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WIRTSCHAFT+MARKT 4/2016

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BRANDENBURG | 23<br />

Fotos: Volker Gehrmann/Wir haben es satt (oben), Grüne Woche (unten)<br />

Tierschützer wenden sich gegen die<br />

Marktdominanz von Billig-Fleisch aus industrieller<br />

Mast. In der Hauptstadtregion<br />

haben sich Verbände und lokale Initiativen<br />

zum Aktionsbündnis Agrarwende Berlin-<br />

Brandenburg zusammengefunden, um öffentlichkeitswirksam<br />

für strengere Regeln<br />

in der Tierhaltung zu streiten – für artgerechte<br />

Haltung und Tierwohl. Zu ihren Forderungen<br />

zählen der Verzicht auf staatliche<br />

Förderung von „Massentierhaltung“, ein<br />

Verbandsklagerecht gegen Standortentscheidungen<br />

für Ställe und die Ernennung<br />

eines Tierschutzbeauftragten.<br />

In Brandenburg hat das Bündnis ein Volksbegehren<br />

gegen Massentierhaltung zum<br />

Erfolg geführt. Bis Januar <strong>2016</strong> hatten<br />

es rund 104.000 Menschen unterschrieben,<br />

so dass sich schließlich der Landtag<br />

in Potsdam damit befassen musste. Am<br />

Ende haben sich die Regierungsfraktionen<br />

von SPD und LINKE mit Vertretern des<br />

Volksbegehrens auf einen Kompromiss geeinigt<br />

und so eine Volksabstimmung abgewendet.<br />

Bei der Abstimmung Ende April<br />

Spezialitäten der Eberswalder Wurst GmbH auf<br />

der Internationalen Grünen Woche in Berlin.<br />

wurde die entsprechende Beschlussvorlage<br />

des Kabinetts angenommen. Sie legt<br />

fest, die öffentliche Förderung von Großmastanlagen<br />

einzuschränken, einen hauptamtlichen<br />

Tierschutzbeauftragten zu ernennen<br />

und bis 2017 einen Tierschutzplan<br />

zu erarbeiten. Das Klagerecht für Tierschutzverbände<br />

ist vom Tisch.<br />

Große Symbolkraft erlangte in den vergangenen<br />

Jahren der Widerstand der Initiative<br />

„Kontra Industrieschwein“ gegen die<br />

geplante Neuauflage der Schweinemast<br />

in Haßleben (Uckermark). Wo bis 1989<br />

Mega-Ställe mit 136.000 Schweinen Luft<br />

und Böden verpesteten,<br />

will ein niederländischer<br />

Investor bald<br />

wieder 37.000 Tiere<br />

mästen.<br />

Industrie und Handel<br />

profitieren vom Überangebot<br />

an billigem<br />

Fleisch aus Deutschland<br />

und der EU. Brandenburg<br />

allein wäre<br />

aber mit der Bedarfsdeckung<br />

in der Region<br />

ohnehin überfordert,<br />

wie Angaben des<br />

Landwirtschaftsministeriums<br />

in Potsdam belegen:<br />

„Die Versorgung<br />

der circa sechs Millionen<br />

Einwohner von Berlin und Brandenburg<br />

könnte zurzeit nicht durch die heimische<br />

Landwirtschaft gesichert werden, obwohl<br />

der Platz dafür da wäre.“ Regionale<br />

Erzeuger könnten den Bedarf an Schweinefleisch<br />

nur zu 36,2 Prozent decken, bei Rindfleisch<br />

seien es 59,2 Prozent, bei Geflügelfleisch<br />

87,9 Prozent. Dabei sei der durchschnittliche<br />

Pro-Kopf-Verbrauch bei Fleisch<br />

sogar zurückgegangen. Allerdings würden<br />

auch deutlich weniger Tiere gehalten. Zwischen<br />

1991 und 2014 sei die Zahl der Rinder<br />

von 781.000 auf 568.100 gesunken, die der<br />

Schweine von 1,086 Millionen auf 851.100.<br />

Mitte März äußerte Landwirtschaftsminister<br />

Jörg Vogelsänger (SPD) im Agrarausschuss<br />

des Brandenburger Landtages<br />

die Erwartung, dass sich das Land bald<br />

von Agrarimporten unabhängig machen<br />

und die Versorgung der Hauptstadtregion<br />

selbst gewährleisten könne. Doch während<br />

die Regierungskoalition, unterstützt<br />

durch den Landesbauernverband, für die<br />

heimischen Agrarbetriebe bessere Bedingungen<br />

schaffen will, kritisieren Tierschützer<br />

und Umweltverbände gerade, dass sie<br />

immer mehr große Stallanlagen zulasse.<br />

Sie fordern ein Umsteuern in der Agrarpolitik,<br />

sehen vor allem in kleineren Betrieben<br />

mit artgerechter Tierhaltung eine Überlebenschance<br />

für die Bauernhöfe.<br />

Umweltaktivisten und Tierschützer der Initiative „Wir haben es satt!“<br />

im Januar <strong>2016</strong> vor dem Berliner Reichstagsgebäude.<br />

Doch auch der Landespolitik geht es um<br />

den Erhalt von Arbeitsplätzen und um konkurrenzfähige<br />

Betriebe. Wie das Agrarministerium<br />

betont, erteilten die Landkreise<br />

bei Bestandsgrößen von unter 1.500 Mastschweinen,<br />

15.000 Hennen oder 30.000<br />

Stück Mastgeflügel die Baugenehmigungen<br />

auf der Basis der Bauordnung des<br />

Landes. Größere Anlagen würden dagegen<br />

auf der Grundlage des Bundesimmissionsschutzgesetzes<br />

entschieden – wobei<br />

die Zahl der Anträge dafür deutlich gesunken<br />

sei. Eine Aussage, die der BUND<br />

anzweifelt. In einer im Januar veröffentlichten<br />

Analyse der Umweltschützer heißt<br />

es, dass die Zahl der in Brandenburg für<br />

<strong>2016</strong> beantragten Stallplätze für Zucht- und<br />

Mastschweine sowie Mastgeflügel stark<br />

gestiegen sei.<br />

Sebastian Kühn ist nicht nur Unternehmer,<br />

sondern auch Cluster-Sprecher der<br />

ZukunftsAgentur Brandenburg (ZAB) für<br />

die Ernährungswirtschaft, welche 2012 einen<br />

Jahresumsatz von 3,8 Milliarden Euro<br />

erzielt hat. Er sagt, es lasse sich am Kaufverhalten<br />

ablesen, dass die aktuelle Debatte<br />

um Massentierhaltung und Tierwohl das<br />

Gros der Verbraucher noch nicht erreicht<br />

habe. Auf sie werde es aber ankommen –<br />

darauf, ob sie bereit sind, für Fleisch und<br />

Wurst künftig wirklich einen deutlich höheren<br />

Preis zu bezahlen. „Es ist Fakt, dass<br />

die meisten Kunden am Ende zu den großen<br />

Supermarkt-Ketten gehen, und sie<br />

schauen beim Einkauf auf jeden Cent.“<br />

<br />

W+M<br />

www.WundM.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 4/<strong>2016</strong>

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