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FINE Das Weinmagazin 02/2016

Für den Themenschwerpunkt der 33. Ausgabe beschäftigten sich unsere FINE-Autoren mit dem 700 jährigen Jubiläum des Würzburger Bürgerspitals. Tasting 700 Jahre Bürgerspital Würzburg Weitere Themen sind: Pfalz Das Traditionsweingut Dr. Bürklin-Wolf Priorat Die Pioniere des katalanischen Weinbaugebiets Priorat Starke Typen am Montsant Piemont Pio Bo a vom Weingut Pio Cesare Tasting Solo für Cabernet Franc Wein & Speisen Jürgen Dollase im Restaurant De Librije, Zwolle Südafrika Markus Schneider und der rote Elefant Südafrika Die neue Weltklasse: 4G Wines Rhône Spitzengewächse – nah an der Perfektion Die Pigott Kolumne Streitobjekt Naturwein Frauen im Wein Monika Christmann, Wein-Diplomatin Genießen Schärfe ist nicht gleich Schärfe Das Große Dutzend Château Pichon-Longueville Comtesse de Lalande Porträt Jean-Guillaume Prats von Moët Hennessy Die Würtz Kolumne Fair Trade für Mosel-Winzer? Wein und Zeit Scheu wie Scheurebe

Für den Themenschwerpunkt der 33. Ausgabe beschäftigten sich unsere FINE-Autoren mit dem 700 jährigen Jubiläum des Würzburger Bürgerspitals.

Tasting 700 Jahre Bürgerspital Würzburg

Weitere Themen sind:
Pfalz Das Traditionsweingut Dr. Bürklin-Wolf
Priorat Die Pioniere des katalanischen Weinbaugebiets
Priorat Starke Typen am Montsant
Piemont Pio Bo a vom Weingut Pio Cesare
Tasting Solo für Cabernet Franc
Wein & Speisen Jürgen Dollase im Restaurant De Librije, Zwolle
Südafrika Markus Schneider und der rote Elefant
Südafrika Die neue Weltklasse: 4G Wines Rhône Spitzengewächse – nah an der Perfektion
Die Pigott Kolumne Streitobjekt Naturwein
Frauen im Wein Monika Christmann, Wein-Diplomatin
Genießen Schärfe ist nicht gleich Schärfe
Das Große Dutzend Château Pichon-Longueville Comtesse de Lalande
Porträt Jean-Guillaume Prats von Moët Hennessy
Die Würtz Kolumne Fair Trade für Mosel-Winzer?
Wein und Zeit Scheu wie Scheurebe

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DAS WEINMAGAZIN<br />

Jürgen Dollase im De Librije, Zwolle<br />

Wein und Zeit: Scheu wie Scheurebe<br />

Frauen im Wein: Monika Christmann<br />

Spitzenweine der südlichen Rhône<br />

Stuart Pigott: Streitobjekt Naturwein<br />

Solo für Cabernet Franc<br />

Pfalz: <strong>Das</strong> Weingut Dr. Bürklin-Wolf<br />

Piemont: Pio Cesare<br />

Die neue Weltklasse: 4G Wines<br />

<strong>Das</strong> Priorat und seine grossen Weine<br />

700 JAHRE BÜRGERSPITAL WÜRZBURG


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DAS BÜRGERSPITAL<br />

ZUM HEILIGEN GEIST<br />

Seit 700 Jahren prägt die Stiftung Bürgerspital zum Heiligen Geist die<br />

Stadt Würzburg mit. Weinkultur und soziales Engagement spielen seit<br />

Jahrhunderten die Hauptrolle und machen das Bürgerspital zu einem<br />

Zeugen großer Geschichte. Der eindrucksvolle Bildband erzählt, passend<br />

zum 700-jährigen Jubiläum der Stiftung, von der einmaligen Vergangenheit<br />

und Gegenwart einer eindrucksvollen Verbindung von Wein und<br />

sozialer Fürsorge.<br />

ISBN: 978-3-944628-87-5 € 49,90 (D)<br />

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E U R O P E A N F I N E W I N E M A G A Z I N E D I E G R O S S E N W E I N E D E R W E L T<br />

DAS WEINMAGAZIN<br />

2/<strong>2016</strong><br />

INHALT<br />

12 Pfalz: Dr. Bürklin-Wolf<br />

22 Priorat: Die Pioniere<br />

40 Priorat: Starke Typen 78 700 Jahre Bürgerspital Würzburg<br />

88 Markus Schneider in Südafrika<br />

96 Die neue Weltklasse: 4G Wines<br />

54 Piemont: Pio Cesare 62 Solo für Cabernet Franc<br />

112 Monika Christmann, Wein-Diplomatin<br />

124 Jean-Guillaume Prats<br />

136 Neipperg im Kraichgau<br />

130 Scheu wie Scheurebe<br />

1<strong>02</strong> Rhône: Spitzengewächse<br />

68 Jürgen Dollase im De Librije, Zwolle<br />

9 <strong>FINE</strong> Editorial Thomas Schröder<br />

12 <strong>FINE</strong> Pfalz <strong>Das</strong> Traditionsweingut Dr. Bürklin-Wolf<br />

22 <strong>FINE</strong> Priorat Die Pioniere des katalanischen Weinbaugebiets<br />

40 <strong>FINE</strong> Priorat Starke Typen am Montsant<br />

54 <strong>FINE</strong> Piemont Pio Boffa vom Weingut Pio Cesare<br />

62 <strong>FINE</strong> Tasting Solo für Cabernet Franc<br />

68 <strong>FINE</strong> Wein & Speisen Jürgen Dollase im Restaurant De Librije, Zwolle<br />

78 <strong>FINE</strong> Tasting 700 Jahre Bürgerspital Würzburg<br />

88 <strong>FINE</strong> Südafrika Markus Schneider und der rote Elefant<br />

96 <strong>FINE</strong> Südafrika Die neue Weltklasse: 4G Wines<br />

1<strong>02</strong> <strong>FINE</strong> Rhône Spitzengewächse – nah an der Perfektion<br />

110 <strong>FINE</strong> Die Pigott Kolumne Streitobjekt Naturwein<br />

112 <strong>FINE</strong> Frauen im Wein Monika Christmann, Wein-Diplomatin<br />

118 <strong>FINE</strong> Genießen Schärfe ist nicht gleich Schärfe<br />

120 <strong>FINE</strong> <strong>Das</strong> Große Dutzend Château Pichon-Longueville Comtesse de Lalande<br />

124 <strong>FINE</strong> Porträt Jean-Guillaume Prats von Moët Hennessy<br />

128 <strong>FINE</strong> Die Würtz Kolumne Fair Trade für Mosel-Winzer?<br />

130 <strong>FINE</strong> Wein und Zeit Scheu wie Scheurebe<br />

136 <strong>FINE</strong> Württemberg Erbgraf Karl-Eugen Neipperg im Kraichgau<br />

142 <strong>FINE</strong> <strong>Das</strong> Bier danach Rogg around the Clock<br />

146 <strong>FINE</strong> Abgang Ralf Frenzel<br />

6 7<br />

<strong>FINE</strong> 2 | <strong>2016</strong> <strong>FINE</strong> Inhalt


D I E G R O S S E N W E I N E D E R W E L T<br />

Verehrte Leserin, lieber Leser,<br />

Please enjoy responsibly. www.massvoll-geniessen.de<br />

Taste the now<br />

#moetmoment<br />

mein Freund Gereon ist Architekt,<br />

also zu allem fähig und zu<br />

vielem bereit. Vor einiger Zeit<br />

hat er im brandenburgischen<br />

Umland von Berlin ein idyllisches Grundstück erworben mit einem<br />

kleinen Haus darauf, das er mit viel Phantasie und Knowhow aus einem<br />

fragwürdigen sozialistischen Eigenbau in ein sehr schickes und wohnliches<br />

Heim für sich und seine Frau Kathrin verwandelte. In der Umgestaltung<br />

des großzügigen, aber brachliegenden Grüns rundum bewies er<br />

gärtnerisches Geschick – nur eines ließ er unangetastet: eine alte Laube,<br />

üppig überwuchert von knorrigen, reichtragenden Rebstöcken, die, um<br />

es zurückhaltend zu sagen, ampelographisch nicht einzuordnen waren.<br />

An einem der ersten sonnigen Frühlingstage machte ich ihm meinen<br />

Antrittsbesuch, und nachdem alles bewundernd besichtigt war und wir<br />

uns unter der Laube niedergelassen hatten, rückte Gereon mit einer<br />

Überraschung heraus: Stolz stellte er eine unetikettierte Flasche und<br />

Gläser auf den Tisch. »Probier mal!« Tatsächlich: Er hatte die Laubentrauben<br />

gelesen und sie, nach ein wenig Fachlektüre und dem Gespräch<br />

mit einem Önologen, mit einfachen Mitteln vinifiziert – hundert zwanzig<br />

Bouteillen eines alkoholhaltigen Getränks, das nun mit erfreulich tiefem<br />

Rot in die Gläser floss. Die Nase ließ etwas Spätburgunderhaftes ahnen,<br />

nicht unangenehm. Aber dann: Nur um den Preis, unsere Freundschaft<br />

dranzugeben, hätte ich den ersten Schluck verweigern können.<br />

Nun gut: Was dem Wein an Frucht und Dichte fehlte, machte er mit<br />

spitzen Säuren wett. Dann servierte die sorgliche Hausfrau Kartoffelsuppe<br />

und Leberwurst brote, und es dauerte nicht lang, bis die Flasche<br />

trotzdem leer und wir alle bestens gelaunt waren. Ein schönes Erlebnis<br />

am Urquell des Weinbaus gewissermaßen, das mich post festum etwas<br />

nach denklich werden ließ.<br />

Denn ich erinnerte mich, dass ich etliche Jahrzehnte zuvor mit ähnlichen<br />

Empfindungen bei Reisen durch China Wein getrunken hatte.<br />

Zwar kreisten auch damals schon, im Bankers Club in Peking etwa, die<br />

Petrus­ Flaschen, aber im Lande selbst war solcher Luxus völlig unbekannt.<br />

Heute stellt sich das ganz anders dar: <strong>Das</strong> alte Reich der Mitte,<br />

dessen nach Jahrtausenden messende Weinkultur immer wieder in zeitweiten<br />

Abständen in Vergessenheit geraten war, erscheint gegenwärtig<br />

im Urteil so gut wie aller westlichen Experten als Weinland der Zukunft –<br />

mit sämtlichen Verheißungen, die mit einer solchen Einschätzung einhergehen.<br />

Dabei haben die Chinesen klug gehandelt: Grob zusammengefasst,<br />

begannen sie, westliche Weine kennen und genießen zu lernen, steigerten<br />

die Importe, sodass sie als Markt Interesse fanden, dann wechselten erste<br />

europäische Weingüter in chinesischen Besitz und leiteten damit einen<br />

gewaltigen Transfer önologischen und weinkulturellen Wissens ein, der<br />

zu Gründungen von Premiumweingütern chinesischer Produzenten in<br />

geeigneten Regionen des riesigen Landes führte – und heute sind europäische<br />

und außereuropäische Erzeuger erstklassiger Gewächse dabei,<br />

dort selber große Dependancen zur Herstellung chinesischer Terroirweine<br />

zu installieren.<br />

Der gönnerhafte Blick westlicher Kenner auf das von Beginn an von<br />

beträchtlichen Vermögen beflügelte Erwachen der fernöstlichen Lust am<br />

Wein ist hierorts jedenfalls einem sehr wachen Sinn für die geschäftlichen<br />

Aspekte dieses Aufstiegs gewichen. Wie anders wäre denn zu bewerten,<br />

dass der italienische Premier Matteo Renzi höchstselbst auf der letzten<br />

Vinitaly in Verona dem chinesischen Milliardär und Chef der Alibaba­<br />

Gruppe Jack Ma die Aufwartung machte und für den vermehrten Export<br />

italienischer Weine nach China warb – und Ma eine Einfuhrsteigerung<br />

von sechs auf sechzig Prozent in Aussicht stellte? Und wie anders soll man<br />

bewerten, dass etwa Moët Hennessy bei Shangri-La in der Provinz Yunnan<br />

am Fuß des Himalaya begonnen hat, Premium-Rotweine zu erzeugen?<br />

Ich bin sicher, wir werden noch sehr viel Spaß mit und bei Weinen aus<br />

China haben. Weshalb sich Fine dieser spannenden Entwicklung demnächst<br />

annehmen wird.<br />

Auch der Wein meines Freundes Gereon wird durch wachsende<br />

Erfahrung des Winzers gewinnen. Und wenn nicht: Was spräche da gegen,<br />

dass wir uns mit einer anständigen Flasche aus dem Reich hinter der<br />

Großen Mauer in die Weinlaube zurückziehen? Dann trinken wir einander<br />

zu – und wie weiland ein deutscher Kanzler sagen wir nur »China,<br />

China, China«.<br />

Thomas Schröder<br />

Chefredakteur<br />

<strong>FINE</strong><br />

Editorial<br />

9


Bestens eingespielt ist das Team von Bettina Bürklin-von Guradze,<br />

die das traditionsreiche Familienweingut vor einem guten Vierteljahrhundert<br />

von ihrer Mutter übernahm: Außenbetriebsleiter<br />

Alexander Strohschneider ebenso wie Kellermeister Nicola Libelli<br />

und Geschäftsführer Steffen Brahner, mit dem sich die Chefin seit<br />

2008 die Verantwortung teilt.<br />

Die Kunst der<br />

Einfühlung<br />

Die gewaltigen trocknen Rieslinge<br />

des Traditions weinguts Dr. Bürklin-<br />

Wolf im pfälzischen Wachen heim<br />

spielen heute weltweit wieder ganz<br />

oben mit. In einem gut fünfund zwanzig<br />

Jahre währenden Prozess hat Bettina<br />

Bürklin-von Guradze den Familienbetrieb<br />

von Grund auf erneuert.<br />

Von Till Ehrlich<br />

Fotos Arne Landwehr<br />

12 13<br />

<strong>FINE</strong> 2 | <strong>2016</strong> <strong>FINE</strong> Pfalz


Arbeitsintensiv: Der steinige Schieferboden mit dem katalanischen<br />

Namen Llicorella ist typisch für das Priorat.<br />

Zum Pflügen der steilen Terrassen von Alvaro Palacios’<br />

Lage L’Ermitage kommt das Maultier zum Einsatz.<br />

<strong>Das</strong> Priorat<br />

und seine<br />

Pioniere<br />

Spaniens Weinbau hat in den vergangenen Jahrzehnten herausragende<br />

Erfolgs geschichten erlebt: Zuerst die Renaissance des<br />

uralten Anbau gebiets von Ribera del Duero in Kastilien im Nordwesten<br />

und dann die Wieder entdeckung des Priorat in Katalonien im<br />

Nordosten. <strong>Das</strong> neue Priorat war das Werk einer Gruppe von jungen<br />

Wein-Abenteurern, die voller Begeisterung in die wilden Berge bei<br />

Tarragona gezogen sind, um dort eine neue Zeit zu eröffnen.<br />

Von Christian Volbracht<br />

Fotos Rui Camilo<br />

22 23<br />

<strong>FINE</strong> 2 | <strong>2016</strong> <strong>FINE</strong> Priorat


Rekordverdächtig: Nicht weniger als zwanzig Weingüter<br />

kommen in dem Dorf Gratallops im Hinterland von Tarragona<br />

auf gerade mal zweihundert Einwohner. Die »Großen Fünf«<br />

des Priorat sind alle in dem mittelalterlich anmutenden Ort<br />

oder in der unmittelbaren Nachbarschaft angesiedelt.<br />

Man kann die Entdeckungsreise ins Priorat eigentlich nur an zwei Orten beginnen: An den Ruinen des Kartäuserklosters von Escaladei,<br />

wo Mönche im 12. Jahrhundert den Ruf der schweren schwarzen Weine des Priorat begründeten, oder im nahen Dörfchen Gratallops bei<br />

René Barbier, dessen Name wie kein anderer für den Neuanfang des Weinbaugebiets steht. Ich strebe als erstes zum Kloster der Mönche<br />

und ihrem alten Kellergewölbe aus dem 17. Jahrhundert, der jetzt zum Weingut Cellers de Scala Dei gehört. »Wir sagen hier Priorat, denn<br />

Priorato ist spanisch«, betont der freundliche Kellermeister. Ja, wir sind in Katalonien. Die Forderung nach Unabhängigkeit von Spanien<br />

war groß auf einer Mauer an der kurvenreichen Straße zu lesen, die bis zum Fuß der mächtigen Bergkette von Montsant führt.<br />

Die Tour ging von Barcelona und an der<br />

Küste bei Tarragona hinauf in ein karges<br />

und grandioses, zweihundert Quadratkilometer<br />

großes Hochplateau mit steinigen Weinterrassen<br />

und malerischen, verschlafen wirkenden<br />

Dörfern. Der Weg ist gesäumt von felsigen Hängen<br />

mit Pinien, Olivenhainen und Haselnuss plantagen,<br />

Feigen- und Mandelbäumen. Die gebänderten Felsketten<br />

des Montsant beschließen den Blick nach<br />

Norden. Über dem Kloster wölbt sich der Fels<br />

faltig wie staubige Elefantenhaut in den Himmel.<br />

Es ist Frühling, die ideale Zeit um zu erkunden, wie<br />

sich das Priorat in drei Jahrzehnten als eines der<br />

groß artigsten iberischen Weinbaugebiete etabliert<br />

hat. In den Weinbergterrassen leuchten die jungen<br />

Blätter im Gegenlicht wie auf Perlenschnüre gezogen.<br />

Roter Mohn und gelber Ginster blühen an den<br />

Straßen. Es riecht nach Thymian, Rosmarin und<br />

Lavendel. An den Bäumen reifen Mandeln und die<br />

ersten Feigen. Ein Mann pflügt mit einem Maultier<br />

den steinigen Boden zwischen den Weinstöcken um.<br />

Ausschlaggebend für die Qualität der Weine<br />

des Priorat ist der einzigartige Boden, ein meist<br />

dunkel brauner, in der Sonne funkelnder Quarzschiefer<br />

mit dem Namen Llicorella, der den Weinen<br />

intensive Mineralität verleiht. In einigen Gebieten<br />

ist der Schiefer mehr eisen- oder mehr silizium haltig,<br />

im Süden und am Montsant-Gebirge im Norden<br />

kommen tonige Erden dazu. Die Temperaturen<br />

im Sommer erreichen bis zu vierzig Grad, sinken<br />

nachts aber auch um fünfzehn bis zwanzig Grad<br />

ab. Die scharfen Nordwestwinde werden durch<br />

die Brise des nur zwanzig Kilometer ent fernten<br />

Mittel meers im Osten abgemildert. Trotz der geringen<br />

Regenmengen von vier- bis fünfh undert Millimetern<br />

pro Jahr bekommen die Wein stöcke genug<br />

Wasser. Ihre Wurzeln arbeiten sich tief durch die<br />

Schichten des bröckeligen Schiefers. Am prägnantesten<br />

drücken sich die Böden in den traditionellen<br />

roten Rebsorten Garnacha (Grenache) und<br />

Cariñena (Carignan) aus, die hier in Katalonien<br />

Garnatxa und Samsó heißen.<br />

Die Mönche hatten ihre einsame Kartause mit<br />

Genehmigung von König Alfons dem Keuschen in<br />

einer Gegend gegründet, wo schon die Römer Weinbau<br />

betrieben. Vom 8. bis zum 12. Jahr hundert war<br />

das Land aber von muslimischen Mauren aus Nordafrika<br />

beherrscht worden, denen der Koran den<br />

Alkoholkonsum verbot. So begannen die Mönche<br />

unter Leitung eines Priors erneut mit der Weinkultur.<br />

Ihr Kloster nannten sie Scala Dei, Himmelsleiter,<br />

weil ein Hirte im Traum von einer hohen<br />

Pinie aus Engel auf einer Leiter in den Himmel<br />

steigen sah – ähnlich, wie es der biblische Jakob<br />

geträumt hatte.<br />

Die klösterliche Gemeinschaft unter dem<br />

Prior, das »Priorat«, beherrschte die<br />

Region, erließ Gesetze und trieb von den<br />

Bauern die Zehntabgaben ein, also Steuern in Form<br />

von Wein, Oliven oder Feldfrüchten. Über Jahrhunderte<br />

wurden diese Privilegien unter königlicher<br />

Protektion ausgebaut, trotz wachsenden Protesten,<br />

Klagen und Sabotageakten. Doch im Jahr 1835<br />

wurden alle Klöster in Spanien enteignet. Schon<br />

einen Tag nach der Abreise der Mönche begannen<br />

die Bauern, das Kloster zu plündern, später zu<br />

brandschatzen und den Weinbau in eigener Regie<br />

zu übernehmen.<br />

Der dunkle, fast schwarze Wein der Kartause<br />

von Scala Dei war für seine Kraft und Stärke<br />

berühmt, er galt sogar eher als Arznei denn als<br />

Getränk. Jeder müsse selbst wissen, wie viel Wein er<br />

verträgt und besonders den Priorato entsprechend<br />

verdünnen, bemerkte im 14. Jahrhundert der katalanische<br />

Franziskaner Francesc Eiximenis in einem<br />

Buch zum Thema Völlerei. Der dicke Schwarze<br />

erreichte auch im 19. Jahrhundert noch achtzehn<br />

Prozent Alkohol. Damals erlebten die Weinbauern<br />

des Priorat eine Art Goldrausch des Exports, als die<br />

Reblausplage 1868 Frankreich erreichte und dort<br />

die Weinberge vernichtete. Doch fünfundzwanzig<br />

Jahre später begann die Phylloxera auch im Priorat<br />

ihr zerstörerisches Werk. Die Reb fläche von rund<br />

fünftausend Hektar wurde vernichtet, die meisten<br />

Weinbauern gaben auf, andere setzten beim Neupflanzen<br />

vor allem auf die robusten und ertragreichen<br />

Cariñena-Reben.<br />

<strong>Das</strong> auf die Kartäusermönche zurückgehende<br />

Weingut von Scala Dei blieb das einzige, das mit<br />

interessanten Neuerungen aufwartete. Schon 1870<br />

wurden Weine auf Flaschen gezogen, die bei der<br />

Pariser Weltausstellung von 1878 eine Medaille<br />

errangen. 1953 bekam das Priorat, das fast voll ständig<br />

vom Anbaugebiet Montsant um schlossen ist, die<br />

geschützte Herkunftsbezeichnung Denominación<br />

de Origin (DO). <strong>Das</strong> zwanzigtausend Hektar große<br />

Gebiet war damals zu etwa zehn Prozent mit Wein<br />

bepflanzt. 1960 begannen die Besitzer von Scala<br />

Dei, Hanglagen in Terrassen umzuformen, um die<br />

Erträge zu steigern. Neue Besitzer brachten mit<br />

dem Jahrgang 1974 einen Wein namens Cartoixa<br />

(Kartause) auf den Markt: Der fast ausschließlich<br />

aus Garnacha-Trauben gekelterte Wein zeigte als<br />

Erster, dass im Priorat sehr gute Qualitätsweine aus<br />

den heimischen Rebsorten erzeugt werden konnten.<br />

In den Cellers de Scala Dei kann man immer noch<br />

ein paar inzwischen stark gealterte Flaschen des<br />

Jahrgangs 1974 erwerben. Auch hier brachte die<br />

Erweckung des Priorat vor mehr als fünfundzwanzig<br />

Jahren den Durchbruch zur Erzeugung viel besserer<br />

Weine. Jung und kraftvoll zeigt sich der Jahrgang<br />

2013. Er duftet und schmeckt, als würde man<br />

in reife schwarze Kirschen und Pflaumen beißen,<br />

bietet dann aber auch die schöne mineralische<br />

Struktur der alten Garnacha- und Cariñena-Reben.<br />

24 25<br />

<strong>FINE</strong> 2 | <strong>2016</strong> <strong>FINE</strong> Priorat


»Sein Herz<br />

hat der<br />

Nebbiolo<br />

hier, er<br />

spricht die<br />

Sprache<br />

unserer<br />

Hügel«<br />

Der piemontesische Winzer Pio Boffa<br />

vom Weingut Pio Cesare in Alba will<br />

ein Botschafter des Barolo sein<br />

Von Rainer Schäfer<br />

Fotos Thilo Weimar<br />

Wie ein grünes Tuch bedecken die Rebzeilen den Weinberg<br />

Ornato in der Gemarkung Serralunga, die wie<br />

Castiglione Falletto zu dem Anbaugebiet Barolo zählt.<br />

»Du willst also, dass ich vom Barolo erzähle?«, fragt Pio Boffa und blickt über den Rand seiner dunklen Hornbrille,<br />

als müsse er eine besonders heikle Aufgabe lösen. Aber er ziert sich nur kurz, schon nach wenigen Sekunden<br />

signalisiert er seine Bereitschaft: »Meinetwegen, meinetwegen.« Er müsse aber vorausschicken, dass es<br />

nicht einfach sei mit dem König der Weine: Über den Barolo wurde gestritten wie über keinen anderen Wein,<br />

ein heftiger Kulturkampf war um ihn entbrannt, dessen Nachwirkungen noch heute zu spüren sind. Wer aber<br />

wäre besser geeignet, dieses Drama zu erzählen, als Pio Boffa? Ein eloquenter und umsichtiger Winzer, der<br />

nie einem Lager der zerstrittenen Barolisti angehört hat. Mit kehliger Stimme fängt er an zu referieren, bald<br />

schwirren Namen und Zahlen durch den Raum; immer wieder schlägt er mit der flachen Hand auf den Holztisch,<br />

um die Bedeutung der Geschichte zu unterstreichen. Pio Boffa hat die graumelierten Haare nach hinten<br />

gestrichen, er ist klein und untersetzt, an seinem Bauch ist unschwer zu erkennen, dass er gerne genießt. Immer<br />

wieder klingelt das Telefon, »Pronto«, brummt er zur Begrüßung. Aber wenn ihm das Gespräch zu lange<br />

dauert, fährt er mit der rechten Hand durch die Luft, als wolle er die Störung wegwischen wie lästige Fliegen.<br />

54 55<br />

<strong>FINE</strong> 2 | <strong>2016</strong> <strong>FINE</strong> Piemont


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2. Preis: Die Bücher »Bürgerspital Würzburg« und<br />

»Kloster Eberbach«, im Gesamtwert von 99,80 Euro<br />

3. Preis: <strong>Das</strong> Buch »Marchesi Antinori«,<br />

im Wert von 69,90 Euro<br />

4–6. Preis: <strong>Das</strong> Buch »Planet Riesling« von Fine-Kolumnist<br />

Stuart Pigott, im Wert von je 29,90 Euro<br />

7–10. Preis: <strong>Das</strong> Buch »Ragout vom Mammut« von Kabarettist<br />

Philipp Weber, im Wert von je 19,90 Euro<br />

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wir Sie im Fall eines Gewinns benachrichtigen können.<br />

Einsendeschluss ist der 15. August <strong>2016</strong>.<br />

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Die Steinharfe, das Filetstück der weltberühmten Würzburger Lage<br />

Stein, befindet sich im Alleinbesitz des Bürgerspitals. Weingutsleiter<br />

Robert Haller, Stiftungsdirektorin Annette Noffz und Hugh Johnson<br />

posieren vor der Vitrine mit der letzten Flasche des Stein weins<br />

von 1540, zu dem der britische Weinkritiker seit einer denk würdigen<br />

Verkostung im Jahr 1961 eine besondere Beziehung hat.<br />

700 Jahre<br />

Bürgerspital Würzburg<br />

Von Michael Schmidt<br />

Fotos Christof Herdt<br />

Siebenhundert Jahre und kein bisschen müde – auch so hätten Stiftungsdirektorin Annette<br />

Noffz und Weingutsleiter Robert Haller die Einladung zur Siebenhundert-Jahr-Feier des<br />

Würzburger Bürgerspitals überschreiben können. Aus diesem Anlass findet im Lauf dieses<br />

Jahres eine ganze Reihe von Veranstaltungen statt. Einer der Höhepunkte: Eine Verkostung<br />

ausgewählter Weine aus der Schatzkammer des Gutes, die am 19. März namhafte Ver treter<br />

der deutschen und internationalen Weinmedien sowie des Fachhandels in den Räumlichkeiten<br />

der ehrwürdigen Würzburger Institution versammelte.<br />

Zur Pflege der »bresthaften Christgläubigen«<br />

hatte das Bürgerpaar Johannes<br />

und Mergardis von Steren im Jahr 1316 vor<br />

den Toren Würzburgs ein Spital im Rahmen einer<br />

Stiftung erbauen lassen. Die frühen Dotationen<br />

von Weinbergen waren in erster Linie zum finanziellen<br />

Unterhalt des Spitals gedacht, wobei aber<br />

eine ge hobene Qualität der erzeugten Weine auch<br />

zu gehobenen Einnahmen geführt haben dürfte.<br />

Mit seinem Vortrag in der ehrfurchtgebietenden<br />

Atmos phäre der Spitalkirche fasste Robert Meier,<br />

Lehr beauftragter am Institut für Geschichte der<br />

Universität Würzburg, die Gesamtheit der Aspekte<br />

zusammen, die, ausgehend vom wohltätigen Grundgedanken,<br />

die Geschicke des Spitals und der Stiftung<br />

von der Gründung bis zum heutigen Tage beeinflussten<br />

und bestimmten.<br />

Nach diesem fundierten Einblick in das<br />

fortwährende Wechselspiel der Geschichte des<br />

Bürgerspitals konnten sich die Teilnehmer ganz<br />

der Ver kostung ausgewählter Pretiosen aus der<br />

Schatzkammer des Gutskellers widmen. In mehreren<br />

intensiven Vorproben hatten Robert Haller<br />

und sein Team unter dreihundert verschiedenen<br />

Weinen aus einhundertzehn Jahren die interessantesten<br />

zur sensorischen Begutachtung durch<br />

das erfahrene Publikum gekürt. Von den deutschen<br />

Gästen waren fast alle Namen der nationalen<br />

Weinkritiker elite vertreten. Aus dem Ausland<br />

waren dem Ruf des Bürger spitals solch renommierte<br />

Persönlich keiten gefolgt wie Sarah Jane Evans MW,<br />

Chair(wo)man des Institute of Masters of Wine,<br />

Serena Sutcliffe MW, vierundzwanzig Jahre lang<br />

verantwortliche Direktorin von Sotheby’s Weinauktionen,<br />

und der Godfather der internationalen<br />

Weinschreiberzunft, Hugh Johnson MBE.<br />

Hugh Johnson war es auch, der während des<br />

abschließenden kulinarischen Teils der Festlichkeiten<br />

mit seinen Erinnerungen an die Verkostung<br />

des 1540er Steinweins die anwesende Weinprominenz<br />

in seinen Bann schlug. Schon mit einundzwanzig<br />

Jahren hatte ihm sein frühes Interesse am<br />

Wein eine Position bei der International Wine<br />

and Food Society eingebracht und ihm damit<br />

das Tor zu dieser exklusiven Probe im Jahr 1961<br />

in London geöffnet. An jedes Detail dieser spannenden<br />

Ver kostung erinnerte er sich, von der Einweisung<br />

durch den erfahrenen Probeleiter über<br />

das Ritual der Flaschen öffnung bis zu der überwältigenden<br />

Offenbarung von mehr als vier hundert<br />

Jahren Wein geschichte. Seine mit britischem<br />

Humor und jungenhafter Begeisterung vorgetragene<br />

Anekdote vom Öffnen der Flasche ließ den<br />

hingerissenen Zuhörern schon den Atem stocken –<br />

aber der Korken hatte gehalten! Die dunkle Bernsteinfarbe<br />

der entströmenden Flüssigkeit leuchtete<br />

noch einmal in kurzem Schimmer, bevor sie<br />

vor den Augen der von Ehrfurcht ergriffenen Teilnehmer<br />

ermattete. Der erste dezente Hauch des<br />

Aromas habe den jungen Johnson an einen gereiften<br />

Madeira erinnert, ein schnelles Umspülen der<br />

Zunge eine ölige Konsis tenz und einen nussigen<br />

Geschmack mit einer Ahnung von Restsüße offenbart,<br />

bevor der Steinwein jäh in die Ungenießbarkeit<br />

abgestürzt sei. •<br />

78 79<br />

<strong>FINE</strong> 2 | <strong>2016</strong> <strong>FINE</strong> Tasting


Markus<br />

Schneider<br />

und der<br />

rote Elefant<br />

Im südafrikanischen Weingut Kaapzicht von Danie<br />

Steytler erweitert der Pfälzer seinen Winzerhorizont<br />

Von Rainer Schäfer<br />

Fotos Rui Camilo<br />

»Der Koloss war lange vor den Menschen da«. Der<br />

Olifant Rock, der gewaltige Granitbrocken mitten<br />

im Weinberg, stand Pate für den kräftigen Rotwein<br />

Vet Rooi Olifant, eine Cuvée aus Merlot, Cabernet<br />

Sauvignon, Shiraz und Pinotage.<br />

88 89<br />

<strong>FINE</strong> 2 | <strong>2016</strong> <strong>FINE</strong> Südafrika


Frauen im Wein<br />

Sechsundzwanzigste Folge<br />

Monika Christmann, die einst selbst an der Hochschule<br />

Geisenheim studiert hat, leitet heute dort das Institut<br />

für Önologie. Im eigenen VDP-Weingut werden neben<br />

Rot- und Weißweinen auch Sekte erzeugt.<br />

Auf<br />

inter natio nalem<br />

Parkett<br />

Monika Christmann ist die rang ­<br />

höchste Diplomatin in Sachen Wein<br />

An der Spitze der weltweit wichtigsten Weinorganisation steht eine Deutsche: Die Geisenheimer<br />

Professorin Monika Christmann, die seit dem 10. Juli 2015 Präsidentin der Organisation<br />

Internationale de la vigne et du vin (OIV) ist, eine »Frau im Wein« zu nennen, ist spätestens<br />

seit diesem Datum stark untertrieben. Denn nun ist sie die oberste Hüterin der gesamten<br />

Weinbranche, ihrer Praktiken und Verfahren, sogar der Definition des Weins selbst.<br />

Von Stefan Pegatzky<br />

Fotos Alex Habermehl<br />

Von Montabaur im Westerwald bis Geisenheim im Rheingau sind es noch nicht einmal achtzig Kilometer. In<br />

Geisenheim wurde man traditionell Winzer, in Montabaur Töpfer. Monika Christmann, die aus dem Westerwald<br />

stammt, wollte eigentlich Archäologin werden. <strong>Das</strong> wurde ihr ausgeredet – »so ein langes Studium,<br />

so eine staubige Arbeit« −, und so begann sie ein Studium der Getränketechnologie in Geisenheim. Dazu<br />

ge hören umfangreiche Praktika: Drei Monate lernte sie die Arbeit bei einem Mineralwasserabfüller kennen,<br />

drei Monate in einer Brauerei und sechs Monate in einem Weingut. Der Wein faszinierte sie, und so folgte<br />

ein Aufbaustudium der Önologie.<br />

112 113<br />

<strong>FINE</strong> 2 | <strong>2016</strong> <strong>FINE</strong> Frauen im Wein


Grosse<br />

<strong>Das</strong><br />

Dutzend<br />

Château Pichon-Longueville<br />

Comtesse de Lalande, Pauillac<br />

Von seinen zahlreichen Verehrern wird Château<br />

Pichon-Longueville Comtesse de Lalande nur zärtlich<br />

»Comtesse« genannt. Nicht zu verwechseln ist<br />

das bei dem Städtchen Pauillac gelegene Château mit<br />

dem Gut Pichon-Longueville, mit dem es bis zur Mitte<br />

des 19. Jahrhunderts eine Einheit bildete. Die gemeinsame<br />

Geschichte begann Ende des 17. Jahrhunderts, als<br />

ein vermögender Händler aus Bordeaux das An wesen<br />

begründete. Heute trennt die zwei rivalisierenden<br />

Güter, beide als Deuxièmes Crus eingestuft, nicht<br />

nur die Departementstraße D2; sie liegen in unmittelbarer<br />

Nachbarschaft zum berühmten Château Latour<br />

und an der Grenze zur Appellation Saint-Julien. Mit<br />

May- Eliane de Lencquesaing, die das Château ab 1978<br />

führte, eroberte die »Comtesse« nach einer schwächeren<br />

Periode wieder eine formidable Position unter<br />

den besten Weingütern in Pauillac. Mutig investierte<br />

Madame in die Bewirtschaftung ihrer Weinberge und<br />

modernisierte umsichtig Anwesen und Keller: Maßnahmen,<br />

die sich auszahlten sollten. 2007 entschied sie<br />

sich zum Verkauf des Châteaus an das Champagnerhaus<br />

Louis Roederer: Sie wolle damit seine Zukunft<br />

sichern. Um die muss einem nicht bange sein: Schon<br />

die ersten Jahrgänge unter dem neuen Eigentümer<br />

zeigen, mit welch hohen Ansprüchen die »Comtesse«<br />

diese Ära angeht.<br />

Von Rainer Schäfer<br />

Fotos Guido Bittner<br />

120 121<br />

<strong>FINE</strong> 2 | <strong>2016</strong> <strong>FINE</strong> E EN


Daniel Deckers<br />

wein und zeit xix<br />

Scheu<br />

wie Scheurebe<br />

Georg Scheu, der »Altmeister des deutschen Weinbaus«,<br />

im Spiegel seiner Zeit<br />

Als Georg Scheu am 2. November 1949 im rheinhessischen Alzey starb, galt der Siebzig jährige als »Altmeister des Weinbaus« schlechthin<br />

– nachzulesen in einem bewegenden Nachruf, der kurz danach in der Zeitschrift »Der Weinbau« erschien. Verfasst hatte die Eloge<br />

Wilhelm Heuckmann, eine der bekanntesten und einflussreichsten Persönlichkeiten des deutschen Weinbaus. Fast zehn Jahre lang, von<br />

1936 bis 1945, hatte er die Unter abteilung Weinbau des nationalsozialistischen Reichsnährstands in Berlin geleitet. Davor hatte der 1897<br />

geborene Diplom-Landwirt die Führung der Staatlichen Rebenveredelungsanstalt in Bernkastel-Kues innegehabt. Noch mehr von Rebenzüchtung<br />

verstand indes der zwanzig Jahre ältere Georg Scheu, seit den Tagen des Ersten Weltkriegs Leiter der Rebenzucht anstalt im rheinhessischen<br />

Alzey. Die beiden Männer wurden Freunde. Nun war Scheu tot, Heuckmanns Karriere aber längst nicht zu Ende. Obwohl er<br />

am 1. April 1933 in die NSDAP eingetreten war, sich sogar schon 1923 der Ortsgruppe Bonn angeschlossen hatte, war er 1949 Geschäftsführer<br />

der Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Weinbauverbände.<br />

Foto: Museum der Stadt Alzey<br />

Von gewaltigem Respekt vor Georg Scheus<br />

Lebensleistung zeugt auch der Nachruf,<br />

den Hans Breider, sein Nachfolger in der<br />

Alzeyer Rebenzüchtung, in der Zeitschrift »<strong>Das</strong><br />

Weinblatt« veröffentlichte. Der habilitierte Biologe,<br />

Jahrgang 1908, wusste auch, dass Scheus<br />

Leben »ein Kampf« gewesen sei. Doch wofür<br />

oder wo gegen? Die be lastete Metapher hatte er<br />

wohl kaum unbewusst verwendet, zumal er selbst<br />

ebenfalls zu kämpfen gelernt hatte. Parallel zu seiner<br />

akade mischen Laufbahn an der Uni versität Braunschweig<br />

und dann am Kaiser- Wilhelm- Institut für<br />

Züchtungsforschung in Müncheberg (Mark) hatte<br />

er der NSDAP, der SA (November 1933) und der<br />

SS (Februar 1934) angehört und war während<br />

des Krieges an verschiedenen Fronten im Einsatz<br />

ge wesen. Georg Scheu hingegen, geboren 1879, war<br />

weder im Ersten noch im Zweiten Weltkrieg Soldat.<br />

Seine Gegner, so wollte Breider wissen, seien über<br />

mehr als dreißig Jahre die »hemmenden Kräfte des<br />

Weinbaus in Rheinhessen« gewesen.<br />

Kein kämpferischer oder auch bewegender<br />

Nachruf indes in der »Deutschen Wein zeitung«.<br />

Georg Scheus Tod wurde mit wenigen dürren Zeilen<br />

in der Rubrik »Todesfälle« vermerkt, und das nach<br />

fast vier Wochen. Die sechszeilige Meldung schloss<br />

mit dem Satz: »Der deutsche Weinbau verliert<br />

mit Georg Scheu einen seiner Pioniere.« Mehr<br />

Ehre wollte Eduard Goldschmidt, übrigens ein<br />

Vetter Carl Zuckmayers, dem Rebenzüchter nicht<br />

er weisen. Warum auch? 1947 war der in Würzburg<br />

promovierte Volkswirt als Nachfolger seines<br />

Vaters Herausgeber und Chefredakteur der ältesten,<br />

1864 gegründeten Weinzeitschrift Deutschlands<br />

ge worden. Konsul Fritz Goldschmidt, der aus einer<br />

jüdischen, zum evangelischen Glauben konvertierten<br />

Familie stammte, war 1933 als Chef redakteur der<br />

DWZ abgesetzt worden. Bis zu seinem Tod im Jahr<br />

1944 musste er mit ansehen, wie die vom Reichsnährstand<br />

installierte Redaktion um Hauptschriftleiter<br />

Robert Dünges seine Zeitung zu einem antijüdischen<br />

Hetzblatt machte. Leitartikel wie »Ein<br />

Wein – ein Blut – ein Geist – ein Lebenswille«<br />

erschienen auch noch, als der Krieg verloren war.<br />

Wussten die Goldschmidts womöglich mehr über<br />

Georg Scheu, und Eduard zog es vor zu schweigen?<br />

Wenn ja, so schwieg nicht nur er. Bis<br />

heute ist die Literatur über Georg<br />

Scheu mindestens so voller Lücken wie<br />

voller Bewunderung – doch nicht nur über ihn.<br />

Auf beklemmende Weise ähnelt sie dem Schriftgut<br />

über seinen Zeitgenossen und Rebenzüchter-<br />

Kollegen, den Österreicher Fritz Zweigelt (1888 bis<br />

1964). Scheu hatte nach Lehr- und Wanderjahren<br />

als Garten- und Weinbauer in Hannover, Schierstein<br />

und Geisenheim sowie am Kaiser- Wilhelm-<br />

Institut für Züchtungsforschung in Bromberg<br />

im Jahr 1909 die Stelle eines Sachbearbeiters für<br />

Wein- und Obstbau in der Landwirtschafts kammer<br />

Hessen- Darmstadt mit Sitz in Alzey angetreten und<br />

in den folgenden Jahren als Weinbau- Wanderlehrer<br />

den Weinbau in Rheinhessen so gründlich kennengelernt<br />

wie kaum jemand. 1916 war er am Ziel:<br />

Er übernahm die Leitung der Rebenzuchtanstalt<br />

in Alzey und begann sofort, mit der Kreuzung<br />

von Reben zu experimentieren. Wie Wilhelm<br />

Heuckmann trat er 1933, wenige Wochen nach der<br />

»Machtergreifung«, in die NSDAP ein – zuvor war<br />

das Beamten wie ihm verboten. Fritz Zweigelt, habilitierter<br />

Pflanzenphysiologe, leitete von 1922 an die<br />

Bundesrebenzüchtungsstation in Klosterneuburg<br />

und trat 1933 in Österreich in die NSDAP ein. Der<br />

Lohn war die Direktorenstelle in Klosterneuburg,<br />

mit der der glühende Nazi unmittelbar nach dem<br />

»Anschluss« Österreichs betraut wurde. Nach dem<br />

Krieg wurde es still um ihn – doch sein Name lebt<br />

in einer Rotweinrebe fort, die von ihm gezüchtet<br />

wurde und seit 1975 nicht mehr Rot burger heißt,<br />

sondern Zweigelt.<br />

Und der Name Scheu lebt in der Scheurebe<br />

fort – womöglich gegen seinen Willen.<br />

Denn solange es noch nach ihm ging, hieß<br />

sie »Dr.-Wagner- Rebe«. Richard Wagner, 19<strong>02</strong><br />

in Colmar geboren und seit 1930 Mitglied der<br />

NSDAP, war von 1933 bis 1945 unter anderem<br />

Landesbauern führer Hessen- Nassau und in dieser<br />

Eigenschaft der direkte Vorgesetzte von Georg<br />

Scheu. Ideologische Differenzen zwischen den<br />

beiden Männern scheint es nicht gegeben zu haben:<br />

»Politisch unbedingt zuver lässig«, heißt es in einer<br />

undatierten Beur teilung von Wagner, die sich in<br />

Scheus Personalakte im Bundesarchiv erhalten hat.<br />

Als die Dr.-Wagner- Rebe nach dem Krieg »entnazifiziert«<br />

werden musste, stand der neue Name<br />

schnell fest. Niemand anders als Hans Breider hatte<br />

1948 in der Zeitschrift »<strong>Das</strong> Weinblatt« vorgeschlagen,<br />

die von Georg Scheu gezüchtete Rebe<br />

künftig so zu nennen, wie es die Winzer ohnehin<br />

längst täten: Scheurebe.<br />

So sollte es kommen. Die zweite Auflage von<br />

Georg Scheus »Mein Winzerbuch«, die kurz nach<br />

seinem Tod erschien, spricht im Gegensatz zur ersten<br />

Auflage aus dem Jahr 1936 schon von »Scheurebe«.<br />

Eine ähnlich tief greifende Ver änderung erfuhr das<br />

Nachwort. Denn den »national sozialistischen<br />

Staat«, von dem sich Scheu viel Gutes für den<br />

Winzerstand er wartet hatte, in dessen Herrschaftsgebiet<br />

auch das »Zusammengehörigkeitsgefühl der<br />

Winzer« größer sein müsse als je zuvor, gab es nicht<br />

mehr. Mit seinen letzten Worten – Georg Scheu<br />

arbeitete bis kurz vor seinem Tod an der zweiten<br />

Auflage – warb er für eine Mitgliedschaft der Winzer<br />

in den jeweiligen Weinbau-Verbänden, sei es doch<br />

in einem »demo kratischen Staat die Pflicht eines<br />

jeden Staatsbürgers, am Staate mitzuarbeiten«.<br />

Wilhelm Heuckmann ließ sich das nicht zweimal<br />

sagen. Gut ein halbes Jahr nach Scheus Tod wurde<br />

er der erste General sekretär des 1933 aufgelösten<br />

und im Mai 1950 wieder gegründeten Deutschen<br />

Weinbau-Verbands.<br />

Abgesehen von der Namensgebung der Scheurebe<br />

und dem Nachwort des »Winzerbuchs« fand<br />

sich Kontinuität im Weinbau fast allerorten.<br />

<strong>Das</strong> aber lag neben dem gewohnheitsmäßigen<br />

Festhalten am Althergebrachten – Georg Scheu<br />

sprach vom Weinbau als dem »konservativsten<br />

Zweig der Landwirtschaft« – an der Natur der<br />

Probleme selbst. Wenn sein Vademecum für die<br />

ein fachen Winzer der dreißiger Jahre nach dem<br />

Dritten Reich noch so aktuell war wie zuvor, dann<br />

nur deswegen, weil die Lage des Weinbaus weiterhin<br />

»ernst und schwer« war. Und das nicht wegen der<br />

Konkurrenz des Auslands, vor der sich der deutsche<br />

Weinbau seit dem 19. Jahrhundert immer wieder<br />

mit hohen Einfuhrzöllen zu schützen versuchte.<br />

Georg Scheu war vielmehr schon 1949 klar, dass<br />

dieser Weg in einem zusammenwachsenden Europa<br />

keine Zukunft hätte. Davon abgesehen schreckte<br />

ihn diese Aussicht auch gar nicht.<br />

Wie wenige andere war Georg Scheu schon<br />

immer der Überzeugung, dass der Weinbau in<br />

Deutschland ein weit größeres Potential besitze<br />

als das am Markt realisierte: Würden die Weinbauern,<br />

so sein unermüdlich wiederholtes ceterum<br />

censeo, nur auf die Wissenschaftler hören und die<br />

richtigen, an den jeweiligen Standort angepassten<br />

Rebsorten wählen, hätten sie besseres, das heißt<br />

gesundes und auf höhere Erträge selektioniertes<br />

Pflanzen material zur Verfügung, würden sie die<br />

Weinberge lege artis anlegen, sie nach dem Stand<br />

der Wissenschaft düngen und die Reben richtig<br />

schneiden, bekämpften sie die Schädlinge so, wie es<br />

dem »neuzeitlichen« Weinbau entspreche, leisteten<br />

sie gegen notwendige Maßnahmen wie die Reblausbekämpfung<br />

keinen Widerstand, dann, ja dann<br />

130 131<br />

<strong>FINE</strong> 2 | <strong>2016</strong> <strong>FINE</strong> Wein und Zeit


ABGANG<br />

Cabernet Franc –<br />

The next big thing<br />

Zeit zum Wachsen<br />

Es ist einige Jahre her, da wurde ich gefragt, welche Rebsorte ich denn<br />

anbauen würde, wenn ich die Wahl hätte. Meine Antwort überraschte<br />

den Frager: Ich schwärmte für Cabernet Franc. Natürlich kommt das<br />

nicht von ungefähr. Wer mich etwas besser kennt, weiß, dass der Cheval Blanc<br />

zu meinen Lieblingsweinen gehört, vor allem der vom Jahrgang 1947.<br />

Zugegeben, Cabernet Franc ist nicht gerade eine populäre Sorte. Noch<br />

nicht. Doch zumindest in Italien haben einige Winzer das Potential dieser Rebe<br />

entdeckt und erzeugen daraus reinsortige Weine, die sie bewusst an die Spitze<br />

ihres Sortiments platzieren. Marchese Piero Antinoris Matarocchio rangiert<br />

beispielsweise noch über dem Spitzenwein Guado al Tasso. <strong>Das</strong> Weingut Due<br />

Mani hat gleich zwei reinsortige Cabernet Francs im Angebot, und die Tenuta<br />

di Trinoro kommt in diesem Jahr mit drei Lagenweinen der Sorte auf den Markt.<br />

Außerdem setzt der Pionier dieser Cabernet-Franc-Begeisterung, das Weingut<br />

Le Macchiole, mit dem Paleo schon seit mehr als fünfzehn Jahren auf die Solokünste<br />

der Sorte. Es ist Bewegung in die Causa Cabernet Franc gekommen. <strong>Das</strong>s<br />

die ausgerechnet aus Italien kommt, ist kein Zufall. Klima und Boden bieten in<br />

Regionen wie Bolgheri und der Maremma, aber auch in den kühleren Gegenden<br />

im Norden wie im Friaul offenbar beste Bedingungen für die Sorte. Die Geschichten<br />

der Winzer ähneln einander: Durch besonnenes Probieren der Weine im<br />

Fass über viele Jahre wurden sie langsam, aber nachhaltig von der Qualität und<br />

den Möglich keiten der Sorte überzeugt.<br />

Unsere Verkostung von knapp zwanzig Cabernet Francs aus den Jahr gängen<br />

2009 bis 2014 war eine erste Bestandsaufnahme. Gerade das Reifepotential –<br />

schon in diesem Stadium – war beeindruckend. Die Weine haben nicht nur<br />

überzeugt, sie haben unglaublich Lust auf mehr gemacht. Mir auf jeden Fall. Die<br />

Verkostung wird ganz gewiss eine Neuauflage erfahren, die noch faszinieren der<br />

ausfallen wird – da bin ich mir sicher.<br />

Zeit zum Reifen<br />

Zeit zum Genießen<br />

Ralf Frenzel<br />

Herausgeber<br />

Weingut K.F. Groebe | Mainzer Straße 18 | 67593 Westhofen | www.weingut-k-f-groebe.de<br />

146 <strong>FINE</strong> 2 | <strong>2016</strong>


DIE EXPLORER II<br />

Speziell für die Anforderungen von Forschern entwickelt,<br />

ist sie eine zuverlässige Begleiterin auf Expeditionen<br />

zu den entlegensten Orten des Planeten.<br />

Sie zählt nicht nur die Zeit. Sie erzählt Zeitgeschichte.<br />

OYSTER PERPETUAL EXPLORER II

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