SOCIETY 368 / 2015
Nr. 368 I Nr. 2 - 2015
Nr. 368 I Nr. 2 - 2015
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DIPLOMATIE<br />
LUXEMBURG<br />
„Eine menschliche<br />
Herausforderung“<br />
Botschafter Hubert Würth spricht im <strong>SOCIETY</strong>-Interview über die<br />
EU-Ratspräsidentschaft Luxemburgs und akute Probleme wie die<br />
Flüchtlingsbewegung, Terrorismus und Wirtschaftsaufschwung.<br />
INTERVIEW: <strong>SOCIETY</strong><br />
Während der EU-Präsidentschaft<br />
Luxemburgs<br />
wurden viele Inhalte<br />
behandelt. Was waren<br />
die wichtigsten Themen<br />
aus Ihrer Sicht?<br />
Migration und Flüchtlingsbewegungen haben<br />
die Hauptaufmerksamkeit auf sich gelenkt. Aber<br />
während unseres Vorsitzes waren die Bereiche Handel,<br />
Umweltschutz und Nachhaltigkeit ein großes<br />
Thema. Beim Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung<br />
Ende September in New York wurden von der<br />
UN-Generalversammlung die 17 Ziele zur nachhaltigen<br />
Entwicklung bis 2030 verabschiedet. Dieser<br />
Gipfel diente auch zur Vorbereitung der UN-Klimakonferenz<br />
in Paris, die derzeit stattfindet, und wo<br />
eine neue Klimaschutz-Vereinbarung in Nachfolge<br />
des Kyoto-Protokolls beschlossen werden soll.<br />
Ein anderes wichtiges Thema sind die Verhandlungen<br />
über das so ge nannte TTIP. Während unserer<br />
Ratspräsidentschaft fanden die zehnte und elfte<br />
Verhandlungsrunde statt. In der elften Verhandlungsrunde<br />
ging es etwa um die Verminderung<br />
von Zöllen zur Herbeiführung von Erleichterungen<br />
im transatlantischen Handel.<br />
Migration ist allerdings eines der ständigen<br />
Themen der EU. Oder gibt es hier einen Unterschied<br />
zur Flüchtlingskrise?<br />
Zwischen Flüchtlingsbewegungen und Migration<br />
sollte man unterscheiden. Im Augenblick ist<br />
klar, dass wir uns überwiegend um Flüchtlinge<br />
aus dem Kriegsgebiet in Syrien kümmern sollten.<br />
Das ist der Unterschied zu Menschen, die nicht<br />
in einer akuten Notsituation sind. Es gab in den<br />
vergangenen Jahren immer wieder schwierige<br />
Momente mit gekenterten Schiffen im Mittelmeer.<br />
Aber die Notlage ist jetzt eine andere – sie<br />
ist unerwartet bedeutender und beunruhigender<br />
geworden. Das ist eine menschliche Herausforderung.<br />
Da kann man nur Ja sagen und den Menschen<br />
unter die Arme greifen und dann so schnell<br />
wie möglich ihre individuelle Lage beurteilen.<br />
Ein Schlagwort des EU-Programmes lautet<br />
„Die Migration besser bewältigen.“ Welchen<br />
»Terrorismus<br />
und die Not<br />
der Flüchtlinge<br />
sollte man nicht<br />
verwechseln.<br />
«<br />
Hubert<br />
Würth<br />
Standpunkt hat Luxemburg dazu?<br />
Wenn man auf der Straße jemanden sieht, der<br />
hinfällt, dann ruft man die Rettung – in dieser Situation<br />
sind wir jetzt. Wir müssen dafür sorgen,<br />
dass den Leuten geholfen wird, dass man sie nicht<br />
liegen lässt, sondern dass man ihnen zu essen und<br />
Unterkunft gibt. Das ist das Allererste. Daran gibt<br />
es nichts zu zweifeln, das muss man machen. Nachher<br />
kommt die Frage: Wie geht es weiter? Können<br />
die Menschen bleiben oder nicht, bekommen sie<br />
Asyl oder nicht? Da muss jeder Fall geprüft werden,<br />
und das muss man schneller machen als bisher. Aber<br />
die Länder müssen sich Mühe geben, das ordentlich<br />
koordiniert und solidarisch zu machen.<br />
Glauben Sie, dass der Flüchtlingsstrom eine<br />
Bedrohung für Europa ist, oder wird das übertrieben?<br />
Das ist natürlich keine Bedrohung für Europa.<br />
Aber es ist ganz klar ein Problem, das man organisieren<br />
muss. Terrorismus ist etwas ganz Anderes<br />
und eine schreckliche Bedrohung, und Terrorismus<br />
muss mit allen Mitteln bekämpft werden. Es<br />
heißt also aufpassen. Aber das sollte man nicht<br />
mit der akuten Notlage verwechseln.<br />
Was ist der Grund, dass die EU-Staaten nicht<br />
an einem Strang ziehen können in der Frage der<br />
Aufnahme und Verteilung der Flüchtlinge?<br />
Wir hatten eine schwierige Diskussion darüber<br />
unter dem Luxemburger Vorsitz. Man hat sich<br />
geeinigt, dass es auf freiwilliger Basis eine Verteilung<br />
geben sollte. Die Zahl der Flüchtlinge ist<br />
noch größer geworden, und man muss das vielleicht<br />
noch einmal neu angehen. EU-Kommissionsvorsitzender<br />
Jean-Claude Juncker hat in seiner<br />
Programmrede vor dem Europäischen Parlament<br />
im September klare Vorschläge gemacht: zum<br />
Beispiel Mittel für die Entwicklungs- und Stabilisierungshilfe<br />
in den Krisengebieten, „Hot Spots“<br />
– die permanente Umverteilung der Flüchtlinge,<br />
einheitliche Asylstandards, Arbeitserlaubnis für<br />
Asylwerber, Öffnung legaler Migrationswege.<br />
Sehen Sie eine Verantwortung Europas, dass<br />
es in Ländern wie Libyen und Syrien über- ➢<br />
<strong>SOCIETY</strong> 2_<strong>2015</strong> | 31