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Nr. 14 (II-2016) - Osnabrücker Wissen

Nr. 14 (II-2016) - Osnabrücker Wissen Wir beantworten Fragen rund um die Osnabrücker Region. Alle drei Monate als Printausgabe. Kostenlos! Und online unter www.osnabruecker-wissen.de

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STADT- & LANDGESCHICHTEN<br />

STADT- & LANDGESCHICHTEN<br />

Gemauertes Kopfnischengrab, gefunden bei<br />

Ausgrabungen 1993 am <strong>Osnabrücker</strong> Dom<br />

Baumsargbestattungen am Dom,<br />

die Sargreste sind noch erkennbar<br />

Glasperlen schmückten ein<br />

Frauengrab am Schölerberg<br />

Wohin mit den Toten<br />

im mittelalterlichen Osnabrück?<br />

Die Auseinandersetzung und der Umgang mit dem Thema Tod waren im Mittelalter allgegenwärtig.<br />

Der Gedanke des „memento mori“ (lat.: „Gedenke des Todes“) führte den Menschen bewusst die<br />

Vergänglichkeit der eigenen Existenz vor Augen. Der Tod galt unwiderruflich für Jedermann, egal<br />

welcher sozialen Gesellschaftsschicht der Sterbende angehörte. Die Furcht vor dem Jüngsten<br />

Gericht und der Glaube an die Wiederauferstehung waren fest im Alltag verankert.<br />

Die Beisetzung der Toten möglichst nahe an<br />

den Kirchen, die das Zentrum eines mittelalterlichen<br />

Dorfes oder einer Stadt bildeten,<br />

war daher von hoher Bedeutung. Angesichts<br />

eines Kirchenneubaus, auch bei Klostergründungen,<br />

war es üblich, einen „Kirchhof“<br />

anzulegen. Dort wurde allerdings nicht<br />

nur bestattet. Sie waren Versammlungsorte<br />

des öffentlichen Lebens und dienten ebenfalls<br />

als Marktplätze. Dieser Umgang war<br />

keineswegs unsensibel, da den Toten auf<br />

diese Weise ein Platz inmitten der Lebenden<br />

erhalten bleiben sollte.<br />

Wie wandelte sich<br />

das Totenbrauchtum?<br />

Bei Ausgrabungen an der Turm- und<br />

Lohstraße wurde das Skelett einer etwa<br />

sechzigjährigen Frau freigelegt. Ihre<br />

Hände sind, wie im Hochmittelalter<br />

üblich, im Beckenbereich gefaltet.<br />

Unter dem Einfluss der einsetzenden christlichen<br />

Missionierung im 8. Jahrhundert<br />

wandelte sich das Totenbrauchtum gravierend.<br />

Waren die Gräber zuvor noch in Nord-<br />

Süd-Richtung angelegt, besaßen sie fortan<br />

eine ost-westliche Ausrichtung, mit Blick der<br />

Toten in Richtung der aufgehenden Sonne.<br />

Sächsische Begräbnisse waren, anders als<br />

christliche Gräber, noch mit zahlreichen Beigaben<br />

ausgestattet. Schmuckstücke, Waffen<br />

und Werkzeuge lassen Rückschlüsse auf die<br />

gesellschaftliche Stellung der Verstorbenen<br />

zu. Die Abkehr von diesen Sitten war ein<br />

Bilder © Stadt- und Kreisarchäologie Osnabrück / Schädel © fakegraphic / Ausgrabung mit Pinsel © lufeethebear, fotolia.de<br />

schleichender Prozess, an althergebrachten<br />

Traditionen wurde längere Zeit festgehalten.<br />

Ein Bespiel für diese Übergangsphase ist das<br />

sächsische Gräberfeld am Schölerberg, das<br />

in die Zeit um 700 datiert. Neben eindeutig<br />

christlich geprägten Fundstücken wurden<br />

auch heidnische Beigaben gefunden. Dies<br />

zeigt, dass die Sachsen im Alltag noch an<br />

einigen heidnischen Glaubensvorstellungen<br />

und Riten festhielten. Typisch für die karolingisch-sächsische<br />

Zeit war das Begräbnis<br />

in ausgehöhlten Baumstammhälften.<br />

Mehr als 100 solcher<br />

Baumsargbestattungen<br />

entdeckten Archäologen<br />

an der Nordseite des <strong>Osnabrücker</strong><br />

Doms. Domhof<br />

und Große Domsfreiheit<br />

dienten in weiten Teilen<br />

bis in die Neuzeit hinein als<br />

Friedhof. Das Gräberfeld<br />

gehörte zur ersten Missionskirche<br />

aus den 780er Jahren.<br />

1984/85 wurde der Marktplatz,<br />

während seiner Sanierung, umfassend<br />

archäologisch untersucht. Neben der<br />

Entstehung und Entwicklung der Marktgebäude<br />

konnte auch dort ein Baumsargfriedhof<br />

aus der Zeit um 850 nachgewiesen<br />

werden. Ab dem 10. Jahrhundert wurden<br />

die Baumsärge durch kastenförmige Konstruktionen<br />

aus Holzbohlen oder Steinplatten<br />

ersetzt. Es entstanden sogenannte Kopfnischengräber,<br />

die ebenfalls am <strong>Osnabrücker</strong><br />

Dom, an der Marienkirche und auch an der<br />

Johanniskirche freigelegt wurden.<br />

Die Friedhöfe im Mittelalter waren restlos<br />

überfüllt. So kam es nicht selten vor, dass<br />

man die Toten etwas chaotisch, teils ohne<br />

Rücksicht auf ältere Gräber, beerdigte. Erst<br />

im Verlauf des 19. Jahrhunderts wurden die<br />

Friedhöfe an den Stadtrand verlagert, einerseits<br />

aus hygienischen Gründen, andererseits<br />

um das Problem der beengten Bestattungsverhältnisse<br />

zu lösen.<br />

Was verraten DNA Proben<br />

aus dem Mittelalter?<br />

Bei christlichen Bestattungen kann neben<br />

der Sargform auch die Armhaltung der Verstorbenen<br />

für eine chronologische Einordnung<br />

wichtig sein. Im Frühmittelalter lagen<br />

die Arme noch parallel am Körper, im Hochmittelalter<br />

waren die Hände im<br />

Becken gefaltet und später auf<br />

dem Unterleib positioniert.<br />

Mit dem Bau der „Altstadtgarage“<br />

und dem „Haus der<br />

Kirche“ ab 2002 ergaben<br />

sich hervorragende Möglichkeiten,<br />

gut erhaltene<br />

Spuren aus der Umgebung<br />

von Markt und Marienkirche<br />

zu ergründen. Bei den<br />

Ausgrabungen stieß man auch<br />

auf einen kleinen Friedhof. Auf<br />

dem nur knapp 21 m² großen Bereich<br />

endeckten Archäologen Überreste mehrerer<br />

Gräber, von denen 46 bis 59 Individuen anthropologisch<br />

untersucht wurden. Die Anzahl<br />

ist umso erstaunlicher, bedenkt man den<br />

äußerst eng begrenzten Raum. Wann dieser<br />

Friedhof entstand und wer die Bestatteten<br />

waren, kann heute niemand genau sagen.<br />

Einzig ihr Geschlecht und ungefähres Alter<br />

lassen sich bestimmen. Äußere Auffälligkeiten<br />

an den Knochen weisen auf Krankheiten,<br />

Verletzungen oder starke Beanspruchungen<br />

hin. Sie geben auch<br />

Auskunft über Ernährung,<br />

Gesundheitszustand<br />

und medizinische<br />

Versorgung<br />

im Mittelalter. Mittels DNA-Proben lassen<br />

sich Verwandtschaftsverhältnisse unter den<br />

geborgenen Skeletten erkennen. Durch eine<br />

Isotopenanalyse finden Anthropologen heraus,<br />

ob der Mensch ursprünglich aus unserer<br />

Region stammte oder zuwanderte. Kleinste<br />

Reste im Zahnstein geben Aufschluss über<br />

Ernährungsgewohnheiten. Lediglich diese<br />

Basisdaten machen natürlich noch keinen<br />

Menschen aus. Auf die Frage zu ihrer Persönlichkeit,<br />

wie sie arbeiteten und fühlten,<br />

darauf können die Knochen allein keine<br />

Antwort geben. Welches Leben mögen die<br />

Verstorbenen wohl geführt haben? | JF<br />

Spannende Präsentation<br />

Die Ausstellung „drunter & drüber.<br />

Unter dem Parkhaus das Mittelalter“<br />

beleuchtet erstmals die abwechslungsreiche<br />

Geschichte<br />

rund um das Grundstück hinter der<br />

Kirche St. Marien. Auf dem ehemaligen<br />

Friedhofsgelände können Besucher<br />

in die bewegte <strong>Osnabrücker</strong><br />

Lebenswelt des 13. / <strong>14</strong>. Jahrhunderts<br />

eintauchen.<br />

Die Präsentation ist ein gemeinsames<br />

Projekt der Stadt- und Kreisarchäologie,<br />

des Historischen<br />

Seminars der Universität Osnabrück<br />

und der Stiftung St. Marien -<br />

mit freundlicher Unterstützung<br />

durch die Kirchengemeinde St.<br />

Marien.<br />

19. Juni – 25. September <strong>2016</strong>,<br />

Kirche St. Marien / Osnabrück<br />

www.marien-osnabrueck.de<br />

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