Leseprobe AiB 7-8_2016
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Arbeitsrecht<br />
im Betrieb<br />
<strong>AiB</strong> | FACHZEITSCHRIFT FÜR DEN BETRIEBSRAT<br />
aib-web.de<br />
37. JAHRGANG<br />
ISSN 01741225<br />
D 3591<br />
7-8 | <strong>2016</strong><br />
DIGITALISIERUNG<br />
Keine Angst<br />
vor Arbeit 4.0<br />
aktuelles Das Gremium bestimmt bei der Einrichtung von Kitas mit<br />
grundlagen Freigestellte Interessenvertreter haben eine besondere Rolle<br />
recht erfolgreich durchsetzen Betriebsänderungen und Schwellenwerte
titelthema<br />
digitalisierung<br />
<strong>AiB</strong> 7-8 | <strong>2016</strong><br />
Trendmonitor Arbeit 4.0<br />
digitalisierung Sozialforscher, Technikexperten und Managementvordenker<br />
sind sich einig: Mit der rasant fortschreitenden Digitalisierung steht<br />
die Arbeitswelt vor grundlegenden Veränderungen. Doch wie wirkt sich<br />
das auf die Mitbestimmung aus? Experten berichten.<br />
VON CHRISTOF BALKENHOL<br />
10
<strong>AiB</strong> 7-8 | <strong>2016</strong><br />
digitalisierung<br />
titelthema<br />
Das in Deutschland populäre<br />
Schlagwort »Industrie 4.0« kann<br />
nicht darüber hinwegtäuschen,<br />
dass die Digitalisierung von Informations-,<br />
Kommunikations- und Produktionsprozessen<br />
Unternehmen aller Branchen<br />
erfassen wird. Neben Industriebranchen wie<br />
Maschinen- und Fahrzeugbau sind beispielsweise<br />
Banken und Versicherungen, Energieversorger<br />
und Touristikunternehmen ebenso<br />
betrofen wie das Gesundheitswesen oder die<br />
öfentliche Verwaltung. Einerseits ist bereits<br />
jetzt zu sehen, wie völlig neue, digitale Geschäftsmodelle<br />
etablierte Unternehmen massiv<br />
unter Druck setzen. Andererseits werden<br />
die Geschäftsprozesse in Unternehmen immer<br />
weiter automatisiert und reduzieren damit den<br />
Bedarf an Arbeitskräften ganz erheblich. So<br />
rechnet die Beratungsgesellschaft McKinsey in<br />
einer aktuellen Studie für das europäische Versicherungsgewerbe<br />
damit, dass auf absehbare<br />
Zeit ein Viertel aller Arbeitsplätze verloren<br />
gehen können. Als dritte Komponente verändert<br />
sich auch die Arbeitsorganisation in den<br />
Unternehmen: Die Digitalisierung macht in<br />
vielen Bereichen der »Wissensarbeit« mobiles<br />
Arbeiten möglich, Betriebsstrukturen mit festen<br />
Arbeitsplätzen und persönlicher Anwesenheit<br />
der Mitarbeiter lösen sich zunehmend auf.<br />
Alle diese Entwicklungen betrefen Kernelemente<br />
der Mitbestimmung wie etwa Beschäftigungssicherung,<br />
Gestaltung der Betriebs- und<br />
Arbeitsorganisation, Arbeitszeitregelungen<br />
oder Leistungs- und Verhaltenskontrolle.<br />
darum geht es<br />
1. Betriebsräte unterschiedlicher<br />
Branchen<br />
suchen geeignete Ansätze,<br />
um für ihre Arbeit<br />
Klarheit und Orientierung<br />
im digitalen Wandel zu<br />
gewinnen.<br />
2. Leitplanken für die<br />
Ausgestaltung von Arbeit<br />
4.0 sind notwendig<br />
und müssen erarbeitet<br />
werden.<br />
3. Angesichts vieler<br />
Unwägbarkeiten bei der<br />
Auswirkungen der Digitalisierung<br />
scheint dies ein<br />
empfehlenswerter Weg.<br />
Standpunkte und Erfahrungen<br />
Welche Erfahrungen machen nun Betriebsräte<br />
in der Praxis? Wie weit ist die Digitalisierung<br />
bereits fortgeschritten und wie gelingt Betriebsräten<br />
eine angemessene Sicherung der<br />
Interessen der Beschäftigten? Der Trendmonitor<br />
sammelt dazu Standpunkte und Erfahrungen<br />
aus der betrieblichen Praxis.<br />
Martin Bühre; Betriebsrat; Stadtwerke<br />
Hannover AG; Hannover<br />
»Die Digitale Transformation stellt auch unser<br />
Unternehmen vor große Herausforderungen.<br />
Sind wir doch von unserer DNA her ein klassischer<br />
Energieversorger mit hoher Wertschöpfungstiefe<br />
und starker Eigenerzeugung mit<br />
konventionellen Kraftwerken. Durch das Wegbrechen<br />
uns wichtiger Geschäftsfelder wird<br />
11
titelthema<br />
digitalisierung<br />
<strong>AiB</strong> 7-8 | <strong>2016</strong><br />
Schöne neue Welt<br />
fachbegriffe Industrie 4.0, Internet of Things und<br />
Crowdworking – was steckt alles hinter diesen Begrifen?<br />
VON JOCHEN BRANDT<br />
darum geht es<br />
1. Viele neue Begrilichkeiten<br />
tauchen bei der<br />
Digitalisierung auf.<br />
2. In der Smart Factory<br />
können beispielsweise die<br />
Werkstücke kommunizieren,<br />
gleichgültig, ob sie<br />
fertig sind oder ob noch<br />
etwas fehlt.<br />
3. Das macht die Beschäftigten,<br />
die damit zu<br />
tun haben, kontrollierbar.<br />
Betriebsräte sind hier<br />
gefragter denn je.<br />
Zunächst einmal muss umgedacht<br />
werden. Früher gab es beispielsweise<br />
ein Telefon, mit dem man kommunizierte<br />
und einen Kühlschrank,<br />
der kühlte. Mittlerweile kann mit dem Smartphone<br />
fast so gearbeitet werden, wie mit einem<br />
Computer. Noch spannender ist es beim Kühlschrank:<br />
der kühlt immer noch, kann aber nun<br />
mit dem Smartphone kommunizieren.<br />
Kommunizierende Kühlschränke<br />
Bisher gibt es nur wenige Kühlschränke, die<br />
»telefonieren«. Denkbar ist aber, dass so ein<br />
Kühlschrank dem Smartphone mitteilt: »Mein<br />
Gefrierfach wird zu warm, ich muss abgetaut<br />
werden.« Jetzt ist der Kühlschrank »smart«<br />
und ein Teil des Internet of Things (IoT) 1 , also<br />
einer weltweiten Community von Geräten und<br />
Sachen, die miteinander kommunizieren. Leider<br />
wird der Ausdruck smart manchmal etwas<br />
inlationär benutzt und so indet sich im<br />
Kühlschrank auch der smarte Joghurtbecher,<br />
der dem Kühlschrank mitteilt: »Joghurtbecher<br />
Erdbeere, das Verfalldatum läuft Morgen<br />
ab« – Kühlschrank an Smartphone: »Iss den<br />
Joghurt.« Eventuell bestellt der Kühlschrank<br />
jetzt auch noch Erdbeerjoghurt nach. Dumm<br />
nur, wenn man jetzt lieber Himbeere wollte.<br />
Dieses Szenario ist sogar schon einige Jahre alt<br />
und Bestandteil des »smart Home«. Wie funktioniert<br />
das? Größere Geräte oder Maschinen<br />
besitzen tatsächlich kleine Prozessoren oder<br />
Computer, die Informationen auswerten und<br />
übermitteln können. Zur Übermittlung werden<br />
häuig Mobilfunknetzwerke genutzt. Der<br />
Joghurtbecher wird schon aus Kostengründen<br />
nur ein passives Element besitzen. Heutzutage<br />
meist ein RFID-Chip. 2 In näherer Zukunft werden<br />
weitere Formen von Netzen genutzt werden,<br />
die möglichst wenig Energie verbrauchen<br />
sollten. Nicht nur der Mensch kommuniziert<br />
mit den dafür gedachten technischen Geräten,<br />
sondern auch Dinge können kommunizieren.<br />
Teilweise tun sie dies mit anderen Dingen, aber<br />
auch mit dem Smartphone und damit dann<br />
mit dem Menschen. Durch diese zusätzliche<br />
Kommunikation im IoT wird sich die Informa-<br />
Im Internet of Things<br />
kommuniziert alles mit<br />
allen. Das erhöht den<br />
Überwachungsdruck auf<br />
die Beschäftigten.<br />
1 Siehe Zeile 1 der Tabelle »Internet of Things« und Sinn:<br />
Das Internet der Dinge CuA 12/2013 S. 4 ff.<br />
2 RFID-Chip Radio Frequency Identifikation. Dieser Chip gibt<br />
– sofern er mit einer bestimmten Frequenz angesteuert wird –<br />
ein definiertes Signal zurück.<br />
16
<strong>AiB</strong> 7-8 | <strong>2016</strong><br />
digitalisierung<br />
titelthema<br />
tionslut vermutlich noch vervielfachen. Hier<br />
entsteht aber auch ein Datenschutz- oder Überwachungsproblem.<br />
Beim Kühlschrank ist dies<br />
noch nicht so ofensichtlich, der abgelaufene<br />
Joghurt interessiert meist nur den Einzelhändler.<br />
Anders kann es sein, wenn das Smart-Car<br />
den Fahrstil »rasant« an die Haftplichtversicherung<br />
meldet. Mit der Überwachung geht oft<br />
auch ein Kontrollverlust des Besitzers einher,<br />
da Maschinen und Dinge so die Situation der<br />
Menschen beeinlussen. Dies kann in der Arbeitswelt<br />
Auswirkungen haben.<br />
Industrie 4.0 und die Smart Factory<br />
Die denkende Fabrik (Smart Factory) ist das<br />
Herzstück der Industrie 4.0. 3 Wie könnte dies<br />
in einer Fabrik denn aussehen? Hier würde<br />
an einem Arbeitsplatz – durch die »Selbstkontrolle«<br />
der Materialien – beispielsweise<br />
festgestellt werden können, dass nicht alle<br />
nötigen Kleinteile vorhanden sind (Beobachtung<br />
der Vorräte mit automatischer Anforderung,<br />
falls Teile fehlen). Ebenso wird<br />
angezeigt, seit wann das eigentliche Werkstück,<br />
beispielsweise ein Fahrzeug, am Arbeitsplatz<br />
bereitsteht. Sind dann die zum<br />
Einbau bestimmten Teile angeliefert und melden<br />
eventuell selbst, dass sie bereits seit einer<br />
Stunde im Fahrzeug eingebaut sein sollten,<br />
wird ziemlich klar, wer hier die Kontrolle hat.<br />
Kontrollierende Werkstücke<br />
Vielleicht suchen sich die Werkstücke dann<br />
noch selbst ihren Weg in der Fabrik. Dies wäre<br />
möglich, da sie mit Abfragen an die Maschinen<br />
feststellen können, wo Kapazitäten frei sind.<br />
So entscheiden die Werkstücke scheinbar objektiv,<br />
welches der Teams an den Maschinen<br />
die beste Leistung bringt. Bewusst oder auch<br />
unbewusst entsteht so vielleicht ein Konkurrenzkampf<br />
zwischen den Beschäftigten. Soweit<br />
die für den Einzelnen eher indirekten<br />
Folgen der Smart Factory. Allerdings kommen<br />
noch zwei weitere Punkte hinzu.<br />
Punkt eins: Die Daten der Kommunikation<br />
zwischen den Dingen werden in der Smart<br />
Factory über eine weitere Softwareebene 4 mit<br />
dem großen ERP-System 5 verbunden. Diese<br />
Daten können also von zahlreichen Stellen<br />
eingesehen werden. Da aus diesen Daten auch<br />
Rückschlüsse auf die Beschäftigten gezogen<br />
werden können, entsteht ein höherer Überwachungsdruck.<br />
Punkt zwei: Außerdem soll diese<br />
Kommunikation nicht nur innerhalb eines<br />
Unternehmens genutzt werden, sie soll auch<br />
konzernübergreifend zwischen Auftraggeber<br />
und Auftragnehmer entlang der Lieferkette<br />
stattinden. Hier sollte vermieden werden,<br />
dass die Namen der Beschäftigten an andere<br />
Unternehmen übermittelt werden. An dieser<br />
Stelle wird der Überwachungsdruck im Übrigen<br />
weiter verschärft. Angenommen, es gibt<br />
einen Engpass an Maschine Nr. 7. Aus diesem<br />
Grund dirigieren die Vorprodukte sich selbst<br />
in eine Fabrik des Mitbewerbers. Verlorenes<br />
Auftragsvolumen ca. 50.000 €. Wer war zu<br />
dem Zeitpunkt an Maschine Nr. 7?<br />
Lieferketten und Probleme<br />
kleinerer Unternehmen<br />
Lieferketten 6 sind die logische Fortsetzung der<br />
Smart Factory. Für den Auftraggeber eine Idealsituation<br />
und die fast perfekte Umsetzung<br />
der Just-in-Time-Philosophie, da der Auftraggeber<br />
in Echtzeit die Lieferkette verfolgt und<br />
bei Schwierigkeiten steuernd eingreifen kann.<br />
Aber hier entsteht für die meist kleineren Auftragnehmer<br />
ein gewisses Risiko. Sie werden<br />
für den Auftraggeber noch durchschaubarer,<br />
da er die Situation bei seinen verschiedenen<br />
Lieferanten quasi in »Echtzeit« vergleichen<br />
kann. Je tiefer der Einblick des Auftraggebers<br />
in die einzelne Fertigung geht, desto eher kann<br />
er noch bessere Bedingungen für sich aushandeln.<br />
Außerdem erfährt der Auftraggeber quasi<br />
zwanglos einiges über die Fertigungsabläufe<br />
bei seinem Auftragnehmer. In einigen Fällen<br />
kann dann wohl auch Know-how abgeschöpft<br />
werden. Insgesamt wird durch diese Steuerung<br />
der Konkurrenzdruck der Lieferanten erhöht.<br />
Im Endefekt wird dieser Druck auch bei den<br />
Beschäftigten der Lieferanten ankommen.<br />
Smart-Cars – denkende Autos?<br />
In diese Lieferketten passen die Smart-Cars 7<br />
hervorragend. Die Ortungsmöglichkeiten für<br />
Automobile mithilfe von GPS oder SIM-Karten<br />
sind allgemein bekannt. Im Rahmen von<br />
Lieferketten oder bei Kundendienstfahrzeugen<br />
können die Ortungsmöglichkeiten zur<br />
Koordinierung und Steuerung genutzt werden.<br />
Sollte auch eine private Nutzung zulässig<br />
sein, muss die Ortung dann abgeschaltet<br />
werden können. 8 Die Entwicklung geht jetzt<br />
definition<br />
ERP-System bezeichnet<br />
die unternehmerische<br />
Aufgabe, Ressourcen<br />
wie Kapital, Personal,<br />
Betriebsmittel, Material,<br />
Informations- und Kommunikationstechnik<br />
und<br />
IT-Systeme im Sinne des<br />
Unternehmenszwecks<br />
rechtzeitig und bedarfsgerecht<br />
zu planen und<br />
zu steuern. Gewährleistet<br />
werden sollen ein<br />
eizienter betrieblicher<br />
Wertschöpfungsprozess<br />
und eine stetig optimierte<br />
Steuerung der<br />
unternehmerischen und<br />
betrieblichen Abläufe.<br />
Neuerscheinung!<br />
EU-Datenschutz<br />
Peter Wedde<br />
EU-Datenschutz-Grundverordnung<br />
Synopse zum BDSG mit Erläuterungen<br />
Kurzkommentar<br />
<strong>2016</strong>. Ca. 250 Seiten, kartoniert<br />
ca. € 39,90<br />
ISBN: 978-3-7663-6589-7<br />
Erscheint im Juni <strong>2016</strong>!<br />
www.bund-verlag.de/6427<br />
3 Siehe Zeile 2 der Tabelle »Industrie 4.0« und mit Schwerpunkt<br />
Datenschutz Brandt: Schöne neue Fabrik CuA 12/2013 S. 9 ff.<br />
4 Diese Ebene wird als Manufacturing Execution System –<br />
MES bezeichnet.<br />
5 ERP-Enterprise-Resource-Planning, das in Deutschland<br />
bekannteste und verbreiteste Programm ist SAP.<br />
6 Siehe Zeile 3 der Tabelle »Lieferkette«.<br />
7 Siehe Zeile 4 der Tabelle »Smart-Car« und mit Schwerpunkt<br />
Datenschutz Brandt: Rollende Smartphones CuA 7-8 2015 S. 32.<br />
8 Bericht des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz<br />
Schleswig-Holstein Tätigkeitsbericht 2010 S. 99.<br />
kontakt@bund-verlag.de 17<br />
Info-Telefon: 069 / 79 50 10-20
grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
Von Chancen und Fallstricken<br />
<strong>AiB</strong> 7-8 | <strong>2016</strong><br />
Von Chancen<br />
und Fallstricken<br />
betriebsratsvorsitz Freigestellten Betriebsratsvorsitzenden hat<br />
das Betriebsverfassungsgesetz besondere Aufgaben zugedacht.<br />
Auch bei einer Freistellung dürfen sie nicht schlechter gestellt werden.<br />
VON MARION MÜLLER<br />
darum geht es<br />
1. Betriebsratsvorsitzende<br />
und freigestellte<br />
Betriebsratsmitglieder<br />
haben eine besondere<br />
Stellung im Betriebsrat.<br />
2. Betriebsratsvorsitzende<br />
haben per Gesetz<br />
bestimmte Aufgaben<br />
zu erfüllen. Dies sollte<br />
jedoch nicht dazu führen,<br />
dass die Betriebsratsarbeit<br />
fast ausschließlich<br />
durch den Vorsitzenden<br />
und die Freigestellten<br />
erledigt wird.<br />
3. Besondere Schutzvorschriften<br />
verhindern, dass<br />
freigestellte Betriebsratsmitglieder<br />
von der<br />
üblichen berulichen<br />
Entwicklung im Betrieb<br />
abgeschnitten werden<br />
oder schlechter dastehen<br />
als ohne Freistellung.<br />
Den Betriebsratsvorsitz zu übernehmen<br />
ist eine große Herausforderung.<br />
Wer sich dazu noch freistellen<br />
lässt, steht nicht nur vor neuen<br />
und interessanten Aufgaben, sondern geht<br />
auch Risiken ein. Betriebsrat ist nicht zwangsläuig<br />
eine Lebensaufgabe, sondern ein Wahlmandat.<br />
Wer weiß schon, für wen das Herz<br />
der Wähler beim nächsten Mal schlägt. Für die<br />
Zeit während und nach der Freistellung stellen<br />
sich deshalb eine Reihe von Fragen.<br />
Betriebsratsvorsitz – Ehre oder Bürde?<br />
Der Betriebsrat hat entschieden. Wir sind zum<br />
Vorsitzenden oder zur Vorsitzenden gewählt –<br />
welch eine Ehre – oder ist es doch eher eine<br />
Bürde? Was kommt auf Betriebsratsvorsitzende<br />
zu? Welche Aufgaben haben sie zu erfüllen?<br />
Das Betriebsverfassungsgesetz hält hierzu<br />
Antworten parat. Der Betriebsratsvorsitzende<br />
ist nicht Chef des Betriebsrats im herkömmlichen<br />
Sinne. Er ist den anderen Betriebsratsmitgliedern<br />
gegenüber nicht weisungsbefugt.<br />
Der Betriebsrat kommt durch Beschlussfassung<br />
zu einer Entscheidung. Ein Punkt kommt<br />
auf die Tagesordnung, es wird abgestimmt und<br />
die Mehrheit entscheidet, wie verfahren wird.<br />
Ein Doppelstimmrecht wie zum Teil beim Aufsichtsratsvorsitzenden<br />
wird dem Betriebsratsvorsitzenden<br />
verwehrt. Seine Stimme zählt<br />
nicht mehr und nicht weniger als die seiner<br />
Betriebsratskollegen.<br />
Stimmt das wirklich? Formell hat der Vorsitzende<br />
nicht mehr Stimmgewicht als andere<br />
Gremienmitglieder. Blickt man hinter die Kulissen,<br />
kann dem nur eingeschränkt zugestimmt<br />
werden. Denn Betriebsratsvorsitzende haben<br />
eine herausragende Position. Vor allem neugewählte<br />
Betriebsratsmitglieder orientieren sich<br />
daran, was der Vorsitzende macht. Darin liegt<br />
auch eine hohe Verantwortung. Die Meinung<br />
des Vorsitzenden hat meist großes Gewicht im<br />
Gremium. Zudem ist der Betriebsratsvorsitzende<br />
maßgeblich dafür zuständig, dass der Betriebsrat<br />
ordnungsgemäße Beschlüsse fasst.<br />
»Betriebsrat ist<br />
nicht zwangsläuig<br />
eine Lebensaufgabe,<br />
sondern<br />
ein Wahlmandat.«<br />
MARION MÜLLER<br />
Aufgaben nach dem BetrVG<br />
Der Betriebsratsvorsitzende hat gemäß Betriebsverfassungsgesetz<br />
verschiedene Aufgaben<br />
zu erfüllen. In Betriebsräten mit neun und mehr<br />
Mitgliedern ist er zugleich Vorsitzender des Betriebsausschusses.<br />
Mit Ausnahme der konstituierenden<br />
Betriebsratssitzung muss der Vorsitzende<br />
Betriebsratssitzungen einberufen und die<br />
Tagesordnung festlegen. Er leitet die Betriebs-<br />
46
<strong>AiB</strong> 7-8 | <strong>2016</strong> Von Chancen und Fallstricken grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
ratssitzung und auch die Betriebsversammlung,<br />
während Abteilungsversammlungen nach Möglichkeit<br />
von einem der Abteilung angehörenden<br />
Betriebsratsmitglied geleitet werden sollen. Der<br />
Betriebsratsvorsitzende unterzeichnet gemeinsam<br />
mit einem anderen Betriebsratsmitglied –<br />
in der Regel dem Schriftführer – die Niederschriften<br />
des Betriebsrats. Außerdem nimmt er<br />
an den Sprechstunden und an den Sitzungen<br />
der Jugend- und Auszubildendenvertretung teil,<br />
sofern der Betriebsrat kein anderes seiner Mitglieder<br />
damit beauftragt hat.<br />
Die genannten Aufgaben haben Betriebs ratsvorsitzende<br />
zu erfüllen, ob sie freige stellt sind<br />
oder nicht. Für freigestellte Vorsitzende ebenso<br />
wie für andere freigestellte Betriebsrats mitglieder<br />
sind einige Besonder heiten zu beachten.<br />
Das Betriebsratsmandat ist ein Ehrenamt, das<br />
unentgeltlich geführt wird. Dennoch erhalten<br />
freigestellte Betriebsratsmitglieder Entgelt. Die<br />
Betriebsratstätigkeit kann als Messlatte hier<br />
nicht dienen. § 37 Abs. 4 und 5 BetrVG sehen<br />
jedoch einen Engelt- und Tätigkeitsschutz<br />
vor. Das Arbeitsentgelt freigestellter Betriebsratsmitglieder<br />
ist so zu bemessen, wie es vergleichbare<br />
Arbeitnehmer mit betriebsüblicher<br />
Entwicklung erhalten. Das gilt auch für Zulagen<br />
und Mehrarbeitszuschläge. Nur Leistungen,<br />
die einen reinen Aufwendungscharakter<br />
haben, müssen nicht gezahlt werden, wenn<br />
der oder die Freigestellte diese Aufwendungen<br />
nicht hat. Denn Betriebsratsmitglieder dürfen<br />
wegen ihrer Betriebsratstätigkeit nicht bentipp<br />
1<br />
Da der Betriebsratsvorsitzende schon<br />
die Betriebsratssitzung (und auch die<br />
Betriebsausschusssitzung) leitet, sollte<br />
er nicht gleichzeitig auch noch Protokoll<br />
führen. Insbesondere in größeren Gremien<br />
bietet sich sogar an, dass der Vorsitzende<br />
dadurch entlastet wird, dass ein anderes<br />
Betriebsratsmitglied die Rednerliste führt<br />
oder andere unterstützende Aufgaben bei<br />
der Sitzungsleitung übernimmt.<br />
Der Betriebsratsvorsitzende vertritt das Gremium<br />
im Rahmen der gefassten Beschlüsse. Er ist<br />
somit das Sprachrohr des Betriebsrats. Seine<br />
Vertretungsbefugnis ist jedoch eingeschränkt.<br />
Er vertritt nicht seine eigenen Entscheidungen,<br />
sondern handelt lediglich im Rahmen der<br />
Betriebsratsbeschlüsse. Der Betriebsratsvorsitzende<br />
ist berechtigt, Erklärungen, die für den<br />
Betriebsrat bestimmt sind, entgegenzunehmen.<br />
Ist er verhindert, übernimmt der stellvertretende<br />
Vorsitzende seine Aufgaben.<br />
In Betriebsräten mit weniger als neun Mitgliedern<br />
wird kein Betriebsausschuss gebildet.<br />
Hier ist der Betriebsratsvorsitzende zuständig<br />
für die Führung der laufenden Geschäfte. Darunter<br />
werden in der Regel Tätigkeiten verstanden,<br />
die im internen verwaltungsmäßigen und<br />
organisatorischen Bereich liegen. Es geht um<br />
sich regelmäßig wiederholende Geschäfte wie<br />
Keinesfalls sind mit laufenden Geschäften<br />
Mitbestimmungsangelegenheiten gemeint. Der<br />
Betriebsrat kann in einer Geschäftsordnung<br />
festlegen, was genau er unter laufenden Geschäften<br />
versteht. In Betriebsräten ohne Betriebsausschuss<br />
ist der Betriebsratsvorsitzende<br />
berechtigt, die Bruttolohn- und -gehaltslisten<br />
einzusehen. Der Betriebsrat kann jedoch auch<br />
hier ein anderes Mitglied mit der Wahrnehmung<br />
dieser Aufgabe betrauen.<br />
Entgelt- und Tätigkeitsschutz<br />
betriebsratsvorsitzender<br />
Gewählt wird der Betriebsratsvorsitzende<br />
mit einfacher Stimmenmehrheit.<br />
Er kann vom<br />
Gremium mit einfacher<br />
Mehrheit im Übrigen<br />
ohne Angabe von Gründen<br />
auch wieder abgewählt<br />
werden. In diesem<br />
Fall muss unverzüglich<br />
eine Neuwahl erfolgen.<br />
Eine der Aufgaben des<br />
Betriebsratsvorsitzenden:<br />
Er unterzeichnet<br />
die Niederschriften des<br />
Betriebsrats.<br />
· vorbereitende Aufgaben<br />
· Erledigen des Schriftverkehrs<br />
· Einholen von Auskünften<br />
· Entgegennahme von Beschwerden und Vorschlägen<br />
47
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Laut BAG vom 19. März 2014 ist die Zeitschrift »<strong>AiB</strong>«<br />
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