ZEV 2009, 469 =<br />

ZinsO 2009, 1461.<br />

160<br />

BGHZ 111, 36, 42 = NJW 1990, 2055; BGHZ 123, 368; BGH, NJW 1994, 248, 250 =<br />

ZEV 1994, 35 u. zuletzt OLG Köln, RNotZ 2010, 139.<br />

161<br />

So Leipold, ZEV 2009,472, 473.<br />

162<br />

SG Dortmund, ZEV 2010, 54 = NJW-Spezial 2009, 760.<br />

163<br />

SG Dortmund, ZEV 2010, 54 = NJW-Spezial 2009, 760; vgl. hierzu krit. Tersteegen,<br />

MittBayNot 2010, 105 ff.; vgl. auch LSG Baden-Württemberg, ZEV 2008, 147;<br />

Werz/Sager, ErbStB 2009, 361 ff. u. Wendt, ZNotP 2008, 1, 3.<br />

164<br />

S. auch VGH Kassel, NVwZ-RR 1996, 511, 512; OLG Frankfurt/Main, NJOZ 2005,<br />

976 u. Schwarz, JZ 1997, 545 ff.<br />

165<br />

BGHZ 111, 3642; BGHZ 123, 368, 376 u. BGH, NJW 1994, 248, 250.<br />

176


ihrem Einkommen und Vermögen, beschaffen können (§ 19 Abs. 1 Satz<br />

1 SGB XII). Es werden diejenigen Mittel gewährt, die zur Bestreitung<br />

des notwendigen Lebensunterhalts erforderlich sind. Dieser umfasst<br />

insbesondere Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat,<br />

Heizung und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens (§ 27 Abs. 1<br />

SGB XII). Außerhalb von Einrichtungen wird der notwendige Lebensunterhalt<br />

durch die pauschalierten Regelsätze grundsätzlich abgedeckt<br />

(§ 28 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). 166 Davon ausgenommen sind Leistungen<br />

für Unterkunft und Heizung (§ 29 SGB XII). 167 Personen die das 65.<br />

Lebensjahr vollendet haben, wird ein Mehrbedarf zuerkannt (§ 30 Abs. 1<br />

SGB XII). Bei Unterbringung in einer stationären Einrichtung wird statt<br />

einer Geldleistung die Leistung als Sachleistung erbracht. Der notwendige<br />

Lebensunterhalt in Einrichtungen umfasst den darin erbrachten<br />

sowie zusätzlich einen weiteren notwendigen Lebensunterhalt (§ 35<br />

Abs. 1 SGB XII). Der weitere notwendige Lebensunterhalt der durch die<br />

in der Einrichtung erbrachten Sachleistungen nicht gedeckt wird, betrifft<br />

insbesondere Kleidung und einen angemessenen Barbetrag ("Taschengeld");<br />

dieser beträgt mindestens 27 % des Eckregelsatzes 168 ) und steht<br />

zur persönlichen Verfügung. Die in der Einrichtung zu leistende Hilfe<br />

zum Lebensunterhalt zählt damit – anders als nach früherer Rechtslage<br />

– nicht mehr zur Hilfe in besonderen Lebenslagen bzw. zu den Hilfen<br />

zur Bewältigung einzelner Bedarfssituationen.<br />

Die Hilfe zur Pflege als Hilfe in einer besonderen Lebenslage (§ 8 Nr. 5<br />

SGB XII) ist als Auffangordnung für den Fall konzipiert, dass die vorrangige<br />

soziale Pflegeversicherung keine Anwendung findet. Da die<br />

Leistungen der Pflegeversicherung nicht vom Bedarfsdeckungsprinzip<br />

ausgehen, sondern "gedeckelt" sind, kommen Leistungen der Hilfe zur<br />

Pflege grundsätzlich ergänzend zu den Leistungen der sozialen Pflegeversicherung<br />

in Betracht. 169 Betroffen ist der von der Pflegeversicherung<br />

nicht gedeckte Pflegebedarf. Zusätzlich wird der Begriff der Pflegebedürftigkeit<br />

im Bereich der Sozialhilfe erweitert. Dies erfolgt zum einen<br />

in zeitlicher Hinsicht, nämlich für einen Pflegebedarf, der voraussichtlich<br />

für weniger als sechs Monate besteht, und zum anderen auch für eine<br />

166 Vgl. aber BVerfG, BeckRS 2010, 46077 = DVBl. 2010, 314 = EuGRZ 2010, 121 =<br />

FamRB 2010, 119 = FamRZ 2010, 429 = KommJur 2010, 137 = NJW 2010, 505 =<br />

NZS 2010, 270.<br />

167 Zu ihnen gehören auch unterkunftsbezogene Nebenkosten (wie Müllabfuhr, Grundsteuer,<br />

Kaminkehrer, nicht jedoch Kosten für Strom, Gas, Warmwasser, Kaltwasser).<br />

168 KSW/Coseriu, 2009, § 35 SGB XII Rn. 6.<br />

169 BVerwGE 111, 241 = NJW 2000, 3512. Da das SGB II keine Leistungen für Bedarfslagen<br />

kennt, können Hilfe zur Pflege auch Personen erhalten, die unter das SGB II<br />

fallen.<br />

177


Pflegebedürftigkeit, die unterhalb der Pflegestufe I angesiedelt ist (sog.<br />

Pflegestufe 0). 170 Zudem ist eine Erweiterung des Kreises der maßgeblichen<br />

Krankheiten und Behinderungen erfolgt (§ 61 Abs. 3 Nr. 4 SGB<br />

XII); ein Anspruch auf Hilfe zur Pflege besteht auch dann, wenn sich der<br />

Hilfebedarf auf andere Verrichtungen als die Katalog-Verrichtungen des<br />

§ 61 Abs. 5 SGB XII bezieht. Für die Unterbringung im Pflegeheim ist<br />

allerdings wichtig, dass § 61 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbs. SGB XII diese<br />

Erweiterung für Hilfen in Einrichtungen wieder einschränkt. Ein Anspruch<br />

auf Hilfe besteht insoweit nur, wenn eine derartige Hilfe nach<br />

den Besonderheiten des Einzelfalls erforderlich ist. Auch hier wird<br />

wiederum der Nachranggrundsatz ausdrücklich hervorgehoben, nämlich<br />

dass ambulante oder teilstationäre Hilfen nicht zumutbar sind oder nicht<br />

ausreichen. Damit wird nochmals der grundsätzliche Vorrang<br />

ambulanter Hilfen betont. 171 Dies gilt nicht wenn die ambulante Leistung<br />

mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden und die stationäre<br />

Unterbringung zumutbar ist (§ 13 Abs. 1 Satz 3 SGB XII, Mehrkostenvorbehalt).<br />

Da<strong>bei</strong> sind hinsichtlich der Zumutbarkeit die persönlichen,<br />

familiären und örtlichen Verhältnisse zu beachten (§ 13 Abs. 1 Satz 5<br />

SGB XII).<br />

Während des Aufenthalts in einer stationären Einrichtung besteht kein<br />

Anspruch auf häusliche Pflege. Anders ist dies <strong>bei</strong> Unterbringung im<br />

Betreuten Wohnen, 172 in dem der Betreffende seinen Haushalt weitgehend<br />

selbstständig führt. 173 Die Hilfe zur Pflege ist gegenüber<br />

anderen Leistungen nachrangig; dies gilt auch gegenüber der Sachleistung<br />

nach § 36 SGB XII, die voll in Anspruch genommen werden<br />

muss, bevor vom Sozialhilfeträger ergänzende Kosten übernommen<br />

werden. 174<br />

cc) Die Grundsicherung im Alter<br />

Da sich der spätere sozialhilferechtliche Rückgriff zur Geltendmachung<br />

des Nachranggrundsatzes in der Praxis häufig gegen Kinder des Hilfeempfängers<br />

richtet, die familienrechtlich zum Unterhalt für ihre Eltern<br />

herangezogen werden, haben viele hilfsbedürftige Menschen, um dies<br />

170<br />

§ 61 Abs. 1 Satz 2 SGB XII; BSGE 85, 278, 287; vgl. KSW/Rixen, 2009, § 61 SGB XII<br />

Rn. 2 u. Grube, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 61 Rn. 11.<br />

171<br />

Vgl. § 13 Abs. 1 Satz 2 SGB XII.<br />

172<br />

Insoweit kommt die Gewährung häuslicher Pflegeleistungen in Betracht (KSW/Rixen,<br />

2009, § 67 SGB XII Rn. 6).<br />

173<br />

§ 63 Satz 3 SGB XII; vgl. Grube, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 63<br />

Rn. 8.<br />

174<br />

KSW/Rixen, 2009, § 67 SGB XII Rn. 6.<br />

178


zu vermeiden, keinen Antrag auf Sozialhilfe gestellt und in verdeckter<br />

Altersarmut 175 gelebt. Dies soll die Grundsicherung im Alter (§§ 41 ff.<br />

SGB XII) vermeiden. Sie kann von Personen, die die Altersgrenze erreicht<br />

haben, beantragt werden. 176 Dies ist <strong>bei</strong> vor dem 1.1.1947 geborenen<br />

Personen mit Erreichen des 65. Lebensjahres der Fall (§ 41<br />

Abs. 2 Satz 2 SGB XII). Für danach geborene Personen steigt die<br />

Altersgrenze bis zum Geburtsjahrgang ab 1964 auf 67 Jahre an (§ 41<br />

Abs. 2 Satz 3 SGB XII). Nicht maßgeblich ist, ob eine Rente der gesetzlichen<br />

Rentenversicherung bezogen wird oder eine derartige Berechtigung<br />

besteht. Deshalb können <strong>bei</strong>spielsweise auch Selbstständige<br />

leistungsberechtigt sein. 177 Die Leistungen orientieren sich im Wesentlichen<br />

an den Regelsätzen der Sozialhilfe.<br />

Die Leistung der Grundsicherung wird – anders als die Sozialhilfe im<br />

Übrigen – nur auf Antrag gewährt (§ 41 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Voraussetzung<br />

ist, dass der Betreffende seinen notwendigen Lebensbedarf<br />

nicht aus Einkommen und Vermögen decken kann. Auch hier ist Einkommen<br />

dasjenige, was der Antragsteller in der Bedarfszeit wertmäßig<br />

erhält, während Vermögen dasjenige ist, was er zu Beginn der Bedarfszeit<br />

bereits hat. 178<br />

Entsprechend dem Zweck der Grundsicherung im Alter bleiben Unterhaltsansprüche<br />

der Antragsberechtigten gegenüber ihren Eltern und<br />

ihren Kindern insoweit unberücksichtigt, als deren jährliches Gesamteinkommen<br />

(§ 16 SGB IV) unter einem Betrag von 100.000 Euro liegt<br />

(§ 43 Abs. 2 Satz 1 SGB XII). Der Wortlaut dieser Unterhaltsprivilegierung<br />

bezieht sich nur auf Unterhaltsansprüche gegenüber<br />

Eltern und Kindern; allerdings schließt § 94 Abs. 1 Satz 3 SGB XII einen<br />

Übergang von Unterhaltsansprüchen aus, wenn die unterhaltsberechtigte<br />

Person zum Personenkreis des § 19 SGB XII gehört oder<br />

die unterhaltspflichtige Person mit der leistungsberechtigten Person<br />

vom zweiten Grad an verwandt ist. Hinzugefügt ist, dass der Übergang<br />

des Anspruchs des Leistungsberechtigten <strong>bei</strong> der Grundsicherung<br />

gegenüber Kindern und Eltern ausgeschlossen ist. Diese Formulierung<br />

lässt den Streit, ob die Unterhaltsprivilegierung auch auf Verwandte<br />

175 Vgl. BT-Drs. 14/4595 S. 39.<br />

176 In gleicher Weise gilt dies für Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und<br />

dauerhaft voll erwerbsgemindert sind (§ 41 Abs. 1 Satz 1, § 41 Abs. 3 SGB XII, § 43<br />

Abs. 2 SGB VI).<br />

177 S. nur Deibel, NWVBl. 2003, 44, 46.<br />

178 Vgl. dazu oben Ziff. 2. a, aa sowie BVerwGE 108, 269 = NVwZ 1999, 653 = ZIP 1999,<br />

538 u. Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 41 Rn. 10.<br />

179


zweiten und höheren Grades auszudehnen ist, weiter bestehen. 179 Die<br />

Nichtberücksichtigung von Unterhaltsansprüchen betrifft zudem nicht<br />

tatsächlich erbrachte Unterhaltsleistungen; sie sind, sofern sie nicht nur<br />

deshalb erbracht werden, weil der Hilfeträger noch nicht entschieden<br />

hat, bedarfsdeckend oder als Einkommen zu berücksichtigen.<br />

Zu beachten ist, dass im Bereich der Grundsicherung verschiedene<br />

Einkommensbegriffe verwendet werden. Hinsichtlich des Einkommens<br />

des Leistungsberechtigten gilt der sozialhilferechtliche Einkommensbegriff.<br />

Bezüglich der Entscheidung über die Heranziehung Unterhaltspflichtiger<br />

ist hingegen der einkommensteuerrechtliche Einkommensbegriff<br />

maßgebend. Es handelt sich um das Bruttogesamteinkommen,<br />

nämlich die Summe der Einkünfte im Sinne des Einkommensteuergesetzes.<br />

Hierzu gehören neben den Einkünften aus selbstständiger<br />

und unselbstständiger Tätigkeit auch z. B. Einkünfte aus Vermietung<br />

und Verpachtung sowie Kapitalerträge sowie Einkünfte aus Leibrenten<br />

oder sonstigen monatlich wiederkehrenden Zahlungen. Werbungskosten<br />

können abgesetzt werden. Sonderausgaben und außergewöhnliche<br />

Belastungen, insbesondere vorrangige Unterhaltspflichten,<br />

mindern die Einkünfte dagegen nicht.<br />

Es kommt auf das Einkommen jedes einzelnen Unterhaltspflichtigen an.<br />

Das Einkommen mehrerer Kinder darf da<strong>bei</strong> nicht zusammengerechnet<br />

werden. 180 Das Gesetz (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB XII) enthält die<br />

widerlegliche Vermutung, dass das Einkommen der Unterhaltspflichtigen<br />

die vorgenannte Grenze nicht überschreitet. Bei hinreichenden<br />

Anhaltspunkten (z. B. hochqualifizierter Beruf, umfangreiche<br />

Mietobjekte) kann vom Betreffenden Auskunft verlangt und die Vermutung<br />

widerlegt werden. Eine generelle Überprüfung der Einkommensverhältnisse<br />

der Kinder ist jedoch <strong>bei</strong> einem Antrag auf<br />

Grundsicherung nicht vorgesehen, sondern erst gerechtfertigt, wenn<br />

diesbezügliche Anhaltspunkte vorliegen. In diesem Fall entfällt der Anspruch<br />

auf Grundsicherung im vollen Umfang. 181<br />

179 Verneinend Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 43 Rn. 11 a.<br />

E. u. KSW/Kreikebohm, § 43 SGB XII Rn. 6.<br />

180 Ehmann, in: MAH Sozialrecht, 3. Aufl. 2009, § 38 Rn. 42; Wahrendorf, in:<br />

Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 43 Rn. 13 u. Klinkhammer, FamRZ<br />

2002, 997, 999. Umstritten ist, ob <strong>bei</strong> den Elternteilen ein Zusammenrechnen des<br />

Einkommens erfolgen soll, was wohl zu verneinen ist (Schoch, in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm,<br />

SGB XII, 17. Aufl. 2006, § 43 Rn. 9).<br />

181 Dies betrifft allerdings nicht den Ausschluss der Sozialhilfe, nämlich der Hilfe zum<br />

Lebensunterhalt insgesamt, wenn der Betroffene keine Leistungen vom Unterhalts-<br />

180


Die Grundsicherung enthält noch eine weitere Einschränkung des<br />

sozialhilferechtlichen Nachrangprinzips. Auch der Ersatz der Kosten<br />

durch die Erben ist nämlich <strong>bei</strong> Leistungen der Grundsicherung ausgeschlossen<br />

(§ 102 Abs. 5 SGB XII).<br />

Keinen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung haben Antragsberechtigte,<br />

die in den letzten zehn Jahren ihre Bedürftigkeit vorsätzlich<br />

oder grob fahrlässig her<strong>bei</strong>geführt haben (§ 41 Abs. 4 SGB XII). Nach<br />

dem Willen des Gesetzgebers 182 soll die missbräuchliche Inanspruchnahme<br />

von Grundsicherungsleistungen verhindert werden. Gedacht ist<br />

hier<strong>bei</strong> an Fälle, in denen Personen ihr Vermögen ohne Rücksicht auf<br />

die Notwendigkeit von Rücklagen für das Alter verschleudern oder verschenken.<br />

183 Es kommt hier<strong>bei</strong> allein auf das Verhalten der antragsberechtigten<br />

Person an, nicht auf dasjenige ihm nahestehender<br />

Personen wie z. B. Ehegatten und Kinder. Vorsätzlich oder grob fahrlässig<br />

ist das Verhalten des betreffenden Elternteils, wenn die Notwendigkeit<br />

der Unterstützung zum Lebensunterhalt von ihm vorausgesehen<br />

wurde oder zumindest sicher hätte vorausgesehen werden<br />

müssen. Grobe Fahrlässigkeit setzt voraus, dass er die erforderliche<br />

Sorgfalt in besonderem Maße verletzt. Er muss sich ferner der Rechtswidrigkeit<br />

seines Handelns bewusst gewesen sein, das heißt er hätte<br />

zumindest erkennen müssen, dass er einen Anspruch auf Grundsicherung<br />

durch sein Verhalten her<strong>bei</strong>führt. Umstritten ist, ob zusätzlich<br />

ein Unwerturteil in Form eines sozialwidrigen Verhaltens zu fordern<br />

ist. 184 Beispiel ist der Verzicht auf eine mögliche Altersvorsorge <strong>bei</strong><br />

selbstständig tätigen Personen. Inwieweit auch eine Schenkung von<br />

Eltern hinsichtlich ihres Immobilienvermögens, das einen Teil der<br />

Alterssicherung ausmacht, zum Anspruchsausschluss führt, ist fraglich.<br />

Grundsätzlich sind hier<strong>bei</strong> die konkreten Einzelfalls zu berücksichtigen.<br />

Das Zivilrecht sieht bereits innerhalb von zehn Jahren nach der<br />

Schenkung eine Rückforderung <strong>bei</strong> Bedürftigkeit des Schenkers vor. 185<br />

Auch wegen dieser Wertung sollen Immobilienübertragungen an Kinder<br />

pflichtigen erhält; in diesem Fall geht der Unterhaltsanspruch gegen den Unterhaltsschuldner<br />

auf den Sozialhilfeträger kraft Gesetzes über (§ 94 SGB XII).<br />

182 Vgl. BT-Drs. 14/5140 S. 49; vgl. auch Schoch, ZfF 2003, 11 f.<br />

183 S. nur Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 41 Rn. 29.<br />

184 Bejahend Deibel, NWVBl. 2003, 44, 51 u. Ehmann, in: MAH Sozialrecht,<br />

3. Aufl. 2009, § 38 Rn. 47. Verneinend Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII,<br />

3. Aufl. 2010, § 42 Rn. 29 u. KSW/Kreikebohm, § 42 SGB XII Rn. 18.<br />

185 Fälle, in denen wesentliches Vermögen auf unterhaltspflichtige Kinder vor dem Hintergrund<br />

übertragen wird, dass ein unterhaltsrechtlicher Rückgriff <strong>bei</strong> der Grundsicherung<br />

weitgehend ausgeschlossen ist, können zum Anspruchsausschluss führen<br />

(Ehmann, in: MAH Sozialrecht, 3. Aufl. 2009, § 38 Rn. 48).<br />

181


egelmäßig nicht unter die sozialhilferechtliche Missbrauchsvorschrift<br />

fallen. Derartige Verfügungen erfolgen zudem aus familiären Gründen<br />

und nicht im Hinblick auf eine missbräuchliche Inanspruchnahme der<br />

Grundsicherung. Von einer sozialen Adäquanz wird da<strong>bei</strong> insbesondere<br />

dann ausgegangen, wenn dem Schenker ein lebenslanges, unentgeltliches<br />

Wohn- oder Nießbrauchsrecht eingeräumt wird. Die Sozialadäquanz<br />

wird in diesem Zusammenhang deshalb bejaht, weil diese<br />

Rechte nach dem sozialrechtlichen Schriftum <strong>bei</strong>m Pflegeheimaufenthalt<br />

der Eltern bewertet werden können. 186<br />

Maßgeblich für den Lauf der Zehnjahresfrist ist der Zeitpunkt der Vornahme<br />

der Handlung. Ob es insoweit <strong>bei</strong> einer Immobilienzuwendung<br />

auf den Zeitpunkt des Abschlusses des schuldrechtlichen Vertrages<br />

oder den grundbuchamtlichen Vollzug ankommt, ist ungeklärt. 187 Liegt<br />

der entsprechende Vorgang innerhalb der Zehnjahresfrist, wird mitunter<br />

versucht, durch freiwillige Zuwendung von Mitteln die Bedürftigkeit der<br />

Eltern so lange hinauszuschieben, bis der Zehnjahreszeitraum verstrichen<br />

ist. Das diesbezügliche Zusammenwirken der Eltern mit dem<br />

Kind, das allein das Ziel hat, den Ablauf der Zehnjahresfrist her<strong>bei</strong>zuführen,<br />

ist als sozialwidriges Verhalten einzustufen, 188 das zum Ausschluss<br />

der Grundsicherung nach § 41 Abs. 4 SGB XII führt.<br />

Die Grundsicherung deckt lediglich die Kosten des notwendigen<br />

Lebensbedarfs. Besonderheiten im Verhältnis zu "normalen" Sozialhilfegewährung<br />

nach den §§ 28 ff. SGB XII bestehen nicht (§ 42 SGB<br />

XII). Eine Verweisung auf § 35 SGB XII enthält das Gesetz nicht.<br />

Lediglich hinsichtlich Aufwendungen für Unterkunft und Heizung wird<br />

geregelt, dass <strong>bei</strong> stationärer Unterbringung Beträge in Höhe der durchschnittlich<br />

angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für die Warmmiete<br />

eines Ein-Personen-Haushalts im Bereich der zuständigen Behörde<br />

(§ 98 SGB XII) zugrunde zu legen sind (§ 42 Satz 1 Nr. 2 SGB<br />

XII). Gleichwohl wird man davon ausgehen können, dass es sich <strong>bei</strong> der<br />

fehlenden Verweisung auf § 35 SGB XII hinsichtlich des notwendigen<br />

Lebensunterhalts in stationären Einrichtungen um ein Redaktionsversehen<br />

handelt und somit auch im Grundsicherungsrecht z. B. eine angemessene<br />

Kleidung und ein kleiner Barbetrag als Taschengeld an<br />

Personen, die die Grundsicherung erhalten, zu erbringen sind. 189<br />

186 So ausdrücklick Ehmann, in: MAH Sozialrecht, 3. Aufl. 2009, § 38 Rn. 48.<br />

187 Zur entsprechenden Frage <strong>bei</strong> § 528 BGB s. lit. b, bb.<br />

188 So Ehmann, in: MAH Sozialrecht, 3. Aufl. 2009, § 38 Rn. 52.<br />

189 Ebenso KSW/Kreikebohm, § 42 SGB XII Rn. 3.<br />

182


) Verwertung des eigenen Einkommens und Vermögens<br />

aa) Austragsleistungen als Einkommen?<br />

Eltern, die ins Pflegeheim kommen, müssen zur Deckung der anfallenden<br />

Kosten eigenes Einkommen grundsätzlich vollständig einsetzen.<br />

Dies gilt auch im Bereich der Grundsicherung. Das Einkommen<br />

umfasst alle den Eltern zufließenden Mittel und neben den Einkünften in<br />

Geld auch solche mit Geldeswert (§ 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Zu den<br />

Einkünften in Geld zählen in den betreffenden Fällen vor allem Renteneinkünfte,<br />

auch aus Zusatzrenten, und Einkünfte aus Kapitalvermögen.<br />

Bei den geldwerten Einkünften handelt es sich insbesondere um Sachbezüge,<br />

also die Gewährung von Kost und Wohnung, aber auch die<br />

unentgeltliche Nutzung eines Personenkraftwagens. 190 Die Bewertung<br />

erfolgt aufgrund der sozialversicherungsrechtlichen Festlegung der<br />

Sachbezüge 191 bzw., falls ein solcher nicht festgesetzt ist, nach den<br />

üblichen Mittelpreisen des Verbrauchsorts. 192<br />

Von erheblicher Bedeutung ist die zeitliche Zuordnung des Einkommens<br />

und damit die Abgrenzung vom Vermögen. 193 Nach der Rechtsprechung<br />

des BVerwG 194 und im Anschluss daran auch das BSG 195 ist das<br />

Zuflussprinzip maßgeblich. Einkommen ist danach alles, was der<br />

Leistungsberechtigte in der Bedarfszeit wertmäßig erhält. Es kommt<br />

somit auf den tatsächlichen Zufluss an. Vermögen ist dagegen dasjenige,<br />

was der Bedürftige im Bedarfszeitraum bereits hat. Hieraus<br />

wurde lange Zeit der Schluss gezogen, dass Mittel, die der Bedürftige<br />

im Bedarfszeitraum, das heißt regelmäßig in dem Hilfemonat, erhalten<br />

und nicht vollständig verbraucht hat, im folgenden und allen weiteren<br />

Bedarfszeiträumen als Vermögen anzusehen sind. 196 Allerdings geht<br />

190 S. nur Brühl, in: LPK-SGB XII, 8. Aufl. 2008, § 82 Rn. 25.<br />

191 §§ 2 f. SvEV (SozialversicherungsentgeltVO).<br />

192 Vgl. § 2 Abs. 1 VO zu § 82 SGB XII (EinkommensberechnungsVO).<br />

193 S. nur BSG, NZS 2009, 512.<br />

194 BVerwG, NJW 1990, 3649 = FamRZ 1999, 1654.<br />

195 S. nur BSGE 98, 121 = FamRZ 2008, 51 = NJW 2008, 395 = NZS 2008, 156 = SGb<br />

2007, 682 u. BSG, BeckRS 2007, 46145; BSGE 102, 295 = NJW 2009, 3323 = NZA-<br />

RR 2009, 613 = NZS 2010, 158; BSG, NJW 2009, 3806 = NVwZ-RR 2009, 963 =<br />

NZS 2009, 512; BSG, BeckRS 2009, 55581 = NJOZ 2009, 2131 = NJW 2009, 2159<br />

u. BSG, BeckRS 2009, 67779.<br />

196 VGH Kassel, FamRZ 2005, 1020; ähnlich BVerwG, NJW 2004, 2608. S. auch SG<br />

Aachen, ZEV 2008, 150; LSG Baden-Württemberg, NZS 2007, 606 = ZEV 2008, 546<br />

u. BSG, NZS 2006, 49.<br />

183


nunmehr das BSG 197 davon aus, dass die rechtliche Wirkung des<br />

Zuflussprinzips nicht im Monat des Zuflusses endet, sondern sich auf<br />

den Verteilzeitraum erstreckt. Dieser beginnt mit dem Zeitpunkt des<br />

Zuflusses der einmaligen Einnahme und erfasst zunächst den gesamten<br />

Bewilligungszeitraum. Er endet auch nicht mit dem Ablauf des<br />

laufenden Bewilligungszeitraums. Die Bewertung als Einkommen ändert<br />

sich nicht durch eine neue Antragstellung. Einkommen wird durch sie<br />

nicht gleichsam zum Vermögen. 198 Konsequenz ist, dass der Einkommensbegriff<br />

gegenüber dem Vermögensbegriff erheblich ausgedehnt<br />

wird. Dies ist insofern von besonderer Bedeutung, als die Ausnahmen<br />

von der Einkommensberücksichtigung eng gefasst sind. 199<br />

Bedeutung haben hinsichtlich der Einkommensabsetzungen nur zu<br />

entrichtende Einkommens- und Kirchensteuern sowie Beiträge zu Versicherungen,<br />

die ein Risiko abdecken, für das andernfalls der Sozialhilfeträger<br />

eintreten müsste, also insbesondere eine Sterbegeld- und<br />

Hausrats- und wohl auch Haftpflichtversicherung (§ 82 Abs. 2 Nr. 3 Satz<br />

2 SB XII). Betroffen ist insbesondere das Pflegegeld nach dem SGB XII,<br />

wenn die Eltern zusätzlich Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten. Gleiches<br />

gilt, wenn die Person, der das Pflegegeld zugewendet wird, Sozialhilfeleistungen<br />

erhält. 200 Geht man von Einkommen aus, das für den Fall<br />

des unterbliebenen Verbrauchs kein Vermögen wird, handelt es sich um<br />

eine Leistung, die weiterhin anrechnungsfähig bleibt.<br />

Die im Rahmen von Überlassungsverträgen mitunter vereinbarten<br />

monatlichen Zahlungen (Rente, dauernde Last) stellen unzweifelhaft<br />

einsatzpflichtiges Einkommen im Rahmen der Sozialhilfe dar. Gleiches<br />

gilt für Sachleistungen z. B. den Vorbehalt eines Wohnungsrechts, die<br />

Gewährung von Verköstigung, die Erbringung von Pflegeleistungen und<br />

die Stellung eines Kraftfahrzeugs oder die Erbringung von Fahrleistungen.<br />

Aus diesem Grund wird zwischenzeitlich häufig auf diese<br />

vom Hausübergeber gewünschten Leistungen auf Druck der Kinder<br />

verzichtet, da diese <strong>bei</strong> Heimunterbringung der Eltern auch nach Ablauf<br />

des Zehnjahreszeitraums des § 528 BGB nicht mit Zahlungen an den<br />

197<br />

BSG, NVwZ-RR 2009, 642 = NJW 2009, 2155 = NZS 2009, 634; LSG NRW, FEVS<br />

2007, 332 = LNR 2006, 14162; LSG Niedersachsen Bremen, NZS 2009, 114; LSG<br />

Baden-Württemberg, BeckRS 2007, 41689.<br />

198<br />

BSG, NVwZ-RR 2009, 642 = NJW 2009, 2155 = NZS 2009, 634 u. dazu Döring-<br />

Striening, ErbR 2009, 362, 364. Vgl. auch Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB<br />

XII, 3. Aufl. 2010, § 90 Rn. 10.<br />

199<br />

Vgl. § 82 Abs. 3 SGB XII und dazu kurz FA-FamR/Diehl, 7. Aufl. 2009, 14. Kap.<br />

Rn. 140.<br />

200<br />

BVerwG, FamRZ 1993, 183 = MDR 1993, 396 = NJW 1993, 676; vgl. auch LSG<br />

Hamburg, BeckRS 2006, 43073.<br />

184


Sozialhilfeträger belastet werden wollen. Häufig dient das Argument,<br />

dass "die Eltern von diesen Zahlungen an die öffentliche Hand nichts<br />

haben", das in gleicher Weise <strong>bei</strong>m behinderten Kind Ausgangspunkt<br />

für die Gestaltung einer testamentarischen Verfügung ist, als Begründung<br />

für den Wunsch, diesbezüglich keine vertragliche Pflicht zu<br />

Leistungen zu übernehmen. Umgekehrt ist die Hoffnung, dass dann der<br />

Hausübernehmer in erster Linie für die Eltern "zahlen" müsse, häufiger<br />

Anlass weichender Geschwister, auf die diesbezüglichen Leistungen<br />

"im Interesse der Eltern" zu bestehen. Bei jüngeren Übergebern werden<br />

deshalb seit Inkrafttreten der jährlichen "Abschichtung" gemäß § 2325<br />

Abs. 3 Satz 2 BGB <strong>bei</strong>m Pflichtteil vermehrt Geschwister auf Wunsch<br />

der Übergeber und Übernehmer nicht mehr an der Hausübertragung<br />

beteiligt.<br />

Geldzahlungspflichten im Rahmen von Hausüberlassungen haben den<br />

vorgenannten Effekt tatsächlich, da sie <strong>bei</strong> Leistungsfähigkeit des Übernehmers<br />

zu Einkommen der Eltern führen und dadurch den nicht gedeckten<br />

Fehlbetrag des Pflegeheimaufenthalts mindern, so dass auch<br />

etwaige Ansprüche des Sozialhilfeträgers gegen die weichenden Geschwistern<br />

reduziert werden. Im Hinblick auf die bis zum 31.12.2007<br />

bestehende Möglichkeit des Zahlenden, eine im Rahmen einer Vermögensübertragung<br />

vereinbarte dauernde Last in voller Höhe gemäß<br />

§ 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG a. F. als Sonderausgabe geltend zu machen, 201<br />

wurden derartige Zahlungen häufig vereinbart. Dies galt auch dann,<br />

wenn eine spätere Inanspruchnahme für Pflegeheimkosten denkbar<br />

war. Hintergrund war zum einen, dass Hausübernehmern, die ohnehin<br />

einen Teil ihres Einkommens oder Vermögens für Pflegekosten einsetzen<br />

mussten, den steuerlichen "Mitnahmeeffekt" nutzen wollten.<br />

Zudem wurde durch die Zahlung das Risiko der Sittenwidrigkeit oder<br />

sozialhilferechtlichen Leistungsstreichung oder -kürzung gemindert. Die<br />

durch das Jahressteuergesetz 2008 beschränkte Möglichkeit der<br />

steuerlichen Absetzbarkeit von wiederkehrenden Leistungen auf die<br />

Übertragung eines Mitunternehmeranteils an einem land- und forstwirtschaftlichen<br />

Betrieb, einem Gewerbebetrieb oder <strong>bei</strong> einer selbstständigen<br />

Tätigkeit, eines Betriebs oder Teilbetriebs sowie eines<br />

mindestens 50 % betragenden Anteils an einer GmbH, wenn der Übergeber<br />

Geschäftsführer war und der Übernehmer diese Tätigkeit nach<br />

der Übertragung übernimmt, hat dazu geführt, 202 dass seit diesem Zeitpunkt<br />

monatliche Zahlungen an einen Hausübergeber nahezu nicht<br />

201 BFH, BStBl. II 1992, 78.<br />

202 S. nur Spiegelberger/Wälzholz, in: Spiegelberger/Spindler/Wälzholz, Die Immobilie im<br />

Zivil- und Steuerrecht, 2008, Kap. 2 Rn. 266 ff.<br />

185


mehr vereinbart werden. Lediglich <strong>bei</strong> Immobilienübertragungen, <strong>bei</strong><br />

denen der Übergeber eine Wohnung im übergebenen Objekt oder in<br />

einer Einrichtung des Betreuten Wohnens mietet, werden noch<br />

Zahlungen als wiederkehrende Leistungen vereinbart. 203<br />

Der Umstand, dass Sachleistungen, die im Rahmen einer Immobilienübertragung<br />

vereinbart werden, auf die Sozialhilfe anzurechnen sind,<br />

führt nicht von vornherein dazu, dass diese Sachleistung in eine Geldleistung<br />

umgewandelt wird und sie der Sozialhilfeträger für die Zeit der<br />

Leistungserbringung durch schriftliche Anzeige bis zur Höhe seiner<br />

Aufwendungen auf sich überleiten kann (§ 93 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). 204<br />

Hierfür ist mangels spezieller sozialhilferechtlicher Vorschriften das<br />

Recht des entsprechenden Anspruchs maßgeblich, also <strong>bei</strong> einer<br />

Hausübertragung das Zivilrecht. 205<br />

Hinsichtlich der vereinbarten Leistungen ist zunächst zivilrechtlich zu<br />

unterscheiden: Ein dinglich gesichertes Wohnrecht ist bereits kraft<br />

Gesetzes nicht übertragbar (§ 1092 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Ausübung<br />

der Überlassung an einen anderen ist nur zulässig, wenn dies ausdrücklich<br />

gestattet ist. 206 Andernfalls ist sie ausgeschlossen (§ 1092<br />

Abs. 1 Satz 2 BGB). Auch Ansprüche auf Pflegeleistungen stehen dem<br />

Übergeber persönlich zu und sind deshalb nicht übertragbar. Gleiches<br />

gilt für die Verpflichtung zur Erbringung von Fahrleistungen. Beim Nießbrauch,<br />

der <strong>bei</strong> der Übertragung einer Immobilie im städtischen Bereich<br />

häufig vorbehalten wird, 207 besteht bereits gesetzlich eine Ausübungsüberlassung<br />

als Rechtsinhalt (§ 1059 Satz 2 BGB). Sie kann jedoch<br />

ausgeschlossen werden. 208 Allerdings kann dies an der Pfändbarkeit<br />

dieses Rechts nichts ändern. 209<br />

Inwieweit im Rahmen einer Hausüberlassung vereinbarte Verpflichtungen<br />

des Übernehmers im Fall der Pflegebedürftigkeit des Übergebers<br />

in "Geldleistungen" mutieren, ist im Einzelfall zu beurteilen.<br />

Grundlage kann nämlich, wenn keine Anpassung wegen des Wegfalls<br />

203<br />

Spindler, in: Spiegelberger/Spindler/Wälzholz, Die Immobilie im Zivil- und Steuerrecht,<br />

2008, Kap. 14 Rn. 33 ff.<br />

204<br />

A. A. Schellhorn/Schellhorn, BSHG, 16. Aufl. 2002, § 90 Rn. 42.<br />

205<br />

S. nur OLG Zweibrücken, NJW-RR 2001, 436 = FamRZ 2001, 660.<br />

206<br />

Eine Pfändbarkeit besteht nur <strong>bei</strong> einer entsprechenden Ausübungsüberlassung<br />

(§§ 851 Abs. 1, 857 Abs. 3 ZPO); vgl. dazu Eyckmann, NotBZ 2008, 257, 258 f.<br />

207<br />

Vgl. nur Feick, in; Beck´sches Formularbuch Bürgerliches Handels- und Wirtschaftsrecht,<br />

10. Aufl. 2010, Form. III. C.1.<br />

208<br />

S. nur BGHZ 95, 99 = NJW 1985, 2827.<br />

209<br />

S. nur BGHZ 95, 99 = NJW 1985, 2827 u. Eyckmann, NotBZ 2008, 257, 258.<br />

186


der Geschäftsgrundlage erfolgt, nur die (ergänzende) Auslegung der<br />

vertraglichen Vereinbarungen sein. Aufgrund der dargestellten<br />

Interessenlage der unmittelbar an der Übertragung beteiligten Beteiligten,<br />

nämlich der Eltern und des übernehmenden Kindes, Kommt<br />

eine Auslegung des Inhalts, dass an Stelle der nicht mehr erfüllbaren<br />

Verpflichtungen eine Zahlung zu den ungedeckten Kosten der Heimunterbringung<br />

geschuldet wäre, regelmäßig nicht in Betracht. Den<br />

"Makel", dadurch zum "Sozialfall" zu werden, dürfte jedenfalls <strong>bei</strong><br />

höheren Kosten die Mehrheit der Bevölkerung heute hinnehmen. 210 Die<br />

Automatik, dass <strong>bei</strong> medizinisch notwendiger Unterbringung in einem<br />

Pflegeheim zwar keine Erstattung der Kosten der Heimunterbringung<br />

geschuldet wird, aber die Beteiligung an ihnen in Höhe der ersparten<br />

Aufwendungen 211 aufgrund einer ergänzenden Vertragsauslegung hat<br />

der BGH 212 zunächst bestätigt. Jedenfalls wenn sich aus dem Vertrag<br />

der Wille ergibt, dem Übergeber eine umfassende Altersversorgung zu<br />

gewähren (Wohnung, Verköstigung, häusliche Dienste, Pflege und<br />

Taschengeld), soll dies zeigen, dass eine umfassende Versorgung<br />

durch die Familie gewünscht werde. Dies gelte nicht nur <strong>bei</strong> der Übertragung<br />

einer Wirtschaftseinheit, sondern auch <strong>bei</strong> Übertragung von<br />

Grundbesitz im Wege der vorweggenommenen Erbfolge wenn im<br />

Gegenzug der veräußernde Elternteil wegen seiner Grundbedürfnisse<br />

für den Lebensabend abgesichert sein wolle. Eine derartige Auslegung<br />

des Übergabevertrags vermeidet jedenfalls sozialhilferechtlich einen<br />

Wegfall der Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers und das Risiko der<br />

Sittenwidrigkeit.<br />

Allerdings wurde diese Rechtsprechung zunehmend eingeschränkt.<br />

Zum Wohnungsrecht, <strong>bei</strong> dem teilweise der Übernehmer von zwei<br />

Hausgrundstücken die Nebenkosten tragen sollte, hat der BGH 213 ent-<br />

210 Anders noch BGH, DNotZ 2002, 702, 705 = FamRZ 2002, 1178 = MDR 2002, 271 =<br />

MittBayNot 2002, 179 = NJW 2002, 440 = NotBZ 2002, 182 = RNotZ 2002, 279 = WM<br />

2002, 598 = ZEV 2002, 116 u. wohl auch OLG Koblenz, FamRZ 1999, 256 =<br />

MittBayNot 1999, 284 u. OLG Koblenz, FamRZ 2004, 1723 = MDR 2004, 452 = NJW-<br />

RR 2004, 1375 = RNotZ 2005, 227 = ZEV 2004, 341; vgl. Krüger, ZNotP 2010, 2 ff.<br />

Anders weiterhin Jeinsen, Agrarrecht 2002, 368 f.<br />

211 So noch BGH, DNotZ 2002, 702, 705 = FamRZ 2002, 1178 = MDR 2002, 271 =<br />

MittBayNot 2002, 179 = NJW 2002, 440 = NotBZ 2002, 182 = RNotZ 2002, 279 = WM<br />

2002, 598 = ZEV 2002, 116; vgl. dazu Krüger, ZNotP 2010, 2 ff. u. krit. Mayer,<br />

MittBayNot 2002, 152 ff.<br />

212 BGH, FamRZ 2004, 690 = MittBayNot 2004, 180 = NJW-RR 2003, 577 = NotBZ<br />

2003, 314 = RNotZ 2003, 450 = ZEV 2003, 211; vgl. Krüger, ZNotP 2010, 2, 3 f.<br />

213 BGH, DNotZ 2008, 703 = DWW 2007, 150 = FamRZ 2007, 632 = MDR 2007, 708 =<br />

MittBayNot 2008, 42 = NJW 2007, 1884 = NotBZ 2007, 133 = NZM 2007, 381 =<br />

187


schieden, dass die beschränkte persönliche Dienstbarkeit erlischt, wenn<br />

ihre Ausübung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen dauernd<br />

unmöglich wird. Dies ist <strong>bei</strong> einem auf Dauer bestehenden Heimaufenthalt<br />

jedoch noch nicht der Fall; ein in der Person des Berechtigten<br />

liegendes Ausübungshindernis führt nämlich nicht generell zum<br />

Erlöschen des Wohnungsrechts. 214 Die Geschäftsgrundlage für die Bestellung<br />

des Wohnungsrechtes fällt grundsätzlich nicht weg, da jeder<br />

Beteiligte <strong>bei</strong> der Vereinbarung des lebenslangen Wohnungsrechts<br />

damit rechnen muss, dass der Berechtigte sein Recht wegen Krankheit<br />

oder Pflegebedürftigkeit nicht bis zu seinem Tod ausüben kann. Eine<br />

Anpassung nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage<br />

scheidet zudem aus, wenn nicht feststeht, dass der wohnungsberechtigte<br />

Elternteil gegebenenfalls unter Aufnahme von Pflegepersonen<br />

(§ 1093 Abs. 2 BGB) unter keinen Umständen in die frühere<br />

Wohnung zurückkehren kann. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor,<br />

kann sich nur aus einer ergänzenden Vertragsauslegung ein Geldanspruch<br />

des Berechtigten ergeben. Im konkreten Fall hatten die Mutter<br />

und ihr Sohn eine Vermietungsvereinbarung hinsichtlich der dem<br />

Wohnungsrecht der Mutter unterliegenden Räume getroffen; der Sohn<br />

wollte für die Mutter im eigenen Namen die Vermietung vornehmen.<br />

Eine Regelung, wem die Mieteinnahmen zustehen sollten, wurde nicht<br />

getroffen. Eine diesbezügliche Auslegung darf den Sohn nicht besser<br />

stellen. Deshalb ergibt sich aufgrund der ergänzenden Auslegung der<br />

Vermietungsvereinbarung, also nicht des Überlassungsvertrages, dass<br />

der Sohn seiner Mutter auch die tatsächlich ersparten Aufwendungen,<br />

d. h. die von ihm nach den Regelungen im Übergabevertrag zu<br />

tragenden Nebenkosten erstatten muss, soweit diese vom Mieter getragen<br />

werden, und die Mieteinnahmen an die Mutter auskehren<br />

muss. 215<br />

Diese Rechtsprechung hat der BGH weiter bestätigt: Der Wegfall der<br />

Geschäftsgrundlage kommt danach <strong>bei</strong> einem dauerhaften Umzug in<br />

ein Pflegeheim nicht in Betracht, da <strong>bei</strong> Vereinbarung eines lebenslangen<br />

Wohnungsrechts jeder Vertragsteil damit rechnen muss, dass<br />

der Berechtigte sein Recht wegen Krankheit und Pflegebedürftigkeit<br />

nicht bis zu seinem Tod ausüben kann. Der Umzug in das Pflegeheim<br />

Rpfleger 2007, 308 = WM 2007, 1851 = WuM 2007, 139 = ZEV 2007, 391 = ZfIR<br />

2007, 635; vgl. Krüger, ZNotP 2010, 2, 4 f.<br />

214 Ebenso OLG Zweibrücken, OLGZ 1987, 27; OLG Oldenburg, NJW-RR 1994, 467,<br />

468; OLG Köln, NJW-RR 1995, 1358; OLG Celle, MDR 1998, 1344 u. OLG Düsseldorf,<br />

Rpfleger 2001, 542, 543 = DNotI-Report 2001, 166.<br />

215 Vgl. hierzu Auktor, MittBayNot 2007, 14 ff.<br />

188


stellt daher in der Regel keinen Grund dar, den der Einräumung eines<br />

lebenslangen Wohnungsrechtes zugrunde liegenden Überlassungsvertrag<br />

nach § 313 BGB anzupassen. 216 Im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung<br />

ergibt sich keine Verpflichtung des im Pflegeheim<br />

untergebrachten Elternteils, die Wohnung zu vermieten. Ebenso widerspricht<br />

es der Familienverbundenheit, dass <strong>bei</strong> einer Selbstnutzung der<br />

Wohnung durch den Eigentümer für private Zwecke oder der Überlassung<br />

an ein Kind ein Nutzungsentgelt geschuldet sein soll. Die Gestattung<br />

der Aufnahme von Pflegepersonen sowie die Zurverfügungstellung<br />

der Wohnung als Sicherung des Wohnbedürfnisses stellt eine<br />

Beschränkung auf ein höchstpersönliches Nutzungsrecht dar. Eine abweichende<br />

Auslegung führt zudem zu einem nicht vereinbarten Nießbrauch<br />

an der Wohnung. Allerdings kann sich <strong>bei</strong> einer zur Vermietung<br />

geeigneten Wohnung, also nicht <strong>bei</strong> dem Wohnungsrecht unterliegenden<br />

nicht abgeschlossenen Räumen, eine ergänzende Vertragsauslegung<br />

dahin ergeben, dass der Übergeber <strong>bei</strong>m Pflegeheimaufenthalt<br />

berechtigt sein soll, die Wohnung zu vermieten. 217 Als Konsequenz<br />

dieser Rechtsprechung werden vielfach Wohnungsrechte nur noch eingeschränkt<br />

bestellt und übergebende Eltern auf Einzelräume, die eine<br />

Vermietung mangels WC und Küchen nicht zulassen, beschränkt.<br />

Die jüngsten Entscheidungen des BGH scheinen eine Entwarnung hinsichtlich<br />

der zivilrechtlichen Konsequenzen für wegen Unterbringung in<br />

ein Pflegeheim nicht mehr nutzbarer Versorgungsleistungen zu<br />

signalisieren. Im ersten Fall 218 hatte der Vater ein Einfamilienhaus an<br />

seinen Sohn übertragen. Dieser hatte sich als "Gegenleistung" das<br />

Recht zur alleinigen Nutzung eines näher bezeichneten Zimmers und<br />

216 BGH, DNotZ 2009, 431 = FamRZ 2009, 598 = MDR 2009, 559 = MietRB 2009, 175 =<br />

MittBayNot 2009, 298 = NJW 2009, 1348 = NZM 2009, 251 = Rpfleger 2009, 309 =<br />

WuM 2009, 184 = ZEV 2009, 252 = ZMR 2009, 434; vgl. Krüger, ZNotP 2010, 2, 4 f;<br />

vgl. auch Volmer, MittBayNot 2009, 276 ff.; Zimmer, ZEV 2009, 382 ff. u. Müller-von<br />

Münchow, ZEV 2009, 549, der ein auflösend bedingtes Wohnungsrecht vorschlägt,<br />

das dann erlöschen soll, wenn der Berechtigte die Wohnung "nicht nur vorübergehend<br />

verlässt", was durch eine Meldebestätigung nachzuweisen ist.<br />

217 Vgl. aber BGHZ 176, 262 = BeckRS 2008, 12744 = FamRZ 2008, 1404 = JuS 2008,<br />

1032 = LMK 2008, 266101 = MDR 2008, 1162 = NZM 2009, 373 = NJW 2008, 2333 =<br />

WuM 2008, 498 = ZErb 2008, 383 = ZNotP 2008, 325 zum Nutzungsentgelt <strong>bei</strong><br />

Überlassung an einen Lebensgefährten.<br />

218 BGH, DNotZ 2009, 441 = FamRZ 2009, 865 = MDR 2009, 622 = MittBayNot 2009,<br />

294 = NJW 2009, 1346 = NZM 2009, 331 = Rechtsdienst 2009, 74 = WM 2009, 1053<br />

= WuM 2009, 241 = ZErb 2009, 150 = ZEV 2009, 254; vgl. Krüger, ZNotP 2010, 2,<br />

5 f.; vgl. auch Berger, ZNotP 2009, 263 ff.; Brückner, NJW 2008, 1121 ff.; Volmer,<br />

MittBayNot 2009, 276 ff. u. Herrler, DNotZ 2008, 408 ff. sowie bereits Littig/Mayer,<br />

Sozialhilferegress und lebzeitige Zuwendungen, 1999, Rn. 141 u. Wahl, Vertragliche<br />

Versorgungsrechte in Übergabeverträgen und sozialrechtliche Aspekte, 1989, S. 291.<br />

189


das Recht zur Mitbenutzung der zur gemeinschaftlichen Benutzung<br />

durch die Bewohner des Hauses bestimmten Anlagen und Einrichtungen<br />

als Wohnrecht vorbehalten. Der Sohn hatte den Vater zu<br />

verköstigen und im Falle einer ernsten Gebrechlichkeit oder Krankheit<br />

zu pflegen. Es war vereinbart, dass die Verpflichtung zur Gewährung<br />

von Kost und Pflege nur bestehen solle, "solange der Berechtigte in<br />

dem Vertragsanwesen wohne und die Pflege ohne Inanspruchnahme<br />

einer bezahlten Pflegeperson möglich sei". Für den Fall dass der Vater<br />

in ein Pflege- oder Altersheim aufgenommen werde, sollte die Verpflichtung<br />

zur Verköstigung und Pflege "ruhen ..., ohne dass der Erwerber<br />

dafür einen Ausgleich bzw. einen Ersatz zu leisten" habe. 219 Der<br />

BGH hat in dieser Vereinbarung keinen sittenwidrigen Vertrag zu Lasten<br />

des Sozialhilfeträgers gesehen. Der Vater hätte nämlich auch das<br />

Hausgrundstück ohne jede Gegenleistung dem Sohn schenken können.<br />

Allein das Rückforderungsrecht nach § 528 BGB, das auf zehn Jahre<br />

befristet sei (§ 529 Abs. 1 BGB), gebe die Möglichkeit, eine Inanspruchnahme<br />

der Allgemeinheit für den Notbedarf des Schenkers zu verhindern.<br />

Diese Wertung des Gesetzgebers müsse berücksichtigt<br />

werden, wenn es darum gehe, ob die Vereinbarung einer eingeschränkten<br />

Gegenleistung sittenwidrig wäre. Dogmatisch ist dieser<br />

Entscheidung zuzustimmen. Sie sagt aus, dass allein der Umstand,<br />

dass der Übergebende sich im Hausübergabevertrag mit einer Gegenleistung<br />

zufrieden gibt, die der Übernehmer allein in dem übernommenen<br />

Haus erbringen muss, den Vertrag ebensowenig sittenwidrig<br />

macht, wie der Umstand, dass sich diese Vereinbarung für die Sozialhilfe<br />

möglicherweise wirtschaftlich nachteilig auswirkt.<br />

Im zweiten Fall 220 übertrugen die Eltern an ihren Sohn und die<br />

Schwiegertochter ein mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück. Sie<br />

erhielten ein lebenslanges unentgeltliches Wohnrecht an den Räumlichkeiten<br />

im 1. Obergeschoß des Hauses eingeräumt. Ferner wurde vereinbart,<br />

dass der Erwerber dem Übergeber "unentgeltlich eine gute<br />

Pflege, Betreuung und Aufwartung in Tagen seines Wohlbefindens und<br />

der Krankheit zu gewähren" sowie "auf Wunsch des Übergebers insbesondere<br />

für die Reinigung und Instandhaltung von dessen Wohnung,<br />

219 Ähnlich Feick, in: Beck´sches Formularbuch, Bürgerliches, Handels- und Wirtschaftsrecht,<br />

10. Aufl. 2010, III O.4. Ziff. 7; Holland, in: Würzburger Notarhandbuch,<br />

2. Aufl. 2010, Teil 2 Kap. 7 Rn. 89 u. Jerschke, in: Beck´sches Notar-Handbuch,<br />

5. Aufl. 2009, A V Rn. 221.<br />

220 BGH, FamRB 2010, 147 = FamRZ 2010, 554 = GE 2010, 541 = JZ 2010, 222 = MDR<br />

2010, 614 = NotBZ 2010, 182 = WuM 2010, 168 = ZfIR 2010, 254; vgl. auch Herrler,<br />

DNotZ 2009, 408 ff.; ähnlich bereits LG Heidelberg, NJW-Spezial 2010, 72 = NotBZ<br />

2010, 155.<br />

190


Kleidung und Wäsche zu sorgen" habe. Gegen ein angemessenes Entgelt<br />

sollte der Übergeber auch die Zubereitung der seinem jeweiligen<br />

Gesundheitszustand angepassten Mahlzeiten verlangen können sowie<br />

auf seinen Wunsch auch die Beköstigung am gemeinsamen Tisch mit<br />

der Familie des Erwerbers. Der Erwerber hatte, wenn er diese<br />

Leistungen nicht persönlich erbringen konnte, auf seine Kosten eine<br />

entsprechende Hilfskraft zu stellen. Die ergänzende Vertragsauslegung<br />

ergab in diesem Fall, dass die Klausel die häusliche Versorgung des<br />

Übergebers sicherstellen sollte. Für die Auslegung, dass die Parteien<br />

mit der Klausel auch die Absicherung des Übergebers nach einem Umzug<br />

in ein Heim regeln wollten, fehle jeder Anhaltspunkt. Insbesondere<br />

folge dies auch aus der Verpflichtung, für eine Hilfskraft zu sorgen;<br />

diese gäbe <strong>bei</strong> einem Heimaufenthalt keinen Sinn, da Heime die für sie<br />

tätigen Hilfskräfte selbst auswählen und bezahlen. Damit sei der Heimaufenthalt<br />

des Übergebers nicht geregelt worden. Diese Regelungslücke<br />

könne nicht dadurch geschlossen werden, nach einem unterstellten<br />

hypothetischen Parteiwillen die versprochenen Dienste, wenn<br />

diese aus Gründen, die der Übernehmer nicht zu vertreten hat, nicht<br />

mehr erbracht werden können, durch Geldzahlungen zu ersetzen. Dies<br />

hätte zur Folge, dass der Übernehmer seinen aufgrund des Heimaufenthalts<br />

des Übergebers entstandenen Zeitgewinn in Geld ausgleichen<br />

müsse. Anders wäre es, wenn der Übernehmer aus in seiner Person<br />

liegenden Gründen nicht mehr in der Lage wäre, die geschuldeten<br />

Leistungen selbst zu erbringen. Auch dann, wenn <strong>bei</strong> Abschluss des<br />

Vertrages die Parteien davon ausgehen, dass eine Hilfskraft engagiert<br />

und bezahlt werden müsse, zählt das Entgelt für die Hilfskraft zu den<br />

infolge des Heimaufenthalts ersparten Aufwendungen. Hinsichtlich der<br />

vereinbarten Pflege- und sonstigen Dienstleistungen ist dagegen nicht<br />

von dem hypothetischen Parteiwillen auszugehen, dass Geldzahlungen<br />

an die Stelle der versprochenen Dienste treten, wenn diese wegen<br />

eines Heimaufenthalts des Übergebers nicht mehr erbracht werden<br />

können. Grundsätzlich betont der BGH in dieser Entscheidung nochmals:<br />

"Sollten die Verpflichtungen des Übernehmers ... zu der Alterssicherung<br />

des Übergebers <strong>bei</strong>tragen oder diese umfassend gewährleisten,<br />

entspricht es dessen Absicherungsinteresse, dass ihm im Umfang<br />

der ersparten Aufwendungen ein Anspruch auf Beteiligung an den<br />

Pflegekosten zusteht, wenn er in einem Maße pflegebedürftig wird, dass<br />

er professionelle Hilfe braucht und der Übernehmer seine Pflegeverpflichtung<br />

deshalb nicht mehr selbst erfüllen kann." Jedenfalls <strong>bei</strong> ersparten<br />

Sachleistungen kann ein Geldersatz unter dem Gesichtspunkt<br />

der ersparten Aufwendung geschuldet sein. Dienstleistungen entfallen<br />

dagegen ersatzlos, wenn sie aus Gründen nicht mehr erbracht werden<br />

191


können, die nicht in der Person des Dienstleistungspflichtigen liegen.<br />

Darüber hinausgehend kann aufgrund der erstgenannten Entscheidung<br />

wohl eine Vereinbarung getroffen werden, dass vereinbarte Leistungen<br />

stets entfallen oder ruhen, wenn der Veräußerer das übergebene Anwesen,<br />

gleich aus welchem Grund, verlassen hat, ohne dass dies vom<br />

Übernehmer veranlasst ist. Dies betrifft nicht nur persönliche Handlungspflichten,<br />

sondern auch Sachleistungen. 221<br />

Mitunter werden Wohnungsrechte, wenn der Gesundheitszustand auf<br />

eine bevorstehende Pflegeheimunterbringung hinweist, <strong>bei</strong> (noch) gegebener<br />

Geschäftsfähigkeit vom Berechtigten aufgegeben und die<br />

Löschung im Grundbuch bewilligt. Die Wohnungsrechtsaufgabe kann<br />

eine Schenkung darstellen, da der Eigentümer eine Werterhöhung<br />

seines Grundstücks durch Entfallen des dinglichen Wohnungsrechts<br />

erfährt und zudem die Wohnung vermieten kann. Die Löschung des<br />

Wohnungsrechtes dürfte eine Minderung des gegenwärtigen Vermögens<br />

darstellen und deshalb nicht nur steuerlich, sondern auch zivilrechtlich<br />

als Schenkung einzustufen sein. 222 Allerdings wurde eine<br />

Schenkung von der Rechtsprechung 223 teilweise unter Hinweis auf den<br />

umgekehrten Fall der Einräumung eines unentgeltlichen Wohnungsrechtes,<br />

das keine Schenkung, sondern eine Leihe darstellt, 224 verneint;<br />

<strong>bei</strong>m Verzicht auf ein dinglich eingeräumtes Recht soll es sich um eine<br />

unentgeltliche Gebrauchsüberlassung auf Zeit handeln.<br />

Ob die vorstehende dargestellte Rechtsprechung des BGH auch <strong>bei</strong>m<br />

Leibgeding bzw. Altenteilsvertrag anwendbar ist, ist bisher offen.<br />

Gemeint sind Verträge, die nach ihrer Zweckbestimmung mit der Übertragung<br />

einer die Existenz zumindest teilweise begründenden Wirtschaftseinheit<br />

verbunden sind. 225 Es handelt sich nicht um einen gegenseitigen<br />

Vertrag mit <strong>bei</strong>derseits gleichwertigen Leistungen. Das Vertragsobjekt<br />

muss – wie bereits dargestellt – eine "die Existenz<br />

wenigstens teilweise begründende Wirtschaftseinheit" sein. Das Über-<br />

221<br />

Ebenso Albrecht, in: Bayerischer Notarverein e. V. (Hrsg.), Aktuelle Probleme der<br />

notariellen <strong>Vertragsgestaltung</strong> im Immobilienrecht, 2010, S. 97 ff.<br />

222<br />

Ebenso Brückner, NJW 2008, 1111, 1115.<br />

223<br />

OLG Koblenz, OLG-Report 2007, 142 = FamRZ 2007, 1652; ebenso OLG Hamm,<br />

OLG-Report 2006, 773. Vgl. auch OLG Frankfurt, NJW-RR 1998, 1544 = NZM 1998,<br />

927 zur Löschung eines dinglichen Wohnungsrechts gegen Einräumung des schuldrechtlichen.<br />

224<br />

BGHZ 82, 354, 356; BGH, ZEV 2008, 192; OLG Hamm, NJW-RR 1996, 717 =<br />

FamRZ 1996, 1280; Grziwotz, ZEV 2010, 130 u. Nehlsen-van Stryk, AcP 187, 1987,<br />

252, 566.<br />

225<br />

S. nur BGHZ 53, 41, 43; BGH, NJW-RR 1989, 451. Vgl. Kuckenburg, FuR 2008, 316,<br />

317.<br />

192


gabeobjekt muss also so beschaffen sein, dass der Übernehmer der<br />

Immobilie aus deren Nutzungen für sich eine Lebensgrundlage schaffen<br />

kann. Gleichzeitig muss ein der Versorgung des Veräußerers dienendes<br />

Leistungsbündel vereinbart werden, das mindestens zum Teil aus dem<br />

Übergabeobjekt erwirtschaftet werden kann. 226 Es muss damit ein<br />

leistungsfähiges Unternehmen Gegenstand der Übertragung sein. 227<br />

Die Übertragung eines Wohnhauses soll aus dem Leibgedingsbegriff<br />

des Art. 96 EGBGB und dem kraft dieser Ermächtigung fortbestehenden<br />

sowie neu erlassenen Landesrecht ausscheiden. Eine Grundstücksübertragung<br />

wird nämlich nicht allein durch die Gewährung eines Wohnrechts<br />

mit Pflege- und Versorgungspflichten zu einem Leibgedingsvertrag.<br />

228 Vielmehr ist davon auszugehen, dass es sich <strong>bei</strong>m Übergabeobjekt<br />

um eine Immobilie handeln muss, die Zwecken des wirtschaftlichen<br />

Erwerbs dient. Die Überlassung eines den eigenen Wohnzwecken<br />

dienenden Grundstücks fällt nicht hierunter. 229<br />

Im Anwendungsbereich der Leibgedings- und Altenteilsverträge besteht<br />

regelmäßig kein Bedürfnis für eine ergänzende Vertragsauslegung <strong>bei</strong>m<br />

Heimaufenthalt des Übergebers. Die Zahlungspflicht ergibt sich meist<br />

aus dem einschlägigen Landesrecht. Der Heimaufenthalt bildet danach<br />

teilweise einen besonderen Grund für den Wegzug, der zum Geldersatz<br />

führt. 230 Die Berechnung des Geldersatzes, die nicht nur die Erstattung<br />

real ersparter Aufwendungen <strong>bei</strong>nhaltet, wird regelmäßig landesrechtlich<br />

geregelt. 231 Enthält das Landesrecht eine Einschränkung des § 528<br />

BGB, 232 entfällt die wesentliche Grundlage der jüngsten BGH-Rechtsprechung.<br />

233 Insofern kann sich <strong>bei</strong> Altenteils- und Leibgedings-<br />

226<br />

BGHZ 53, 41, 43; BGH, NJW-RR 1995, 77, 78 = BGH, DNotZ 1996, 636, 638 u.<br />

BGH, NJW 2003, 1126, 1127. Zu den Voraussetzungen einer wirksamen Abtretung<br />

dieser Ansprüche im Hinblick auf die nur eingeschränkte Pfändbarkeit vgl. BGH,<br />

FamRZ 2010, 367 = ZEV 2010, 91 u. Musielak/Becker, ZPO, 7. Aufl. 2009, § 850b<br />

Rn. 6.<br />

227<br />

Ebenso Mayer, DNotZ 1996, 604, 623 u. Wirich, ZErb 2009, 229, 230.<br />

228<br />

BGH, NJW 1981, 2568, 2569; BGH, NJW-RR 1989, 451; BGH, NJW-RR 1995, 77,<br />

78; BGH, WM 2000, 586; BGH, NJW 2003, 1126, 1127; BGH, NJW 2003, 1325,<br />

1326; krit. hierzu Wolf, MittBayNot 1994, 117, 118 u. Wirich, ZErb 2009, 229, 230.<br />

229<br />

Vgl. OLG Hamm, NJW-RR 1996, 1360, 1360 u. Weyland, MittRhNotK 1997, 55, 56.<br />

230<br />

Vgl. Volmer, MittBayNot, 2009, 276, 281.<br />

231<br />

Vgl. BayObLG, MittBayNot 1975, 2427.<br />

232<br />

So wohl Ott, in: Sprau, Justizgesetze in Bayern, 1988, Art. 17 BayAGBGB Rn. 4 u.<br />

Volmer, MittBayNot 2009, 276, 281.<br />

233<br />

BGH, DNotZ 2009, 431 = FamRZ 2009, 598 = MDR 2009, 559 = MietRB 2009, 175 =<br />

MittBayNot 2009, 298 = NJW 2009, 1348 = NZM 2009, 251 = Rpfleger 2009, 309 =<br />

WuM 2009, 184 = ZEV 2009, 252 = ZMR 2009, 434; vgl. auch BGH, FamRZ 2010,<br />

367 = ZEV 2010, 91.<br />

193


verträgen 234 eine abweichende Auslegung anbieten. Jedenfalls stellt die<br />

häufig in alten Verträgen noch enthaltene Wertangabe nur eine<br />

Grundlage für die Berechnung der Gerichts- und Notarkosten dar, gibt<br />

aber nicht den Wert der Austragsleistungen an. 235<br />

Zu beachten ist, dass <strong>bei</strong> der Hilfe zur Pflege der Einsatz des Einkommens<br />

eingeschränkt ist. Dem Hilfeempfänger und seinen unterhaltsberechtigten<br />

Angehörigen wird ein Einkommen belassen, das<br />

etwas über den Bedarfssätzen für den bloßen Lebensunterhalt liegt<br />

(§ 85 SGB XII). Ferner besteht im Bereich der Grundsicherung ein Freibetrag<br />

für Einkommen aus Ar<strong>bei</strong>tstätigkeit (§ 82 Abs. 3 SGB II), zu<br />

denen allerdings nicht mehr Einkünfte aus einer früheren Ar<strong>bei</strong>tstätigkeit<br />

zählen. Zudem dürfte der Anwendungsbereich <strong>bei</strong>m Heimaufenthalt<br />

denkbar gering sein (z. B. entgeltliche Ar<strong>bei</strong>t im Umfeld des Heimes).<br />

bb) Familienheim – wie groß darf´s denn sein?<br />

Grundsätzlich sind das eigene Vermögen und das Vermögen der in<br />

einer Einsatzgemeinschaft lebenden Personen zu verwerten, bevor<br />

Sozialhilfe in Anspruch genommen werden kann (§ 90 Abs. 1 SGB XII).<br />

Zu einer Einsatzgemeinschaft gehören insbesondere zusammenlebende<br />

Ehegatten, Lebenspartner, die Personen einer Verantwortungs-<br />

und Einstehensgemeinschaft sowie <strong>bei</strong> der Hilfe zum Lebensunterhalt<br />

auch Angehörige der Haushaltsgemeinschaft (§§ 19, 20, 36 SGB XII).<br />

Bei der Anrechnung von Vermögen wird der den eigenen Bedarf übersteigende<br />

Teil <strong>bei</strong> den anderen Personen der Einsatzgemeinschaft berücksichtigt.<br />

Allerdings muss hier ermittelt werden, ob und gegebenenfalls<br />

in welchem Umfang das Vermögen von der Verwertung ausgenommen<br />

ist. Nur in dem Umfang, in dem das Vermögen des Betroffenen<br />

den geschützten Wert übersteigt, darf es <strong>bei</strong> der anderen<br />

Person berücksichtigt werden. Umstritten ist, dass <strong>bei</strong> Immobilien hinsichtlich<br />

der Feststellung der Angemessenheit eines Hausgrundstücks<br />

<strong>bei</strong>m Zusammenleben mehrerer Personen in einem Haushalt andere<br />

Maßstäbe gelten als <strong>bei</strong> Einzelpersonen. Bei der Grundsicherung gilt<br />

die Vermutung der Bedarfsdeckung von Personen, die in einer Haushaltsgemeinschaft<br />

leben, wiederum nicht (§ 43 Abs. 1 SGB XII). In<br />

diesem Fall muss der Sozialhilfeträger dem Hilfesuchenden eine<br />

wirtschaftliche Unterstützung durch die Haushaltsgemeinschaft nachweisen.<br />

Auch auf diejenigen Personen, die bereits im Rahmen der Be-<br />

234 Vgl. dazu auch Kuckenburg, FuR 2008, 316, 317.<br />

235 BGH, FamRZ 2010, 367 = ZEV 2010, 91, 93.<br />

194


darfsgemeinschaft (§ 19 SGB XII) erfasst werden, ist die Vermutung der<br />

Bedarfsdeckung nicht anzuwenden. 236<br />

Zu dem verwertbaren Vermögen zählen Geld- und Geldeswerte,<br />

Forderungen und Ansprüche gegen Dritte (insbesondere Unterhaltsansprüche)<br />

sowie bewegliche und unbewegliche Gegenstände. 237 Das<br />

Vermögen muss zudem verwertbar sein. Insbesondere rechtliche Gesichtspunkte<br />

können der Verwertung entgegenstehen. Verfügungsbeschränkungen<br />

sind ein Verwertungshindernis, wenn sie für den Berechtigten<br />

zwingend sind und er sie nicht aufheben lassen kann. Beispiele<br />

sind Rückübertragungsverpflichtungen. Aber auch der an einer<br />

Immobilie bestehende Nießbrauch eines Dritten führt zur wirtschaftlichen<br />

Unverwertbarkeit. 238 Allerdings kommt als Verwertung eine dingliche<br />

Belastung in Betracht, die im Rang nach den vorstehenden genannten<br />

Rechten möglich ist. Sozialhilferechtlich wird vom Hilfebedürftigen<br />

auch die Verwertung von Nutzungsrechten gefordert, wenn<br />

dieser sie nicht mehr selbst nutzen kann. Dies ist <strong>bei</strong> einem Nießbrauchsrecht,<br />

<strong>bei</strong> dem durch eine Vermietung oder Verpachtung<br />

Rechtsfrüchte gezogen werden können, unproblematisch. Soweit auch<br />

<strong>bei</strong> einem nicht genutzten persönlichen Wohnrecht eine Verwertung<br />

gefordert wird, ist dies wegen des diesbezüglichen Ausschlusses der<br />

Übertragbarkeit, wenn nicht ausdrücklich die Überlassung an Dritte<br />

gestattet ist, nicht möglich. 239<br />

Lässt sich Vermögen im Bedarfszeitraum aus tatsächlichen und rechtlichen<br />

Gründen nicht sofort realisieren, kann eine darlehensweise Gewährung<br />

der Hilfe erfolgen (§ 91 SGB XII). In diesem Fall kann die Darlehensgewährung<br />

von einer dinglichen Sicherheit (z. B. Hypothek oder<br />

Grundschuld) abhängig gemacht werden.<br />

Die Einstufung als Schonvermögen (§ 90 Abs. 2 SGB XII) hat zur Folge,<br />

dass der betreffende Vermögensgegenstand vor der Inanspruchnahme<br />

von Sozialhilfe nicht einzusetzen oder zu verwerten ist.<br />

Unproblematisch ist dies <strong>bei</strong> Vermögen, das einer staatlich geförderten<br />

Altersversorgung dient (z. B. Riester-Rente), was durch ein ent-<br />

236<br />

Conradis, in: LPK-SGB XII, 8. Aufl. 2008, § 36 Rn. 1.<br />

237<br />

Zum Pflichtteilsanspruch s. Hk-PflichtteilsR/v. Proff zu Irnich, 2010, Anh. 5 Rn. 2.<br />

238<br />

Brühl/Geiger, in: LPK-SGB XII, 8. Aufl. 2008, § 90 Rn. 10 u. Ehmann, in: MAH Sozialrecht,<br />

3. Aufl. 2009, § 38 Rn. 112.<br />

239<br />

A. A. Brühl/Geiger, in: LPK-SGB XII, 8. Aufl. 2008, § 90 Rn. 17 u. Ehmann, in: MAH<br />

Sozialrecht, 3. Aufl. 2009, § 38 Rn. 112.<br />

195


sprechendes Zertifikat nachzuweisen ist. 240 Schonvermögen sind ferner<br />

Hausrat, Gegenstände, die zur Berufsausübung notwendig sind,<br />

Familienerbstücke sowie bestimmte Bar- bzw. Freibeträge, die <strong>bei</strong> über<br />

60jährigen 2.600 Euro betragen. 241 Problematisch ist in der Praxis das<br />

selbstgenutzte Hausgrundstück bzw. die Eigentumswohnung von angemessener<br />

Größe (§ 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII). Zu beachten ist zunächst,<br />

dass ein wesentlicher Unterschied zu dem <strong>bei</strong>m Ar<strong>bei</strong>tslosengeld<br />

II nicht zu berücksichtigendem Vermögen (§ 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB<br />

II) besteht. Während dort ein selbstgenutztes Hausgrundstück von angemessener<br />

Größe und eine entsprechende Eigentumswohnung vom<br />

Einsatz ausgenommen sind, gelten im Sozialhilferecht die Kriterien der<br />

Kombinationstheorie. 242<br />

Auch wenn der Wortlaut des § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII nur von einem<br />

Hausgrundstück spricht, werden auch die zu Wohnzwecken genutzte<br />

Eigentumswohnung, Dauerwohnrechte und Erbbaurechte erfasst. 243<br />

Das Grundstück muss bebaut sein und von der nachfragenden Person<br />

oder einer anderen Person der Bedarfsgemeinschaft allein oder zusammen<br />

mit Angehörigen ganz oder teilweise bewohnt werden (Erfüllung<br />

des Grundbedürfnisses "Wohnen"). Mit den Angehörigen muss<br />

keine Haushaltsgemeinschaft bestehen. Nicht unter das Schonvermögen<br />

fallen deshalb ein zum Verkauf angebotenes Grundstück, ein<br />

Ferienhaus und ein gewerblich genutztes Grundstück. Das Bewohnen<br />

entfällt <strong>bei</strong> einer dauernden Unterbringung in ein Pflege- oder Altenheim.<br />

244 Nicht ausreichend ist es, wenn Angehörige, die nicht zur<br />

Einsatzgemeinschaft gehören (z. B. Geschwister), das Haus weiter<br />

bewohnen. Die Vermögensschonung bleibt jedoch bestehen, wenn<br />

einer Person der Einsatzgemeinschaft die Immobilie weiter bewohnt. 245<br />

Die Angemessenheit der Immobilie bestimmt sich nach der bereits er-<br />

240<br />

Zur Einstufung der Ausbezahlung der Riester-Rente als Einkommen s. nur<br />

Brühl/Geiger, in: LPK-SGB XII, 8. Aufl. 2008, § 90 Rn. 29.<br />

241<br />

§ 90 Abs. 2 Nr. 2 SGB XII i. V. mit § 1 mit der Verordnung zur Durchführung des § 90<br />

Abs. 2 Nr. 9 SGB XII. Hinzu kommt ein Betrag von 256 Euro für jede Person, die vom<br />

Nachfragenden überwiegend unterhalten wird. Vgl. zur Berücksichtigung weiterer<br />

Personen ebenda.<br />

242<br />

Ebenso Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 90 Rn. 44.<br />

243<br />

S. nur BVerwGE 87, 278 u. OVG Lüneburg, FEV 1146, 194; Schellhorn/Schellhorn/Hohm,<br />

SGB XII, 17. Aufl. 2006, § 90 Rn. 62; Wahrendorf, in:<br />

Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 90 Rn. 47.<br />

244<br />

BVerwG, NJW 1992, 1402 = NVwZ 1992, 571 (anders <strong>bei</strong> einem nur vorübergehenden<br />

Aufenthalt im Krankenhaus).<br />

245<br />

Allerdings kann der Erbe des Hilfeempfängers später zum Kostenersatz verpflichtet<br />

sein (§ 102 SGB XII).<br />

196


wähnten sogenannten Kombinationstheorie. 246 § 90 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2<br />

SGB XII nennt als Kriterien, nach denen sich der unbestimmte Rechtsbegriff<br />

der Angemessenheit bestimmen soll, die Zahl der Bewohner, den<br />

Wohnbedarf (z. B. behinderter, blinder oder pflegebedürftiger<br />

Menschen), die Grundstücksgröße, die Hausgröße, den Zuschnitt und<br />

die Ausstattung des Wohngebäudes sowie den Wert des Grundstücks<br />

einschließlich des Wohngebäudes. Als angemessene Wohnfläche<br />

werden <strong>bei</strong> einem Vier-Personen-Haushalt für ein Einfamilienhaus 130<br />

qm und für eine Eigentumswohnung 120 qm angesehen. Sie sind <strong>bei</strong><br />

weniger als vier Personen um 20 qm pro Person zu verringern. 247 Bei<br />

der Grundstücksgröße ist davon auszugehen, dass nur ein Grundstück<br />

geschützt werden kann, das für den Bau eines Familienheims benötigt<br />

wird. Insofern sind die Festsetzungen eines rechtsverbindlichen Bebauungsplans<br />

hinsichtlich der bebaubaren Fläche zu beachten. Teilweise<br />

werden für freistehende Häuser im ländlichen Bereich 500 qm, 248<br />

im städtischen Raum für ein Reiheneckhaus und Doppelhaushälften bis<br />

zu 350 qm, im Übrigen ca. 250 qm genannt. 249 Ist ein größeres Grundstück<br />

teilbar, muss der nicht geschützte Grundstücksteil veräußert<br />

werden. 250 Dies soll jedoch nicht <strong>bei</strong> einer übergroßen Immobilie gelten.<br />

Nicht geschützt sein sollen deshalb Mehrfamilienhäuser und Familienheime<br />

mit Einliegerwohnung; kann <strong>bei</strong> ihnen eine Abtrennung –<br />

eventuell nach Aufteilung in Wohnungs- und Teileigentum – nicht<br />

erfolgen, so soll insgesamt die Schonvermögenseigenschaft wegfallen.<br />

251 Gestattet ist es allerdings auch, das Gesamtgrundstück zu<br />

veräußern und den Veräußerungserlös teilweise für den Erwerb eines<br />

kleineren Grundstücks zu verwenden. 252 Die Höhe des Verkehrswertes<br />

für ein angemessenes Hausgrundstück ist im Gesetz nicht vorgegeben;<br />

sie ist von den örtlichen Verhältnissen abhängig. 253 Schulden mindern<br />

den Verkehrswert nicht, sondern stehen nur dessen Verwertbarkeit<br />

entgegen. Gleiches muss für andere Belastungen wie z. B. das Bestehen<br />

eines Wohnungsrechts noch lebender Großeltern gelten. 254<br />

246<br />

BVerwGE 47, 103, 108 u. BVerwGE 59, 294, 296; vgl. auch Wendt, NDV 1991, 93,<br />

94. Zum Miteigentum s. BVerwGE 89, 241 = NJW 1992, 1401.<br />

247<br />

Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 90 Rn. 51.<br />

248<br />

VGH München, FamRZ 2004, 488.<br />

249<br />

Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 90 Rn. 35 u. KSW/von<br />

Koppenfels/Spies, § 90 SGB XII Rn. 13.<br />

250<br />

BVerwGE 59, 294, 300.<br />

251<br />

S. nur KSW/von Koppenfels/Spies, 2009, § 90 SGB XII Rn. 13 u. Lücking, in:<br />

Hauck/Noftz, § 90 SGB XII, 2009, Rn. 45.<br />

252<br />

Ehmann, in: MAH Sozialrecht, 3. Aufl. 2009, § 38 Rn. 114.<br />

253<br />

BVerwGE 87, 278 = NJW 1991, 1968 = NVwZ 1991, 889.<br />

254<br />

Unklar Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 90 Rn. 58 a. E.<br />

197


In atypischen Härtefällen kann weiteres Vermögen von der Einsatzpflicht<br />

ausgenommen werden. Bei der Hilfe zur Pflege werden die Einschränkung<br />

der angemessenen Lebensführung und die Aufrechterhaltung<br />

einer angemessenen Alterssicherung als Härtegrunde, die<br />

einer Vermögensverwertung entgegenstehen, ausdrücklich genannt.<br />

Unter die Härteregelung des § 90 Abs. 3 SGB XII fällt insbesondere die<br />

Vorsorge älterer Menschen für die eigene Bestattung und die ihres<br />

Ehepartners sowie für die spätere Grabpflege. Dieses zweckgebundene<br />

Vermögen ist grundsätzlich geschützt, wenn dies nicht erst unmittelbar<br />

vor der Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen angelegt wird. 255<br />

cc) Rückübertragung (§ 528 BGB)<br />

Vom Vermögensbegriff werden auch Forderungen umfasst. Zu ihnen<br />

gehören Ansprüche gegen Dritte, z. B. Bereicherungsansprüche,<br />

Pflichtteilsansprüche und sonstige Rückübertragungsansprüche. 256 Bei<br />

einerÜbertragung von Vermögensgegenstände auf Dritte, um diese dem<br />

Zugriff des Sozialhilfeträgers zu entziehen, kann einen Verstoß gegen<br />

die guten Sitten und damit eine Nichtigkeit des betreffenden Rechtsbegriffs<br />

nach § 138 Abs. 1 BGB vorliegen. Dies führt allerdings nicht zur<br />

Unwirksamkeit auch des dinglichen Rechtsgeschäfts mit der Folge,<br />

dass das Vermögen <strong>bei</strong> dem Hilfesuchenden verbliebe. 257 Vielmehr<br />

besteht ein Bereicherungsanspruch des Hilfesuchenden, der zu dessen<br />

Vermögen gehört. Gleiches gilt <strong>bei</strong> sonstigen gesetzlichen Rückforderungsansprüchen.<br />

Bei der Hausübertragung fällt allerdings die<br />

Geschäftsgrundlage für die Übertragung nicht weg, wenn die Eltern, die<br />

früher Eigentümer der Immobilie waren, später Pflegefall werdenund ins<br />

Pflegeheim müssen. Es handelt sich da<strong>bei</strong> regelmäßig um kein unvorhersehbares<br />

Ereignis. 258 Allerdings ist die Anwendbarkeit des<br />

Instituts des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht bereits wegen der<br />

gesetzlich geregelten Rückforderung einer Schenkung wegen Verarmung<br />

des Schenkers (§ 528 BGB) ausgeschlossen. 259<br />

255 Ebenso SG Karlsruhe, FamRZ 2010, 236; Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB<br />

XII, 3. Aufl. 2010, § 90 Rn. 73; vgl. zu diesbezüglichen Treuhandverträgen über die<br />

Sicherstellung der Grabpflege nach dem Tod des Treugebers BGH, FamRZ 2009,<br />

867.<br />

256 S. nur Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 90 Rn. 7 u. 12.<br />

257 So aber Ehmann, in: MAH Sozialrecht, 3. Aufl. 2009, § 38 Rn. 111.<br />

258 S. dazu nur BGH, DNotZ 2009, 431 = FamRZ 2009, 598 = MDR 2009, 559 = MietRB<br />

2009, 175 = MittBayNot 2009, 298 = NJW 2009, 1348 = NZM 2009, 251 = Rpfleger<br />

2009, 309 = WuM 2009, 184 = ZEV 2009, 252 = ZMR 2009, 434.<br />

259 S. dazu BGH, BeckRS 2010, 12197 = FamRZ 2010, 806 u. Franzen, FamRZ 1997,<br />

528 ff.; a. A. OLG Karlsruhe, NJW 1989, 2136.<br />

198


Diese Vorschrift regelt den Fall, dass sich der Notbedarf des Schenkers<br />

erst nach Eigentumsumschreibung im Grundbuch ergibt. In diesem Fall<br />

fällt gleichsam die Geschäftsgrundlage der Schenkung weg. 260 Diese<br />

besteht darin, dass der Schenker nicht aufgrund der Weggabe eines<br />

wesentlichen Vermögensgegenstandes, insbesondere einer Immobilie,<br />

für seinen eigenen Unterhalt nicht mehr aufkommen kann. Zum Schutz<br />

des Schenkers steht diesem ein Anspruch auf Rückforderung des Geschenkes<br />

nach den Regeln der ungerechtfertigten Bereicherung zu. 261<br />

Hat der Beschenkte seinerseits das Geschenk weggegeben und hat er<br />

deshalb keinen Rückforderungsanspruch, so erlischt die Rückgabepflicht<br />

wegen Entreicherung (§ 528 Abs. 1 i. V. m. § 818 Abs. 3 BGB). 262<br />

Der Vertrauensschutz des Beschenkten auf die Rechtsbeständigkeit der<br />

Immobilienzuwendung wird durch den Ausschluss des Rückforderungsanspruchs<br />

nach § 529 BGB berücksichtigt, 263 wo<strong>bei</strong> mit der<br />

herrschenden Meinung von einer Einrede auszugehen ist. Von Bedeutung<br />

sind für die Immobilienübertragung die zweite und dritte Fallgruppe.<br />

Die Rückforderung ist danach erstens ausgeschlossen, wenn<br />

zur Zeit des Eintritts der Bedürftigkeit des Schenkers seit der<br />

Schenkung zehn Jahre verstrichen sind und der Schenker somit endgültig<br />

auf den Bestand der Schenkung vertrauen darf. 264 Für den Beginn<br />

dieser Frist kommt es auf den tatsächlichen Vollzug der Schenkung, das<br />

heißt den Eintritt des Leistungserfolges an. Dies ist <strong>bei</strong> der Übertragung<br />

260 S. nur Franzen, FamRZ 1997, 528 ff.; Palandt/Weidenkaff, BGB, 69. Aufl. 2010, § 528<br />

Rn. 1 u. AnwK-BGB/Dendorfer, 2005, § 528 Rn. 1. Zur zweckgebundenen Natur des<br />

Anspruchs s. Kollhosser, ZEV 1995, 391 ff.; ders., ZEV 2001, 290 ff.; Zeranski, Der<br />

Rückforderungsanspruch des verarmten Schenkers, 1998, S. 53 ff.; ders., NotBZ<br />

2001, 22 ff. u. Krauß, ZEV 2001, 417, 418. Zur Nichtanwendung für Schenkungen in<br />

der ehemaligen DDR s. BGH, FamRZ 2004, 357 = MDR 2004, 561 = NJ 2004, 176 =<br />

VIZ 2004, 199 = WM 2004, 337 = ZEV 2004, 380 = ZOV 2004, 19; BGH, FamRZ<br />

2007, 1163 = MDR 2007, 246 = NJ 2007, 455 = NJW-RR 2007, 1463 = NotBZ 2007,<br />

363 = WM 2007, 1861 = ZEV 2007, 437 = ZOV 2007, 27 u. OLG Dresden, OLG-NL<br />

2003, 1 = NJ 2002, 435 = VIZ 2002, 594; abw. noch LG Görlitz, FamRZ 1999, 125.<br />

261 Zur Schadensersatzpflicht <strong>bei</strong> unberechtigter Rückforderung s. OLG Köln, BeckRS<br />

2008, 09081. Zur Verjährung s. BGHZ 146, 228 = FamRZ 2001, 409 = MDR 2001,<br />

743 = NJW 2001, 1063 = ZEV 2001, 199.<br />

262 Vgl. Koch, JR 1993, 313 ff.<br />

263 OLG Hamm, OLG-RR 2003, 76; Zur Rechtsnatur des § 529 BGB s.<br />

Bamberger/Roth/Gerlein, BGB, 2. Aufl. 2008, § 529 Rn. 1; MünchKommBGB/Koch,<br />

5. Aufl. 2008, § 529 Rn. 6; Erman/Herrmann, BGB, 12. Aufl. 2008, § 529 Rn. 1;<br />

Jauernig/Mansell, BGB, 13. Aufl. 2009, § 529 Rn. 5; Palandt/Weidenkaff, BGB,<br />

69. Aufl. 2010, § 529 Rn. 1; BGB-RGRK/Metzger, 12. Aufl. 1978, § 529 Rn. 1;<br />

Soergel/Mühl/Teichmann, BGB, 12. Aufl. 1997, § 529 Rn. 5; Eckebrecht, JA 2003,<br />

209, 213; Krauß, ZEV 2001, 417, 423.<br />

264 Vgl. Schippers, RNotZ 2006, 4248 f.<br />

199


von Immobilien auf jeden Fall mit Grundbucheintragung der Fall. 265 Ist<br />

der Vertrag wegen Verstoß gegen das Erfordernis der notariellen Beurkundung<br />

sämtlicher Vereinbarungen unwirksam, so verbleibt es <strong>bei</strong><br />

diesem Zeitpunkt. 266 Im Übrigen ist hinsichtlich des Fristlaufs zu berücksichtigen,<br />

dass es auf den Grundbuchvollzug, auf den die Beteiligten<br />

keinen Einfluss haben, nicht ankommen kann. Ausreichend ist, wenn<br />

diese alles für den Vollzug Nötige getan haben. Hierzu gehört die formgerechte<br />

Erklärung der Auflassung. 267 Ein Nutzungsvorbehalt, der im<br />

Rahmen des § 2325 Abs. 3 BGB nach der Rechtsprechung des BGH<br />

den Fristablauf hindern soll, kann wegen der unterschiedlichen<br />

Interessenlage den Fristlauf nicht verhindern. Von Bedeutung ist vor<br />

allem, dass eine eingeschränkte Schenkung „notbedarfsmäßig“ erwünscht<br />

ist, da sie (jedenfalls teilweise) die Notlage des Schenkers<br />

lindern kann. 268 Ob dies allerdings auch gilt, wenn sämtliche vorbehaltenen<br />

Nutzungsrechte <strong>bei</strong> Heimunterbringung ruhen, ist bisher<br />

nicht entschieden. 269 Der Eintritt der Bedürftigkeit, der den Ablauf der<br />

Zehnjahresfrist hindert, setzt die Erschöpfung des Vermögens des<br />

Schenkers voraus. Allein der Eintritt von Umständen, die später die<br />

Erschöpfung zur Folge haben können, nämlich z. B. eine Heimeinweisung,<br />

soll nicht genügen. 270 Jedenfalls greift <strong>bei</strong> einem vorübergehenden<br />

Bedürfnis (z. B. kurzfristiger Aufenthalt in einem Rehabilitationsheim)<br />

§ 528 BGB nicht ein, so dass der Ablauf der Zehnjahresfrist<br />

durch dieses Ereignis auch nicht gehindert wird. 271<br />

Das Rückforderungsinteresse des Schenkers kann das Bestandsinteresse<br />

des Beschenkten zweitens dann nicht übersteigen, wenn<br />

dieser durch die Rückabwicklung selbst bedürftig wird, da andernfalls<br />

265<br />

MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 529 Rn. 3; Krauß, ZEV 2001, 417, 423.<br />

266<br />

Ebenso MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 518 Rn. 24.<br />

267<br />

BGH, 1970, 941; BGH, NJW 1973, 40; BGH, NJW 1974, 2319; BGH, FamRZ 1986,<br />

988; BGH, NJW-RR 1989, 1282; BGHZ 143, 51, 54 = NJW 2000, 728; BGHZ 146,<br />

228, 234 = FamRZ 2001, 409 = MDR 2001, 743 = NJW 2001, 1063 = ZEV 2001, 199;<br />

OLG Köln, FamRZ 1986, 985; OLG Zweibrücken, NJW-RR 2001, 436 = FamRZ<br />

2001, 660; Bamberger/Roth/Gerlein, BGB, 2. Aufl. 2008, § 529 Rn. 1; Rundel,<br />

MittBayNot 2003, 177, 179; Schippers, RNotZ 2006, 42, 44.<br />

268<br />

Ebenso MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 529 Rn. 3; von Hoyenberg, Vorweggenommene<br />

Erbfolge, 2010, 1. Kap. Rn. 15; Schippers, RNotZ 2006, 42, 52.<br />

Verneinend Gühlstorf/Ette, ZfF 2008, 13.<br />

269<br />

Offen deshalb Kraus, ZEV 2001, 417, 423.<br />

270<br />

BGH, NJW 2000, 728, 729 = ZEV 2000, 111; OLG Celle, OLGR 2003, 274; a. A.<br />

MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 529 Rn. 3, wonach es ausreichen soll, dass<br />

der Anspruch aus § 528 BGB wegen eines nach Fristablauf ununterbrochen fortbestehenden<br />

Bedürfnisses geltend gemacht wird.<br />

271<br />

Rundel, MittBayNot 2003, 177, 180 u. MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 529<br />

Rn. 3.<br />

200


der Beschenkte in eine Notlage gestürzt würde, um den Schenker aus<br />

ihr zu befreien. 272 Dies ist der Fall, wenn der angemessene Unterhalt<br />

des Beschenkten 273 gefährdet würde. Maßgeblich sind hierzu die entsprechenden<br />

familienrechtlichen Bestimmungen. Unerheblich ist der<br />

Grund für die Bedürftigkeit des Beschenkten. 274 Nur wenn der Beschenkte<br />

trotz oder gerade wegen der Kenntnis von dem drohenden<br />

Notbedarf des Schenkers und der möglichen Geltendmachung des<br />

Rückforderungsrechtes seine eigene Bedürftigkeit mutwillig her<strong>bei</strong>geführt<br />

hat, kann ihm die Berufung auf seine eigene Bedürftigkeit aufgrund<br />

des Gebots von Treu und Glauben verwehrt sein. 275 Ausreichend<br />

ist eine Gefährdung des eigenen Unterhalts. Es genügt, dass <strong>bei</strong> Erfüllung<br />

des Rückforderungsanspruch der Beschenkte wahrscheinlich<br />

nicht mehr genügend Mittel für seinen eigenen angemessenen Unterhalt<br />

zur Verfügung hat. Gleiches gilt, wenn die Erfüllung der ihm kraft<br />

Gesetzes obliegenden Unterhaltspflichten gefährdet ist. Die Rechtsprechung<br />

legt diese Bedürftigkeit <strong>bei</strong> Übertragung eines angemessenen<br />

Familienheims weit aus. Seine Veräußerung kann regelmäßig<br />

nicht verlangt werden. Für den Beschenkten kann allerdings die<br />

Verpflichtung bestehen, durch Aufnahme eines Realkredits Mittel für<br />

den eigenen Unterhalt zu beschaffen und einzusetzen. 276<br />

Ein über diese weitreichenden Einschränkungen hinausgehender allgemeiner<br />

Vertrauensschutz besteht nicht. 277 Allerdings kann in Einzelfällen<br />

der Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs das Gebot<br />

von Treu und Glauben entgegenstehen. Bei einem Hausgrundstück<br />

272 So BGH, FamRZ 2001, 286 = FuR 2001, 505 u. 171 = MDR 2001, 742 = NJW 2001,<br />

1207 = WM 2001, 582 = ZEV 2001, 196 = ZNotP 2001, 166 u. OLG Hamm, FamRZ<br />

1993, 1436.<br />

273 BGH, NJW 2003, 488; BGH, FamRZ 2005, 1989 = JuS 2006, 183 = MDR 2006, 255<br />

= NJW 2005, 3638 = ZEV 2006, 37. Zur Schenkung durch eine Erbengemeinschaft s.<br />

OLG Köln, BeckRS 2007, 17941 = NJOZ 2008, 1177 = RNotZ 2008, 158 = ZEV 2007,<br />

489.<br />

274 BGH, FamRZ 2001, 21 = FuR 2001, 85 = MDR 2001, 94 = NJW 2000, 3488, 3489 =<br />

ZEV 2000, 449 u. BGH, FamRZ 2001, 286 = MDR 2001, 742 = NJW 2001, 1207,<br />

1209 = WM 2001, 582 = ZEV 2001, 196.<br />

275 BGH, FamRZ 2001, 286 = FuR 2001, 505 u. 171 = MDR 2001, 742 = NJW 2001,<br />

1207, 1208 = WM 2001, 582 = ZEV 2001, 196 = ZNotP 2001, 166; BGHZ 155, 57, 63<br />

= NJW 2003, 2449 = JuS 2003, 1125 = ZEV 2003, 373 = FamRZ 2003, 1265.<br />

276 BGH, NJW 2003, 1384, 1388 = FamRZ 2003, 224 = MDR 2003, 633 = ZEV 2003,<br />

114; BGH, FamRZ 2005, 1989 = JuS 2006, 183 = MDR 2006, 255 = NJW 2005, 3638<br />

= ZEV 2006, 37.<br />

277 BGHZ 147, 288, 290 = NJW 2001, 2084 = FamRZ 2001, 1137 = MDR 2001, 1342 =<br />

ZEV 2001, 241 = ZIP 2001, 1546. Vgl. zu Anstandsschenkungen § 534 BGB; sie sind<br />

nur <strong>bei</strong> Geldzuwendungen (LG Lübeck, FamRZ 1996, 961), nicht <strong>bei</strong> Hausübertragungen<br />

von Bedeutung.<br />

201


kann dies dann der Fall sein, wenn kein nennenswerter Erlös erzielt<br />

wird, 278 wo<strong>bei</strong> allerdings insoweit eine Kreditaufnahme, wenn dadurch<br />

keine Versteigerung droht, zugemutet werden kann. Von praktischer<br />

Bedeutung sind <strong>bei</strong> Hausübergaben die Fälle, in denen der Erwerber<br />

auf dem übertragenen Grundstück selbst mit erheblichen Aufwendungen<br />

einen Anbau errichtet. In diesem Fall kann eine Unzumutbarkeit<br />

der Herausgabe oder Verwertung des geschenkten Anteils vorliegen.<br />

279 In vielen Fällen der Hausübertragung scheidet <strong>bei</strong> Eintritt der<br />

Pflegebedürftigkeit des Veräußerers im Zehnjahreszeitraum und damit<br />

zusammenhängenden ungedeckten Pflegekosten eine Rückforderung<br />

bereits aus zivilrechtlichen Gründen aus.<br />

Der Rückforderungsanspruch des § 528 BGB gehört zu denjenigen<br />

Ansprüchen, die Sozialhilfeträger regelmäßig auf sich überleiten (§ 93<br />

SGB XII). Die diesbezüglichen Fälle haben in letzter Zeit stark zugenommen.<br />

280 Bei der Auslegung des Rückforderungsrechtes wegen<br />

Notbedarf ist zu berücksichtigen, dass diese Vorschrift zunächst lediglich<br />

das Verhältnis zwischen Schenker und Beschenkten betraf.<br />

Insoweit bestanden zwischen <strong>bei</strong>den Vertragsparteien gegenläufige<br />

Interessen. Erhielt der verarmte Schenker die von ihm übertragene Immobilie<br />

nicht zurück, ging dies zu seinen Lasten. Aufgrund der staatlichen<br />

Fürsorge haben sich die Interessen im Rahmen des zivilrechtlichen<br />

Rückforderungsanspruchs geändert. § 528 BGB ist nahezu zu<br />

einem sozialhilferechtlichen Erstattungsanspruch geworden. 281 Soweit<br />

der verarmte Schenker <strong>bei</strong> Nichtrückgewähr des übertragenen Vermögenswertes<br />

Sozialhilfe erhält, geht es zu Lasten der Allgemeinheit,<br />

wenn der Rückforderungsanspruch nicht durchgreift. Insofern kann das<br />

gemeinsame Interesse von Schenker und Beschenktem bestehen, dass<br />

278 MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 529 Rn. 5.<br />

279 Vgl. OLG Hamm, FamRZ 1993, 1436.<br />

280 S. dazu OLG Düsseldorf, FamRZ 1984, 887; OVG Münster, NJW 1988, 1866; OVG<br />

Hamburg, FamRZ 1995, 1453; OVG Greifswald, NordÖR 1998, 206; LSG Berlin-<br />

Brandenburg, NotBZ 2008, 242 = ZEV 2008, 547; LSG Nordrhein-Westfalen, BeckRS<br />

2007, 48564 = MittBayNot 2008, 157; Brählmann-Boyan/Mann, NJW 1995, 1866; von<br />

Hoyenberg, Vorweggenommene Erbfolge, 2010, 1. Kap. Rn. 12; Klinger/Maulbetsch,<br />

NJW-Spezial 2004, 301; Ruby, ZEV 2005, 102 ff.; Rundel, MittBayNot 2003, 177 ff. u.<br />

Soergel/Mühl/Teichmann, BGB, 12. Aufl. 1997, § 528 Rn. 1. Zur eingeschränkten Abtretbarkeit<br />

s. BGHZ 127, 354 = FamRZ 1995, 160 = MDR 1995, 138 = NJW 1995,<br />

323 = WM 1995, 214 = ZEV 1995, 35; OLG München, NJW-RR 1993, 250 u.<br />

Wüllenkemper, JR 1988, 353 ff.<br />

281 jurisPK-BGB/Sefrin, 4. Aufl. 2008, § 528 Rn. 8.<br />

202


die übertragene Immobilie nicht für den angemessenen Unterhalt des<br />

Schenkers eingesetzt werden muss. 282<br />

Voraussetzung des Rückforderungsanspruchs ist zunächst das Vorliegen<br />

einer Schenkung. 283 Sie wird von den Sozialhilfeträgern mitunter<br />

<strong>bei</strong> einer Hausübertragung gegen Übernahme der bestehenden Verbindlichkeiten,<br />

Gewährung eines lebenslangen Wohnungsrechts sowie<br />

der Verpflichtung zu Umbau- und Renovierungsar<strong>bei</strong>ten, die auch dem<br />

Veräußerer zugute kommen, verneint, 284 nicht jedoch wenn nur ein Erb-<br />

und Pflichtteilsverzicht erklärt wird. 285 Die Unentgeltlichkeit der Übertragung<br />

des Hausgrundstücks ist vom nunmehr notleidenden Schenker<br />

und deshalb <strong>bei</strong> Überleitung des Anspruchs auf den Sozialhilfeträger<br />

von diesem zu beweisen. 286 Mittels fingierter Käufe wird teilweise versucht,<br />

den Tatbestand einer Schenkung zu vermeiden. Anreiz hierzu<br />

bietet ferner das Institut der Ausstattung (§ 1624 BGB), <strong>bei</strong> dem es sich<br />

um keine Schenkung handelt. 287 Insofern ist es kaum verwunderlich,<br />

dass das früher nahezu ein Schattendasein führende Institut der Ausstattung<br />

in der notariellen Praxis zunehmende Bedeutung erlangt, um<br />

damit von vornherein die Hausübertragung aus dem Anwendungsbereich<br />

des § 528 BGB auszunehmen. Konsequenz ist aber nicht nur,<br />

dass die Folgen der Schenkung dadurch der Allgemeinheit auferlegt<br />

werden, 288 sondern zusätzlich, dass ein Geschwisterteil, das keine Ausstattung<br />

erhalten hat, sondern eine sonstige Geldzuwendung, diese für<br />

die nicht gedeckten Pflegekosten einsetzen muss, während der wesentlich<br />

"vermögendere" Hausübernehmer seine Immobilie, ohne auch nur<br />

282 Zutreffend MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 528 Rn. 2, der deshalb die<br />

Tendenz zu einer schenkerfreundlichen Auslegung des § 528 BGB befürwortet.<br />

283 S. nur Langenfeld/Günther, Grundstückszuwendungen zur lebzeitigen<br />

Vermögensnachfolge, 6. Aufl. 2010, Kap. 3 Rn. 196 u. Krauß, Überlassungsverträge<br />

in der Praxis, 2. Aufl. 2010, Rn. 818 ff.<br />

284 VGH Kassel, NVwZ-RR 1991, 414.<br />

285 LG Münster, NJW 1984, 1188. Zur Übernahme von Betreuungsleistungen als Gegenleistung<br />

s. OLG Hamm, NJW-RR 1993, 1412. Allg. zur Berücksichtigung der Gegenleistungen<br />

bzw. Auflagen, die sich anspruchsmindern auswirken, jurisPK-BGB/Sefrin,<br />

4. Aufl. 2008, § 528 Rn. 26.<br />

286 BGH, NJW 1995, 1349, 1350; OLG Düsseldorf, NVwZ-RR 1996, 668, 669; OLG Köln,<br />

FamRZ 2002, 27 u. OLG Düsseldorf, NJW-RR 2001, 519 = MDR 2001, 21 =<br />

MittBayNot 2001, 70 = ZEV 2001, 200. Vgl. auch OLG Düsseldorf, NJW-RR 2001,<br />

1518 = NotBZ 2002, 151 = ZEV 2002, 34 zum Sonderfall einer Wohnungsgewährung.<br />

287 Vgl. nur Krauß, MittBayNot 2005, 349, 350 Fn. 9: "also keine Rückforderung <strong>bei</strong><br />

Vorliegen einer Ausstattung (§ 1624 BGB)!"; AnwK-BGB/Dendorfer, 2005, § 528<br />

Rn. 4; Palandt/Diederichsen, BGB, 69. Aufl. 2010, § 1624 Rn. 3; Schwarz, JZ 1997,<br />

545, 547; vgl. zur Ausstattung bereits Ziff. III. 2.<br />

288 So MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 528 Rn. 2.<br />

203


einen Bruchteil des übertragenen Wertes einsetzen zu müssen, behalten<br />

darf.<br />

Der Rückforderungsanspruch setzt das Vorliegen eines Notbedarfs<br />

voraus. 289 Der Schenker muss nach Vollzug der Veräußerung außer<br />

Stande sein, seinen angemessenen Unterhalt zu bestreiten oder seine<br />

gesetzlichen Unterhaltspflichten zu erfüllen. Ausreichend ist es, wenn<br />

eine der <strong>bei</strong>den Tatbestandsvarianten erfüllt ist. Von Bedeutung sind<br />

auch Unterhaltspflichten gegenüber Geschwistern des Hausübernehmers,<br />

vor allem "Nachzügler-Geschwisterteilen". Nicht zu berücksichtigen<br />

sind vertraglich übernommene oder letztwillig auferlegte<br />

Unterhaltspflichten. 290 Insoweit sind die Voraussetzungen des<br />

Unterhaltsanspruchs eines volljährigen nicht mehr privilegierten Kindes,<br />

das keiner Ausbildung mehr nachgeht und für den eigenen Lebensunterhalt<br />

grundsätzlich selbst verantwortlich ist, von Bedeutung. Eine<br />

Unterhaltspflicht wird insoweit nur in engen Ausnahmefällen angenommen.<br />

291 Wird ein Geschwisterteil aufgrund Krankheit oder einen<br />

Unfall bedürftig, ist sein Lebensbedarf auf einen am Existenzminimum<br />

orientierten Grundbedarf sowie auf einen gegebenenfalls konkret zu<br />

beziffernden Mehrbedarf beschränkt. Die von ihm bisher erreichte<br />

Lebensstellung ist nicht geschützt. 292 Ist das Kind dauernd erwerbsunfähig,<br />

erhält es die sozialhilferechtliche Grundsicherung, <strong>bei</strong> der der<br />

Regress gegen die unterhaltspflichtigen Eltern eingeschränkt ist (§ 43<br />

Abs. 2 SGB XII). Ferner ist zusätzlich die sozialhilferechtliche Begrenzung<br />

in § 94 Abs. 2 Satz 1 SGB XII <strong>bei</strong> Leistungen nach dem 3., 5.<br />

und 6. Kapitel zu beachten. Auf diese Weise wird in Hausüberlassungsfällen<br />

ein Rückforderungsanspruch der Eltern wegen ihrer<br />

Unterhaltspflicht gegenüber einem volljährigen nicht mehr privilegierten<br />

Geschwisterteil kaum in Betracht kommen. Die Grundsicherungsansprüche<br />

aus der Sozialversicherung sind von dem bedürftigen Kind<br />

vorrangig in Anspruch zu nehmen. 293 Auch der verarmte Elternteil kann<br />

nur den Unterhalt verlangen, der objektiv seiner Lebensstellung nach<br />

289 Zum maßgeblichen Zeitpunkt s. BGHZ 155, 57 = BeckRS 2003, 05700 = FamRZ<br />

2003, 1265 = NJW 2003, 2449 = JR 2004, 154 = JuS 2003, 1125 = LMK 2003, 161 =<br />

MDR 2003, 1405 = WM 2003, 1994 = ZEV 2003, 373<br />

290 S. nur Staudinger/Wimmer-Leonhardt, BGB, Neubearb. 2005, § 528 Rn. 12.<br />

291 BGH, FamRZ 1985, 273 = NJW 1985, 806; Schürmann, in: Luthin/Koch (Hrsg.),<br />

Handbuch des Unterhaltsrechts, 11. Aufl. 2010, 4. Kap. Rn. 4229; Erdrich, in:<br />

Scholz/Stein, Praxishandbuch Familienrecht, 2009, Stand: Okt. 2009, Teil I Rn. 168 u.<br />

183.<br />

292 BGH, FamRZ 1985, 273 = NJW 1985, 806; BGH, FamRZ 1987, 930.<br />

293 BGH, FamRZ 2007, 1158; OLG Brandenburg, FamRZ 2008, 174.<br />

204


der Schenkung angemessen ist. 294 Ihr Unterhalt ist jedoch nicht auf den<br />

nicht gedeckten Notbedarf beschränkt, sondern kann auch <strong>bei</strong> dessen<br />

Deckung durch einen darüber hinausgehenden Bedarf ausgelöst<br />

werden und dessen Befriedigung dienen. Der Schenker soll jedoch nicht<br />

so gestellt werden, als habe er die Schenkung nicht gemacht und könne<br />

deshalb seinen gewohnten Lebensstil ohne jede Einschränkung <strong>bei</strong>behalten.<br />

Er wird auf einen Unterhalt verwiesen, der nicht zwingend<br />

seinem bisherigen individuellen Lebensstil entsprechen muss, sondern<br />

der objektiv seiner Lebensstellung nach der Schenkung angemessen<br />

ist. Entscheidend ist, dass der Rückforderungsanspruch wegen Notbedarfs<br />

den Schenker in die Lage versetzt, seinen angemessenen<br />

Lebensunterhalt zu bestreiten. Dies ist nicht der Fall, wenn er die<br />

zurückverlangte Immobilie an Dritte weitergeben müsste. 295<br />

Das Vorliegen des Notbedarfs bereitet in der Regel, wenn bereits<br />

Sozialhilfe geleistet werden musste, keine Schwierigkeiten. 296<br />

Grundsätzlich ist da<strong>bei</strong> das gegenwärtige Aktivvermögen des<br />

Schenkers zu ermitteln, wo<strong>bei</strong> ihm eine Verwertung seiner Vermögenssubstanz<br />

zuzumuten ist und Erwerbsmöglichkeiten berücksichtigt<br />

werden müssen, die allerdings in den Übertragungsfällen der vorweggenommenen<br />

Erbfolge wegen Erreichens der Regelaltersgrenze regelmäßig<br />

ausscheiden. Gesetzliche Unterhaltsansprüche der Hausübergeber<br />

insbesondere gegen andere Kinder bleiben außer Betracht, da<br />

der Schenker durch die Rückforderung in die Lage versetzt werden soll,<br />

seinen Unterhalt selbst zu bestreiten. 297 Weitere Voraussetzung ist,<br />

dass der Notbedarf bereits eingetreten ist und nicht nur droht. 298<br />

Allerdings muss die Notlage nicht erst nach der Schenkung eingetreten<br />

sein; es genügt, wenn die Bedürftigkeit bereits vor dem Vollzug der<br />

Schenkung vorlag. 299 Unstrittig muss die Bedürftigkeit nicht Folge der<br />

294 BGH, BeckRS 2003, 00092 = FamRZ 2003, 224 = FF 2003, 67 = FuR 2003, 317 =<br />

MDR 2003, 633 = NJW 2003, 1384, 1387 = WM 2003, 1574 = ZEV 2003, 114.<br />

295 OLG Celle, NJW-RR 1999, 197.<br />

296 jurisPK-BGB/Sefrin, 4. Aufl. 2008, § 528 Rn. 19.<br />

297 BGHZ 147, 288, 290 = NJW 2001, 2084 = FamRZ 2001, 1137 = MDR 2001, 1342 =<br />

ZEV 2001, 241 = ZIP 2001, 1546; BGHZ 96, 380, 382; BGH, NJW 1991, 1824.<br />

298 BGHZ 143, 51, 53 = DB 2000, 420 = NJW 2000, 728 = MDR 2000, 873 = MittBayNot<br />

2000, 226 = WM 2000, 837 = ZEV 2000, 111 = ZIP 2000, 191 = ZNotP 2000, 106;<br />

BGHZ 155, 57, 60 = NJW 2003, 2449; MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 528<br />

Rn. 4; AnwK-BGB/Dendorfer, 2005, § 528 Rn. 6 u. Staudinger/ Wimmer-Leonhardt,<br />

BGB, Neubearb. 2005, § 528 Rn. 7.<br />

299 BGH, DNotZ 2005, 281 = FamRZ 2005, 177 = JuS 2005, 373 = MDR 2005, 676 =<br />

MittBayNot 2005, 394 = NJW 2005, 670, 671 = ZErb 2005, 123 = ZEV 2005, 121;<br />

BGHZ 169, 320 = BeckRS 2006, 13984 = DNotZ 2007, 283 = FamRZ 2007, 277 =<br />

JuS 2007, 386 = MDR 2007, 387 = NJW 2007, 60, 62 = NotBZ 2007, 99 = WM 2007,<br />

205


Schenkung, die Bedürftigkeit des Schenkers also nicht gerade durch die<br />

Schenkung her<strong>bei</strong>geführt worden sein. Die Beweislast für die Bedürftigkeit<br />

trägt der Schenker. 300<br />

Die Rechtsfolge des Bestehens eines Rückforderungsanspruchs ist<br />

nach dem Gesetzeswortlaut scheinbar einfach. Dem Schenker steht <strong>bei</strong><br />

Vorliegen eines Notbedarfs ein Herausgabeanspruch nach den Vorschriften<br />

der ungerechtfertigten Bereicherung zu, der mit Eintritt der<br />

Notlage entsteht. 301 Geschuldet wird die Rückgabe des Schenkungsgegenstandes<br />

in Natur (§ 812 Abs. 1 Satz 1 BGB). Ist der Beschenkte<br />

nicht mehr bereichert, ist der Anspruch ausgeschlossen (§ 818 Abs. 3<br />

BGB). Beweispflichtig hierfür ist der Beschenkte. 302 Dies wird <strong>bei</strong> Hausübertragungsfällen<br />

selten der Fall sein. Denkbar ist die Weitergabe des<br />

Geschenkes an den Ehegatten des beschenkten Kindes. Erfolgt diese<br />

Weiterübertragung nicht, um den Rückforderungsanspruch auszuschalten,<br />

so dass eine verschärfte Haftung nach den §§ 818 Abs. 4, 819<br />

BGB eingreift, kann sich der bedürftige Schenker an den Zweitbeschenkten<br />

halten (§ 822 BGB). 303 Die ehebezogene Zuwendung stellt<br />

insoweit eine Schenkung dar, auch wenn im Verhältnis der Ehegatten<br />

möglicherweise ein entgeltliches Geschäft vorliegt. 304<br />

Erfolgt die Rückübertragung der geschenkten Immobilie an die Eltern<br />

und stellt sie <strong>bei</strong> diesen Schonvermögen gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB<br />

XII dar, würde der Anspruch – jedenfalls bis zu einer eventuellen<br />

179 = ZEV 2007, 134; unklar Krauß, MittBayNot 2005, 349, 351, der von einer zeitlichen<br />

Reihenfolge von Schenkung und Verarmung ausgeht.<br />

300 BGH, NJW 1996, 987 u. AnwK-BGB/Dendorfer, 2005, § 528 Rn. 17.<br />

301 BGHZ 137, 76 = DNotZ 1998, 875 = FamRZ 1998, 155 = MDR 1998, 955 =<br />

MittBayNot 1998, 89 = MittRhNotK 1998, 83 = NJ 1998, 257 = NJW 1998, 537 = WM<br />

1998, 190 = ZEV 1998, 73.<br />

302 AnwK-BGB/Dendorfer, 2005, § 528 Rn. 17.<br />

303 BGHZ 106, 354 = NJW 1989, 1478; BGHZ 142, 300, 302 = NJW 2000, 134; BGHZ<br />

158, 63, 65 = BeckRS 2004, 03051 = DB 2004, 2040 = FamRZ 2004, 691 = JA 2004,<br />

594 = JuS 2004, 624 = JZ 2004, 795 = LMK 2004, 98 = NJW 2004, 1314 = WM 2005,<br />

389 = ZEV 2004, 209 = ZNotP 2004, 440; a. A. OLG Düsseldorf, FamRZ 1984, 887 u.<br />

OLG Koblenz, NJW-RR 1991, 1218. Vgl. auch OLG Celle, NJW-RR 1999, 197. Zur<br />

Rückforderung nach dem Tod des Beschenkten s. BGH, NJW 1991, 2558.<br />

304 BGHZ 142, 300, 301 = NJW 2000, 134; BGH, NJW-RR 2001, 6; BGHZ 106, 354, 357<br />

= NJW 1989, 1478; MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 528 Rn. 8; AnwK-<br />

BGB/Dendorfer, 2005, § 528 Rn. 13; Brähler-Boyan/Mann, NJW 1995, 1866, 1868; a.<br />

A. OLG Koblenz, NJW-RR 1991, 1218. Die insoweit empfohlene unmittelbare<br />

Schwiegerkinderschenkung bringt keine Vorteile (a. A. Reymann, ZEV 2006, 55 ff.);<br />

OLG Koblenz, NJW-RR 1991, 1218 u. KG, FamRB 2010, 1 = FamRZ 2010, 33 = FPR<br />

2009, 489 = JA 2010, 225 = NJW-RR 2009, 1301.<br />

206


Erbenhaftung – dem Sozialhilfeträger zunächst nichts bringen. 305<br />

Allerdings beschränkt sich der Herausgabeanspruch auf das zur Behebung<br />

des Notbedarfs Erforderliche ("soweit"). Er ist somit durch den<br />

Wert der Zuwendung und durch den angemessenen Unterhalt des<br />

Schenkers begrenzt. Entspricht der festgestellte Notbedarf nicht dem<br />

Wert des Geschenks, so dass dieses insgesamt herauszugeben ist, so<br />

können nur die zur Bedarfsdeckung erforderlichen Teile "zurückgefordert"<br />

werden. Ausnahmsweise ist dies anders, wenn der aufgelaufene<br />

Bedarf bereits den Wert des geschenkten Gegenstands erreicht,<br />

was <strong>bei</strong> Hausübertragungen jedoch nur in ganz seltenen Fällen<br />

gegeben sein wird. Die anteilige Rückgabe ist <strong>bei</strong> Geldschenkungen<br />

unproblematisch, da hier jeweils der entsprechende Teilbetrag, der zur<br />

Deckung des angemessenen Unterhalts erforderlich ist, entrichtet<br />

werden kann. Dies ist <strong>bei</strong> einem unteilbaren Gegenstand wie z. B. einer<br />

Immobilie nicht möglich, da eine Teilherausgabe (z. B. nach Quadratmetern)<br />

nicht denkbar ist. Gleiches gilt <strong>bei</strong> gemischten Schenkungen<br />

und wohl auch <strong>bei</strong> Schenkungen unter Auflagen, da der Wert der<br />

Gegenleistung bzw. der Auflage als den unentgeltlichen Teil der Zuwendung<br />

mindernde Verrechnungspositionen zu erfassen ist. 306 Bei der<br />

Hausübergabe ist deshalb praktisch nur ein Teilwertersatz in Geld möglich.<br />

307<br />

Im Normalfall tritt <strong>bei</strong> Heimunterbringung des früheren Eigentümers ein<br />

wiederkehrender Bedarf auf, so dass das Kind Zahlungen in wiederkehrenden<br />

Teilleistungen schuldet. 308 Die Zahlungen sind auf den<br />

305<br />

Anders ist dies, wenn man insoweit Einkommen annimmt (so im Ansatz Wahrendorf,<br />

in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 93 Rn. 14).<br />

306<br />

Ebenso Krauß, ZEV 2001, 417, 422 u. jurisPK-BGB/Sefrin, 4. Aufl. 2008, § 528<br />

Rn. 26.<br />

307<br />

BGHZ 94, 141, 143 = NJW 1985, 2419; BGHZ 96, 380, 382 = NJW 1986, 1606;<br />

BGHZ 125, 283, 284 = NJW 1994, 1655; BGH, FamRZ 1996, 483 = MDR 1996, 348<br />

= MittRhNotK 1997, 75 = NJW 1996, 987 = WM 1996, 687 = ZEV 1996, 152; BGHZ<br />

146, 228 = FamRZ 2001, 409 = MDR 2001, 743 = NJW 2001, 1063 = ZEV 2001, 199;<br />

BGH, JA 2003, 619 = JuS 2003, 295 = NJW-RR 2003, 53, 54 = ZEV 2003, 29; OLG<br />

Zweibrücken, OLGZ 1989, 264.<br />

308<br />

BGHZ 94, 141, 143 = NJW 1985, 2419; BGHZ 96, 380, 382 = NJW 1986, 1606 =<br />

MittRhNotK 1986, 118; BGHZ 125, 283, 284 = DVBl. 1994, 1294 = FamRZ 1994, 815<br />

= MDR 1995, 28 = NJW 1994, 1655 = WM 1994, 1303 = ZEV 1994, 255; BGHZ 155,<br />

57, 59 = FamRZ 2003, 1265 = JR 2004, 154 = JuS 2003, 1125 = NJW 2003, 2449 =<br />

WM 2003, 1994 = ZEV 2003, 373; BGH, DNotZ 2005, 281 = FamRZ 2005, 177 = JuS<br />

2005, 373 = MDR 2005, 676 = MittBayNot 2005, 394 = NJW 2005, 670 = ZErb 2005,<br />

123 = ZEV 2005, 121; BGH, BeckRS 2006, 01644 = FamRZ 2006, 473 = JuS 2006,<br />

749 = NJW-RR 2006, 699, 701 = ZEV 2006, 214; BVerwGE 90, 245, 248 = NJW<br />

1992, 3312; Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Auf. 2010, § 93 Rn. 15;<br />

MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 528 Rn. 5; Staudinger/Wimmer-Leonhardt,<br />

207


Gesamtwert der übertragenen Immobilie beschränkt; ist dieser erschöpft,<br />

muss das Kind keine Zahlungen mehr leisten. 309 Wirtschaftliche<br />

Konsequenz ist allerdings, dass das Kind <strong>bei</strong> einer langdauernden<br />

Heimunterbringung der Eltern diesen faktisch die Immobilie mittels eines<br />

Ratenzahlungsvertrages abkauft. 310 Der vordergründige Schutz des<br />

Schonvermögens hilft somit nicht. 311<br />

Kann sich das beschenkte Kind den Kauf einer Immobilie nicht leisten,<br />

wird es auf dem Umweg der teilweisen Ersatzpflicht in Geld faktisch<br />

zum Immobilienkauf genötigt. Folge ist, dass es seinen sonstigen<br />

Lebensstandard erheblich einschränken muss, wozu es häufig nicht<br />

bereit sein wird. Insofern führt die Einschränkung des Rückforderungsanspruchs<br />

auf das zur Behebung des Notbedarfs Erforderliche, das den<br />

Beschenkten schonen soll, <strong>bei</strong> Hausübertragungen zum gegenteiligen<br />

Ergebnis. Kinder sind häufig bereit, die Immobilie den Eltern gegen<br />

Ersatz ihrer Verwendungen zurückzugeben, um sich dadurch von einer<br />

ihren Lebensstandard einschränkenden Geldzahlungspflicht zu befreien.<br />

Der Wortlaut des § 528 Abs. 1 Satz 2 BGB lässt dies zu. Der<br />

BGH hat die Frage zunächst offen gelassen, 312 aber nunmehr bejaht. 313<br />

Der Beschenkte sei nicht verpflichtet, das Geschenk zu verwerten oder<br />

insbesondere auch eigene Mittel einzusetzen, um den Unterhaltsbedarf<br />

des Schenker zu sichern. Er könne auf die Begünstigung des Gesetzes<br />

verzichten und sich durch Herausgabe des ganzen Grundstücks in<br />

BGB, Neubearb. 2005, § 528 Rn. 17; Palandt/Weidenkaff, BGB, 69. Aufl. 2010, § 528<br />

Rn. 6; Erman/Herrmann, BGB, 12. Aufl. 2008, § 528 Rn. 3 u. Krauß, MittBayNot 2005,<br />

349 ff.<br />

309 S. nur BGH, FamRZ 1996, 483 = MDR 1996, 348 = MittRhNotK 1997, 75 = NJW<br />

1996, 987 = WM 1996, 687 = ZEV 1996, 152 u. OLG Koblenz, FamRZ 1999, 256 =<br />

MittBayNot 1999, 284. Freiwillig erbrachte Pflegeleistungen können dem Anspruch<br />

nicht entgegengehalten werden (BGHZ 137, 76 = DNotZ 1998, 875 = FamRZ 1998,<br />

155 = MDR 1998, 955 = MittBayNot 1998, 89 = MittRhNotK 1998, 83 = NJ 1998, 257<br />

= NJW 1998, 537 = WM 1998, 190 = ZEV 1998, 73; s. auch OLG Oldenburg, FamRZ<br />

1996, 1281 = NJWE-FER 1996, 39 u. LG Mönchengladbach, NJW 1996, 467).<br />

310 Zur dogmatischen Einstufung als einheitlicher Anspruch auf teilweise Herausgabe des<br />

Geschenks in Form von Geldersatzleistungen s. BGHZ 125, 283, 285 = DVBl. 1994,<br />

1294 = FamRZ 1994, 815 = MDR 1995, 28 = NJW 1994, 1655 = WM 1994, 1303 =<br />

ZEV 1994, 255; BGHZ 146, 228, 232 = FamRZ 2001, 409 = MDR 2001, 743 = NJW<br />

2001, 1063 = ZEV 2001, 199.<br />

311 Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 93 Rn. 15.<br />

312 BGHZ 125, 283, 285 = DVBl. 1994, 1294 = FamRZ 1994, 815 = MDR 1995, 28 =<br />

NJW 1994, 1655 = WM 1994, 1303 = ZEV 1994, 255; Vgl. auch OLG Hamm, BeckRS<br />

2005, 14733 = NJOZ 2006, 287 = OLGReport Hamm 2006, 184<br />

313 BGH, BeckRS 2010, 02216 = FamRZ 2010, 463 = MDR 2010, 433 = NotBZ 2010,<br />

141 = WuM 2010, 94 = ZEV 2010, 155; ebenso bereits MünchKommBGB/Koch,<br />

5. Aufl. 2008, § 528 Rn. 6; Franzen, FamRZ 1997, 528, 532 u. 545 u. Schwarz, JZ<br />

1997, 547.<br />

208


Natur von der Teilwertersatzpflicht in Geld befreien. Andernfalls würde<br />

sich die Begünstigung in dem Fall, dass das Geschenk schwer oder gar<br />

nicht zu verwerten ist, in ihr Gegenteil verkehren. Zwar trägt in diesem<br />

Fall das Risiko der Verwertung der geschenkten Immobilie der Träger<br />

der Sozialhilfe. Dies wäre allerdings nicht anders, wenn der im Pflegeheim<br />

untergebrachte Elternteil von vornherein die Immobilie behalten<br />

hätte. Wird die Immobilie wegen Pflegeheimaufenthalt vom Schenker<br />

oder dessen Angehörigen nicht mehr selbst genutzt, handelt es sich um<br />

kein sozialhilferechtliches Schonvermögen. Ob die Ersetzungsbefugnis<br />

bereits durch Erklärung wirksam ausgeübt werden kann, oder ob es<br />

hierzu eines notariell beurkundeten Angebots bedürfe, hat der BGH<br />

offen gelassen. Bis zum Vorliegen der höchstrichterlichen Entscheidung<br />

ist deshalb in der Praxis zu empfehlen, ein notarielles Angebot auf<br />

Rückgabe der Schenkung zu machen. Offen ist auch noch, ob in den<br />

sogenannten Anbaufällen – gegebenenfalls nach Aufteilung in<br />

Wohnungs- und Teileigentum – eine Rückgabe des alten Hauses mit<br />

einem entsprechenden Grundstücksteil erfolgen kann, mit der Folge,<br />

dass nur in Höhe des verbleibenden Grundstücksanteils ein Wertersatz<br />

in Geld zu leisten wäre. Dies würde dem Interesse des Kindes, das<br />

möglichst wenig eigene Mittel einsetzen möchte, entgegenkommen.<br />

Diese Lösung stellt allerdings nicht den Zustand wieder her, der ohne<br />

die Freigiebigkeit des Schenkers bestünde. Der zurückgegebene<br />

Gegenstand ist sowohl <strong>bei</strong> realer Grundstücksteilung als auch <strong>bei</strong> Aufteilung<br />

in Wohnungs- und Teileigentum verändert.<br />

Hat der Sozialhilfeträger den Anspruch nach § 528 Abs. 1 Satz 1 BGB<br />

auf sich übergeleitet, befreit eine Rückgabe der Immobilie an den verarmten<br />

Schenker den Beschenkten nicht von seiner Leistungspflicht<br />

gegenüber dem Sozialhilfeträger, wenn ihm die Überleitung bereits<br />

bekannt war. 314 In diesen Fällen muss die Rückgabe an den Sozialhilfeträger<br />

erfolgen. Der Beschenkte kann sich jedoch durch die Rückgabe<br />

in Natur von der Pflicht des Wertersatzes gegenüber dem Sozialhilfeträger<br />

befreien. 315 Ob der Verzicht auf die Begünstigung des § 528<br />

Abs. 1 Satz 1 BGB durch die Herausgabe des ganzen geschenkten<br />

Grundstücks in Natur dazu führt, dass die Immobilie <strong>bei</strong>m Schenker<br />

wiederum Schonvermögen i. S. des § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII wird, ist<br />

bisher nicht geklärt. 316 Der übergeleitete Anspruch stellt nämlich eine<br />

Teilwertersatzpflicht dar, von der sich der Beschenkte nur durch die<br />

314 BGHZ 125, 283, 285 = DVBl. 1994, 1294 = FamRZ 1994, 815 = MDR 1995, 28 =<br />

NJW 1994, 1655 = WM 1994, 1303 = ZEV 1994, 255.<br />

315 A. A. noch Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 93 Rn. 15.<br />

316 Bejahend Krauß, NotBZ 2010, 141, 142.<br />

209


Herausgabe eines "Mehr" befreien kann. Erhält der Sozialhilfeträger<br />

mehr, als er beanspruchen kann, kann dies im Rahmen der Sozialhilfe<br />

aber wohl nicht dazu führen, dass das zurückgegebene Geschenk nicht<br />

verwertet werden kann. Praktisch werden diese Fälle, wenn die Immobilie<br />

nach Rückgabe weiter von einem zur Einsatzgemeinschaft gehörenden<br />

Angehörigen des im Heim untergebrachten Elternteils selbst<br />

genutzt wird. Dies würde zu einer Totalblockade führen und dem Träger<br />

der Sozialhilfe nur die Möglichkeit geben, nach dem Tod des Elternteils<br />

auf dessen Nachlass, in dem sich die zurückübertragene Immobilie<br />

dann wieder befindet, zurückzugreifen (§ 102 SGB XII). Allerdings ist<br />

der Sozialhilfeträger dadurch nicht stärker belastet, als er <strong>bei</strong>m Fortbestand<br />

des Eigentums in der Person des Veräußerers stehen würde.<br />

An sich scheint diese Lösung schlüssig zu sein. 317<br />

Bereits vor der Entscheidung des BGH wurde deshalb die vertragliche<br />

Vereinbarung der sogenannten Ersetzungsbefugnis diskutiert. 318 Dem<br />

beschenkten Kind sollte dadurch die Möglichkeit gegeben werden, sich<br />

im Fall der Inanspruchnahme durch die Sozialhilfeverwaltung von der<br />

Zahlungspflicht durch Rückgabe der geschenkten Immobilie zu befreien.<br />

Allerdings ist fraglich, ob die umgekehrte vertragliche Ersetzungsbefugnis<br />

mit Rückgabe an den Schenker selbst dazu führt, dass es sich <strong>bei</strong><br />

diesem um Schonvermögen handelt. Ebenso wie <strong>bei</strong>m Erbfall, kann die<br />

vertragliche Variante dazu führen, dass es sich <strong>bei</strong> dem Schenker um<br />

Einkommen handelt, für das nicht die Grenzen des § 90 Abs. 2 SGB XII<br />

gelten. 319 Praktisch wird die Ersetzungsbefugnis zudem nur werden,<br />

wenn die Immobilie nicht vom beschenkten Kind umgebaut oder an sie<br />

angebaut wurde, es sich also <strong>bei</strong> dem Zuwendungsobjekt um ein sofort<br />

auch vom Kind nutzbares Haus handelt. In diesen Fällen kann<br />

flankierend durch Verfügung von Todes wegen sichergestellt werden,<br />

dass die Immobilie <strong>bei</strong>m Tod des Elternteils wieder auf das Kind<br />

zurückfällt. Fallen für die Heimunterbringung kaum Kosten an, da der<br />

Elternteil nach der Rückgabe relativ schnell stirbt, muss das Kind nur<br />

den nicht gedeckten Fehlbetrag an die Sozialhilfe im Rahmen der<br />

Erbenhaftung leisten. Fallen höhere Kosten an und ist die Immobilie<br />

noch nicht verwertet, kann das Kind die Erbschaft ausschlagen.<br />

Zweckmäßig ist es hinsichtlich der Immobilie ein Vorausvermächtnis<br />

317 Ähnlich Krauß, MittBayNot 2005, 349, 353.<br />

318 Hörlbacher, ZEV 1995, 202, 204; Krauß, Überlassungsverträge in der Praxis,<br />

2. Aufl. 2010, Rn. 886 u. Skribbe, ZEV 1994, 255. Vgl. auch Jülicher, ZEV 1998,<br />

201 ff. u, Spiegelberger, MittBayNot 2000, 1 ff.<br />

319 Doering-Striening, ErbR 2009, 362, 364; nicht behandelt von Krauß,<br />

Überlassungsverträge in der Praxis, 2. Aufl. 2010, Rn. 886 u. ders., ZEV 2001, 417,<br />

425.<br />

210


anzuordnen, wenn das Kind auch Erbe werden soll. In diesem Fall kann<br />

es über die Annahme der dazugehörenden Immobilie unabhängig von<br />

der Annahme der Erbschaft im Übrigen entscheiden, 320 da in diesem<br />

Fall das Vermächtnis von der Erbenstellung unabhängig ist. 321<br />

Schenkungsteuerrechtlich führt die Rückgabe der Immobilie zur Berichtigung<br />

der Schenkungsteuer. Unproblematisch ist dies, soweit das<br />

Geschenk wegen eines Rückforderungsrechtes herausgegeben werden<br />

muss (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG), und zwar auch <strong>bei</strong> Rückforderung<br />

durch den Träger der Sozialhilfe. 322 Ob dies auch gilt, wenn das Rückforderungsrecht<br />

lediglich in Form des Wertersatzes besteht und der<br />

Hausübernehmer freiwillig die Immobilie zurückgibt, ist offen.<br />

Grundsätzlich dürfte die Rückgabemöglichkeit schenkungsteuerrechtlich<br />

hinsichtlich des übersteigenden Betrags eine Rückschenkung darstellen.<br />

323 Beim Schenker selbst ist der Zeitraum, in dem er die Immobilie<br />

genutzt hat, schenkungsteuerrechtlich wie die Zuwendung eines<br />

zeitlich beschränkten Nießbrauchs zu behandeln (§ 29 Abs. 2<br />

ErbStG). 324<br />

Das Gesetz gibt dem Beschenkten eine weitere ausdrücklich geregelte<br />

Ersetzungsbefugnis. Er kann den Rückgabeanspruch dadurch abwenden,<br />

dass er erklärt, dem Schenker den für dessen Unterhalt bzw.<br />

Unterhaltspflicht erforderlichen Betrag zu zahlen. 325 Dieser Anspruch<br />

steht nur dem Beschenkten, nicht dem Schenker zu. Deshalb kann auch<br />

die Sozialhilfe <strong>bei</strong> Angebot der Rückgabe des Geschenkes im Ganzen<br />

nicht auf diese Ersetzungsbefugnis ausweichen. 326 Die Ersetzungsbefugnis<br />

des Schenkers ist in der Praxis ohne Bedeutung,<br />

wenn der Rückgewähranspruch, den die Sozialhilfebehörde auf sich<br />

übergeleitet hat, <strong>bei</strong> einer unteilbaren Immobilie von vornherein auf<br />

Zahlung geht. 327 Hat das beschenkte Kind versehentlich von dem Wahlrecht<br />

Gebrauch gemacht, kann es allerdings nicht mehr einseitig zum<br />

Anspruch aus § 528 Abs. 1 Satz 1 BGB zurückkehren und damit auch<br />

320 S. nur Palandt/Edenhofer, BGB, 69. Aufl. 2010, § 2150 Rn. 2.<br />

321 OLG Köln, FamRZ 1998, 197.<br />

322 Vgl. Kapp/Ebeling, ErbStG, Stand: Dezember 2009, § 29 Rn. 25.<br />

323 Vgl. Kapp/Ebeling, ErbStG, Stand: Dezember 2009, § 29 Rn. 1.<br />

324 Vgl. Kapp/Ebeling, ErbStG, Stand: Dezember 2009, § 29 Rn. 30.1.<br />

325 MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 528 Rn. 21; Staudinger/Wimmer-Leonhardt,<br />

BGB, Neubearb. 2005, § 528 Rn. 28.<br />

326 Vgl. OLG Naumburg, OLG-NL 1997, 27; MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 528<br />

Rn. 21.<br />

327 BGHZ 94, 141, 144 = NJW 1985, 2419; BGH, NJW 1996, 987, 988 u. BGHZ 137, 76,<br />

83 = NJW 1998, 537; Ebenso PWW/Hoppenz, BGB, 5. Aufl. 2010, § 528 Rn. 12 u 14<br />

u. MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 528 Rn. 21.<br />

211


nicht von der nunmehr vom BGH eröffneten Möglichkeit der Rückgabe<br />

des Geschenkes im Ganzen Gebrauch machen. 328<br />

Hat der nunmehr bedürftige Elternteil verschiedene Zuwendungen gemacht,<br />

kommt es auf deren zeitliche Dimension an (§ 528 Abs. 2 BGB).<br />

Gleichzeitige Beschenkte haften ohne Rücksicht auf den Gegenwert der<br />

Zuwendungen gleichrangig nebeneinander. 329 Eine gleichzeitige<br />

Schenkung im Rahmen einer Hausübertragung erfolgt häufig dadurch,<br />

dass der Übernehmer an seine weichenden Geschwister Geldzahlungen<br />

zu leisten hat. Diese erfolgen nicht durch Schenkung des<br />

Hauserwerbers, sondern aufgrund Auflage der Eltern und stellen damit<br />

Zuwendungen von diesen dar. Auf den Zeitpunkt der Entrichtung dieser<br />

Geldleistung kommt es nicht an. Maßgeblich für den Ausgleich<br />

zwischen mehreren Beschenkten ist nämlich nach überwiegender Ansicht<br />

der Zeitpunkt des Abschlusses des Zuwendungsvertrages und<br />

nicht derjenige der Bewirkung der Leistungshandlung oder der sonstige<br />

Vollzug. 330 In diesem Fall kann der verarmte Elternteil und nach Überleitung<br />

des Anspruchs der Sozialhilfeträger nach seiner Wahl die beschenkten<br />

Kinder in Anspruch nehmen. Er muss nicht Empfänger der<br />

Geldzuwendungen wegen der schnelleren Realisierbarkeit vorrangig in<br />

Anspruch nehmen. 331 Aufgrund der gesamtschuldnerischen Haftung im<br />

Außenverhältnis ergibt sich eine interne Ausgleichspflicht entsprechend<br />

den zugewandten Werten, auch wenn die Übertragung des Hausgrundstücks<br />

und eine Geldzuwendung nicht gleichartig sind. 332 Bei<br />

Inanspruchnahme des jeweiligen Kindes steht diesem ein Freistellungsanspruch<br />

gegen die Geschwister zu. 333<br />

328 Zur Streitfrage, ob die Unterhaltspflicht der Höhe nach durch den Wert des Geschenks<br />

beschränkt ist s. bejahend Franzen, FamRZ 1997, 528, 530;<br />

Erman/Herrmann, 12. Aufl. 2008, § 528 Rn. 4; Soergel/Mühl/Teichmann, BGB,<br />

12 Aufl. 1997, § 528 Rn. 12; Staudinger/Wimmer-Leonhardt, BGB, Neubearb. 2005,<br />

§ 528 Rn. 29 u. MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 528 Rn. 22; verneinend<br />

Hörlbacher, ZEV 1995, 202, 203; Krauß, ZEV 2001, 417, 421;<br />

Bamberger/Roth/Gerlein, BGB, 2. Aufl. 2008, § 528 Rn. 5; AnwK-BGB/Dendorfer,<br />

2005, § 528 Rn. 15; Jauernig/Mansell, BGB, 13. Aufl. 2009, § 528 Rn. 5.<br />

329 BGH, NJW 1991, 1824, 1825; BGHZ 137, 76, 80 f. = DNotZ 1998, 875 = FamRZ<br />

1998, 155 = MDR 1998, 955 = MittBayNot 1998, 89 = MittRhNotK 1998, 83 = NJ<br />

1998, 257 = NJW 1998, 537 = WM 1998, 190 = ZEV 1998, 73; OLG Frankfurt, NJW-<br />

RR 1993, 835. Vgl. auch Heiter, JR 1995, 313 ff. u. Keim, ZEV 1998, 375 ff.<br />

330 Staudinger/Wimmer-Leonhardt, BGB, Neubearb. 2005, § 528 Rn. 35;<br />

MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 528 Rn. 26; Heiter, JR 1994, 313, 315; Keim,<br />

ZEV 1998, 375, 377 u. Rundel, MittBayNot 2003, 177, 180.<br />

331 BGHZ 137, 76, 80 f.<br />

332 BGHZ 137, 76, 82 ff. u. Rundel, MittBayNot 2003, 177, 182.<br />

333 MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 528 Rn. 27 a. E.<br />

212


Erfolgen die Zuwendungen zeitlich nacheinander, <strong>bei</strong>spielsweise <strong>bei</strong><br />

Übertragung mehrerer Immobilien oder einer Immobilie und eines<br />

anderen Vermögensgegenstandes (z. B. Wertpapierdepot), hat die<br />

Rückabwicklung in der umgekehrten zeitlichen Reihenfolge zu erfolgen.<br />

Der zuletzt Beschenkte wird als erster herangezogen. 334 Der später<br />

Beschenkte haftet deshalb nur für denjenigen Restbetrag, der sich ergibt,<br />

wenn der Wert der Herausgabepflicht des später Beschenkten vom<br />

Bedarf abgezogen wird. Faktisch ist dies <strong>bei</strong> der Hausüberlassung erst<br />

dann der Fall, wenn der Wert des ersten Geschenks erschöpft ist.<br />

Maßgeblich ist die konkrete Leistungsfähigkeit zur Deckung des auftretenden<br />

Bedarfs. 335 Eine Ausgleichspflicht zwischen den mehreren<br />

Beschenkten besteht nicht. Diese Regelung widerspricht häufig den<br />

Interessen der Beteiligten, da die Eltern mit den Schenkungen die<br />

Kinder möglichst gleich behandeln oder zumindest erreichen wollen,<br />

dass jedes Kind den ihm zugewandten Gegenstand behalten darf. Dass<br />

ein Kind leer ausgeht, während das andere im Genuss des Geschenks<br />

verbleibt, ist im Normalfall nicht Zweck der Zuwendung. Gleiches gilt<br />

übrigens auch, wenn <strong>bei</strong> einem Kind die Zehnjahresfrist des § 2329<br />

Abs. 1, 2. Alt. BGB bereits verstrichen ist, während das später beschenkte<br />

Kind „seine“ Immobilie zurückgeben oder Wertersatz leisten<br />

muss. Ausnahmsweise kann dieses trotz des Aspekts der (möglichst<br />

weitgehenden) Gleichbehandlung der Kinder gewollt sein, wenn das<br />

zuletzt beschenkte Kind sich gegenüber den Eltern oder Geschwistern<br />

in nicht adäquater Weise verhalten hat (z. B. tätliche Angriffe, Beschimpfungen),<br />

aber dennoch nicht leer ausgehen soll, etwa weil ein<br />

verstorbener Elternteil eine Zuwendung wünschte oder in früheren<br />

Zeiten anzuerkennende Leistungen erbracht wurden.<br />

Diesbezüglich wurden Freistellungsverpflichtungen zu Gunsten der<br />

weichenden Geschwister von Unterhaltsansprüchen, die auf den<br />

Sozialhilfeträger übergehen, bereits früher diskutiert. 336 Gleiches betrifft<br />

den Rückforderungsanspruch nach § 518 BGB. Die Freistellungsver-<br />

334<br />

BGHZ 137, 76, 80 = NJW 1998, 537. Zur entsprechenden Regelung im Pflichtteilsrecht<br />

vgl. § 2329 Abs. 3 BGB.<br />

335<br />

Ebenso jurisPK-BGB/Severin, 4. Aufl. 2008, § 528 Rn. 33; MünchKommBGB/Koch,<br />

5. Aufl. 2008, § 528 Rn. 26; Staudinger/Wimmer-Leonhardt, BGB, Neubearb. 2005,<br />

§ 528 Rn. 33; a. A. Bamberger/Roth/Gerlein, BGB, 13. Aufl. 2009, § 528 Rn. 6;<br />

Soergel/Mühl/Teichmann, BGB, 12. Aufl. 1997, § 528 Rn. 9 in Anlehnung an § 2329<br />

BGB.<br />

336<br />

S. nur Waldner/Ott, MittBayNot 1986, 65 ff. u. Weiland, MittRhNotK 1997, 73 f.; vgl.<br />

auch Mayer, Der Übergabevertrag, 2. Aufl. 2001, Rn. 218; Albrecht, in:<br />

Reithmann/Albrecht, Handbuch der notariellen <strong>Vertragsgestaltung</strong>, 8. Aufl. 2001,<br />

Rn. 714; Rastätter, ZEV 1996, 281, 289.<br />

213


pflichtung kann für den Fall vereinbart werden, dass Geschwister aufgrund<br />

der gesetzlichen Unterhaltspflicht oder aufgrund der Rückforderung<br />

nach § 518 Abs. 1 BGB zu Zahlungen bzw. zur Rückgabe des<br />

Geschenkes durch die Eltern direkt oder durch den Sozialhilfeträger im<br />

Wege des Regresses herangezogen werden. Ist diese Freistellungsverpflichtung<br />

nicht beschränkt, kann der Hausübernehmer seinerseits zu<br />

Zahlungen herangezogen werden, die den Wert der Zuwendungen<br />

übersteigen. Außerdem ist zu prüfen, ob nicht auch der Hausübernehmer<br />

wertmäßig einen Betrag in Höhe der den Geschwistern verbleibenden<br />

Abfindungsleistungen ebenfalls behalten darf. Von Bedeutung<br />

sind ferner die von ihm zusätzlich erbrachten Leistungen<br />

gegenüber den Eltern, die auch die Geschwister entlastet haben, insbesondere<br />

Pflegeleistungen. In der Praxis dienen Freistellungsverpflichtungen<br />

häufig dazu, eine aktuelle Beruhigung der Geschwister<br />

her<strong>bei</strong>zuführen. Der Hausübernehmer erklärt sich mit ihnen einverstanden,<br />

ohne dass die sich aus der Vertragsklausel später ergebenden<br />

Probleme wirklich gelöst wären. 337<br />

Zudem nutzt die Freistellungsverpflichtung wenig, wenn der Hausübernehmer<br />

nicht leistungsfähig ist. Außerdem kommt es in der Praxis<br />

häufig zu einem Konflikt zwischen dem Sicherungsinteresse der Übergeber<br />

und der Freistellungsverpflichtung. Wollen die Übergeber oder<br />

zumindest der noch nicht im Pflegeheim untergebrachte Elternteil, dass<br />

das übertragene Haus nicht veräußert wird, kann der Hausübernehmer<br />

seine Freistellungsverpflichtung gegenüber den Geschwistern kaum<br />

erfüllen. Eine Beleihung des Objektes im Rang hinter Wohnungsrechten<br />

und Vormerkungen zur Sicherung der Rückübertragungsverpflichtung<br />

ist ihm nicht möglich. Soll die Beleihung erstrangig zugelassen werden,<br />

ist ein Rangrücktritt der Eltern erforderlich, der von dem im Haus verbliebenen<br />

Elternteil nicht gewünscht und <strong>bei</strong> dem unter Betreuung<br />

stehenden, im Heim untergebrachten Elternteil nur schwer zu realisieren<br />

ist. 338 Freistellungsverpflichtungen haben deshalb meist nur eine mehr<br />

plakative als eine reale Wirkung.<br />

Wichtig ist, dass Geschwister die im Hinblick auf eine Abfindung einen<br />

Pflichtteilsverzicht erklärt haben, <strong>bei</strong> Geltendmachung der Rückforderung<br />

hinsichtlich der Abfindung jedenfalls ihre Pflichtteilsansprüche<br />

wieder erhalten sollten. Praktisch wird dieser Fall allerdings nur in Ausnahmefällen,<br />

wenn ein unbeschränkter Pflichtteilsverzicht abgegeben<br />

wurde, und der Hausübergeber später z. B. durch einen Lottogewinn<br />

337 Ähnlich Mayer, Der Übergabevertrag, 2. Aufl. 2001, Rn. 218.<br />

338 Vgl. Zimmer, ZEV 2006, 381 ff.<br />

214


trotz Unterbringung im Pflegeheim wieder zu Geld kommt, nachdem die<br />

Rückforderung hinsichtlich der Abfindungsbeträge und des Hauses<br />

bereits durchgeführt wurde. Die tatsächliche Bedeutung des nicht geregelten<br />

Entfallen des Pflichtteilsanspruchs ist deshalb gering. Zudem<br />

wird man davon ausgehen können, dass <strong>bei</strong> Rückforderung einer bezahlten<br />

Abfindung auch die Geschäftsgrundlage für den<br />

Pflichtteilsverzicht wegfällt.<br />

dd) Die Alternative – behalten, aber Haftung der Erben<br />

Mitunter befürchten Kinder, dass sie wegen der Wertersatzpflicht<br />

gegenüber dem Träger der Sozialhilfe ihren Lebensstandard für ein von<br />

ihnen nicht genutztes Haus oder ein Haus, das sie sich nicht <strong>bei</strong><br />

Zahlung nicht leisten könnten, einschränken müssten. Teilweise wollen<br />

Eltern ihre Immobilie noch nicht übertragen, aber ihr Kind (scheinbar)<br />

sichern. Dies ist häufig dann der Fall, wenn das Kind Investitionen in die<br />

Immobilie wie z. B. einen Ausbau vornimmt.<br />

(1) Die Schenkung auf den Todesfall<br />

Wollen sich Eltern von ihrem Haus erst nach ihrem Tode trennen, aber<br />

gleichzeitig – etwa wegen eines eigenfinanzierten Anbaus – das Kind<br />

sichern, wird meist eine Schenkung auf den Todesfall beurkundet. Bei<br />

ihr wird ein vererblicher Anspruch auf Eigentumsverschaffung begründet<br />

und durch eine insolvenzfeste Vormerkung )§ 106 InsO) im Grundbuch<br />

gesichert. 339 Der Vollzug der Schenkung durch Eigentumsumschreibung<br />

im Grundbuch erfolgt erst nach dem Tod des letztversterbenden<br />

Elternteils. Wird vor diesem Zeitpunkt ein Elternteil pflegebedürftig und<br />

sind die hierfür anfallenden Kosten eines Pflegeheims nicht gedeckt,<br />

schützt der Anspruch auf Eigentumsverschaffung das „beschenkte Kind“<br />

nur teilweise.<br />

Allerdings ist fraglich, ob <strong>bei</strong>m Eintreten eines Pflegeheimaufenthalts<br />

des Schenkers und den damit verbundenen nicht gedeckten Kosten das<br />

grundbuchmäßig gesicherte Kind später wirklich die Übertragung des<br />

unbelasteten Eigentums und insofern auch gemäß §§ 883 Abs. 2, 888<br />

BGB die Löschung nachrangig eingetragener Belastungen verlangen<br />

kann. Wäre das Eigentum bereits auf das Kind umgeschrieben, würde<br />

§ 528 BGB ein zehnjähriges Rückforderungsrecht, das der Sozialhilfe-<br />

339 Vgl. nur Fenner, in: Beck´sches Formularbuch Bürgerliches, Handels- und<br />

Wirtschaftsrecht, 10. Aufl. 2010, VI.26.<br />

215


träger auf sich überleiten kann, vorsehen. 340 Gleiches würde gelten,<br />

wenn man die Schenkung <strong>bei</strong> Erklärung der Auflassung und Eintragung<br />

einer Eigentumsverschaffungsvormerkung für das Kind bereits als vollzogen<br />

ansieht, da dann der Anwendungsbereich des § 528 BGB eröffnet<br />

ist. Ähnlich ist dies, wenn man das Entstehen eines Anwartschaftsrechtes<br />

für das Kind 341 als ausreichend für die Vollziehung der<br />

Schenkung hält. Bei der Vertragserfüllung i. S. des § 454 BGB a. F. hat<br />

der BGH bereits die Erklärung der Auflassung als Erfüllung angesehen.<br />

342 Insofern kommt es auf die oben erörterte Streitfrage an, ob<br />

der Vollzug der Schenkung <strong>bei</strong> Immobilien bereits mit Erklärung der<br />

bindend gewordenen Auflassung bewirkt wird oder erst mit Grundbucheintragung.<br />

343 Geht man von der letztgenannten Auffassung aus, so<br />

findet § 528 BGB keine Anwendung. Dem Vollzug der Schenkung auf<br />

den Todesfall kann jedoch dann die Einrede des § 519 BGB entgegenstehen.<br />

Andernfalls gilt auch insoweit § 528 BGB. Der Unterschied ist<br />

zunächst nicht sehr groß, da der Einrede des Notbedarfs gemäß § 519<br />

BGB ebenso wie dem Rückforderungsrecht wegen Verarmung (§ 528<br />

BGB) der Gedanke zugrunde liegt, dass der Schenker durch seine<br />

Freigiebigkeit nicht der Gefahr des wirtschaftlichen Ruins ausgesetzt<br />

sein soll. Die noch nicht vollzogene Schenkung steht unter dem stillschweigenden<br />

Vorbehalt der fortdauernden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit<br />

des Schenkers, die gleichsam die Geschäftsgrundlage der<br />

noch nicht vollzogenen Schenkung bildet. 344<br />

Bei § 519 BGB handelt es sich um eine Notbedarfseinrede. Sie kann im<br />

Schenkungsvertrag der Schenkung nicht abbedungen werden. 345<br />

Ausreichend ist <strong>bei</strong> ihr, dass die Notlage droht; es muss noch zu keiner<br />

aktuellen Gefährdung gekommen sein. Die Unterbringung im Pflegeheim<br />

und die Unterdeckung der Kosten erfüllt auf jeden Fall diese<br />

Voraussetzung. Selbst wenn zunächst noch das eigene Vermögen der<br />

Eltern ausreicht, kann, wenn die Mittelerschöpfung absehbar ist, die<br />

Einrede bereits erhoben werden. Eigene Unterhaltsansprüche gegen<br />

340<br />

Nach LG Aachen, FamRZ 1994, 1321 soll <strong>bei</strong> der Schenkung auf den Todesfall nach<br />

dem Tod des Schenkers keine Überleitung des Anspruchs nach § 528 BGB mehr<br />

möglich sein. Vgl. aber die Nachw. in Fn. 373.<br />

341<br />

Vgl. hierzu nur BGHZ 83, 395, 400 = NJW 1982, 1639 = DNotZ 1982, 619; BGHZ<br />

106, 108 = MDR 1989, 437 = NJW 1989, 1093 = DNotZ 1990, 189 = ZIP 1989, 166 u.<br />

Grziwotz, Praxishandbuch Grundbuch- und Grundstücksrecht, 1999, Rn. 689 ff.<br />

342<br />

Erman/Grunewald, 10. Aufl. 2000, § 454 Rn. 2 m. w. Nachw.<br />

343<br />

S. dazu lit. b), cc).<br />

344<br />

Ähnlich MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 519 Rn. 1.<br />

345<br />

S. nur Staudinger/Wimmer-Leonhardt, BGB, Neubearb. 2005, § 519 Rn. 5 u.<br />

MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 519 Rn. 1.<br />

216


Dritte bleiben auch hier unberücksichtigt. 346 Die Einrede des Notbedarfs<br />

steht nur dem Schenker zu. Der Träger der Sozialhilfe kann die Einrede<br />

nicht auf sie überleiten, da § 93 Abs. 1 Satz 4 SGB XII zwar auch nicht<br />

übertragbare Ansprüche, aber eben nur Ansprüche erfasst. Er kann<br />

jedoch den Hilfebedürftigen darauf verweisen, dass er die Einrede<br />

gelten machen und <strong>bei</strong> Unteilbarkeit der Immobilie die gesamte Leistung<br />

verweigern muss. Das beschenkte Kind hat dann die Möglichkeit, den<br />

Notbedarf durch entsprechende Geldzahlungen zu befriedigen. 347 Die<br />

Einrede wirkt nur so lange, wie die Bedürftigkeit der Eltern gegeben ist.<br />

Bei mehreren Beschenkten gilt wie <strong>bei</strong> § 528 Abs. 2 BGB das Prioritätsprinzip,<br />

das heißt der zeitlich früheren Schenkung kann die Einrede<br />

solange und soweit nicht entgegengehalten werden, als durch die Verweigerung<br />

der Erfüllung der späteren Schenkung der Unterhaltsbedarf<br />

sichergestellt werden kann. Bei gleichzeitig entstandenen Ansprüchen<br />

sind diese wohl gleichmäßig zu kürzen. 348<br />

(2) Die Haftung der Erben<br />

Das Behalten der Immobilie und das spätere Vererben führen zwar<br />

dazu, dass <strong>bei</strong> Unterbringung eines Elternteils im Pflegeheim und<br />

Weiternutzung durch den anderen die Immobilie zunächst Schonvermögen<br />

ist. Allerdings schließt dies eine Haftung gegenüber dem Träger<br />

der Sozialhilfe nicht vollständig aus. Erben eines Hilfeempfängers oder<br />

seines vorversterbenden Ehegatten bzw. eingetragenen Lebenspartners<br />

können nämlich zum Ersatz derjenigen Kosten herangezogen werden,<br />

die der Sozialhilfeträger innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren vor<br />

dem Erbfall aufgewendet hat (§ 102 SGB XII). 349 Zu ersetzen sind die<br />

Kosten der Sozialhilfe, die innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren<br />

vor dem Tod der leistungsberechtigten Person bzw. vor dem Tod des<br />

Ehegatten oder Lebenspartners der leistungsberechtigten Person entstanden<br />

sind (§ 102 Abs. 1 Satz 2 SGB XII). 350 Unter die ersatzpflichtigen<br />

Kosten der Sozialhilfe fallen nicht Leistungen der Grundsicherung<br />

im Alter (§ 102 Abs. 5 SGB XII). Hinsichtlich der Unterkunftskosten<br />

ist zu beachten, dass diese in Höhe eines Betrages von 56 %<br />

346 S. nur Zeranski, Der Rückforderungsanspruch des verarmten Schenkers, 1997, S.<br />

19 f.; Staudinger/Wimmer-Leonhardt, BGB, Neubearb. 2005, § 519 Rn. 7.<br />

347 Str., s. nur Staudinger/Wimmer-Leonhardt, BGB, Neubearb. 2005, § 519 Rn. 14 u.<br />

MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 519 Rn. 3.<br />

348 MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl. 2008, § 519 Rn. 5; Soergel/Mühl/Teichmann, BGB,<br />

12. Aufl. 1997, § 519 Rn. 7 u. Staudinger/Wimmer-Leonhardt, BGB, Neubearb. 2005,<br />

§ 519 Rn. 22; a. A. Erman/Herrmann, BGB, 12. Aufl. 2008, § 519 Rn. 4.<br />

349 Ausführlich Doering-Striening, VSSR 2009, 93, 96 ff.<br />

350 Zur Fristberechnung vgl. § 26 Abs. 1 SGB X i. V. mit § 188 Abs. 2 BGB.<br />

217


nicht der Ersatzpflicht unterliegen (§ 105 Abs. 2 SGB XII). 351 Zinsen<br />

können nicht verlangt werden; hierfür besteht keine gesetzliche Grundlage.<br />

352<br />

Relevant wird die Kostenerstattungspflicht der Erben vor allem dann,<br />

wenn sich der Nachlass aus Vermögensgegenständen zusammensetzt,<br />

deren Einsatz dem Hilfeempfänger nicht zumutbar war, es sich also um<br />

Schonvermögen gehandelt hat. Hintergrund ist wiederum der Nachrang<br />

der staatlichen Leistungen. Der zunächst geschonte Vermögensgegenstand<br />

wird nur deshalb nicht für die Zahlungen in Anspruch genommen,<br />

weil Leistungen der Sozialhilfe erbracht wurden. Wichtigster Anwendungsfall<br />

ist die Vererbung des angemessenen Hausgrundstücks<br />

nach § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII.<br />

Voraussetzung der Erbenhaftung ist, dass in den letzten zehn Jahren<br />

vor dem Erbfall Sozialhilfeleistungen erbracht wurden, die zum Zeitpunkt<br />

des Erbfalls das Dreifache des Grundbetrages aus § 85 Abs. 1<br />

SGB XII übersteigen. 353 Dieser Betrag bleibt dem Erben als Freibetrag<br />

(§ 102 Abs. 3 Nr. 1 SGB XII). Er gilt in der Erbengemeinschaft für sämtliche<br />

Erben, steht also nicht jedem einzelnen Miterben zu. 354 Der gegen<br />

die Erben des vorversterbenden Ehegatten bzw. Lebenspartners des<br />

Hilfeempfängers gerichtete Kostenersatzanspruch ist da<strong>bei</strong> gegenüber<br />

der Haftung des Erben des nachversterbenden Hilfeempfängers nicht<br />

nachrangig. Die Kostenerstattungsansprüche gegen die Erben stehen<br />

selbstständig nebeneinander. 355 Die Erben haften allerdings nur mit<br />

dem Nachlass, nicht mit ihrem Privatvermögen (§ 102 Abs. 2 SGB XII).<br />

Bei der Beschränkung der Erbenhaftung handelt es sich um eine wertmäßige<br />

Beschränkung. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Berechnung des<br />

Freibetrags ist der Zeitpunkt des Erbfalls. 356 Vom Nachlass sind die<br />

Verbindlichkeiten sowie die Kosten für die standesgemäße Beerdigung<br />

abzuziehen. Die sozialhilferechtliche Haftungsbeschränkung auf den<br />

Nachlass ist abschließend; eine Heranziehung der Vorschriften aus dem<br />

Erbrecht ist ausgeschlossen. Die Kostenerstattungspflicht des Erben<br />

351<br />

Demgegenüber sind die Leistungen für Heizung und Warmwasserversorgung von der<br />

Ersatzpflicht nicht ausgenommen (Grube, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII,<br />

3. Aufl. 2010, § 105 Rn. 13).<br />

352<br />

Conradis, in: LPK-SGB XII, 8. Aufl. 2008, § 102 Rn. 10.<br />

353<br />

Grundbetrag in Höhe des zweifachen Eckregelsatzes, also 259 x 2 = 718 Euro und<br />

sodann 3 x 718 = 2.154 Euro.<br />

354<br />

Str., BVerwGE 57, 26, 28; Bieback, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010,<br />

§ 102 Rn. 18 u. 32.<br />

355<br />

BVerwG, NJW 2003, 3792.<br />

356<br />

BVerwGE 57, 26, 27.<br />

218


des vorverstorbenen Ehegatten besteht somit fort, auch wenn später<br />

eine Kostenersatzpflicht des Erben der leistungsberechtigten Person<br />

hinzukommt. 357<br />

Die Haftung besteht auch dann, wenn die Erben des verstorbenen<br />

Leistungsempfängers diesen über längere Zeit gepflegt haben. Sie<br />

können insbesondere nicht nachträglich ein Entgelt für Pflegeleistungen<br />

fordern. 358 Allerdings schafft § 102 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII diesbezüglich<br />

eine eigene Freibetragsregelung, die Spezialvorschrift gegenüber dem<br />

allgemeinen Freibetrag nach § 102 Abs. 3 Nr. 1 SGB XII ist. 359 Zudem<br />

ergibt sich aus § 612 BGB, dass Dienstleistungen der Ehegatten,<br />

Lebenspartner und Verwandten regelmäßig nicht gegen Vergütung<br />

erbracht werden. 360 Der Freibetrag beträgt 15.340 Euro und besteht nur<br />

für Erben, die Ehegatte oder Lebenspartner der leistungsberechtigten<br />

Person oder mit dieser verwandt sind. Außerdem muss der Erbe mit der<br />

leistungsberechtigten Person bis zu deren Tod in häuslicher Gemeinschaft<br />

gelebt haben. Eine gemeinsame Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft<br />

ist nicht erforderlich; aufgrund des Zwecks, die häusliche<br />

Pflege zu fördern, ist jedoch ein Zusammenleben unverzichtbar. 361<br />

Zudem muss der Erbe die leistungsberechtigte Person gepflegt haben.<br />

Voraussetzung ist, dass für diese ein Hilfebedarf bestanden hat, der<br />

sich nach § 61 Abs. 1 SGB XII bestimmt. Zudem muss dieser durch<br />

teilweise oder vollständige Übernahme der Verrichtungen im Ablauf des<br />

täglichen Lebens gedeckt worden sein. Die Hinzuziehung eines Dritten<br />

– etwa eines ambulanten Pflegedienstes – ist unschädlich, sofern die<br />

Hauptlast der Pflege <strong>bei</strong>m Ehegatten, Lebenspartner bzw. Verwandten<br />

lag. Die Pflege darf nicht nur vorübergehend erfolgt sein; deshalb<br />

werden kürzere Zeiträume als sechs Monate nicht anerkannt. 362 Ob der<br />

bloße Wille genügt, die häusliche Gemeinschaft und die Pflege über<br />

357<br />

BVerwGE 90, 250 = NJW 1993, 1089 = MDR 1993, 546 u. BVerwGE 118, 313 =<br />

BayVBl. 2004, 121 = DÖV 2004, 208 = FamRZ 2004, 455 = JuS 2004, 645 = NJW<br />

2003, 3792 = ZEV 2004, 472 =<br />

358<br />

VGH Mannheim, NJW 1993, 2955 = NVwZ 1994, 86 = FEVS 44, 104, 106 u.<br />

Ehmann, in: MAH Sozialrecht, 3. Aufl. 2009, § 38 Rn. 198.<br />

359<br />

BVerwGE 66, 161, 162 u. VGH Mannheim, NJW 1993, 2955, 2956 = NVwZ 1994, 86<br />

= FEVS 44, 104, 106.<br />

360<br />

VGH Mannheim, NJW 1993, 2955 = NVwZ 1994, 86 = FEVS 44, 104, 106.<br />

361<br />

Bieback, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 102 Rn. 20.<br />

362<br />

Ebenso noch Schoenfeld, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl. 2008, § 102<br />

Rn. 22. A. A. Bieback, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 102 Rn. 22 u.<br />

Lücking, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 102 Rn. 24, die keine Mindestdauer, sondern<br />

lediglich einige Monate fordern.<br />

219


einen Zeitraum durchzuführen, ist umstritten, aber wohl zu verneinen. 363<br />

Bei Unterbrechungen müssen die zusammengerechneten Zeiträume<br />

mindestens sechs Monate ausmachen. Dies kann <strong>bei</strong> einem kurzzeitigen<br />

stationären Aufenthalt von Bedeutung sein. Bei kürzeren<br />

Pflegezeiträumen kann allerdings die Härteklausel des § 102 Abs. 3 Nr.<br />

3 SGB XII anwendbar sein. 364 Der Zwang für den Erben, die geerbte<br />

Immobilie, die früher zum Schonvermögen gehörte, zu veräußern, stellt<br />

keine besondere Härte dar. 365 Hat der Erbe nach dem Erbfall die geerbte<br />

Immobilie mit eigenen Mitteln renoviert oder umgebaut, führt dies<br />

ebenfalls zu keiner besonderen Härte, sondern nur zum Ersatz der<br />

Wertsteigerung. 366 Anders kann dies <strong>bei</strong> einem finanziellen Engagement<br />

des Erben vor dem Erbfall sein. 367<br />

Ist die Voraussetzung der Erbenhaftung gegeben, muss der Träger der<br />

Sozialhilfe den Kostenersatz fordern. Ihm steht diesbezüglich kein Ermessen<br />

zu. 368 Die Auswahl unter mehreren Miterben liegt dagegen im<br />

Ermessen des Trägers der Sozialhilfe. Maßgebend ist hierfür die<br />

Leistungsfähigkeit der Miterben. 369 Bestehen in der Person eines oder<br />

mehrerer Erben Ausschlusstatbestände, dürfen die übrigen Erben trotz<br />

der gesamtschuldnerischen Haftung nur mit dem ihrem Erbteil entsprechenden<br />

Teil des Nachlasses herangezogen werden, da sonst über<br />

den Gesamtschuldnerausgleich eine Leistungspflicht trotz der<br />

Privilegierung bestünde.<br />

Der Kostenerstattungsanspruch wird mittels Leistungsbescheids geltend<br />

gemacht. 370 Dieser muss eine detaillierte Auflistung der Sozialhilfeleistungen<br />

enthalten. Der Anspruch auf Kostenersatz erlischt in drei<br />

Jahren nach dem Tod der leistungsberechtigten Person, ihres Ehegatten<br />

oder ihres Lebenspartners (§ 102 Abs. 4 SGB XII). Das von Amts<br />

wegen zu beachtende Erlöschen gegenüber einzelnen Miterben führt<br />

363 Ebenso Bieback, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 102 Rn. 22; a. A.<br />

Conradis, in: LPK-SGB XII, 8. Aufl. 2008, § 102 Rn. 12.<br />

364 Ebenso Bieback, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 102 Rn. 22 f.<br />

365 VGH Mannheim, NJW 1993, 2955, 2956 = NVwZ 1994, 86 = FEVS 44, 104, 106 u.<br />

VGH München, FEVS 44, 461.<br />

366 VGH Mannheim, DVBl. 1974, 687.<br />

367 VGH Mannheim, FEVS 41, 205; Bieback, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII,<br />

3. Aufl. 2010, § 102 Rn. 28.<br />

368 VGH Mannheim, FEVS 46, 338, 342.<br />

369 VGH Kassel, FamRZ 1999, 1023.<br />

370 Zur Zulässigkeit einer Leistungsklage vgl. einerseits Conradis, in: LPK-SGB XII,<br />

8. Aufl. 2008, § 103 Rn. 25 u. andererseits Bieback, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII,<br />

3. Aufl. 2010, § 102 Rn. 44.<br />

220


allerdings nicht zum Erlöschen des Anspruchs gegenüber weiteren als<br />

Gesamtschuldner haftenden Miterben. 371<br />

Zur Vermeidung der Kostenersatzpflicht werden mitunter Immobilienschenkungen<br />

von noch geschäftsfähigen pflegebedürftigen Eltern kurz<br />

vor ihrem Ableben vorgenommen. Teilweise werden derartige Zuwendungen<br />

als sittenwidrig angesehen, da sie eine Schädigung des<br />

Sozialhilfeträgers beabsichtigen. 372 Da allerdings das Gesetz keine<br />

Verfügungsbeschränkungen zugunsten des Sozialhilfeträgers vorsieht<br />

und der Schenkungsrückforderungsanspruch nach § 528 BGB auch<br />

nach dem Tod des Schenkers noch auf den Sozialhilfeträger übergeleitet<br />

werden kann, 373 ergibt sich für diesen keine Sicherungslücke, so<br />

dass für die Anwendung des § 138 BGB kein Bedarf besteht. 374 Gleichwohl<br />

ist von derartigen Konstruktionen abzuraten, da sie mit Kosten<br />

verbunden sind und den entsprechenden Zweck ohnehin nicht erreichen.<br />

c) Hartz IV <strong>bei</strong>m übernehmenden Kind<br />

Erhält ein Kind eine Immobilie von seinen Eltern zugewandt, wird es<br />

später ar<strong>bei</strong>tslos und bekommt Leistungen im Bereich der Grundsicherung<br />

für Ar<strong>bei</strong>tsuchende, kann sich <strong>bei</strong> ihm das Risiko verwirklichen,<br />

das die Parteien zunächst nur auf Seiten der Eltern gesehen<br />

haben. Bezahlt wird in der Grundsicherung für Ar<strong>bei</strong>tsuchende das sogenannte<br />

Ar<strong>bei</strong>tslosengeld II und daneben das Sozialgeld an nicht erwerbsfähige<br />

Angehörige, die mit einem erwerbsfähigen Hilfsbedürftigen<br />

in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Die Leistungen umfassen insbesondere<br />

die Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts. Sie entsprechen<br />

dem Niveau der Sozialhilfe und werden in Regelleistungen<br />

371 OVG Münster, NJW 2002, 695, 697.<br />

372 VGH Kassel, NVwZ-RR 1996, 511, 512. Vgl. auch OLG Hamm, BeckRS 2005, 02607<br />

= NJOZ 2005, 4886 = VersR 2006, 376.<br />

373 BGHZ 147, 288 = DNotZ 2001, 841 = FamRZ 2001, 1137 = FuR 2001, 465 = MDR<br />

2001, 1342 = NJW 2001, 2084 = NotBZ 2001, 261 = WM 2001, 1388 = ZEV 2001,<br />

241 = ZIP 2001, 1546; OLG Karlsruhe, FamRZ 1994, 1319 = NJW-RR 1995, 571; LG<br />

Karlsruhe, NJW 1994, 137 u. LG München, FamRZ 2005, 896 = MittBayNot 2005,<br />

140; a. A. noch OLG Frankfurt/M., NJW 1994, 1805. Vgl. auch BGHZ 96, 380 = NJW<br />

1986, 1606; BGHZ 123, 264 = NJW 1994, 256 = DNotZ 1994, 450 = FamRZ 1994,<br />

103 = MDR 1994, 523 = WM 1994, 39 = ZEV 1994, 50; BGH, DNotZ 1996, 642 =<br />

FamRZ 1995, 1123 = JA 1996, 369 = JR 1996, 194 = JZ 1996, 632 = MDR 1995,<br />

1234 = NJW 1995, 2287 = WM 1995, 1693 = ZEV 1995, 378; Kollhosser, ZEV 2001,<br />

289 ff.; ders., ZEV 1995, 391 ff.; Haarmann, FamRZ 1996, 522 ff.; Krauß, ZEV 2001,<br />

417 ff. u. Zeranski, NJW 1998, 2574 ff.<br />

374 Ebenso Brühl, in: LPK-SGB XII, 8. Aufl. 2008, § 90 Rn. 98.<br />

221


emessen. Eigenes Einkommen und Vermögen muss sich der Hilfebedürftige<br />

anrechnen lassen. Beim Vermögen sind alle verwertbaren<br />

Vermögensgegenstände zu berücksichtigen. 375 Nach § 12 Abs. 3 Satz 1<br />

Nr. 4 SGB II zählt jedoch <strong>bei</strong>m Ar<strong>bei</strong>tslosengeld II ein selbstgenutztes<br />

Hausgrundstück von angemessener Größe oder eine entsprechende<br />

Eigentumswohnung zum Schonvermögen. Es muss sich da<strong>bei</strong> um den<br />

Lebensmittelpunkt des Bedürftigen handeln. Deshalb fallen eine Zweitwohnung<br />

und ein Ferienwohnsitz nicht unter das Schonvermögen.<br />

Zweck ist nicht der Schutz der Immobilie als Vermögensgegenstand,<br />

sondern allein der Schutz der Wohnung zur Erfüllung des Grundbedürfnisses<br />

Wohnen als räumlicher Lebensmittelpunkt. 376 Anders als <strong>bei</strong> der<br />

Sozialhilfe 377 erfolgt die Bestimmung der Angemessenheit allein in<br />

Bezug auf die Größe der Immobilie. Maßgeblich sind entsprechend § 6<br />

Abs. 3 Satz 2 Nr. 7 AlhiVO 1974 bzw. § 1 Abs. 3 Nr. 5 AlhiVO 2002 378<br />

die Wohnfläche und die Größe des Grundstück sowie die Anzahl der<br />

nutzenden Personen. Andere Faktoren wie die Ausstattung oder der<br />

Wert sind nicht zu berücksichtigen. 379 Andere Kriterien sind nur insofern<br />

zu berücksichtigen, als die Lebensumstände des Hilfsbedürftigen<br />

während des Leistungsbezugs eine Rolle spielen, so dass <strong>bei</strong> einer<br />

Luxuswohnung eine Korrektur der angemessenen Wohnfläche erfolgen<br />

kann. 380 Zur Wahrung bundeseinheitlicher Maßstäbe stellt das BSG<br />

weiterhin auf das inzwischen außer Kraft getretene Zweite Wohnungsbaugesetz<br />

ab. 381 Danach sind Familienheime mit einer Wohnfläche bis<br />

zu 130 qm und Eigentumswohnungen mit bis zu 120 qm <strong>bei</strong> einem<br />

Haushalt mit vier Personen noch angemessen. Im Falle der häuslichen<br />

Pflege betragen die Grenzen 156 qm bzw. 144 qm. Sofern mehr als vier<br />

Personen im Haushalt leben, kommen je weiterer Person 20 qm hinzu;<br />

umgekehrt ist <strong>bei</strong> weniger Personen jeweils ein Abschlag von 20 qm<br />

vorzunehmen. Bei Einzelpersonen wird die Untergrenze auf 80 qm<br />

375<br />

Vgl. BVerwG, NJW 2004, 3647 zum Einsatz einer Kapitallebensversicherung in Höhe<br />

des Rückkaufswertes, auch wenn diese zur Altersvorsorge bestimmt ist.<br />

376<br />

BSGE 97, 203 = FamRZ 2007, 729 = NZS 2007, 428 = SGb 2007, 432; BSGE 100,<br />

186 = NJW 2009, 2327 = NZM 2009, 880 = NZS 2009, 407.<br />

377<br />

Vgl. dazu oben lit. b), bb).<br />

378<br />

BSGE 97, 203 = FamRZ 2007, 729 = NZS 2007, 428 = SGb 2007, 432; BSGE 100,<br />

186 = NJW 2009, 2327 = NZM 2009, 880 = NZS 2009, 407; BSGE 97, 254 = FamRZ<br />

2007, 729 = SGb 2007, 543.<br />

379<br />

Zur Zulässigkeit der diesbezügliche Privilegierung gegenüber Sozialhilfeempfängern<br />

s. KSW/Spellbrink, 2009, § 12 SGB II Rn. 26.<br />

380<br />

Mecke, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 12 Rn. 70 a. E.<br />

381<br />

BSGE 97, 254 = FamRZ 2007, 729 = SGb 2007, 543 u. BSGE 98, 243 = NZM 2007,<br />

779 = NZS 2008, 263.<br />

222


gesetzt. 382 Bei der Bestimmung der angemessenen Wohnfläche sind die<br />

Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft und die mit dem Hilfebedürftigen für<br />

längere Dauer in einer Hausgemeinschaft lebenden Personen von Bedeutung.<br />

Ausnahmen können sich ergeben, wenn erwachsene Kinder<br />

die Wohnung der Eltern verlassen. 383 Eine Prüfung der Angemessenheit<br />

erfolgt bis zu einer Wohnfläche von 130 qm sowie einer Grundstücksfläche<br />

von 500 qm in städtischen und 800 qm in ländlichen Gebieten<br />

grundsätzlich nicht. Hinsichtlich der Unterkunftskosten die der Hilfebedürftige<br />

gemäß § 22 Abs. 1 SGB II geltend machen kann, ist er auf<br />

die Wohnfläche beschränkt, die ihm als Mieter zustünde. Höhere<br />

(laufende) Kosten für seine unter Verwertungsschutz stehende Immobilie<br />

kann er nicht geltend machen.<br />

Maßgebend für die Angemessenheit ist nicht die vom Hilfsbedürftigen<br />

und den Personen seiner Bedarfsgemeinschaft bewohnte Fläche,<br />

sondern die Gesamtfläche. Beschränkt wird die Berücksichtigung<br />

jedoch, wenn eine tatsächliche Nutzung nicht möglich ist. Dies ist <strong>bei</strong>spielsweise<br />

<strong>bei</strong> einem aus gesundheitlichen Gründen unbewohnbaren<br />

Teil einer Immobilie der Fall. Gleiches gilt aber auch, wenn ein<br />

Wohnungsrecht als beschränkte persönliche Dienstbarkeit (§ 1093<br />

BGB) besteht, wie dies regelmäßig für die Eltern als Übergeber bestellt<br />

wird. 384 Der Umfang des Wohnrechts ist somit <strong>bei</strong> der Bemessung der<br />

Angemessenheit in Abzug zu bringen. Durch eine geschickte Gestaltung<br />

des Wohnrechts der Eltern <strong>bei</strong> der Übergabe kann <strong>bei</strong> einem<br />

alleinstehenden Kind erreicht werden, dass das übertragene Hausgrundstück<br />

<strong>bei</strong> diesem nicht für den Bezug von Ar<strong>bei</strong>tslosengeld II Vermögen<br />

darstellt.<br />

Wird der Rahmen des Angemessenen überschritten, ist ein eigenständiger<br />

oder abtrennbarer Grundstücks- oder Gebäudeteil mit dem<br />

Verkehrswert (§ 12 Abs. 4 SGB II) zu berücksichtigen. Dieser Sonderfall<br />

kann <strong>bei</strong>spielsweise <strong>bei</strong> einer Doppelhaushälfte gegeben sein, <strong>bei</strong> der<br />

jede Einheit abgeschlossen ist und hinsichtlich der Wohnungseigentum<br />

gebildet werden kann. Ist eine Trennung nicht möglich oder eine Verwertung<br />

ausnahmsweise aufgrund der Marktverhältnisse nicht zumutbar,<br />

wird im Hinblick auf den Schutzzweck des Erhalts des Lebensmittelpunkts<br />

kein Verkauf der Immobilie einschließlich des eigengenutzten<br />

Teils gefordert. Als andere Verwertungsformen, <strong>bei</strong> denen<br />

382 BSGE 97, 254 = FamRZ 2007, 729 = SGb 2007, 543; zur weiteren Reduktionen der<br />

Größe s. Mecke, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 12 Rn. 71.<br />

383 Mecke, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 12 Rn. 71.<br />

384 Zum BSHG s. VGH München, NJW 1989, 2832.<br />

223


der Erhalt des Lebensmittelpunktes gesichert ist, kommen insbesondere<br />

die Vermietung und die Anrechnung der Mieteinnahmen als Einkommen<br />

in Betracht. 385 Sie sind nicht bedarfsmindernd von den Kosten der<br />

Unterkunft abzuziehen. Zu beachten ist, dass das Grundstück <strong>bei</strong> einer<br />

Übergröße am Schutzzweck des Wohnens nicht unbedingt teilnehmen<br />

muss. Bleibt das Wohnhaus zwar innerhalb der Wohnflächengrößen,<br />

lässt sich aber vom Grundstück ein zweiter Bauplatz abtrennen, so kann<br />

eine getrennte Angemessenheitsprüfung von Haus und Grundstück<br />

erfolgen. Dies ist allerdings wiederum nicht der Fall wenn z. B. aufgrund<br />

des Bauplanungsrechts <strong>bei</strong>de insoweit eine Einheit bilden. 386<br />

§ 12 Abs. 1 SGB II rechnet zum Vermögen jedoch nur verwertbare<br />

Gegenstände. Verwertbarkeit bedeutet die Möglichkeit einer Umwandlung<br />

in Geld. Eine durch eine Vormerkung gesicherte Rückübertragungsverpflichtung,<br />

selbst wenn diese den Fall des Bezugs von<br />

Ar<strong>bei</strong>tslosengeld nicht enthält, sondern die Veräußerung den Rückfall<br />

auslöst, ermöglicht eine "Versilberung" grundsätzlich nicht, da wegen<br />

der Vormerkungswirkung kein Käufer bereit sein wird, die Immobilie zu<br />

erwerben. Haben sich die Eltern <strong>bei</strong> der Übertragung ein lebenslanges<br />

Nießbrauchsrecht vorbehalten, so verneint das BSG 387 eine Verwertbarkeit.<br />

Grundsätzlich besteht zwar eine Verwertbarkeit nach dem Ableben<br />

der Eltern, da diese aber zeitlich ungewiss ist, ist nicht von einer Verwertbarkeit<br />

i. S. des § 12 Abs. 1 SGB II auszugehen. Gleiches muss <strong>bei</strong><br />

einer Rückauflassungsvormerkung gelten. 388 Jedenfalls, wenn die Rückforderung<br />

lediglich für den Fall der Verwertung für Sozialleistungen,<br />

insbesondere <strong>bei</strong>m Ar<strong>bei</strong>tslosengeld II-Bezug des Kindes vereinbart ist,<br />

soll wegen der "Subsidiaritätswidrigkeit" eine Sittenwidrigkeit bestehen.<br />

389 Allerdings ist dies durchaus zweifelhaft. Wenn die Eltern ihre<br />

Immobilie behalten hätten und dann für das Kind nicht unterhaltspflichtig<br />

gewesen wären, 390 hätte die Immobilie auch nicht verwertet werden<br />

385<br />

Ebenso Hengelhaupt, in: Hauck/Noftz/Voelske, SGB II, § 12 Rn. 214a u. Mecke, in:<br />

Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 12 Rn. 73, der allerdings offen lässt, ob die<br />

Einnahmen als Vermögen oder Einkommen zu berücksichtigen sind. Vgl. ferner<br />

Krauß, MittBayNot 2005, 349, 355 u. KSW/Spellbrink, 2009, § 12 SGB II Rn. 30.<br />

386<br />

BSGE 100, 186 = NJW 2009, 2327 = NZM 2009, 880 = NZS 2009, 407;<br />

KSW/Spellbrink, 2009, § 12 SGB II Rn. 28 a. E.<br />

387<br />

BSGE 99, 248 = FamRZ 2008, 1250 = NotBZ 2008, 195 = NZS 2008, 661 = ZEV<br />

2008, 542.<br />

388<br />

VG Gießen, DVBl. 2000, 648 = NJW 2000, 1515 = DNotZ 2001, 784 m. abl. Anmerkung<br />

Mayer hat im Sozialhilferecht die Geltendmachung des Rückübertragungsverlangens<br />

jedoch als sittenwidrig angesehen und deshalb den Vormerkungsschutz<br />

verneint; krit. auch Krauß, MittBayNot 2005, 349, 356.<br />

389<br />

So Krauß, MittBayNot 2005, 349, 356, der dies als "einleuchtend" ansieht.<br />

390 S. nur IV. 1.<br />

224


dürfen. Insofern wird das „Sittenwidrigkeitsargument“ häufig dann eingesetzt,<br />

wenn eine dogmatische Prüfung scheinbar unbefriedigend<br />

bleibt. Deshalb ist zu dieser Frage die weitere Entwicklung der Rechtsprechung<br />

abzuwarten.<br />

IV. Familienrechtliche Unterhaltspflichten<br />

1. Verwandtenunterhalt für Pflegeheimkosten?<br />

Im Verwandtenunterhalt ist kein gesonderter Tatbestand des „Alters-<br />

oder Elternunterhalts“ vorgesehen. 391 Nach § 1601 BGB sind jedoch<br />

Verwandte in gerader Linie, also Personen, <strong>bei</strong> denen eine von der<br />

anderen abstammt (§ 1589 Satz 1 BGB), verpflichtet, einander Unterhalt<br />

zu gewähren. Aufgrund des Verwandtenunterhaltsrechts müssen somit<br />

nicht nur Eltern für den Unterhalt ihrer Kinder sorgen, sondern auch<br />

umgekehrt Kinder für ihre alt gewordenen Eltern. Dieser Umstand geriet<br />

in Zeiten des wirtschaftlichen Wohlstandes und der gesicherten Lage<br />

der öffentlichen Haushalt in den Hintergrund. Aufgrund der demografischen<br />

Entwicklung, der zunehmenden Notwendigkeit eines Heimaufenthalts<br />

und der durch die Rente nicht mehr gedeckten Kosten<br />

haben auf dem Weg des Rückgriffs des Sozialleistungsträgers die Fälle<br />

des Ehegattenunterhalts deutlich zugenommen. 392<br />

Zivilrechtlich ist der Grad der Verwandtschaft nicht von Bedeutung.<br />

Auch eine zeitliche Einschränkung existiert nicht. Der Unterhalt wird<br />

ohne Rücksicht auf das Alter des Unterhaltspflichtigen und des Unterhaltsbedürftigen<br />

geschuldet. Deshalb ist auch ein Unterhaltsanspruch<br />

der bedürftigen Großeltern gegen ihren Enkel möglich. Allerdings haftet<br />

zunächst der Ehegatte und, soweit ein Unterhaltsanspruch nach einer<br />

Scheidung besteht, auch der geschiedene Ehegatte (§ 1608 BGB).<br />

Gleiches gilt für eingetragene Lebenspartner (§ 16 LPartG). Ihnen<br />

folgen sodann die Abkömmlinge vor den Verwandten der aufsteigenden<br />

Linie und da<strong>bei</strong> wiederum die näheren vor den entfernteren Verwandten<br />

(§ 1606 BGB). Fällt ein nach dieser Rangfolge Unterhaltspflichtiger<br />

mangels Leistungsfähigkeit aus oder ist die Rechtsverfolgung gegen ihn<br />

ausgeschlossen oder erheblich erschwert, hat der nach ihm haftende<br />

Verwandte den Unterhalt zu gewähren (sog. Ersatzhaftung, § 1607<br />

391<br />

MünchKommBGB/Born, 5. Aufl. 2008, § 1601 Rn. 11 u. FA-FamR/Gerhardt,<br />

7. Aufl. 2009, 6. Kap. Rn. 366.<br />

392<br />

S. dazu nur Steinmetz, FPR 1999, 13; Hoch, FPR 1999, 20 ff.; Soyka, in:<br />

Scholz/Stein, Praxishandbuch Familienrecht, Stand: Okt. 2009 Teil J Rn. 1 u.<br />

MünchKommBGB/Born, 5. Aufl. 2008, § 1601 Rn. 9 f.<br />

225


Abs. 1 BGB). Allerdings erfährt dieser Grundsatz <strong>bei</strong> einem Rückgriff<br />

des Sozialleistungsträger eine wesentliche Einschränkung: Nach § 94<br />

Abs. 1 Satz 3 SGB XII ist der Übergang des Anspruchs ausgeschlossen,<br />

wenn der Unterhaltspflichtige mit dem Unterhaltsberechtigten<br />

vom zweiten Grad an verwandt ist. Konkret bedeutet dies,<br />

dass die Haftung von Großeltern und Enkeln <strong>bei</strong>m Sozialhilferegress<br />

nicht relevant werden kann. 393<br />

Betroffen vom Unterhaltsregress sind deshalb in der Praxis regelmäßig<br />

nur die Kinder pflegebedürftiger Eltern. Für sie ist es typisch, dass sie<br />

sich meist in einem Lebensalter befinden, in dem sie mit einem Partner<br />

zusammenleben. Insofern kommt es darauf an, ob auch das Einkommen<br />

und Vermögen des Partners zu berücksichtigen sind, gegebenenfalls<br />

inwiefern sie sich auswirken. Zusätzlich wird das unterhaltspflichtige<br />

Kind häufig auch gegenüber eigenen Kindern unterhaltspflichtig<br />

sein, da diese ihre Ausbildung noch nicht abgeschlossen<br />

haben. Es kann somit zu dem bekannten Sandwicheffekt hinsichtlich<br />

der Unterhaltspflichten kommen. 394 Das in Anspruch genommene Kind<br />

wird zudem bereits in einem höheren Lebensalter stehen, in dem es<br />

seine Lebenssituation auf sein Vermögens- und Einkommensniveau<br />

abgestellt hat und außerdem im Hinblick auf die Unsicherheiten der<br />

sozialen Sicherungssysteme zusätzlich für sein Alter sorgen wird.<br />

Allerdings ist der Anspruch auf Elternunterhalt gegenüber dem Kindesunterhalt<br />

wesentlich schwächer ausgestaltet. 395 Die bedürftigen Eltern<br />

gehen nämlich allen anderen Unterhaltsberechtigten im Rang nach<br />

(§ 1609 Nr. 6 BGB). Sie fallen in den achten Rang.<br />

Während der Kindesunterhalt aus dem Prinzip der elterlichen Verantwortung<br />

396 hergeleitet wird, ist die Unterhaltspflicht der Kinder für<br />

ihre pflegebedürftigen Eltern – wie der Pflichtteilsanspruch von Abkömmlingen<br />

durch das BVerfG 397 – mit der Familiensolidarität begründet<br />

werden. Weitere Argumentations-Topoi sind das Prinzip der Eigenver-<br />

393<br />

Vgl. nur Klinkhammer, in: Eschenbruch/Klinkhammer, Der Unterhaltsprozess,<br />

5. Aufl. 2009, Kap. 2 Rn. 2. S. auch OLG Brandenburg, FamRZ 2009, 1254, 1256.<br />

394<br />

S. dazu nur Diederichsen, in: Schwab/Hahne (Hrsg.), Familienrecht im Brennpunkt,<br />

2004, S. 115 ff. u. Born, FamRB 2003, 295, 298 f.<br />

395<br />

BGH, NJW 1999, 2365, 2366; BGHZ 169, 59 = DNotZ 2007, 48 = FamRZ 2006, 1511<br />

= FF 2006, 256 = FuR 2006, 513 = MDR 2007, 219 = NJW 2006, 3344; BGHZ 152,<br />

217 = DNotZ 2003, 285 = FamRZ 2002, 1698 = FPR 2003, 149 = FuR 2003, 26 =<br />

JuS 2003, 290 = MDR 2003, 86 = MittBayNot 2003, 132 = NJW 2003, 128, 130; vgl.<br />

auch Brudermüller, NJW 2004, 633 ff. u. Büttner, in: FS f. Henrich, 2000, S. 51, 52 ff.<br />

396<br />

Schwab, Familienrecht, 17. Aufl. 2009, Rn. 834.<br />

397<br />

BVerfG, NJW 2001, 141 = DNotZ 2001, 133 = ZEV 2000, 399 = MittBayNot 2000, 443<br />

= FamRZ 2000, 1563.<br />

226


antwortung und der (auch wirtschaftlichen) Generationengerechtigkeit,<br />

verstanden nicht zuletzt als Übernahme von Verantwortung gleichsam<br />

als Preis für die Freiheit vom Staat. 398<br />

Bestehen und Höhe des Unterhaltsanspruchs richtet sich nach dem<br />

allgemeinen Schema „Bedarf-Bedürftigkeit-Leistungsfähigkeit“, wo<strong>bei</strong><br />

auch die Verwirkung sowie im Verhältnis zu Geschwistern die<br />

Haftungsquote noch eine Rolle spielen.<br />

2. Unterhaltsbedarf der Eltern<br />

Leben die Eltern noch im eigenen Haushalt, richtet sich ihr Bedarf nach<br />

ihrem Lebenszuschnitt (§ 1610 Abs. 1 BGB). Anders als <strong>bei</strong> Kindern<br />

leitet er sich nicht vom Unterhaltsschuldner ab. Es ist vielmehr auf die<br />

Einkommens- und Vermögensverhältnisse des unterhaltsbedürftigen<br />

Elternteils abzustellen. Da<strong>bei</strong> tritt hinsichtlich des Lebenszuschnitts<br />

zunächst mit dem Eintritt in den Ruhestand eine Änderung ein, weil die<br />

Eltern ab diesem Zeitpunkt meist über geringere Einkünfte verfügen. 399<br />

Bei Pflegebedürftigkeit ändert sich die Lebensstellung des betroffenen<br />

Elternteils nochmals. Die erforderlichen Pflegekosten einschließlich der<br />

Kosten eines Heims sind Teil des Unterhaltsbedarfs. 400<br />

Untergrenze des Bedarfs ist das Existenzminimum. Es handelt sich um<br />

die in den Unterhaltstabellen enthaltenen, am sozialhilferechtlichen<br />

Existenzminimum ausgerichteten Eigenbedarfssätze eines unterhaltsberechtigten<br />

Ehegatten. Dieser liegt derzeit nach der Düsseldorfer<br />

Tabelle (Stand: 1.1.2010) <strong>bei</strong> 770 Euro für Nichterwerbstätige, wo<strong>bei</strong><br />

jedoch die Kosten der Kranken- und Pflegeversicherung zusätzlich zu<br />

berücksichtigen sind. Für Erwerbstätige beträgt er 900 Euro. Die Beschränkung<br />

auf den Eigenbedarfssatz gilt insbesondere, wenn die<br />

Unterhaltsbedürftigkeit auf nicht ausreichender Altersvorsorge beruht<br />

und deshalb die Fortschreibung des früheren Lebensstandards nicht in<br />

398 S. nur Brudermüller, in: FS f. Henrich, 2000, S. 31, 39 ff.<br />

399 BGH, BeckRS 2003, 03853 = DNotZ 2003, 549 = FamRZ 2003, 860, 861 = FF 2003,<br />

136 = FPR 2003, 378 = FuR 2003, 275 = LMK 2003, 127 = MDR 2003, 875 = NJW<br />

2003, 1660; vgl. auch BGH, BeckRS 2004, 06088 = FamRZ 2004, 1184 = FPR 2004,<br />

522 = FuR 2004, 510 = MDR 2004, 1000 = NJW 2004, 2306; NK-BGB/Kath-Zurhorst,<br />

2. Aufl. 2010, § 1610 Rn. 36 u. auch Graba, FamRZ 2004, 581, 585.<br />

400 BGH, BGHZ 152, 217 = BeckRS 2002, 09015 = DNotZ 2003, 285 = FamRZ 2002,<br />

1698, 1700 = FF 2003, 28 = FPR 2003, 149 = FuR 2003, 26 = JR 2003, 283 = JuS<br />

2003, 290 = LMK 2003, 45 = MDR 2003, 86 = MittBayNot 2003, 132 = NJW 2003,<br />

128 u. BGH, FamRZ 2004, 370, 371 = FPR 2004, 157 = FuR 2004, 419 = MDR 2004,<br />

450 = NJW 2004, 677.<br />

227


Betracht kommt. Zum Bedarf zählen dann alle Aufwendungen wie<br />

Unterkunft, Verpflegung etc. und der Mehrbedarf (z. B. für Medikamente,<br />

Diät, Haushaltshilfe). Die Kosten für Pflegeleistungen und ärztliche<br />

Betreuung sind, wenn sie nicht gedeckt sind, ebenfalls Teil des<br />

Unterhalts. Die nicht gedeckten Heim- und Pflegekosten werden im<br />

Normalfall dem unterhaltsrechtlichen Bedarf entsprechen, müssen dies<br />

jedoch nicht. 401 Allerdings soll die Soziale Pflegeversicherung jedenfalls<br />

teilweise das Risiko der Alterspflege abdecken. 402 Ihre Leistungen sind<br />

vom unterhaltsberechtigten Elternteil vor der Inanspruchnahme des<br />

Kindes zu beantragen.<br />

Allerdings kann das auf Zahlung von Unterhalt in Anspruch genommene<br />

Kind im Einzelfall die Notwendigkeit der Kosten, die für die Heimunterbringung<br />

anfallen und die es über die Unterhaltspflicht mitfinanzieren<br />

muss, bestreiten. Sein Bestreiten kann sich da<strong>bei</strong> auf die Notwendigkeit<br />

der Heimunterbringung wegen der Möglichkeit der ambulanten Pflege<br />

sowie auf die Auswahl der Einrichtung, in der der Elternteil untergebracht<br />

ist, beziehen. 403 Eltern dürfen nicht in ein Heim übersiedeln,<br />

wenn sie einen eigenen Haushalt unterhalten und mittels ambulanter<br />

Pflege betreut werden können. 404 Aus diesem Grund dürfen die Eltern<br />

auch nicht statt einer Heimunterbringung 405 das Betreute Wohnen vorziehen,<br />

wenn dies höhere Kosten verursacht. Die Eltern können dann<br />

nur die Kosten der stationären Heimunterbringung verlangen, auch<br />

wenn diese eine insgesamt schlechtere Qualität aufweist.<br />

Auch <strong>bei</strong> der Heimunterbringung können die Kosten aufgrund der unterschiedlichen<br />

Pflegesätze erheblich voneinander abweichen. 406<br />

Grundsätzlich können die Eltern ein Heim auswählen, dessen Standard<br />

401<br />

Vgl. nur BGHZ 152, 217 = Beck RS 2002, 09015 = DNotZ 2003, 285 = FamRZ 2002,<br />

1698 = FF 2003, 28 = FPR 2003, 149 = FuR 2003, 26 = JR 2003, 283 = JuS 2003,<br />

290 = LMK 2003, 45 = MDR 2003, 86 = MittBayNot 2003, 132 = NJW 2003, 128, 130;<br />

BGH, FamRZ 2003, 1468 = FPR 2004, 28 = MDR 2003, 1293 = NJW-RR 2003, 1441;<br />

BGH, FamRZ 2004, 186 = FPR 2004, 148 = MDR 2004, 279 = NJW-RR 2004, 217;<br />

BGH, BeckRS 2004, 06088 = FamRZ 2004, 1184 = FPR 2004, 522 = FuR 2004, 510<br />

= MDR 2004, 1000 = NJW 2004, 2306 u. OLG Zweibrücken, FamRZ 2001, 660 =<br />

NJW-RR 2001, 436.<br />

402<br />

S. dazu OLG Schleswig, FamRB 2003, 349 = FF 2004, 76 = NJW-RR 2004, 866.<br />

403<br />

S. dazu nur Wellenhofer, in: Luthin/Koch, Hdb. des Unterhaltsrechts, 11. Aufl. 2010,<br />

Rn. 5014 u. FA-FamR/Gerhardt, 7. Aufl. 2009, 6. Kap. Rn. 366.<br />

404<br />

Schnitzler/Günther, MAH Familienrecht, 3. Aufl. 2010, § 11 Rn. 13.<br />

405<br />

So OLG Hamm, FamRZ 2006, 57, 59 für das Leben in einer Wohngruppe statt der<br />

stationären Heimunterbringung.<br />

406<br />

Vgl. Brudermüller, NJW 2004, 633, 634.<br />

228


ihrem bisherigen Lebensstandard entspricht. 407 Dies haben die Eltern<br />

bzw. im Fall der Überleitung der Sozialhilfeträger nachzuweisen. 408 Die<br />

Möglichkeit der Aufnahme in eine kostengünstigere Einrichtung hat<br />

umgekehrt das in Anspruch genommene Kind darzulegen. 409 Das Abstellen<br />

auf den früheren Lebensstandard ist allerdings problematisch, 410<br />

da sich die Lebensstellung der Eltern durch den Eintritt in das Heim,<br />

wenn zu diesem Zeitpunkt bereits die Kosten nicht gedeckt sind, ändert.<br />

In diesem Fall ist der Bedarf auf die „günstigste“ Lösung im Rahmen der<br />

von den Eltern selbst zu deckenden oder darüber liegenden Kosten<br />

beschränkt. Eine Wahlmöglichkeit für ein teureres Heim besteht nicht<br />

mehr. Können die Eltern dagegen die Kosten zunächst noch aus<br />

eigenem Einkommen und Vermögen decken und fällt dieses Leistungsvermögen<br />

während der Dauer des Heimaufenthalts später weg, so dass<br />

die zunächst vermögenden Eltern in die Sozialhilfebedürftigkeit absinken,<br />

stellt sich die Frage der Zumutbarkeit des Umzugs in ein<br />

kostengünstigeres Heim. Eine ähnliche Problematik ergibt sich, wenn<br />

die Eltern zunächst die Kosten des von ihnen gewählten Heimes noch<br />

decken können, aber bereits <strong>bei</strong> der Aufnahme in das Heim absehbar<br />

ist, dass nach einem bestimmten Zeitraum dies nicht mehr der Fall sein<br />

wird. 411 Zudem stellt sich die weitere Frage, inwieweit <strong>bei</strong> einer Kostenunterdeckung<br />

die Eltern zu einem Aufenthalt in einer völlig anderen<br />

Region oder sogar im kostengünstigeren Ausland, <strong>bei</strong> dem das eigene<br />

Einkommen und Vermögen ausreichen würden, verpflichtet sind. Will<br />

<strong>bei</strong>spielsweise die Mutter in der gewohnten Umgebung verbleiben,<br />

findet der Sohn aber im Internet in den neuen Bundesländern ein<br />

Pflegeheim, dessen Tagessätze 50 bis 60 Euro günstiger als in der<br />

„Heimat“ sind. 412 Ob das Argument, die Mutter hätte früher auch ihren<br />

Sohn am gehobenen Lebensstandard partizipieren und ihm eine teure<br />

Ausbildung zuteil werden lassen, die Kosten eines Heims mittlerer Art<br />

und Güte der Umgebung rechtfertigt, ist fraglich. 413 Auch die generelle<br />

Ablehnung eines „Pflegetourismus“ wird langfristig, wenn die Gesell-<br />

407<br />

So OLG Schleswig, NJW-RR 2004, 866, 867 = FamRB 2003, 349 = FF 2004, 76;<br />

OLG Schleswig, NJW-RR 2009, 1369; offen OLG Hamm, FamRZ 2006, 57, 58.<br />

408<br />

Brudermüller, NJW 2004, 633, 634 u. Griesche, FPR 2004, 693, 696.<br />

409<br />

BGHZ 152, 217 = FamRZ 2002, 1698, 1700 = DNotZ 2003, 285 = FPR 2003, 149 =<br />

FuR 2003, 26 = JR 2003, 283 = JuS 2003, 290 = MDR 2003, 86 = MittBayNot 2003,<br />

132 = NJW 2003, 128.<br />

410<br />

Klinkhammer, in: Eschenbruch/Klinkhammer, Der Unterhaltsprozess, 5. Aufl. 2009,<br />

Kap. 2 Rn. 18.<br />

411<br />

Vgl. zur Übergangszeit auch BGH, BeckRS 2003, 03853 = DNotZ 2003, 549 =<br />

FamRZ 2003, 860, 861 = FF 2003, 136 = FPR 2003, 378 = FuR 2003, 275 = LMK<br />

2003, 127 = MDR 2003, 875 = NJW 2003, 1660.<br />

412<br />

So der Fall OLG Schleswig, FamRB 2003, 349 = FF 2004, 76 = NJW-RR 2004, 866.<br />

413<br />

So aber OLG Schleswig, FamRB 2003, 349 = FF 2004, 76 = NJW-RR 2004, 866.<br />

229


schaft insgesamt ärmer wird, anders gesehen werden müssen. 414<br />

Insbesondere ist fraglich, inwiefern den pflegebedürftigen Eltern ein<br />

Umzug unzumutbar ist, 415 während umgekehrt vom unterhaltspflichtigen<br />

Kind im Hinblick auf seinen Ar<strong>bei</strong>tsplatz sehr wohl Mobilität gefordert<br />

wird. Ob ein Umzug zumutbar ist, hängt deshalb vom Alter und vom<br />

Gesundheitszustand des Betroffenen, dem Umfang der Ersparnis sowie<br />

dem Mitspracherecht des Kindes <strong>bei</strong> der Heimauswahl ab. 416<br />

Die Heimkosten unterteilen sich in die Pflegekosten (§§ 75 Abs. 5 Satz<br />

2 SGB XII, 82 ff. SGB XI, Pflegesätze), die Kosten der Unterkunft und<br />

Verpflegung (§ 87 SGB XI, „Hotelkosten“) und die Investitionskosten<br />

(§ 82 Abs. 3 SGB XI), soweit diese nicht durch eine öffentliche<br />

Förderung gedeckt sind, sowie Zusatzleistungen hinsichtlich Unterkunft,<br />

Verpflegung und Betreuung (§ 88 SGB XI). Die Pflegestatistik 417 weist<br />

monatliche Durchschnittssätze aus. Sie betragen für 2007 in der Pflegestufe<br />

III durchschnittlich 2.766 Euro. Hinzu kommt zu diesem Bedarf<br />

noch das Entgelt für Unterkunft und Verpflegung. Das unterhaltsrechtlich<br />

geschuldete Taschengeld dient für die weiteren Aufwendungen,<br />

insbesondere der Erhaltung der Beziehungen zur Umwelt,<br />

Informationen der allgemeinen Bildung, der Teilnahme am kulturellen<br />

und politischen Leben sowie weitergehenden Bedürfnissen wie<br />

Kleidung, Körperpflege und Ernährung. Bei Unterbringung in einem<br />

Heim dient es als Barbetrag nur zur Befriedigung persönlicher Bedürfnisse.<br />

Die sozialhilferechtlichen Beträge (§ 35 Abs. 2 Satz 2 SGB XII,<br />

nämlich 27 % des Eckregelsatzes, also 96,93 Euro) können einen Anhaltspunkt<br />

bieten. 418 Kann der betroffene Elternteil wegen seiner Pflegebedürftigkeit<br />

das Taschengeld nicht verwenden, scheidet es als Bedarf<br />

aus. Ferner sind insbesondere die Investitionskosten darauf zu prüfen,<br />

ob sie auf den Pflegebedürftigen umgelegt werden können. Auch <strong>bei</strong><br />

ersparten Aufwendungen z. B. im Hinblick auf die Ernährung muss eine<br />

Anpassung erfolgen.<br />

414<br />

Anders noch Klinkhammer, in: Eschenbruch/Klinkhammer, Der Unterhaltsprozess,<br />

5. Aufl. 2009, Kap. 2 Rn. 18.<br />

415<br />

So OLG Schleswig, NJW-RR 2009, 1369.<br />

416<br />

Schnitzler/Günther, MAH Familienrecht, 3. Aufl. 2010, § 11 Rn. 12 ff.; NK-BGB/Kath-<br />

Zurhorst, 2. Aufl. 2010, § 1610 Rn. 37; Diederichsen, in: Schwab/Hahne, Familienrecht<br />

im Brennpunkt, 2004, S. 115.<br />

417<br />

Statistisches Bundesamt, Pflegestatistik 2007, 2009, S. 15.<br />

418<br />

Vgl. BGH, FamRZ 2004, 366, 369 = FF 2004, 89 = FPR 2004, 153 = FuR 2004, 413 =<br />

JR 2004, 414 = NJW 2004, 674 = NJW-RR 2004, 1157 u. BGH, FamRZ 2004, 1370,<br />

1371 = FPR 2004, 595 = FuR 2004, 566 = MDR 2004, 1358 = NJW-RR 2004, 1300.<br />

230


Diederichsen möchte die Angemessenheit von Heimkosten noch weiter<br />

einschränken, da sich Kinder das, was sich der Sozialstaat in Zeiten des<br />

Wohlstands an Luxuseinrichtungen geleistet hat, unterhaltsrechtlich<br />

nicht zurechnen lassen müssen. Er 419 möchte somit die Kostenexplosion<br />

im Gesundheitswesen nicht unterhaltsrechtlich berücksichtigen.<br />

So sehr das Argument grundsätzliche Zustimmung verdient; dogmatisch<br />

ist es allerdings nur schwer umzusetzen, da auch in anderen Bereichen<br />

des Bedarfs eines Unterhaltsberechtigten Kostensteigerungen nicht<br />

ausgeschieden werden, da auch der Unterhaltsgläubiger ihnen nicht<br />

ausweichen kann. 420<br />

Der betroffene Elternteil ist nur bedürftig, wenn und soweit er außer<br />

Stande ist, sich selbst zu unterhalten (§ 1602 Abs. 1 BGB). Insoweit<br />

sind sämtliche Einkünfte, insbesondere Renten und Pensionen, sowie<br />

Vermögen in Ansatz zu bringen. Eine Erwerbsobliegenheit trifft den<br />

betroffenen Elternteil nach Erreichen des Renteneintrittsalters nicht<br />

mehr. 421 Zu den zu berücksichtigenden Einkünften gehört auch der<br />

oben bereits dargestellte 422 Anspruch auf Grundsicherung im Alter<br />

(§§ 41 ff. SGB XII). 423 Anders ist dies <strong>bei</strong> Leistungen der Sozialhilfe, da<br />

diese lediglich subsidiär gewährt werden. 424 Auch die Ansprüche aus<br />

der gesetzlichen Pflegeversicherung sind unterhaltsrechtliches Einkommen.<br />

Sie sind einkommens- und vermögensunabhängig und<br />

mindern deshalb die Unterhaltsbedürftigkeit der pflegebedürftigen Eltern<br />

im vollen Umfang. Allerdings ist da<strong>bei</strong> die Vermutungsregel des § 1610a<br />

BGB zu beachten, nach der die Aufwendungen in Folge eines Körper-<br />

oder Gesundheitsschadens im Zweifel nicht geringer sind als die in<br />

Anspruch genommenen Sozialleistungen. Die Leistungen der Pflegeversicherung<br />

dienen deshalb grundsätzlich nur zur Deckung des durch<br />

die Pflegebedürftigkeit verursachten Mehrbedarfs. 425 Das persönliche<br />

Renteneinkommen ist <strong>bei</strong>m pflegebedürftigen und in einem Heim untergebrachten<br />

Elternteil in vollem Umfang bedarfsdeckend anzurechnen.<br />

Es kann nicht zur Hälfte für den nicht rentenberechtigten anderen<br />

Elternteil, der noch zu Hause lebt, „verbucht“ werden. Allerdings kann<br />

nunmehr das Kind gegenüber dem nicht pflegebedürftigen Elternteil<br />

419 Vgl. auch Diederichsen, FF 2003, 8, 10.<br />

420 Krit. auch Klinkhammer, in: Eschenbruch/Klinkhammer, Der Unterhaltsprozess,<br />

5. Aufl. 2009, Kap. 2 Rn. 23.<br />

421 Vgl. OLG Oldenburg, FamRZ 2006, 1292.<br />

422 Vgl. Abschn. III. 2. a. cc.<br />

423 S. nur Günther, FF 2003, 10 ff. S. auch BVerfG, DÖV 2010, 525 zur Anwendung des<br />

Kindergeldes.<br />

424 Brudermüller, NJW 2004, 633, 634.<br />

425 Vgl. dazu Büttner, FamRZ 2000, 596, 597; abw. OLG Hamm, OLGReport 1999, 313.<br />

231


unterhaltspflichtig werden, dessen Existenzminimum nicht durch die<br />

Grundsicherung abgedeckt ist. 426 Wird der „rentenlose“ Elternteil pflegebedürftig,<br />

ist sein Anspruch auf Ehegattenunterhalt gegenüber dem<br />

Unterhaltsanspruch, der ihm gegen seine Kinder zusteht, vorrangig.<br />

Das Vermögen des bedürftigen Elternteils ist regelmäßig zu verwerten.<br />

Dessen Erhalt spielt nur dann eine Rolle, wenn der pflegebedürftige<br />

Elternteil oder der nicht im Pflegeheim untergebrachte weitere Elternteil<br />

eine längere Lebenserwartung hat, so dass eine Vorsorge für das<br />

weitere Leben eine Rolle spielt. Eine Ausnahme kommt nur dann in<br />

Betracht, wenn die Verwertung unmöglich oder unwirtschaftlich ist. Die<br />

Anforderungen an die Verwertungspflicht sind <strong>bei</strong>m pflegebedürftigen<br />

Elternteil weitergehend als <strong>bei</strong>m zahlungspflichtigen Kind, das regelmäßig<br />

noch eine (längere) Zukunftsplanung betreiben muss. 427<br />

Allerdings ist dem betroffenen Elternteil sein Notgroschen 428 zu belassen;<br />

er entspricht dem sozialhilferechtlichen Schonbetrag (§ 90<br />

Abs. 2 Nr. 9 SGB XII, derzeit 2600 Euro). Wird ein verwitweter Elternteil<br />

im Pflegeheim untergebracht, ist auch die Verwertung des nunmehr<br />

nicht mehr genutzten Hausgrundstücks erforderlich. Dies gilt auch dann,<br />

wenn die Möglichkeit besteht, dass der Elternteil möglicherweise noch<br />

in sein Haus zurückkehren könnte und durch die Anmietung einer<br />

Wohnung ein Unterhaltsbedarf entsteht. Die Vermeidung der Belastung<br />

mit Unterhalt <strong>bei</strong>m Kind hat nämlich Vorrang. 429 Auch die bereits behandelte<br />

Rückforderung von Schenkungen innerhalb der Zehnjahresfrist<br />

gemäß § 528 Abs. 1 BGB 430 geht <strong>bei</strong> Realisierbarkeit dieses Anspruchs<br />

jedenfalls der Inanspruchnahme unterhaltspflichtiger Kinder vor. 431 Die<br />

Erhaltung des übertragenen Hauses in der Familie oder für die Erben ist<br />

demgegenüber unterhaltsrechtlich irrelevant. 432 Leistungen im Rahmen<br />

einer Hausübergabe oder eines Altenteils können ebenfalls zu berücksichtigen<br />

sein. 433 Wie die Sachleistungen zu bewerten sind, ist eine<br />

Frage der tatrichterlichen Feststellung bzw. Schätzung. Anhaltspunkt<br />

können die im notwendigen Eigenbedarf nach der Düsseldorfer Tabelle<br />

426<br />

Vgl. BGH, FamRZ 2004, 1370 = FPR 2004, 595 = FuR 2004, 566 = MDR 2004, 1358<br />

= NJW-RR 2004, 1300.<br />

427<br />

Wellenhofer, in: Luthin/Koch, Hdb. des Unterhaltsrechts, 11. Aufl. 2010, Rn. 5018.<br />

428<br />

BGH, FamRZ 2004, 370, 371 = FPR 2004, 157 = FuR 2004, 419 = MDR 2004, 450 =<br />

NJW 2004, 677 u. Ehinger, NJW 2008, 2465, 2466.<br />

429<br />

Ebenso Brudermüller, NJW 2004, 633, 635 u. Wendel/Pauling, Das Unterhaltsrecht in<br />

der familiengerichtlichen Praxis, 7. Aufl. 2008, § 2 Rn. 631.<br />

430<br />

S. dazu III. 2. b. cc.<br />

431<br />

BGH, NJW 1991, 1824.<br />

432<br />

Ähnlich Wellenhofer, in: Luthin/Koch, Hdb. des Unterhaltsrechts, 11. Aufl. 2010,<br />

Rn. 5018.<br />

433<br />

Vgl. oben III. 2. b. aa.<br />

232


einkalkulierten Wohnkosten in Höhe von 360 Euro geben. 434 Auch <strong>bei</strong><br />

der stationären Heimunterbringung besteht ein Anspruch auf Wohngeld<br />

(§ 3 Abs. 2 Nr. 5 WoGG); allerdings gilt dies nicht, wenn der betreffende<br />

Elternteil Sozialhilfeempfänger ist (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 u. 4 WoGG). Jedoch<br />

werden dafür <strong>bei</strong>m Sozialhilferegress nur 56 % der Unterkunftskosten<br />

(ausgenommen Heizung und Warmwasserversorgung) berücksichtigt.<br />

3. Leistungsfähigkeit des in Anspruch genommenen Kindes<br />

Unterhaltspflichtig ist nur, wer <strong>bei</strong> Berücksichtigung seiner sonstigen<br />

Verpflichtungen ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen<br />

Unterhalts in der Lage ist, den Unterhalt zu gewähren (§ 1603 Abs. 1<br />

BGB). Dem Kind müssen die Mittel verbleiben, die es selbst zur angemessenen<br />

Deckung des seiner Lebensstellung entsprechenden allgemeinen<br />

Bedarfs benötigt. 435 Maßgeblicher Zeitpunkt ist derjenige des<br />

Bedarfs. Dies kann dazu führen, dass ein Kind, das eine lange Berufsausbildung<br />

mit dann hohem Einkommen (z. B. Studium) noch nicht abgeschlossen<br />

hat, nicht für die Pflegekosten der Eltern aufkommen<br />

muss, während ein Geschwisterteil, das eine Lehre absolviert hat und<br />

bereits mehrere Jahre berufstätig ist, die Heimkosten der Eltern mittragen<br />

muss.<br />

Zur Feststellung der Leistungsfähigkeit ist das vorhandene Einkommen<br />

zu ermitteln und dann um Abzüge, die im Hinblick auf die Schwäche des<br />

Elternunterhalts relativ weitgehend akzeptiert werden, zu bereinigen;<br />

schließlich ist auch noch der Einsatz seines Vermögens durch das Kind<br />

zu prüfen.<br />

a) Was bleibt vom Einkommen?<br />

Die Einkommensermittlung erfolgt nach allgemeinen Regeln. Zum Einkommen<br />

zählen grundsätzlich alle erzielten und erzielbaren Einkünfte,<br />

gleich welcher Art sie sind und aus welchem Anlass sie erzielt<br />

werden. 436 Zu den Einkünften gehören Erwerbseinkünfte und<br />

434 Düsseldorfer Tabelle Anm. A.5.<br />

435 BVerfG, BayVBl. 2006, 699 = BeckRS 2005, 27107 = EuGRZ 2005, 330 = FamRZ<br />

2005, 1051, 1053 = FF 2005, 187 = FuR 2005, 376 = JZ 2006, 313 = MDR 2005, 927<br />

= NJW 2005, 1927 = SVR 2005, 343 = ZErb 2005, 374 u. BGHZ 169, 59 = DNotZ<br />

2007, 48 = FamRZ 2006, 1511 = FF 2006, 256 = FuR 2006, 513 = MDR 2007, 219 =<br />

NJW 2006, 3344. Vgl. auch Diederichsen, FF 2003, 8.<br />

436 S. nur BGHZ 164, 375 = NJW 2006, 57 = FamRZ 2006, 99 = MDR 2006, 518 = FF<br />

2006, 55 = JR 2007, 22. S. nur Schnitzler/Friederici, MAH Familienrecht,<br />

3. Aufl. 2010, § 5 Rn. 19.<br />

233


Vermögenserträge (z. B. Zinsen, Wohnwertvorteil), aber auch öffentlichrechtliche<br />

Leistungen. Insbesondere besteht auch gegenüber bedürftigen<br />

Eltern eine Erwerbsobliegenheit, solange Kinder noch nicht<br />

ihrerseits das allgemeine Rentenalter erreicht haben. Allerdings sind die<br />

Anforderungen nicht so streng wie <strong>bei</strong>m Kindesunterhalt. Deshalb ist ein<br />

Berufs- oder Ortswechsel regelmäßig nicht erforderlich. 437 Ein Kind, das<br />

als Elternteil das eigene Kind (= Enkelkind) betreut, ist nicht zur Aufnahme<br />

einer Erwerbstätigkeit einschließlich einer Nebenbeschäftigung<br />

verpflichtet, da die Kindesbetreuung eine vorrangige Unterhaltspflicht<br />

darstellt (§§ 1606 Abs. 3 Satz 2, 1609 Nr. 1 BGB). Die sog. Hausmann-<br />

Rechtsprechung 438 gilt nur hinsichtlich des Unterhalts minderjähriger<br />

Kinder. Auch die Haushaltsführung gegenüber dem Ehegatten, die der<br />

Erwerbstätigkeit gleichgestellt ist (§ 1360 Satz 2 BGB), erfolgt in Erfüllung<br />

der vorrangigen Pflicht, zum Familienunterhalt <strong>bei</strong>zutragen. 439<br />

Demgegenüber muss <strong>bei</strong> der Wahl der Steuerklasse auf die Unterhaltspflicht<br />

gegenüber den Eltern Rücksicht genommen werden. Bei Wahl<br />

der ungünstigeren Steuerklasse ist dies durch einen entsprechenden<br />

Abschlag zu korrigieren. 440 Auch Überstundenvergütungen sind im<br />

Rahmen des Elternunterhalts nicht privilegiert. 441<br />

Anders als <strong>bei</strong>m Kindesunterhalt kann <strong>bei</strong>m Elternunterhalt regelmäßig<br />

der gesamte tatsächliche Lebensbedarf vom Einkommen abgezogen<br />

werden. Grund ist, dass die unterhaltspflichtigen Kinder Vermögensdispositionen<br />

zu Zeiten getroffen haben, in denen die Verpflichtung zur<br />

Leistung von Elternunterhalt noch nicht erkennbar war. Der angemessene<br />

Familienunterhalt auf Grundlage des bisherigen Lebensstandards<br />

soll aufgrund der Verpflichtung zur Unterhaltsgewährung<br />

gegenüber den Eltern nicht angetastet werden. Die Unterhaltspflicht<br />

gegenüber den Eltern soll zu keiner spürbaren und dauerhaften<br />

Senkung des berufs- und einkommenstypischen Unterhaltsniveaus<br />

437<br />

Ebenso Wellenhofer, in: Luthin/Koch, Hdb. des Unterhaltsrechts, 11. Aufl. 2010,<br />

Rn. 5026.<br />

438<br />

Vgl. BGHZ 147, 19 = FamRZ 2001, 614 = FuR 2001, 180 = JR 2002, 109 = MDR<br />

2001, 815 = NJW 2001, 1488; BGH, FamRZ 2001, 1065 = FuR 2001, 225 = NJW-RR<br />

2001, 361 u. BGHZ 169, 200 = FamRZ 2006, 1827 = FF 2007, 50 = FuR 2007, 19 =<br />

JA 2007, 813 = JZ 2007, 587 = MDR 2007, 275 = NJW 2007, 139.<br />

439<br />

Str., wie hier BGH, FamRZ 1987, 472; Wellenhofer, in: Luthin/Koch, Hdb. des Unterhaltsrechts,<br />

11. Aufl. 2010, Rn. 5026 u. Scholz, in: FS f. Schwab, 2005, S. 911, 913 ;<br />

a. A. Ehinger, FPR 2003, 623, 628.<br />

440<br />

BGH, FamRZ 2004, 443 = FPR 2004, 230 = JR 2005, 15 = NJW 2004, 769.<br />

441<br />

BGH, FamRZ 2004, 186, 187 = FPR 2004, 148 = MDR 2004, 279 = NJW-RR 2004,<br />

217.<br />

234


führen. 442 Etwas anderes gilt nur <strong>bei</strong> einem nach den berufs- und einkommensspezifischen<br />

Verhältnissen unangemessenen Aufwand und<br />

stets <strong>bei</strong> Luxusaufwendungen. 443<br />

Im Hinblick auf die Unsicherheit der Sozialversicherungssysteme darf<br />

das unterhaltspflichtige Kind auch eine eigene angemessene Altersvorsorge<br />

betreiben, die dem Unterhaltsanspruch vorgeht. 444 Bis zu 5 % des<br />

Bruttoeinkommens 445 können für eine über die primäre Altersversorgung<br />

hinausreichende eigene zusätzliche Altersvorsorge eingesetzt werden.<br />

In welcher Form dies geschieht, ist grundsätzlich frei. Zulässig sind z. B.<br />

Sparkonten, 446 Immobilien 447 und Lebensversicherungen; 448 eine Beschränkung<br />

auf die in § 10a EStG geförderten Anlageformen besteht<br />

nicht. Allerdings muss die Altersvorsorge auch wirklich geleistet werden;<br />

rein fiktive Abzüge sind nicht zulässig. 449 Inwieweit auch Rücklagen für<br />

den eigenen Pflegebedarf im Alter, eine Krankheit, eine Erwerbs-<br />

442 BGHZ 169, 59 = DNotZ 2007, 48 = FamRZ 2006, 1511 = FF 2006, 256 = FuR 2006,<br />

513 = MDR 2007, 219 = NJW 2006, 3344; BGH, FamRZ 2004, 186, 188 = FPR 2004,<br />

148 = MDR 2004, 279 = NJW-RR 2004, 217; BGHZ 152, 217 = DNotZ 2003, 285 =<br />

FamRZ 2002, 1698 = FPR 2003, 149 = FuR 2003, 26 = JuS 2003, 290 = MDR 2003,<br />

86 = MittBayNot 2003, 132 = NJW 2003, 128, 130; BGHZ 154, 247 = BeckRS 2003,<br />

05497 = FamRZ 2003, 1179, 1182 = FamRB 2003, 280 = FF 2003, 177 = FPR 2003,<br />

499 = FuR 2003, 456 = LMK 2003, 228 = MDR 2003, 1183 = NJW 2003, 2306 =<br />

RNotZ 2003, 570 u. Brudermüller, NJW 2004, 633, 635.<br />

443 LG Kiel, FamRZ 1996, 753, 755.<br />

444 BGHZ 154, 247 = BeckRS 2003, 05497 = FamRZ 2003, 1179, 1182 = FamRB 2003,<br />

280 = FF 2003, 177 = FPR 2003, 499 = FuR 2003, 456 = LMK 2003, 228 = MDR<br />

2003, 1183 = NJW 2003, 2306 = RNotZ 2003, 570; BGH, BeckRS 2004, 03471 =<br />

FamRZ 2004, 792, 793 = FPR 2004, 408 = FuR 2004, 222 = LMK 2004, 207 = MDR<br />

2004, 754 = NJW-RR 2004, 793; BGHZ 163, 84 = FamRZ 2005, 1817 = FuR 2005,<br />

555 = MDR 2006, 210 = NJW 2005, 3277 = NZM 2006, 31; LG Lübeck, FamRZ 1996,<br />

961 u. ausführlich Büttner, FamRZ 2004, 1918 ff.<br />

445 BGHZ 169, 59 = DNotZ 2007, 48 = FamRZ 2006, 1511 = FF 2006, 256 = FuR 2006,<br />

513 = MDR 2007, 219 = NJW 2006, 3344; BGH, BeckRS 2004, 03471 = FamRZ<br />

2004, 792, 793 = FPR 2004, 408 = FuR 2004, 222 = LMK 2004, 207 = MDR 2004,<br />

754 = NJW-RR 2004, 793.<br />

446 BGHZ 169, 59 = DNotZ 2007, 48 = FamRZ 2006, 1511 = FF 2006, 256 = FuR 2006,<br />

513 = MDR 2007, 219 = NJW 2006, 3344.<br />

447 BGH, BeckRS 2004, 03471 = FamRZ 2004, 792, 793 = FPR 2004, 408 = FuR 2004,<br />

222 = LMK 2004, 207 = MDR 2004, 754 = NJW-RR 2004, 793.<br />

448 BGHZ 154, 247 = BeckRS 2003, 05497 = FamRZ 2003, 1179, 1182 = FamRB 2003,<br />

280 = FF 2003, 177 = FPR 2003, 499 = FuR 2003, 456 = LMK 2003, 228 = MDR<br />

2003, 1183 = NJW 2003, 2306 = RNotZ 2003, 570; BGHZ 169, 59 = DNotZ 2007, 48<br />

= FamRZ 2006, 1511 = FF 2006, 256 = FuR 2006, 513 = MDR 2007, 219 = NJW<br />

2006, 3344.<br />

449 BGH, BeckRS 2003, 03853 = DNotZ 2003, 549 = FamRZ 2003, 860, 863 = FF 2003,<br />

136 = FPR 2003, 378 = FuR 2003, 275 = LMK 2003, 127 = MDR 2003, 875 = NJW<br />

2003, 1660; OLG Brandenburg, FamFR 2010, 104.<br />

235


minderung und eine Invalidität zulässig sind, ist bisher offen. 450 Die Begründung<br />

des BGH, dass die klassische Altersvorsorge nicht mehr ausreicht,<br />

würde auch für diese Bereiche von Versorgungsaufwendungen<br />

gelten. 451 Eine Zweckbindung ist nicht erforderlich; ausreichend ist, dass<br />

das unterhaltspflichtige Kind darlegt, dass die Vermögensanlage der<br />

zusätzlichen Altersvorsorge dienen soll. Allerdings ist neben vorhandenem<br />

Immobilienvermögen eine weitere Altersvorsorge nur in Ausnahmefällen<br />

zulässig. 452 Ob das in Anspruch genommene Kind zudem<br />

eine zusätzliche Altersvorsorge für seinen nicht erwerbstätigen Ehegatten<br />

im Rahmen des Familienunterhalts finanzieren kann, ist noch<br />

offen. 453<br />

Verbindlichkeiten einschließlich Anschaffungskredite sind als Abzugsposten<br />

zu berücksichtigen. Voraussetzung ist, dass sie eingegangen<br />

wurden, bevor die Verpflichtung zum Elternunterhalt absehbar war. 454<br />

Eine Ausnahme gilt für Verbindlichkeiten, die bereits im Selbstbehalt<br />

berücksichtigt sind. Hinsichtlich des Umstands des Bekanntwerdens der<br />

Unterhaltspflicht ist nicht vor einer Kreditaufnahme die medizinische<br />

Untersuchung der Eltern erforderlich. 455 Sie kann von den Eltern zur<br />

Entdeckung einer bisher nicht bekannten Krankheit nicht gefordert<br />

werden. Im Gegenteil besteht sogar eine Vermutung dafür, dass auch<br />

<strong>bei</strong> Eltern im fortgeschrittenen Alter eine Pflegebedürftigkeit nicht von<br />

vornherein zu bejahen ist. Verbindlichkeiten, die dagegen erst nach<br />

Bekanntwerden einer eventuellen Pflegebedürftigkeit eingegangen<br />

werden, sind auf ihre Angemessenheit zu prüfen. Kreditaufnahmen für<br />

die Anschaffung sind da<strong>bei</strong> wohl richtigerweise ebenso wie diesbezügliche<br />

Rücklagen zu behandeln. Kinder dürfen nicht unterschiedlich be-<br />

450<br />

Vgl. Klinkhammer, in: Eschenbruch/Klinkhammer, Der Unterhaltsprozess,<br />

5. Aufl. 2009, Kap. 2 Rn. 65 ff. u. MünchKommBGB/Born, 5. Aufl. 2008, § 1601<br />

Rn. 25; offen BGH, BeckRS 2003, 03853 = DNotZ 2003, 549 = FamRZ 2003, 860,<br />

863 = FF 2003, 136 = FPR 2003, 378 = FuR 2003, 275 = LMK 2003, 127 = MDR<br />

2003, 875 = NJW 2003, 1660.<br />

451<br />

Abgelehnt allerdings vom BGH, BeckRS 2003, 03853 = DNotZ 2003, 549 = FamRZ<br />

2003, 860, 863 = FF 2003, 136 = FPR 2003, 378 = FuR 2003, 275 = LMK 2003, 127<br />

= MDR 2003, 875 = NJW 2003, 1660 für die Ar<strong>bei</strong>tslosigkeitsvorsorge eines Gesellschafter-Geschäftsführers.<br />

452<br />

BGH, FamRZ 2004, 370, 374 = FPR 2004, 157 = FuR 2004, 419 = MDR 2004, 450 =<br />

NJW 2004, 677.<br />

453<br />

OLG Hamm, FamRZ 2008, 1650; Büttner, FamRZ 2004, 1918, 1920.<br />

454<br />

BGHZ 169, 59 = DNotZ 2007, 48 = FamRZ 2006, 1511 = FF 2006, 256 = FuR 2006,<br />

513 = MDR 2007, 219 = NJW 2006, 3344; OLG München, FamRZ 2000, 307; OLG<br />

Hamm, FamRZ 2002, 123; OLG Hamm, NJW-RR 2005, 588. S. auch Born, FamRB<br />

2003, 295, 302 u. Brudermüller, NJW 2004 633, 635 f.<br />

455<br />

Ebenso Klinkhammer, in: Eschenbruch/Klinkhammer, Der Unterhaltsprozess,<br />

5. Aufl. 2009, Kap. 2 Rn. 68; tlw. abw. Born, FamRB 2004, 226, 227.<br />

236


handelt werden, wenn das eine Aufwendungen mittels eines Darlehens<br />

finanziert, während das andere erst die diesbezügliche Summe anspart.<br />

456 Bei erforderlichen Hausratsanschaffungen und einer anstehenden<br />

Pkw-Erneuerung dienen Rücklagen nicht der Vermögensbildung;<br />

Kredite sind insoweit zu akzeptieren. Dagegen sind Aufwendungen<br />

für private Zwecke wie z. B. Urlaubsreisen aus dem erhöhten<br />

Selbstbehalt zu bestreiten. Rücklagen und Kreditaufnahmen<br />

sind hierfür nicht zulässig. 457<br />

Der Wohnwert eines selbst genutzten Eigenheims ist hinsichtlich der<br />

Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen. Er wird allerdings nicht mit der<br />

<strong>bei</strong> einer Fremdvermietung erzielbaren objektiven Marktmiete, sondern<br />

auf der Grundlage des unter den gegebenen Verhältnissen ersparten<br />

Mietzinses berücksichtigt. 458 Belastungen sind auch insoweit abzugsfähig.<br />

Zu ihnen gehören Lasten, Finanzierungszinsen sowie sonstige<br />

verbrauchsunabhängige Kosten (z. B. Gebühr für den Kaminkehrer).<br />

Auch die Tilgungsraten können abgesetzt werden; 459 Voraussetzungen<br />

sind allerdings ihre Angemessenheit und die Begründung zu einem<br />

Zeitpunkt, zu dem die Verpflichtung zum Elternunterhalt noch nicht absehbar<br />

war. Rücklagen sind ebenfalls zu berücksichtigen, wenn es sich<br />

um beabsichtigte Instandhaltungsmaßnahmen handelt, die zur<br />

ordnungsgemäßen Bewohnbarkeit der Immobilie erforderlich sind. Allein<br />

der Hinweis darauf, dass es sich um ein älteres Bauwerk handelt, genügt<br />

zu ihrer Anerkennung dagegen nicht. 460 Eine Veräußerung des<br />

456<br />

Ebenso Ehinger, FPR 2003, 622, 627.<br />

457<br />

Str. für Urlaubsreise Klinkhammer, in: Eschenbruch/Klinkhammer, Der Unterhaltsprozess,<br />

5. Aufl. 2009, Kap. 2 Rn. 69; bejahend wohl Wellenhofer, in: Luthin/Koch,<br />

Hdb. des Unterhaltsrechts, 11. Aufl. 2010, Rn. 5030.<br />

458<br />

BGHZ 154, 247 = BeckRS 2003, 05497 = FamRZ 2003, 1179, 1182 = FamRB 2003,<br />

280 = FF 2003, 177 = FPR 2003, 499 = FuR 2003, 456 = LMK 2003, 228 = MDR<br />

2003, 1183 = NJW 2003, 2306 = RNotZ 2003, 570 u. OLG Zweibrücken, OLGReport<br />

2008, 505.<br />

459<br />

BGHZ 154, 247 = BeckRS 2003, 05497 = FamRZ 2003, 1179, 1182 = FamRB 2003,<br />

280 = FF 2003, 177 = FPR 2003, 499 = FuR 2003, 456 = LMK 2003, 228 = MDR<br />

2003, 1183 = NJW 2003, 2306 = RNotZ 2003, 570.<br />

460<br />

BGH, FamRZ 2000, 351, 354 = FuR 2000, 252 = MDR 2000, 215 = NJW 2000, 284 =<br />

NZM 2000, 102.<br />

237


Eigenheims ist regelmäßig unzumutbar. 461 Auch eine Belastung zur<br />

Finanzierung des Elternunterhalts ist nicht zumutbar. 462<br />

Der angemessene Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen beträgt nach<br />

der Düsseldorfer Tabelle derzeit mindestens monatlich 1.400 Euro einschließlich<br />

450 Euro Warmmiete und zuzüglich der Hälfte des darüber<br />

hinausgehenden Einkommens. 463 Bleibt die Warmmiete unter dem vorstehend<br />

genannten Betrag, erfolgt keine Herabsetzung. 464 Bei höheren<br />

Wohnkosten ist im Einzelfall zu prüfen, ob der Umzug in eine billigere<br />

Wohnung zumutbar ist, was insbesondere <strong>bei</strong> einer langjährigen Mietwohnungsnutzung<br />

regelmäßig nicht der Fall ist. 465 Die Düsseldorfer<br />

Tabelle gibt den angemessenen Unterhalt des mit dem unterhaltspflichtigen<br />

Kind zusammenlebenden Ehegatten mit mindestens 1.050<br />

Euro (einschließlich 350 Euro Warmmiete) an. Konsequenz ist, dass<br />

eine Unterhaltspflicht ausscheidet, wenn das Einkommen der Eheleute<br />

den zusammengerechneten Selbstbehalt von 2.450 Euro monatlich<br />

nicht erreicht. 466<br />

Für das nach Abzug des erhöhten Selbstbehalts sowie vorrangiger<br />

Unterhaltsverpflichtungen verbleibende bereinigte Netto-Einkommen gilt<br />

die bereits erwähnte 50 %-Methode. Die Hälfte dieses "Überschussbetrages"<br />

ist tatsächlich für den Elternunterhalt einzusetzen. 467 Dieser<br />

461<br />

BGHZ 169, 59 = DNotZ 2007, 48 = FamRZ 2006, 1511 = FF 2006, 256 = FuR 2006,<br />

513 = MDR 2007, 219 = NJW 2006, 3344; BGHZ 154, 247 = BeckRS 2003, 05497 =<br />

FamRZ 2003, 1179, 1181 = FamRB 2003, 280 = FF 2003, 177 = FPR 2003, 499 =<br />

FuR 2003, 456 = LMK 2003, 228 = MDR 2003, 1183 = NJW 2003, 2306 = RNotZ<br />

2003, 570; anders für ein Ferienhaus BGH, NJW-RR 1986, 66.<br />

462<br />

BVerfG, BayVBl. 2006, 699 = BeckRS 2005, 27107 = EuGRZ 2005, 330 = FamRZ<br />

2005, 1149 = FF 2005, 187 = FuR 2005, 376 = JZ 2006, 313 = MDR 2005, 927 =<br />

NJW 2005, 1927 = SVR 2005, 343 = ZErb 2005, 374.<br />

463<br />

Düsseldorfer Tabelle, Stand vom 1.1.2010, Anm. D I.<br />

464<br />

BGH, FamRZ 2004, 186 = FPR 2004, 148 = MDR 2004, 279 = NJW-RR 2004, 217 u.<br />

BGH, FamRZ 2004, 370, 373 = FPR 2004, 157 = FuR 2004, 419 = MDR 2004, 450 =<br />

NJW 2004, 677.<br />

465<br />

Ebenso Klinkhammer, in: Eschenbruch/Klinkhammer, Der Unterhaltsprozess,<br />

5. Aufl. 2009, Kap. 2 Rn. 77.<br />

466<br />

Ebenso OLG Zweibrücken, OLGR 2008, 505.<br />

467<br />

BGHZ 152, 217 = BeckRS 2002, 09015 = DNotZ 2003, 285 = FamRZ 2002, 1698,<br />

1701 = FF 2003, 28 = FPR 2003, 149 = FuR 2003, 26 = JR 2003, 283 = JuS 2003,<br />

290 = LMK 2003, 45 = MDR 2003, 86 = MittBayNot 2003, 132 = NJW 2003, 128 = ;<br />

BGHZ 154, 247 = BeckRS 2003, 05497 = FamRZ 2003, 1179, 1182 = FamRB 2003,<br />

280 = FF 2003, 177 = FPR 2003, 499 = FuR 2003, 456 = LMK 2003, 228 = MDR<br />

2003, 1183 = NJW 2003, 2306 = RNotZ 2003, 570; BGH, BeckRS 2003, 10674 =<br />

FamRZ 2004, 186 = FF 2004, 25 = FPR 2004, 148 = MDR 2004, 279 = NJW-RR<br />

2004, 217, 219; BGHZ 169, 59 = DNotZ 2007, 48 = FamRZ 2006, 1511 = FF 2006,<br />

238


Super-Selbstbehalt 468 entspricht auch der Handhabung der Sozialämter<br />

im Falle des Rückgriffs. Damit soll das Kind davor geschützt werden,<br />

dass es mehr an Elternunterhalt leisten muss, als ihm selbst verbleibt.<br />

Nicht ganz unstrittig ist, was aus dem sog. Super-Selbstbehalt zu<br />

finanzieren ist. Dies betrifft insbesondere Vorsorgeaufwendungen,<br />

Kredite sowie weitere Aufwendungen für den Lebensbedarf.<br />

Ist das in Anspruch genommene Kind verheiratet, selbst nicht erwerbstätig<br />

und verfügt es auch über keine Vermögenseinkünfte, kann es<br />

leistungsfähig sein, wenn besonders günstige wirtschaftliche Verhältnisse<br />

vorliegen und die eigenen Mittel wie z. B. Ar<strong>bei</strong>tslosengeld und<br />

Taschengeld nicht zur Bestreitung des eigenen angemessenen<br />

Lebensbedarfs benötigt werden. 469 Die Höhe des entsprechenden Anteils<br />

hat der Tatrichter festzulegen. 470 Eine derart günstige wirtschaftliche<br />

Situation liegt vor, wenn das bereinigte Einkommen des Ehegatten<br />

dem doppelten Selbstbehalt <strong>bei</strong>der Ehegatten entspricht, also zur Zeit<br />

4.900 Euro monatlich beträgt. 471 Auf diesem "Umweg" kommt es zu<br />

einer faktischen Schwiegerkindhaftung. 472 Gleiches gilt für geringfügige<br />

Einkünfte des unterhaltspflichtigen Kindes aus einer Nebenbeschäftigung,<br />

wenn diese <strong>bei</strong> einem großzügigen Zuschnitt des<br />

Familieneinkommens nicht für den eigenen Lebensbedarf benötigt<br />

werden. Diese sind dann ohne Berücksichtigung eines Selbstbehalts für<br />

den Elternunterhalt zu verwenden. Vom Grundsatz bleibt es jedoch<br />

da<strong>bei</strong>, dass dem in Anspruch genommenen Kind der Selbstbehalt verbleiben<br />

muss. Werden die Einkünfte für den Familienunterhalt benötigt,<br />

ist zunächst zu prüfen, wie hoch der Familienunterhaltsbedarf nach der<br />

individuellen Lebensführung zu bemessen ist. Die Darlegungslast trägt<br />

insoweit das Kind, dem auch Beiträge zur Altersvorsorge verbleiben<br />

müssen. Entsprechend dem tatsächlichen Verdienst hat jeder Ehegatte<br />

256 = FuR 2006, 513 = MDR 2007, 219 = NJW 2006, 3344; OLG Düsseldorf, FamRZ<br />

2007, 1668 u. OLG Hamm, FamRZ 2008, 1650.<br />

468<br />

So Brudermüller, NJW 2004, 633, 638; vgl. auch Klinkhammer, FamRZ 2003, 1793,<br />

1796.<br />

469<br />

BGH, FamRZ 2004, 370, 372 = FPR 2004, 157 = FuR 2004, 419 = MDR 2004, 450 =<br />

NJW 2004, 677; BGH, FamRZ 2004, 366 = FF 2004, 89 = FPR 2004, 153 = FuR<br />

2004, 413 = JR 2004, 414 = NJW 2004, 674 = NJW-RR 2004, 1157; Teilw. krit.<br />

Mayer, ZEV 2007, 145 ff. Vgl. auch Scholz, in: FS f. Schwab, 2005, S. 911 ff.<br />

470<br />

Vgl. BGH, FamRZ 2004, 366 = FF 2004, 89 = FPR 2004, 153 = FuR 2004, 413 = JR<br />

2004, 414 = NJW 2004, 674 = NJW-RR 2004, 1157 zur heftigen Anrechnung.<br />

471<br />

BGH, BeckRS 2004, 03472 = FamRZ 2004, 795, 797 = FPR 2004, 405 = LMK2004,<br />

186 = MDR 2004, 753 = NJW 2004, 2167 = NJW-RR 2004, 721 = ZNotP 2004, 443.<br />

472<br />

Ebenso Wellenhofer, in: Luthin/Koch, Hdb. des Unterhaltsrechts, 11. Aufl. 2010,<br />

Rn. 5044 (dort auch zu Vollstreckungsproblemen); krit. Klinkhammer, FPR 2004, 555,<br />

557.<br />

239


anteilig zu dem errechneten Familienunterhalt <strong>bei</strong>zutragen. Die <strong>bei</strong>m<br />

Pflichtigen verbleibende Spitze steht dann zur Hälfte für den Elternunterhalt<br />

zur Verfügung.<br />

Ist das in Anspruch genommene Kind Alleinverdiener, so muss zunächst<br />

der den ehelichen Lebensverhältnissen angemessene Unterhalt<br />

für den Ehegatten abgesetzt werden. Wegen der fehlenden Unterhaltspflicht<br />

gegenüber den Schwiegereltern ist nicht allein der Selbstbehalt<br />

des nicht erwerbstätigen Ehegatten zu berücksichtigen. Sein Anteil beträgt<br />

vielmehr die Hälfte des nach Abzug des Kindesunterhalts verbleibenden<br />

Einkommens. 473 Zusätzlich zu berücksichtigen ist die Haushaltsersparnis<br />

durch das Zusammenwohnen der Ehegatten. Dies hat im<br />

Einzelfall der Tatrichter zu bestimmen. 474 Außerdem ist zu berücksichtigen,<br />

dass die ehelichen Lebensverhältnisse bereits durch die Belastung<br />

mit Elternunterhalt geprägt sein können, wo<strong>bei</strong> dies nicht nur<br />

dann der Fall ist, wenn die Eltern bereits <strong>bei</strong> Eheschließung Pflegefall<br />

sind oder deren bevorstehende Pflegebedürftigkeit damals erkennbar<br />

war. 475<br />

b) Hausverkauf für den Elternunterhalt?<br />

Auch <strong>bei</strong>m Elternunterhalt muss der Unterhaltspflichtige sein Vermögen<br />

einsetzen, um den Unterhaltsbedarf der Berechtigten zu decken, wenn<br />

er nicht über ausreichendes Einkommen verfügt. Dies gilt auch für den<br />

Stamm des Vermögens. 476 Eine Billigkeitsgrenze sieht das Gesetz nicht<br />

vor; sie ist vielmehr vom Tatrichter zu ermitteln. 477 Die Vermögensver-<br />

473 BGH, BeckRS 2003, 03853 = DNotZ 2003, 549 = FamRZ 2003, 860, 865 = FF 2003,<br />

136 = FPR 2003, 378 = FuR 2003, 275 = LMK 2003, 127 = MDR 2003, 875 = NJW<br />

2003, 1660; BGH, BeckRS 2003, 10674 = FF 2004, 25 = FamRZ 2004, 186 = FPR<br />

2004, 148 = MDR 2004, 279 = NJW-RR 2004, 217, 218.<br />

474 BGH, BeckRS 2004, 03471 = FamRZ 2004, 792, 793 = FPR 2004, 408 = FuR 2004,<br />

222 = LMK 2004, 207 = MDR 2004, 754 = NJW-RR 2004, 793; s. zu den unterschiedlichen<br />

Berechnungs<strong>bei</strong>spielen Borth, FamRZ 2004, 794, 795; Ehinger, NJW 2008,<br />

2465, 2468 u. Klinkhammer, FPR 2004, 555, 557.<br />

475 So aber noch BGH, BeckRS 2003, 03853 = DNotZ 2003, 549 = FamRZ 2003, 860,<br />

865 = FF 2003, 136 = FPR 2003, 378 = FuR 2003, 275 = LMK 2003, 127 = MDR<br />

2003, 875 = NJW 2003, 1660; Wellenhofer, in: Luthin/Koch, Hdb. des Unterhaltsrechts,<br />

11. Aufl. 2010, Rn. 5041 führt dazu aus, dass, solange Elternteile leben, stets<br />

im Grunde mit der Unterhaltslast zu rechnen ist.<br />

476 Ebenso Born, FPR 2009, 607 u. Büttner, in: FS f. Henrich, 2000, S. 51, 56 u. Soyka,<br />

in: Scholz/Stein, Praxishandbuch Familienrecht, Stand: Okt. 2009 Teil J Rn. 44; teilw.<br />

abw. OLG Hamm, FPR 2009, 606.<br />

477 BGH, BGHZ 152, 217 = FamRZ 2002, 1698, 1702 = DNotZ 2003, 285 = FPR 2003,<br />

149 = FuR 2003, 26 = JR 2003, 283 = JuS 2003, 290 = MDR 2003, 86 = MittBayNot<br />

2003, 132 = NJW 2003, 128.<br />

240


wertung kann durch Veräußerung oder Beleihung erfolgen. Im Hinblick<br />

auf die schwächere Ausgestaltung des Elternunterhalts und darauf,<br />

dass das Kind für sich und seine Familie auch in Zukunft sorgen muss,<br />

muss ein strengerer Maßstab hinsichtlich der Zumutbarkeit der Vermögensverwertung<br />

gelten als <strong>bei</strong>m Unterhalt für volljährige Kinder. 478<br />

Demnach kann eine Verwertung des Vermögensstamms nicht gefordert<br />

werden, wenn sie zum Wegfall fortlaufender Einkünfte führt, die zur<br />

Bestreitung des eigenen Lebensbedarfs, von Unterhaltsansprüchen<br />

anderer Personen und zur Tilgung von Verbindlichkeiten erforderlich<br />

sind. 479 Die Verwertung eines angemessenen selbstgenutzten Familienheims<br />

kann im Normalfall nicht gefordert werden. 480 Auch eine Belastung<br />

zur Finanzierung des Unterhalts durch eine Kreditaufnahme<br />

scheidet aus. 481 Geschützt ist allerdings grundsätzlich nur das angemessene<br />

selbstgenutzte Familienheim. Handelt es sich jedoch um ein<br />

langjährig bewohntes Haus kann auch nach dem Auszug der Kinder<br />

und dem eventuellen Versterben des Ehepartners dem Unterhaltspflichtigen<br />

die Veräußerung nicht zugemutet werden. Die Kriterien in<br />

§ 90 Abs. 2 SGB XII können im Rahmen des Elternunterhalts nur als<br />

Mindestmaßstab dienen. 482 Schließlich ist die Verwertung von Vermögen<br />

unzumutbar, wenn dies zu wirtschaftlich nicht mehr vertretbaren<br />

Nachteilen führen würde, 483 was bereits dann angenommen werden<br />

kann, wenn Vermögen angemessene Erträge abwirft. 484<br />

478<br />

Ebenso BGHZ 169, 59 = DNotZ 2007, 48 = FamRZ 2006, 1511 = FF 2006, 256 =<br />

FuR 2006, 513 = MDR 2007, 219 = NJW 2006, 3344; u. Wellenhofer, in: Luthin/Koch,<br />

Hdb. des Unterhaltsrechts, 11. Aufl. 2010, Rn. 2049, die die nachstehend genannten<br />

Beispielsfälle als grob unbillig ansieht; a. A. Krische, FPR 2005, 335, 338.<br />

479<br />

BGHZ 169, 59 = DNotZ 2007, 48 = FamRZ 2006, 1511 = FF 2006, 256 = FuR 2006,<br />

513 = MDR 2007, 219 = NJW 2006, 3344.<br />

480<br />

BGH, BeckRS 2004, 06088 = FamRZ 2004, 1184 = FPR 2004, 522 = FuR 2004, 510<br />

= MDR 2004, 1000 = NJW 2004, 2306; BGHZ 169, 59 = DNotZ 2007, 48 = FamRZ<br />

2006, 1511 = FF 2006, 256 = FuR 2006, 513 = MDR 2007, 219 = NJW 2006, 3344 u.<br />

BGHZ 154, 247 = BeckRS 2003, 05497 = FamRZ 2003, 1179, 1181 = FamRB 2003,<br />

280 = FF 2003, 177 = FPR 2003, 499 = FuR 2003, 456 = LMK 2003, 228 = MDR<br />

2003, 1183 = NJW 2003, 2306 = RNotZ 2003, 570.<br />

481<br />

BVerfG, BayVBl. 2006, 699 = BeckRS 2005, 27107 = EuGRZ 2005, 330 = FamRZ<br />

2005, 1149 = FF 2005, 187 = FuR 2005, 376 = JZ 2006, 313 = MDR 2005, 927 =<br />

NJW 2005, 1927 = SVR 2005, 343 = ZErb 2005, 374 = .<br />

482<br />

Ebenso Klinkhammer, in: Eschenbruch/Klinkhammer, Der Unterhaltsprozess,<br />

5. Aufl. 2009, Kap. 2 Rn. 115.<br />

483<br />

BGH, BeckRS 2004, 06088 = FamRZ 2004, 1184 = FPR 2004, 522 = FuR 2004, 510<br />

= MDR 2004, 1000 = NJW 2004, 2306.<br />

484<br />

BGH, BeckRS 2004, 06088 = FamRZ 2004, 1184 = FPR 2004, 522 = FuR 2004, 510<br />

= MDR 2004, 1000 = NJW 2004, 2306.<br />

241


Die Verwertung von Miteigentum und erbengemeinschaftlichem Eigentum<br />

sind regelmäßig kaum wirtschaftlich zumutbar möglich. Gleiches gilt<br />

hinsichtlich der Verluste <strong>bei</strong>m Rückkauf einer Lebensversicherung.<br />

Häufig scheitert eine sinnvolle Verwertung bereits am Gleichzeitigkeitsprinzip,<br />

da die Verwertung nicht den gegenwärtigen Unterhaltsbedarf<br />

des Elternteils decken kann. 485 Hinsichtlich des weiteren Vermögens<br />

kommt es auf die Besonderheiten des Einzelfalls an, insbesondere die<br />

Lebenserwartung des Unterhaltspflichtigen, dem ihm für seine Altersvorsorge<br />

verbleibenden Zeitraum, die Höhe der bisherigen Rentenanwartschaften,<br />

Lücken in der Erwerbsbiografie, die Sicherheit seines<br />

Ar<strong>bei</strong>tsplatzes sowie vorhandenes Wohneigentum. 486 Umstritten ist, ob<br />

Mindestschonbeträge anzuerkennen sind. 487 Allerdings kann auf die<br />

kleinen Barbeträge nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII zurückgegriffen<br />

werden. Danach ist der Schonvermögensbetrag in Höhe von ca. 75.000<br />

Euro anzusetzen. 488 Dieser Betrag vermindert sich <strong>bei</strong> vorhandenem<br />

Immobilienbesitz auf 25.000 Euro. 489 Dieses Schonvermögen kann auf<br />

Null schrumpfen, wenn die Existenz des Schuldners oder seiner Familie<br />

anderweitig gesichert ist. 490 Statt der Veräußerung kann auch eine<br />

weniger belastende Kreditaufnahme geboten sein. 491 Allerdings muss<br />

dem Unterhaltspflichtigen möglich sein, die Kreditzinsen durch sein<br />

Einkommen aufzubringen, was in der Regel meist nicht der Fall sein<br />

wird. Die Rechtsprechung hat unterschiedlich zum unterhaltsrechtlich<br />

"Schonvermögen" entschieden. Die Veräußerung von zwei Wohnungen,<br />

die der Lebensgefährtin und deren volljährigem Sohn mietfrei überlassen<br />

waren, 492 sowie ein Barvermögen von rund 117.000 Euro, das<br />

sich aus einer Lebensversicherung, einer Rücklage für einen Pkw-Kauf<br />

und dem allgemeinen Freibetrag zusammensetzte, 493 wurden als nicht<br />

485<br />

BVerfG, BayVBl. 2006, 699 = BeckRS 2005, 27107 = EuGRZ 2005, 330 = FamRZ<br />

2005, 1051 = FF 2005, 187 = FuR 2005, 376 = JZ 2006, 313 = MDR 2005, 927 =<br />

NJW 2005, 1927 = SVR 2005, 343 = ZErb 2005, 374<br />

486<br />

BGHZ 169, 59 = DNotZ 2007, 48 = FamRZ 2006, 1511 = FF 2006, 256 = FuR 2006,<br />

513 = MDR 2007, 219 = NJW 2006, 3344.<br />

487<br />

Verneinend Wellenhofer, in: Luthin/Koch, Hdb. des Unterhaltsrechts, 11. Aufl. 2010,<br />

Rn. 5036; bejahend MünchKommBGB/Born, 5. Aufl. 2008, § 1601 Rn. 20, der einen<br />

Mindestschonbetrag in Höhe von 26.000 Euro annimmt.<br />

488<br />

Vgl. die Empfehlungen des Dt. Vereins für öffentliche und private Fürsorge Nr. 95.5,<br />

abgedruckt in FamRZ 2005, 1387, 1394.<br />

489<br />

Vgl. die Empfehlungen des Dt. Vereins für öffentliche und private Fürsorge Nr. 95.4,<br />

abgedruckt in FamRZ 2005, 1387, 1394.<br />

490<br />

MünchKommBGB/Born, 5. Aufl. 2008, § 1601 Rn. 20.<br />

491<br />

BGH, FamRZ 1986, 48, 50.<br />

492<br />

BGH, BeckRS 2004, 06088 = FamRZ 2004, 1184 = FPR 2004, 522 = FuR 2004, 510<br />

= MDR 2004, 1000 = NJW 2004, 2306 (anders für die fiktiven Mieteinnahmen).<br />

493<br />

BGH, BGHZ 169, 59 = DNotZ 2007, 48 = FamRZ 2006, 1511 = FF 2006, 256 = FuR<br />

2006, 513 = MDR 2007, 219 = NJW 2006, 3344.<br />

242


einsatzpflichtig anerkannt. Dagegen sollen 150.000 Euro Kapitalvermögen<br />

und eine Eigentumswohnung zur Bestreitung von Unterhalt in<br />

Höhe von ca. 11.200 Euro einsatzpflichtig sein. 494 Auch die Veräußerung<br />

eines Betriebs, aus dem nur ein verhältnismäßig geringer<br />

Gewinn erwirtschaftet wurde und der nicht existentiell für den Unterhaltsschuldner<br />

war, wurde als zumutbar angesehen. 495<br />

c) Verwirkung des Elternunterhalts<br />

Bei grober Unbilligkeit 496 kann der Elternunterhalt verwirkt sein (§ 1611<br />

Abs. 1 Satz 2 BGB). Dies wurde aufgrund der schwachen Ausgestaltung<br />

des Elternunterhalts bereits dann angenommen, wenn sich<br />

der Unterhalt fordernde Elternteil um das Kind längere Zeit nicht gekümmert<br />

hatte, 497 eine Kontaktverweigerung durch den Elternteil über<br />

lange Zeit erfolgte 498 und insbesondere <strong>bei</strong> der Nichterfüllung der Verpflichtung<br />

zum Familienunterhalt gegenüber dem später in Anspruch<br />

genommenen Kind. Eine Verwirkung kann auch in zeitlicher Hinsicht<br />

vorliegen, wenn Rückstände Zeitabschnitte betreffen, die mehr als ein<br />

Jahr zurückliegen und das Kind seine Lebensführung an die vorhandenen<br />

Einkünfte angepasst hat. 499<br />

Hinsichtlich der Haftung mehrerer Kinder besteht <strong>bei</strong>m Verwandtenunterhalt<br />

keine gesamtschuldnerische, sondern eine teilschuldnerische<br />

Haftung (§ 1606 Abs. 2 Satz 1 BGB). Die Kinder haften somit nach ihrer<br />

jeweiligen Leistungsfähigkeit anteilig. Um die Quoten ermitteln zu<br />

können, 500 müssen die nach Abzug des Selbstbehalts von den bereinigten<br />

Einkommen verbleibenden Beträge zueinander ins Verhältnis<br />

494 BGHZ 152, 217 = DNotZ 2003, 285 = FamRZ 2002, 1698 = FuR 2003, 26 = JR 2003,<br />

283 = JuS 2003, 290 = MDR 2003, 86 = MittBayNot 2003, 132 = NJW 2003, 128.<br />

495 OLG Karlsruhe, FamRB 2004, 320 = FamRZ 2004, 292 = FPR 2006, 508 = NJW<br />

2004, 296.<br />

496 S. nur Soyka, in: Scholz/Stein, Praxishandbuch Familienrecht, Stand: Okt. 2009 Teil J<br />

Rn. 62.<br />

497 LG Hannover, FamRZ 1991, 1094 u. AG Leipzig, FamRZ 1997, 965.<br />

498 BGH, BeckRS 2004, 07984 = FamRZ 2004, 1559 = FF 2004, 290 u. 2005, 54 = FPR<br />

2004, 593 = FuR 2004, 564 = JuS 2005, 75 = MDR 2005, 36 = NJW 2004, 3109 u.<br />

AG Helmstedt, FamRZ 2001, 1395.<br />

499 BGHZ 152, 217 = DNotZ 2003, 285 = FamRZ 2002, 1698 = FPR 2003, 149 = FuR<br />

2003, 26 = JuS 2003, 290 = MDR 2003, 86 = MittBayNot 2003, 132 = NJW 2003,<br />

128; tlw. abw. BGH, BauR 2003, 379 = BeckRS 2002, 09793 = FamRZ 2003, 449 =<br />

FF 2003, 136 = GE 2003, 456 = MDR 2003, 207 = NJ 2003, 93 = NJW 2003, 824 =<br />

NZBau 2003, 213 = WM 2003, 1425 = ZfBR 2003, 147.<br />

500 Vgl. das Berechnungs<strong>bei</strong>spiel von Hußmann, ZEV 2005, 248, 253 ff.<br />

243


gesetzt werden. 501 Diesbezüglich besteht unter den Geschwistern im<br />

Rahmen des Elternunterhalts ein Auskunftsanspruch (§ 242 BGB). 502<br />

Allerdings trifft die Schwiegerkinder keine Auskunftspflicht. Das Geschwisterteil<br />

muss jedoch die diesbezüglichen Angaben hinsichtlich<br />

seines Ehegatten machen, soweit diese erforderlich sind, um deren<br />

Anteil am Familienunterhalt und damit mittelbar die Leistungsfähigkeit<br />

des eigenen Kindes bestimmen zu können. 503 Dem Sozialhilfeträger<br />

steht ein durch Verwaltungsakt geltend zu machender Auskunftsanspruch<br />

auch gegen das Schwiegerkind zu (§ 117 Abs. 1 SGB XII).<br />

d) Pflegeleistungen statt Zahlung?<br />

Unterhaltsleistungen für erwachsene unterhaltsberechtigte Personen<br />

sind grundsätzlich in Geld zu erbringen (§ 1612 Abs. 1 Satz 1 BGB).<br />

Einigen sich die Beteiligten auf eine andere Art der Leistung, insbesondere<br />

die Erbringung in Natur, ist dies zulässig (§ 1612 Abs. 1 Satz<br />

2 BGB). Eine diesbezügliche Einigung kann im Hausübergabevertrag,<br />

aber auch stillschweigend erfolgen. Die Erbringung von Unterhalt durch<br />

Pflegeleistungen entspricht regelmäßig zudem den Interessen <strong>bei</strong>der<br />

Seiten. Der Verpflichtete wird dadurch von Zahlungen entlastet. Der<br />

Berechtigte erfährt ein flexibles Eingehen auf seine Bedürfnisse. Für<br />

<strong>bei</strong>de Teile werden die wichtigen familiären Bindungen erhalten. Die<br />

persönliche Pflege und Betreuung ermöglicht deshalb nicht nur eine<br />

Kostenersparnis, sondern stellt gleichzeitig eine den Bedürfnissen gerecht<br />

werdende Unterhaltsgewährung dar. Sie ist auch noch <strong>bei</strong> Unterbringung<br />

der Eltern im Seniorenheim möglich. 504<br />

V. Viertes Gebot am Ende?<br />

„Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren“, auf das du lange lebst<br />

auf Erden.“ 505 Bei dem vierten der biblischen Zehn Gebote fällt auf, dass<br />

es sich um das einzige Gebot handelt, dessen Erfüllung bereits im<br />

Diesseits belohnt wird. Es richtet sich deshalb auch nicht an kleine,<br />

sondern erwachsene Kinder, die auf den eigenen Beinen stehen, ihre<br />

501<br />

S. dazu BGH, BeckRS 2003, 10674 = FamRZ 2004, 186, 187 = FPR 2004, 148 =<br />

MDR 2004, 279 = NJW-RR 2004, 217.<br />

502<br />

BGH, FamRZ 2003, 1836.<br />

503<br />

Str., s. einerseits Klinkhammer, in: Eschenbruch/Klinkhammer, Der Unterhaltsprozess,<br />

5. Aufl. 2009, Kap. 2 Rn. 126 u. andererseits Strohall, FamRZ 2004, 1838,<br />

1839.<br />

504<br />

Zum Ganzen s. OLG Oldenburg, NJW 2010, 1293.<br />

505<br />

Vgl. dazu Grziwotz, in: Grziwotz/Döbertin, Spaziergang durch die Antike, 2002, S.<br />

135 f.<br />

244


Eltern nicht mehr brauchen, ihr Auskommen haben und für sich selber<br />

sorgen können. Aber umgekehrt – und auf dieser Erfahrung beruht das<br />

Gebot – brauchen die Eltern die Kinder, wenn sie alt geworden sind,<br />

wenn die Kräfte nachgelassen haben, wenn sie krank werden und gebrechlich;<br />

dann sollen die Kinder ihren Eltern das zurückgeben, was sie<br />

selbst in jungen Jahren an Fürsorge erfahren haben. Wer in dieser<br />

Weise Vater und Mutter ehrt, dem wird es wohlergehen und er wird<br />

lange leben auf Erden. 506 Der biblische Gesetzgeber baute offenbar<br />

darauf, dass das gute Beispiel der Altenfürsorge Schule machen und<br />

die nachfolgende Generation zum Nacheifern anregen würde. Es<br />

handelt sich um einen in Stein gemeißelten Generationenvertrag. 507 Zur<br />

familiären Fürsorge kam ein gesellschaftlicher Ausgleich hinzu. Der<br />

Reiche durfte den Armen nicht verhungern lassen, sonst wurde er sozial<br />

geächtet oder ihm blieb das Himmelreich versperrt. 508 Es sind somit<br />

zwei Beziehungen, eine Zeitbeziehung und eine Raumbeziehung, die<br />

für einen gerechten Ausgleich sorgen. Es ist fraglich ob das genealogische<br />

Prinzip, das den Schwerpunkt auf die „Verwandtschaft“ legt,<br />

zur Neuordnung des sozialen Kosmos taugt. 509<br />

Das familiare Unterstützungs-Netzwerk wird jedenfalls in Zukunft nicht<br />

mehr im Sinne des vierten Gebotes zur Verfügung stehen, da die Bedeutung<br />

der Familie, in der Gesellschaft abnimmt. 510 Damit entfällt aber<br />

eigentlich auch die Rechtfertigung für die Übergabe des Familienheims<br />

in vorweggenommener Erbfolge. Mit Vertragskonstruktionen, wie diese<br />

aus dem Steuerrecht bekannt sind, wird versucht, das Vermögen zu<br />

erhalten und die Kosten der Pflege der Eltern auf die Allgemeinheit zu<br />

verlagern. 511 Bei der Gestaltung derartiger Verträge tritt ein Konflikt<br />

zwischen den Interessen der Beteiligten und den Gemeinwohlbelangen<br />

auf. 512 Ist es Aufgabe des Notars als „Gegengewicht“ zu fungieren, da<br />

die Beteiligten dazu tendieren, sich auf Kosten Nichtbeteiligter zu<br />

einigen, und weil die künftigen Generationen, zu deren Lasten die<br />

506<br />

“Ehre deinen Vater und deine Mutter, auf dass du lange lebest in dem Lande, das der<br />

Herr, dein Gott, dir geben will.“ (2. Mose 20, 12; zit. nach der Züricher Bibel, 1955, S.<br />

82, ebenso die Luther-Übersetzung). S. dazu Herrmann, in: „Kirche im Rundfunk“, 3.<br />

Jg., Nr. 11 v. 19.5.2010, S. 349, 351.<br />

507<br />

Ähnlich Miegel, Die deformierte Gesellschaft, 2002, S. 199.<br />

508<br />

S. dazu die interessante Geschichte von Jakob Fugger, der befürchtete, wegen<br />

seines riesigen Vermögens nicht in den Himmel zu kommen (vgl. Miegel, Die deformierte<br />

Gesellschaft, 2002, S. 200).<br />

509<br />

Ablehnend Mache, in: Sloterdijk (Hrsg.), Vor der Jahrtausendwende: Berichte zur<br />

Lage der Zukunft, 1990, S. 29, 57 f.<br />

510<br />

Görnert-Stuckmann, Umzug in die dritte Lebensphase, 2005, S. 15.<br />

511<br />

Vgl. Schneider, ZIP 2010, 601, 603 f. zum Steuerrecht.<br />

512<br />

Hoffmann-Riem, Modernisierung von Recht und Justiz, 2001, S. 321.<br />

245


Plünderung öffentlicher Kassen geht, nicht mit am Beratungstisch<br />

sitzen. 513 Liegt die Rechtfertigung des öffentlichen Amtes des Notars<br />

und seiner Privilegien in der Zukunft vorrangig darin, dass er „gegensteuernd“<br />

wirkt, wenn es darum geht, Eigennutz zu Lasten des Gemeinwohls<br />

durchzusetzen? 514 Aber gilt dies auch, wenn nicht nur der<br />

Einzelne, sondern die Gesellschaft insgesamt ökonomisch und sittlich<br />

weit über ihre Verhältnisse lebt? Diederichsen 515 hat deshalb zu Recht<br />

gefragt, in wessen Risikobereich es fällt, wenn die öffentliche Hand<br />

keine dem Rentenniveau entsprechenden Heime vorhält.<br />

Wenn eine alte Frau, die in einem Pflegeheim lebt, ihr Haus und weitere<br />

Grundstücke jeweils mit der Auflage überträgt, dass sie der Erwerber<br />

mindestens eine Stunde im Monat besuchen muss, belegt dies einen<br />

Mangel an menschlicher Aufmerksamkeit. 516 Am Ende deshalb nochmals<br />

eine Geschichte von einer Grußmutter und einem erzählenden<br />

Enkel: Meine Großmutter war 72 Jahre als, als unser Großvater starb.<br />

Die zwei Lebensjahre nach dem Tod ihres Mannes unterscheiden sich<br />

grundlegend von ihrem bisherigen Leben.“ Die Großmutter löst sich von<br />

fast allen, was bis dahin ihr Dasein ausgemacht hat. Sie gibt ihren bisherigen<br />

Lebensinhalt „Familie“ auf und geht neue Wege. Sie nimmt<br />

ihren jüngsten Sohn und seine Kinder nicht in ihr großes Haus auf. Sie<br />

hält ihr Haus zwar rein, belastet es aber ohne Wissen ihrer Kinder mit<br />

einer Hypothek. Aus der Perspektive ihres Sohnes begeht sie folgende<br />

Sünden: Kinobesuche einer 72jährigen Greisin, regelmäßiges Essen im<br />

Gasthof, Umgang mit einem trinkenden und noch dazu sozialdemokratischen<br />

Flickschuster, Freundschaft mit dem Küchenmädchen des<br />

Gasthofs, einem „geistigen Krüppel“, Fahrt mit einer Art Kutsche, Besuch<br />

eines Pferderennens, einsame nächtliche Spaziergänge, Kartenspiel<br />

und Rotweintrinken. Sie stirbt ganz unvermittelt, an einem Herbstnachmittag<br />

in ihrem Schlafzimmer, aber nicht im Bett, sondern auf dem<br />

Holzstuhl am Fenster. Das Küchenmädchen war <strong>bei</strong> ihr als sie starb.<br />

Der Enkel resümiert: „Genau betrachtet lebte sie hintereinander zwei<br />

513<br />

Hoffmann-Riem, Modernisierung von Recht und Justiz, 2001, S. 322. Vgl. auch Hoffmann,<br />

Wirtschaftsphilosophie, 2009, S. 314 ff. Zum Zusammenhang zwischen Liebe,<br />

Gerechtigkeit und Gemeinwohl s. ferner Benedikt XVI. Encyklika Caritas in veritate,<br />

Ziff. 6 ff. (http://www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/encyclicals/documents/hf_<br />

ben-xvi_enc_20090629_caritas-in-veritate_ge.html Stand: 2.6.2010) u. dazu<br />

Giordano, Solidarität in neuem Licht, http://www.merkur.de/2009_48_Solidaritaet_in_<br />

n.38684.0.html (Stand: 2.6.2010).<br />

514<br />

Vgl. zu dem Dilemma jurisPK-BGB/Sefrin, 4. Aufl. 2008, § 528 Rn. 11 u. 49.<br />

515<br />

Diederichsen, in: Schwab/Hahne (Hrsg.), Familienrecht im Brennpunkt, 2004, S. 115,<br />

125.<br />

516<br />

Vgl. Fussek/Schober, Im Netz der Pflegemafia, 2008, S. 24 f., 36 ff. u. 64 ff.; allg.<br />

Franck, Ökonomie der Aufmerksamkeit, 1998, passim.<br />

246


Leben ... Sie hatte die langen Jahre der Knechtschaft und die kurzen<br />

Jahre der Freiheit ausgekostet und das Brot des Lebens aufgezehrt bis<br />

auf den letzten Brotsamen.“ 517<br />

517 Brecht, Die unwürdige Greisin (1949), in: Geschichten, 1969, S. 139 ff.<br />

247


Bisher erschienene Tagungsbände des Instituts für<br />

Notarrecht an der Universität Würzburg<br />

Symposium 2001<br />

Unternehmensnachfolge im Mittelstand<br />

Symposium 2002<br />

Vertragsobjekt Ehe und Lebenspartnerschaft<br />

Symposium 2003<br />

Notarielle <strong>Vertragsgestaltung</strong> für Kommunen<br />

Symposium 2004<br />

Aktuelle Tendenzen und Entwicklungen im Gesellschaftsrecht<br />

Symposium 2005<br />

Der notarielle Kaufvertrag: Eine Bestandsaufnahme der<br />

Schuldrechtsreform und der europäischen Einflüsse<br />

Symposium 2006<br />

Städtebauliche Verträge in der notariellen Praxis<br />

Symposium 2007<br />

Erbrechtsberatung 2007 - Aktuelle Entwicklungen im Erbrecht und<br />

Erbschaftsteuerrecht<br />

Symposium 2008<br />

Scheidung, Trennung – Scheidungs- und Trennungs-<br />

vereinbarungen<br />

Symposium 2009<br />

Aktuelle Entwicklungen im Gesellschaftsrecht<br />

Symposium 2010<br />

<strong>Sichere</strong> <strong>Vertragsgestaltung</strong> <strong>bei</strong> <strong>Problemimmobilien</strong><br />

Alle Bände werden herausgegeben von:<br />

Deutsche Notarrechtliche Vereinigung e. V. (NotRV)<br />

Gerberstraße 19<br />

97070 Würzburg<br />

Tel: 0931/35576-0<br />

Fax: 0931/35576-225<br />

e-mail: notrv@dnoti.de<br />

Internet: www.notrv.de


Institut für Notarrecht an der Universität Würzburg<br />

Symposium 2001<br />

Unternehmensnachfolge im Mittelstand<br />

Seite<br />

Einführungsvortrag zum Recht der Unternehmensnachfolge 1<br />

Prof. Dr. Günter Christian Schwarz<br />

Universität Würzburg<br />

Typische praktische Probleme der Unternehmensnachfolge, 20<br />

dargestellt anhand von Fall<strong>bei</strong>spielen<br />

Dr. Wolfgang Baumann<br />

Notar, Wuppertal<br />

Rechtsprobleme von Unterbeteiligungs- und Treuhandverein- 48<br />

barungen als Instrumenten der Unternehmensnachfolge<br />

Prof. Dr. Christian Armbrüster<br />

Bucerius Law School, Hamburg<br />

Das Pflichtteilsrecht als Störfall <strong>bei</strong> der Unternehmensnachfolge 74<br />

Prof. Dr. Ulrich Haas<br />

Universität Mainz<br />

Erbschaft- und schenkungsteuerrechtliche Probleme <strong>bei</strong> der 113<br />

Unternehmensnachfolge<br />

Dr. Stephan Schuck<br />

Notar, Andernach


Institut für Notarrecht an der Universität Würzburg<br />

Symposium 2002<br />

Vertragsobjekt Ehe und Lebenspartnerschaft<br />

Seite<br />

Güter- und Vermögensrecht der eingetragenen Lebenspartner- 4<br />

schaft<br />

Prof. Dr. Dagmar Kaiser<br />

Universität Mainz<br />

Erbschaft- und schenkungsteuerliche Rahmenbedingungen der 28<br />

Vermögensnachfolge eingetragener Lebenspartner<br />

Prof. Dr. Thomas Reich, Steuerberater,<br />

Deutsches Notarinstitut Würzburg<br />

Erbrechtsgestaltung <strong>bei</strong> der eingetragenen Lebenspartner- 56<br />

schaft<br />

Dr. Hans-Jürgen von Dickhuth-Harrach<br />

Notar, Köln<br />

Grenzen der Vertragsfreiheit im Unterhaltsrecht – 88<br />

Konsequenzen aus der Rechtsprechung des Bundes-<br />

verfassungsgerichts<br />

Prof. Dr. Thomas Rauscher<br />

Universität Leipzig<br />

Auswirkungen des § 23 EStG im Zusammenhang mit 112<br />

Scheidungsvereinbarungen<br />

Prof. Dr. Klaus Tiedtke<br />

Universität Würzburg


Institut für Notarrecht an der Universität Würzburg<br />

Symposium 2003<br />

Notarielle <strong>Vertragsgestaltung</strong> für Kommunen<br />

Seite<br />

Privatisierung öffentlicher Aufgaben: Kommunalrechtliche 4<br />

Bedingungen und wirtschaftliche Zielsetzungen<br />

Prof. Dr. Alfred Katz<br />

Rechtsanwalt, 1. Bürgermeister a. D., Ulm/Neu-Ulm<br />

Privatisierung öffentlicher Aufgaben: Gesellschaftsrechtliche 36<br />

Möglichkeiten und Grenzen<br />

Dr. Klaus Piehler<br />

Notar, Köln<br />

Komplexe <strong>Vertragsgestaltung</strong> im Städtebaurecht am Beispiel 82<br />

der Planung eines Einkaufszentrums<br />

Prof. Dr. Hans-Jörg Birk<br />

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht,<br />

Stuttgart<br />

Rechtsfragen zur Vertretung von Kommunen <strong>bei</strong> Rechts- 108<br />

geschäften<br />

Prof. Dr. Franz-Ludwig Knemeyer<br />

Universität Würzburg<br />

Kommunalwissenschaftliches Forschungszentrum<br />

Baulanderwerb durch Kommunen – Legitimes Mittel zur 146<br />

Abschöpfung von Planungsgewinnen oder unzulässige rechts-<br />

geschäftliche Enteignung?<br />

Dr. jur. Dr. phil. Herbert Grziwotz<br />

Notar, Regen<br />

Einheimischenmodelle an der Schnittstelle zwischen 166<br />

Öffentlichem Recht und Zivilrecht - Zur Gestaltung von<br />

Einheimischenmodellen im Zwischenerwerbsmodell<br />

Christian Hertel, LL.M.<br />

Notar a. D.,<br />

Geschäftsführer des Deutschen Notarinstituts, Würzburg


Institut für Notarrecht an der Universität Würzburg<br />

Symposium 2004<br />

Aktuelle Tendenzen und Entwicklungen im<br />

Gesellschaftsrecht<br />

Seite<br />

Begrüßung und Einführungsvortrag 4<br />

Prof. Dr. Günter Christian Schwarz<br />

Universität Würzburg<br />

Folgen aus der Rechtsfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen 10<br />

Rechts (GbR) für die notarielle Praxis<br />

Dr. Eckhard Wälzholz<br />

Notar, Füssen<br />

Die Centros-, Überseering- und Inspire Art-Entscheidungen 88<br />

und die notariellen Praxis<br />

Prof. Dr. Wulf Henrich Döser<br />

Rechtsanwalt und Notar a. D., Frankfurt a. M.<br />

Entwicklungen im GmbH-Recht 106<br />

Prof. Dr. Hans-Joachim Priester<br />

Notar, Hamburg<br />

Das Schicksal des Sonderbetriebsvermögens <strong>bei</strong>m Tod 126<br />

eines Mitunternehmers<br />

Prof. Dr. Klaus Tiedtke<br />

Universität Würzburg<br />

Die Europäische Aktiengesellschaft – Einführung und 148<br />

Überblick<br />

Prof. Dr. Günter Christian Schwarz<br />

Universität Würzburg<br />

Praktische Fragen zur Europäischen Aktiengesellschaft 168<br />

Dr. Heribert Heckschen<br />

Notar, Dresden


Institut für Notarrecht an der Universität Würzburg<br />

Symposium 2005<br />

Der notarielle Kaufvertrag: Eine Bestandsaufnahme der<br />

Schuldrechtsreform und der europäischen Einflüsse<br />

Seite<br />

Privatautonomie, Vertragsbindung und neues Kaufrecht 4<br />

Prof. Dr. Stefan Lorenz<br />

Ludwig-Maximilians-Universität München<br />

Akzeptanz und Schuldrechtsreform in der notariellen Praxis 24<br />

<strong>bei</strong>m Grundstückskaufvertrag<br />

Prof. Dr. Günter Brambring<br />

Notar, Köln<br />

Europarechtskonforme Auslegung des neuen deutschen Kauf- 42<br />

rechts<br />

Prof. Dr. Florian Faust, LL.M.<br />

Bucerius Law School, Hamburg<br />

Beschaffenheitsvereinbarungen und Ausschluss der Rechte 77<br />

des Käufers wegen Sachmängeln <strong>bei</strong>m Kauf von Gebraucht-<br />

immobilien – ein Erfahrungsbericht<br />

Dr. Hermann Amann<br />

Notar, Berchtesgaden<br />

Gestaltungsempfehlungen zum gewerblichen Grundstücks- 102<br />

handel unter Berücksichtigung des Beschlusses des Großen<br />

Senats des BFH vom 10.12.2001 GrS 1/98 und des BMF-<br />

Schreibens vom 26.03.2004<br />

Prof. Dr. Klaus Tiedtke<br />

Universität Würzburg<br />

Verbundene Geschäfte <strong>bei</strong>m Grundstückskaufvertag 133<br />

Christian Hertel, LL.M.<br />

Notar a. D.,<br />

Geschäftsführer des Deutschen Notarinstituts, Würzburg


Institut für Notarrecht an der Universität Würzburg<br />

Symposium 2006<br />

Städtebauliche Verträge in der notariellen Praxis<br />

Seite<br />

Typologie, Systematik und Bedeutung der städtebaulichen 6<br />

Verträge<br />

Prof. Dr. Franz-Ludwig Knemeyer,<br />

Bayerische Julius-Maximilians-Universität, Würzburg<br />

Beurkundung städtebaulicher Verträge 11<br />

Christian Hertel, LL.M.,<br />

Notar a. D., Geschäftsführer DNotI, Würzburg<br />

Leistungsstörungen und Sicherung der Vertragserfüllung 43<br />

<strong>bei</strong> städtebaulichen Verträgen – Möglichkeiten der<br />

<strong>Vertragsgestaltung</strong><br />

Prof. Dr. Hans-Jörg Birk,<br />

Rechtsanwalt, Stuttgart<br />

Der Durchführungsvertrag <strong>bei</strong>m Vorhaben- und Erschließungs- 68<br />

plan nach § 12 BauGB<br />

Prof. Dr. Michael Krautzberger,<br />

Ministerialdirektor a. D., Bonn,<br />

Honorarprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin<br />

Kommunaler Baulanderwerb und Planungsgewinn 97<br />

Dr. Jürgen Busse,<br />

Geschäftsführendes Präsidialmitglied<br />

des Bayerischen Gemeindetages, München<br />

Vertragliche Regelungen im Rahmen der Erschließung 111<br />

Dr. Dr. Herbert Grziwotz,<br />

Notar, Regen


Institut für Notarrecht an der Universität Würzburg<br />

Symposium 2007<br />

Erbrechtsberatung 2007 – Aktuelle Entwicklungen<br />

im Erbrecht und Erbschaftsteuerrecht<br />

Seite<br />

Neuere Rechtsprechung zum Erbrecht 8<br />

Dieter Rojahn,<br />

Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht München<br />

Die Bindung <strong>bei</strong>m gemeinschaftlichen Testament und <strong>bei</strong>m 22<br />

Erbvertrag<br />

Prof. Dr. Rainer Kanzleiter<br />

Vorsitzender der Deutschen Notarrechtlichen Vereinigung<br />

Testamentsgestaltung <strong>bei</strong> behinderten und überschuldeten 43<br />

Erben<br />

Prof. Dr. Peter Limmer<br />

stellv. Vorsitzender des Instituts für Notarrecht Würzburg<br />

Aktuelle Entwicklungen im Erbschaftsteuerrecht 109<br />

Prof. Dr. Klaus Tiedtke, Universität Würzburg<br />

Vorsitzender des Instituts für Notarrecht Würzburg<br />

Abfindungsregelungen für Erbfälle in einer GbR, OHG, 135<br />

KG und GmbH<br />

Prof. Dr. Lutz Michalski<br />

Universität Bayreuth


Institut für Notarrecht an der Universität Würzburg<br />

Symposium 2008<br />

Scheidung, Trennung –<br />

Scheidungs- und Trennungsvereinbarungen<br />

Seite<br />

Grundsätze der Inhaltskontrolle von Eheverträgen 8<br />

Dr. Meo-Micaela Hahne,<br />

Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof, XII. Zivilsenat<br />

Trennungs- und Scheidungsvereinbarungen aus notarieller Sicht 27<br />

Dr. Christof Münch,<br />

Notar, Kitzingen<br />

Trennungs- und Scheidungsvereinbarungen vor dem 68<br />

Hintergrund der Unterhaltsrechtsreform<br />

Prof. Dr. Dr. h. c. Dieter Schwab,<br />

Universität Regensburg, Ehrenmitglied der NotRV<br />

Vereinbarungen zum Versorgungsausgleich nach der 102<br />

Strukturreform des Versorgungsausgleichs<br />

Dr. Andrea Schmucker,<br />

Notarin a. D., Geschäftsführerin der Bundesnotarkammer, Berlin<br />

Einige Aspekte zur Vermögensauseinandersetzung in der 119<br />

Scheidung aus anwaltlicher Sicht<br />

Dr. Ludwig Bergschneider,<br />

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Familienrecht, München<br />

Familienrechtliche Verträge und die Scheidung im Steuerrecht 136<br />

Dr. Eckhard Wälzholz,<br />

Notar, Füssen


Institut für Notarrecht an der Universität Würzburg<br />

Symposium 2009<br />

Aktuelle Entwicklungen im<br />

Gesellschaftsrecht<br />

Seite<br />

Gläubigerschutz nach dem MoMiG 8<br />

Prof. Dr. Wulf Goette,<br />

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof II. Zivilsenat<br />

Gesellschafts- und Drittschutz nach § 16 GmbHG 28<br />

Die geänderten Funktionen der Gesellschaftserliste<br />

Dr. Marc Hermanns,<br />

Notar, Köln<br />

Die GmbH in Europa: Europäische Privatgesellschaft, 52<br />

Wegzugsfreiheit, Internationales Gesellschaftsrecht<br />

Prof. Dr. Christoph Teichmann<br />

Universität Würzburg, Vorstandsmitglied INotR Würzburg<br />

Der Notar in der Hauptversammlung 76<br />

Dr. Andreas Meyer-Landrut<br />

Rechtsanwalt, Köln<br />

Ausgewählte Fragen zur Neuen Erbschaftsteuer 105<br />

Prof. Dr. Klaus Tiedtke<br />

Universität Würzburg, Vorsitzender des INotR Würzburg

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!