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Kardiogener Schock nach bradykardisierender Therapie

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Kasuistiken<br />

Med Klin Intensivmed Notfmed 2016 · 111:458–462<br />

DOI 10.1007/s00063-015-0089-9<br />

Eingegangen: 1. Juni 2015<br />

Überarbeitet: 23. Juli 2015<br />

Angenommen: 31. August 2015<br />

Online publiziert: 6. Oktober 2015<br />

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015<br />

Redaktion<br />

R. Riessen, Tübingen<br />

H. Fey 1 · M. Jost 1 · A.T. Geise 1 · T. Bertsch 2 · M. Christ 1<br />

1<br />

Universitätsklinik für Notfall- und Internistische Intensivmedizin, Paracelsus Medizinische Privatuniversität,<br />

Nürnberg, Klinikum Nürnberg, Nürnberg, Deutschland<br />

2<br />

Institut für Klinische Chemie, Laboratoriumsmedizin und Transfusionsmedizin – Zentrallaboratorium,<br />

Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Nürnberg, Nürnberg, Deutschland<br />

<strong>Kardiogener</strong> <strong>Schock</strong> <strong>nach</strong><br />

<strong>bradykardisierender</strong> <strong>Therapie</strong> bei<br />

tachykardem Vorhofflimmern<br />

Fallvorstellung einer 89-jährigen Patientin<br />

Anamnese<br />

Eine 89-jährige Patientin wird im Januar<br />

2015 in einer externen Klinik wegen Erysipel<br />

stationär aufgenommen. Zusätzlich<br />

liegt eine chronische Stauungsdermatitis<br />

bei bekannter Herzinsuffizienz mit erhaltener<br />

linksventrikulärer (LV-)Ejektionfraktion<br />

bei hypertensiver Herzerkrankung<br />

vor. Anamnestisch wird eine koronare<br />

Herzkrankheit angegeben, ein Myokardinfarkt<br />

in der Vergangenheit aber verneint.<br />

An kardiovaskulären Risikofaktoren<br />

liegen neben einer arteriellen Hypertonie<br />

eine ausgeprägte Adipositas und<br />

eine Hyperlipoproteinämie vor. Die Patientin<br />

hat wegen der bekannten arteriellen<br />

Hypertonie eine Vormedikation mit<br />

Carvedilol (2-mal 12,5 mg pro Tag). Ferner<br />

erhält sie:<br />

55Simvastatin (eimal 40 mg),<br />

55Torasemid (2-mal 10 mg),<br />

55Eisen(II)-glycin-sulfat (einmal<br />

60 mg),<br />

55Cefuroxim (3-mal 1,5 g),<br />

55Dalteparin (2-mal 5000 I.E).<br />

Während des stationären Aufenthalts tritt<br />

bei zum Aufnahmezeitpunkt <strong>nach</strong>gewiesenem<br />

Sinusrhythmus paroxysmales Vorhofflimmern<br />

mit tachykarder Überleitung<br />

auf. Der hinzugezogene internistische<br />

Konsiliararzt empfiehlt zur weiteren<br />

Frequenzkontrolle eine zusätzliche <strong>Therapie</strong><br />

mit Verapamil (3-mal 80 mg pro<br />

Tag). Am Folgetag wird die Patientin wegen<br />

der Leitsymptome akute Herzinsuffizienz<br />

und zunehmende Vigilanzstörung<br />

mit der Arbeitsdiagnose akute Herzinsuffizienz<br />

der internistischen Intensivstation<br />

zugewiesen.<br />

Befunde<br />

Klinischer Untersuchungsbefund<br />

Die 89-jährige Patientin präsentiert sich<br />

zum Zeitpunkt der Übernahme auf die<br />

internistische Intensivstation mit schwerer<br />

respiratorischer Insuffizienz (Atemfrequenz<br />

40/min) und einer quantitativen<br />

Vigilanzminderung (Glasgow Coma<br />

Scale 11). Die Haut ist blass, die Extremitäten<br />

kalt. Über der Lunge ist ein vesikuläres<br />

Atemgeräusch ohne Nebengeräusche<br />

auszukultieren. Die Herztöne sind rein,<br />

die Herzfrequenz liegt bei 54/min. Der<br />

Blutdruck ist zum Aufnahmezeitpunkt<br />

80/50 mmHg, pulsoxymetrisch ist keine<br />

suffiziente Messung möglich. Der Body-Mass-Index<br />

beträgt 40 kg/m 2 bei einer<br />

Körpergröße von 160 cm.<br />

Elektrokardiographie<br />

Vorhofflimmern, Steiltyp, Herzfrequenz<br />

54/min, regelrechte R-Progression, keine<br />

spezifischen Erregungsrückbildungsstörungen<br />

(s. . Abb. 1).<br />

Laborchemische Untersuchungen<br />

zum Aufnahmezeitpunkt<br />

Venöse Blutgasanalyse<br />

pH-Wert 7,2; pCO 2 49 mmHg; pO 2<br />

19,5 mmHg; S v O 2 17,7 %; Laktat 8,5 mmol/l<br />

(Normbereich 0,5–2,2 mmol/l); HCO 3<br />

-<br />

18,1 mmol/l.<br />

Blutbild und klinische Chemie<br />

Hämoglobin 5,28 mmol/l (Normbereich<br />

7,45–9,93 mmol/l), Leukozyten 11,7/nl<br />

(Normbereich 4,0–10,0/nl), C-reaktives<br />

Protein 60 mg/l (Normbereich < 5 mg/l),<br />

Kreatinin 135,3 µmol/l (Normbereich<br />

44,2–79,6 µmol/l), Harnstoff 11,8 mmol/l<br />

(Normbereich 2,8–8,1 mg/dl), Troponin-T<br />

hochsensitiv 50 ng/l (Normbereich<br />

< 14 ng/l), NT-pro-BNP 8765 pg/ml<br />

(Grenzwert für akute Herzinsuffizienz bei<br />

über 75 Jahren: > 1800 pg/ml). Die weiteren<br />

Parameter des internistischen Aufnahmelabors<br />

sind im Normbereich.<br />

Fokussierte Echokardiographie<br />

(FoCUS)<br />

Schwergradig reduzierte Pumpfunktion<br />

(„ejection fraction“, EF: 15 %) des dilatierten<br />

linken Ventrikels („left ventricular end<br />

diastolic diameter“, LVEDD: 60 mm). Keine<br />

regionalen Wandbewegungsstörungen,<br />

globale Hypokinesie. Aorten- und<br />

Mitralklappe ohne relevantes Vitium.<br />

Rechter Ventrikel dilatiert („right ventricular<br />

end diastolic diameter“, RVEDD:<br />

52 mm), Pumpfunktion deutlich einge-<br />

458 | Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin 5 · 2016


Abb. 1 8 Elektrokardiogramm zum Übernahmezeitpunkt auf die internisitische Intensivstation<br />

schränkt („tricuspid annular plane systolic<br />

excursion“, TAPSE: 9 mm). Vena cava<br />

inferior 2,2 cm, unzureichend atemmoduliert.<br />

Kein Perikarderguss.<br />

Verdachtsdiagnose<br />

<strong>Kardiogener</strong> <strong>Schock</strong> unklarer Genese<br />

55Differenzialdiagnose:<br />

zzAkuter Myokardinfarkt<br />

zzAkute Lungenembolie<br />

zzMyokarditis<br />

zzTako-Tsubo-Kardiomyopathie<br />

zzmedikamentös<br />

<strong>Therapie</strong> und Verlauf<br />

Abb. 2 8 Wirkungsmechanismen von β-Blockern und Kalziumantagonisten sowie diverser Antidote<br />

am Kardiomyozyten. AC Adenylatcyclase, Ca 2+ Kalziumion, cAMP Adenosinmonophosphat, Ca v L spannungsabhängier<br />

L-Typ-Kalziumkanal, G G-Protein, PKA Proteinkinase A, RyR Ryanodinrezeptor. (Adaptiert<br />

<strong>nach</strong> [13])<br />

Es erfolgt unter der Arbeitsdiagnose eines<br />

kardiogenen <strong>Schock</strong>s unverzüglich die<br />

hämodynamische Unterstützung mittels<br />

Katecholaminen (Dobutamin und Noradrenalin).<br />

Ferner wurde vor Durchführung<br />

der Echokardiographie wegen der<br />

nicht auszuschließenden Möglichkeit des<br />

Vorliegens einer akuten Lungenarterienembolie<br />

oder eines akuten Koronarsyndroms<br />

unfraktioniertes Heparin körpergewichtsadjustiert<br />

verabreicht (60 I.E./<br />

kgKG).<br />

Bei fehlender Stabilisierung der Hämodynamik<br />

wird die Dosis der Katechol-<br />

Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin 5 · 2016 |<br />

459


Zusammenfassung · Abstract<br />

amine rasch gesteigert, sodass Dobutamin<br />

sehr bald in einer Dosierung von 20 µg/h<br />

und Noradrenalin in einer Dosierung<br />

von 10 mg/h verabreicht werden mussten.<br />

Die Intubation wird zeitgleich vorbereitet.<br />

Trotz der hochdosierten Gabe von<br />

Katecholaminen sinkt der Blutdruck systolisch<br />

auf 50 mmHg. Bei sich weiter verschlechternder<br />

Vigilanz wird die Patientin<br />

endotracheal intubiert und druckkontrolliert<br />

beatmet. Die Beatmung gestaltet<br />

sich unproblematisch (initialer Horowitz-<br />

Index: 305).<br />

Unter dem klinischen Verdacht auf<br />

einen Kausalzusammenhang der gleichzeitigen<br />

Verabreichung des Kalziumantagonisten<br />

Verapamil und des β-Blockers<br />

Carvedilol wird intravenös hochdosiert<br />

Glukagon (initial 5 mg als Bolus und anschließend<br />

5 mg/h) verabreicht. In der<br />

Folge verbessert sich sukzessiv die hämodynamische<br />

Situation. Die Dosierung der<br />

Katecholamine kann rasch deutlich reduziert<br />

werden und die Patientin 2 Tage später<br />

katecholaminfrei problemlos extubiert<br />

werden.<br />

Unter Pausierung der negativ chronotropen<br />

Medikation kommt es zu Vorhofflattern<br />

mit 2:1-Überleitung (Kammerfrequenz<br />

etwa 140/min). Nach Ausschluss intrakardialer<br />

Thromben mittels transösophagealer<br />

Echokardiographie wird die<br />

Patientin erfolgreich in den Sinusrhythmus<br />

kardiovertiert (50 J biphasisch). In<br />

der transthorakalen Echokardiographiekontrolle<br />

zeigt sich nun eine gute linksventrikuläre<br />

Pumpfunktion (EF: 60 %)<br />

mit normal dimensionierten Herzhöhlen<br />

und mäßiger linksventrikulärer Hypertrophie<br />

(„interventricular septal thickness at<br />

diastole“, IVSD: 14 mm) bei diastolischer<br />

Funktionsstörung. Am 4. Tag wird die<br />

nun zu allen Qualitäten orientierte Patientin<br />

in kardiopulmonal stabilem Zustand<br />

auf Normalstation verlegt und wenige Tage<br />

später in die ambulante Weiterbetreuung<br />

entlassen.<br />

Diagnose<br />

<strong>Kardiogener</strong> <strong>Schock</strong> unter simultaner<br />

medikamentöser <strong>Therapie</strong> mit Verapamil<br />

und Carvedilol.<br />

Med Klin Intensivmed Notfmed 2016 · 111:458–462<br />

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015<br />

H. Fey · M. Jost · A.T. Geise · T. Bertsch · M. Christ<br />

<strong>Kardiogener</strong> <strong>Schock</strong> <strong>nach</strong> <strong>bradykardisierender</strong><br />

<strong>Therapie</strong> bei tachykardem Vorhofflimmern.<br />

Fallvorstellung einer 89-jährigen Patientin<br />

Zusammenfassung<br />

Zur bradykardisierenden <strong>Therapie</strong> sind β-<br />

Blocker und Kalziumantagonisten häufig eingesetzte<br />

Medikamente bei tachykardem Vorhofflimmern.<br />

Abhängig von der Vulnerabilität<br />

des Myokards kann die isolierte Gabe von<br />

β-Blockern oder Kalziumantagonisten vom<br />

Nicht-Dihydropyridin-Typ (Verapamil oder<br />

Diltiazem), aber insbesondere die gleichzeitige<br />

Verabreichung der Substanzen zu einem<br />

medikamentös induzierten kardiogenen<br />

<strong>Schock</strong> führen. Die Komedikation von β-Blocker<br />

und Kalziumanatagonist vom Nicht-Dihydropyridin-Typ<br />

ist absolut kontraindiziert.<br />

Bei Vorliegen einer akuten Herzinsuffizienz<br />

Diskussion<br />

DOI 10.1007/s00063-015-0089-9<br />

ist auch die Verabreichung von Einzelsubstanzen<br />

kontraindiziert. Als <strong>Therapie</strong>ansatz für<br />

einen durch β-Blocker oder Nicht-Dihydropyridine<br />

induzierten kardiogenen <strong>Schock</strong> wird,<br />

neben der Gabe von Kalzium und Glukagon,<br />

insbesondere die frühzeitige Verabreichung<br />

von hochdosiertem Insulin empfohlen.<br />

Schlüsselwörter<br />

Tachykardie · Adrenerge β-Blocker ·<br />

Kalziumantagonisten · Kardiale<br />

Rhythmusstörung · Glukagon<br />

Cardiogenic shock after drug therapy for atrial fibrillation<br />

with tachycardia. Case report of an 89-year-old woman<br />

Abstract<br />

β-Blockers and calcium channel blockers are<br />

commonly used drugs in the treatment of<br />

atrial fibrillation with tachycardia. However, in<br />

patients with high myocardial susceptibility<br />

and vulnerability, combination therapy with<br />

β-blockers and non-dihydropyridine calcium<br />

channel blockers (verapamil or diltiazem)<br />

but also individual administration can cause<br />

drug-induced cardiogenic shock. Thus, the simultaneous<br />

administration of β-blockers and<br />

non-dihydropyridine calcium channel blockers<br />

is absolutely contraindicated. In case of<br />

acute heart failure, isolated application is also<br />

contraindicated. In the treatment of a cardiogenic<br />

shock induced by β-blockers and/<br />

or non-dihydropyridine calcium channel<br />

blockers, administration of intravenous calcium,<br />

glucagon or high-dose insulin is recommended.<br />

Keywords<br />

Tachycardia · Beta-blockers, adrenergic ·<br />

Calcium channel blockers · Cardiac<br />

dysrhythmia · Glucagon<br />

Die endgültige Diagnose „kardiogener<br />

<strong>Schock</strong> unter simultaner medikamentöser<br />

<strong>Therapie</strong> mit Verapamil und Carvedilol“<br />

lässt sich erst aus der Post-hoc-Sicht sicher<br />

stellen. Die schnelle Erholung der myokardialen<br />

Pumpfunktion, das Vorliegen<br />

eines normalen EKG, eine nur geringfügige<br />

Erhöhung des Troponin-T-Werts ohne<br />

dynamische Veränderung, das echokardiographische<br />

Bild mit schwerer biventrikulär<br />

reduzierter Pumpfunktion ohne regionale<br />

Wandbewegungsstörungen und<br />

die gute Oxygenierbarkeit ermöglichen,<br />

wichtige Differenzialdiagnosen, wie akuter<br />

Myokardinfarkt, akute Lungenarterienembolie,<br />

Myokarditis oder Tako-tsubo-Kardiomyopathie<br />

auszuschließen.<br />

Ein kardiales Pumpversagen unter der<br />

Doppelblockade mit Kalziumantagonist<br />

und β-Blocker, insbesondere auch <strong>nach</strong><br />

oraler Applikation, wird in der Literatur<br />

als seltenes Ereignis immer wieder beschrieben<br />

[1–10]. Weitläufig bekannt ist,<br />

dass die Simultantherapie mit normalen<br />

Dosierungen zu bradykarden Herzrhythmusstörungen<br />

führen kann. Es werden<br />

jedoch immer wieder Fälle eines kardiogenen<br />

<strong>Schock</strong>s berichtet, obwohl die Patienten<br />

über einen Herzschrittmacher vor<br />

Bradykardien geschützt waren [7, 8]. Ursächlich<br />

hierfür ist die ausgeprägte negativ<br />

inotrope Wirkung. Auch im vorliegenden<br />

Fall hätte eine Herzfrequenz von 54/<br />

460 | Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin 5 · 2016


Tab. 1 Dosierungen, Nebenwirkungen und Kontraindikationen diverser Antidote bei kardiogenem <strong>Schock</strong> unter Simultantherapie mit<br />

β-Blockern und Kalziumantagonisten [13]<br />

Antidot Dosierung Unerwünschte Arzneimittelwirkung<br />

Kontraindikation<br />

Kalzium<br />

Glukagon<br />

Nekrosen bei Extravasat<br />

Nausea Vigilanzstörung Herzrhythmusstörung<br />

Hochdosis-Insulin-Euglykämie-<strong>Therapie</strong><br />

(HIE)<br />

Initialbolus: 6,5–12,5 mmol Ca 2+ i.v. (≙ 30–60 ml Kalziumglukonat<br />

10 % oder 10–20 ml CaCl 2 10 %) kontinuierlich:<br />

0,25 mmol/kg/h Ca 2 + i.v. (≙ 0,6–1,2 ml/kg/h Kalziumglukonat<br />

10 % oder 0,2–0,4 ml/kg/h CaCl 2 10 %)<br />

Initialbolus: 3–5 mg langsam i.v. + ggf. Wiederholung mit<br />

4–10 mg i.v. kontinuierlich: 2–10 mg/h (cave: Tachyphylaxie)<br />

Initialbolus: 1 I.E./kgKG Normalinsulin i.v. + 0,5 g/kg Glukose<br />

i.v. (wenn Blutzucker nicht > 16,7 mmol/l) kontinuierlich:<br />

0,5–1 I.E./kgKG/h Normalinsulin i.v. (+ ggf. schrittweise<br />

steigern <strong>nach</strong> je 30 min bis maximal 10 I.E./kgKG/h) + 0,5 g/<br />

kgKG/h Glukose i.v. (Monitoring alle 30 min, Zielblutzucker:<br />

5,6–13,9 mmol/l)<br />

Übelkeit, Erbrechen Diarrhö<br />

Hyperglykämie<br />

Hypokaliämie Hypoglykämie<br />

Digitalisintoxikation<br />

Phäochromozytom<br />

Schwere Hypoglykämie,<br />

schwere Hyperglykämie,<br />

schwere Hypokaliämie<br />

min bei ansonsten guter linksventrikulärer<br />

Pumpfunktion allein wohl kaum zu<br />

diesem klinisch eindrucksvollen kardiogenen<br />

<strong>Schock</strong> geführt.<br />

Die Einschränkung der myokardialen<br />

Kontraktilität durch die Kombinationstherapie<br />

von Kalziumantagonist und β-<br />

Blocker lässt sich pharmakodynamisch<br />

gut auf zellulärer Ebene erklären [11, 12].<br />

Nicht-Dihydropyridine (Verapamil, Diltiazem)<br />

blockieren die L-Typ-Kalziumkanäle<br />

an den Kardiomyozyten in relevantem<br />

Ausmaß. Dadurch wird der aktionspotenzialabhängige<br />

intrazelluläre Kalziumeinstrom<br />

vermindert, der über die<br />

Aktivierung des Ryanodinrezeptors der<br />

Initialzünder für die Freisetzung von intrazellulärem<br />

Kalzium aus dem sarkoplasmatischen<br />

Retikulum ist. Diese intrazelluläre<br />

Kalziumfreisetzung stellt zusammen<br />

mit der Bindung an Troponin-C einen<br />

essenziellen Mechanismus für Wechselwirkung<br />

zwischen Aktin und Myosin dar<br />

und ist Voraussetzung für die myokardiale<br />

Kontraktion. β-Blocker antagonisieren die<br />

Stimulation der β-1-Adrenozeptoren an<br />

den Kardiomyozyten. Dadurch kommt es<br />

zu einer verminderten Aktivierung der G-<br />

Protein-gekoppelten Adenylatcyclase und<br />

somit zu einem Absinken der intrazellulären<br />

Konzentration von zyklischem Adenosinmonophosphat<br />

(cAMP). Dies wiederum<br />

führt zu einer verminderten Aktivierung<br />

der Proteinkinase A (PKA), die<br />

über die Phosphorylierung intrazellulärer<br />

Schlüsselproteine ebenfalls entscheidenden<br />

Einfluss auf die intrazelluläre Kalziumkonzentration<br />

hat. So werden durch<br />

die PKA zum einen die membranständigen<br />

L-Typ-Kalziumkanäle phosphoryliert,<br />

was den Kalziumeinstrom steigert,<br />

und zum anderen Phospholamban, was<br />

eine vermehrte Aufnahme von Kalzium<br />

in das sarkoplasmatische Retikulum bewirkt.<br />

β-Blocker hemmen diese Prozesse<br />

und führen damit ebenfalls zu einer Verminderung<br />

der intrazellulären Kalziumkonzentration.<br />

Somit potenzieren sich die<br />

Wirkungen von β-Blockern und Kalziumantagonisten<br />

in Bezug auf die intrazelluläre<br />

Kalziumhomöostase und somit u. a.<br />

auch die Kontraktilität (. Abb. 2).<br />

Die Suszeptibilität für Nebenwirkungen<br />

durch β-Blocker und Kalziumantagonisten<br />

weist erhebliche interindividuelle<br />

Unterschiede auf. Ältere Menschen<br />

und Patienten mit ischämischer Herzerkrankung<br />

oder vorbestehender myokardialer<br />

Vulnerabilität sind empfänglicher<br />

für unerwünschte Arzneimittelwirkungen<br />

durch diese Substanzgruppen [13].<br />

Die therapeutischen Möglichkeiten bei<br />

kardiogenem <strong>Schock</strong> infolge einer Simultantherapie<br />

mit Kalziumantagonist und<br />

β-Blocker gleichen im Grunde denen für<br />

den Fall einer Intoxikation mit diesen<br />

Substanzen. Neben den rein an der Symptomatik<br />

orientierten allgemeinen intensivmedizinischen<br />

Maßnahmen (z. B. vorsichtige<br />

Volumengabe, Atropin, Katecholamine,<br />

die oftmals in ihrer Wirkung unzureichend<br />

sind), kommen verschiedene,<br />

z. T. experimentelle therapeutische Ansatzpunkte<br />

infrage (. Tab. 1; [14]).<br />

Ein einfacher und pathophysiologisch<br />

plausibler Ansatz hinsichtlich der Kalziumantagonistenwirkung<br />

ist die systemische<br />

Gabe von Kalzium. Hierdurch<br />

kommt es zu einer Vergrößerung des Gradienten<br />

der Kalziumkonzentration zwischen<br />

extra- und intrazellulärem Kompartiment,<br />

was den Kalziumeinstrom verstärkt.<br />

Es gibt zahlreiche Publikationen,<br />

die von einer positiven Wirkung der Kalziumgabe<br />

auf die Hämodynamik berichten<br />

[2, 6, 8, 10]. Zudem ist Kalzium schnell<br />

und insbesondere auch im Rettungsdienst<br />

verfügbar. Jedoch ist die Wirkung zeitlich<br />

begrenzt. Die Applikation muss repetitiv<br />

oder kontinuierlich erfolgen (Initialbolus:<br />

6,5–12,5 mmol Ca 2+ , kontinuierlich:<br />

0,25 mmol/kgKG/h Ca 2+ ).<br />

Eine weitere therapeutische Möglichkeit<br />

besteht in der hochdosierten Gabe<br />

von Glukagon. Hierdurch kommt es insbesondere<br />

zur Umgehung der β-Blockade<br />

durch β-Blocker-unabhängige Aktivierung<br />

der Adenylatcyclase über das G-<br />

Protein [15]. Dies bewirkt einen positiv inotropen<br />

und chronotropen Effekt. Die klinische<br />

Evidenz der positiven Effekte einer<br />

Glukagontherapie bei Überdosierungen<br />

mit β-Blockern oder Kalziumantagonisten<br />

ist sehr limitiert und vornehmlich auf<br />

tierexperimentelle Studien beschränkt<br />

[16]. Insofern gibt es auch keine exakte<br />

Kenntnis über die erforderlichen Dosierungen.<br />

Glukagon muss jedoch deutlich<br />

höher dosiert werden als bei der Indikation<br />

Hypoglykämie bei Diabetes mellitus.<br />

Da die Halbwertszeit von Glukagon mit<br />

3–6 min im Blut sehr kurz ist, sollte sich<br />

eine kontinuierliche Gabe <strong>nach</strong> Initialbolus<br />

anschließen [17].<br />

Hochinteressant ist der klinisch-experimentelle<br />

<strong>Therapie</strong>ansatz einer Hochdosisinsulintherapie<br />

(Hochdosis-Insulin-<br />

Euglykämie-<strong>Therapie</strong>, HIE). Kalziumantagonisten<br />

inhibieren zum einen die Insulinfreisetzung<br />

aus den Inselzellen des<br />

Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin 5 · 2016 |<br />

461


Kasuistiken<br />

Pankreas und zum anderen die Phosphatidylinositol-3-Kinase(PI3K)-Kaskade,<br />

die den Einbau von Glukosetransportern<br />

(GLUT-1) in die Zellmembran befördert,<br />

aber auch die Aktivität der endothelialen<br />

NO-Synthetase steigert. Dies führt im Resultat<br />

zu einer verminderten Glukoseutilisation<br />

in den Kardiomyozten. In der Situation<br />

des kardiogenen <strong>Schock</strong>s ist Glukose<br />

das Hauptenergiesubstrat für Kardiomyozyten.<br />

Die HIE wirkt genau diesem<br />

entgegen und führt zu einem gesteigerten<br />

intrazellulären Glukosetransport,<br />

zu vermehrter Inotropie und Vasodilatation.<br />

Zu beachten ist bei dieser <strong>Therapie</strong>,<br />

dass der Effekt erst <strong>nach</strong> etwa 15–60 min<br />

zu erwarten ist. Die <strong>Therapie</strong> soll frühzeitig<br />

begonnen werden, da eine Anpassungen<br />

erst <strong>nach</strong> 30 min erfolgt [18].<br />

Keiner der genannten <strong>Therapie</strong>ansätze<br />

wird in tierexperimentellen und klinischen<br />

Daten als konsistent effektiv beschrieben.<br />

Daher empfiehlt es sich durchaus,<br />

die genannten Antidote bei unzureichendem<br />

<strong>Therapie</strong>ansprechen simultan<br />

im Sinne einer Stufentherapie zu verwenden<br />

[10].<br />

Gemäß Fachinformation ist die intravenöse<br />

Kombination Verapamil und<br />

β-Blocker kontraindiziert. Eine Ausnahme<br />

besteht für die intravenöse Applikation<br />

auf Intensivstation. Die Leitlinien<br />

bezüglich Vorhofflimmern von der European<br />

Society of Cardiology (ESC) sind<br />

bei diesem Thema unscharf formuliert.<br />

Hier wird lediglich erwähnt, dass zur Frequenzkontrolle<br />

bei Vorhofflimmern medikamentöse<br />

Kombinationstherapien (β-<br />

Blocker, Kalziumantagonisten, Digitalis,<br />

Amiodaron, Dronedaron) notwendig<br />

sein können. Dabei wird aber mit der<br />

Ausnahme, dass (β-Blocker und Digitalis<br />

möglicherweise günstig bei Herzinsuffizienz<br />

sind, auf die Kombinationen und<br />

eventuelle Kontraindikationen nicht eingegangen<br />

[19]. Etwas genauer sind in diesem<br />

Punkt die Leitlinien von der American<br />

Heart Association (AHA)/American<br />

College of Cardiology (ACC)/Heart<br />

Rhythm Society (HRS). Hier wird empfohlen<br />

β-Blocker oder Kalziumantagonisten<br />

(bei erhaltener linksventrikulärer<br />

Ejektionsfraktion) mit Digitalis und/oder<br />

Amiodaron zu kombinieren. Dronedaron<br />

wird hingegen nicht zur Frequenzkontrolle<br />

empfohlen [20].<br />

Fazit für die Praxis<br />

55Die simultane Gabe von β-Blockern<br />

und Kalziumantagonisten kann mit<br />

schweren, im Extremfall sogar tödlichen<br />

unerwünschten Wirkungen assoziiert<br />

sein. Sie ist deshalb kontraindiziert.<br />

Formal besteht die Zulassung<br />

für die intravenöse Applikation unter<br />

intensivstationärem Monitoring. Bei<br />

Vorliegen einer akuten Herzinsuffizienz<br />

ist auch die Gabe der Einzelsubstanzen<br />

zur Bradykardisierung bei<br />

Vorhofflimmern kritisch einzusetzen.<br />

55Für den Fall einer akzidentellen Koapplikation<br />

oder einer in suizidaler Absicht<br />

erfolgten Verabreichung von<br />

Kalziumantagonisten vom Nicht-Dihydropyridin-Typ<br />

(Verapamil, Diltiazem)<br />

und einem β-Blocker mit schweren<br />

<strong>nach</strong>folgenden Nebenwirkungen<br />

steht neben der Gabe von Kalzium<br />

und Glukagon in ausreichender Dosierung<br />

auch die hocheffektive „Hochdosis-Insulin-Euglykämie-<strong>Therapie</strong>“<br />

zur Verfügung.<br />

Korrespondenzadresse<br />

Dr. H. Fey<br />

Universitätsklinik für<br />

Notfall- und Internistische<br />

Intensivmedizin<br />

Paracelsus Medizinische<br />

Privatuniversität, Nürnberg,<br />

Klinikum Nürnberg<br />

Prof. Ernst Nathan Str. 1<br />

90419 Nürnberg<br />

aufnahme@<br />

klinikum-nuernberg.de<br />

Einhaltung ethischer Richtlinien<br />

Interessenkonflikt. H. Fey, T. Bertsch, A.T. Geise<br />

und M. Jost geben an, dass kein Interessenkonflikt<br />

besteht. M. Christ hat Vortragshonorare von Roche<br />

Diagnostics und Novartis Pharma GmbH erhalten.<br />

Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen<br />

oder Tieren.<br />

Literatur<br />

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462 | Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin 5 · 2016

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