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DNS Ausgabe Juni 2016

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Recht So!<br />

Drei Flaschen Wodka<br />

und ein<br />

„Wrap Sibirskaja“<br />

Eine Justizgeschichte<br />

von Rechtsanwalt Christoph Rühlmann,<br />

Fachanwalt für Strafrecht<br />

Der Schweiß tropfte Juri in dicken, zähen Tropfen<br />

von der Nasenspitze. Das Salz, das von der Stirn,<br />

über die Schläfen, durch dünne Rinnsale in seine<br />

Augen gespült wurde, brannte. Wütend schleuderte<br />

er derbe Flüche leise vor sich hin. Er verfluchte die<br />

gerade aufgegangene Sonne, die bereits um 7 Uhr<br />

morgens heiß brennend über dem Rhein stand. Der<br />

in der Nacht gefallene Regen verdampfte in grauen<br />

Schwaden, so dass die Luft zum Atmen fast zu<br />

schwer und feucht schien. Er verfluchte die Fliege,<br />

die sich immer wieder penetrant summend in<br />

seinem Gesicht niederlassen wollte und die er durch<br />

ruckartige Kopfbewegungen erfolglos zu verscheuchen<br />

versuchte. Und nicht zuletzt, verfluchte er<br />

diesen schweren, unhandlich zusammengerollten<br />

Teppich, den er mit seinem Freund Alex, an diesem<br />

ruhigen Sonntagmorgen durch die Ufergasse des<br />

kleinen Oberrheindorfes, hin zur Böschung des ruhig<br />

vor sich hin murmelnden Flusses, schleppte.<br />

Fünf Monate später, saß ich als Verteidiger neben<br />

Juri im turnhallengroßen Schwurgerichtsaal des<br />

Landgerichts, in dem die Verbrechen der „schweren<br />

Jungs“ verhandelt werden. Der mächtige, beinahe<br />

einsneunzig große Mann, saß in sich zusammengesackt<br />

neben mir auf der Anklagebank und schilderte<br />

den fünf Richtern der Schwurgerichtskammer sein<br />

bisheriges Leben. Vor 52 Jahren in Sibirien geboren<br />

und dort aufgewachsen, war seine Kindheit unbeschwert<br />

verlaufen. Er hatte dort den Kindergarten<br />

und die Schule besucht. Im Winter hatte er mit den<br />

Kindern aus der Nachbarschaft auf den zugefrorenen<br />

Seen am Stadtrand Eishockey gespielt, an deren<br />

Ufern man im Sommer zeltete und Wettschwimmen<br />

zu den kleinen Felseninseln in der Seemitte<br />

veranstaltete. Es war eine schöne und freie Zeit, so<br />

erzählte er es dem Gericht. Sein Leben schien wie ein<br />

Fluss zu sein, der beständig, ohne Hast und Besonderheit,<br />

dem ihm vorgegebenen Terrain folgt. Nach<br />

der Schule lernte er den Beruf des Bergmanns und<br />

fuhr als Kumpel in die veralteten, lebensgefährlichen<br />

06.<strong>2016</strong><br />

Gruben des westsibirischen Kusbass ein. Er heiratete<br />

ein Mädchen aus der Nachbarschaft, das ihm zwei<br />

Kinder, einen Jungen und ein Mädchen schenkte.<br />

Der Niedergang kam, als er den Wodka lieben lernte.<br />

Erst verlor er seine Arbeit, dann Natascha und die<br />

Kinder, die ihn verließ, weil er sich immer mehr verändert<br />

hatte. Zuletzt verlor er noch seine Heimat, als<br />

er sich seinen Eltern anschloss und als Spätaussiedler<br />

nach Deutschland ging. Er wollte einen Neuanfang,<br />

der aber gründlich misslang. Eine Arbeit fand er<br />

nicht, die deutsche Sprache blieb sein Feind, nur der<br />

Wodka blieb ein steter Begleiter.<br />

Juri stieß erneut einen wüsten Fluch aus. Gerade in<br />

dem Augenblick, als er sich mit Alex der Stelle des<br />

Ufers näherte, wo sie sich ihrer zentnerschweren<br />

Last zu entledigen suchten, die sie bereits fast einen<br />

Kilometer weit geschleppt hatten, war er gestolpert.<br />

Er hatte die Teppichrolle vorne getragen und Alex<br />

hinten, als er mit dem linken Fuß in der Schlinge<br />

einer Baumwurzel hängengeblieben war. Juri stürzte,<br />

weshalb er die Rolle fallen lassen musste, die Alex am<br />

anderen Ende noch zu halten versuchte.<br />

Den beiden lustig plaudernden Mountainbikern, die<br />

den Sonntagmorgen zum Frühsport genutzt hatten<br />

und in diesem Augenblick um die Ecke des Rheinuferweges<br />

bogen, bot sich ein erschreckendes Bild, das<br />

ihnen förmlich die Sprache verschlug: Sie sahen zwei<br />

ungepflegt wirkende, dem Trinkermilieu zugehörig<br />

scheinende Männer, die einen zusammengerollten<br />

Teppich in Richtung Flussböschung trugen. Plötzlich<br />

stolperte der vordere der Beiden, der Teppich glitt<br />

ihm aus den Händen und aus der Röhre rutschte der<br />

Oberkörper einer männlichen Leiche, deren Gesicht<br />

blutverschmiert und von Hämatomen übersät war.<br />

Als die Beweisaufnahme im Saal 104 des Landgerichts<br />

geschlossen wurde, erhob sich der junge<br />

schneidige Staatsanwalt zum Schlussplädoyer. Juris<br />

Geständnis schien die Sache für ihn einfach zu<br />

machen. Juri hatte dem Gericht alles genau erzählt.<br />

Jedenfalls das, woran er sich noch erinnern konnte:<br />

Er, Alex und Paul hatten sich in seiner Wohnung<br />

zum Zechen getroffen, so wie sie dies mehrfach in<br />

der Woche zu tun pflegten. Der Wodka floss reichlich<br />

und am Ende hatte man gemeinsam 3 Flaschen<br />

geleert. Er fiel wie ein Stein in sein Bett, wohingegen<br />

Alex noch im Wohnzimmer, mit der Flasche in<br />

der Hand, auf der zerschlissenen Kunstledercouch<br />

eingedämmert war. Paul schlief auf einer Matratze<br />

im Flur. In der Nacht wachte Juri mit einem üblen<br />

Kratzen im Hals und hämmernden Kopfschmerzen<br />

auf. Er merkte, dass es nicht der Durst war, der ihn<br />

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