WIRTSCHAFT+MARKT 4/2016
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RAGNITZ ANALYSIERT<br />
Forschung und<br />
Entwicklung:<br />
In Systemzusammenhängen<br />
denken<br />
Foto: ifo Dresden<br />
Forschung und Innovation gelten angesichts<br />
bestehender Kostennachteile<br />
gegenüber konkurrierenden<br />
Standorten weltweit als der wichtigste<br />
Baustein zur wirtschaftlichen Revitalisierung<br />
Ostdeutschlands. Gerade jene Unternehmen,<br />
die nicht nur die<br />
heimischen Märkte bedienen<br />
wollen, müssen daher<br />
alles daran setzen,<br />
durch neuartige Produkte<br />
Wettbewerbsvorteile<br />
zu gewinnen<br />
oder durch Prozessinnovationen<br />
die Produktionsabläufe<br />
effizienter<br />
zu gestalten.<br />
Der Rückstand in der<br />
betrieblichen Produktivität<br />
von 30 Prozentpunkten<br />
gegenüber<br />
den technologisch<br />
führenden Bundesländern<br />
Bayern und<br />
Baden-Württemberg zeigt deutlich, dass<br />
hier noch erhebliches Modernisierungspotenzial<br />
besteht.<br />
Leider schaffen es viele ostdeutsche Unternehmen<br />
bislang nicht, Forschung und<br />
Entwicklung zu finanzieren oder auch bereits<br />
vorhandene technologische Lösungen<br />
in ihre Produktionsabläufe zu integrieren.<br />
Dies hat viel mit den geringen<br />
Betriebsgrößen in Ostdeutschland zu<br />
tun, denn kleine Unternehmen können<br />
sich typischerweise keine eigenständigen<br />
Forschungsabteilungen leisten und<br />
Professor Dr. Joachim Ragnitz<br />
ist Stellvertretender Leiter<br />
des ifo-Instituts Dresden.<br />
haben im Regelfall auch nur geringen<br />
Bedarf an modernen Maschinen mit hohen<br />
Kapazitätseffekten. Vor allem die geringen<br />
Forschungsintensitäten im Wirtschaftssektor<br />
geben Anlass zur Sorge<br />
– liegen die unternehmerischen Aufwendungen<br />
für Forschung<br />
und Entwicklung (FuE) in<br />
Baden-Württemberg<br />
bei vier Prozent des<br />
Bruttoinlandsprodukts,<br />
sind es selbst<br />
in den forschungsintensiveren<br />
ostdeutschen<br />
Bundesländern<br />
Sachsen und<br />
Thüringen nur etwas<br />
über ein Prozent.<br />
Auf gesamtwirtschaftlicher<br />
Ebene wird dies<br />
zwar zum Teil kompensiert<br />
durch hohe<br />
FuE-Anstrengungen<br />
im öffentlichen Bereich – aber nicht immer<br />
will es gelingen, die dort erzielten<br />
Forschungsergebnisse auch für die heimische<br />
Wirtschaft zu nutzen.<br />
Ganz offenkundig fehlt es häufig noch<br />
an einer ausreichenden Zusammenarbeit<br />
zwischen der Wirtschaft und den Wissenschaftseinrichtungen.<br />
Wenn derartige<br />
Kooperationen noch nicht in ausreichendem<br />
Umfang zustande kommen (obwohl<br />
die Wissenschaft in Ostdeutschland<br />
viel zu bieten hat!), so scheitert dies<br />
häufig an unterschiedlichen Anreizsystemen<br />
und an unterschiedlichen Kommunikationskulturen,<br />
oftmals aber auch<br />
bloß an fehlender Vermittlung. Hier wäre<br />
also ein Ansatzpunkt auch für die Wirtschaftspolitik<br />
(und nicht so sehr für die<br />
„Wissenschaftspolitik“). Und, man darf<br />
dabei auch nicht nur auf die „Leuchttürme“<br />
schauen – hochspezialisierte Grundlagenforschung<br />
an Exzellenzuniversitäten<br />
und Max-Planck-Instituten mögen zwar<br />
den technologischen Fortschritt voranbringen,<br />
schaffen aber wohl kaum einen<br />
unmittelbaren Nutzen auch für ein Unternehmen,<br />
das lediglich die Weiterentwicklung<br />
eines vorhandenen Produkts benötigt:<br />
Leuchttürme sind keine Straßenlaternen;<br />
sie sollen in die Ferne strahlen,<br />
aber nicht die Klippe beleuchten, auf der<br />
sie stehen. Notwendig ist es daher, die<br />
Innovationssysteme in den ostdeutschen<br />
Ländern in ihrer Gesamtheit zu sehen –<br />
als ein Geflecht aus weltweit sichtbaren<br />
Universitäten und außeruniversitären Forschungsinstituten,<br />
aus anwendungsorientierten<br />
Fachhochschulen als Bindeglied<br />
zur regionalen Wirtschaft und aus<br />
kommerziell agierenden Forschungseinrichtungen,<br />
die sich auf die Bearbeitung<br />
von Forschungsaufträgen von Unternehmen<br />
spezialisiert haben. Gerade die beiden<br />
letztgenannten sind dabei erforderlich,<br />
um niedrigschwellige Angebote des<br />
Technologietransfers und der Kooperation<br />
zu schaffen, die auch die Unternehmen<br />
in Ostdeutschland erreichen – und<br />
sie sollten daher von der Wirtschaftspolitik<br />
viel stärker eingebunden werden als<br />
es bislang geschieht.<br />
W+M