Arnold - 1997 - Allgemeine Agrargeographie

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Adolf Arnold
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47 Abbildungen
und 36 Tabellen
sowie 12 Übersichten
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Gotha und Stuttgart
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Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Arnold, Adolf:
Allgemeine Agrargeographie : 36 Tabellen / Adolf Arnold. -
1. Aufl. - Gotha : Perthes, 1997
Perthes Geographiekolleg
ISBN 3-623-00846-X
Anschrift des Autors:
Prof. Dr. Adolf Arnold, Geographisches Institut der Universität Hannover,
Abteilung Kulturgeographie; Schneiderberg 50; 30167 Hannover
Umschlagfoto: Hochmechanisierte Erntekolonne in den USA
(Gerster, Zumikon; in Klett-Folienmappe USA 2: Landwirtschaft,
Stuttgart u.a. 1992)
ISBN 3-623-00846-X
1. Auflage
© Justus Perthes Verlag Gotha GmbH, Gotha 1997
Lektoren: Dr. Klaus-Peter Herr, Dipl.-Geogr. R. Huschmann, Gotha
Einband und Schutzumschlag: Юаиа-Магііп, Arnstadt, und Uwe Voigt, Erfurt
Herstellung: Dipl.-Geol. Ulrich Wutzke, Berlin
Druck und buchbinderische Verarbeitung: Druckhaus „Thomas Müntzer“ GmbH,
Bad Langensalza
Gedruckt auf Papier aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff.

Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1
1.1
1.2
1.3
2
2.1
2.1.1
2.1.2
2.1.3
2.1.4
2.1.5
2.2
2.2.1
2.2.2
2.2.3
2.2.4
2.3
2.3.1
2.3.2
2.4
2.4.1
2.4.2
2.4.3
2.4.4
3
3.1
3.2
Die Agrargeographie als wissenschaftliche Disziplin
Aufgaben der Agrargeographie - Charakteristika der
Agrarproduktion
Die Entwicklung der Agrargeographie
Agrargeographie und Nachbarwissenschaften
Allgemeine Einflußfaktoren des Agrarraumes
Die natürlichen Einflußfaktoren des Agrarraumes
Die vermeintliche Beherrschung der Natur
Naturfaktoren als Kostenfaktoren
Natürliche Gunst- und Ungunsträume
Belastungs- und Regenerationspotentiale
Globale Potentialgrenzen 26 Potentialgrenzen industrieller
Landwirtschaft 29
Die Teilfaktoren des geoökologischen Komplexes
Klima und Witterung 32 Der Boden 37
Ökonomische Einflußfaktoren des Agrarraumes
Die Produktionsfaktoren
Thünens Standort- und Intensitätslehre
Der Agrarmarkt
Vertriebssysteme 49 Der Elastizitätsbegriff 50 Nachfrage und
Konsumgewohnheiten 51 Das Angebot 58 Der Marktpreis 58
Die räumliche Ordnung der Agrarmärkte 60
Der Agrarbetrieb
Die Betriebsgröße 62 Agrarbetriebe im Wechselspiel
integrierender und differenzierender Kräfte 64
Individuelle und soziale Einflußfaktoren
Die Persönlichkeit des Betriebsleiters
Soziale Gruppen
Genealogische Gruppen 70 Interaktions- und Lebensformengruppen
71 Ethnische Gruppen 72 Gruppen unterschiedlicher
Erwerbsstruktur 73 Verfügung über die Produktionsmittel 75
Politische Einflußfaktoren
Entwicklung der staatlichen Agrarpolitik
Die regionale Differenzierung der Agrarpolitik
Teilbereiche und Instrumente der Agrarpolitik
Markt- und Preispolitik 90 Strukturpolitik 93 Agrarsozialpolitik
94 Regionalpolitik 95 Umweltpolitik 97 Bedeutung
der Agrarpolitik 97
Räumliche Auswirkungen agrarpolitischer Maßnahmen
Der Agrarraum der Erde und seine Grenzen
Umfang
Innere und äußere Grenzen
8
8
11
17
19
19
20
22
23
24
32
39
39
43
49
61
65
67
69
82
83
84
87
98
101
101
103

4.3.2
4.3.3
4.3.4
Das Phänomen der Anbaugrenze
Trockengrenzen
Polargrenzen
Höhengrenzen
Expansions- und Kontraktionsphasen
Beispiel Lappland 111
Agrarregionen der Erde
Probleme der agrargeographischen Regionalisierung
Юassifikationssysteme der Landwirtschaft
Die Regionalisierung des Agrarraums
Viehwirtschaftsregionen der Erde
Die Regionen des Nomadismus
Regionen der extensiven stationären Weidewirtschaft
Regionen der intensiven Viehwirtschaft auf Grünlandbasis
Futterbasis Grünland 143 Die Milchwirtschaft 146
Viehwirtschaft in flächenarmen Betrieben (Massentierhaltung)
Regionen der Ackerbau- und Dauerkultursysteme
Regionen des Wanderfeldbaus und der Landwechselwirtschaft
im Umbruch
Reisbauregionen
Regionen des traditionellen, kleinbetrieblichen, intensiven
Ackerbaus ohne Reis
Die Oasenlandwirtschaft des Orients 179 Regionalbeispiel
Gabès 180 Die kleinbetrieblichen Kakaobauregionen
Westafrikas 185
Regionen des spezialisierten Marktfruchtanbaus
Die Plantagenregionen 192 Marktfruchtbauregionen in
der Bundesrepublik Deutschland 198 Dauerkulturregionen
der gemäßigten Breiten: die Obstbauregion Niederelbe als
Beispiel 200
Regionen der landwirtschaftlichen Gemischtbetriebe
Die Welternährungssitua’tion
Definitorische und methodische Probleme
Unterernährung im historischen Kontext
Entwicklung von Bevölkerung und Nahrungsmittelproduktion
Verbreitungsmuster der Unterernährung
Ausblick
103
106
107
108
109
114
114
114
118
122
125
135
142
152
159
159
169
178
190
Literatur
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Übersichtenverzeichnis
Abkürzungen im Text
Sachregister

Vorwort
Agrargeographische Themen, Kurse und Lehrveranstaltungen erfreuen sich an
Schulen und Hochschulen einer regen Nachfrage. Die Ernährungsprobleme der
Dritten Welt, eine ökologische Sensibilisierung, vielleicht auch eine romantisierende
Betrachtung früherer bäuerlicher Lebensverhältnisse tragen zu dieser
Attraktivität bei, obwohl den meisten Schülern und Studenten aufgrund ihrer
Herkunft aus einem weitgehend verstädterten Milieu oft die Grundkenntnisse der
Landwirtschaft fehlen.
Die vorliegende Schrift stellt die modernisierte und erweiterte Fassung eines
vom Verfasser 1985 vorgelegten Taschenbuchs „Agrargeographie“ dar, das seit
Jahren vergriffen ist. Sie wendet sich in erster Linie an Studierende der Geographie
und der Agrarwissenschaften, aber auch an interessierte Teilnehmer der
Leistungskurse der Sekundarstufe II. Hervorgegangen ist sie aus agrargeographischen
Vorlesungen und Übungen an der Universität Hannover.
In einem ersten Teil werden die allgemeinen Einflußfaktoren des Agrarraums -
Natur, Wirtschaft, Gesellschaft, Politik - analysiert. Der anschließende regionale
Teil gibt einen Überblick über den Agrarraum der Erde, gegliedert nach den
großen Agrarregionen aufgrund der jeweils dominierenden Agrarsysteme. Daß
dabei keine Vollständigkeit angestrebt wurde, dürfte verständlich sein. Ein abschließendes
Kapitel umreißt die aktuelle Welternährungssituation.
Die Reinzeichnung der Abbildungen besorgte die Institutskartographin Frau
Chr. Grätsch, Frau Cochanski fertigte deren Druckvorlagen. Die mühevolle Textverarbeitung
hat Frau Susanne Becker durchgeführt. Allen sei an dieser Stelle
herzlich gedankt.
Hannover, im Frühjahr 1997
Adolf Arnold

Die Agrargeographie als wissenschaftliche Disziplin
1 Die Agrargeographie als wissenschaftliche Disziplin
1.1 Aufgaben der Agrargeographie-
Charakteristika der Agrarproduktion
Die Agrargeographie läßt sich definieren als die Wissenschaft von dec räumlichen
Ordnung ішГТаШпКсЬеп Organisation der Landwirtschaft. Dabei wird unter
il.andwirtscháf^ in ~ÄnTeHhung~an~L. WAlBEr~T1933, S. 7)“die „planmäßige Bewirtschaftung
des Bodens zum Zwecke der Gewinnung pflanzlicher und tièfischer
Produkte“ verstanden. Mit dieser Definition sind die primären Aufgaben der
überwältigenden Masse der Agrarbetriebe dieser Erde präzise Umrissen. Neben
diese ökonomischen Aufgaben treten zunehmend gemeingesellschaftliche Ziele
wie z.B. die Pflege der Kulturlandschaft und die Wahrnehmung von Umweltschutzaufgaben
sowie die Bereitstellung von Erholungsräumen. Dies gilt aber nur
für die wohlhabenden Industrieländer, die nicht mehr unter dem Druck des
Nahrungsmangels stehen.
Die verwandten Zweige des primären Wirtschaftssektors - Jagd, Fischerei,
Sammel- und Forstwirtschaft - bleiben von unseren Betrachtungen ausgenommen,
obwohl in vielen Teilen der Erde enge Verzahnungen zwischen diesen Aktivitäten
und der Landwirtschaft i.e.S. anzutreffen sind. Man denke nur an die
Waldbauern in den Mittelgebirgen und im Alpenraum, an die bäuerlichen Teichwirte
in Franken oder an die Crofter-Fischer in Schottland.
Die Auffassung von den Aufgaben der Agrargeographie ist keineswegs einheitlich.
In der viel zitierten Definition von E. Otremba (1976, S. 62) „ist Agrargeographie
die Wissenschaft von der durch die Landwirtschaft gestalteten Erdoberfläche,
sowohl als Ganzes als auch in ihren Teilen, in ihrem äußeren Bild, ihrem
inneren Aufbau und in ihrer Verflechtung“. Nach dieser stark landschaftskundlich
beeinflußten Auffassung geht es also um die physiognomischen, strukturellen
und funktionalen Elemente der Agrarlandschaft. Für W. Manshard (1968, S. 9)
besteht das Hauptziel der Agrargeographie darin, „die räumliche Differenzierung
der verschiedenen Erscheinungsformen der Landwirtschaft zu untersuchen“.
B. Andreae (1983) stellt Betriebsformentypen im räumlichen System der Klimazonen
in den Vordergrund der Betrachtung, wobei betriebswirtschaftliche Aspekte
stark in den Vordergrund treten. Kulturgeographische Aspekte, wie z.B. die
Erforschung der Flur- und Siedlungsformen haben speziell in der deutschen und
ftanzösischen Agrargeographie eine lange Tradition.
Nachdem in den Industrieländern die Landwirtschaft selbst im nichtverstädterten
Raum in eine Minderheitenposijion geraten ist, wurde wiederholt die
Forderung erhoben, die „reine Agrargeographie“ zu einer „Geographie des ländlichen
Raumes“ auszuweiten. Dies ist jedoch nach Meinung des Verfassers eine
gänzlich andere Fragestellung, er kann und will ihr nicht folgen. Er sieht die
Agrargeographie weiterhin als Teildisziplin der Wirtschafts- und ^ozialgeographie
(K. Rother 1988, S. 37), Das Hauptziel dieses Bandes ist die Darstellung
Räumlicher Produktionssysteme der Landwirtschaft (Agrarsysteme). Dabei geht es
um die Verbreitung landwirtschaftlicher Aktivitäten im Agrarraum, ihre Interaktionen
und deren Dynamik im zeitlichen Ablauf.

Aufgaben der Agrargeographie - Charakteristika der Agrarproduktion 9
Das Objekt der Agrargeographie in globaler Sicht ist der Agrarraum, d.h. der
gesamte, irgendwie landwirtschaftlich genutzte Teil der Erdoberfläche. Sein Umfang
wird fCir 1993 mit 48,1 Millionen km^ angegeben, das sind rund 32% der
Fläche des festen Landes. Nur etwa 14,5 Millionen km^ oder 10 %der Festlandfläche
werden als Ackerland genutzt, während auf das sog. Dauergrünland 33,6
Millionen km^ entfallen (FAO. Production Yearbook 48, 1994, S. 3), worunter
vorwiegend extensiv genutztes Weideland zu verstehen ist. Innerhalb dieses
Agrarraumes vollzieht sich die landwirtschaftliche Produktion mit einer komplexen
Vielfalt von Produkten, Produktionsmöhuden und Organisationsformen.
Diese extremen räumlTcHen Ünterschiede sind ein Hauptmerkmal der Landwirtschaft,
die so in keinem anderen Wirtschaftszweig auftreten. Der Bau eines Schiffes
oder Automobils oder die Produktion von Stahl in Japan unterscheidet sich
dagegen kaum von derjenigen in Europa.
Vorab seien einige Charakteristika der Landwirtschaft in Erinnerung gerufen,
die sie stark von den sonstigen wirtschaftlichen Aktivitäten unterscheiden.
Landwirtschaft ist eine der ältesten wirtschaftlichen Betätigungen des Menschen,
die zugleich ihr Grundprinzip seit dem Neolithikum nicht verändert hat.
Der Grundprozeß der Erzeugung pflanzlicher und tierischer Produkte ist trotz
aller technischen Wandlungen und trotz enormer Produktivitätssteigerungen
derselbe geblieben, nämlich einmal der flächengebundene, von verschiedenen
Naturfaktoren abhängige Anbau von Kulturpflarizen^, zum anderen die Erzeugung
tierischer Produkte auf der Basis von Kulturpflanzen oder natürlichen
Futterflächen. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts hat sich in den Industrieländern
allerdings die enge räumliche Bindung zwischen Futterfläche und Standort
der tierischen Produktion gelockert, als Veredlungsbetriebe auf Futterzukaufbasis
ohne eigene Nutzflächen aufkamen. Damit hat sich aber lediglich die Distanz
zwischen den Standorten der pflanzlichen und tierischen Produktion auf oft
interkontinentale Ausmaße vergrößert, das Grundprinzip blieb unangetastet.
Abbildung 1.1 ist ein Schema der vier Hauptproduktionsketten von Nahrungsmitteln
der Landwirtschaft. Kette A (Kulturpflanze - Mensch) beinhaltet den direkten
Verzehr pflanzlicher Produkte. Sie ist der energetisch effizienteste und
daher billigste Produktionsprozeß; er dominiert in Entwicklungsländern mit geringer
Kaufkraft. Bei den Ketten B, C und D werden Pflanzen in tierische Produkte
transformiert. Da dabei 70 - 90 %der im Futter enthaltenen Energie verloren geht,
sind diese Methoden relativ teuer, ausgenommen Kette D. Diese beinhaltet die
Nutzung der ausgedehnten Flächen von absolutem Grünland auf der Erde, die
für den Ackerbau ungeeignet sind. Sie ist mit unterschiedlichen Agrarsystemen
sowohl in Industrie- wie Entwdcklungsländern anzutreffen.
Die Verfütterung von Ackerfrüchten (B und C) können sich im großem Maßstab
nur wohlhabende Gesellschaften leisten.
Möglicherweise stehen wir vor einer Revolution in der Erzeugung von Nahrungsgütern,
falls es gelingt, durch Genmanipulation und Beherrschung der Pho-
\
^Der Begriff der Kulturpflanze (Pflanze im systematischen Anbau) darf nicht mit dem der
Nutzpflanze ohne systematischen Anbau wie z. B. Beeren und Pilze verwechselt werden.

Die Agrargeographie als wissenschaftliche Disziplin
Pflanzliche
Primärproduktion
eventuelle
Verarbeitung
ivTT
Distribution
Acker-,Baum- u.
Strauchfrüchte
Tierische
Sekundärproduktion
Nicht-
W iederkäuer
PFLANZENWACHSTUM
W iederkäuer
Gras
— 4 --------
W iederkäuer
------- 1 ^-----
Aufbereitung, Verarbeitung, Konservierung
J____
_____t_____*___
Vermarktung (entfäilt bei Selbstversorgung) |
A
[ c ”1 d
Konsum des Menschen
Abb. 1.1:
Die vier Hauptproduktionsketten
von Nahrungsmitteln
tosynthese in großtechnischen Anlagen Nahrungs- und Futtermittel synthetisch
zu erzeugen - erstmals in der Geschichte der Menschheit ohne jeglichen Bezug
zum Agrarraum. Auf absehbare Zeit wird aber die Landwirtschaft mit ihrem
bodenabhängigen Produktionssystem ihre Schlüsselstellung behalten.
Die Bedeutung der Landwirtschaft resultiert aus mehreren Faktoren. Einmal
ist sie immer noch die fast ausschließliche Grundlage für die physische Existenz
Abb. 1.2: Anteil der landwirtschaftlichen Erwerbspersonen an der Erwerbsbevöikerung
(Queile: FAO. Production Yearbook 48,1994)
ЩШ
ШШ-r "
ahem.:Ul(fSSR:|
Landwirtschaftliche
Erwerbspersonen
70%
□
(Nur Staaten mit mehr als 2 Mio Einwohnern)
-5 0 Mio Menschen

Die Entwicklung der Agrargeographie 11
der nunmehr (1995) 5,7 Milliarden Menschen. Die Fischerei steuert weltweit lediglich
etwa 2 - 3 %zur Proteinversorgung hei. Außer Nahrungsmitteln erzeugt die
Landwirtschaft auch industrielle Rohstoffe, in Zukunft möglicherweise wieder
vermehrt Energiestoffe. In den Industriestaaten ist diese Tatsache in einer langen
Friedensperiode für viele zur Selhstverständlichkeit geworden. Für eine große
Zahl von Entwicklungsländern ist dagegen die Sicherung der Nahrungsversorgung
von größter Aktualität (s. K apitellandw irtschaftliche Rohstoffe können
hei sinnvoller Nutzung der natürlichen Ressourcen zeitlich unbegrenzt erzeugt
werden. Durch ihre Nachhaltigkeit unterscheiden sie sich grundlegend von den
nicht regenerierbaren mineralischen Rohstoffen und fossilen Energieträgern.
In weltweiter Sicht ist die Landwirtschaft die mit Abstand wichtigste wirtschaftliche
Aktivität. Noch immer ist fast die Hälfte der erwerbstätigen Erdbevölkerung
- 1994; 45 %- in der Landwirtschaft beschäftigt, während auf den sekundären
und tertiären Sektor nur jeweils 20 - 30 %entfallen. Dabei schwankt freilich
die Agrarquote von Land zu Land in extremer Weise. Die Spanne reicht von 1,8 %
in Großbritannien, 2,0 %in den USA, 3,7 %in Deutschland, 17 %in Rumänien, 64 %
in China, 65 %in Indien bis zu Extremwerten von 80 - 90 %in den ärmsten Entwicklungsländern
wie Mali, Niger, Burundi (s. Abbildung 1.2).
Der nach wie vor überragenden weltweiten Bedeutung der Landwirtschaft
steht ein seit langem anhaltender Bedeutungsschwund in den Industrieländern
gegenüber. Im vereinten Deutschland beschäftigt sie noch 3,7 %der Erwerbspersonen,
trägt gerade noch 1,1 %zur Bruttowertschöpfung der Volkswirtschaft bei
und leistet ganze 0,4 %des Steueraufkommens. In den Industrieländern beruht
die Bedeutung der Landwirtschaft vor allem auf ^ r Sicherung der Gruñdvéfsorgung
mit. Nahrungsmitteln und auf der Pftege der landwirtschaftlicE~^nïïïzt'en
Fläche (LF), die in der Bundesrepublik Deutschland immer noch 17,1 Millionen
Hektar oder 48% der Staatsfläche umfaßt (1993). Rechnet man die Forstflächen
hinzu, so werden immerhin noch etwa 80 %des Bundesgebietes land- und forstwirtschaftlich
genutzt.
1.2 Die Entwicklung der Agrargeographie
Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurden agrargeographische Untersuchungen
vorwiegend von Landwirten, Nationalökonomen und Kulturhistorikern, dagegen
kaum von Fachgeographen vorgenommen. Als früher Vertreter einer agrargeographischen
Betrachtungsweise in Deutschland wird vielfach Johann Nepomuk v.
Schwerz (1759-1844) angesehen (E. Otremba 1938, S. 148). Seine Arbeiten, wie
etwa die „Beschreibung der Landwirtschaft in Westfalen und dem anschließenden
Rheinpreußen“ (1836), sind wegen ihrer Anschaulichkeit, die er durch sorgfältiges
Beobachten und Befragen während seiner zahlreichen Reisen gewann,
noch heute lesenswert. Ihr Inhalt blieb weitgehend deskriptiv, eine systematische
Erklärung der räumlichen Differenzierung des Agrarraums wird noch nicht gegeben.
Er bleibt damit dem Vorbild der damals führenden englischen Landwirtschaftslehre
verhaftet, die in Form von Reiseschilderungen - Arthur Young
(1741-1820) sei hier genannt - die unterschiedlichen Agrarräume beschrieb. Im-

12 Die Agrargeographie als wissenschaftliche Disziplin
merhin zieht Schwerz die unterschiedlichen Naturverhältnisse, besonders Böden
und Relief, zur Erklärung der unterschiedlichen Anbauformen heran, wenn ihm
auch ein systematisches kausales Denken noch fremd war.
Im Jahre 1826 erschien Johann Heinrich v. T hünen geniales Werk „Der isolierte
Staat in Beziehung auf Landwirtschaft und Nationalökonomie“, in dem erstmals
der Einfluß der Marktentfernung auf die Form des landwirtschaftlichen Betriebs
diskutiert wurde. T hünen abstrahierte bewußt von natürlichen, historischen und
sozialen Determinanten, um in seinem Modell die Differenzierung des Agrarraums
durch rein ökonomische Einflüsse erklären zu können. Er begründete
damit bereits in der Frühzeit der Agrarwissenschaften auf deduktive Weise eine
landwirtschaftliche Standorttheorie, die in ihren Grundzügen bis heute Gültigkeit
behielt (s. Kapitel 2.2.2). Sie blieb freilich lange wenig beachtet und kam erst
in den 1920er Jahren, u.a. auch durch die Arbeiten von E. Obst und L. Waibel, zu
neuer Geltung.
Nach diesen fruchtbaren Ansätzen machte im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts
die Agrargeographie keine entscheidenden Fortschritte. Die junge Wissenschaft
der Geographie, die erst in der 2. Hälfte des vorigen Jahrhunderts durch
Einrichtung von Universitätslehrstühlen institutionalisiert wurde, mußte erst ihr
Lehrgebäude konsolidieren, während die ältere Landwirtschaftslehre unter dem
Einfluß von Thaer und Liebig vorwiegend mit technisch-naturwissenschaftlichen
und betriebswirtschaftlichen Fragestellungen befaßt war und einer regionalen
Betrachtungsweise noch weitgehend fremd gegenüberstand.
Ein entscheidender Anstoß ging erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts von
T h. H. Engelbrecht (1854-1934) aus. Dieser, ein Landwirt und Agrarwissenschaftler,
unterschied erstmals mit dem Hilfsmittel der verfügbaren Agrarstatistik
weltweite Landbauzonen. Nach dem Prinzip der Schwergewichtsverbreitung der
landwirtschaftlichen Nutzpflanzen gelangte er zu einer räumlichen Differenzierung
des Agrarraums der Erde. Ihm ging es dabei nicht um die absolute Verbreitung
einer Pflanze wie in der älteren Pflanzengeographie, sondern um die Abgrenzung
von Intensivräumen der wirtschaftlich wichtigsten Nutzpflanzen und
Haustiere. Entsprechend der allgemeinen Ausrichtung der damaligen Wirtschaftsgeographie
waren seine Arbeiten beschreibende Verbreitungslehren, ähnlich
wie die im angelsächsischen Bereich wesentlich bekannteren Werke des
Amerikaners O. E. Baker.
Es waren Argarwissenschaftler, keine Geographen, die am Vorabend des Ersten
Weltkrieges eine eigene Disziplin „Agrargeographie“ propagierten und begründeten;
R. Krzymowski, P. Hillmann, besonders aber H. B ernhard, dessen 1915 erschienener
Aufsatz „Die Agrargeographie als wissenschaftliche Disziplin“ noch
heute lesenswert ist. In den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen erfuhr die
Agrargeographie - eingebettet in einen allgemeinen Aufschwung der Wirtschaftsgeographie
- ihren entscheidenden Durchbruch. Nun widmeten sich auch Fachgeographen
in größerer Zahl der agrargeographischen Forschung, einem Feld,
das sie bisher weitgehend den Nachharwissenschaften überlassen hatten. Agrargeographie
wurde für mehrere Jahrzehnte zum bevorzugten Zweig der Wirtschaftsgeographie.
Ihre weitere Entwicklung läßt sich anhand mehrerer Momente
charakterisieren:

Die EntwicMung der Agrargeographie 13
a) Lösung vom Naturdeterminismus,
b) zentrale Stellung des Begriffs der „Agrarlandschaft“,
c) Impulse aus den Sozialwissenschaften, die zu neuen Forschungsrichtungen
führten (Sozialgeographie, „behavioral geography“. Innovations- und Diffusionsforschung),
d) modellhaft-theoretische Fragestellungen,
e) nachfrageinduzierte Praxisorientierung. Ç t .^ , ^
ad а: \ о ^
Die Agrargeographie löst sich vom Naturdeterminismus, d.h. von der einseitigen
Bestimmung menschlichen Handelns durch Naturfaktoren, der noch bei Engelbrecht
und Bernhard den Hintergrund gebildet hatte. Die Loslösung beginnt mit
dem von R. Lütgens (1921) formulierten Prinzip der Wechselwirkung - der wirtschaftende
Mensch steht unter dem Einfluß des Naturraums, gleichzeitig verändert
er ihn durch sein Handeln -, sie wird vollendet durch Th. Kraus’ Auffassung
von den Widerständen der Natur als betriebswirtschaftlich zu berechnende
Kostenfaktoren: „Der wirtschaftende Mensch kalkuliert die Natur ein und trifft
demgemäß seine Entscheidungen“ (Th. Kraus 1957, S. 115). Unbestritten bleibt
freilich, daß die Landwirtschaft sehr viel stärker als andere Wirtschaftszweige
emer „physisch-geographischen Grundkausalität“ (E. Otremba) unterliegt. Relief,
Boden und Юіта setzen Nutzungsgrenzen, die schwer zu überschreiten sind.
Angesichts einer wachsenden Nahrungsmittelverknappung sind agrargeographische
Forschungen mit ökologischer Fragestellung - vor allem in den Ländern
der Dritten Welt - notwendiger denn je.
W. Manshard (1983, S.42) sieht als eine Hauptaufgabe der Agrargeographie in
der Entwicklungsländerforschung die Inventarisierung von Ressourcen und ein
verbessertes Ressourcenmanagement. Geographen seien durch Tradition und
Ausbildung besser als viele Spezialisten befähigt, „das Ineinandergreifen von naturgegebenen
Voraussetzungen wie Юіта, Vegetation, Böden, Oberflächenformen
mit wirtschaftlichen und politisch-sozialen Organisationsstrukturen aufzugreifen
und zu interpretieren“.
ad b:
Aus der Kulturgeographie wird die Idee der Kulturlandschaft übernommen und -
wohl von H. SCHREPFER um 1935 - der Begriff „Agrarlandschaft“ geprägt, der sich
bald durchsetzt. Die Erforschung von derartigen Raumeinheiten, die physiognomisch
faßbar sind, bleibt speziell in Deutschland bis etwa 1970 ein Hauptanliegen
der Agrargeographie. Auf die komplexe Problematik, die mit dem Landschaftsbegriff
verbunden ist, soll hier nur verwiesen werden (s. G. Pfeiffer 1958;
H. Carol 1952). Unter dem Einfluß Waibels begnügte man sich nicht mit der
Erforschung der äußeren Form der Agrarlandschaft, sondern hinterfragte sie hinsichtlich
ihrer sozioökologischen Systemstruktur und bezog damit auch physiognomisch
nicht faßbare Elemente wie Betriebs- und Marktformen in die Betrachtung
ein. Waibels Begriff der Wirtschaftsformation konnte sich wegen seiner
unklaren Fassung nicht durchsetzen; von nachhaltigem Einfluß woirde dagegen
T h. Kraus Formulierung des „Wirtschaftsraums“ als - vorwiegend ökonomisch

Die Agrargeographie als wissenschaftliche Disziplin
gesteuertes - sozioökologisches System. Für Kraus ist der Wirtschaftsraum vorwiegend
von seiner Struktur bestimmt; „Er findet seinen Inhalt in der Einheitlichkeit
des gesamten Strukturgefüges, d.h. im räumlichen Zusammenklang aller
sozioökonomischen Faktoren (E. Otremba 1959, S. 19). Die strukturelle Betrachtungsweise
wird bald ergänzt durch die funktionale. Dabei geht es um die Analyse
der Interaktionen, d.h. der quantitativen und qualitativen Wechselwirkungen
zwischen den Strukturelementen des Wirtschaftsraums einschließlich ihrer Veränderungen
im zeitlich Ablauf (L. Schätze 1978, S. 16; H. G. Wagner 1981, S. 16).
Der Schwerpunkt der funktionsräumlichen Untersuchungen war freilich die
Stadt mitsamt ihrem Umland; die Mehrzahl der agrargeographischen Arbeiten
bleiben Strukturanalysen. Allenfalls randlich tauchen bei der Untersuchung von
Agrarräumen funktionale Gesichtspunkte auf, wenn sie als Interaktipnspartner.
städtischer Räume - als Abwanderungsgebiet, als Versorgungsbereich, als Umland
eines zentralen Ortes, als Ausbeutungsobjekte des städtischen Rentenkapitalismus
im Orient sowie als Naherholungsgebiet - erscheinen.
Die Übertragung von Methoden der morphogenetisch orientierten Kulturlandschaftsforschung
auf die Agrargeographie hatte zur Folge, daß nun auch die
Erforschung von Flur und Siedlung zum Aufgabenbereich der Agrargeographie
gezählt wurde, während sie vorher mehr unter siedlungsgeographischem Aspekt
betrieben wurde. Die kartographische Darstellung der Agrarlandschaft wurde -
vor allem auf Anregungen W. Credners hin - ausgebaut. Einerseits entwickelte
sich nach britischem Vorbild (Landnutzungskarte im Maßstab 1: 10 560 des „land
utilization survey“) im Mikrobereich die großmaßstäbige Kartierung landwirtschaftlicher
Nutzflächen. Diese Entwicklung gipfelte in dem von Otremba 1965-
1970 herausgegebenen „Atlas der deutschen Agrarlandschaften“. Andererseits
^^rden im Makrobereich kleinmaßstäbige synthetische Karten entworfen, wie
z.B. die komplexen agrargeographischen Karten im Maßstab 1: 1 000 000 des Afrika-Kartenwerks
der Deutschen Forschungsgemeinschaft, welche die vielfältigen
agrargeographischen Sachverhalte größerer Teilräume Afrikas darstellen.
•E
ad c:
Nach dem Zweiten Weltkrieg erfuhr die gesamte Anthropogeographie starke
Impulse von den aufblühenden Sozialwissenschaften, was im deutschen Sprachraum
die - anfangs nicht unumstrittene - Ausbildung einer Teildisziplin „Sozialgeographie“
zur Folge hatte. Als Träger der Raumgestaltung rückten die menschlichen
Sozialgruppen stärker in den Blickpunkt. Sozialgeographische Betrachtungsweisen
befruchteten die Agrargeographie in zweierlei Hinsicht. Dje sog.
Münchener Schule von W. Hartke und K. Ruppert arbeitete spezifische Verhaltensweisen
sozialer Gruppen heraus. Der Agrarraum mit seiner sich каит~5т
dernden natürlichen Ausstattung unterliegt einer fortwährenden Bewertung
durch die verschiedenen sozialen Gruppen, deren Handeln von veränderlichen
Wertordnungen bestimmt wird. Erscheinungen in der Agrarlandschaft, die empirisch
faßbar und damit kartierbar sind wie Aufforstungen, gruppenspezifische
Feldpflanzen, Ausmärkerwesen, Pachtflächen, Sozialbrache - eine anfangs umstrittene
Wortschöpfung Hartkes, die als „friche sociale“ bzw. „social fallow“ auch
in die französische und englische Terminologie einging - werden als Indikatoren

Die Entwicklung der Agrargeographie 15
für sozioökonomische Prozesse auf gef aßt. ^ e Agrarlandschaft erscheint als Prozeßfeld,
als Registrierplatte sozioökonomischer Wandlungen.
Während die Untersuchungen der „Münchener Schule“ i.w. auf süddeutsche
Agrarlandschaften beschränkt blieben, beeinflußt_^ Hans. B.qb.eks sozialgeographisches
Konzept der Lebensformengruppen vor allem die agrargeographische
Forschung in Entwicldungsländern mit stark pluralistischen Gesellschaftssyste-
In den angelsächsischen Ländern ging die Rezeption der Sozialwissenschaften
andere Wege. Dort wandte man sich vornehmlich der geographischen Verhaltensforschung
zu; die sog. „behavioral geography“ untersucht die im Mentalbereich
des Menschen ablaufenden Prozesse, welche zur Entstehung räumlicher Aktivitäten
führen können. Während sich die Sozialgeographie deutsch-österreichischer
Prägung mit der Analyse des räumlich faßbaren Handelns von Gruppen^ - seien
es statistische Merkmalsgruppen oder sogenannte „sozialgeographische Gruppen“
- begnügte, versucht dje „behavioral geography“, die gesamten im, Menschen
ablaufenden Prozesse zu erhellen, die zu raumwirksamen Entscheidungen
führen. Sie bemüht sich um Aufklärung der „vorgeschalteten Mechanismen bei
der Entstehung räumlicher Aktivitäten (‘Entscheidung’)“ (E. Thomale 1974, S. 15).
Unter Anlehnung an die Wahrnehmungspsychologîe wird räumliche Motivforschung
betrieben.
R. M. Downs (1970, S. 84-85) zerlegte den Verhaltensablauf menschlicher Individuen
und Gruppen in folgende 5 Phasen:
- Wahrnehmung (perception) der realen Welt aufgrund von Informationen,
- Bewertung (evaluation) aufgrund eines individuellen Wertesystems und einer
Vorstellung (image) von der realen Welt,
- Suchverhalten (search), d.h. Suche nach Zusatzinformationen,
- Entscheidung (decision),
- raumaktives Verhalten (behavior in space).
Die methodischen Schwierigkeiten dieses Ansatzes für die geographische Forschung
liegen auf der Hand, begibt man sich doch auf Bereiche der Wahrnehmungspsychologie
und Lerntheorie, die zudem mit quantitativen Methoden gekoppelt
werden müssen. Diejmübersehbare Vielfalt von_ £aMoren,_welciie das
Verhalten der Entscheidungsträger beeinflussen, erschweren die empirischen Erhç.bungen.
~ ~
Die Fragestellung der „behavioral geography“ hat im deutschsprachigen Raum
vorwiegend die Forschung der Industriegeographie (Standortentscheidungen)
und jene zum Freizeit-, Bildungs- und Konsumverhalten befruchtet, während die
Einflüsse auf die agrargeographische Forschung gering blieben. In englischer
Sprache liegt dagegen eine breite Literatur vor, es seien hier nur die Standardwerke
von A. Pred 1967/69, M. E. Eliot Hurst 1974, Jakle, B runn u. Roseman 1976
sowie speziell die Studienbücher zur Agrargeographie von W. B. Morgan u. R. J. C.
MuNTON 1971 sowie von B. W. Ilberry 1985 genannt.
Í
—^ KJ
■Zum Gruppenbegriff aus geographischer Sicht s. H. G. Wagner 1981, S. 91 bis 98.

16 Die Agrargeographie als wissenschaftliche Disziplin
Der Einfluß der „behavioral geography“ führte in der Agrargeographie zu einer
stärkeren Berücksichtigung des einzelnen Agrarbetriebs als kleinster Entscheidungseinheit
hzw. des Betriebsinhabers. Der Forschungsschwerpunkt verlagerte
sich stärker in Richtung auf die Mikroebene: „Since the farm is the decisionmaking
unit it should be a major focus of interest of the agricultural geographer both
in research and in the development of theory“ (M o rg an u . M u n t o n 1971, S. 3).
Auf Anregungen aus den Sozialwissenschaften geht auch die geographische
Innovations- und Diffusionsforschung, d.h. die Untersuchung zeitlicher und
räumlicher Ausbreitungsvorgänge von Neuerungen zurück. T. Hägerstrand entwickelte
1953 ein Innovationsmodell, das auch den Wandel von landwirtschaftlichen
Produktionsmethoden als Indizes benutzt. In die deutsche Geographie hat
Ch. Borcherdt (1961) den Begriff der Innovation eingeführt und durch sozialgeographische
Aspekte erweitert, indem er die raumzeitliche Ausbreitung neuer Kulturen
(Kartoffeln, Feldfutter) in Bayern durch spezifische soziale Schichten untersuchte.
H. W. Windhorst (1979) verfolgte den Diffusionsprozeß der Käfighaltung
von Hühnern, indem er verhaltenswissenschaftliche Ansätze aufgriff und die
Reaktion der Adoptoren analysierte. T. B reuer (1985) untersuchte in Spanien die
Diffusionsprozesse von Hopfen und Sonnenblumen, die hier nicht durch freiwillige
Nachahmung, sondern über Anbaukontrakte durch Propagatoren gesteuert
wurden. Ihre größte Breitenwirkung erzielte die Innovations- und Diffusionsforschung
jedoch unter nordamerikanischen Geographen.
ad d:
Nur zögernd vmrden modellhaft-theoretische Fragestellungen aufgeworfen. Zwar
verschafften E. Obst (1926) und L. Waibel (1933) bereits in der Zwischenkriegszeit
der Standorttheorie J. H. VON Thünens Eingang und - nach mancherlei Widerständen
- auch allgemeine Anerkennung in der Agrargeographie. Eine Weiterentwicklung
dieser Ansätze erfolgte aher erst in den fünfziger Jahren im angelsächsischen
Bereich durch die Verknüpfung von modellhaft-theoretischen Fragestellungen
mit mathematischen Methoden. Im generellen Trend der Mathematisierung der
Wissenschaften etablierte sich eine quantitative und theoretische Geographie. Die
neuen elektronischen Hilfsmittel ermöglichten die Verarbeitung der Datenfülle
der Agrarstatistik. Nunmehr war etwa die Klassifizierung von Agrarräumen mit
Hilfe von numerisch-analytischen Methoden wie z.B. der Faktorenanalyse möglich.®
Im deutschen Sprachraum sind quantitativ ausgerichtete Arbeiten auf dem
Gebiet der Agrargeographie bislang erst in geringer Zahl erstellt worden. Eine von
E. Lichtenberger 1977 zusammengestellte Bibliographie zur quantitativen Geographie
im deutschen Sprachraum enthält unter 440 Titeln lediglich 10 agrargeographische
Themen. Es fehlt anscheinend die Computergläubigkeit Amerikas,
auch ist in der deutschen Geographie „ein tiefes Mißtrauen gegenüber der Verläßlichkeit
amtlicher statistischer Daten“ (E. Lichtenberger 1978, S. 17) offensicht­
®Siehe die Zusammenstellung verschiedener Modelle in den Agrarwissenschaften bei
J. D. H e n s h a l l 1967.

Agrargeographie und Nachbarwissenschañen 17
lieh weit verbreitet. Zudem macht neuerdings ein verschärfter Datenschutz das
statistische Material viel schwerer zugänglich als in den USA.
ad e:
Die praxisorientierte Agrargeographie besitzt in Deutschland mehrere Schwerpunkte.
In Gießen hat sich ein interdisziplinäres Zentrum für die Landwirtschaft
der Tropen etabliert, das u.a. Grundlagenforschung für die Entwicklungshilfe
leistet. H. Uhlig und U. Scholz trugen als Geographen sehr viel zur kontrovers
geführten Diskussion über die Bewertung tropischer Agrarräume bei. F. Scholz
hat am Zentrum für Entwicklungsländerforschung der FU Berlin die Nomadismus-Forschung
intensiviert. In Vechta, dem Zentrum der agroindustriellen Tierproduktion
in Deutschland, hat H.-W. Windhorst mit dem Institut für Strukturforschung
und Planung in agrarischen Intensivgebieten (ISPA) ein publikationsträchtiges
Instrument zur Erforschung der Industrialisierung der Landwirtschaft
aufgebaut. Aus ihm sind zahlreiche Publikationen zur Intensivlandwirtschaft in
Nordwestdeutschland und in den USA hervorgegangen. In der ehemaligen DDR
war in Halle/Saale ein Zentrum agrargeographischer Forschung an der Landwirtschaftsfakultät
angesiedelt. Unter W. Roubitschek entstanden zahlreich Arbeiten
zur Bewertung der natürlichen Ressourcenstruktur und über räumliche Muster
der Landnutzung. Die ehedem stark von staatlicher Steuerung beeinflußte Forschung
hatte hier Dienstleistungsfunktionen für die Territorialplanung zu übernehmen.
Die künftige Forschungsrichtung der jetzigen Abteilung Agrargeographie
und Raumordnung (seit 1991) bleibt abzuwarten.
Auf die Frage, welchen Aufgaben die heutige Agrargeographie nachgeht, kann
es keine einheitliche Anwort geben. Alle fünf Forschungsansätze, die sich seit den
zwanziger Jahren entwickelt haben, werden, wenn auch mit unterschiedlicher
Intensität, nach wie vor verfolgt. Das Schwergewicht bei der Erforschung der
räumlichen Ordnung und räumlichen Organisation der Landwirtschaft wechselt
dabei je nach Tradition („Schule“), Intention oder gesellschaftlichen Anforderungen,
denen die einzelnen Forscher bzw. Forschungsinstitutionen unterliegen.
1.3 Agrargeographie und Nachbarwissenschaften
E. Otremba (1976, S. 63) hat die Agrargeographie als „eine der typischen Grenzund
Überschneidungswissenschaften“ bezeichnet. Ihr Forschungsgegenstand,
der Agrarraum, kann aus der^Perspfhtive mehrerer (Nachbar-)Disziplinen angegangen
werden. Unbestritten ist ihre Zuordnung zur Wirtschaftsgeographie,
wenn man die traditionelle Gliederung der Anthropogeographie zugrunde legt.
Sie muß aber auch Forschungsansätze aus einer Reihe von Teildisziplinen der
Allgemeinen Kulturgeographie wie z.B. der Siedlungsgeographie und der Historischen
Geographie übernehmen.
Jenseits der Disziplingrenzen der Geographie ergeben sich Kontakte mit den
Naturwissenschaften sowie den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, insbesondere
mit der Agrarökonomie. Will man den Agrarraum nicht nur rein aktualistisch
erklären, sondern auch seine geschichtliche Dynamik berücksichtigen, so

Die Agrargeographie als wissenschaftliche Disziplin
ist zwangsläufig die Zusammenarbeit mit Agrargeschichte und Agrarsoziologie
unumgänglich.
Stärker als andere Zweige der Wirtschaftsgeographie hat die Agrargeographie
hei der Erklärung der räumlichen Differenzierung des Agrarraums auch natürliche
Faktoren zu berücksichtigen. Dementsprechend sind partiell die Ergebnisse
von Nachbarwissenschaften wie Bodenkunde, Makro- und Mikroklimatologie,
Agrarmeteorologie, Vegetationskunde sowie das Zusammenwirken der Einzelfaktoren
in Ökosystemen zu berücksichtigen.
D. Bartels (1968, S. 1-8) hat aufgezeigt, daß sich Forschungstätigkeit in erster
Linie von ihren Problemtoeisen her als ein aus dem Tätigkeitsinhalt zu definierender
geistiger Zusamrnenhalt identifiziert. Die klassische Einteilung der Wis
senschaften nach dem „Schubfachsystem“ ist nicht mehr haltbai^An ihre Stelle
tritt ein heterogenes Feld voller Überschneidungen und forschungsgegenständlicher
Gemeinsamkeiten der verschiedensten Disziplinen. Die Entwicklung einer
wissenschaftlichen Disziplin ist ein historischer Prozeß, eingebunden in geschichtliche
Trends, abhängig von gesellschaftlichen Anforderungen und gesteuert
durch mancherlei Zufälle. Wie in Kapitel 1.2 erläutert wurde, waren bis in die
ersten Jahrzehnte diese Jahrhunderts vornehmlich Nichtgeographen Träger
agrargeographischer Forschungen. Daß sich in der Folge eine Teildisziplin Agrargeographie
im Rahmen der Wirtschaftsgeographie etablieren konnte, war nicht
zuletzt dem Umstand zu verdanken, daß die Agrarwissenschaften lange Zeit den
räumlichen Aspekt der Landwirtschaft vernachlässigt hatten. Die Geographie,
inzwischen als Universitätsfach institutionalisiert, konnte die Marktlücke füllen
und die Fülle ihrer weltweiten Erfahrungen zur Erforschung des Agrarraums der
Erde in seiner räumlichen Differenzierung einbringen. Erst in jüngster Zeit sind
bei der Agrarökonomie wieder verstärkte Bemühungen um die Entwicklung regionaler
Betrachtungsweisen sichtbar. Einerseits entwickelte sich eine Teildisziplin
„Regionale Landwirtschaft“, welche auf der Mikro- und Mesoebene die
Landwirtschaft eines abgegrenzten Raumes analysiert. „Bei regionaler Landwirtschaft
handelt es sich um die ein Gebiet betreffende Landwirtschaft“ (H. Spitzer
1975, S. 14). Andererseits wenden sich Agrarökonomen auch auf der Makroebene
wieder dem Agrarraum der Erde in klimazonaler Untergliederung zu, wovon das
umfangreiche Studienbuch von B. Andreae (1983) zeugt. Die begrüßenswerte
Wiederentdeckung regionaler Betrachtungsweisen durch die Agrarökonomie
dürfte vor allem auf die Anforderungen des Arbeitsmarktes zurückzuführen sein.
Raumordnung, Regionalplanung, nicht zuletzt die Tätigkeit im Rahmen der Entwicklungshilfe
für die Dritte Welt erfordern räumliche Betrachtungsweisen.

і Ц у о / Ѵ ' У 19
2 Allgemeine Einflußfaktoren des Agrarraumes
Im Kapitel 1.1 wurde darauf hingewiesen, daß sich die landwirtschaftliche Produktion
in einer Vielfalt von Produkten, Produktionsmethoden und Organisationsformen
vollzieht, so daß der Agrarraum der Erde ein huntes Mosaik von
Agrarsystemen aufweist. Es stellt sich die Frage nach den Einflußfaktoren dieser
räumlichen Differenzierung. Schon L. W a ib e l forderte 1933 (S. 96) eine „Faktorenlehre
der Landwirtschaftsgeographie”, welche die bei der räumlichen Differenzierung
der Landwirtschaft „wirksamen Kräfte“ aufzudecken habe.
Es versteht sich von selbst, daß die Einflußfaktoren agrarwirtschaftlicher
Aktivitäten nicht strenge Determinanten wie in naturgesetzlichen Prozessen sein
können. Alle wirtschaftlichen Aktivitäten beruhen letztlich auf bewußten und
unbewußten Entscheidungen von Menschen. Und menschliches Verhalten läßt
sich nicht kausaljnechanistisch sondern allenfalls aufgrund stochastischer Prozesse
erklären, p ie Vielzahl von Einzelfaktoren, welche die Agrarsysteme beeinv
flussen, lassen sich zu vier großen Gruppen zusammenfassen:
- Naturfaktoren ----- ------------------------ —
- Wirtschaftliche Faktoren f
- Individuelle und soziale Faktoren ^
y- Politische Faktoren
Diese Gliederung in vier Gruppen erfolgt aus pragmatischen Gründen, es sind
auch andere Gruppierungen denkbar. In der Regel treten auch Überschneidungen
auf, besonders der politische, soziale und wirtschaftliche Bereich ist im Einzelfall
oft schwer zu trennen.
2.1 Die natürlichen Einflußfaktoren des Agrarraumes
Die landwirtschaftliche Primärproduktion basiert auf der Photosynthese, d.h. auf
jener Fähigkeit der Pflanzen, aus Wasser und anorganischen Mineralien des Bodei^
_und_,aus dem Kohlendjoxid der Atmosphäre organische Substanzen aufzubauen,
wobei die erforderliche Energie für diesen riesigen Reduktiönspro^eß von
der solaren Einstrahlung geliefert wird. Auf der pflanzlichen Produktion baut die
tierische auf. Die Landwirtschaft, d.h. die Erzeugung pflanzlicher und tierischer
Produkte, beinhaltet also biologische Prozesse, eingebettet in das jeweilige Ökosystem,
das sie ihrerseits beeinflußt. Юіта und Witterung, Boden, Relief, Naturund
Kulturpflanzen, Nutztiere bilden komplexe ökologische Systeme mit vielen
Interaktionen. Diese Interdependenz der Einzelfaktoren erschwert die Bewertung
ihres Einflusses, ihre Meßbarkeit. So ist z.B. die Auswirkung einer Monatsniederschlagsmenge
auf das Wachstum einer Pflanzenart x abhängig u.a. von der Art
des Niederschlags, seiner Verteilung, den vorangegangenen Niederschlägen, der
Einstrahlung, der Verdunstung, den Bodenverhältnissen, der Vegetationsdecke,
der Phase der Pflanzenentwicklung. Es ist daher im Einzelfall außerordentlich
schwierig, die Verbreitungsgrenze einer Pflanze mit physikalischen Daten wie
etwa Юimadaten zu korrelieren. Diese Schwierigkeit rührt einmal von der außerordentlich
großen Zahl von Einzelelementen eines Ökosystems, zum andern von

Allgemeine Einnußfaktoren des Agrarraumes
der noch viel größeren Zahl der Interaktionsmöglichkeiten her. Aus diesen Gründen
sind auch heute noch langjährige Experimente unerläßlich, soll eine Pflanze
oder eine Haustierrasse an einen fremden Standort verpflanzt werden.
2.1.1 Die vermeintliche Beherrschung der Natur
In der'Geschichte der Agrargeographie war die Einschätzung der Natur als Einflußfaktor
für die Landwirtschaft starken 'Wandlungen unterworfen. Gegen Ende
des 19. Jahrhunderts wurde unter dem Einfluß Friedrich Ratzels der Einfluß der
natürlichen Faktoren sehr hoch bewertet. Ratzel hat von Darwin das Selektionsprinzip
der Natur als bestimmendes Agens für die räumliche Differenzierung
menschlicher Kulturen übernommen. Um 1900 setzten sich possibilistische "Vorstellungen
durch, welche die Handlungsautonomie des Menschen und die alternativen
Möglichkeiten bei der Inwertsetzung eines Naturraumes hervorhoben.
Nach 1950 führte die Adoption von wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen
Denkweisen in der Geographie zu einer Geringschätzung natürlicher Faktoren im
Agrarraum. Unter dem Einfluß eines allgemeinen technologisch fundierten Positivismus
in den fünfziger und sechziger Jahren gewann die Auffassung Raum,
daß moderne Technik und Wissenschaft den Menschen in die Lage versetzt habe,
weitgehend unabhängig von den Naturgrundlagen zu wirtschaften. Die Überwindung
natürlicher Schranken wurde zu einer Frage von Kapitaleinsatz und Technologieentwicklung
reduziert. „Total control over the physical enviroment is an
ultimate possibility ...“ (Morgan u. Munton 1971, S. 41). Diese Einstellung erklärt
sich aus den außerordentlichen Produktionssteigerungen der Landwirtschaft in
den Industrieländern, deren Agrargebiete mehrheitlich in der gemäßigten Юітаzone
liegen. Die hier erwirtschafteten hohen Dauererträge wurden auch in anderen
Zonen für erzielbar gehalten. Ein zweiter Grund war die stillschweigende
Annahme, daß die erforderliche billige Energie für eine globale Modernisierung
der Landwirtschaft überall und unbegrenzt zur Verfügung stünde.
Nun haben zweifellos die Anwendung wissenschaftlicher Methoden und die
Entwicklung der Agrartechnologie die Abhängigkeit der Landwirtschaft vom natürlichen
Milieu verringert. Die Ertragssicherheit der pflanzlichen und tierischen
Produktion hat sich in den entwickelten Ländern der gemäßigten Breiten stark
verbessert. Konnte in der Provinz Hannover im Jahrzehnt 1890-99 die Weizenernte
noch um 3 7 %und die Kartoffelernte sogar um fast 40 %unter den Durchschnittswert
sinken, so betrugen diese Werte für Niedersachsen in den Jahren
1970-79 nur noch 14% bzw. 23,7%. (s. Abbildung 2.1). Die Weinmosternte im
Deutschen Reich pendelte in den Jahren 1904-13 zwischen 35,4 hl (1904) und
7,5 hl (1910) je Hektar. Das bedeutete, daß das Maximum 69% über und das
Minimum 64 %unter dem Durchschnitt von 20,9 hl/ha lag. Im Jahrzehnt 1970-79
lauteten die Extremwerte 79,8 hl (1971) und 134,2 hl (1970), d.h. 30,5 %unter bzw.
22,4 %über dem Mittelwert der Dekade. Die Entwicklung der Agrartechnik hat
außerdem die Möglichkeiten eines Betriebs, an einem Standort mit vorgegebenem
Naturpotential unter verschiedenen Produktionsrichtungen zu wählen, beträchtlich
erweitert und so seine Produktionsflexibilität erhöht.

Die natürlichen EinfìuMaktoren des Agrarraum'es 21
Abb. 2.1 :
Ertragsschwankungen
bei Winterweizen und
Kartoffein
Provinz Hannover 1890-99
Land Niedersachsen 1970-79
Bei näherer Betrachtung reduziert sich die Beherrschung des natürlichen Milieus
auf eine Beeinflussung von Teilen des Ökosystems. Am ehesten lassen sich -
jedenfalls in den gemäßigten Breiten - die Eigenschaften des Produktionsfaktors
Boden steuern. Fortlaufend.e -Bearbeitung yerbessert die Bodenstruktur, s^rke
Trakioren ermöglichen den Umbruch schwerer Böden mit hohem Tonanteil, Tief^
pflügen bricht Ortssteinschichten, Mineraldünger gleicht das Nährstoffdefizit
aus, wägend, ,oyganische Dünger und Gründüngung den Humusgehalt regeln.
Der Ausbau der Vorfluter und der Dränagesysteme steuert den Wasserhaushalt;
dadurch wurde in Mitteleuropa das Nässerisiko in niederschlagsreichen Jahren,

22 Allgemeine Einnußfaktoren des Agrarraumes
das bis Ende des 19. Jahrhunderts gravierender war als das Dürrerisiko, stark
reduziert. Das Beispiel der Heidekolonisation in den nordwesteuropäischen Geestgebieten
zeigt, wie in früheren bodenbedingten Ungunsträumen brauchbare
Nutzflächen mittlerer Güte gewonnen wurden. Die Ertragsunterschiede zwischen
Geest und Börde sind heute weit geringer als im vorigen Jahrhundert.
Diese Erfolge bei der Steuerung des Bodenfaktors wurden vorwiegend in den
gemäßigten Klimazonen erzielt, ln den ariden Zonen und besonders in den Tropen
stößt der Mensch sehr viel schneller auf Grenzen, die der Boden setzt, ln den
feuchten Tropen ist die rasch nachlassende Ertragskraft der Böden offensichtlich
noch immer das größte Hindernis für eine dauernde Ackernutzung.
Sehr viel eingeschränkter als beim Boden sind die Steuerungsmöglichkeiten
beim Юіта. Das Großklima entzieht sich völlig einer gezielten Beeinflussung
durch den Menschen, beim Mikroklima bestehen begrenzte Eingriffsmöglichkeiten,
etwa durch Windschutzhecken, Schirmwirkung durch Bäume (Überhälter),
Spaliermauern. Von den einzelnen Klimafaktoren läßt sich großflächig lediglich
die Wasserzufuhr steuern. Bewässerungssysteme gewinnen nicht nur in den
Trockenzonen der Erde an Bedeutung, sie helfen auch in den gemäßigten Breiten
die Trockenperioden zu überbrücken und tragen so zur Steigerung und Stabilisierung
der Erträge bei. Ihre Einrichtung wird durch Verfügbarkeit von Grund- oder
Oberflächenwassir in wirtschaftlich zumutbaren Distanzen begrenzt. Demgegenüber
läßt sich das Angebot an Wärme und Licht nur durch außerordentlich hohen
Kapitalaufwand beherrschen und kann daher nur kleinflächig für ertragsintensive
Kulturen in Frage kommen: Folienkulturen, Frostberegnungsanlagen in
Weingärten und Obstgärten, schließlich die Glashauskulturen. Bei letzteren ist
freilich das Klima vollständig steuerbar: Wasserangebot, Temperatur, Licht bzw.
Ein- und Ausstrahlung, ja selbst die Zufuhr von Kohlendioxid. Es versteht sich
von selbst, daß diese Gartenbautechniken nur für hochwertige Produkte und nur
für einen kaufkräftigen Markt in Frage kommen, ln den kühleren Zonen sind sie
an das Angebot preiswerter Energie gebunden.
2.1.2 Naturfaktoren als Kostenfaktoren
Der Einfluß der natürlichen Faktoren auf die Agrarsysteme wächst beim Übergang
eines Betriebs von der Subsistenzwirtscbaft zur Marktwirtschaft. Bei überwiegender
Selbstversorgung werden die Bewirtschafter alle die Produkte erzeugen
die sie für lebensnotwendig halten und die unter den gegebenen
Naturbedingungen überhaupt erzeugt werden können. Ein marktwirtschaftlich
orientierter Betrieb muß dagegen die Konkurrenz der Mitbewerber am Markt in
sein Kalkül einbeziehen. Er wird nach dem wirtschaftlichen Prinzip der komparativen
Kosten diejenigen Produkte und Produktionszweige eliminieren, die an
seinem Standort nicht mehr mit ausreichender Rentabilität produziert werden
können. Er wird sich auf diejenigen Erzeugnisse spezialisieren, für die sein Standort
die optimalen Bedingungen bietet, wozu vor allem die natürlichen Faktoren
zählen. Diese wirken also nicht direkt, sondern indirekt über die Rentabilitäts­

Die natürlichen Einflußfaktoren des Agrarraumes 23
rechnung auf eine Selektion der Produktionszweige hin. Folgt eine größere Zahl
von Betrieben eines Gebietes diesem Kalkül - was nicht unbedingt der Fall sein
muß -, so erwächst aus der einzelbetrieblichen Spezialisierung die räumliche. Auf
diese Weise kann die räumliche Differenzierung des Naturraums indirekt, über
die Entscheidungsprozesse der Einzelbetriebe, eine räumliche Spezialisierung
der Agrarproduktion bewirken. Voraussetzung ist allerdings ein effektives Transport-
und Verteilungssystem, welches die Transportkosten relativ niedrig hält. In
den Industrieländern hat sich diese räumliche Spezialisierung der Agrarwirtschaft
seit Beginn des Eisenbahnzeitalters verstärkt, sie läßt sich durch zahlreiche
Regionalbeispiele belegen; Vergrünlandung von Altmarsch und Mittelgebirgen,
Rückzug des Weinbaus in Mitteleuropa auf ökologische Nischen, neuerdings die
stärkere Spezialisierung des europäischen Mittelmeerraumes auf Obst und Gemüse.
Das bekannteste Beispiel für die räumliche Spezialisierung der Landwirtschaft
unter Anpassung an die räumliche Differenzierung der Naturfaktoren bieten
seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert die USA. Selbstverständlich spielen bei
diesen Differenzierungsprozessen nicht nur die natürlichen Faktoren eine Rolle,
sie gehen jetzt aber neben den ökonomischen und sozialen Faktoren stärker ins
Kalkül ein, als bei der früheren Subsistenzwirtschaft. Während sich also einerseits
die allgemeine Abhängigkeit der Landvyirtschaft von^aturfaktgren seit Be^nn
der Industrialisierung verringert hat, fiarte andererseits die Ausbildung größerer
Wirtschaftsräume und die Senkung der Transportkosten zu einer'stärkeren Berücksichtigung
der natürlichen Faktoren.
n
2.1.3 Natürliche Gunst- und Ungunsträume
Die natürlichen Standortfaktoren unterliegen einer konstanten ökonomischen
Bewertung, deren Kategorien im zeitlichen Ablauf starken Veränderungen unterworfen
sind. Aus diesem Grunde lassen sich auch keine Gunst- und Ungunsträume
an sich unterscheiden.
Die Bewertung des Naturpotentials eines Raumes steht zunächst in Relation
zum jeweiligen technologischen Entwicklungsstand. In vorges^hichtlicher^Zeit
war nicht einfach der fruchtbarste Boden gesucht, sondern derjenige, der leicht
zu beârEëîFéh'war. Das erklärt z.B. die relativ dichte Besiedlung der leichten
Geestböden seit dem Neolithikum. Erst mit der Entwicklung der Pflugtechnik
konnten in den mittelalterlichen Kolonisationsperioden auch schwere Lehmböden
kultiviert werden. Der Einsatz von Traktoren machte im 20. Jahrhundert das
Vordringen des Ackerlandes auch auf Standorte möglich, die vom Gespannpflug
nicht zu bearbeiten waren. Fortschritte der Entwässerungstechnik ermöglichten
die ackerbauliche Nutzung von Flächen, die früher allenfalls als Grünland genutzt
werden konnten. Andererseits führte die Mechanisierung der Feldarbeiten
auch zur Aufgabe von Flächen, die mit Maschinen nicht zu befahren sind, wie z.B.
Hänge mit mehr als 10-15° Hangneigung oder kleinterrassierte Parzellen.
Außerdem muß das Naturpotential in Bezug zur Produktionsrichtung gesetzt
werden. Jede Kulturpflanze, jedes Nutztier, jede Betriebsform hat andere Ansprü-

24 Allgemeine Einnußfaktoren des Agrarraumes
‘г>Гche
an den Standort. Ein südexponierter Steilhang mag eine ausgezeichnete
Weinberglage sein, für andere landwirtschaftliche Nutzungen kommt er kaum in
Frage. Die traditionellen bäuerlichen Betriebe Mitteleuropas legten früher, als sm
möglichst vielseitig wirtschafteten, Wert auf ein ausgeglicheftes_A'cker-Grünland-
Verhältnis. Dauergrünland wafSäHerbe gehrt und wurde selbst in größeren Entfernuhgen
vom Hof gekauft oder gepachtet. Im Zeichen der betrieblichen Spezialisierung
neigt man heute entweder zum reinen Grünland- oder zum reinen
Ackerbaubetrieb. _Betriebe mit hohen Anteilen naturbestimmten Grünlandes (Talauen,
feuchte Niederungen, Gebirgslagen) gelten hjute eher als benachteiligt
und „grünlandbelastet“, weil ihnen wenige alternative Nutzungsmöglichkeiten
ЬІеіБёпГ""^^
^
Unter diesen Einschränkungen lassen sich begünstigte Agrargebiete in Relation
zu anderen Agrargebieten - gleicher technischer Entwicklungsstand vorausgesetzt
- nach folgenden Kriterien abgrenzen:
- hohe pflanzliche Bruttoproduktion je Flächeneinheit als Funktion von Ertragskraft
der Böden und der Länge der thermischen und hygrischen Vegetations-'
zeif, “ ———— ....... '■ -
- "höhe Variationsbreite der Produktionsmöglichkeiten,
- geringes Ertragsrisiko,
- langfristige Stabilität des Ökosystems.
2.1.4 Belastungs- und Regenerationspotentiale
In jüngster Zeit wurde das Belastungs- und Regenerationspotential von Ökosystemen
zu einem wichtigen Forschungsfeld der verschiedensten Fachdisziplinen.
Mit der Einsicht, daß das ökologische Potential eines Raumes auch durch landwirtschaftliche
Aktivitäten überlastet werden kann, wurden absolute Grenzwerte
für die Inwertsetzung sichtbar. Nun ist die Erkenntnis, daß der wirtschaftende
Mensch nicht nur in die Natur eingebunden ist, sondern sie durch seine Tätigkeit
auch verändert, nicht neu. Seit dem Neolithikum haben die Ackerbauer und
Viehhalter mehr oder weniger stark in die natürlichen Ökosysteme eingegriffen.
Mit der Umwandlung des Urwaldes in Ackerland, die vor Jahrtausenden begann
und in der Dritten Welt bis heute anhält, wurden zwei ökologische Grundprinzipien
verletzt (W. Blum 1987, S. 8):
- der Anbau von annuellen Systemen ersetzte die perennierenden Waldsysteme
mit ihren langlebigen Pflanzen,
- Monokulturen im Rahmen dieser annuellen Systeme traten an die Stelle der
Artenvielfalt des früheren Waldes.
Dennoch bildete sich meist ein neues Gleichgewicht im Landschaftshaushalt aus.
. Die jieid e in den nordwesteuropäischen Geestgebieten ist wohl das bekannteste
Beispiel einer relativ stabilen Kulturlandschaft, entstanden aus einem Eich^-
Bi]jsendjmnbuchenw¿l_d_ d i ^ menschliche jhngriffe wieuAckerbam Weidewirtschaft.
Holzeinschlag und Plaggenhieb. Nicht wenige"Beobachter bewerten die
vorindustrielle Agrarlandschaft gegenüber der Naturlandschaft sogar als vielfälti-

Die natürlichen Einflußfaktoren des Agrarraunies 25
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26 Allgemeine EinñuBfaktoren des Agrarraumes
T
ger, was ihre Pflanzen- und Tierarten, Lebensgemeinschaften und Ökosysteme
betrifft (}. Zeddies 1995, S. 204). Gravierende Schäden wie Sandverwehungen und
Dünenbildungen blieben in der Heidelandschaft lokal begrenzt. Unter den klimatischen
Verhältnissen der Mittelbreiten ist offensichtlich das Regenerationspotential
relativ kräftig ausgebildet. In anderen Юimazonen ist das Belastungspotential
weit geringer. So ist die Umwandlung des bedeckten Karstes in den
nackten Karst des Mittelmeerraumes seit der Antike ein frühes Beispiel für die
irreversible Zerstörung eines empfindlichen Ökosystems.
Globale Potentialgrenzen
Die Tragfähigkeit von Ökosystemen ist weltweit sehr unterschiedlich. R. Schmidt
u. G. Haase (1990) haben ein Schema über das land- und forstwirtschaftliche
Ertragspotential der natürlichen Klima- und Vegetationszonen der Erde aufgestellt
(s. Übersicht 2.1).
Weltweit ist die Bodendegradation das gravierendste Problem. Sie wird definiert
als „dauerhafte oderlrreyersible Veränderung der Strukturen und Funktion
von Böden oder der VerlustTdie durch physiRalische und chemische lîïïerTüoîô^s'cKê~Bërasîühgen
hntstehén und die Belastbarkeit des jeweiligen Systems überschreiten”
(A. Hebel 1995, S. 686).
Im Rahmen des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) wurde
zwischen 1987 und 1990 ein Weltkartenwerk zum aktuellen Stand der anthropogenen
Bodendegradation im Maßstab von 1 : 10 Millionen erstellt. Dieses GLASOD-
Projekt (Global Assessment of Soil Degradation) unterscheidet vier Haupt- und
mehrere Untertypen der Bodendegradation (s. Übersicht 2.2).
Die größten Flächen werden durch Wassererosion beeinträchtigt, gefolgt von
Winderosion und chemischer und physikalischer Verschlechterung. Nach UNEP-
Schätzungen - die allerdings angezweifelt werden - sind 38 %der Weltackerfläche
von 14,5 Mio. km^ durch anthropogene Bodendegradation beeinflußt (A. Hebel
1995, S. 687). Je nach Klimazone treten die verschiedenen Arten der Bodendegradation
in den Vordergrund. Die Wassererosion ist am gefährlichsten in den
Gebirgsräumen der Tropen und Subtropen, während sie in der Zone der gemä-
Ч
к
Haupttypen
Wassererosion
Winderosion
physikalische
Verschlechterung
chemische
Verschlechterung
Subtypen
Oberbodenverlust
Reliefveränderung, Massenversatz
Oberbodenverlust
Überwehung
Reliefveränderung/Deflation
Verdichtung
Versiegelung, Krustenbildung
Versumpfung
Verlust an Nährstoffen und
organischen Substanzen
Versalzung
Versauerung
Verschmutzung
Übersicht 2.2:
Typen der Bodendegradation
(Quelle: A. H e b e l, 1995,
S. 687)

Die natürlichen Einflußfaktoren des Agrarraumes 27
ßigten Юітаіе die Produktivität der Landwirtschaft nur wenig beeinflußt. In der
Sahelzone setzt die Ausweitung der Ackerflächen mit immer kürzeren Bracheperioden
den Boden vor allem der Winderosion aus. Die starke Ausweitung der
Bewässerungsflächen in den letzten vierzig Jahren verschärfte das Problem der
Versalzung und Vernässung, das in den Trockengebieten schon immer gegeben
war. Versalzung tritt auf, wenn der Boden unzureichend dräniert und entwässert
wird, Vernässung ist auf zu hohe Wassergaben zurückzuführen. Räumliche
Schwerpunkte sind Ägypten, Irak, Indien, Pakistan, die zentralasiatischen Republiken
sowie der Westen der USA. In Mitteleuropa sind die Böden vor allem durch
Bodenverschmutzung gefährdet. Wie man sieht, treten die meisten Arten der
Rndenriegradatinn vorwiegend in den ärmsten Ländern der Welt auf. Ms Tòlge
der Bodenverschlechterung sind die Erträge und gesamten Ernteergebnisse wichtiger
Nahfuhgsmittel ih einer Tfeihe von Ländern zurückgegangen, insbesondere
in Afrika südlich der Sahara, und zwar im Gegensatz zum globalen Trend wachsender
Erträge (Weltbank 1992, S. 68).
Ein Sonderfall ist die Desertifikatiön, die erstmals in den siebziger Jahren nach
einer Dürreperiode im Sahel wahrgenommen wurde. In Deutschland wurde sie
vor allem durch die Arbeiten von H. Mensching (1979, 1990) und F. Ibrahim
(1980) publik. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen UNEP definiert
Desertifikation als die „Länddegrädation in ariden, semiariden und Jrockeneren
subhumiden Zonen, hauptsächlich infolge menschlfchéf 'Eingriffe“ (A. Hebel
1995, S. 686). Ihre Auswirkungen gehen über'dlë 'Bôflendegradation - überwiegend
durch Winderosion - weit hinaus und betreffen vor allem die weitgehende
Zerstörung der Vegetation und die Störung des Wasserhaushalts. Sie tritt auf in
Räumen hoher Niederschlagsvariabilität mit mehrjährigen Dürreperioden. In
¿ifisen Gebi.eleaLffiit von Natur,aus labilen.Ökosystemen schädigen anthropogene
Eingriffe wie,Üherweidung, Ausdehnung des Ackerlandes auf ungeeignete Standorte.
imd_£xz£SsiYe_Brennholzgewinnung den Lafl4schaftsh.aus,halt derartig, daß
wüstenhafe Zustände auftreten können.
Die Rodung des tropischen Regenwaldes bedeutet die Zerstörung eine Ökosystems
mit hohem Produktionspotential, das allerdings einen nahezu geschlossenen
Stoffkreislauf mit hoher Umsatzgeschwindigkeit darstellt, dem nur behutsam
Nahrungsstoffe entnommen werden können. Der Aufbau eines dauerhaften
anthropogenen Ökosystems erscheint hier sehr viel schwieriger als in der früheren
Laubwaldzone der gemäßigten Breiten. Die Verluste an Waldfläche werden
für die frühen neunziger Jahre auf jährlich 15, 4 Mio. ha geschätzt (N. Alexan-
DRATOS 1995, S. 351), von welcher der größte Teil in Weide- und Ackerland umgewandelt
wird.
Großräumige ökologische Schäden in den Trockengebieten und in den Tropen
gehen auch auf die Übertragung von ungeeigneten Nutzungsweisen aus anderen
Klimazonen zurück. Die. aus. der AgrarreyoMtion des 18./19. Jahrhunderts erwachsene
moderne Landwirtschaf^entspricht den Böden, Klimaten und Kulturpflanzen
deü-göi»äßigten- Br&ite«-u.nd kann nicht unverändert auf andere Klimazonen
übertL4g.e,n,}A4Si;4g.n. Verschiedene Maßnahmen zur Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit
wurden hier im Laufe der geschichtlichen Entwicklung erprobt:
Feld-Gras-Wechselsysteme, Fruchtfolgen mit eingeschobenen Brachjahren, Inte-

28 Allgemeine Einflußfaktoren des Agrarraumes
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gration von Ackerbau und Stallviehhaltung mit hohem Aufkommen an Naturdünger,
schließlich seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert der zunehmende
Nährstoffersatz durch Mineraldünger.
Bei der Übertragung des in Mitteleuropa in Jahrtausenden bewährten Acker-
Ыиз in andere Klimazonen ergaben sich unerwartete Schwierigkeifeh. S6 traten
schon früh bei der Kultivierung der Steppengebiete (USA, UdSSRjT nach der
Zerstörung der natürlichen Grasnarbe. Schäden durch äolische und fluviatile
Erosion auf. Sie wird ausgelöst durch die fehlende Vegetationsdecke im WuTfer'
und durch die Bodenbearbeitung, welche zu einer RedUZieningMer bodenstabüisierenden
Huminstoffe führt. Zu Erosionskatastrophen können sich diese Erscheinungen
auswachsen, wenn ungünstige episodische Witterungsbedingungen
Zusammentreffen. Langjährige Dürren mit tiefgreifender Bodenaustrocknung
und nachfolgende Stürme haben in den dreißiger Jahren in den USA und um
1960 in Kasachstan großflächig den Oberboden abgetragen.
In all diesen Ökosystemen, die auf Eingriffe des Menschen empfindlich reagieren,
ist die Entwicklung aneeyaßter Aerarsysteme erforderlich. Das bedeutet u a.
Verzicht auf kurzfristige Gewinne zugunsten einer langfristigen Stabilität. Injien
trockenen Ackerbaugebieten der USA wurden nach den Dürrekatastrophen der
dreißiger Jahre spezielle Methoden der „soil conservation“ entwickelt (Konturenpflügen,
Waldschutzstreifen, strip farming, bodeñwasserkonsérvierende Method
Эеп). In den feuchten Tropen wird noch mit verschiedenen naturnahen Nutzungssystemen
experimentiert (s. Kapitel 4.3.1). —-=>
Ein schweres Konfliktpotential für die Zukunft bildet der Wettbewerb um die
sich verknappenden Wasserressourcen. In den Entwicklungsländern ist die Landwirtschaft
der Hauptwasserverbraucher. Nach N. Alexandratos (1995, S. 354) konsumiert
sie 70 %der „managed water resources“, während auf die Industrie 21 %
und auf die Haushalte 6 % entfallen. Industrialisierung, Verstädterung und die
wachsende Bevölkerung erheischen höhere Anteile. Andererseits erfordert der
wachsende Nahrungsbedarf die Ausweitung der Bewässerungsfläche. Bereits heute
wird rund die Hälfte der Getreideernte in den Entwicklungsländern auf Bewässerungsland
produziert. Bei der Nutzung des Wassers grenzüberschreitender
Flüsse (z.B. Nil, Jordan, Euphrat, Tigris, Indus, Ganges, Brahmaputra) sind zwischenstaatliche
Konflikte um die Wassernutzung denkbar geworden. Die Übernutzung
der Grundwasservorräte durch Feldberegnung führt bereits in der
niedersächsischen Geest zu Interessenkonflikten zwischen Landwirten und anderen
Gruppen sowie zu Uinweltschäden (Baumsterben, Versiegen von Quellen und
Bächen). In den Trockengebieten der Erde wird vielfach, fossiles Wasser abgepurn^,~das
sïcITKâum regënêfièrt (groundwater mining). Die künftige Wasserversorgung
ist nicht mîf~dtîrch qUáhtitatrvé Verknappung, sondern auch durch
die Verschlechterung der Wasserqualität nach Einführung intensiver Wirtschaftsmethoden
in der Landwirtschaft bedroht:
Das Dränagewasser läßt den Salzgehalt steigen, die Rückstände von Mineraldünger
und Pflanzenschutzmitteln bedrohen die Gesundheit von Mensch, Vieh
und Wildtieren (N. AIexandratos 1995, S. 359). Ein nachhaltiges Management der
knappen Süßwasserressourcen der Erde ist eine der großen Zukunftsaufgaben
der Menschheit. “

Die natürlichen Einhußfaktoren des Agrarraumes 29
Potentialgrenzen industrieller Landwirtschaft
In den Industrieländern, die vorwiegend in der Юітагопе der gemäßigten Breiten
liegen, wurden die von der Landwirtschaft ausgehenden Umweltschäden lange
übersehen. Dabei werden auch hier zunehmend die Grenzen der Belastbarkeit
landwirtschaftlicher Ökosysteme sichtbar. Die seit Ricardo in der
schaftslehre gültige Auffassungi^erzufol^e der Boden ein Produktionsfaktor mit
den Merkmalen „unbeweglich, unvermehrbar und unzerstörbar“ ist, kann unter
ökologischen Aspekten nicht mehr aufrechterhalten werden. Die landwirtschaftlich
genutzten Flächen haben nicht_nur der landwirtschaftlichen Produktion zu
dienen (biologische Produktionsfunktion), sondern müssen auch wichtige Funk- .
tionen der Umweltsicherung erfüllen, wie z.B. die Grundwasserbildung oder die
bisher weitgehend unbeachtet gebliebenen Filter-, Puffer- und Transformationsfunktionen.
Diese Funktionen beschreiben den Boden als Substrat, das schädliche
Stoffe aus der Umwelt mechanisch filtern, biologisch umwandeln oder gänzlich
abbauen sowie physiko-chemisch binden und somit unschädlich machen kann
(W. Blum 1987, S.8). Diese Filter-, Puffer-, und Transformationseigenschaften
schützen die wichtigsten Lebensgüter des Menschen, nämlich die Nahrung und
das Wasser.
Daß auch von der Landwirtschaft schwere Umweltschäden verursacht werden,
wurde in den Industrieländern lange verdrängt. Die sogenannte Landwirtschaftsklausel
des Bundes-Naturschutzgesetzes ist sogar eine amtliche Unbedenklichkeitsbescheinigung;
„Die im Sinne dieses Gesetzes ordnungsgemäße land-, forstund
fischereiwirtschaftliche Bodennutzung ist nicht als Eingriff in Natur und
Landschaft anzusehen“ (§ 8, Absatz 7).
Es wird dabei übersehen, daß die moderne Landwirtschaft seit der Mitte des 20.
Jahrhunderts über technische Möglichkeiten verfügt, die eine so hohe Intensität
der Landschaftsnutzung erlauben, daß die Agro-Ökosysteme zunehmend belastet
werden. Das Kreislaufprinzip der Natur, das den relativ naturnahen Agrarsyste^
men der vorindustHeUen Zeit zugnîï^ëTàgTWirde aufgegeben. Fossile Energie
und Rohstoffe wurden in solchen Mengen aus der Erdkruste geholt und in terrestrische
Ökosysteme eingebracht (W. BLUM 1987, S. 6), daß das umweltverträgliche
Maß häufig überschritten wird. Folgende Belastungen lassen sich unterscheiden
(H. KUNTZE 1972; N. KNAUER 1980; H. V. Schilling 1982; W. Blum 1987; J. Zeddies
1995; F. TiMMERMANN 1995):
- physikalische Belastung des Bodens,
- chemische Belastung des Bodens,
- biologische Belastung des Bodens,
- Luftverschmutzung,
- Schaffung technikgerechter Nutzflächen,
- Artenschwund.________
Zur physikalischen Belastung zählen Bodenerosion und Bodenverdichtung. Letztere
entsteht durch die Verwendung schwerer Großmaschinen. Der Boden wird
vor allem in den Fahrgassen verknetet, die Infiltration des Niederschlagswassers
wird behindert, es kommt zum verstärkten Oberflächenabfluß. Die Erträge lin ­
kem jia..das_Wurzelw^^ behindert ist. Erosionsgefährdet sind Böden mit
schlechter Krümelstruktur bei größerer Hangneigung. Die Winderosion ist in Mit-
.1

30 Allgemeine Einüußfaktoren des Agrarraumes
teleuropa relativ unbedeutend, le^diglich auf den leichten ^ndböden des Norddeutschen
Tieflands kann es zu stärkeren Auswehungen kommen, wenn die
schürende Vegetationsdecke fehlt. ' ——— —-
Die chemische Belastung der Umwelt durch die Landwirtschaft rührt aus mehreren
Quellen. Der Einsatz von Mineraldünger hat sich in allen Industrieländern
in den letzten Jahrzehnten vervielfacht. Niedrige Energiepreise haben bis 1980
höhere Gaben von Stickstoff ermöglicht; seitdem ist ein leichter Rückgang festzustellen
(vgl. Tabelle 2.1).
1960/61 1970/71 1980/81 1990/91 1993/94
Stickstoff (N) 43,4 83,3 126,6 117,4 109,2
Phosphat (P2O5) 46,4 67,2 68,4 43,7 31,9
Kali (KjO) 70,6 87,2 93,4 63,4 47,7
Kalk (CaO) 37,4 49,5 92,9 122,3 95,0
Summe 197,8 287,2 381,3 346,8 283,8
Tab. 2.1:
Der Mineraldüngereinsatz in
den alten Bundesländern
in kg/ha
(Quelle: AGRIMENTE 95 , S.16)
Ще Vergrößerung der Tierbestände, nicht zuletzt auf der Futterbasis importierter
Futtermittel, bewirkte eine erhöhten Anfall von organischem Dünger, v ^ allem"
von Gülle. Über diesen Wirtschaftsdünger gelangt ein Großteil der importiertirT'
Nährstoffe in die Böden und erhöht zusätzlich deren Nährstoffvorrat. Die Ausschwémmung
überschüssiger Phosphate und Stickstoffverbindungen führt zur"
Eutrophierung der Oberflächengewässer - vor allem über das Dränagewässer -
und zur Nitratanreicherung im Grundwasser, ln den Ländern der Europäischen
Union darf der Nitratgehalt im Trinkwasser 50 Milligramm pro Liter nicht übersteigen.
In Gebieten mit intensiver Landwirtschaft werden aber bereits Konzentrationen
von mehr als 500 mg/1 in oberflächennahen Bereichen des Grundwassers
gemessen. Die Situation des Nährstoffhaushalts hat sich in den Intensivanbaugebieten
der Industrieländer in den letzten Jahrzehnten radikal gewandelt.
Galt bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts die Hauptsorge der Bauern dem Erhalt der
Bodenfruchtbarkeit durch den Ersatz der mit der Ernte entzogenen Nährstoffe, so
führt heute die Überfrachtung der Böden mit Stickstoff und Phosphat zu unerwarteten
Problemen.
Eine weitere chemische Umweltbelastung, die erst in den letzten Jahren erkannt
wurde, ist die Anreicherung mit Rückständen der Pflanzenschutzmittel in
Boden und Grundwasser. Im Altbundesgebiet stieg der Absatz von Herbiziden,
Insektiziden und Fungiziden von 19 4691 (1970) auf 36 7741 (1988); im vereinten
Deutschland ist er bis 1993 wieder auf 28 930 t gefallen (Statist. Jb. ELF 1994). Von
dieser Menge entfallen etwa die Hälfte auf Herbizide, die vor allem im Intensivackerbau
mit Getreide, Mais und Rüben angewandt werden. Die Fungizide als
zweitgrößte Gruppe haben einen Anteil von etwa 25 %am Inlandsabsatz; sie werden
vor allem im Obst-, Wein- und Hopfenanbau eingesetzt.
.^óbleme könnten in der Zukunft auch aus der Kontamination von (5$Ьшё£Г
met^^ ^ m Boden erwachsen. Lokal traten sie schonlm m erln Bergbaugebieten
auf; heute finden sie über den Phosphatdünger, der geringe Mengen enthält.

Die natürlichen Einñuñfaktoren des Agrarraumes 31
flächenhafte Verbreitung. Außerdem drängen Abfallstoffe wie Юärschlämme und
komposte in die landwirtschaftliche Verwertung. §chheßlich gelangen auch über
den Luftpfad zusätzlich kritische Stoffeinträge..aul.die Böden. Neben Schwerme-
.^allen sind es besonders die SäurebUdnpr. Schwefel- und Stickoxide sowie Ammoniak
(F. Timmermann 1995, S. 710).
Die biologische Belastung entsteht durch extrem enge Fruchtfolgen. Die Steigerung
des Getreideanteils auf Werte von 60 - 80 %der LN in vielen Betrieben auf
Kosten der Hackfrucht- und Feldfutterbaufläche, die Begünstigung von Pflanzen
mit hohen Bodenansprüchen (Weizen, Mais, Zuckerrüben) führt zu einer Verarmung
der Feldpflanzengesellschaft gegenüber der alten Fruchtwechselwirtschaft.
Zur Luftverschmutzung trägt die Landwirtschaft mit klimawirksamen Spurengasen
wie Kohlendioxid CO2 , Methan CH^ , Stickoxiden sowie mit Ammoniak bei.
Methan entsteht vor allem beim Reisbau, in zweiter Linie durch die Rinderhaltung.
Das Streben nach technikgerechten Nutzññchen rührt aus den Anforderungen
der Landtechnik nach großen, leicht zu befahrenden Schlägen her. Dem kommt
die Flurbereinigung - in den früheren sozialistischen Staaten die Kollektivierung
- entgegen. D.ahßi..W£IÜSS._sei_t^mehr als hundeüLJahren Gräben und Terrassen
beseitigt sowie Bäume, Hecken und Feldgehölze gerodet. Manl5eseiR^ ErosTònsl^rrieren,
die Erosionsgefahr stógt^roit der Parzellengröße. Entwassirüngsmaßnahmen
begradigen die Wasserläufe, die zu Vorflutern degradiert werden,
Feuchtbiotope, wie etwa die Moore, verschwinden. Die Trockenlegung ermöglicht
den gewünschten Umbruch von Grünland zu Ackerland mit höherem Ertragspotential.
Das Ergebnis ist em-etausgeräumte Flur, in der Wildpflanzen und Wildtiere
kaum noch eine Lebenschance haben. Der Niedergang, der Niederwildbestände
(Feldhase, Rebhuhn, Fasan) sprichteine-deutliche Sprache. So ist die
Strecke von Feldhasen in der ehemaligen DDR von 380 000 (1960) nach der Kollektivierung
bis 1980 auf 22 000 zurückgegangen. Aus der kleingliedrigen, abwechslungsreichen
vorindustriellen AgrarlandschafTTst in den Intensiv-Ackerbaugebieten
eine monotone,; Kultursteppe geworden, deren Erholungswert für
den Menschen fraglich ist.
Der Artenschwund, d.h. das Verschwinden vieler Tier- und Pflanzenarten ist
zweifellos zum Großteil der intensiven Wirtschaftsweise der modernen Landwirtschaft
zuzuschreiben. Viele Pflanzengesellschaften, der vorindustriellgn-Agrarlaiidschaften
sind vom Verschwinden bedroht, wie z.B. Trockenrasen, Streuobstwieseu,
artenreiche Futterwiesen,"Feldraingesellschaftenr iVrit ihnen verschwindet
auch eine Vielzahl von Tierarten.'
Die Umweltbelastung durch die Landwirtschaft ist regional sehr unterschiedlich.
ln Deutschland sind die folgenden Agrarlandschaften besonders stark belastet
(J. Zeddies 1995, S. 206):
Intensive Ackerbaugebiete der Bördenzone von Hannover bis Leipzig, am Niederrhein,
in den Gäuzonen Süddeutschlands. Die hier vorherrschenden Marktfruchtbetriebe
wirtschaften vielfach viehlos, die Fruchtfolge ist auf die drei
Glieder Weizen - Wintergerste - Zuckerrüben/Raps eingeengt. Das erfordert
hohe Gaben von Mineraldünger und Pflanzenschutzmitteln. Die Erhaltung der

32 Allgemeine Einflußfaktoren des Agrarraumes
}ÍíÁnÍ!!i^^'
organischen Substanz ist beschränkt auf Strohdüngung, Gründüngung und
Wurzelmasse.
- Gemüse- und Sonderkulturgebiete an Oberrhein, Mosel, Main und Neckar sowie
an Havel und Unterelbe sind ebenfalls durch einen hohen Aufwand an
Dünger und Agrochemikalien belastet.
- Veredlungsgebiete mit hohem Tierbesatz im westlichen Niedersachsen, im
Münsterland und am Niederrhein. Das Hauptproblem sind hier die Nitratanreicherung
im Grundwasser und die Eutrophierung der Oberflächengewässer
wegen des hohen Gülleanfalls, der einseitige Maisanbau (Erosionsgefahr),
Geruchsbelästigungen und nicht zuletzt die Tierseuchengefahr im
Gefolge der Massentierhaltung.
Angesichts der sichtbar werdenden ökologischen Belastungsgrenzen hat sich in
allen Industrieländern als Gegenbewegung zur „konventionellen“ Landwirtschaft
eine „alternative“ Landbewirtschaftung entwickelt. Sie versucht, mit naturnahen
Methoden zu produzieren und dabei die natürliche Bodenfruchtbarkeit zu bewahren.
In Deutschland wurden 19^5 umweltgerechte Landbewirtschaftungsformen
einschïîêfflîch^ëxtensiver und ökologischer Produktionsverfahreri_auf
rund 1,7 Mio. ha von der Bundesregierung finanziell gefördert. Das entspricht
etwa 10 %der LF.
2.1.5 Die Teilfaktoren des geoökologischen Komplexes
Es ist nicht Sache der Agrargeographie, Grundlagenforschung auf dem Gebiete
der Bodenkunde, der Klimatologie und Meteorologie zu betreiben; sie hat aber
deren Ergebnisse in nutzungsbezogene Kategorien umzusetzen und diese Teilfaktoren
als Ressourcen des Agrarraumes zu bewerten.
Klima und Witterung
Das Юіта, d.h. der mittlere Zustand der Atmosphäre über einem Gebiet während
eines längeren Zeitraums, bildet die übergeordnete ökologische Determinante für
mögliche Agrarsysteme. Die klimatische Differenzierung der Erde bildet den Rahmen,
in den sich die Bodennutzung einzupassen hat. Wenn im folgenden die für
die Landwirtschaft wichtigsten Klimaelemente gesondert erörtert werden, so
muß auf ihre unlösbare Verknüpfung hingèwielen'werdëiirTm Freiland bilden
TemperatürT'Strahlttngs- und Wasserhaushalt sowie die Luftbewegungen ein uir
trennbares Wirkungsgefüge.
Aus dem großen Spektrum der solaren Einstrahlung benötigten die Pflanzen
neben der ultraroten Wärmestrahlung vor allem die Strahlen des sichtbaren Lichtes.
Das Licht liefert die Energie für die Assimilationsprozesse, es beeinflußt die
Formbildung der Pflanze (Bestockung, Verzweigung) und steuert beim Reifungsprozeß
der Frucht den Gehalt von Eiweiß, Zucker und Aromastoffen. Das Angebot
an Licht differiert auf der Erde nach Intensität und Dauer der Einstrahlung. In
den höheren Breiten wird in der sommerlichen Vegetationszeit die geringere
Strahlungsmenge je Flächeneinheit teilweise durch die größere Tageslänge ausgeglichen.
Dadurch verkürzt sich die Reifezeit der Feldpflanzen im Vergleich zu den

Die natürlichen Einflußfaktoren des Agrarraumes 33
niederen Breiten. Die Lichtverhältnisse sind aber nicht nur abhängig von (^r
geographischen Breite sondern auch vom mittleren Bewölkungsgrad, vom Wasserdampfgehalt
der Luft, von der Höhenlaggf^ nach E. Klapp (1967, S. 23) erhalten
Höhen von 2 000 m etwa um die Hälfte mehr Licht als die Meeresküsten -)und
von der Exposition.
Die Wärme ist ein entscheidendes Юimaelement für alle Lebensvorgänge der
Pflanzen. Sie setzt Grenzen für Anbaumöglichkeiten, die kaum überschritten werden
können. Jahresdurchschnittstemperaturen sagen wenig aus, viel entscheidender
ist der Temperaturgang während der Vegetationsperiode. Produktives Pflanzenwachstum
erfolgt erst bei Temperaturen über 5 °C, bei wârnielièbenden
Pflanzen wie Mais erst von 12 - 15 °C an (E. Klapp 1967, S. 25); die Keimungstemperaturen
liegen niedriger: F. Schnelle (1948, S. 46) gibt für Rotklee 1 °C,
Roggen 1 - 2 °C, Weizen 3 - 4 °C an^_Dabei_handelL£S sich freilich um (Bodentemperatureih
die nur bedingt mit der Temperatur der bodennahen Luftschichtën
korreliert lind; Bodenart, Wärmeleitfähigkeit und ^VaSergehäTr3es"^dens
spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Die Periode, in der die Tagesmitteltemperaturen
den Wert von 5 °C übersteigen, wird allgemein für die Kulturen der gemäßigten
Breiten als thermische Vegetationszeit angenommen. Eine andere Meßmethode
ist die Addition der Tagesrriiftêltëmjjeraturen aller Tage über 5 °C zu
Wärmesummen.
Die Phänologie, die Lehre vom zeitlichen Ablauf der Lebenserscheinungen der
Pflanzen, verläßt sich nicht auf diese physikalischen Meßwerte, sondern zieht die
Pflanzen oder landwirtschaftlichen Arbeitsgänge als Wärmezeiger heran. Nach
F. Schnelle (1962, S. 278) zählt die landwirtschaftlich nutzbare Vegetationszeit,
cl.h. der Zeitraum, der für die Durchführung der verschiedenen landwirtschaftlichen
Arbeiten auf dem Felde zur Verfügung steht, von der Sommergetreide-Aussaat
bis zur Winterweizen-Aussaat. In Europa differiert dieser Zeitraum erheblich,
^reicht voji weniger als 100 Tagen in Mittelschweden bis zu mehr als 260 Tagen
in meeresnahen Lagen des Mittelmeerraumes.
Die Dauer der Vegetationszeit ist aus agrargeographischer Sicht eine der wichtigsten
Klimagrößen. Unterschreitet sie den Wert von 90-100 Tagen, so wird die
Rentabilitätsgrenze des Ackerbaus erreicht, selbst wenn moderne vierzeilige
Gerstensorten mit 60-65 Vegetationstagen auskommen. Eine kurze Vegetationszeit
ist nachteilig, weil sie ’
- den Anbau auf wenige kurzlebige Pflanzen (Gerste, Kartoffel) beschränkt,
- die Zeiten für Feldbestellung und Ernte einengt,
- während der langen Arbeitsruhe Kapital bindet und so die Kapitaleffizienz
verringert.
Eine hinreichend lange Vegetationszeit ermöglicht dagegen u.U. zwei Ernten im
Jahr; sie ist Voraussetzung für den/^wischenfrucht^nbau, wenn nach der Hauptfrucht^
noch_ mindestens 40-60 Tage Vegetationszeit zur Verfügung stehen. Die
Dauer der Vegetationszeit ist allerdings nur ein grobes Kriterium für die möglichen
Nutzungsweisen. Maritime Юітаіе haben lange Vegetationsperioden, doch
ist die Reifezeit wegen der niedrigen Sommertemperaturen und der reduzierten
Einstrahlung länger. So liegen beispielsweise zwischen Blüte und Schnittreife des
Roggens im Oberrheintal 51 Tage, im Wiener Becken dagegen nur 40 Tage
&
VtTnfcT4Ti(,fii
- C f f .
^ Г А Г ,
?
( i

Allgemeine Einflußfaktoren des Agrarraumes
(E. K l a p p 1967, S. 46). Die kürzere Reifezeit im kontinentaleren Klima hat allerdings
niedrigere Hektarerträge zur Folge.
Die Pflanze benötigt Wasser zur Erhaltung des Quellungszustandes ihres
Zellplasmas, für die Assimilation, zum weitaus größten Teil aber für die Aufrechterhaltung
eines Transportstroms aus dem Wurzelbereich zu den transpirierenden
Blättern. Der Wasserverbrauch einer Kultur ist höchst unterschiedlich, je nach
Pflanzenart und Klimazone. Ér setzt sich aus der Verdunstung des Bodens und
der Pflanze zusammen. Tabelle 2.2 zeigt einmal den Wasserbedarf verschiedener
Bewässerungskulturen im vollariden Юіта Ägyptens von der Saat bis zur Ernte
auf:
V
Wasserbedarf in m^/ha
Zuckerrohr 40 000
Reis 24 Baumwolle 6000-10 000
Mals 6000
Alexandrinerklee (Bersim) 6000
Welzen 2 500 - 3 500
Tab. 2.2:
Der Wasserbedarf verschiedener
Bewässerungskulturen in Ägypten
(Quelle: H. Schamp 1977, S. 577)
Der Wasserbedarf der Pflanze schwankt mit ihrer Wachstumsphase. Die meisten
Kulturen benötigen hohe Wassergaben in der Hauptwachstumszeit und vor dem
Fruchtansatz, während der Reifezeit geht der Wasserbedarf rapide zurück. Für
manche Pflanzen wie Baumwolle oder Dattelpalme sind Regenfälle während der
Reifezeit sogar höchst schädlich. ^ Кіп««+уг
Für die Bewertung des Niederschlags rür das Pflanzenwachstum ist weniger
-
.V ,y ■
die Jahressumme, als vielmehr das Verhältnis von Jahresgang zu den Vegetationszeiten
der wichtigsten Nutzpflanzen von Bedeutung. Daigilt vor allem für wechselfeuchte
Klimate (Etesienkhm^ wechselfeuchte Tropen) mit klar abgegrenzten
die hier die hygrisch gesteuerten Vegetation^zeiten darstellen. Von F
^ X"^ 4'^
Bedeutung ist auch die Art des Niederschlags: Schnee ist für das Pflanzen-
Wachstum von geringem Wert, eine Schneedecke kann allerdings als Frostschutz
wertvoll sein. Leichte Regenfälle erreichen kaum den Wurzelbereich, bei Starkregen
ist der _АЬАиіГЪА höher als die in den Boden eindringende Menge. Am
wirksamsten sind anhaltende Landregen.
Niederschläge wirken nie für sich allein, sondern immer in Korrelation mit
dem Boden und anderen Klimaelementen, vor allem mit der Temperatur.
Die Temperatur steuert die Verdunstung von Boden und Pflanzen, die Evapotranspiration.
Das Verhältnis von Niederschlag und Temperatur ergibt die Humidität
bzw. Aridität eines Raumes.
Im Verhalten des einzelnen Bauern nimmt das Klima, dieser langjährige statistische
Mittelwert des Wettergeschehens, einen vergleichsweise geringen Raum
ein. Das Klima ist für ihn, der an seinen Hof gebunden ist, eine unumstößliche
Gegebenheit. Dagegen ist die Witterung, d.h. der Ablauf des wechselnden Wettergeschehens
im Jahresgang, von eminenter Bedeutung. Sie ist es, die in erster
Linie den Ausfall der Ernte determiniert, sie bestimmt in allen Jahreszeiten-

г ‘.„X й^йгЬс)>лК.
' Ökuimtriie^ie Einflußfaktoren des Agrarraumes 35
klimaten den zeitlichen Ablauf der landwirtschaftlichen Arbeiten, den Jahres-
Arbeitskalender.
Jede Kulturpflanze durchläuft im Verlauf ihrer Vegetationsperiode kritische
Phasen mit spezifischen Anforderungen an die Witterung, die über den Ernteertrag
entscheiden. Am Beispiel des Sommergetreides in Mitteleuropa seien die
einzelnen Wachstumsphasen mit ihren Anforderungen an die Witterung demonstriert
(s. Übersicht 2.3).
Übersicht 2.3:
Die Anforderungen des Sommergetreides an die W itterung in Mitteleuropa
(Quelle: F. Schnelle 1948, S. 61 ; E. Klapp 1967, S. 371, vereinfacht)
Monat Wachstumspheise Ertragskomponente optimale Witterung
März Aussaat,
Keimung,
Aufgang
F>flanzenzahl/m^
warm, trocken
April/Mai Bestockung Halmzahl je Pflanze Ährenzahl /m^ =
Bestandsdichte
Mai/Juni Schossen,
Kornzahl je Ähre
Ährenbildung,
Blüte
kühl, naß
kühl, höchster
Wasserbedarf
Juni, Juli Kornausbildung Korngewicht mäßige Wärme und
Niederschläge
Juli/August Ernte Ernteverluste trocken, warm
Verschiedene Pflanzenarten stellen zu verschiedenen Zeiten sehr verschiedene
Anforderungen an die Witterung. Abgesehen von den Monokulturen, ist daher
ein für alle Kulturen gleichermaßen günstiger Witterungsverlauf undenkbar. Das
gleiche Wettergeschehen kann bei verschiedenen Kulturen höchst unterschiedliche
Auswirkungen haben: hohe Sommerniederschläge in Mitteleuropa können
die Getreideerntë beeinträchtigen, aber den Hackfruchtertrag begünstigen.
Das Wetterrisiko der Landwirtschaft wächst mit dem Schwankungsbereich, der
Variabilität der meteorologischen Erscheinungen. Es kann sich in Schwankungen
der Flächenerträge, aber auch in einer zeitlichen Verschiebung der Erntetermine
und damit verbundenen Ertragseinbußen äußern. So stehen Frühkulturen (Frühkartoffeln,
Spargel, Beeren), die den Markt exakt zu einem bestimmten Zeitpunkt
erreichen sollen, in stärkster Abhängigkeit vom Wettergeschehen. Verzögert sich
die Ernte, so können konkurrierende Anbaugebiete auf den Markt drängen und
den Preis beeinträchtigen.
ln den meisten Industrieländern konnten zwar die Ernteschwankungen der
Hauptprodukte stark reduziert werderii'döch ist auch hier die Wetterabhängigkeit
noch groß bei Pflanzen, die an ihrer (Verbreitungsgrenzejangebaut werden wie
z.B. Wein und Obst in Mitteleuropa.
Allgemein bekannt sind die durch Niederschlagsdefizite bedingten Ernteschwankungen
in den semiariden Юітагопеп. In der ehemaligen Sowjetunion,
die etwa die Hälfte ihrer vermarkteten Getreideproduktion in ihre anfälligen
Trockengebiete verlagert hat, schwankten die Hektarerträge von Weizen 1969-78

Allgekieine Einflußfaktoren des Agrarraumes
a
>
¿
zwischen 10,7 dt (1975) und 19,2 dt (1978) bei einem Durchschnittswert von 15 dt;
die Gesamtgetreideernte pendelte zwischen 140 Mio. t (1975) und 237 Mio. t
(1978). Als Beispiel für die Entwicklungsländer sei Algerien angeführt. Hier bewegten
sich die Hektarerträge für Getreide 1969-77 zwischen 4,1 dt (1977) und
8,4 dt (1975; Median: 6,1 dt). Die Gesamtgetreideernte schwankte zwischen 1,143
Mio. t (1977) und 2,68 Mio. t (1975). Das Volumen der Getreideernte variiert also
noch stärker als die Hektarerträge, weil ein Teil der potentiellen Getreidefläche
bei ungünstigem Witterungsverlauf (Ausbleiben der für die Keimung nötigen
Herbstregen) erst gar nicht bestellt wird, ___— -------- ' ^
ln der Sahelzone Afrikas ist die Regenzeit und damit die Vegetationsperiode
auf 3-4 Monate eingeengt. Bleiben im Mai und_Juni die Niederschläge aus, was
nicht selten der Fall ist, so verzögert sich die Hirseäussaat bis in den Juli. Dann
sind wenigstens alle 8-10 Tage für die Pflanzen nutzbare Niederschläge erforder- |
lieh, sollen sie nicht Trockenschäden erleiden. Endet die Niederschlagsperiode
wie üblich im September, so ist die Vegetationsperiode zu kurz und die Hirse
kann nicht ausreifen und verdorrt vor der optimalen Kornausbildung auf dem
Halm (B. JANKE 1973, S. ЗОІ.іІЗЪег den Ausfall der Ernte entscheidet also "^eniger
die absolute Höhe der Niederschläge, als vielmehr ihre zeitliche Verteilung. Offensichtlich
sind auch in der Sahelzone die drei Formen der Niederschlagsunstetigkeiten
anzutreffen, die D. Jaschke (1980, S. 272) in Australien unterschied;
- Variabilität des Jahresniederschlags,
- Variabilität der Niederschlagstätigkeit innerhalb einer Vegetationsperiode,
- Variabilität des Niederschlagseinsatzes zu Beginn einer Vegetationsperiode.
Dem Wetterrisiko kann begegnet werden durch Technologieeinsatz (z.B. Bewässerung),
durch angepaßte Anbautechniken, aber auch durch eine diversifizierte
Produktion. Юeinbäuerliche Betriebe in der tunesischen Steppe stützen sich auf
drei Produktionszweige, nämlich Getreidebau, Ölbaumkultur und Schafzucht, ln
der Regel kann ein Ertragsausgleich zwischen den drei Bereichen erfolgen; Katastrophensituationen
treten erst dann auf, wenn 2 oder 3 Dürrejahre aufeinander
folgen. Eine archaische Form des Risikoausgleichs ist auch die Haltung überdimensionierter
Herden in afrikanischen Savannen, damit bei Dürreverlusten wenigstens
noch ein Grundstock zum Überleben verbleibt.
Es stellt sich die Frage, inwieweit~die landwirtschaftliche Produktion tatsächlich
an die klimatischen Verhältnisse angepaßt ist. Trotz einer Jahrtausende währenden
Wanderung von Kulturpflanzen, Nutztieren und Produktionsmethoden
werden keineswegs überall auf der Erde die optimalen Agrarsysteme praktiziert.
A. Rühl (1929, S. 55) wies bereits darauf hin, daß die vollkommene Anlehnung der
Produktion an die Natur ein Idealziel darstellt, das niemals erreichbar ist, weil
nicht jedes Produkt unter seinen optimalen Bedingungen erzeugt werden kann.
Oft ist die Produktionsfläche aus traditionellen Gründen bereits von einem
Konkurrenzprodukt besetzt. Am Beispiel des Erdnußanbaus in Nigeria konnte
W. Schmiedecken (1979) nachweisen, daß das tatsächliche Anbaugebiet sich nur
teilweise mit der vom Wasserdargebot her optimalen Klimazone deckt. Vor allem
in den Ländern der Dritten Welt bleibt die Suche nach besseren standortspezifischen
Produkten, Produktionsmethoden und Organisatipnsformen eine wichtige
Aufgabe der Agrarforschung.

Die natürlichen Einflußfaktoren des Agrarraumes 37
Der Boden
Während das Юіта das potentielle Spektrum der Nutzpflanzengesellschaft begrenzt,
beeinflussen die lokalen Bodenverhältnisse die Entscheidung, welche der
vom Юіта tolerierten Pflanzen tatsächlich angebaut werden. Die Böden der Erde
sind zwar in Anlehnung an die Юітагопеп. gleichfalls .zonal geordnet, doch führen
außerklimatische Faktoren wie Ausgangsgestein, Relief und Wasserzufuhr zu
einer azonalen Юeingliederung des Raumes mit erheblichen Bodenunterschieden.
Die Standortentscheidungen eines landwirtschaftlichen Betriebs sind in c^r
Regel weit stärker von den lokalen Bodenverhältnissen, als von den großen
Bodenzonen abhängig.
Der Boden, jene oberste, belebte Verwitterungsrinde der Erde, auf welcher
höhere Pflanzen wachsen können, ist aus wirtschaftlicher Sicht das Hauptproduktionsmittel
der Landwirtschaft. Es braucht hier nicht auf die diffizilen Bodenklassifikationen
eingegangen zu werden. Es sollen vielmehr nur diejenigen
Bodeneigenschaften kurz Umrissen werden, die für eine landwirtschaftliche Produktion
von Bedeutung sind.
Das sehr unterschiedliche Produktionspotential der verschiedenen Böden
hängt von einem komplexen Zusammenspiel physikalischer, chemischer_.und
biologischer Faktoren ab.
Zu den physikalischen Eigenschaften zählen vor allem die Korngrößenstruktur,
wobei Schluff (0,002 - 0,06 mm) und Ton (unter 0,002 mm) die wertvollsten
mineralischen Fraktionen darstellen. Wichtig ist die Krümelung, d.h. die lockere
Vereinigung der Bodenteile zu Aggregaten. Das Porenvolumen entscheidet über
den Wasser- und Lufthaushalt. Das Bodenwasser unterliegt nicht der Schwerkraft,
sondern wifdTri den feinen Poren als Haftwasser festgehalten, von wo es die
feinen Pflanzenwurzeln teilweise aufnehmen können. Die Wasserspeicherkapazität
des Bodens ist abhängig vom Porenvolumen und von seiner Mächtigkeit.
Tiefgründige, an Feinsand reiche Lehm- und Lößböden können so viel Niederschlag
speichern, daß die Pflanzen längere Trockenperioden überstehen.~ In
Mitteleuropa gleicht die sogenannte Winterfeuchte bis in den Sommer hinein
Niederschlagsdefizite aus. In den semiariden Gebieten können durch die Methoden
des dry-farming die Niederschläge aus 2 oder 3 Jahren für eine Anbauperiode
gespeichert werden. Im alten Ägypten war der durchschnittlich 9 m mächtige
Nilschlamm nach dem Ablauf des sommerlichen Hochwassers so sehr mit Wasser
angereicherC3äß der Anbau von allerdings nur kurzlebigen Pflanzen (3-4 Monate)
ohne weitere Bewässerung erfolgen konnte.
Sehr wichtig für das Produktionspotential ist eine hinreichende Durchlüftung,
welche den Gasaustauscb des~Bodens - Abgabe von COg,. Aufnahme von Sauer- ||
S toff - ermöglicht. Ein hoher Grundwasserstand verhindert dies; Dränagemaß- '
nahmen dienen daher in erster Linie der Verbesserung der Durchlüftung. Schließlich
spielt auch das Wärmeverhalten des Bodens, d.h. seine Wärmespeicher- und
Leitfähigkeit, eine Rolle für das Pflanzenwachstum, vor allem zu Beginn der ther- ^
mischen Vegetationsperiode.
Die chemischen Eigenschaften des Bodens werden durch seinen Gehalt an
Nährstoffen, Spurenelementen und organischer Substanz (Humusstoffen) bestimmt.
Die Grundlage der Pflanzenernährung ist das Vermögen bestimmter Ton-

38 Allgemeine EinñuMaktoren des Agrarraumes
h
fe
und Humusbestandteile, Pflanzennährstoffe anzulagern, festzuhalten und sukzisiilve
an die Pflanzenwurzeln abzugeben((Sorpitonsvermögen))
Die biologischen Eigenschaften des Bodens rühren aus seinem Bodenleben,
d.h. aus dem vielfältigen Wirken von Bakterien, Pilzen und Bodentieren, welche
die Pflanzenreste abbauen, in einfachere organische Verbindungen überführen,
Mineralien freisetzen (mineralisieren), Stickstoff aus der Luft sammeln oder zur
Krümelbildung und Durchlüftung beitragen.
Es stellt sieb die Frage nach der Bodenfruchtbarkeit. „Unter(Bodenfruchtbarkeili
verstehen wir seine natürliche, nachhaltige Fähigkeit (sein Potential) zur
Pfîiïîzenproduktion“ (E. Klapp 1967, S. Î75). Bei dieser DefinitioiTliegt das
“Schwergewicht auf der naturgegebenen Nachhaltigkeit, d.h. auf der langfristigen
Fähigkeit zur Pflanzenproduktion ohne künstliche Inputs von Düngern. Klapp
unterscheidet das natürliche Produktionspotential, das in der englischen Literatur
als „fertility“ rangiert, vom tatsächlich erzielten Ertrag („productivity“), der
nur bedingt von der natürlicben Bodenfruchtbarkeit abhängt. Tatsächlich hat die
moderne Entwicklung der Landwirtschaft die früher streng^Korrelation zwischen
natürliche^ Bodenfruchtbarkeit und,^ Flächenerträgen ..gelc^tert. Auf den
anerkannt fruchtbarsten Böden, den Schwarzerdeböden, werden teilweise nur
mittelmäßige Ernten erzielt, weil das in ihrem Verbreitungsgebiet herrschende
semihumide Юіта für Höchsterträge bereits zu trocken ist. Die Agrarräume mit
Spitzenerträgen liegen heute überwiegend in der Zone der früheren Waldböden,
ln Europa werden die höchsten Hektarerträge in den Niederlanden auf Geest- und
Marschböden mittlerer Bonität erwirtschaftet. Selbst auf armen Sandböden lassen
sich - Düngung, Humuszufuhr und Bewässerung vorausgesetzt - ausgezeichnete
Erträge erzielen,_wie_ zahlreiche deutsche Gartenbaugebiete beweisen. Freilich
handelt es sich dabei um kleinräumige Anbaug;ebiete mit ertragsintensiven Kulturen,
die einen beständigen fruchtbarkeitsmehrenden Aufwand lohnen. Fielen
diese Inputs weg, wdirden die Erträge sehr schnell absinken. Es handelt sich hier
eben nicht um einen Boden von anhaltender natürlicher Fruchtbarkeit. Bei normaler
ackerbaulicher Nutzung differenzieren die unterschiedlichen Bodenqualitäten
nach wie vor die Erträge in erheblichem Umfang. So konnte O. Harms (1978)
anhand der Entwicklung der Getreideerträge in Niedersachsen seit 1949 nachweisen,
daß der Ertragszuwachs bei Wintergetreide stark von der Bodenqualität abhängt.
Im Jahre 1957 wurden bei Bodengüteklasse I (Ertragsmeßzahl über 75)
37 dt und bei Bodengüteklasse V (EMZ 35,1 bis 45) 31 dt Wintergerste geerntet; bis
1977 hatten sich die Werte auf 55 bzw. 46 dt erhöht. Der Abstand zwischen den
beiden Bodengüteklassen hatte sich also von 4 auf 9 dt vergrößert.
Die Bodenfruchtbarkeit ist keine unveränderliche Größe. Durch biologisch
zweckmäßig angelegten Pflanzenbau kann sie gesteigert, durch einseitige Fruchtfolgen
vermindert werden. Ihr Wiederaufbau ist langwierig und kostspielig
Der Einfluß der Bodenverhältnisse auf die Anbauentscheidungen isU^chwer zu
isolieren, da zu viele andere Faktoren in die Entscheidung des einzelnen.JBàtìèrn
"eÎHflïé&n. Ih Hen ihfwiekêiîten Ländern ist die Bedeutung des Bodenfaktom für
die lanHwirtscKañUche Nutzung stark reduziert worden.

ökonomische Einflußfaktoren des Agrarraumes 39
2.2 Ökonomische Einflußfaktoren des Agrarraumes
In vorindustriellen Gesellschaften gleicht die Landwirtschaft eher einer Lehensform,
welcher der weitaus größte Teil der Bevölkerung verhaftet ist, als einer
wirtschaftlichen Aktivität. Mit der Ausbildung einer hochgradig arbeitsteiligen
Gesellschaft muß der landwirtschaftliche Betrieb zur kommerziellen, marktorientierten
Produktion übergehen. Die Landwirtschaft wird zu einer ausschließlich
wirtschaftlichen Aktivität unter anderen Aktivitäten, der ihr angehörende Bevölkerungsteil
gerät in eine Minderheitenposition. Der marktorientierte Betrieb hat
die Preise der Mitbewerber in sein Kalkül einzubeziehen, die Lohn- und Einkommenserwartungen
der Betriebsangehörigen orientieren sich am Niveau der
mehrheitlich nichtagrarischen Bevölkerung. Mit zunehmender Verwendung
sachlicher Produktionsmittel gewinnt zusätzlich zu den bisherigen Hauptfaktoren
Boden und Arbeit der Faktor Kapital in seinen verschiedenen Formen an
Bedeutung. Die landwirtschaftlichen Aktivitäten unterliegen somit einer Reihe
von ökonomischen Gesetzmäßigkeiten, von denen im folgenden diejenigen erörtert
werden sollen, die vorrangig die Ordnung des Agrarraumes erklären helfen.
2.2.1 Die Produktionsfaktoren
Die landwirtschaftliche Produktion ist an die Bereitstellung von Produktionsfaktoren
gebunden. Sie werden von den Wirtschaftswissenschaften unterschiedlich
gegliedert. Während die Volkswirtschaftslehre die Produktionsfaktoren Arbeit,
Boden und Kapital unterscheidet, hat die Betriebswirtschaftslehre das folgende
System entwickelt (E. Gutenberg 1973, S. 8):
Elementarfaktoren
- Arbeitsleistungen
- Betriebsmittel
Werkstoffe
v v e iK S L U iie ^ >
Dispositiver Faktor G r )
- Betriebsleitung
Von der landwirtschaftlichen Betriebswirtschaftslehre wurde in jüngster Zeit eine
abweichende Systematisierung aufgestellt. Steinhäuser et al. (1978, S. 26) unterscheiden:
- Güter (Boden, Grundverbesserungen, Gebäude, Dauerkulturen, Maschinen),
- Dienste (Unternehmertätigkeit, Lohnarbeit, Dienstleistungen von Betriebsfremden),
- Rechte (Weide-, Wasser-, Lieferrechte).
Für unsere Zwecke ist die volkswirtschaftliche Gliederung de.;r^roduktionsfaktoren
in BoderTTArbérrimd Käpi^är^vÖlTäusreichend. Dabei ist der Faktor „Boden“
nicht im pêdolôfîscîieri'Sinne sondern nur als Setriebsfläche aufzufassen. „Ar-

40 Allgemeine Einfíuñfaktoren des Agrarraumes
beit“ umfaßt Unternehmertätigkeit, die Tätigkeit der Familienangehörigen, Lohnarbeit
sowie die Dienstleistungen Betriebsfremder, während das „Kapital“ in verschiedenen
Formen wie Gebäuden, Maschinen, Betriebsmitteln, Vieh, Dauerkulturen
und als Geldkapital auftreten kann.
Dgr Zusammenhang zwischen Produktipnsfaktoreiiisajte und Ertrag wurde
erstoals 1768 von dem französischen Nationalökonomen A. R. J. Turgot als „Gesetz^vom
abnehmenden Ejtjggszuwachs“ formuliert. Es besagt, daß bei fortlaufender
Vermehrung der variablen Einsatzmenge eines Produktionsfaktors um
jeweils eine Einheit und gleichzeitiger Konstanz der übrigen Faktoreinsatzmengen
der Ertragszuwachs - bezogen auf die zusätzliche Einheit des variierten Faktors
- abnehmen wird. Das „Gesetz des abnehmenden Ertragszuwachses“ ist nicht
immer und überall gültig. Vor allem in der industriellen Produktion treten auch
zunehmende Ertragszuwächse auf; erst von einer bestimmten Einsatzmenge an
nehmen die Ertragszuwächse ab. Für die meisten Zweige der landwirtschaftlichen
Produktion, besonders für die Pflanzenproduktion, ist von Anfang an mit
abnehmenden Erträgen zu rechnen. E. A. Mitscherlich ermittelte in langjährigen
Feldversuchen den Zusammenhang zwischen Wachstumsfaktoren (z.B. Düngemitteln)
und Pflanzenertrag. Dabei ergab sich von Anfang an ein abnehmender
Ertragszuwachs. Von einer bestimmten Einsatzmenge an fielen sogar die Gesamterträge
wegen der destruktiven Wirkung der Überdüngung. Das Verhältnis von
Ertragszuwachs zur dafür erforderlichen zusätzlichen Faktormenge wird als
„Grenzertrag“ bezeichnet.
Ein von P. A. Samuelson entlehntes hypothetisches Beispiel soll das „Gesetz des
abnehmenden Ertragszuwachses“ verdeutlichen. Wie entwickelt sich der Weizenertrag,
wenn der Faktor Arbeit um jeweils eine Einheit gesteigert wird?
0 0
1 20
2 30 10
3 35 5
4 38 3
5 39 1
Arbeitseinheiten Weizenernte (dt/ha) Grenzertrag (dt)
Tab. 2.3:
Das Gesetz des abnehmenden
Ertragszuwachses (abgewandelt
nach P. A. Samuelson 1975, S. 46)
Das “Gesetz des abnehmenden Ertragszuwachses” läßt sich tabhllgjrisctLÍSr.Tabelle
2.3, als mathematische Funktion sowie geometrisch in einem Koordinatensystem
darsteilen (s. Abbildung 2.2). Mit seiner Hilfe läßt sich der optimale^Tpduküonsirmtteleinsat^
ermitteln. Er ist dann erreicht, wenn der in Geld bewertete
örenzertrag gleich dem Preis des Produktionsmittels (Grenzkosten) ist, d. h. wenn
die letzte Mark, die in Form des betreffenden Produktionsfaktors eingesetzt wird,
gerade noch zu einem Ertragszuwachs von einer Mark führt. Jede darüber hinaus
eingesetzte Mark bedeutet eine Minderung des Gesamtertrags, da ihre Kosten
höher sind als der durch sie erzielte Mehrertrag; jede weniger zum Einsatz gelangende
Mark bedeutet Gewinnentgang, da der erzielbare Mehrertrag einen größeren
Betrag umfassen würde (H. H. Herlemann 1961, S. 44).

ökonomische Einflußfaktoren des Agrarraumes 41
Abb. 2.2:
Die Ertragskurven
(Beziehung zwischen
Gesamtertrag und
Grenzertrag
Quelle: H. Steinhäuser
et al. 1978, vereinfacht)
Í
Ökonomisches Verhalten vorausgesetzt, wird der Bauer die verschiedenen Produktionsfaktoren
so kombinieren, daß ein bestimmter Erzeugungsvorgang sich
mit den geringsten Kosten durchführen läßt. Die drçi-Produktionsfaktoren Boden,
Arbeit und Kapital sind in einem optimalen Mengenverhältnis zu kombinieren,
welches ais.{^inimalkostenkombinatioii) bezeichnet wird. Die Relation der
drei Faktoren hängt von ihren jeweiligen Kosten, d.h. von Grundrente (Pachtpreis),
Lohnsatz bzw. Lohnanspruch der bäuerlichen Familienmitglieder sowie
vom Zins ab. Es gilt, teure Produktionsfaktore^sparsam einzusetzen, billige dagegen
reichlich zu verwenden. Bis zu einem gewis§eu.,ßrad lassen sich teure durch
billige Faktoren substituieren. Nun ist die'Preis-Kostenstruktur nicht konstant; sie
wandelt sich im Verlauf der wirtschaftlich-technischen Entwicklung und sie differiert
erheblich zwischen verschiedenen Staaten bzw. Staatengruppen nach ihrem
jeweiligen volkswirtschaftlichen Entwicklungsstand.
Übersicht 2.4 zeigt die Möglichkeiten der(Faktorenkombination in der LandwirtschafVin
Abhängigkeit vom sozioökomischen Entwicklungsstand einmal auf.
Dieses Schema basiert auf Gedanken von H. H. Herlemann (1961) und B. Andreae
(1968, S. 2). Im Unterschied zu beiden Autoren faßt es die vier Kombinationsmög-
x f

42 Allgemeine Einflußfaktoren des Agrarraufnes
X
Boden Arbeit Kapital
1. Entwicklungsländer mit niedriger дД.'І'Лл. %( ^
Bevölkerungsdichte + +
2. Entwicklungsländer mit hoher
'. ‘.■Л-b v í! V
Bevölkerungsdichte - +
3. Industrieländer mit niedriger
Bevölkerungsdichte + +
4. Industrieländer mit hoher
Bevölkerungsdichte - +
Übersicht 2.4;
Faktorenkombination in der
Landwirtschaft in Abhängigkeit
vom sozioökonomischen
Entwicklungsstand
lichkeiten nicht als Stufen einer historischen Entwicklung auf, die zwangsläufig
zur Endstufe 4 führt.
Die verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten bilden einen wichtigen ökonomischen
Erklärungsansatz für die Differenzierung des Agrarraums der Erde.
In allen Entwicklungsländern ist Kapital in seinen verschiedenen Erscheinungsformen
knapp und teuer, es kann daher nur sparsam eingesetzt werden. An
Kapitalgütern spart man besonders dort, wo die gewünschte Wirkung auch durch
verstärkten Arbeitseinsatz erreicht wird. Die erheblichen regionalen und sektoralen
Disparitäten innerhalb von Entwicklungsländern sollen in diesem Zusammenhang
unberücksichtigt bleiben. Zwischen den Entwicklungsländern bestehen
aber erhebliche Unterschiede hinsichtlich des Bodeneinsatzes. Bei niedriger
Bevölkerungsdichte ist der Boden noch im Überfluß vorhanden und billig, es
wird daher bodenaufwendig gewirtschaftet. Der Wanderfeldbau ist ein Ausdruck
dieser Faktorenkombination (s. Kapitel 4.3.1).
Völlig andere Verhältnisse herrschen dagegen in den Entwicklungsländern, in
denen die Bevölkerungszahl in Relation zum bebaubaren Land hoch ist, wie z.B.
in El Salvador, Ägypten, Burundi, Ruanda, Bangladesh, Java. Der Boden ist hier
knapp und teuer, die Flächen der einzelnen Betriebe sind oft so minimal, daß sie
nicht einmal die Haltung eines Zugtiers erlauben. Im Überfluß sind dagegen
Arbeitskräfte vorhanden. Das Ergebnis ist eine arbeits- und bodenintensive Wirtschaftsweise
mit mittleren Hektarerträgen, wie z.B. asiatische Reisbausysteme (s.
Kapitel 4.3.2).
Die gemeinsamen Züge der Industrieländer sind zum einen die hohen Kosten
des Faktors Arbeit, zum anderen die reichliche Ausstattung mit Kapitalgütern. Im
Zuge der Industrialisierung wurde daher der Arbeitseinsatz immer mehr durch
Kapitaleinsatz ersetzt, mit der Verringerung der Arbeitskräfte erhöhte sich die
Arbeitsproduktivität entsprechend. Trotz unübersehbarer Angleichungstendenzen
unterscheiden sich die Industrieländer vor allem durch den Bodeneinsatz. In
Nordamerika ist der Boden nach wie vor erheblich billiger^ als in Mitteleuropa
oder gar in Japan. Der amerikanische Farmer braucht auf seiner im Durchschnitt
■*Im Immobilienteil der Neuen Züricher Zeitung vom 23.1.1982 wurde bestes Ackerland in
der Nähe von Houston (Texas) für einen Hektarpreis von etwa 8 500 DM angeboten, in der
Bundesrepublik Deutschland (alte Länder) belief sich 1993 der durchschnittliche Kaufwert
landwirtschaftlicher Grundstücke auf 29781 DM je ha (Stat. Jb. ELF 1994, S. 310).

ökonomische Einflußfaktoren des Agrarraumes 43
wesentlich größeren Betriebsfläche niedrigere Hektarerträge zu erwirtschaften als
sein europäischer Kollege, um ein auskömmliches FamiÎieneinkômméïrzu erzielen.
Er muß daher ertragssteigernde Pfodüktiönsmittel nicht im gleichen Umfang
einsetzen. Die Bodenproduktivität der amerikanischen Landwirtschaft ist nach
wie vor geringer als die der europäischen, während die Arbeitsproduktivität, d.h.
die Arbeitsleistung je Arbeitskraft, dank der nachgeholten Mechanisierung in
Mitteleuropa, sich kaum unterscheidet.
2.2.2 Thünens Standort- und Intensitätslehre
Die wichtigsten ökonomischen Gesetzmäßigkeiten für die räumliche Ordnung
der Landwirtschaft bilden die Standort- und Intensitätsgesetze Joh^ n Heinrich
VON Thünens (1 ^ 3-1850). Sein 1826 erschienenes Hauptwerk „Der isolierte Staat
in Beziehung auf CiHdwirtschaft und Nationalökonomie“ gilt in den Wirtschaftswissenschaften
als früheste Standorttheorie (K. CH. Behrens 1971, S. 3). Sie verknüpft
empirisch gewonnene Daten aus Thünens Tätigkeit als Gutsbesitzer in
Tellow (Mecklenburg) mit einem deduktiven Raummodell, welches von der verwirrenden
Vielfalt der Faktoren abstrahiert und dadurch einen wesentlichen ökonomischen
Tatbestand, nämlich die Entfernung des Produktionsortes vom Konsumort,
isoliert. Damit gelingt Thünen erstmals der Nachweis, daß die Art der
landwirtschaftlichen Produktion nicht nur von Naturfaktoren abhängt. Sein klassisches
Modell wird bereits im § 1 (v. T hünen 1921, S. 12) entv^dckelt;
„Man denke sich eine sehr große Stadt in der Mitte einer fruchtbaren Ebene
gelegen, die von keinem schiffbaren Flusse oder Kanäle durchströmt wird. Die
Ebene selbst bestehe aus einem durchaus gleichen Boden, der überall der Kultur
fähig ist. In großer Entfernung von der Stadt endige sich die Ebene in eine
unkultivierbare Wildnis, wodurch dieser Staat von der übrigen Welt gänzlich
getrennt wird.
Die Ebene enthalte weiter keine Städte, als die eine große Stadt, und diese muß
also alle Produkte des Kunstfleißes für das Land liefern, so wie die Stadt einzig
von der sie umgebenden Landfläche mit Lebensmitteln versorgt werden kann.“
Bei der Konstruktion seine Modells ging Thünen von folgenden restriktiven Annahmen
aus:
- Existenz eines isolierten Staates, der keinerlei Verbindung zur übrigen Welt
hat;
- Beherrschung dieses Staates durch eine einzige große Stadt, die der Landwirtschaft
als Versorgungszentrum dient;
- absolute Homogenität des Staatsgebietes hinsichtlich seines Naturpotentials.
Diese Fiktion erlaubt die Annahme, daß Klima und Bodenqualität keinerlei
Kostenvorteile bieten und daß zwischen Stadt und Umland nur Landverkehrswege
bestehen;
- die Transportkosten steigen proportional zur Entfernung des Produktionsstandorts
vom Absatzort und zum Gewicht des Produkts;
- alle Bauern streben Gewinnmaximierung an und richten ihre Erzeugung auf
die Bedürfnisse des Absatzmarktes aus.
Ь
X

44 Allgemeine EinñuMaktoren des Agrarraumes
DM/ha
Marktpreis E p
^Produktionskosten E a
-»Al
Abb. 2.3:
Die Rente in
Abhängigkeit von der
Marktentfernung beim
Anbau einer Frucht
(Quelle: L. Schätzl
1978, S. 56)
Transportkosten
E f k
7
V
(jL
-►-k(km)
Die unterschiedliche Entfernung der Betriebe zum Markt führt aufgrund der
unterschiedlichen Transportkostenbelastung für das gleiche Produkt zu^xmter-
S^chiedlichen Erzeugerpreisen...Dies£._errechnen sich aus der Differenz zwiiy;hen
dem Marktpreis, der für alle Produzenten gleich ist, und den Transportkosten, die
je nach Entfernung zum Markt unterschiedlich hoch sind. Der Gewinn des Betriebes
errechnet sich, wenn man vom Marktpreis- die Produktionskosten und die
variablen Transportkosten abzieht. Er ist als die bei ortsüblicher Bewirtschaftung
erzielbare Grundrente anzusehen und stellt die Verzinsung des Bodenkapitals
dar (H . H . H e r l e m a n n 1961, S. 13). In T h ü n e n s Theorie bildet sie als „Landrente“
einen Schlüsselbegriff für die räumliche Differenzierung der Produktionsrichtung.
Die beim Anbau einer Frucht erzielte Rente errechnet sich nach E. S. Dünn
(1954, S. 7) folgendermaßen:
R = E (p-a)-E-f-k
Dabei bedeuten:
R = Grundrente in Geldeinheiten pro Flächeneinheit
E^)= Ertrag in Produktionseinheiten pro Flächeneinheit
vp;= Marktpreis pro Produkteinheit
= Produktionskosten pro Produktionseinheit
C- CkJ ^ ' К^
f = Frachtsatz pro Produkt- und Entfernungseinheit
к = Entfernung des Produktionsstandorts vom Markt
Unter der Annahme, daß E, p,_a und f konstant sind, ist die Rente R ausschließlich
e in e F u n k tio n der Marktentfernunef k. Mit zunehmender“~&rtiernung~der Pro~d
u k tin n s s ta n d o r te zum Markt nehmen die Transportkosten zu, dië~Rènte smfet,

ökonomische Einfíuñfaktoren des Agrarraumes 45
wie aus Abbildung 2.3 zu entnehmen ist. Im Standort A erreicht die Summe aus
Produktionskosten und Transportkosten den Marktpreis, d.h. die Rente R = 0. Ein
Anbau in größerer Entfernung als A ist nicht statisch zu sehen; eine Erhöhung des
Marktpreises oder eine Senkung der Transportkosten verschieben ihn nach außen,
der Produktionsbereich des betreffenden Erzeugnisses erweitert sich. Dabei
hängt der Neigungswinkel der Rentenlinie aA von den Transportkosten ab. Im
internationalen Handel wirken Einfuhrzölle, Importabgaben und Abschöpfungen
wie Transportkosten, sie vergrößern für den ausländischen Produzenten die
ökonomische Distanz zum Markt.
Bei den bisherigen Betrachtungen sind wir von einem Produkt ausgegangen.
Nun stellt sich die realitätsnähere Frage nach dem Einfluß der Grundrente auf die
Produktionsrichtung, wenn mehrere variable Produkte zur Wahl stehen. Die
Grundrente erwirkt in zweierlei Hinsicht einen räumlichen Differenzierungsprozeß
der landwirtschaftlichen Erzeugung:
- Selektion der pflanzlichen und tierischen Produkte nach dem Grad ihrer
Transportkostenempflindlichkeit,
- Steigerung der Intensität, d.h. Steigerung des Arbeits- und Kapitalaufwands je
Flächeneinheit mit zunehmender Marktnähe.
Wenn mehrere landwirtschaftliche Produkte mit unterschiedlicher Transportkostenbelastung
im Wettbewerb um die Landnutzung stehen, so laufen räumliche
Differenzierungsprozesse ab, wie sie Thünen im § 2 seines „Isolierten Staates“
(v. Thünen 1921, S. 12) geschildert hat:
„Es ist im allgemeinen klar, daß in der Nähe der Stadt solche Produkte angebaut
werden müssen, die im Verhältnis zu ihrem Wert ein großes Gewicht haben,
oder einen großen Raum einnehmen, und deren Transportkosten nach der Stadt
so bedeutend sind, daß sie aus entfernten Gegenden nicht mehr geliefert werden
können; so wie auch solche Produkte, die dem Verderben leicht unterworfen sind
und frisch verbraucht werden müssen. Mit der größten Entfernung von der Stadt
wird das Land aber immer mehr und mehr auf die Erzeugung derjenigen Produkte
verwiesen, die im Verhältnis zu ihrem Wert niedere Transportkosten erfordern.“
Die Selektion der Anbaijj)rodukte a^lfgnmd jhrer Transportknstenempfindlichkeit
erfolgt also in der Weise, daß in Marktnähe^2 ejenigen.Gütex.ei;z^eug{ werden,
dieTn"Relation zur^ewichtseinheit niedrige Preise erzielen. Es handelt sich in der
Regel um Produkte mit hohem Men^imidräg fë'FlâcKê'néinheit wie z.B. Kartoffeln,
Zuckerrüben. Am Beispiel der Rinderhaltung sei der Wandel der Produktionsrichtung
mit zunehmender Marktentfernung erörtert (s. Abbildung 2.4).
Die Erzeugung von Frischmilch erbringt eine hohe Grundrente, doch ist die
Tr^nsportkostenbelastin^ - vor allem infolge der Kühltechnik - ¥ehr hoch, die
Renteniinie fällt'daher steil ab. In größerer Entfernung vom Markt ist die Erzeugung
von" Milch nur rentabel, wenn sie durch Verminderung des Wassergehalts
veredelt wird. Butter, Käse, Joghurt haben nicht nur^einen größeren Wert je Gewichtseinheit,
sie sind auch weniger leicht verderblich, was die Transportkostenbelastung
geringer hält. Infolge der anfallenden Verarbeitungskosten ist die
Grundrente freilich je Flächeninhalt niedriger. Mit. weiter zunehinender Entfernung
к vom M a^tzenton» M verträgt nur noch die Produktionsrichtung der
В

46 Allgemeine Einflußfaktoren des Agrarraumes
Grundrente (DM)
Abb. 2.4:
Die Rentenlinie für drei
Produktionsrichtungen
der Rinderhaltung In
Abhängigkeit von der
Marktentfernung
M
1. Zone 2. Zone 3. Zone
M—Marktzentrum _ i . l i -4 r
к —Entfernung at-
Magerviehaufzucht di¿_TransportkpE*ten, obwohl ihre Flächenerträge niedrig
sind. Aus Ahhüdung 2.4 ist die Ausbildung von drei Zonen ersichtlich, in denen
jeweils eine der drei Formen der Rinderhaltung die maximale Grundrente abwirft.
ln den Schnittpunkten A und В sind jeweils zwei Produktionsrichtungen
möglich, jenseits von C ist eine gewinnbringende Rinderhaltung nicht mehr
durchführbar.
Die Lagerente beeinflußt über den Bodenwert auch die Intensität^ der landwirtschaftlichen
Produktion. Bei gleichen Bodenqualitäten wird ein Hektar in Marktnähe
einen höheren Kauf- bzw. Pachtpreis erzielen als ein Hektar in marktferner
Lage. Der Rndenpreis erfährt also durch.die unterschiedliche Lagerente eine
räumliche Thfferenzierung in dem Sinne, daß er^jn Richtung j ï ïf ~das Marktzentrum
hin knapper und teurer wird. Nach dem Gesetz der Minimalkosten-
^Der Intensitätsbegriff wird in der Literatur in unterschiedlicher Weise interpretiert und oft
mit Produktivität verwechselt. In Anlehnung an J. Kostrowicki (1964, S. 163) soll unter
„Intensität“ das Volumen des Inputs von Arbeit und Kapital je Flächeneinheit verstanden
werden. Es lassen sich demnach arbeitsintensive und kapitalintensive Produktionsverfahren
unterscheiden. Die „Produktivität“ ist dagegen eine Aussage über die Ergiebigkeit des Produktionsmitteleinsatzes,
die entweder in naturalen oder monetären Einheiten gemessen
wird. Sie-läßLsiehrfBlgendermaßen-angeben (H. STEINHÄUSER et al., 1978, S. 155):
Flächenproduktivität = gemessener Ertrag je ha LF,
‘ Arbeitsproduktivität = gemessener Ertrag je AK,
Kapitalproduktivität = gemessener Ertrag je DM Kapitab

ökonomische Einflußfaktoren des Agrarraumes 47
Abb. 2.5:
DieTHüNENschen
Kreise
(A - Idealscherna der
Landnutzungsringe,
В - Modifizierung
durch einen
schiffbaren Fluß;
Quelle: H. v. T hünen
1921,8.387)
9 Hauptstadt
H Freie Wirtschaft
Forstwirtschaft
r r ^ Fruchtwechsel-
Wirtschaft
1»^!^ Koppelwirtschaft
£?3sa Dreifelder-
Wirtschaft
r a Viehzucht
20
Kombination ist der teure Produktionsfaktor sparsam einzusetzen und zunehmëhd
mit den Faktoren Arbeit und Kapital zu kombinieren. In Marktnähe wird
demnach mit höherem Arbeits- und Kapitaleinsatz produziert als in marktferneren
Standorten, d.h. die Kapital- und Arbeitsintensität wächst. Difijioheten...
Produktionskosten werden durch höhere Flächenerträge und durch die lagebedingten
Transportkostenersparnisse ausgeglichen. Das Intensitätsgefälle ist aber
keineswegs so zwingend wie die durch die Transportkostenbelastung erzwungene
räumliche Differenzierung der Produktion. ThÜNEN (1921, S. 307-309) weist
selbst auf die Verbreitung von ausgesprochen intensiven Kulturen wie Flachs,
Tabak und Sämereien an der Peripherie seines „Isolierten Staates“ hin.
Die Ergebnisse der THÜNENschen Standort- und Intensitätslehre pflegen in dem
bekannten Ringschema der sog. „THÜNENschen Kreise“ (s. Abbildung 2.5) veranschaulicht
zu werden, das bereits im Anhang zum „Isolierten Staat“ (1921, S. 387)
zu finden ist. Es gliedert die Produktionszweige und Betriebssysteme mit zunehmender
Marktentfernung folgendermaßen:
1. Kreis: Freie Wirtschaft. Hier werden leichtverderbliche Produkte (Trinkmilch,
Gartenbauerzeugnisse) sowie transportkostenempfindliche Güter (Heu,
Stroh, Speisekartoffeln, Rüben) produziert.
2. Kreis: Forstwirtschaft. Wegen der hohen Transportkosten wird im stadtnäheren
Bereich Brennholz, in größerer Entfernung Nutzholz erzeugt.
3. Kreis: Fruchtwechselwirtschaft. Der Ackerbau wird in der intensiven Form des
Fruchtwechsels zwischen Halm- und Blattfrucht betrieben.
4. Kreis: Koppelwirtschaft. In diesem breitesten aller Ringe dominiert eine Art
Feldgraswirtschaft, hei der das Land abwechselnd als Acker und Weide
benutzt wird.
5. Kreis: Dreifelderwirtschaft. Es handelt sich um die extensivste Form des Getreideanbaus
mit Brache.

48 Allgemeine EinñuMaktoren des Agrarraumes
1
Л
6. Kreis; Viehzucht. Sobald der Getreidebau die Transportkosten nicht mehr verträgt,
kann nur noch Viehzucht in selbständiger Form als Weidevwrtschaft
getrieben werden. Ihre Erzeugnisse (Fleisch, Butter, Häute) verursachen
hei hohem Wert relativ geringe Transportkosten.
Am Außenrand des 6. Kreises, der bei Thünen einer konkreten Entfernung von 50
deutschen Meilen vom Marktzentrum entspricht, sinkt die Grundrente auch für
die Viehzucht auf 0; die marktorientierte Landwirtschaft findet damit ihr Ende,
obwohl auch weiter außerhalb noch der gleiche fruchtbare Boden vorhanden ist.
Es stellt sich die Frage nach der heutigen Bedeutung der THÜNENschen Theorien
für die räumliche Differenzierung der Landwirtschaft. Bereits in seiner ersten
Ausgabe von 1826 vergleicht Thünen selbst den isolierten Staat mit der damaligen
Wirklichkeit und weist dabei auf die reale naturräumliche Differenzierung der
Staaten, die Vielfalt des Städtewesens anstelle der einen großen Stadt, besonder.s
aber auf die Auswirkungen von Wasserstraßen hin. Er zeigt auf, wie sich durch
einen einzigen schiffbaren Fluß die Raumstruktur des isolierten Staates ändert (s.
Abbildung 2.5 B), wenn man für die Schiffsfracht 10 %der Landfracht ansetzt. Von
diesen restriktiven Annahmen, die bereits zu Thünens Zeit fiktiv waren, muß man
die seitdem eingetretenen technischen und ökonomischen Veränderungen unterscheiden.
Der zahlenmäßige Anstieg der Weltbevölkerung und die Steigerung der
Nachfrage nach Nahrungsgütern hat die unbebauten Landreserven aufgezehrt,
eine „kultivierbare Wildnis“ existiert fast nirgends mehr. In den Industrieländern
war es vor allem die Entwicklung des Verkehrswesens, welche der THÜNENschen
^ Standorttheorie nur noch eine begrenzte Gültigkeit verleiht (K. Ch. Behrens 19?1,
^S. 6). Einerseifs'^rmögUcheh SCh'nelT^T^ansportmitteï und Kühltechnik den
Xraiisport von ieichtverderblichen Gütern (wie z.B. Milch) auch über efroße Entfernungen,
andererseits können'-smeto'geTMgwertige Massengüter dank der starken
Senkung der Transportkosten durch Eisenbahn, LKW und Massengutfrachter*Miljfir
weite Entfernunefen transportiert werden. Der Getreidebau endetdaKër
heute an seinen klimatischen Grenzen, aber nicht mehr an einem Grundrenten-
Nullpunkt. Der Stadtwald, der offensichtlich das Vorbild für den 2. Kreis bildete,
hat heute Naherholungsfunktionen, während das Nutzholz weitgehend aus der
weltwirtschaftlichen Peripherie bezogen wird.
Trotz allen Einschränkungen bleibt die prinzipielle Gültigkeit der THÜNENschen
Theorien unbestritten. Die logische Schlüssigkeit der Konstruktionen Thünens
und die methodische Vorbildlichkeit seiner Analyse (K. Ch. Behrens 1971,
S. 6) bleiben unangetastet. Die empirische Forschung hat die THÜNENschen Kreise
in den verschiedensten räumlichen Betrachtungsebenen verifiziert: Einzelbetrieb,
Dorfgemarkung, Agrarraum der Erde. Schließlich sollte nicht übersehen
werden, daß m Entwicklungsländei^it mangelhaftem Verkehrswesen die Trans
portkosten auch heute noch relätnThocb sind und den wichtigsten begrenzenden
Faktor für den Absatzradius eines Produkts bilden können. Das gilt für verderbliche
Güter, für Massenprodukte, besonders aber fuguen vielTäcE'vdchtigsten Enerieträger,
das Brennholz.
®Die Transportkosten je Tonne Weizen von Chicago nach Liverpool sanken nach F. W. Henning
(1978, S. 114) von 71 Mark(1868) auf 21 Mark (1900).

ökonomische Einflußfaktoren des Agrarraumes 49
2.2.3 Der Agrarmarkt
Der Agrarmarkt ist der ökonomische Ort, der dem Ausgleich von Angebot und
Nachfrage dient. In diesem Versorgungssystem sind bestimmte Marktelemente
wie Angebot, Nachfrage, Preisbildung und Wettbewerb wirksam. In den meisten
Staaten der Erde ist freilich das freie Spiel der Marktelemente durch staatliche
Intervention auf dem Agrarmarkt stark eingeschränkt (s. Kapitel 2.4).
Die ^arktorientierung der Betriebe, gemessen an der Vermarktungsquote der
landwirtschäftlicEen Produktion, weist erheblich räumliche und zeitliche Unterschiede
auf. Im allgemeinen steigt die Yermarktungsquote mit der volkswirtschaftlichen
Differenzierung. In Deutschland stieg sie von 20 %während der Mitte
des 19. Jahrhunderts auf 75 %um 1955 (A. W. Schüttauf 1956, S. 69). Sie kann bei
den Marktfruchtbetrieben)der Industrieländer Werte von mehr als 90 %erreichen,
während sie in den marktferneii Räumen 'mancher Entwicklungsländer noch
unmer gegen NüHTSidiert. Die VermafHungsquote differiert auch zwischen den
verschiedenen Betriebsgrößen, in der Regel steigt sie mit der Betriebsgröße.
Der Agrarmarkt als „ideelle Gesamtheit aller Tauschgeschäfte“ (H. H. Herle-
MANN 1961, S. 94) gliedert sich räumlich, sachlich und zeitlich in Teilmärkte. Er
kann nach Warengattungen (z.B. Getreide, Baumwolle, Vieh) oder nach seiner
räumlichen Reichweite (lokale, regionale, nationale, internationale Märkte) unterteilt
werden. Der Begriff „Weltmarkt“ bezeichnet die grenzüberschreitenden
Güterströme.
Vertriebssysteme
Die Nachfrager auf dem Markt für Agrarprodukte lassen sich in 5 Gruppen einteilen:
- Direktkonsumenten
- Agrarhandel
- Absatzgenossenschaften der Erzeuger
- Handwerkliche und industrielle Be- und Verarbeiter
- Landwirte (Saatgut, Vieh)
Die Anteile der fünf Gruppen am Agrarmarkt variieren von Land zu Land, je nach
wirtschaftlichem Entwicklungsstand und Gesellschaftssystem. Der direkte Güterfluß
vom Produzenten zum Konsumenten spielt auf den Lokalmärkten der Entwicklungsländer
noch eine große Rolle, während er in den Industrieländern auf
Ausnahmeformen wie den städtischen Wochenmarkt oder auf Teilmärkte - z.B.
für Wein, Einkellerungskartoffeln, Eier, Spargel - beschränkt ist. Hier ist der Absatz
heut weitgehend technisiert und in Funktionsabschnitte gegliedert.
Das seit dem 19. Jahrhundert von Deutschland aüsgeHiride Genossenschaftswesen
(F. W. Raiffeisen 1818-1888) ist heute in allen Gesellschaftssystemen weit
verbreitet. In den Industrieländern dominiert heute unter den Nachfragern die
Gruppe der gewerblichen Be- und Verarbeiter. Hier hat sich im Gefolge der Arbeitsteilung
zwischen Produzenten und Konsumenten ein komplexes Verarbeitungs-
und Distributionssystem eingeschaltet. Es bewirkte, daß sich die Aufbereitung
der Agrarprodukte für den menschlichen Verzehr aus den Haushalten in das
Nahrungsmittelhandwerk oder die Nahrungsmittelindustrie verlagerte. Diese
(b
4 t

50 Allgemeine Einflußfaktoren des Agrarraumes
Entwicklung begann gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit der Errichtung von
Zuckerfabriken und Molkereien; sie scheint gegenwärtig mit dem Vordringen von
Fabriken für komplexe Fertiggerichte ein Endstadium zu erreichen. In der Bundesrepublik
Deutschland werden etwa 85 %aller landwirtschaftlichen Erzeugnisse
in den Betrieben des produzierencíeñ Èrnâhrungsgevvërbes be- oder verarbeitet
(H . H a u s h o f e r 1974~sT 1 2 5 T ' ‘ — — ^
Eine Folge dieser Entwicklung ist die zunehmende Divergenz zwischen den
Ab-Hof-Preisen der Agrarprodukte und den Konsumentenpreisen für Nahrungsmittel.
Steigende Nahrungsmittelpreise müssen daher nicht unbedingt auch ei
nen höheren Erlös für die Landwirtschaft bedeuten. In der Bundesrepublik
Deutschland waren 1993/94 die Verkaufserlöse der Landwirtschaft an den gesamten
Verbraucherausgahen für Nahrungsmittel inländischer Herkunft nur noch
mit 36 %beteiligt (1950/53: 63 %). Der Anteil des Landwirts an den Nahrungsmittelpreisen
differierte bei den einzelnen Produkten sehr erheblich (s. Tabelle 2.4).
Brotgetreideerzeugnisse 7,7 %
Zucker 38,5 %
Fleisch und Fleischwaren 36,3 %
Milch und Milcherzeugnisse 52,8 %
Eier 70,8 %
Tab. 2.4:
Erzeugeranteil an den Nahrungsmittelpreisen in der
Bundesrepublik Deutschland 1989/90
(Quelle: IMA, AGRIMENTE 91, S. 37)
Die starke Marktposition großer Betriebseinheiten in den Distrihutionssystemen
4er. JndustrifijSiaalenUheT tmd yerarbeitende Gewerbebetriebe, Kaufhäuser und
griifig,,Hahdelskettep). führt zvvangsläufig zu einer Standardirterung der SortefT
und Produkte, da diese Vertrifibsiorpien große Partien von gleichbleibender Qualität
in kontinuierlicherJ,.Jefarung benötigen. Von den mehr als 100 Apfelsorten,
die im 19. Jahrhundert in Deutschland kultiviert wurden, sind heute nur etwa ein
Dutzend mit wirtschaftlicher Bedeutung übriggeblieben.
Der Elastizitätsbegriff
Für den Zusammenhang zwischen Angebot, Nachfrage und Preise spielt der vom
englischen Nationalökonomen Alfred Marshall (1842 - 1924) eingeführte Elastizitätsbegriff
(vgl. W. Krelle 1061, S. 176-183) eine wichtige Rolle. Er gibt das
Verhältnis zwischen prozentualen Mengenänderungen des Angebots oder der
Nachfrage zu den sie verursachenden Preisänderungen bzw. Einkommensänderungen
wieder. Man bezeichnet als ^ ^ jl,"
Ela.tizitäBkorffi.ie«en (y ) . Mengenändemng (in »
Preisänderung (in %) r я к ' /
Die Preis-Elastizität der Nachfrage bzw. des Angebots gibt an, um wieviel sich die
angebotene oder nachfragende Menge ändert, wenn sich der Preis um einen
bestimmten Prozentsatz ändert. Die Einkommenselastizität der Nachfrage bzw.
des Angebots mißt die ReakhcmMerIB5iji£MtsnäcE'ff^^ nach Nahrungsmitteln
bei Einkommens„änd.erungen. Sind die Mengenänderungen des Angebots bzw.
der Nachfrage kleiner als die sie verursachenden Preis- hzw. Einkommensände-

ökonomische EJnflußfaktoren des Agrarraumes
Z'
•?
51
rungen (y < 1), so sind Angebot odeVxTííachfrage .vunelastist^^“, sind sie dagegen
größer (y > 1), so spricht man voi^"„elastischem'^'Än^BöTbzw. '«el^tischer“ Nach'
frage:^ '----- ------------
Nachfrage und Konsumgewohnheiten
Die Nachfrage nach Agrarprodukten ist selten konstant, sie ist vielmehr eine
Funktion folgender Faktoren:
’FLU
- demographische Entwicklung (Bevölkerungszahl, Quote der nichtagrarischen ^
Bevölkerung, Verstädterungsgrad),
^rv^r:л■l•A^/l
- Einkommensverhältnisse (Einkommensniveau, Einkommensentwicklung, Einkommensverteilung),
- Preisrelationen zwischen den verschiedenen Agrarprodukten,
- Konsumgewohnheiten.
Für die Projektion der Nachfrageentwicklung in die Zukunft wird in einfacher
Form die OHKAWA-GleichungbemxtTX (s. Übersicht 2.5 ).
(Jbersicht 2.5:
Die OHKAWA-Gleichung zur Berechnung der
Nachfrageentwicklung
(Quelle: P. v. Blanckenburg u.
H.-D. Cremer 1983, S. 28)
d = p + n * g
d: Nachfrageveränderung
p: Bevölkerungsveränderung
n: Veränderung des Pro-Kopf-Einkommens
g: Einkommenselastizität der Nahrungsnachfrage
&
In globaler Sicht war in den Jahren 1950 - 1995 das Bevölkerungswachstum von
rund 125 %die bei weitem wichtigste Ursache der Nachfrageexpansion nach Nahrungsmitteln.
Die rasche Verstädterung der meisten Entwicklungsländer steigert njuht nur
die Vermarktungsquote der Agrarproduktion, sie verlagert auch die Nachfrage
auf marktgängige, d.h. leiÆt transportierbare und lagerfähige Güter wie z.B.
Getreide. Besonders hohe Zuwachsraten weist die Nachfrage nach Nahrungsgütern
in denjenigen Entwicklungsländern auf, die in eine Phase raschen wirtschaftlichen
Wachstums mit entsprechenden Einkommensverbesserungen für breitere
Schichten eingetreten sind. Hier kumuliert ein starkes Bevölkerungswachstum
mit einer einkommensinduzierten Nachfragesteigerung, welche die Produktionsmöglichkeiten
der einheimischen Landwirtschaft überfordert und Nahrungsmittelimporte
induziert.
In den meisten Industrieländern wächst dagegen die Bevölkerung nur noch
geringfügig oder stagniert, so daß hier die Einkommensentwicklung zum wichtigsten
nachfragesteuernden Faktor geworden ist. Bei unverändertem Wachstum
der Agrarproduktion (EG: 1,5-2 % p.a.) besteht in den Industrieländern mit
marktwirtschaftlicher Wirtschaftsordnung die Tendenz zum Überangebot von
Agrarerzeugnissen.
Die Einkommensabhängigkeit der Nachfrageentwicklung wirkt sich in zweierlei
Hinsicht aus:
1. Bei steigendem Wohlstaad wachsen die Ausgaben der Verbraucher für. Nahrungsmittel
langsamer als ihr Einkommen. Dieses „ENGELsche Gesetz“ wurde

52 Allgemeine Einflußfaktoren des Agrarraumes
Jberejts^SSZ von dem deutschen Statistiker Ernst Engel (1821 - 1896) entdeckt
und nach ihm benannt, E.s. besagt nichts ^deres, als daß die Nachfrage nach
Nahrungsmitteln unelastisch ist, ein Fallen der Nahrungsmittelpreise verursacht
keineswegs êingf) größeren Konsum, wie das bei vielen Industriegütern
der Fall ist. Vereinfacht ausgedrückt kann man einen'Menschen woM zunT
Kauf eines zweiten oder dritten Autos, aber kaum zum täglichen Verzehr eines
zweiten oder dritten Schnitzels überreden. Allerdings gilt das ENGELsche Gesetz
erst von einer gewissen Einkommenshöhe an.
Die Gültigkeit des ENGELschen Gesetzes wurde in vielen Ländern bestätigt, ln
der Bundesrepublik Deutschland mußten 1950 noch 46,4 %des mittleren Einkommens
von Vier-Personen-Arbeitnehmerhaushalten für den Nahrungsmittelkauf
aufgewendet werden. Mit steigenden Einkommen sank dieser Anteil
kontinuierlich auf 38 %in 1960, 30 %in 1970, 24 %in 1980 und 16 %in 1993 (IMA,
AGRIMENTE 95, S. 27). Dabei erhöhten sich zwar die monatlichen Aufwendungen
für Nahrungsmittel von DM 132,- (1950) auf DM 640,- (1994), die Gesamtaufwendungen
für den privaten Verbrauch stiegen aber weit stärker, nämlich
von DM 285,- auf DM 4123,-. ln den wohlhabenden westlichen Industriegesellschaften
bilden heute die Ausgaben für NäKirungsmittel in den mittleren und
oberen Einkommensschichten nur 'noch em ëh'z'w'éitrarigige'ñ' Ausgabe’nposten.
Eine völlig andere Situation herrscht in den EntwicMungslänäm’nTTn Algerien,
das nach 'Weltbankkriterien zu den Ländern mit mittleren Einkommen zählt,
mußten um 1980 die Unter- und Mittelschichten - das sind 90 %der Gesamtbevölkerung
- 55-70 %ihrer Ausgaben für Nahrungsmittel aufwenden (A. Arnold
1986, S. 198). Ähnliche Werte werden für deutsche Arbeiterhaushalte im
19. Jahrhundert angegeben.
2. Von einer bestimnflten_Einkommenshöhe an wandelt^içb bie Nachfrage nach
Nahrungsmitteln in qualitativer Hinsicht. Grundnahrungsmittel pflanzlicher
Herkunft (Brot, Kartoffeln, Reis, GrobgemuséXsmd wenigerjefragt^^ däfüf stef^
die Nachfrage nach Feirîgërnüse, Frischobst aus anderen Klimazonen uniH Veredelungsprö^dükten
tierischen Ursprungs, die jnfolge der veredelungsbedingten
Verlüsfe relativ tffper sind. Diese Umstrukturierung des Warenkorbes konnte
in allen Industrieländern beobachtet werden, ln Deutschland erhöhte sich
der Pro-Kopf-Fleischverbrauch nach F. W. Henning (1978, S. 134) von 17 kg
(1800) auf 52 kg (1913) und stieg nach den Rückschlägen der Weltkriege (1950:
37 kg) in der Bundesrepublik bis 1980 auf 91,1 kg (s. Abb. 2.6). ln Japan sank in
den Jahren 1965 bis 1979 der Reiskonsum von 111 kg auf 80 kg, während im
gleichen Zeitraum der Pro-Kopf-Verbrauch an Fleisch von 9 auf 22,5 kg und
derjenige von Milch und Milchprodukten von 37,5 auf 62 kg anstieg. ln den
Entwicklungsländern ist der Nachfragewandel auf die Schichten beschränkt,
die von der wirtschaftlichen Entwicklung profitieren. So beträgt nach W. Hetzel
(1974, S. 208) der Fleischverbrauch pro Kopf im Landesdurchschnitt Togos
nur 2,6 kg, die Stadtbevölkerung verzehrt aber 8-10 kg. Liegt bei der Masse der
Bevölkerung das Pro-Kopf-Einkommen niedrig, so reagiert die Nachfrage nach
NaEiTiñgsmltteln'bei 'eihsel^hde'r Eihkö'Mmensstiigerung zimäcliSrrfilt einer
erhöhten Mengennachfrage und erst ab einem gewissen ïTirÎkommensniveau
auch mit einer Verlagerung auf hochwertige Nahrungsgütèr (§7Abb7 2.7)'.

ökonomische Einflußfaktoren des Agrarraumes 53
Für die Nachfrage spielen auch die Preisrelationen zwischen den einzelnen Nahrungsmitteln
eine große Rolle. Das gilt besonders für diejenigen Erzeugnisse, die
gegenseitig substituierbar sind, wie z.B. Butter und Margarine.
Abb. 2.7;
Entwicklung des
Getreide- und Fleischverbrauchs
pro Kopf
im Vergleich mit der
Entwicklung des
Einkommens
(Quelle: E. Schmidt
1981, S. 15)
Verbrauch/Kopf
kg
400-
200 -
Nahrungs- und
Futtergetreide
Nahrungsgetreide ""......
40
Fleisch
100-f
80-
60-
20-
10-
100 200 400
Einkommen/Kopf
1000 2000 3000 US-Dollar

54 Allgemeine EinfìuMaktoren des Agrarraumes
In den meisten Entwicklungsländern ist in den letzten Jahrzehnten der Fleischkonsum
gestiegen als Folge von Einkommensteigerungen. Nur in Südasien und
im subsaharischen Afrika ist dies nicht der Fall. Nach Angaben der FAO stieg der
durchschnittliche Fleischverbrauch pro Kopf in 93 Entwicklungsländern von
10,5 kg (1969/71) auf 16,4 kg (1988/90) an (N. Alexandratos 1995, S. 95).
Aber auch bei Grundnahrungsmitteln lassen sich_im Gefolge von Einkommensverbesserungen
große Konsumänderungen beobachten. Knollenfrüchte wie
Maniok oder Süßkartoffeln werden durch Getreide verdrängt. Wo Mais und Hirse
im VnrdergraiTitJ standen, werden diese teilweise durch Reis und Weizen ersetzt.
In Asien bleibt zwar Reis das Grundnahrungsmifteb es werden aber bessere Qualitäten
verlangt und zusätzlich dringt auch hier das Weizenbrot vor. Ähnliche
Entwicklungen waren auch in Europa im Zuge der Industrialisierung zu beobachten.
So hat in Deutschland der Weizen den Roggen und die Kartoffel teilweise
verdrängt, in Südosteuropa war der Mais der Verlierer (P. V. Blanckenburg 1986,
S. 104).
Die Konsumgewohnheiten beim Nahrungsmittelverbrauch, die sog. Ernährungssitten,
sind räumlich stark differenziert. Sie unterliegen einer Fülle von
ökologischen, ökonomischen und sozio-kulturellen Steuerungsfaktoren.
Die ökologischen Faktoren, d.h. die natürlichen Standortbedingungen der
Agrarproduktion, bilden den äußeren Rahmen für die verfügbaren Nahrungspflanzen
und Nutztiere. Sie differenzieren vor allem die in den verschiedenen
Klimazonen verfügbaren Grundnahrungsmittel.
Die ökonomischen Faktoren betreffen vor allem die erwähnte Korrelation zwischen
Einkommen und Ernährungssitten. Daneben wird die Ernährung des Menschen
sehr stark von sozialen und kulturellen Steuerungsfaktoren beeinflußt, die
dem einzelnen Individuum meist nicht bewußt sind. Von Kindesbeinen an entstehen
durch das Zusammenleben der Generationen bestimmte Wertvorstellungen
zur Ernährungsweise: der junge Mensch wird in seinem Eß- und Trinkverhalten
kanalisiert, er erfährt durch seine Gruppe einen Sozialisierungsprozeß. Alle eßbaiL,
ren Nahrungsmittel werden von menschlichen Gruppen unterschiedlich beurteilt
und entweder bevorzugt oder gemiedenr',,ffie'Ernährungsweis^e wird geradezu
ein Instrument der Identitätsabgrenzün^'von sozialen Gruppen. Reiche
.ernähren sich anders als Arme, Christen anders als Mdsleriis, Deutsche anders als
Franzosen ...“ (P. v. Blanckenburg 1986, S. 12Ó). Während Angehörige der sog.
Naturvölker anscheinend alles Eßbare verspeisen mußten, um überleben zu können,
haben alle höheren Kulturen ihre Speisepräferenzen und -tabus entwickelt.
Es sind vor allem die tierischen Produkte Fleisch und Fisch, aber auch Eier und
Milch, die schärfer bewertet werden, als pflanzliche Produkte.
Das Verzehrverbot von Schweinefleisch für Juden und Moslems ist von erheblicher
wirtschaftlicher Bedeutung für die Ausrichtung der Landwirtschaft in den
betroffenen Ländern. Für Hindus ist das Rind ein heiliges Tier, das nicht geschlachtet
und verzehrt werden darf. Das hat zur Folge, daß die riesigen Rinderbestände
Indiens (1994: 193 Mio. Tiere) aus wirtschaftlicher Sicht nahezu wertlos
sind. Brahmanen essen in der Regel überhaupt kein Fleisch, aber auch keine Eier:
sie könnten befruchtet sein und Leben enthalten. Auch Europa hat seine tabuisierten
Tiere: Hunde- und Katzenfleisch wird allenfalls in äußerster Notlage ver-

ökonomische Einflußfaktoren des Agrarraumes 55
speist - dem Chinesen sind diese Skrupel fremd. Das Pferd wurde von den alten
Germanen verehrt, folglich besteht bei allen germanischen Völkern noch 1000
Jahre nach der Christianisierung eine weitverbreitete Abneigung gegen den Verzehr
von Pferdefleisch, während es von romanischen Völkern geschätzt wird.
Unter allen Weltreligionen dürfte das Judentum die kompliziertesten Speisegesetze
entwickelt haben. Unrein sind nicht nur Schweine, sondern auch Wiederkäuer
mit ungespaltenen Hufen wie Kamele, außerdem Hasen und Kaninchen.
Von der Wasserfauna sind nur Schuppentiere erlaubt. Milchige und fleischige
Kost dürfen nicht im gleichen Gefäß zubereitet werden (s. 3. M oses 11). Über die
zahlreichen Regeln der koscheren Nahrung wachen spezialisierte Rabbiner.
Von den selteneren Verboten pflanzlicher Produkte ist das Verdikt des Weines
für Moslems von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung. In der islamischen Welt
wird die Weinrebe vorwiegend für Tafeltrauben und Rosinen kultiviert - obwohl
in weiten Gebieten die klimatischen Gegebenheiten großflächigen Weinbau erlauben
würden^. Die Weinproduktion bleibt häufig christlichen Minderheiten
überlassen wie etwa im Libanon oder in Ägypten. In Europa hatte die Christianisierang
im Mittelalter eine Ausweitung des Weinbaus bis an dessen biologische
Grenze bewirkt; es waren vor allem die Klöster, die - neben anderen mediterranen
Kulturen - die Verbreitung des Weinbaus förderten.
Die meisten Religionen verordnen ihr^*Gläubigen Zeiten des Fastens und der
Askese. Der Fastenmonat Ramadan des Islam oder die österliche Fastenzeit und
das Freitagsfleischverbot des Christentums sind die bekanntesten Beispiele. Die
christlichen Fastengebote bewirkten im mittelalterlichen Europa die Ausbreitung
der Teichwirtschaft - wiederum unter Anleitung der Юöster. Außerdem erhielt
dadurch die Fischwirtschaft an den Küsten wesentliche Impulse (Fischfang,
Fischhandel, Salzhandel). Mit zunehmender Säkularisierung verlieren die religiös
begründeten Fastenzeiten und Nahrungstabus an Bedeutung.
Interessante regionale Differenzierungen innerhalb gleicher Kulturkreise weisen
die Trinksitten auf. „Teeländer“ wie Rußland, England, Marokko, Ostfriesland
stehen ausgesprochenen „Kaffeeländern“ gegenüber. Innerhalb Deutschlands lassen
sich Gebiete hohen Weinkonsums von solchen, in denen das Bier dominiert,
gut abgrenzen. Vielfach gehen diese Räume unterschiedlichen Konsumverhaltens
auf alte Territorialgrenzen zurück: Teeland Ostfriesland, Mainfranken ein Weinland
- Oberfranken ein Bierland.
Die Eß- und Trinkgewohnheiten sind einerseits von Persistenz gekennzeichnet,
andererseits sind gerade sie ein Feld andauernder Innovationen und Verdrängungsprozesse.
Als Beispiel sei hier der Übergang von der Breinahrung zur Brotnahrung
(A. W. SCHÜTTAUF 1956, S. 67) in Deutschland während des 19. Jahrhunderts
genannt, wodurch die Hirse als Feldfrucht verschwand. In ländlichen
Gebieten des tropischen Afrika verdrängt gegenwärtig der Mais die"Hffse“ als
4
^Es sei hier an den Niedergang der algerischen Weinwirtschaft nach dem Abzug des die
Rebkultur tragenden europäischen Bevölkerungsteils erinnert. Die Weinmosternte Algeriens
fiel von 17 Mio. hl (im Durchschnitt der Jahre 1955 - 61) auf 1,8 Mio. hl (1977/78) und nur
noch 289 000 hl 1990.

T^í
56 Allgemeine Einnußfaktoren des Agrarraumes
Grundnahrungsmittel, die Stadtbevölkerung geht auf Reis und Weizenbrot nach
europäischem Vorbild über ЛЗіё Ausbreitung der Kulturpflanzen über die Erde ist
'nocK'Kéi’ñeswegs abgeschlossen; die Wirtschaftspflanzen haben noch nicht all die
Areale eingenommen, in denen ihr Anbau optimal wäre. Widerstände gegen unbekannte
Nahrungsmittel verhindern nicht selten die Einführung neuer Kulturen
mit höheren Erträgen in Entwicklungsländern. So berichtet H. HECKLAU (1978,
S. 31) von der Abneigung eines Stammes in Kenia gegen den Anbau von Mais,
weil sie dessen vermeintlichen negativen Auswirkungen auf die Potenz fürchteten.
In Südostasien traf die Einführung neuer Hochleistungs-Reissorten anfangs
auf wenig Gegenliebe, weil ihr Geschmack nicht den gängigen Sorten entsprach
und sie daher nur schwer abzusetzen waren. In den damaligen Westzonen
Deutschlands fand die Beimischung von Maismehl zum Brot selbst in den Hungerjahren
1946/47 wenig Gegenliebe, während Mais in weiten Teilen der Welt das
Grundnahrungsmittel bildet.
In den reichen Industrieländern, die seit Generationen keinen allgemeinen
Nahrungsmangel mehr kennen, sind „alternative“, ökologisch ausgerichtete Verhaltensweisen
im Vormarsch. In diesem Rahmen ändern sich auch die Ernährungssitten,
indem „biologisch“ erzeugte Nahrungsmittel bevorzugt werden. Abgelehnt
werden chemisch behandelte Nahrungsmittel, der Verbrauch tierischer
Produkte sinkt zugunsten der pflanzlichen „Vollwertkost“. Die Korrelation von
steigenden Einkommen mit steigendem FleischverbrapcäiiKdfesich über ein Jahrhundert
lang beobachten ließ, gilt in den reichste^Industrieländern nicht mehr,
hier Ы der FleischvefZëhr sogar rückläufig. In Deutschland sank der Fleischverbrauch
zwischen 1990 und 1993 von 102 kg auf 95 kg pro Kopf. Dies betrifft
vor allem Rind- und Schweinefleisch, während der Verbrauch von Geflügelfleisch
noch anstieg. Auch der Verzehr von Eiern sank wegen der Gefährdung durch
Cholesterin in Deutschland von 285 Stück (1980) auf 215 (1993) ab. Als Gründe für
dieses veränderte Konsumverhalten werden gesundheitliche Bedenken (Angst
vor Übergewicht, erhöhtes Risiko der Krebserkrankung, Hormoneinsatz in der
tierischen Produktion, Rinderwahnsinn BSE), politische Argumente (Futtermittel
aus der Dritten Welt) sowie ethischer Rigorismus (Ablehnung der Tötung von
Tieren) genannt (R. v. Alvensleben 1995). Fleisch hat - zum Leidwesen von Bauern
und Metzgern - seinen Charakter als Prestige-Nahrungsmittel verloren. Dafür
erfreuen sich Frischmilcherzeugnisse, Käse sowie Obst und Geflügel steigender
Beliebtheit. Man kann diese Entwicklung als „Rückkehr zur Normalität“ (R. V. Alvensleben
1995, S. 70) deuten.
H. G. Kariel (1966) hat erstmals versucht, weltweit die räumliche Differenzierung
des Nahrungsmittelkonsums nach den beiden Kriterien der wichtigsten
Kalorien- und Proteinquellen kartographisch darzustellen (s. Abbildung 2.8). Er
sondert 20 Typen von Nahrungsmittelassoziationen aus, die nach der jeweiligen
Hauptgetreideart geordnet sind. Überraschenderweise decken sich die Räume
ähnlicher Eßgewohnheiten kaum mit den Юіта- und Anbauzonen. Das europäische
Konsumverhalten mit seinem vielseitigen Nahrungsangebot (Typ 1) ist auf
Europa und seine früheren Siedlungskolonien beschränkt und tritt daher in sechs
weit voneinander entfernten Räumen auf: Eurasien, Nordamerika, südliches Südamerika,
Südafrika, Australien, Neuseeland. Demgegenüber sind die übrigen 19

ökonomische Einflußfaktoren des Agrarraumes 57
Abb. 2.8:
Die räumliche Differenzierung des Nahrungsmittelkonsums
(Quelle: H .G . Ka r ie l1966)
Typ Wichtigste Kalorienträger Hauptproteinquellen
1 Weizen, Kartoffeln, Zucker, Fleisch,
Rind, Schwein, Schaf, Milch
Fette und Öle
2 Weizen, Hirse, Gerste, Reis Bohnen, Erbsen, Linsen
3 Weizen, Mais, Gerste, Reis, Fette und
Öle
Rind, Schwein, Schaf, Bohnen und
Kichererbsen
4 Weizen, Mais, Gerste, Kartoffeln Bohnen
5 Weizen. Mais, Reis, Zucker Rind, Bohnen
6 Weizen, Mais, Kassawa (Maniok) Rind, Bohnen
7 Reis Bohnen, Erbsen
8 Reis, Weizen Fisch, Soja
9 Reis, Mais, Süßkartoffeln Schwein, Fisch, Soja, Erdnuß
10 Reis, Mais, Süßkartoffeln, Kokosnuß Fisch, Soja, Erdnuß, Bohnen
1 Reis, Mais, Bananen, Yams, Kassawa, Zucker Bohnen, Erbsen
12 Mais Bohnen
13 Mais, Weizen, Kartoffeln Rind, Bohnen
14 Mais, Hirse Bohnen, Erbsen, Linsen
15 Hirse, Mais, Reis, Yams, Kokosnuß, Süßkartoffeln,
Bohnen, Erbsen, Erdnuß
Kassawa, Bananen
16 Hirse, Reis, Kassawa, Kokosnuß Fisch, Bohnen, Linsen, Kichererbsen
17 Hirse, Weizen, Mais, Kartoffeln Schwein, Schaf, Soja, Erdnuß
18 Gerste Milch, Schaf, Ziege
19 Kassawa, Yams, Taro, Bananen, Kokosnuß Fisch, Schwein
20 tierische Fette Fisch, Wild
Nahrungsmittelassoziationen nur in jeweils einem Raum verbreitet. Auffallend
ist, daß die Tropenzone schon durch die Hauptkalorienträger Reis, Mais, Hirse
und Kassawa in sehr unterschiedliche Konsumräume untergliedert ist.

58 Allgemeine Einflußfaktoren des Agrarraumes
Das Angebot
Die geringe Elastizität des Angebots ist ein wichtiges Merkmal des Agrarmarktes.
Die landwirtschaftliche Produktion kann nur bedingt und mit Verzögerung auf
veränderte Nachfragesituationen reagieren. Dies gilt für Entwicklungsländer
noch weit stärker als für Industrieländer. Als Gründe für das unelastische Angebot
lassen sich nach H. H. Herlemann (1961, S. 96 - 101), anführen:
- Abhängigkeit von kaum veränderbaren Naturfaktoren, welche die mögliche
Produktionspalette stark einengen.
- Abhängigkeit der Produktion vom jahreszeitlichen Vegetationsrhythmus in
den meisten Klimazonen. Das führt zu Angebotsstößen mit Preisverfall zur
Erntezeit, während die Nachfrage asaisonal, d.h. über das ganze Jahr verteilt ist.
Seit Urzeiten ist daher die Landwirtschaft mit Vorratshaltung bei entsprechender
Kapitalbindung verbunden. Diese Saisonalität des Angebots führt besondei:s.in
Entwicklungsländern mit eingescKrânktêri Läger- und Konservierungsmöglichkeiten
zu starken jahreszeitlichen Preisschwankungen^ und Versor-
..gupgsschwierigkeiten,
- Lange Dauer des Produktionsprozesses bei verschiedenen Produkten (Rindfleisch
2,5 - 3 Jahre, Schweinefleisch 10 Monate, Baum- und Strauchfrüchte
4 - 5 Jahre).
- Verhältnismäßig hoher Anteil der Fixkosten. Das Kapital, das in Gebäuden,
Spezialmaschinen, Viehherden angelegt ist, muß verzinst und amortisiert werden
und ist schwer mobilisierbar. Dadurch wird gerade in den Industrieländern
mit „durchkapitalisierter“ Landwirtschaft ein Wechsel der Produktionsrichtung
sehr erschwert.
- Anomale Reaktion der bäuerlichen Betriebe gegenüber Preisänderungen. Familienbetriebe,
die auf ein Minimaleinkommen angewiesen sind, reagieren auf
Preissenkungen mit einer Steigerung der Mengenproduktion, um ein gegebenes
Bargeldbedürfnis zu decken. Sie sind im volkswirtschaftlichen Sinn Mengenanpasser.
Ein_Charakteristikum des Agrarmarktes besteht darin, daß das Angebot von einer
Millionenzahl von Anbietern kleiner Mengen erbracht wird (= atomistischer
Markt). Nur auf wenigen Teilmärkten für tropische Erzeugnisse (Ananas, Bananen)
treten einflußreiche Großproduzenten auf. Seit dem,.19- Jahrhundert yersuchten
daher die Anbieter, ihre schwache Marktposition durch Zusammenschluß
zu Absatzgenossenschaften zu verbessern.
gj
Der Marktpreis
Bei freiem Wettbewerb ergibt sich aus dem funktionalen Zusammenspiel von
Angebot und Nachfrage der Marktpreis als der in Geldeinheiten ausgedrückte
Wert eines Gutes. Der Preisbildungsmechanismus läßt sich mit Hilfe von Angebots-
und Nachfrsgekuryen graphisch darstellenTs. Abbildung 2.9).
Dabei werden die bei unterschiedlicher Höhe des Preises jeweils nachgefragte
bzw. angebotene Menge eines Gutes eingetragen. Steigende Preise vermehren das
' Nach W. Hetzel (1974, S. 139) kosten Mais und Yams in Togo am Ende der Trockenzeit
(Mai - Juni) das Drei- bis Vierfache des Preises zur Erntezeit im August.

ökonomische Einflußfaktoren des Agrarraumes 59
Abb. 2.9:
Schema des
Preisbildungsvorgangs
(Quelle: P. A. Samuelson 1975,
S. 94)
Angebot und vermindern die Nachfrage, sinkende Preise verringern das Angebot
und regen die Nachfrage an. Der Schnittpunkt der Angebotskurve AA’ mit der
Nachfragekurve NN’ bezeichnet den Gleichgewichtspunkt, in dem angebotene
und nachgefragte Menge gleich groß sind. Bei jedem niedrigeren Preis P bewirkt
die Überschußnachfrage Preissteigerungen, bei irgendeinem höheren Preis P
drückt das Überschußangebot den Preis auf den Gleichgewichtspreis zurück.
Die geringe Elastizität von Nachfrage und Angebot auf dem freien Agrarmarkt
hat starke Preisschwankungen zur Folge. Schon im 17. Jahrhundert beobachtete
der englische Statistiker G. King (1648 - 1712), daß die Getreidepreise stärker
schwankten als die Erntemengen. So bewirkt nach King ein Ernterückgang um
10 %, 20 %, 30 %, 40 %, 50 % eine Preissteigerung von 30 %, 80 %, 160 %, 280 %bzw.
450% (W. Krelle 1961, S. 179). Diese sog. „KiNGsche_Regel“ läßt sich auch heute
noch bei den .W.eJtmarktnotierungen für Ä^argüter mit niedriger Elastizität der
Nachfrage (Kaffee, Kakao, Zucker)'^t beobáchteñTs. Tabelle 59.1). Für diejenigen
Tab. 2.5: Die Weltmarktpreise für Zucker, Kaffee und Kakao im jeweiligen Durchschnitt der Jahre
1984-1993
(Quelle: Statist. Jb. f. d. Bundesrepublik Deutschland 1988,1994)
1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993
Rohzucker
(US-Cent/lb) 5,24 4,08 6,05 6,73 10,19 12,81 12,55 8,95 9,06 10,01
Rohkaffee
(US-Cent/lb) 147,41 155,37 218,65 122,89 134,07 107,17 89,30 85,07 63,65 69,55
Rohкакао
(C/t) 1930 1840 1454 1238 912 777 718 661 630 774

60 Allgemeine Einflußfaktoren des Agrarraumes
^EiiJ^ickluagsländer, die stark von Agrarexporten abhängen, stellen diese starken
Preisschwankungen ein bis heute ungelöstes Problem dar.
«МІЙ»; ■
Die räumliche Ordnung der Agrarmärkte
Aus geographischer Sicht war stets die räumliche Ordnung der Agrarmärkte, d.h.
die funktionale Zuordnung von Liefer- und Konsumräumen, ihre Verflechtungen
und ggf. ihre hierarchische Ordnung, von besonderem Interesse.
Auf mondialer Ebene ist die Verfolgung der Güterströme relativ einfach. Das
gilt besonders für die Güter, die weniger auf den Binnenmärkten als vielmehr auf
dem sog. Weltmarkt abgesetzt werden.
Auf nationaler und regionaler Ebene ist dagegen die Zuordnung von Lieferpnd
Konsumräumen .ЩІі der Entwcldung der komplexen Verkehrs-”ünid'Disfributionssysteme
in denJndustrieländern.iipmej schwieriger geworden. Noch um
1930 konnten für deutsche Großstädte die Versorgungsgebiete von Grundnahrungsmitteln
wie Getreide, Kartoffeln und Fleisch abgegrenzt werden (E. W.
SCHAMP 1972, S. 94). In der Gegenwart lassen sich allenfalls noch Gartenbauzonen
und Frischmilch-Einzugsgebiete eindeutig auf ein städtisches Konsumzentrum
zuordnen. Doch selbst die großen stadtnahen Sonderkulturgebiete sind heute nur
noch in lockerer Form mit ihrer Stadt, deren Absatzmarkt einst Anlaß zu ihrer
Entstehung war, verbunden. So ist die Agglomeration des Rhein-Main-Gebietes
nicht der erstrangige Abnehmer für Spezialkulturen (Spargel, Frühobst, Erdbeeren)
der nördlichen Oberrheinischen Tiefebene; das Alte Land setzt nur noch
9 - 10 %seiner Obsternte in Hamburg ab (s. Kapitel 4.3.4, Marktfruchtbau).
Was hat die Ablösung des kleinräumigen Musters von Liefen und Konsumräumen
durch ein komplexes Versorgungssystem mit teilweise weltweitem Ausgriff
verursacht? JQi&^i»bild««g.,von, Verarbeitungs- und Handelsketten mit
hohem Mengenumsatz ermöglichte^die Einbeziehung von weltweit verteilten
Meferquellen„ wie jeder Blick in ^ie Regale eines Supermarktes lehrt. Je stärker ein
Agrarprodukt verarbeitet und dainit veredelt ist, desto eher verfragFes auch den
TransgoH^üBer große"Distanzen, wie z.B. ObstkohseiVen. Wegen.des Verbrauctreranspruchs
auf ^hzjälirige Versorgung mit saisonabhängigen Frischwaren müssen
die Liefergebiete im Jahresverlauf in andere Klimazonen, u.U. bis in die Südhalbkugel,
ausgeweitet werden. Die Liefergebiete für ein bestimmtes Produkt sind
daher nicht konstant, sondern wechseln mit den Jahreszeiten. Die Versorgung des
norddeutschen Marktes mit Frühkartoffeln verlagert sich vom südmediterranen
Raum (Malta, Tunesien, Sizilien im März und April) nach Südfrankreich (Mai), in
die Pfalz (Juni) und schließlich in das niedersächsische Anbaugehiet um Burgdorf
(ab Mitte Juni).
Nicht zuletzt hat die hochgradige räumliche Spezialisierung einzelner Agrargehiete
auf bestimmte Produkte oder Produktgruppen dazu beigetragen, daß in den
Industrieländern die Distributionssysteme sehr viel großräumiger wurden. Nach
dem Aufbau leistungsfähiger Eisenbahn- und Straßermetze
Jahrh
u n d e rt.gingenÂn,Europa urid'TÌòrdaiherika~vTéIè Agrargebiete von cto vielseitigen
PrQduktÌQn,_die, den Eigenbedarf der Betriebe u n d 'd e ^ ig o n decken mußte,
, zu .Ä.ussGhl.ießlich marktorientierter S^pezialproduktion. über, Dabm'wurcteh vielfach
naturräumliche Standortvorteile ausgenutzt. Im Verlauf dieses Prozesses zo-

г
ökonomische Einñuñfaktoren des Agrarraumes 61
gen sich weitverbreitete Kulturen wie Wein oder Hopfen auf natürliche Gunsträume
zurück; andere spezialisierte Produktionsräume wie etwa die Massentierhaltung
in Süd-Oldenburg oder die Agrumenflächen in Kalifornien, Florida
und Teilen des europäischen Mittelmeerraums entstanden neu. Diese hochgradige
Spezialisierung bietet sowohl Kostenvorteile bei der Erzeugung infolge der
Kostendegression der Massenproduktion als auch Vorteile bei der Organisation
der Vermarktung. Schließlich bewirkt die Spezialisierung auf ein Produkt eine
erhebliche Steigerung der erzeugten Menge an einem Standort, so daß die Erschließung
entfernter Märkte unumgänglich wird.
In den Entwicklungsländern mit geringem Verstäderungsgrad läßt sich noch
die kleinräumige Kammerung von städtischen Märkten mit zugeordnetem Versorgungsgebiet
beobachten, wie sie auch im vorindustriellen Europa anzutreffen
war. In den westafrikanischen Staaten Togo und Dahomey hat W. Hetzel (1974)
die Vermarktungssysteme der Agrarproduktion untersucht. Die Vermarktungsquote
ist noch relativ gering, der Eigenverbrauch der Haushalte übertrifft die auf
den Markt gelangende Überschußproduktion. Hetzel (1974, S. 103 - 126) unterscheidet
drei verschiedene Reichweiten beim Absatz pflanzlicher Agrargüter;
- Lokalhandel auf Dorfebene. Er spielt sich fast ausschließlich zwischen den
Erzeugern selbst, z.T. noch in der Form des reinen Tauschhandels, ab.
- Regionalhandel zur Versorgung der kleinen Dienstleistungszentren. Er wird
teils von den Bauern, teils von Händlerinnen getragen. Die Güter stammen aus
dem Nahbereich, d.h. aus einer Entfernung von maximal 30 - 40 km.
- Interregionaler Handel zur Versorgung der größten Städte, besonders der
Hauptstädte an der Küste. Ihr Versorgungsgebiet mußte sich zwangsläufig mit
dem raschen Bevölkerungswachstum ausweiten, doch kommen 80 - 90 %der
benötigten Grundnahrungsmittel aus einer Entfernung von höchstens 150 km.
Insgesamt ist der interregionale Agrarhandel in Westafrika noch schwach entwickelt,
die rein lokalen Wirtschaftskreisläufe dominieren. Eine Ausnahme
macht der Handel mit lebenden Rindern, die aus der Savanne im Norden in die
vieharme Litoralzone geliefert werden.
Ähnliche Beobachtungen über die Dominanz kleinräumiger Marktbeziehungen
liegen auch aus Indien vor (J. Blenck, D. Bronger u . H. Uhlig 1977, S. 331 - 334).
Dort werden nach Schätzungen der FAO etwa 80 %der Ernteüberschüsse auf den
22 000 Wochenmärkten abgesetzt (H.G. Bohle 1981, S. 140).
Die rasche Verstädterung vieler Entwicklungsländer beschert den nationalen
Agrarmärkten ein schnelles Wachstum, so daß die Nachfrage vielfach nicht im
Inland gedeckt werden kann. Die Versorgung der großstädtischen Bedarfszentren
mit preisgünstigen Nahrungsmitteln und deren Distribution verlangen einen
Umbau der traditionellen Vermarktungssysteme, der alle Handelsstufen betrifft.
2.2.4 Der Agrarbetrieb
Die kleinste wirtschaftliche Einheit des Agrarraumes ist der Agrarbetrieb. Nach
der Definition von Steinhäuser et al. (1978, S. 13) wird er „als örtliche, technische
und organisatorische Produktionseinheit gesehen, in der die Produktionsfakto-

62 Allgemeine Einflußfaktoren des Agrarraumes
ÌX
ren zusammengefaßt sind und durch planmäi^gesHandeln der Betriebsleitung
zur Gütererzeugung kombiniert werden“. Peri^^^i^w ird-acnD it als räunükhe
Prndiiktinnseinheit mit landwirtschaftlich genutzter Fläche (LF), Gebäuden und
technischem Apparat definiert, während das Untonehmem elfte örtlich nicht gebundene,.
wirtschaftllii-finanzielle und juristische ÊT i^ it darstellt, das u.U.
mehrere Betriebe_umf^sen kann.
i
Die Betriebsgröße
Für die Produktionsrichtung und die Intensität der Bewirtschaftung spielt die
Größe eines Agrarbetriebs eine wichtige Rolle. Je kleiner die Betriebsfläche bei
gegebenem Arbeitsbesatz ist - westeuropäische Familienbetriebe verfügen in der
Regel über nicht mehr als 1 bis 3 Vollarbeitskräfte - desto höher ist das Arbeitsjaotential
je Hektar. Arbeitsintensive Betriebszweige wie z.B. Wein- und Obstbau,
Hopfenkulturen, Milcherzeugung werden daher überwiegend von Kleinbetrieben
gepflegt.
Im landläufigen Sinne wird die Größe eines Betriebes durch den Umfang seiner
Betriebsfläche angegeben, der im weltweiten Vergleich beträchtlich variieren
kann. Australische Schaffarmen bewirtschaften 200 000 bis 400 000 ha, sowjetische
Ackerbausowchosen erreichen 30 000 bis 40 000 ha, die Vollerwerbsbetriebe
in den alten Bundesländern hatten 1993/94 durchschnittlich 37,3 ha, während
90 % der japanischen Betriebe weniger als 2 ha bewirtschaften und 95 % der
Fellachenbetriebe Ägyptens sich mit durchschnittlich 0,5 ha begnügen müssen.
Offensichtlich besteht eine Relation zwischen der Größe der Betriebsfläche und
einer Reihe von Faktoren wie Naturpotential, Gesellschaftsform, Bevölkerungsdichte,
Einkommensanspruch der lanHwirtscHaftlichen Bevölkerung und Intensität
der Bewirtschaftung.
In allen Industrieländern läßt sich eine Grundtendenz zu wachsenden Betriebsflächen
beobachten. In den USA wuchs die mittlere Farmgröße von 56 ha
(1910) auf 70 ha (1940) und 178 ha (1985) an (H. Blume 1975, S. 221; H. W. Windhorst
1989, S. 17). Die landwirtschaftlich genutzte Fläche aller Betriebe über 1 ha
erhöhte sich in den alten Bundesländern von 8,06 ha (1949) auf 15,26 ha (1980)
und 21,4 ha im Jahre 1994.
Aus Abbildung 2.10 läßt sich die sehr unterschiedliche Entwicklung der einzelnen
Betriebsgrößenklassen in den alten Bundesländern seit 1949 ablesen. Die
Zahl der Betriebe hat sich kontinuierlich verringert; bis 1994 sank die Gesamtzahl
der Betriebe über 1 ha von 1 647 000 auf 551 000 oder um 66,5 %. Am stärksten
war der Rückgang bei den Kleinbetrieben von 2 bis 5 ha, die 1994 nur noch 19 Ж
ihres Ausgangsbestandes auswiesen. Die Gruppe von 10 bis 20 ha wuchs noch bis
Mitte der sechziger Jahre, dann erwies sich auch diese Größe als unwirtschaftlich,
Die Schwelle zwischen schrumpfenden_und wachsenden Betiebsgrößenklassen,
die sog. Wachstumsschwelle, liegt z.Zt. bei 5Ô ha. Den stärksten Zuwachs vèrztìchneri'dîe
bäuerlichen Familienbetriebe von 50 bis lOÖ ha, aber auch die Betriebsgrößenklasse
über 100 ha, die früher als Großgrundbesitz bezeichnet wurde.
Eine gegenläufige Entwicklung, nämlich eine Verringerung der Betriebsfläche,
läßt sich in denjenigen Entwicklungsländern beobachten, die bei noch wachsender
Agrarbevölkerung über keine Landreserven mehr verfügen. So berichtet

1
ökonomische Einflußfaktoren des Agrarraumes 63
Abb. 2.10:
Die Entwicklung der landwirtschaftlichen Betriebe in der alten Bundesrepublik Deutschland nach
Größenklassen 1949-1990 (Quellen: Agrarbericht 1972; Statist. Jb. ELF 1994)
E. Ehlers (1972, S. 295) über die Zersplitterung bäuerlicher Betriebe im Iran
durch die strikte Anwendung des islamischen Realteilungsrechtes, das die Aufteilung
der Erbmasse unter Söhnen und Töchtern im Verhältnis 2 : 1 vorsieht. In der
nordiranischen Bodenreformsiedlung Shahquz Koti stieg die Zahl der bäuerlichen
Betriebe zwischen 1961 und 1970 von 15 auf 55, während gleichzeitig die
durchschnittliche Betriebsfläche von 3,9 auf 1,1 ha absank. In nur 1 - 2 Generationen
werden ausreichende Betriebsgrößen so zersplittert, daß sie unter die Ackernahrungsgrenze
sinken (vgl. auch Übersicht 2.6).
Auch in den kleinbäuerlichen Agrarräumen Südamerikas, des ostafrikanischen
Hochlandes (W. Manshard 1968, S. 240T s o ^ ¿ Süd- und Südostasiens führt die
Realteilung zu einer fortw^Mignden Verringerung der Reifreh.sgrößen
Ï

64 Allgemeine EinHußfaktoren des AgrarraumesT
Übersicht 2,6; Bodenzersplitterung im Iran aufgrund des islamischen Erbrechts
(Quelle: E. Ehlers 1972, S. 298)
Großvater: Teilpachtbetrieb 5,2 ha
Sohn A; 1,7 ha Sohn B: 1,7 ha
1
Enkel A: 1,7 ha Enkel B: 0,7 ha
1
Töchter C-eD: zus. 1,8ha
1
Enkel C: 0,7 ha
1
Enkelin D: 0,3 ha
Künftige Erbengemeinschaft;
7 Söhne und 4 Töchter
Von der landwirtschaftlichen Betriebslehre wird die Betriebsfläche als alleiniger
Indikator der Betriebsgröße für problematisch gehalten, seit sich in den Industrieländern
der Zusammenhang zwischen Flächenausstattung mit anderen Produktionsmitteln
mehr und mehr gelockert hat. Es scheint daher sinnvoller, bestimmte
Einkommensgrößen als Leistungswerte des Produktionsmitteleinsatzes
zur Kennzeichnung der Betriebsgröße zu benutzen (H. St e in h ä u s e r et al. 1978,
S. 276). In der Bundesrepublik Deutschland wurde als Meßgröße das sog. „Standardbetriebseinkommen“
entwickelt, das darüber entscheidet, ob ein Betrieb
„groß“ oder „klein“ ïst. Ês ist ein kalkuliertes Betriebseinkommen, das bei ordnungsgemäßer
und standortgerechter Bewirtschaftung und bei Annahme durchschnittlicher
Betriebsleiterqualifikationen erzielt werden kann. Von diesem Ideal-
Maßstab kann das tatsächlich erzielte Betriebseinkommen nach oben und unten
abweichen.
Agrarbetriebe im Wechselspiel integrierender und differenzierender Kräfte
Die Produktion eines Agrarbetriebes läßt sich folgendermaßen organisieren
{St e in h ä u s e r et al. 1978);
- einfache Produktion: Einproduktbetriebe wie z.B. eine Weizenfarm oder eine
bodenunabhängige Schweinemästerei; sie sind relativ selten;
- Verbundene Produktion: der Betrieb erzeugt mehrere Produkte; dabei können
die einzelnen Produktionsrichtungen auf verschiedenen Weise miteinander
kombiniert sein:
- pa^raflele Produktion, die Produktionsrichtungen existieren unabhängig nebeneinander,
wie z.B. Getreidebau und Teichwirtschaft, sehr selten;
- konkurrierende Produktion liegt dann vor, wenn die Richtungen um die
knappen Produktionsfaktoren miteinander konkurrieren;
- Kuppelproduktion liegt vor, wenn bei der Erzeugung eines Produktes auch
andere anfallen; ein Koppelprodukt der Milch sind z.B. Kälber und Rindfleisch.
~
Seit T h . B r in k m a n n (1922, S. 65) weiß man um die „integrierenden “ und „differenzierenden“
Kräfte, die je nach ihrer Dominanz den Betrieb zu einer vielsei
tigen oder einseitigen Organisation tendieren lassen. Für die klassische euro
päische Agrarwirtschaftslehre galt die Idealvorstellung eines möglichst “ausgeglichenen”
Betriebes. Als wichtigste integrierende Kräfte, welche auf vielseitige
Wirtschaftsweise drängen, werden angeführt:

Individuelle und soziale Einflußfaktoren 65
- Fruchtfolge von Feldpflanzen mit sich ergänzenden Ansprüchen an den Boden,
- Arbeitsausgleich zwecks möglichst gleichmäßiger Auslastung der Arbeitskräfte
über das Jahr,
- Futterausgleich zwecks ganzjähriger Futterversorgung des Viehs,
- RisikgiausgMctu
- Selbstversorgung in Ländern mit geringer volkswirtschaftlicher Differenzierung.
Die wichtigsten differenzierenden Kräfte, welche auf eine einseitige Wirtschaftsweise
der Einzelbetriebe drängen, sind:
- das natürliche Produktionspotential des Betriebs,
- der Zwang zur Produktivitätssteigerung.
Der Zwang zur Spezialisierung in der pflanzlichen und tierischen Produktion
ergibt sich aus den hohen Kosten der Großmaschinen und Stallanlagen, die jeweils
nur in einem speziellen Betriebszweig eingesetzt werden können. Will man
eine Spezialmaschine, z.B. eine Rüben-Vollerntemaschine, rentabel auslasten,
dann benötigt man große Flächen dieser Frucht. Reicht die eigene Fläche nicht
aus, dann kann über Maschinengemeinschaften oder Lohnarbeit der Auslastungsgrad
der Maschine verbessert werden. Die Spezialisierung führt auch bei vielen
Betriebszweigen zu einer Zerlegung der Produktion in einzelne Stufen und deren
Auslagerung nach dem Vorbild der industriellen Produktion. In zunehmendem
Maße kommt es^auch zu einer Trennung von pflanzlicher und tierischer Produktion,
die im bäuerlichen Betrieb Mttelemtopas-.übenjalutausend integriert waren.
EinerseÍís..entstehen.-viehlose Mar.ktfipuchtbetríebei’-andererseits hodenunabhängige
Viehhaltungsbetriebe. In der DDR wurde in den siebziger Jahren die
Trennung von Pflanzen- und Tierproduktion zum Dogma erhoben. Ein Teilaspekt
der Spezialisierung ist die Übertragung betrieblicher Funktionen an Dienstleistungsunternehmen
wie z.B. Mähdrusch oder die Schädlingsbekämpfung, z.B.
mit dem Flugzeug.
Im Wechselspiel der integrierenden und differenzierenden Kräfte sind die Betriebe
in den Industrieländern heute eindeutig mehr den differenzierenden Kräf-
Tehausgesetzt. Anstelle des von der klassischen Agrarwirtschaftslehre geforderten
„betrieblichen Ausgleichs“ tritt die . teilweise extreme Spezialisierung welche
durch die Kostenvorteile der Massenproduktion erzwungen wird.
fe
X
2.3 Individuelle und soziale Einflußfaktoren
Die landwirtschaftliche Produktion stellt keine mechanische Kombination der
Produktionsfaktoren dar, sie geht vielmehr auf bewußtes - und teilweise unbewußtes
- menschliches Handeln, d.h. auf Entscheidungen einer Millionenzahl
von Entscheidungsträgern, zurück. Deren Handeln ist sowohl in ihre jeweilige
persönliche Situation, als auch in ihre soziale Umgebung eingebunden. Es umschließt
sowohl sinnvoll-zielorientiertes, bewußt auf einen Zweck ausgerichtetes
„Handeln“ als auch die teilweise unbewußten Reaktionen, die man als „Verhalten“
bezeichnen kann.

66 Allgemeine Einñuüfaktoren des Agrarraumes
L e id er s in d d ie in d iv id u e lle n u n d so z ia le n D e te rm in a n te n m e n sc h lic h e n Hand
e ln s u n d V e rh a lte n s s e h r v iel sc h w ie rig e r z u fassen , als d ie ö k o n o m isc h e n und
ö k o lo g isc h e n . O ffe n s ic h tlic h ist es b is h e r n ic h t g e lu n g e n , d ie A bhängigkeit
m e n s c h lic h e n H a n d e ln s v o n d e n in d iv id u e lle n u n d so z ia le n B ezü g en in eine
a llg e m e in a n e rk a n n te T h e o rie z u fa sse n (P. v. B lanckenburg 1957, S. 320; E. Wirth
1979, S. 257; H. G. WAGNER 1981, S. 89 ff). D ie S c h w ie rig k e ite n b e i d e r Erfassung
u n d M e ssu n g v o n F a k to re n , d ie au s d e m p sy c h isc h e n u n d so z ia le n B ereich rühre
n , lie g e n a u f d e r H a n d . Ü b e rs c h n e id u n g e n m it ö k o n o m is c h e n D eterm in an ten
sin d u n v e rm e id lic h . S c h lie ß lic h la s s e n sic h d e ra rtig e E in flü sse a u c h n ich t zu
ü b e rs ic h tlic h e n R a u m m o d e lle n a b s tra h ie re n , w ie z.B. d as a u s w irtschaftlichen
G e g e b e n h e ite n a b g e le ite te THÜNENsche M odell.
M it d ie s e n E in s c h rä n k u n g e n e rs c h e in t es g e re c h tfe rtig t, d ie K lassifizieru n g der
B e s tim m u n g s g rü n d e so z ia le n H a n d e ln s v o n U. Planck u . J. Ziche (1979, S. 88) zu
ü b e rn e h m e n , d ie o ffe n sic h tlic h a u f T. Parsons® z u rü c k g e h t. D e m n a c h h än g t die
A rt u n d W eise, w ie e in M e n sch h a n d e lt v o n fo lg e n d e n F a k to re n k o m p le x e n ab:
- je w e ilig e S itu a tio n (selek tiv w a h rg e n o m m e n e u n d b e w e rte te W irklichkeit wie
z.B. n a tü rlic h e S ta n d o rtfa k to re n , B e trie b sg rö ß e , A b sa tzm ö g lich k eiten ),
- p e rs o n a le s S y stem (p e rsö n lic h e P rä fe re n z s tru k tu re n , B e d ü rfn isse , W ünsche,
Z ie lse tz u n g e n ), ■ ' ’
- SQziales-^stemXVerhaltensmuster, Rollenerwartungen, Normen, Wertsystem

Individuelle und soziale Einflußfaktoren 67
2.3.1 Die Persönlichkeit des Betriebsleiters
In den klassischen W irtsc h a ftsw isse n sc h a fte n w u rd e in d e r R egel d ie G e w in n m a ­
x im ierung als o b e rstes W irtsc h a ftsz iel u n te rs te llt. Als Id e a lty p u s ist au s d ie se r
Sicht d e r „hom o o e c o n o m ic u s“ k e in e sw e g s ü b e rh o lt (H. G. Wagner 1981, S. 99).
D em gegenüber w u rd e v o n a g ra rö k o n o m is c h e r S eite sc h o n f r ü h d a s ö k o n o m isc h
optim ale V e rh a lte n d e r b ä u e rlic h e n B e v ö lk e ru n g b e z w e ife lt u n d d ie B e d e u tu n g
der E in zelp erso n h e ra u sg e ste llt. „ Z u n ä c h st k o m m t in B e tra c h t, d a ß sc h o n d as
Streben n ach h ö c h ste m G e w in n g a n z o ffe n k u n d ig n ic h t b e i a lle n L a n d w irte n m it
gleicher Schärfe sich a u sp rä g t. D er G eist des U n te rn e h m e rtu m s , d es K ap ita lism
us, das a u sg e sp ro c h e n e R e ic h tu m s s tre b e n , o d e r w ie m a n so n st d ie m o d e rn e
A uffassung v o m W esen d e r W irtsc h a ft b e z e ic h n e t, f in d e t in d e r L a n d w irtsc h a ft
treib en d en B ev ö lk e ru n g a n sic h e in e n w e n ig e r e m p fä n g lic h e n B o d e n als in a n d e ­
ren G ebieten des E rw e rb s le b e n s “ (Th. Brinkmann 1922, S. 61).
In d en fü n fz ig e r J a h re n e n tw ic k e lte d ie V e rh a lte n s fo rs c h u n g d e r a n g e lsä c h sischen
S o z ia lw isse n sc h a fte n n e u e T h e o rie n z u m ö k o n o m is c h e n V e rh a lte n des
M enschen. H. A. Simon (1959) ste llte d e m a u f G e w in n m a x im ie ru n g a b z ie le n d e n
fiktiven „h o m o o e c o n o m ic u s “ („ o p tim iz in g b e h a v io r “) e in e n re a litä ts n ä h e r e n
M enschen m it su b o p tim a le m V e rh a lte n („satisfy in g b e h a v io r“) g e g e n ü b e r. D ieses
resultiert au s u n v o llstä n d ig e n In fo rm a tio n e n , in d iv id u e ll u n te rs c h ie d lic h e r R isikobereitschaft
u n d s u b je k tiv e n E in s c h ä tz u n g e n d e r w irts c h a ftlic h e n M ö g lich k eiten.
Das „satisficer“-K onzept b e rü c k s ic h tig t d e n W u n sc h d es B a u e rn n a c h „b e frie ­
digendem “ E in k o m m e n , F re iz e it u n d a n d e re n so z ia le n E rw ä g u n g e n .
In d e r Folge b ild e te das E n tsc h e id u n g s v e rh a lte n d e r L a n d w irte e in z e n tra le s
U n tersu ch u n g so b jek t d e r a n g e ls ä c h s is c h e n u n d s k a n d in a v is c h e n A g ra rg e o g ra ­
phie, sow eit sie d e r R ic h tu n g d e r „ b e h a v io ra l g e o g ra p h y “ v e rh a fte t ist. J. Wolpert
(1964) fü h rte das SiMONsche M odell in d ie A g ra rg e o g ra p h ie e in . E r fa n d b e i s e in e n
U n tersu ch u n g en ü b e r d as E n ts c h e id u n g s v e rh a lte n s c h w e d isc h e r L a n d w irte , d a ß
d u rch sch n ittlich n u r zw ei D ritte l des p o te n tie lle n E in k o m m e n s e rw irts c h a fte t
w urden.
Im d e u tsc h e n S p ra c h ra u m b lie b d ie F o rs c h u n g ü b e r d a s U n te rn e h m e rv e r­
halten d e r L an d w irte w e itg e h e n d d e r A g rarso zio lo g ie u n d -Ö konom ie ü b e rla sse n .
U. Peters (1968, S. 438 -4 3 9 ) u n te rs c h e id e t b e im V e rh a lte n d e r L a n d w irte zw i­
schen v o rw ie g e n d ö k o n o m is c h e n u n d v o rw ie g e n d a u ß e rö k o n o m is c h e n Z ielvariablen:
ö k o n o m isch e Z ie lse tz u n g e n
- G ew inn, R e n tab ilität
- L iquidität (stän d ig e Z a h lu n g sfä h ig k e it)
- E rh altu n g d e r B e trie b ssu b sta n z fü r w e ite re G e n e ra tio n e n
- B e trie b sv erg rö ß eru n g
- flexible B e trie b so rg a n isa tio n z u r E rh ö h u n g d e r S ic h e rh e it (R isik o m in d e ru n g )
A ußerökonom ische Z ie lse tz u n g e n
- Streben n ach P restig e u n d M ach t
- Streben n a c h E rh a ltu n g o d e r S te ig e ru n g des so z ia le n R angs

68 Allgemeine Einflußfaktoren des Agrarraumes
S tre b e n n a c h so z ia le r E in o rd n u n g (A n p a ssu n g a n G ru p p e n n o rm e n )
S tre b e n n a c h U n a b h ä n g ig k e it
B e stä tig u n g d e r e ig e n e n P e rsö n lic h k e it
S tre b e n n a c h a u s re ic h e n d e r F re iz e it
D ie B e trie b sle ite r e rs c h e in e n h ie r als “e in z e ln e m e n s c h lic h e W esen m it u nters
c h ie d lic h e r P rä fe re n z s tru k tu r” (U. Peters 1968, S. 436). D ie B e d e u tu n g auch von
a u ß e rö k o n o m is c h e n F a k to re n im E n ts c h e id u n g s v e r h a lte n d e r L an d w irte ist
d u rc h zah lreicl^= em p irisch e U n te rs u c h u n g e n b e w ie se n . D as S tre b e n n a c h Unabh
ä n g ig k e it h ä lt m a n c h e n K le in b a u e r n a u f s e in e m H o f T ^ w ö h T er in anderen
B e ru fe n m it n ie d rig e re m A rb e itsa u fw a n d e in h ö h e re s E in k o m m e n erzielen könnte
^ D ie "A rorchaffüng e in e s T ra k to rs f ü r d e n k le in b ä u e rlic h e n B etrieb m u ß nicht
v o m Z w a n g d e r R e n ta b ilitä ts e rh ö h u n g d ik tie rt sein , sie b e frie d ig t oft e in Bedürfn
is n a c h S e lb s ta c h tu n g u n d P re stig e (P. v. B lanckenburg 1957, S. 312). Der
W u n sc h n a c h fre ie n W o c h e n e n d e n u n d U rla u b ist oft d as H a u p tm o tiv fü r die
A b sc h a ffu n g d e r M ilc h k ü h e . F ü r d ie H irte n b e v ö lk e ru n g O sta frik a s b ild et der
V ie h b e sta n d n ic h t n u r d ie ö k o n o m isc h e E x iste n z b a sis, e r g ilt a u c h als Statussym ­
bol; d ie G rö ß e d e r H e rd e ist n ic h t n u r R isik o v e rsic h e ru n g , s o n d e rn entscheidet
a u c h ü b e r d e n so z ia le n R an g d e r B e sitz e r (H. Hecklau 1978, S. 16).
D as V e rh ä ltn is v o n ö k o n o m is c h e n z u a u ß e rö k o n o m is c h e n F a k to re n b eim Verh
a lte n v o n L a n d w irte n ist o ffe n sic h tlic h a b h ä n g ig v o n E in flu ß g rö ß e n w ie Alter,
B e trie b sg rö ß e , V e rm a rk tu n g s q u o te d e r P ro d u k tio n , B ild u n g ssta n d u n d Verfügb
a rk e it v o n In fo rm a tio n e n . So h a t - n a c h a n g e lsä c h sisc h e n U n te rsu c h u n g e n - das
S tre b e n n a c h F re iz e it b e i jü n g e r e n F a rm e rn e in e n h ö h e r e n S te lle n w e rt als bei
ä lte re n (B. W. ILBERY 1978, S. 453). D er k le in b ä u e rlic h e B e trie b m u ß in d e r Regel
s tä rk e r u m R isik o a u sg le ic h b e m ü h t se in , d .h . e r w ird v ie lfä ltig e r w irtsch aften , als
d e r k a p ita lk rä ftig e G ro ß b e trie b , d e r g rö ß e re E rtra g sa u sfä lle v e rk ra fte n k an n . Der
Bildungsstand, d.h . d ie th e o re tis c h e n u n d p ra k tis c h e n K e n n tn isse u n d Fertigkeite
n d es B e trie b sle ite rs, b e e in flu ß t s ta rk se in E n ts c h e id u n g s v e rh a lte n . Je m ehr
L a n d w irte n a c h d e r o b lig a te n G ru n d - u n d H a u p tsc h u le a u c h F re m d le h re und
F a c h sc h u le n a b so lv ie rt h a b e n , d e sto r a tio n a le r u n d in n o v a tio n s b e re ite r w ird ihr
V e rh a lte n (P. v. B lanckenburg 1957, S. 330). In d e n E rh e b u n g e n z u m A grarbericht
d e r d e u ts c h e n B u n d e s re g ie ru n g w ird d as E in k o m m e n in R e latio n z u r Ausbild
u n g d es B e trie b sle ite rs e rfra g t. D ab ei e rg a b sich , d a ß 1980/81 m itte lg ro ß e Volle
rw e rb s b e trie b e n u r 88 %d es D u rc h s c h n itts e in k o m m e n s ih r e r G ru p p e erreichten,
w e n n d e r B e trie b sle ite r k e in e la n d w irts c h a ftlic h e A u sb ild u n g b esaß ; dem gegenü
b e r e rz ie lte n B e trie b sle ite r m it M e is te rp rü fu n g , F ach sch u l- o d e r H ochschulbild
u n g e in e n W e rt v o n 112% (A g ra rb e ric h t 1982, MB, T ab elle 40). E ine G rundv
o ra u s s e tz u n g f ü r d ie S te ig e ru n g d e r A g ra rp ro d u k tio n in d e r D ritte n W elt ist eine
b e sse re Q u a lifiz ie ru n g d e r L a n d w irte , a n g e fa n g e n v o n d e r A lp h a b e tisie ru n g bis
z u r V e rb re itu n g n e u e r a g ra rte c h n is c h e r K e n n tn isse . Je s tä rk e r m a rk to rie n tie rt ein
B e trieb ist, d e sto m e h r ist d e r B e trie b sle ite r a u f d ie H ilfe d e r je w e ilig e n Informations-
und Kommunikationssysteme a n g e w ie se n , u m flex ib el a u f d ie v o r allem
in d e n I n d u s tr ie lä n d e r n im m e r s c h n e lle r a u fe in a n d e r fo lg e n d e n Innovationen
re a g ie re n z u k ö n n e n . Morgan u n d Munton (1971, S. 34) u n te rs c h e id e n „externe
In fo r m a tio n e n “, d ie v o n a u ß e n a n d ie la n d w irts c h a ftlic h e n G ru p p e n herangetra­

Individuelle und soziale Einflußfaktoren 69
gen w erd en (F a c h z e itu n g e n , L a n d fu n k , B e ra te rd ie n s te v o n S taat u n d In d u strie ),
von „ in te rn e n In fo rm a tio n e n “, d ie d u rc h p e rsö n lic h e K o n ta k te u n te r d e n L an d ­
w irten a u sg e ta u sc h t w e rd e n . In d e r geo g ra p h is c h e n In n o v a tions- u n d D iffu sio n s-
forschung sp ielt d ie in d iv id u e ll s e h r u n te rs c h ie d lic h e T e iln a h m e d e r E n t^ K e i-
dungsträg er a n d e n je w e ilig e n In fo rm a tio n s s y s te m e n e in e w ic h tig e R olle (s. u.a.
T. HÄGERSTRAND 1953; D. W. Harvey 1966; A. F red 1967; D. Bronger 1975). A rt u n d
Intensität d e r In fo rm a tio n s- u n d K o m m u n ik a tio n ssy ste m e h ä n g e n ab v o m S ta n d
der te ch n isch en E n tw ic k lu n g u n d v o n d e r In te n s itä t d e r m e n s c h lic h e n K o n tak te.
In trad itio n e lle n G e se llsc h a fte n s p ie lt d e r p e rsö n lic h e K o n tak t, z.B. m it d e m sta a t­
lichen B erater o d e r m it H ä n d le rn a u f d e m W o c h e n m a rk t d ie H a u p tro lle . A b er
auch in d e n In d u s trie lä n d e rn m it ih r e n h o c h e n tw ic k e lte n M a sse n m e d ie n s in d
die p e rsö n lic h e n K o n ta k te f ü r d ie A n n a h m e v o n I n n o v a tio n e n e n ts c h e id e n d .
A m erikanische S tu d ie n h a b e n gezeigt, d a ß M ass e n m e d ie n zw a r I n fo rm a tio n e n
schnell lind iih iq n itä r v e rb re ite n , u~6 e r ih re A d o p tio n ^ n îs c h e ïH e t a b e r d e r p e rsö n -
Ijche K ontakt (J. D. Н ш 8НАЕі^ 1967. S.447). Das lieg t n a c h lLBERY (1978, S.455) v o r
allem d aran , d aß im m e r n u r w e n ig e L a n d w irte a k tiv n a c h n e u e n In fo rm a tio n e n
über P ro b le m lö su n g e n su c h e n , w ä h r e n d d ie M e h rz a h l sic h k o n s e rv a tiv v e rh ä lt
und neue M e th o d e n e rs t ü b e r n im m t, w e n n K ollegen, d ie ih n e n p e rs ö n lic h b e ­
kannt sind, sie e rfo lg re ic h a u s p ro b ie rt h a b e n .
ß
2.3.2 Soziale Gruppen
Die L andw irtschaft ist v iel s tä rk e r in so ziale B ezüge e in g e b u n d e n , als d ie ü b rig e n
w irtschaftlichen A k tiv itä te n . D ies e rg ib t sic h e in m a l a u s d e r s ta rk e n fa m iliä re n
B indung d e r la n d w irts c h a ftlic h e n P ro d u k tio n im F a m ilie n b e trie b , z u m a n d e re n
aus d eren flä c h e n h a fte r N a tu r m it d is p e rs e r S ta n d o rtv e rte ilu n g im R au m . Die
Betriebe lieg en v o rw ie g e n d in re la tiv k le in e n lä n d lic h e n S ie d lu n g e n m it s ta rk e n
sozialen In te ra k tio n e n . D ie v o n d e n G ru p p e n p o s tu lie rte n N o rm e n s in d h ie r n o c h
von w esentlich g rö ß e re r V e rb in d lic h k e it als in d e r S tad t.
In diesem Z u s a m m e n h a n g ste llt sic h d ie F rage, w e lc h e so z ia le n G ru p p e n das
V erhalten des e in z e ln e n L a n d w irts u n d d a m it d e n A g ra rra u m b e e in flu sse n . Die
M öglichkeiten d e r G ru p p e n b ild u n g , w e lc h e S oziologie u n d S o z ia lg e o g ra p h ie e n t­
wickelt h a b e n , sin d so v ielfältig , d a ß in d ie se m Z u s a m m e n h a n g n u r a u f sie v e r­
wiesen w e rd e n k a n n (P. v. B lanckenburg 1962; G. C. Homans 1968;}. Maier et al.,
1977; U. Planck u. J. Ziche 1979; H. G. Wagner 1981). F ü r e in e ag frarg eo g rap h isch e
B etrachtung sin d v o r a lle m d ie fo lg e n d e n G ru p p e n re le v a n t:
- genealogische G ru p p e n ,
- Interaktions- u n d L e b e n s fo rm e n g ru p p e n ,
- ethnische G ru p p e n ,
- G ruppen u n te rs c h ie d lic h e r E rw e rb s s tru k tu r,
- G ruppen m it u n te rs c h ie d lic h e r V e rfü g u n g ü b e r d ie P ro d u k tio n s m itte l.
Dabei ist zu b e a c h te n , d a ß d ie G ru p p e n z u g e h ö rig k e it d es e in z e ln e n L a n d w irts
kom plexer N atu r ist, e r w ird in d e r R egel m e h r e r e n G ru p p e n a n g e h ö re n , d ie sein
V erhalten b e e in flu ssen .

70 Allgemeine Einflußfaktoren des Agrarraumes
г;:.
Genealogische Gruppen
In A g ra rsy ste m e n m it v o rh e rrs c h e n d e m F a m ilie n b e trie b ist d ie Familie die mit
A b sta n d w ic h tig ste S o z ia lg ru p p e . In M itte le u ro p a b ild e te d ie b ä u e rlic h e 2-3-Gen
e ra tio n fa m ilie b is in d ie jü n g s te Z eit e in e P ro d u k tio n s- u n d B esitzgem einschaft.
„F am ilie u n d B e trie b b ild e n w e itg e h e n d e in e E in h e it“ (P. v. Blanckenburg, 1962,
S. 93). D er B e trie b m u ß in s e in e r O rg a n isa tio n d e r je w e ilig e n F am ilienstruktur
a n g e p a ß t w e rd e n . In d a s E n ts c h e id u n g s v e rh a lte n des B e trie b sle ite rs g eh en daher
se h r v iel s tä rk e r fa m iliä re E rw ä g u n g e n (F a m ilie n g rö ß e , A rb e itsfä h ig k e it, Gesundh
e its z u s ta n d ) e in als b e im L e ite r e in e s G e w e rb e b e trie b s. Je n a c h d e m , ob die
F a m ilie n s tru k tu r m e h r p a tria rc h a lis c h o d e r m e h r p a rtn e rs c h a ftlic h o rien tiert ist.
n e h m e n a u c h a n d e re F a m ilie n m itg lie d e r a m E n ts c h e id u n g s p ro z e ß teil. Freilich
lä ß t sich a u c h in M itte le u ro p a e in P ro z e ß d e r D e sin te g ra tio n v o n Fam ilie und
B etrieb b e o b a c h te n , d e n d ie a m e rik a n is c h e F a rm e rfa m ilie v o rw e g g e n o m m e n hat
(U. Planck u . J. Ziche 1979, S. 244 - 245).
In d e n E n tw ic k lu n g s lä n d e rn A frik as u n d A sien s w ird d ie L an d w irtsc h a ft nach
w ie v o r v o n Großfamilien g e tra g e n , in d e n e n v e rtik a l m e h re re G e n e ra tio n e n und
h o riz o n ta l m e h re re F a m ilie n z u s a m m e n g e sc h lo sse n sin d . Bei n ie d rig e m ökonom
isc h e n E n tw ic k lu n g s s ta n d k o m m t d e r G ro ß fa m ilie d ie w ic h tig e F u n k tio n der
so zialen A b sic h e ru n g ih r e r M itg lie d e r zu . A n d e re rse its re z ip ie rt sie au fg ru n d ihre
r sc h w e rfä llig e n E n ts c h e id u n g s s tru k tu r u n d ih r e r E in k o m m e n su m v e rte ilu n g
n u r z ö g e rn d m o d e rn e P ro d u k tio n s m e th o d e n .
Übersicht 2.7:
Die soziale Organisation der Ait Ourriaghel in Nordmarokko
(Quelle: B. Grohmann-Kerouach 1971, S. 41)
Gruppen bezeichnung Wirtschaftsraum Funktion
Haushalt
Großfamilie
Verwandtschaftslinie
Unterklan
Einzelgehöft,
Weiler
Bauernschaft, kleine
Taleinheit
Gemeinde, große
Taleinheit
Kocheinheit
gemeinsame Feldbestellung
und Eigentumsverwaltung
präferentielle Heiratsgruppe
Gemeinsam: Weideland
Olivenpresse, Getreidemühle,
Moschee
Klan Fraktionsgebiet zentraler Wochenmarkt
Stamm Stammesgebiet früher: Kriegführung
In trib a lis tis c h e n G e se llsc h a fte n ist d ie G ro ß fa m ilie e in g e b e tte t in im m e r weitere
g e n e a lo g isc h e V e rb ä n d e (S ippe, C lan , F ra k tio n , S ta m m e sk o n fö d e ra tio n ), deren
Z u s a m m e n h a lt a u f d e r A b s ta m m u n g v o n e in e m g e m e in s a m e n - e c h ten oder
fik tiv e n - A h n h e rrn b e r u h t. D en e in z e ln e n V e rb ä n d e n k o m m e n spezifische wirtsch
a ftlic h e u n d so ziale F u n k tio n e n z u , w ie a m B eisp iel d e r Ш ікаЬ уІеп Marokkos
a u fg e z e ig t w e rd e n so ll (s. Ü b e rsic h t 2.7).
T rib a listisc h e G e se llsc h a ftso rg a n isatio n e n sin d im is la m isc h e n K ulturkreis von
M aro k k o b is A fg h a n ista n in u n te rs c h ie d lic h e r S tä rk e le b e n d ig geblieben; große
B e d e u tu n g h a b e n sie v o r a lle m n o c h im tro p is c h e n A frika, w o v ie lfa c h die genea-

Individuelle und soziale Einflußfaktoren 71
logische G ru p p e u n d n ic h t d a s In d iv id u u m T rä g e r d e r N u tz re c h te a m B o d en ist.
In E uropa h a t sich das sc h o ttisc h e C lan -S y stem als m a ß g e b lic h e G lie d e ru n g b is
zur M itte des 18. J a h rh u n d e rts g e h a lte n . S ein e A u flö su n g d u rc h d ie b ritis c h e
R egierung b e w irk te e in e n fo lg e n sc h w e re n W a n d e l d e r sc h o ttis c h e n A grar- u n d
S ozialstruktur.
Interaktions- und Lebensformengruppen
Ю eingruppen m it le b h a fte n In te ra k tio n e n zw isc h e n d e n G r u p p e n m itg lie d e rn b e ­
einflussen sta rk das H a n d e ln d e r la n d w irts c h a ftlic h e n E n ts c h e id u n g s trä g e r. E n t­
sp rech en d e S ie d lu n g sw e ise v o ra u s g e s e tz t, k o m m t v o r a lle m d e r D o rfg e m e in ­
schaft g roße B e d e u tu n g zu . D e r S te u e ru n g s m e c h a n is m u s k a n n h ie r m it d e n
Begriffen „soziale W erte u n d N o rm e n “, „soziale R olle“, „so z ia le r S ta tu s “, „soziale
K ontrolle“ n u r a n g e d e u te t w e rd e n . „Das d ö rflic h e In te ra g ie re n w ird v o n v ie lfä ltigen
w ech selseitig en Vor- u n d R ü c k sic h te n , v o n d iffu s e n Ä n g ste n u n d e in d e u tig e n
A bhängigkeiten, v o n u n b e w u ß te n S c h u ld g e fü h le n u n d b e w u ß te n S c h u ld ig k e ite n
m itgeprägt u n d e in g e z w ä n g t“ (U. Planck u n d J. Ziche 1979, S. 89). D ie D orfgem
einschaft ist a u c h in In d u s trie s ta a te n n o c h v o n e rh e b lic h e m E in flu ß a u f d ie A rt
der L a n d b e w irtsc h a ftu n g d u rc h ih re M itg lied er.
Abb. 2.11:
Sozialkartierung des Ortsteils Römershofen der Stadt Königsberg in Franken
ß

72 Allgemeine EinfìuEfaktoren des Agrarraumes
Es lie g e n e in e F ü lle v o n D o rfu n te rs u c h u n g e n vor. So k o n n te z u m Beispiel bei
e in e m s tu d e n tis c h e n G e lä n d e p ra k tik u m in F ra n k e n (G e m e in d e K önigsberg, Haßb
e rg k re is) im S o m m e r 1982 v o m V e rfa sse r b e o b a c h te t w e rd e n , d a ß sich benachb
a rte D ö rfe r v ö llig u n te rs c h ie d lic h v e rh a lte n : D o rf R ö m e rsh o fe n (s. Abbildung
2.11) v e rz e ic h n e t d e n ü b lic h e n s ta rk e n R ü c k g a n g d e r B e trieb e, d ie verbleibenden
B e trieb e w irts c h a fte n te ils m a rk to r ie n tie r t b e i h o c h g ra d ig e r S p ezialisieru n g , teils
m it h o h e m S e lb stv e rso rg u n g sg ra d . In d e m 10 k m e n tf e r n te n O rtste il Dörflis hat
sic h d a g e g e n d ie Z ah l d e r 17 B e trie b e seit 1950 ü b e r h a u p t n ic h t v e rä n d e rt, sie
w e rd e n a b e r a u s n a h m s lo s im N e b e n e rw e rb b e w irtsc h a fte t.
Alle d ie se D o rfu n te rs u c h u n g e n w e ise n n a c h , d a ß b e i g le ic h e n ä u ß e re n Beding
u n g e n v o n D o rf z u D o rf e rh e b lic h e U n te rsc h ie d e b e i B o d e n n u tz u n g , Betriebsorg
a n is a tio n u n d B e trie b s le itu n g a u ftre te n (P. v. Blanckenburg 1957, S. 315).
E in S p e zialfall d e r I n te ra k tio n s g ru p p e n s in d d ie v o n H. Вовек in die Sozialg
e o g ra p h ie e in g e b ra c h te n Lebensformengruppen, w e lc h e „ M e n sc h e n gleicher Leb
e n s f ü h r u n g in ih r e r g e sa m te n D a se in sg e sta ltu n g “ u m fa sse n . Sie s in d vornehm ­
lic h in E n tw ic k lu n g s lä n d e rn m it s ta rk p lu ra lis tis c h e r G esellschaftsorganisation
a n z u tre ffe n . Im g le ic h e n R a u m le b e n m e h r e r e G ru p p e n , k le in rä u m ig gemischt,
m it u n te rs c h ie d lic h e n L e b e n sfo rm e n u n d B e trie b sty p e n , n e b e n e in a n d e r. In einer
b e k a n n te n U n te rs u c h u n g im B ecken v o n K a sc h m ir h a t H. Uhlig (1962) das teils
u n v e rb u n d e n e , te ils sy m b io tisc h e N e b e n e in a n d e r v o n R e isb a u e rn in Subsistenzw
irtsc h a ft, m a r k to r ie n tie r te n G a rte n b a u e rn („ S e e b a u e rn “) u n d B eru fsh irte n besc
h rie b e n . In d e n In d u s trie g e s e lls c h a fte n tr e te n L e b e n s fo rm e n g ru p p e n allenfalls
n o c h als u n b e d e u te n d e R e lik tg ru p p e n au f, w ie z.B. d ie v o n Th. Hornberger
(1959) u n te r s u c h te n W a n d e rsc h ä fe r.
(h
Ethnische Gruppen
L e b e n s fo rm e n g ru p p e n k ö n n e n id e n tis c h m it e th n is c h e n G ru p p e n sein. In m ultin
a tio n a le n S ta a te n k a n n d ie rä u m lic h e D iffe re n z ie ru n g d e r L a n d w irtsc h a ft in der
e th n is c h e n H e te ro g e n itä t d e r A g ra rb e v ö lk e ru n g b e g r ü n d e t sein , w ie z.B. in Teilen
S ü d o sta sie n s. In M alay sia s in d b e i d e r v o rm a la y is c h e n U rb e v ö lk e ru n g n o ch Reslg
ru p p e n m it a n e ig n e n d e r W irtsc h a ft (Jagen u n d S a m m e ln ) a n z u tre ffe n ; die chin
e s is c h e n L anciw irte b e tre ib e n M a rk tg a rte n b a u m it S c h w e in e h a ltu n g , die Inder
sin d m e is t P la n ta g e n a rb e ite r, d ie R e is b a u e rn s te lle n so g u t w ie au ssch ließ lich die
M alay en (H. Uhlig 1963). In ä h n lic h e r W eise k o n tra s tie re n d ie A g rarsy stem e von
U rb e w o h n e rn u n d in d is c h e n E in w a n d e re rn a u f d e n F id sc h iin se ln , v o n Negern
u n d In d e r n in G u a y a n a (W. B. Morgan 1977, S. 36).
Im N e u sie d lu n g sg e b ie t N o rd in d ie n s, d as n a c h 1948 im H im alaya-V orland er
sc h lo sse n w u rd e , b e tre ib e n in u n m itte lb a r e r N a c h b a rsc h a ft b ä u e rlic h e Flüchtlin
g e au s d e m P a n d sc h a b (P anjab) e in e n in te n s iv e n W eizen- u n d Z uckerrüben
a n b a u , w ä h r e n d d ie F lü c h tlin g e a u s B e n g a le n a m tra d itio n e lle n N aßreisbau
fe sth a lte n (H.-J. Nitz 1970). D ieses F e s th a lte n v o n e in g e w a n d e r te n e th n ischen
_ G ru p p en a n ih r e n v e r tr a u te iT ^ r â r s ÿ s tê m ë jâ J îs î a u s a lle n K o lo n isa ü o n sg e b ieten
d e r E rd e ~ h ek an n t. B e r ñ t s 'X 'Т іи н ь Т іЭ Й , S. 47 - 48) h a t d ie H a u p tp ro d u k tio n s­
ric h tu n g e n d e r a u s tra lis c h e n L a n d w irtsc h a ft - W eizen , R in d e r, S chafe - u.a. mit
d e r a n g e lsä c h sisc h e n H e rk u n ft d e r e rs te n E in w a n d e re r e rk lä rt, w ä h re n d in Arg
e n tin ie n b e i ä h n lic h e n N a tu rb e d in g u n g e n d e r M ais - d a n k d e n italienischen
__1...

Individuelle und soziale Einnußfaktoren 73
E in w an d erern - ein e v iel s tä rk e re R olle sp ielt. A u ch b e i d e r a g rarg feo g rap h isch en
Differe n z ie ru n g d e r USA*^ ist d ie H e rk u n ft d e r Einwanderers^j:DÄ)i&~uicht..Qhia.e.._.,
Belang: Iren, S k a n d ih a y ie r u n d S c h w e iz e r lie ß e n -s ie h b e v o rz u g t im s p ä te re n
^ ilc h w irtsc h a ftsg ü rte l n ie d e r, d e r W e in b a u K a lifo rn ie n s w u rd e m it^Ш ^fèГ vo'n''
Italienern u n d G rie c h e n a u fg e b a u t (B. H o fMj^ ster 1970, S. 161 u . 184).
Gruppen unterschiedlicher Erwerbsstruktur
Ein w ichtiges K rite riu m f ü r d îê 'A Q s s c h e id u n g a g ra rs o z ia le r G ru p p e n ist ih re
E rw erbsstruktur, d.h. d as A u sm a ß d e r V e rk n ü p fu n g v o n a g ra ris c h e n u n d n ic h t­
agrarischen A k tiv itäten . A uf d e r E rd e s in d sog. teilbäuerliche Gruppen w e it v e r­
breitet, die ih re la n d w irtsc h a ftlic h e T ä tig k e it m it a n d e re n E rw e rb s q u e lle n k o m - ^
binieren. Die Ackerbürger w a re n e in e w e itv e rb re ite te te ilb ä u e rlic h e S o z ia lg ru p p e ,
die in d en K le in stä d te n M itte le u ro p a s v o m H o c h m itte la lte r b is in s 20. J a h r h u n ­
dert ih ren L e b e n su n te rh a lt so w o h l a u s e in e m G ew erb e (H a n d w e rk , H a n d e l, G astw
irtschaft) w ie au s d e r L a n d w irtsc h a ft zogen. In p e r ip h e r e n R ä u m e n d e r B u n d e s­
republik D eu tsch lan d v e rfie l d ie A c k e rb ü rg e rv e rfa ssu n g te ilw e ise e rs t n a c h 1950
(A Arnold 1968). Im lä n d lic h e n R a u m s te llte n d ie D o rfh a n d w e rk e r ä h n lic h e
„D oppelexistenzen“ d ar. D a n e b e n h a tte n sic h b e re its v o r d e r I n d u s tria lis ie ru n g
regelrechte G e w e rb e d ö rfe r e n tw ic k e lt, in d e n e n das G ros d e r B e v ö lk e ru n g e in e
kleine L an d w irtsch aft m it e in e m a u f F e rn a b sa tz a u s g e ric h te te n G e w e rb e (K orbflechten,
T öpferei, H o lz v e ra rb e itu n g , H a u sw e b e re i) v e rb a n d (A. Arnold 1967). M it
der In d u stria lisie ru n g w e c h se lte n d ie se G ru p p e n p ro b le m lo s in d ie G m p p e de^
A rb eiterb au ern ü b e r, d ie b e s o n d e rs ip i s ü d w e s td e u ts c h e n ^ e a lte ilu n g s ^ e b ie t) '
w eitverbreite t w ar. Sie w u rd e ja h r z e h n te la n g w e g e n ih r e r K ris e n sic h e rh e it - v e r­
glichen m it d e m s tä d tisc h e n P ro le ta rie r - als so z ia lp o litisc h e s L e itb ild a n g e se h e n .
Auch in d e n e n tw ic k e lte n In d u s trie g e s e lls c h a fte n s in d d ie te ilb ä u e r lic h e n
G ruppen kein esw eg s v e rs c h w u n d e n , w ie v ie lfa c h p ro g n o s tiz ie rt w u rd e . Z w a r zogen
sich die a lte n te ilb ä u e rlic h e n G ru p p e n w e itg e h e n d au s d e r L a n d w irtsc h a ft
zurück, die h isto risc h e n „ D o p p e le x iste n z e n “ e n tm is c h te n sich. D a fü r s in d a b e r
m ehr u n d m e h r d e r b is h e rig e n v o llb ä u e rlic h e n B e trieb e g e z w u n g e n , sic h e in
zusätzliches E in k o m m e n a u ß e rh a lb d e r L a n d w irtsc h a ft zu su c h e n . D er N e b e n ­
erw erb slan d w irt e rfü llt d ie F u n k tio n e in e s P u ffers, d e r d ie P ro b le m e des S tru k tu r­
w andels m ild e rt (G. Schreiner 1975, S. 469). D a L o h n u n te r n e h m e r in d e r F eld ­
w irtschaft fast je d e A rb eit ü b e r n e h m e n , w ird d e r Ü b e rg a n g z u r N e b e n e rw e rb s­
w irtschaft (p art-tim e-farm in g ) s e h r e rle ic h te rt. In d e n USA h a tte n 1969 b e re its
72 X der F a rm e r e in g e w e rb lic h e s Z u s a tz e in k o m m e n (H. Blume 1975, S. 224). V on
den 4,66 Mio. la n d w irts c h a ftlic h e n H a u s h a lte n Ja p a n s le b te n 1980 n u r n o c h 13 %
ausschließlich v o n d e r L a n d w irtsc h a ft; d ie ja p a n is c h e L a n d w irtsc h a ft h a t in n e r ­
halb w eniger Ja h rz e h n te e in e n a u s g e s p ro c h e n e n N e b e n e rw e rb s c h a ra k te r a n g e ­
nom m en (G. Zimmermann 1982, S. 80).
. Die Ag ra rsta tistik d e r B u n d e s re p u b lik D e u tsc h la n d u n te r s c h e id e t z w isc h e n
Vollerw erbs-. Z u erw erb s- u n d N e b e n e rw e rb s b e trie b e n . ■
f
'®Eine ausführliche Literaturzusammenstellung über die differenzierende Wirkung unterschiedlicher
Einwanderungsgruppen findet sich bei H. F. Gregor 1970 a, S. 72 - 76.

74 Allgemeine EinñuBfaktoren des Agrarraumes
A us T ab elle 2.6 w ird e rsic h tlic h , d a ß d ie B e d e u tu n g d e r N eben- u n d Zuerw erbsb
e trie b e v o r a lle m im so z ia le n B e re ic h lieg t, e n tfa lle n d o c h a u f b e id e Kategorien
z u s a m m e n ü b e r d ie H älfte a lle r B etrieb e. A us r e in w irts c h a ftlic h e r Sicht sind
fre ilic h d ie V o lle rw e rb sb e trie b e m it A b sta n d d ie w ic h tig ste G ru p p e , sie bew irts
c h a fte te n 1990 r u n d 78 %d e r LF, h ie lte n 82 %d e r M ilc h k ü h e u n d 82 % d e r Schwein
e u n d e rz ie lte n 82 % a lle r V e rk a u fse rlö se d e r g e s a m te n L a n d w irtsc h a ft (AGRI-
M ENTE 91, S. 30). D ie A n teile d e r e in z e ln e n E rw e rb s fo rm e n sc h w a n k e n innerhalb
des B u n d e sg e b ie te s re c h t e rh e b lic h . W ä h re n d in d e n a lte n A n e rb e n g e b ie te n auch
h e u te n o c h d ie V o lle rw e rb sb e trie b e z a h le n m ä ß ig k la r d o m in ie re n , sin d in den
frü h e r e n R e a lte ilu n g sg e b ie te n n ic h t se lte n G e m e in d e n a n z u tre ffe n , die keinen
e in z ig e n V o h e rw e rb sb e trie b m e h r a u fw e ise n . Im S a a rla n d w e rd e n z.B. 72 %aller
B e trieb e im N e b e n e rw e rb b e w irts c h a fte t (R. G uth 1982, S. 223).
Tab. 2.6:
Die Erwerbsstruktur der landwirtschaftlichen Betriebe in der alten Bundesrepublik Deutschland
1970,1981 und 1994
(Quelle: Agarbericht 1981,1982,1995)
Anteil des Betriebseinkommens
am Gesamteinkommen
r \
Vollerwerbslietrlebe
•c^uerwerbs-
.'betrlebg--'
>90 % >56 %
Nebenerwerbsbetriebe
Anzahl der Betriebe 1970 466,5 233,9 382,7
(1000) 1981 385,4 83,2 311,9
1994 268,5 43,1 239,3
Anteil (v. H.) 1970 43 22 35
1981 49 1 40
1994 49 8 43
Anteil an der LF 1970 74 14 12
(V. H.) 1981 77 10 13
1994 79 8 13
Durchschnittsgröße 1970 19,9 7,7 4,0
(ha LF) 1981 24,3 14,0 5,0
1994 34,5 21,8 6,6
E in e S o n d e rg ru p p e b ild e n d ie h e u te in a lle n In d u s tr ie lä n d e r n anzutreffenden
H o b b y la n d w irte , b e i d e n e n d e r E rw e rb s g e d a n k e g ä n z lic h h in te r M otive der
W ohn- u n d F re iz e itg e sta ltu n g z u rü c k tritt. F re i v o n ö k o n o m is c h e n Sachzw ängen
w id m e n sie sic h b e s tim m te n P ro d u k tio n s ric h tu n g e n w ie z.B. W ein- u n d Obstbau.
Schaf- o d e r P fe rd e z u c h t - je n a c h ih r e n p e rs ö n lic h e n P rä fe re n z e n .
Z u sa m m e n fa s s e n d la sse n sic h d re i M otive f ü r d ie V erb in d a^ länU w irtschaftlic
h e n u n d n ic h tla n d w irts c h a ftlic h e n A k tiv itä te n fe stste h e n :

Individuelle und soziale ЕіпПиМакІогеп 75
Verfügung über die Produktionsmittel
Zu d en w ic h tig ste n K rite rie n d e r a g ra rs o z ia le n G lie d e ru n g g e h ö rt d ie V e rfü ­
gungsgew alt ü b e r d ie P ro d u k tio n s m itte l, sp e ziell ü b e r d e n B o d en , b e s tim m t d o ch
in ein e r A g rarg esellsch aft d ie V e rfü g u n g ü b e r d e n B o d e n w e itg e h e n d d e n so zialen
Status ein es M e n sch en . F ü r d ie v ie lfä ltig e n F o rm e n d e r m e n s c h lic h e n Bezieh
u n g z u m B oden h a t sic h in d e n A g ra rw isse n sc h a fte n d e r w e itg e s p a n n te A usd
ruck “E ig en tu m s- u n d B e s itz v e rh ä ltn is s e ” (H. J. W enzel 1974, S. 24) e in g e ­
b ü rg e rt." U n te r „Eigentum“ ist n a c h rö m isc h -re c h tlic h e r A u ffa ssu n g d ie u n u m ­
schränkte V erfü g u n g sg ew alt ü b e r e in G ru n d s tü c k zu v e rs te h e n ; Grundbesitzer ist
dagegen, w e r d e n B o d en a u f e ig e n e R e c h n u n g b e w irts c h a fte t - w ie z.B. d e r P ä c h ­
ter. A ußerhalb des E in flu ß b e re ic h s d es R ö m isc h e n R ech ts g ib t es n o c h a n d e re
R egelungen fü r d ie m e n s c h lic h e n B e z ie h u n g e n z u m B oden. V iele a frik a n isc h e
Stäm m e k e n n e n z.B. k e in In d iv id u a le ig e n tu m a m B o d en, s o n d e rn n u r N u tz u n g s ­
rechte. ln d e r S o w je tu n io n w a r d e r g e sa m te B o d en S ta a tse ig e n tu m . Bei a lle r V ielfalt
läßt sich die A g rarb ev ö lk e ru n g a u fg ru n d d e r E ig e n tu m s- u n d B e sitz v e rh ä ltnisse
zu fo lg e n d e n G ru n d ty p e n z u s a m m e n fa s s e n (i. w . n a c h H. J. W enzel 1974):
- K le in e ig e n tu m sla n d w irte ,
- G ro ß e ig e n tu m sla n d w irte ,
- P ro d u k tio n sg e m e in sc h a fte n ,
- L an d w irtsch aftlich e N u tz u n g s e ig e n tü m e r,
- P ächter u n d T e ilp ä c h te r,
- L andarbeiter.
Die Kleineigentumslandwirte v e rw irk lic h e n d ie V o rste llu n g , „ d e r B o d e n solle
dem jenigen zu eig en g e h ö re n , d e r ih n e ig e n h ä n d ig b e b a u t“ (U. Planck u . J. Ziche
1979, S. 191). Bei d ie se r E ig e n tu m s fo rm ist d ie V e rfü g u n g ü b e r d as w ic h tig ste
lan d w irtsch aftlich e P ro d u k tio n s m itte l a u f viele F a m ilie n v e rte ilt. D ie F a m ilie n a n ­
gehörigen le iste n d e n ü b e rw ie g e n d e n T eil d e r A rb e ite n , w e n n a u c h fa m ilie n ­
frem de A rb eitsk räfte (G esin d e, L o h n a rb e ite r) n ic h t fe h le n . N ach d e r G rö ß e des
Eigenlandes la sse n sich zw ei U n te rg ru p p e n u n te rs c h e id e n : z u m e in e n d ie V ollerw
erb slan d w irte, d e re n e ig e n e B e trie b sflä c h e e in e a u s re ic h e n d e A c k e rn a h ru n g
für die g esam te F am ilie ab g ib t, z u m a n d e re n d ie K lein stelle n in h a b e r m it u n z u r e i­
chender B o d e n a u ssta ttu n g (M in ifu n d ie n ). Die G re n z e z w isc h e n d e n b e id e n U n­
te rg ru p p e n ist se Ib sîv è ï^ â n d lic irT ï!T “z e itlic h e n u n d r ä u m lic h e n W a n d e l s ta rk
fließend. Dm w irtsc h a ftlic h e u n d so ziale Lage d m se r K le in s te lle n in h a b e r i_st p re-
K ÿ. w e n n n u r u n z u re ic h e n d e z u sä tz lic h e E in k o m m e n s q u e lle n z u r V e rfü g u n g
stehen. Dies galt in D e u tsc h la n d M s in s 20. J a h r h u n d e r t fü r d ie m it z a h lre ic h e n
tö l^ ln a m e n ^ ^ (S eldner, T ro p fh ä u sle r, B rin k sitz e r, K o ssäten , K ä tn e r usw .) b e le g ­
ten te ilb ä u e rlic h en S o z ia lg ru p p e n (H. Grees 1976) e b e n so w ie f ü r d ie h e u tig e n
M in ifu n d ien in h a b e ^ f l g ro ß e n T e ile n d e r D ritte n W elt.
ß
" Daneben findet sich in den deutschen Agrarwissenschaften auch der Begriff „Grundbesitzverfassung“;
er bildet zusammen mit der „Arbeitsverfassung“ den wichtigsten Bestandteil
der ..Agrarverfassung“.
‘‘ Eine ausführliche Auflistung der historischen Regionalbegriffe für die Kleinstelleninhaber
findet sich bei H. J. Wenzel 1974, S. 41.

76 Allgemeine Einflußfaktoren des Agrarraumes
p
'
D er K le in e ig e n tu m s la n d w irt m it a n g e m e s s e n e r A c k e rn a h ru n g tr itt w eltw eit in
m e h r e r e n R e g io n a lty p e n auf. l n d e r L ite ra tu r w ird b e s o n d e rs d e r G egensatz zwisc
h e n d e m e u ro p ä is c h e n Hofbauern (tra d itio n s v e rh a fte t, se ß h aft-im m o b il, beso
rg t u m H o fe rh a ltu n g , n o c h te ilw e ise a u f E ig e n v e rso rg u n g o rie n tie rt) u n d dem
Farmer d e r a n g e lsä c h sisc h e n N e u s ie d lu n g s lä n d e r (tra d itio n slo s, g erin g e Bodenv
e r b u n d e n h e it, a u s s c h lie ß lic h m a r k to r ie n tie r t, u n te r n e h m e r is c h e s u n d geldo
rie n tie rte s D e n k e n ) h e ra u s g e a rb e ite t (E. Otremba 1976, S. 11; P. V. Blanckenburg
1962, S. 116; U. Planck u . J. Ziche 1979, S. 241 - 247). B eide T y p e n d ü rfte n sich in
ih r e n V e rh a lte n sw e ise n in z w isc h e n s ta rk g e n ä h e rt h a b e n . In d e r B undesrepublik
D e u tsc h la n d b ild e t d e r „ le istu n g sfä h ig e b ä u e rlic h e F a m ilie n b e trie b “ die hauptsäch
lic h e Z ie lg ru p p e d e r A g ra rp o litik , w e il e r e rfa h ru n g s g e m ä ß au ß ero rd en tlich
a n p a s s u n g s fä h ig ist.^^
Großeigentumslandwirte h a b e n B e trie b sflä c h e n v o n w e it ü b e rd u rc h sc h n ittlic
h e r A u s d e h n u n g z u e ig en . E in e e in h e itlic h e A b g re n z u n g z u m K leineigentum s­
la n d w ir t ist s e lb s tv e rs tä n d lic h n ic h t m ö g lic h . In D e u ts c h la n d w u rd e n früher
B e trieb e ü b e r 100 h a v o n d e r A g ra rsta tistik b e re its z u m G ro ß g ru n d e ig e n tu m gere
c h n e t; e in 1963 e rla sse n e s A g ra rsta tu t P a ra g u a y s le g t d ie U n te rg re n z e fü r Latif
u n d ie n m it 10 000 h a, im w e stlic h e n C haco g a r m it 20 000 h a fe st (Th. Berthold
1977, S.77). D as la n d w irts c h a ftlic h e G ro ß e ig e n tu m w ird e n tw e d e r d u rc h eine
V ie lz a h l v o n P ä c h te rn k le in b e tr ie b lic h b e w ir ts c h a f te t^ o d e r als e in h eitlich er
G ro ß b e trie b z e n tra l g e fü h rt. G ro ß e ig e n tu m s la n d w irte tr e te n w e ltw e it u n te r versc
h ie d e n T y p e n b e g riffe n au f. D ie Gutsbesitzer b ild e te n im ö s tlic h e n M itteleuropa
u n d in O s te u ro p a b is z u d e n K o lle k tiv ie ru n g e n d es 20. J a h rh u n d e rts d ie schm ale
lä n d lic h e O b e rsc h ic h t. Sie h a tte sic h se it d e m M itte la lte r d u rc h d ie U m w andlung
v o n g ru n d h e rrs c h a ftlic h e m B esitz in e in h e itlic h b e w irts c h a fte te G u tsb e trie b e entw
ick elt. In d e n a lte n B u n d e s lä n d e rn k o m m e n G u tsb e trie b e in S treu lag e vor, led
ig lic h im ö s tlic h e n H o lste in b ild e n sie d ie d o m in ie re n d e B e trie b sa rt (s. Kapitel
4.3.4) - a u c h h e u te n o c h ü b e rw ie g e n d in A d elsb esitz. Sie h a b e n sic h v o n ehedem
re c h t v ie ls e itig e n B e trie b e n a u f h o c h g r a d ig m e c h a n is ie rte u n d spezialisierte
M a rk tfru c h tb e trie b e u m g e ste llt. I h r AK-Besatz ist m it o ftm a ls n u r 1 AK je 100 ha
e x tre m n ie d rig ; d ie f r ü h e r so z a h lre ic h e L a n d a rb e ite rs c h a ft ist w e itg e h e n d abgew
a n d e rt. In S ü d e u ro p a h a t sic h a u s d e n Z e ite n d es R ö m isc h e n R eiches d e r Typ
des Latifundieneigentümers (ita lie n isc h : la tifo n d ista ) e rh a lte n . S ein W irtschafts
v e rh a lte n ist v ie lfa c h d u r c h D e sin te re sse a n e ig e n e r L a n d b e w irtsc h a ftu n g und
W o h n sitz in d e r S ta d t (A b se n tism u s) g e k e n n z e ic h n e t. D ie B e w irtsc h a ftu n g erfolgt
e n tw e d e r d u rc h K le in p ä c h te r, w e lc h e je w e ils e in z e ln e P a rz e lle n des ^Latifu n d iu m s
b e a rb e ite n , o d e r d u rc h e in e n G ro ß p ä c h te r, d e r d as L an d m it H ilfe v o n Tagelöhn
e r n b e a rb e ite t (E. Sabelberg 1975, S. 330 - 331). W ä h re n d d e r e u ro p ä isc h e n Kolon
ia lh e rrs c h a ft w u rd e d e r T yp d es s ü d e u ro p ä is c h e n L a tifo n d ista in die tropischen
u n d r a n d tro p is c h e n K o lo n ia lg e b ie te ü b e rtra g e n , w o sic h k o n v e rg e n te Form en
v o n G ro ß e ig e n tu m s la n d w ir te n h e ra u s b ild e te n : P la n ta g e n b e s itz e r, H aciendero
(B rasilien: F a z e n d e iro ), E sta n c ie ro (s. K apitel 4.2.2. u n d 4.3.4).
Zur Kritik am Leitbild des bäuerlichen Familienbetriebs s. Th. B ergmann 1969;
H. W. Windhorst 1989.

Individuelle und soziale EinñuEfaktoren 77
Die soziale P ro b le m a tik d es G ro ß e ig e n tu m s ist d ie m it ih m e in h e rg e h e n d e e x tre m
ungleiche V erm ögens- u n d E in k o m m e n sv e rte ilu n g . D e r g e rin g e n Z ahl v o n G ro ß ­
eig e n tü m e rn ste h t d ie S c h a r d e r la n d lo s e n P ä c h te r u n d L a n d a rb e ite r g e g e n ü b e r.
In A grargesellschaften m it b e s c h rä n k te n n ic h tla n d w irts c h a ftlic h e n E rw e rb sq u e l­
len n e h m e n G ro ß e ig e n tü m e r, w e n n sie g ro ß e T eile d es b e b a u b a re n B o d en s in n e ­
haben, ein e w irtsc h a ftlic h e , g e se llsc h a ftlic h e u n d p o litisc h e M a c h tste llu n g ein ,
die seit d en Z eiten d e r R ö m isc h e n R e p u b lik A n laß f ü r d ie F o rd e ru n g n a c h A grarj^eform
en w ar.
Landwirtschaftliche Produktionsgemeinschaften m it g e m e in s a m e r V e rfü g u n g
über die P ro d u k tio n sm itte l u n d g e m e in s a m e r A b s tim m u n g ü b e r d e n P ro d u k tionsprozeß
tre te n in d e n v e rs c h ie d e n s te n G e se llsc h a ftssy ste m e n au f. Es g ib t sie als
h isto risch e F o rm e n m it ja h r h u n d e r te a lte r T ra d itio n w ie als ju n g e K o lle k tiv ­
w irtschaften des 20. J a h rh u n d e rts . D ie h is to ris c h e n F o rm e n d e r (A llm end e n u t-
zung sin d in M itte le u ro p a n a c h d e n A g ra rre fo rm e n d es 18. - 20. J a h rh u n d e rts bis
au f geringe R este (G e m e in sc h a ftsa lm e n , g e m e in sa m e W a ld b e w irtsc h a ftu n g ) v e r­
schw unden. In d e n B e rg lä n d e rn M itte lä m e rik a s u n d d e n n ö rd lic h e n u n d z e n tra ­
len A nden h a b e n sich b e trä c h tlic h e R elik te v o n v o rk o lo n ia le n B esitz- u n d N u t­
zungsform en d e r In d ia n e r k u ltu r e n e rh a lte n (Sandner u . Steger 1973, S. 98 - 99).
An die a ltin d ia n isc h e T ra d itio n k n ü p f e n d ie m e x ik a n isc h e n Ejidos an , d ie d u rc h
A grarreform gesetze 1915 u n d 1917 a u s G ro ß g ru n d e ig e n tu m n e u g e sc h a ffe n w u r ­
den. B o d e n e ig e n tü m e r ist d ie G e m e in d e , d e r o rtsa n sä ssig e E jid a ta rio h a t e in e n
N u tzu n g san sp ru ch . W ald u n d W e id e la n d w e rd e n g e m e in s a m g e n u tz t, d ie B ew irtschaftung
des A ck erlan d es k a n n in d iv id u e ll o d e r g e m e in s a m e rfo lg e n (O. Schiller
1963). N eben d e n E jidos s in d d ie isra e lisc h e n Kibbuzim d ie w o h l b e k a n n te ­
sten B eispiele kollelctiv er L a n d b e w irts c h a ftu n g a u ß e r h a lb d e r m a rx is tis c h e n
G esellschaftssystem e. D ie K ib b u z im s in d je n a c h ih r e r id e o lo g isc h e n o d e r re lig iö ­
sen A u sric h tu n g u n te rs c h ie d lic h o rg a n isie rt. In d e r u rs p r ü n g lic h e n Id e a lfo rm
b ew irtsch aftet d ie K o m m u n e e in e s K ib b u z ih r L a n d , d a s sie v o m J ü d is c h e n
N ationalfonds o d e r v o m S ta a t in E rb p a c h t e rh a lte n h a t; d as G e m e in sc h a ftsle b e n
um faßt au ch die K in d e re rz ie h u n g u n d d ie g e m e in s a m e n M a h lz e ite n . W e n n d ie
L andw irtschaft als E x iste n z b a sis n ic h t m e h r a u sre ic h t, g lie d e rn sic h v ie le n K ib b u ­
zim G ew erb eb etrieb e a n . In d e n w e stlic h e n In d u s tr ie lä n d e r n f in d e n sic h v e re in ­
zelt w elta n sc h a u lic h e o d e r re lig iö se G ru p p e n , d ie - w ie z.B. d ie H u tte re r in N o rd ­
am erika - als P ro d u k tio n s g e m e in s c h a fte n a u ftre te n .
In d en E n tw ic k lu n g slä n d e rn b e m ü h t m a n sich h ä u fig u m d e n A u fb a u v o n
la n d w irtsc h a ftlic h en P ro d u k tio n s g e m e in s c h a fte n . D as Ujamaa-Konzept T a n s a ­
nias bildet das w o h l b e k a n n te s te B eisp iel g e m e in s c h a ftlic h e r B o d e n n u tz u n g in
der D ritten W elt. Es v e rs c h m ilz t tra d itio n e lle a frik a n isc h e , g e n o sse n sc h a ftlic h e
und sozialistische E le m e n te (E. Baum 1971). D er E n tw ic k lu n g s a n s a tz , d e r a u f
Ideen eines a frik a n is c h e n S o z ia lism u s b e r u h t, ist in d e r P rax is o ffe n sic h tlic h
schwer zu v e rw irk lic h e n (H. Hecklau 1989, S. 333). D a d as K o n zep t d ie K o n z e n tra ­
tion d er B ev ö lk eru n g in D ö rfe rn v o rsa h , b e w irk te es a u c h e in e n U m b ru c h des
Siedlungsnetzes. N a c h d e m in v ie le n G e b ie te n d ie B a u e rn d e n U m z u g v e rw e ig e r­
ten, w u rd e n Z w a n g s u m s ie d lu n g e n m it H ilfe d e r A rm e e d u rc h g e fü h rt. D ie S ta n d ­
orte vieler D örfer w a re n sch le c h t g e w ä h lt, h ä u fig fe h lte es a n W asser. D ie u n v e r ­
m eidliche Folge d ie se r P o litik w a r e in A b sin k e n d e r A g ra rp ro d u k tio n , T a n sa n ia
fi
(L

78 Allgemeine Einnußfaktoren des Agrarraumes
m u ß te v e r m e h r t L e b e n sm itte l im p o rtie re n . D e n n o c h so llen b is 1975 m e h r als
9 M io. A frik a n e r, d as s in d ü b e r 60 % d e r B e v ö lk e ru n g d es L an d es, in m e h r als 6 000
D ö rfer z u s a m m e n g e s ie d e lt w o rd e n se in (H . H ecklau 1989, S, 335).
V on d ie s e n m e h r o d e r w e n ig e r fre iw illig e n Z u s a m m e n s c h lü s s e n d e r Landw irte
u n te rs c h e id e t sich d ie kollektive Landbewirtschaftung in den sozialistischen Staaten
v o n v o r n h e r e in d u rc h d e n Z w a n g c h a ra k te r b e i d e r B ild u n g (UdSSR 1929 - 34;
VR C h in a 1951 - 58; DDR 1952 - 60). A u ß e rd e m s ta n d e n sie u n te r s ta rk e m Einfluß
des S taates a u f F ü h r u n g u n d P ro d u k tio n . D ie G rü n d e f ü r d ie z w an g sw eise Kollektiv
ie r u n g s in d so w o h l im w irts c h a ftlic h e n B e re ic h - v e r m e in tlic h e r P roduktiv
itä ts v o rs p ru n g d es G ro ß b e trie b e s - w ie in d e r so z ia listisc h e n Id eo lo g ie'^ zu suc
h e n . Z w isc h e n d e n K o lle k tiv b e trie b e n d e r e in z e ln e n so z ia lis tis c h e n Staaten
b e s ta n d e n tro tz g e m e in s a m e r id e o lo g isc h e r W u rz e l e rh e b lic h e U n tersch ied e, die
h ie r n ic h t a u s g e fü h rl w e rd e n k ö n n e n . A uf so z ia le m G eb iet b e d e u te t d ie Kollektiv
ie ru n g d ie T ra n s fo rm a tio n des s e lb s tä n d ig e n B a u e rn z u m L a n d a rb e ite r. Ähnlich
w ie in d e r In d u s trie w a n d e lte sic h d as B e ru fsb ild d es v ie lse itig e n L an d w irts zu
d e m e in e r sp e z ia lis ie rte n F a c h k ra ft (T ra k to rist, M elker, T ie rz ü c h te r) m it qualifiz
ie rte r A u sb ild u n g (F a c h a rb e ite r, M eister, In g e n ie u r).
S eit d e m Z u s a m m e n b ru c h d e r S o w je tu n io n u n d d e r k o m m u n is tis c h e n Reg
im e im ö stlic h e n M itte le u ro p a b e fin d e t sic h d ie k o lle k tiv e L a n d b ew irtsch aftu n g
so z ia listisc h e r A u s p rä g u n g a u f d e m R ückzug. D er Ü b e rg a n g v o n sozialistischen
zu p riv a te n B e trie b s fo rm e n v e rlä u ft in d e n v e rs c h ie d e n e n S ta a te n re c h t u n te r­
sc h ie d lic h .
In d e n n e u e n B u n d e s lä n d e rn e rlo sc h a m 31. D e z e m b e r 1991 d ie Rechtsform
d e r L a n d w irtsc h a ftlic h e n P ro d u k tio n s g e n o s s e n s c h a ft (LPG). D ie 4 355 sozialistisc
h e n G ro ß b e trie b e (465 VEG u n d 3 890 LPG), v o n d e n e n r u n d 3 000 ausschließlic
h a u f d ie tie ris c h e u n d n u r 1230 a u f d ie p fla n z lic h e P ro d u k tio n spezialisiert
w a re n , m u ß te n in n e u e E ig e n tu m s fo rm e n ü b e r f ü h r t w e rd e n . E in T eil d e r LPG
g in g in K o n k u rs o d e r lö ste sic h auf. D ie M e h rz a h l le b t a b e r in d e r R ech tsfo rm der
e in g e tra g e n e n G e n o sse n sc h a ft (d u rc h s c h n ittlic h e LF: 1 461 h a ) o d e r d e r GmbH
w e ite r. D ie n u r 2 900 B e trie b e in d e r H a n d ju ris tis c h e r P e rs o n e n b ew irtsch afteten
1994 e tw a 60 % d e r LF d e r n e u e n L ä n d e r. D ie Z ah l d e r p riv a te n E in zelu n tern
e h m e r w a r b is 1994 a u f 22 500 a n g e w a c h se n . B ei d u rc h s c h n ittlic h e n B etriebsg
rö ß e n v o n 150 h a im V o lle rw e rb k o m m e n sie a u f e in e n A n te il v o n 20 %d e r LF.
Die re s tlic h e n 20% b e w irts c h a fte n d ie 2 379 P e rso n e n g e se llsc h a fte n m it durchs
c h n ittlic h 481 h a (Z a h le n a u s A g a rb e ric h t 1995). Als E rb e d e r so zialistischen
Wie A. W eber (1974; S. 58) nachgewiesen hat, wird bereits von den frühen Sozialisten des
19. Jahrhunderts der landwirtschaftliche Großbetrieb postuliert, so z.B. von Louis Blanc
1839; Karl Marx und F riedrich Engels fordern im Manifest der Kommunistischen Partei
von 1848 die „Expropriation des Grundeigentums“ und die „Errichtung industrieller Armeen,
besonders für den Ackerbau“. Karl Ballod schlug 1898 die Umwandlung der 5,7 Mio.
Agrarbetriebe des damaligen Deutschen Reiches in 100 000 Großbetriebe von je 200 ha vor.
Er sprach bereits von Agrarstädten und Maschinenstationen. Da sein Buch auch ins Russische
übersetzt und von Lenin zitiert wurde, dürften seine Ideen bei der Konzeption der Sowchosen
und Kolchosen nicht ohne Einfluß gewesen sein.

Individuelle und soziale EinfìuMaktoren 79
A grarv'erfassung d o m in ie re n in d e n n e u e n L än d e rn Bet rie b sg rö ß e n v o n 500 b is
1 500 ha, die im w est- u n d m itte le u ro p ä is c h e n R a u m ih re s g le ic h e n su c h e n .
TJnter „landwirtschaftlichen Nutzungseigentümern“ w e rd e n in d e r T e rm in o lo ­
gie von H. ]. Wenzel (1974, S. 70) d ie L a n d w irte in je n e n tra d itio n e lle n A g rarg e­
sellschaften v e rs ta n d e n , d ie k e in in d iv id u e lle s B o d e n e ig e n tu m , s o n d e rn n u r e in
A nrecht au f in d iv id u e lle B e w irtsc h a ftu n g k e n n e n . D iese F o rm d e r V e rfü g u n g sg e ­
walt ü b e r B oden, d ie m it e u ro p ä is c h e n R e c h ts n o rm e n k a u m v e rg le ic h b a r ist,
findet sich n o c h h ä u fig im tro p is c h e n A frik a ( W. Manshard 1968; K. Ringer 1967;
R. Hellmeier 1967). D er B o d e n ist so z ia le n G ru p p e n (D o rfg e m e in sc h aft, G ro ß fa ­
milie) a n v e rtra u t, in d ie n ic h t n u r d ie L e b e n d e n , s o n d e rn a u c h A h n e n u n d N ach ­
fahren ein b ezo g en sein k ö n n e n . D ie V e rfü g u n g ü b e r d e n B o d e n ist d a h e r oft m it
m agisch-religiösen V o rs te llu n g e n v e r b u n d e n . B ei e in ig e n a frik a n is c h e n S tä m ­
m en. w ie z.B. b e i d e n B u lsa in N o rd g h a n a , w ird a u c h d ie V ie h h e rd e d ie s e n R echtsv
o rste llu n g e n u n te rw o rfe n . A lle G ru p p e n m itg lie d e r h a b e n im P rin z ip e in e n
A nspruch a u f L and n a c h ih r e n je w e ilig e n B e d ü rfn isse n , e tw a näcK d e r F a m ilie n ­
größe. Die B e w îrïs'ch aftu n g e rfo lg t in d iv id u e ll o d e r d u rc h d ie G ro ß fa m ilie ; M ischform
en sin d n ic h t selten : in d iv id u e lle N u tz u n g des A c k e rla n d e s u n d g e m e in ­
schaftliche N u tz u n g d e r W e id e flä ch e n . D ie L a n d v e rte ilu n g ist z.T. n o c h A ufg ab e
der H äu p tlin g e bzw . d e r S ta m m e s a u to ritä te n , w as d ie s e n e in e e rh e b lic h e M a c h t­
position v erle ih t. Als N a ch teile d ie se s S y stem s o h n e B esitztitel n e n n e n Abalu u .
Yayock (1980, S. 2 3 9 -2 4 0 ): E rs c h w e ru n g d e r K a p ita lb e sc h a ffu n g in fo lg e fe h le n ­
der S ich erh eiten , m a n g e ln d e In v e stitio n sb e re itsc h a ft, M iß b ra u c h d e r M a c h tp o sition
d u rch d ie la n d v e rg e b e n d e n E liten . D iese V e rfü g u n g sa rt ü b e r d e n B o d e n ist
an die alten S o z ia lo rd n u n g e n g e b u n d e n . M it d e re n Z e rfall se tz t sic h d as In d i­
v id u aleig en tu m d u rc h . A u ß e rd e m s in d sie n u r in G e b ie te n d e n k b a r, in d e n e n
Land n och im Ü b e rflu ß z u r V e rfü g u n g ste h t. M it d e r z u n e h m e n d e n L a n d v e r­
k n ap p u n g in fo lg e d es B e v ö lk e ru n g sw a c h stu m s w a n d e lt sic h d e r N u tz u n g s a n ­
spruch in in d iv id u e lle s G ru n d e ig e n tu m u m . N ach H. Hecklau (1978, S. 40) ist in
O stafrika die E in h e g u n g des D au er-A ck erlan d es z u m S c h u tz g e g en d as V ieh a u f
der g em ein en W eide d e r s ic h tb a re A u sd ru c k d ieses P riv a tisie ru n g sp ro z e sse s.
Die Pächter b ild e n e in e w e itg e s p a n n te G ru p p e d e r A g ra rb e v ö lk e ru n g . Ih re soziale
Position ist h ö c h st u n te rs c h ie d lic h - je n a c h d e n P a c h tb e d in g u n g e n (Art des
Pachtobjekts, P a c h td a u e r, A rt u n d H ö h e d es P ach tzin ses). Bei g ü n s tig e n P a c h t­
bed in g u n g en u n te rs c h e id e t sic h d ie so ziale P o sitio n d es P ä c h te rs k a u m v o n d e r
des E ig e n tu m sla n d w irte s. P a c h to b je k te k ö n n e n sein: g e sc h lo sse n e B e trie b e (H ofpacht),
e in z e ln e P a rz e lle n (P a rz e lle n p ach t), V ieh (V ieh p ach t, z.B. P e n sio n sv ie h ),
sowie ein zeln e N u tz u n g sre c h te (a n O b s tb ä u m e n , d ie S c h a fh u t a u f d e n a b g e e rn te ­
ten Feldern, das Jagdrecht). D ie Hofpacht ist in d e r B u n d e s re p u b lik D e u tsc h la n d
relativ selten, sie b e trifft v o r a lle m B e trie b e , d ie v o rz e itig a u f d ie E rb e n ü b e rtra g e n
w erden sow ie G ro ß b e trie b e , w ie z.B. d ie S ta a ts d o m ä n e n . V o n a lle n la n d w ir t­
schaftlichen B e trie b e n d e r a lte n B u n d e s re p u b lik sin d n u r 6 ^ l^ T n e P acK tb etrieb e
(G. Schreiner 1975, S. 481). W e itv e rb re ite t ist d ie H o fp a c h t in e in ig e n n o rd w e s t­
europäischen S taaten . In B elg ien s in d ü b e r d ie H älfte d e r B e trie b e P a c h tb e trie b e ,
die P achtfläche u m fa ß t 71 % d e r LN. D er A n teil d e r P a c h tb e trie b e in G ro ß b rita n ­
nien ist von 90% (1910) a u f 34% in d e r G e g e n w a rt g e fa lle n - e in e F olge d e r
strengen P ä c h te rsc h u tz g esetz e u n d d e r h o h e n E rb sc h a ftsste u e rn , d ie z u r A uftei-

80 Allgemeine Einflußfaktoren des Agrarraumes
lu n g d es G ro ß g ru n d b e sitz e s f ü h rte n . D ie tr a d itio n e lle b ritis c h e A grarsozialstrukt
u r m it d e n d re i G lie d e rn L a n d lo rd - P ä c h te r - L a n d a rb e ite r h a t sich in diesem
J a h r h u n d e r t s ta rk in R ic h tu n g F a m ilie n b e trie b en tw ic k e lt: d ie P ä c h te r konnten
v ie lfa c h d as E ig e n tu m a n ih r e n B e trie b e n e rw e rb e n , w ä h re n d d ie Z ahl d e r Landa
rb e ite r - w ie in a lle n In d u s trie s ta a te n - s ta rk g e s c h ru m p ft ist. A uch in den USA
v e rlo r d ie H o fp a c h t s ta rk a n B e d e u tu n g , d e r A n te il d e r P a c h tb e trie b e ist von 39 X
(1940) a u f n u r n o c h 13 % (1970) a lle r F a rm e n g e s u n k e n (H. Blume 1975, S. 223).
Die Parzellenpacht h a t in a lle n In d u s tr ie lä n d e r n a u fg ru n d des sta rk e n Rückgangs
d e r Z ah l d e r la n d w irts c h a ftlic h e n B e trie b e a n B e d e u tu n g gew onnen. Die
v e rb le ib e n d e n B e trie b e sto c k e n ih re F lä c h e n d u rc h Z u p a c h t v o n d e n ausscheid
e n d e n H ö fe n a u f - te ilw e ise m it sta a tlic h e r F ö rd e ru n g . In D e u tsc h la n d sind seit
d e m Z w e ite n W e ltk rie g 1,5 M io. B a u e rn h ö fe d e m S tru k tu rw a n d e l zu m Opfer
g efallen . D a d u rc h ist e in rie s ig e r P a c h tflä c h e n m a r k t en ts ta n d e n . Bei Betriebsaufg
a b e n w e r d e n d ie N u tz flä c h e n w e g e n ih r e r v e rm e in tlic h e n W ertbeständigkeit
n u r se lte n v e rk a u ft, s o n d e rn a n a u fsto c k u n g sw illig e B e trieb e v e rp a c h te t. Aus diese
m G ru n d ist d e r P a c h tla n d a n te il in d e n a lte n L ä n d e rn v o n 22 %(1966) au f 42,5 X
(1991) a n g e stie g e n (S tatist. }b. ELF 1994, S. 39). In d e n n e u e n L ä n d e rn ist er mit
fast 90 % n o c h w e it h ö h e r (A g ra rb e rich t 1995, S. 15). D ie la n d w irtsc h a ftlic h genutz
te F läch e d es v e re in te n D e u tsc h la n d b e s te h t h e u te zu m e h r als d e r H älfte aus
P a c h tla n d . D as alte Id e a lb ild .d e s fre ie n B a u e rn a u f e ig e n e r S cholle ist revisionsb
e d ü rftig . D ie d e u tsc h e A g ra rv e rfassu n g ) n ä h e r t sic h d e r a n d e re r w esteuropäisc
h e r L ä n d e r a n , in d e n e n d ie P a c h t s c h o n im m e r e in e g ro ß e R olle gespielt hat. So
w a re n b e re its 1970 in d e n N ie d e rla n d e n 48 % d e r LF P a c h tla n d , in G roßbritannien
lie g t d e r Satz b e i 60 %. ^ ^>t - и - "
Die Pachtdauer h a t a u f d e n so z ia le n S ta tu s u n d d as W irtsc h a ftsv e rn alte n der
P ä c h te r d e n g rö ß te n E in flu ß (U. PLANCK u. J. ZiCHE 1979, S. 201). Je län g er der
P a c h tv e rtra g b e fris te t ist, d e sto m e h r w ird sic h d a s P ä c h te rv e rh a lte n dem des
G ru n d e ig e n tü m e rs a n n ä h e rn . D ie F ris te n k ö n n e n v o n d e r e in jä h rig e n Pacht bis
z u r Erb p a c h t, d ie G e n e ra tio n e n ü b e rd a u e rt, re ic h e n .
D er Pachtzins k a n n d u rc h G eld, N a tu ra lie n o d e r d u rc h A rb e itsle istu n g e n des
P ä c h te rs fü r d e n V e rp ä c h te r (A rb eitsp ach t) a b g e g o lte n w e rd e n .
Die Arbeitspacht ist w e ltw e it v e rb re ite t. In W e stfa le n u n d O ld e n b u rg w ar bis
z u r G e g e n w a rt d a s H e u e rlin g sw e se n a n z u tre ffe n . D er H e u e rlin g ist P äch ter einer
K lein stelle, d e r d e n Z in s s ta tt o d e r n e b e n d e r Z a h lu n g e in e r G e ld su m m e durch
festg eleg te A rb e its le is tu n g e n a u f d e m H of d es V e rp ä c h te rs a b le iste n k a n n (H. J.
W enzel 1974, S. 62). Eine..bes.pnd,ere B e d e u tu n g k o m m t d e n lA rb e itsp ä c h terril auf
s ü d a m e rik a n is c h e n L a tifu n d ie n zu; sie tr e te n u n t e r v e r s c h ie d e n e n Lokalbezeirhn
u n g e n w ie colo n o , in q u ilin o (C hile), y a n a c o n o (P eru) au f. D ie Ü bergänge zum
(G eld-)P ächter w ie z u m L a n d a rb e ite r s in d flie ß e n d ; d ie A rb e itsp ä c h te r sind Teil
e in e s s e h r k o m p liz ie rte n S y stem s d e r A rb e itso rg a n isa tio n . D a sie a b e r durchw eg
d as A n b a u risik o tra g e n , s in d sie n a c h M iß e rn te n b e im H a c ie n d e ro verschuldet
u n d e n ts p re c h e n d v o n ih m a b h ä n g ig (Sandner u . Steger 1973, S. 95).
Als Teilpacht b e z e ic h n e t m a n e in P a c h tv e rh ä ltn is , b e i d e m d e r Zins nicht fix
ie rt ist, s o n d e rn als e in e v e re in b a rte Q u o te v o m R o h e rtra g e rh o b e n w ird. Der
A n teil f ü r d e n V e rp ä c h te r k a n n z w isc h e n 20 u n d 80 % v a riie re n , je nachdem ,
w e lc h e P ro d u k tio n s fa k to re n e r z u r V e rfü g u n g stellt. In d e r a ra b isc h e n Oasen-
\
\

Individuelle und soziale Einflußfaktoren 81
W irtschaft w e rd e n z.B. 5 P ro d u k tio n s fa k to re n (L and - W asser - S a a tg u t u n d B äu ­
m e - A rbeitsgerät u n d Z u g tie r - A rb e itsk ra ft) u n te rs c h ie d e n . D a ra u s le ite t sic h das
T e ilp a c h tv e rh ä ltn is d es Khammessats (arab . k h a m s a = fü n f) ab: d e r P ä c h te r
(K ham m es) e rh ä lt im P rin z ip n u r e in e F ü n fte l d e r E rn te , w e n n e r le d ig lic h se in e
Arbeitsk raft e in b ria g t (s. K ap itel 4.3.3)| E in e s e h r b e k a n n te F o rm d e r (HoF)Teilpacht
ist^die ita lie n isc h e Mezzadria, b e i d e r d ie E rn te in d e r R egel n a tu r a lite r im
V erhältnis 50 : 50 z w isc h e n d e m V e rp ä c h te r u n d M ezzad ro g e te ilt w ird . D er P ä c h ­
ter stellt sein e u n d s e in e r F a m ilie A rb e itsk ra ft, d ie G e rä te ü rid t f a g t z u r H älfte d ie
Kosten d e r B e trie b sm itte l (D ü n g er, S p ritz m itte l). D er V e rp ä c h te r ste llt H of u n d
Land, erstes S a a tg e tre id e u n d tr ä g t d ie K o sten fü r la n g fris tig w irk s a m e In v e stitio ­
nen (G ebäude, B o d e n v e rb e sse ru n g e n , B aum - u n d S tra u c h k u ltu re n ). E r n im m t
auch sta rk e n E in flu ß a u f d ie B e w irtsc h a ftu n g . D as M e z zad ria-S y stem ist sta rk
rückläufig, n a c h d e m d ie M e zzad ri in g ro ß e r Z ah l in d ie I n d u s trie a b g e w a n d e rt
sind (E. Sabelberg 1975). E in e ä h n lic h e P a c h tfo rm ist d ie Metayage in S ü d fra n k ­
reich (P ächter 2/3 V e rp ä c h te r 1/3), d ie a lle rd in g s n u r n o c h 1 % d e r fra n z ö sisc h e n
LF betrifft (A. Pletsch 1984, S. 204).
Die T eilp ach t ist d ie v o rh e rrs c h e n d e P a c h tfo rm in d e n d ic h tb e s ie d e lte n A g rarländern
A siens. F ü r d ie ü b e rv ö lk e rte n B e w ä sse ru n g sg e b ie te Javas sc h ä tz t W. RÖLL
(1973, S. 305) d e n A nteil d e r T e ilp ä c h te r a u f 60 %d e r L a n d w irte . B ei d e n v e rsc h ie ­
denen P ach tsy ste m e n v a riie rt d e r E rn te a n te il d e r P ä c h te r je n a c h ih re m A rb e itsund
P ro d u k tio n sm itte le in sa tz z w isc h e n 25 u n d 50 %. D ab ei sin d d ie Ü b e rg ä n g e
zw ischen d e n S o z ia lg ru p p e n d e r T e ilp ä c h te r (sh are te n a n t) m it u n te r n e h m e r i­
schen F u n k tio n e n u n d d e n L a n d a rb e ite rn m it E rtra g sb e te ilig u n g (sh a re c ro p p e r)
sehr fließend. Da d ie Z ahl d e r A rb e its u c h e n d e n a u f Java s e h r h o c h ist u n d d ie
K ontrakte in d e r R egel n u r m ü n d lic h a b g e sc h lo sse n w e rd e n , b e fin d e n sich d ie
Pächter in e in e r sc h w a c h e n P o sitio n g e g e n ü b e r d e n G ru n d e ig e n tü m e rn , b e i d e ­
nen sie h ä u fig o h n e h in n o c h v e rs c h u ld e t sin d .
Im w e sta frik a n isc h e n K a k a o g ü rte l ist d ie T e ilp a c h t d e r sog. A b u sa -F a rm e r w e it
verbreitet. Die A busa sin d f ü r d ie B e tre u u n g e in e r K a k a o p fla n z u n g , d ie sie v o m
Besitzer ü b e rn e h m e n , v e ra n tw o rtlic h . D as E n tg e lt b e trä g t e in D ritte l des E rn te e r­
trags (W. Manshard 1962, S. 198).
Die T eilpacht v « rd als h ä u fig s te P a c h tfo rm d e r E rd e a n g e se h e n ; sie s te h t b e s o n ­
ders in d en w e n ig e r e n tw ic k e lte n V o lk sw irtsc h a fte n im V o rd e rg ru n d (H. J. W enzel
1974, S. 63). D u rc h _B odenrefoxrngesetze h a t sie in e in ig e n S ta a te n (Ita lie n ,
Japan, In d ien , B u rm a, T aiw an ) s ta rk a n B e d e u tu n g v e rlo re n . A us d e m g le ic h e n
G rund sin d d ie p a ra s itä re n Z w is c h e n p ä c h te r in d e n m e is te n L ä n d e rn v e rs c h w u n ­
den (F. Kuhnen 1973).
Die Landarbeiter b ild e n d ie e in z ig e S o z ia lg ru p p e u n te r d e r la n d w irts c h a ftlichen
B evölkerung, d ie n ic h t in e ig e n e r E n ts c h e id u n g ü b e r d ie la n d w irts c h a ftlichen
P ro d u k tio n sm itte l v e rfü g e n k ö n n e n . Sie sin d alles a n d e re als e in e h o m o g e n e
G ruppe. H. J. Wenzel (1974, S. 89) u n te rs c h e id e t d re i H a u p tg ru p p e n :
- G esinde (in d e r H a u sg e m e in sc h a ft in te g rie rte L o h n a rb e ite r),
- ständig b e sc h ä ftig te L o h n a rb e ite r,
- nicht stä n d ig b e sc h ä ftig te L o h n a rb e ite r (T a g elö h n er, S a iso n k rä fte ,
W an d erarb eiter).

82 Allgemeine Einflußfaktoren des Agrarraumes
D er A n teil d e r L a n d a rb e ite r a n d e r la n d w irts c h a ftlic h e n E rw e rb sb e v ö lk e ru n g ist
v o n L a n d zu L a n d s e h r v e rsc h ie d e n . In d e n In d u s tr ie lä n d e r n ist ih re Zahl drastisc
h g e s c h ru m p ft. D ie A n z a h l d e r s tä n d ig e n fa m ilie n fre m d e n A rb eitsk räfte sank
im a lte n B u n d e sg e b ie t v o n 766 000 (1950) a u f 55 000 (1994). K a u m m e h r anzutreffen
ist das Gesinde, d .h . d ie frü h e r e n K n e c h te u n d M ägde a u f d e n bäuerlichen
F a m ilie n b e trie b e n . Ih re Z ah l v e rrin g e rte sic h z w isc h e n 1957/58 u n d 1980 von
342 000 o d e r 67 % d e r s tä n d ig e n f a m ilie n f r e m d e n A rb e itsk rä fte a u f n u r noch
14 000 (14%) im Ja h re 1981 (P. V. Blanckenburg 1962, S. 129; A g ra rb erich t 1982.
S. 8). A uch in d e n USA m it ih r e n s e h r v ie l g rö ß e re n B e trie b e n s a n k die Zahl der
L a n d a rb e ite r v o n 2,8 M io. (1930) a u f 654 000 (1969). D iese E n tw ic k lu n g ist einerseits
Folge d e r R a tio n a lis ie ru n g u n d M e c h a n is ie ru n g in d e r L a n d w irtsc h a ft, andere
rse its g ib t sie d e n Sog d es s e k u n d ä re n u n d te r tiä r e n W irtsc h a ftsse k to rs auf das
A rb e its k rä fte p o te n tia l d e r L a n d w irtsc h a ft w ie d e r, d as b e re itw illig sein e abhängi
ge, m ä ß ig e n tlo h n te u n d so zial w e n ig a n g e s e h e n e P o sitio n aufg ah.
In d e n E n tw ic k lu n g s lä n d e rn lä ß t sic h v ie lfa c h d ie g e g e n lä u fig e T en d en z beoba
c h te n . D er ra sc h e B e v ö lk e ru n g sa n stie g , d e m d as A n g eb o t a n n ichtagrarischen
A rb e itsp lä tz e n n ic h t fo lg e n k a n n , h a t e in sta rk e s A n w a c h se n d e r la n d lo se n Landb
e v ö lk e ru n g z u r Folge, d ie a u f L o h n a rb e it o d e r T e ilp a c h t a n g e w ie se n ist. ln Arg
e n tin ie n m a c h e n n a c h W . E riksen (1971a, S. 223, A n m . 12) d ie L a n d a rb e ite r 60 \
d e r e rw e rb s tä tig e n L a n d b e v ö lk e ru n g au s. Ä h n lic h h o h e W e rte w e rd e n auch für
a n d e re la te in a m e rik a n is c h e S ta a te n (B olivien, B ra silie n , P eru ) angeg eb en . Aber
n ic h t n u r in d e n s ü d a m e rik a n is c h e n L a tifu n d ie n g e b ie te n , s o n d e rn au ch in den
k le in b ä u e rlic h e n , ü b e rv ö lk e rte n R e isb a u a re a le n A sien s ist d e r A nteil d e r landlo
se n L a n d b e v ö lk e ru n g e rsc h re c k e n d h o ch . W. Roll (1973, S. 309) schätzt ihre
Q u o te fü r Z e n tra lja v a a u f 65 - 80 % m it n o c h w a c h s e n d e r T e n d e n z . W erte von
50 - 75 % w e rd e n f ü r In d ie n , B a n g la d e sh , S ri L a n k a u n d d ie P h ilip p in e n angeg
eb en . A n d e r w irts c h a ftlic h e n u n d so z ia le n Lage d ie se r u n te r s te n ländlichen
S o z ia lg ru p p e n h a b e n a u c h d ie A g ra rre fo rm e n d e r P o stk o lo n ia lz e it k a u m etwas
v e rb e sse rt (F. KUHNEN 1973, S. 168). In d e n E n tw ic k lu n g s lä n d e rn ist d a h e r die
E rs c h e in u n g des G elegenheits-, S aison- u n d W a n d e ra rb e ite rs w e it v erb reitet. Zielg
e b ie t s in d e in m a l d ie R ä u m e m it G ro ß g ru n d e ig e n tu m , z u m a n d e re n alle Intens
iv k u ltu rg e b ie te - a u c h d ie m it k le in b e trie b lic h e r S tru k tu r - m it ausgeprägten
A rb e itssp itz e n (K ak ao g ü rtel W e sta frik a s, B a u m w o lla n b a u g e b ie te ). _In d e n europ
ä is c h e n I n d u s tr ie lä n d e r n ist d a g e g e n d e r T yp d es W a n d e ra rb e ite rs bis auf geringe
R elik te (H elfer b e i d e r W ein lese, tü rk is c h e o d e r p o ln is c h e O b stp flü ck er im
A lten L an d ) v e rs c h w u n d e n . I n d e n USA d a g e g e n w e rd e n M illio n e n v o n m exikanisc
h e n W a n d e ra rb e ite rn legal u n d illeg al b e sc h ä ftig t.
2.4 Politische Einflußfaktoren
U n te r A gra r p o litik sin d d ie G e s a m th e it d e r B e m ü h u n g e n u n d M aßn a h m e n des
S taates u n d d e r v o n ih m a u to ris ie rte n K ö rp e rsc h a fte n z u v e rste h e n , die darauf
ab z ie le n , d ie E n tw ic k lu n g u n d G e s ta ltu n g ^ r L a n d w irtsc h a ft z u beeinflussen.
T rä g e r d e r A g ra rp o litik s in d n ic h t n u r d ie s ta a tlic h e n In s titu tio n e n - in d e r födera
lis tis c h e n B u n d e s re p u b lik d e r B u n d u n d d ie L ä n d e r -, s o n d e rn a u c h Körper-

Politische Einñuñfaktoren 83
schäften des ö ffe n tlic h e R echts (L a n d w irtsc h a ftsk a m m e rn , E in fu h r- u n d V o rra tsstellen,
M a rk etin g B oards) so w ie in te rn a tio n a le In s titu tio n e n w ie z.B. d ie E n t­
sch eid u n g so rg an e d e r EU. D ie A u sw irk u n g e n d e r A g ra rp o litik a u f d ie rä u m lic h e
O rganisation d e r L a n d w irtsc h a ft la sse n sich in a lle n G e se llsc h a ftssy ste m e n u n d
Staaten d e r E rde fe stste h e n ; ih re P rä g e k ra ft ist o ftm a ls s tä rk e r als d ie n a tü rlic h e n ,
ökonom isch en u n d so z ia le n F a k to re n - d e n n o c h w ir d sie im m e r n o c h u n te r ­
schätzt. A m stä rk ste n ist d e r E in flu ß d es S taates in d e n p la n w irts c h a ftlic h o rg a n i­
sierten Z e n tra lv e rw a ltu n g sw irtsc h a fte n , w o n o c h d e r e in z e ln e n B e trie b se in h e it
(Kolchose, LPG) d ie P ro d u k tio n d e ta illie rt v o rg e g e b e n w ird . A b e r a u c h in d e n
m a rk tw irtsch aftlich en S y ste m e n w ird d ie la n d w irts c h a ftlic h e E rz e u g u n g d u rc h
eine V ielzahl v o n sta a tlic h e n E in g riffe n so g e ste u e rt, d a ß z u m in d e s t d ie H a u p t­
p ro d u k tio n sb ereich e d e m fre ie n W e ttb e w e rb , d .h . d e m S piel v o n A n g eb o t u n d
Nachfrage a u f d e m M ark t, w e itg e h e n d e n tz o g e n sin d . D iese A u sn a h m e s te llu n g
im Vergleich zu d e n ü b r ig e n W irtsc h a ftsse k to re n h a t sich d ie L a n d w irtsc h a ft d e r
entw ickelten L ä n d e r im V e rla u f e in e s e tw a h u n d e r tjä h r ig e n P ro zesses e rru n g e n .
Sie geht a u f fo lg en d e B e w e g g rü n d e zu rü ck :
- Sorge des S taates u m S ic h e ru n g e in e r g le ic h m ä ß ig e n G ru n d v e rs o rg u n g m it
N a h ru n g sm itte ln ,
- Z u rü c k b le ib e n d e r la n d w irts c h a ftlic h e n E in k o m m e n h in te r d e n n ic h tla n d ­
w irtsch aftlich en ^ in k o m m e n s d is p a r itä t) ,
- R ü ck sich tn ah m e a u f d ie lä n d lic h e W ä h le rsc h a ft in d e n p a rla m e n ta ris c h e n Dem
o k ratien ,
- O rg an isatio n d e r la n d w irts c h a ftlic h e n B e v ö lk e ru n g in e in flu ß re ic h e n In te re s ­
sen v erb än d en .
ÍI
2.4.1 Entwicklung der staatlichen Agrarpolitik
Die E in flu ß n a h m e des S taates bzw . d e r O b rig k e it a u f d ie L a n d w irtsc h a ft ist u ra lt.
Bereits aus d e m d ritte n v o rc h ris tlic h e n J a h rta u s e n d s in d a u s d e m b a b y lo n isc h ­
assyrischen K u ltu rk re is sta a tlic h e V o rsc h rifte n ü b e r d ie N a h ru n g s m itte lp re is e
überliefert; Hammurabi (1728 b is 1686 v. C hr.) e rlie ß e in e u m fa n g re ic h e P re isordnung
(W. Abel 1956, S. 96). D ie B ibel b e ric h te t a u s d e m p h a ra o n is c h e n Ä gypten
von sta a tlic h e r V o rra tsp o litik z u m A u sg leich d e r jä h r lic h e n E rn te s c h w a n k u n ­
gen (1. Moses 41). Die m itte la lte rlic h e G ru n d h e rrs c h a ft b a n d d ie B a u e rn E u ro p a s
in strenge O rd n u n g e n , ü b e r d ie F ix ie ru n g d e r N a tu ra la b g a b e n w u rd e a u c h d ie
Produktion teilw eise v o rg e g e b e n . D iese frü h e n M a ß n a h m e n d ie n te n p r im ä r d e m
F inanzbedarf des g e se llsc h a ftlic h e n Ü b e rb a u s u n d in P e rio d e n d es N a h ru n g s ­
m ittelm angels a u c h d e m S c h u tz d e r n ic h tla n d w irts c h a ftlic h e n K o n s u m e n te n .
Eine sy stem atisch e F ö rd e ru n g e r f u h r d ie L a n d w irtsc h a ft e rs t m it d e r p h y sio -
kratischen B ew egung, d ie im 18. J a h r h u n d e r t v o n F ra n k re ic h a u sg in g , so w ie
durch die lib e ra le n R e fo rm e n des 19. J a h rh u n d e rts . Sie z ie lte n a u f e in e S te ig e ru n g
^ r P ro d u k tio n d u rc h re c h tlic h e B e sse rste llu n g d e r B a u e rn (B a u e rn b e fre iu n g ),
M aßnahm en d e r L a n d e s k u ltu r (Ö d la n d k u ltiv ie ru n g , E in d e ic h u n g e n , D rä n a g e n ),
F örderung d e r P flanzen- u n d V ie h z u c h t (z.B. K örw esen), E in f ü h r u n g n e u e r ÎCulturen
(K artoffeln, Klee, O bst) u n d d u rc h V e rb e sse ru n g e n im B ild u n g sw e se n .

84 Allgemeine EinñuBfaktoren des Agrarraumes
Ѣ
p
^
E in e n e u e S itu a tio n e rg a b sic h f ü r d ie A g ra rp o litik d e r S ta a te n E u ro p as, als etwa
ab 1880 A g ra rp ro d u k te d e r N e u e n W elt, w e lc h e w e se n tlic h b illig e r p ro d u ziert
w e rd e n k o n n te n ,.a u £ _ d e n ..e u ro p ä isc h e n M arM y jo rd ran g en . D ie Entyidcldung der
T ra n s p o rtte c h n ik (E ise n b a h n , D am p fsc h iff, K ü h lte c h n ik J h ä tte d ie europäische
L a n d w irtsc h a ft ih re s n a tü r lic h e n S c h u tz e s d u rc h h o h e T ra n sp o rtk o ste n beraubt.
In fo lg e ih r e r k le in h ä u e rlic h e n A g ra rs tru k tu r v e rlo r d ie A g ra rp ro d u k tio n der Alte
n W elt ih re in te rn a tio n a le W e ftb e w ë rb s îa h ig k e it. D ie e in z e ln e n europäischen
S ta a te n re a g ie rte n u n te rs c h ie d lic h . G ro ß b rita n n ie n , B elgien, d ie N ied erlan d e und
D ä n e m a rk h lie h e n w e ite rh in d e m F re ih a n d e ls p rin z ip tr e u u n d zw a n g e n so ihre
L a n d w irtsc h a ft in e in e n f r ü h e n S tru k tu rw a n d e l h in z u r V e re d lu n g sw irtschaft.
D as D e u tsc h e R eich, F ra n k re ic h , Ita lie n , S c h w e d e n , N o rw e g e n u n d die Schweiz
f ü h r te n d a g e g e n z w isc h e n 1879 u n d 1891 Schutzzölle a u f Im p o rtg e tre id e ein, der
Ü b e rg a n g v o m F re ih a n d e ls p rin z ip z u m Agrarprotektionismus w a r d a m it endgültig
b e s c h ritte n (H. H. Herlemann 1961, S. 126 - 127). W ä h re n d d e r W eltw irtsc
h a ftsk rise d e r d re iß ig e r Ja h re g in g e n a u c h d ie v e rb lie b e n e n F reih andelsländer
E u ro p a s u n d selb st d ie g ro ß e n A g ra re x p o rte u re (USA, K anad a, A ustralien) zu
e in e r in te rv e n tio n is tis c h e n A g ra rp o litik ü b e r. In a lle n L ä n d e rn e n ts ta n d eine um ­
fa n g re ic h e A g ra rb ü ro k ra tie , d ie sich e in sc h w e r ü b e rs c h a u b a re s A rsenal staatli
eher Interventionen a u f d e n P ro d u k t-, F a k to r^ jin d V o rleis tu n g s m ä rk te n zulegte
(G. Schmitt 1982, S. 136). D iese E in g riffe g in g e n w e it ü b e r d e n a lte n ZoHprotektion
i.sm u s h in a u s . Sie g ip fe ln im R a u m d e r EU in sog. M a rk to rd m m ^ e n fü r fast alle
A g ra rp ro d u k te . M it ih r e r H ilfe w ird in e in e m S y stem v o n M ä ß n a h m e n Angebot.
N a ch frag e u n d P re is e n tw ic k lu n g g e reg elt. D ie w e itg e h e n d e n Preis- u n d M engen-
¿ a r a n t i ^ fü h r te n in e in ig e n I n d u s tr ie lä n d e r n zu e in e m n e u e n P ro b lem , dem der
A k k u m u la tio n v o n Ü b e rsc h ü sse n . Jü n g e re A u fg a b e n fe ld e r d e r A g rarp o litik bilden
d ie A g rarso zial- u n d d ie U m w e ltp o litik .
2.4.2 Die regionale Differenzierung der Agrarpolitik
^ D er m o d e r n e n A g ra rp o litik lie g t e in B ü n d e l v o n Zielvorstellungen zu g ru n d e, die
in d e n e in z e ln e n S ta a te n s e h r u n te rs c h ie d lic h se in k ö n n e n , je n a c h ih re m volksw
irts c h a ftlic h e n E n tw ic k lu n g ssta n d . D ie Z iele d e r je w e ilig e n A g ra rp o litik hängen
^ e in m a l v o m S e lb stv e rso rg u n g sg ra d m it N a h ru n g s m itte ln , z u m a n d e re n von der
so z io ö k o n o m isc h e n S te llu n g d e r L a n d w irtsc h a ft in n e r h a lb d e r V olksw irtschaft
ab. N ach d ie s e n b e id e n K rite rie n la s s e n sic h d ie m e is te n S ta a te n d e r Erde in
fo lg e n d e d re i G ru p p e n e in te ile n :
- E n tw ic k lu n g s lä n d e r,
- e n tw ic k e lte L ä n d e r m it u n z u r e ic h e n d e r S e lb stv e rso rg u n g ,
- e n tw ic k e lte L ä n d e r m it A g ra rü b e rsc h ü sse n .
In d e n Entwicklungsländern k o m m e n d e r L a n d w irtsc h a ft v ie r z e n tra le Aufgaben
zu. Sie m u ß N a h ru n g s m itte l fü r d ie ra s c h w a c h s e n d e B e v ö lk e ru n g sow ie Rohstoffe
f ü r d ie e n ts te h e n d e V e ra rb e itu n g s in d u s trie p r o d u z ie re n , ü b e rsc h ü ssig e Arb
e itsk rä fte f ü r d e n s e k u n d ä re n u n d te r tiä r e n W irtsc h a ftsse k to r abgeben, einen
B e itra g f ü r d ie K a p ita la k k u m u la tio n in d e n n ic h tla n d w irts c h a ftlic h e n Sektoren
le is te n u n d sc h lie ß lic h d ie D ev isen f ü r Im p o rte e rw irts c h a fte n - falls n ic h t mine-

Politische Einflußfaktoren 85
ralische R ohstoffe d ie se F u n k tio n ü b e rn e h m e n . In d e n m e is te n E n tw ic k lu n g slä n ­
dern ist die w ic h tig ste A u fg ab e d e r A g ra rp o litik '^ ie 'F ro d ü k tio n s S te ig e ru n g z u r
S icherstellung d e r G ru n d v e rs o rg u n g . D er A g ra rp o litik ste lle n sic h d a b e i im P rin ­
zip lih n lic h e A u fg ab en w ie im E u ro p a d es 19. J a h rh u n d e rts : R e fo rm d e r E ig e n ­
tum s- u n d B e sitzv erh ältn isse, M a ß n a h m e n d e r L a n d e sk u ltu r, V e rb e sse ru n g d e r
A grartechnologien, des P fla n z e n - u n d T ie rm a te ria ls , d es B ild u n g sw e se n s u n d
nicht zuletzt d e r V orrats- u n d T ra n s p o rte in ric h tu n g e n .
N icht w en ig e E n tw ic k lu n g s lä n d e r h a b e n d ie L a n d w irts c h a ft z u g u n s te n d e r
In d u stria lisie ru n g v e rn a c h lä ssig t u n d d e n R e s s o u rc e n tra n s fe r v o m A g ra rse k to r
zu d en ü b rig e n W irtsc h a ftsse k to re n z u s e h r fo rc ie rt. E in b e lie b te s M ittel sin d
niedrige E rz e u g e rp re ise , d ie - im G e g e n sa tz z u d e n I n d u s tr ie lä n d e r n - u n te r
W eltm arktniveau g e h a lte n w e rd e n . D ie b illig e n N a h ru n g s m itte l b e d e u te n e in e n
E in k o m m en stran sfer z u g u n s te n d e r p o litisc h e in flu ß re ic h e n s tä d tis c h e n S c h ich ­
ten auf K osten d e r L a n d w irte . Z u n ie d rig e E rz e u g e rp re ise w e rd e n als H a u p tu r­
sache fü r e in e s ta g n ie re n d e , o d e r g a r rü c k lä u fig e A g r a r p r o d u k tio n T h A o elen
afrikanischen E n tw ic k lu n g s lä n d e rn a n g e se h e n , Bei d e n la n d w irts c h a ftlic h e n Exp
o rtp ro d u k te n b ild e t d ie D iffe re n z z w isc h e n d e n n ie d rig e n E rz e u g e rp re is e n u n d
den h ö h e re n W e ltm a rk tp re isen e in e w ic h tig e E in n a h m e q u e lle f ü r d ie S taatsk asse,
die zudem d e n V orteil h a t, d a ß sie a d m in is tra tiv e in fa c h z u e rh e b e n ist. D e ra rtig e
E xportabgaben w e rd e n b e isp ie lsw e ise a u f B a u m w o lle in Ä g y p ten , R eis in T h a i­
land, W eizen in A rg e n tin ie n , K affee in El S alv ad o r, B a n a n e n in M itte la m e rik a ,
Kaffee u n d K akao in w e s ta frik a n is c h e n L ä n d e rn e rh o b e n . V on e in e m a n g e m e sse ­
nen W eltm ark tp reis fü r d ie se E x p o rtp ro d u k te ist also n ic h t n u r d ie Z a h lu n g s b i­
lanz, so n d e rn au ch d e r S ta a ts h a u s h a lt v ie le r E n tw ic k lu n g s lä n d e r a b h ä n g ig . Es ist
daher v e rstän d lich , d a ß d ie E n tw ic k lu n g slä n d e r, d e re n E x p o rtp a le tte v ie lfa c h n u r
aus ein o d er zw ei A g ra rp ro d u k te n b e ste h t, d e n e x tre m e n P re is s c h w a n k u n g e n a u f
de*j W eltm ärkten m it H ilfe v o n internationalen Rohstoffabkommen b e g e g n e n
wollen. B isher g ibt es n u r f ü r K akao, K affee, Z u c k e r u n d Ju te d e ra rtig e R o h sto ffab ­
kom m en zw ischen d e n w ic h tig ste n E xport- u n d Im p o rtlä n d e rn (M. Hoffmeyer
1979). Sie b ezw eck en d u rc h in te rv e n tio n is tis c h e M a ß n a h m e n e in e P re isstab ilisierung.'^
W ä h re n d a b e r d ie In te rv e n tio n s m e c h a n is m e n a u f n a tio n a le r E b e n e -
w enn auch zu im m e n s e n K o sten - fu n k tio n ie re n , ist ih r W irk u n g sg ra d a u f in te r ­
nationaler E bene re c h t m a n g e lh a ft, w ie d ie e rh e b lic h e n P re is s c h w a n k u n g e n -
trotz R o h sto ffab k o m m en (s. T ab elle 2.5) - b e w e ise n . D as V e rla n g e n d e r E n tw ic k ­
lungsländer n a c h e in e m u m fa s s e n d e n A b k o m m e n fü r alle R o h sto ffe ist b is h e r a m
W iderstand d e r In d u s trie lä n d e r g e sc h e ite rt; es w ü rd e d ie m a rk tw irts c h a ftlic h e n
Prinzipien a u c h im z w isc h e n s ta a tlic h e n H a n d e l s ta rk e in s c h rä n k e n , n a c h d e m sie
auf n atio n aler E b en e b e re its r e d u z ie rt w u rd e n .
Die A grarm ärkte v ie le r entwickelter Länder w e ise n seit J a h re n (USA ab e tw a
1930, EU ab etw a 1970) e in p e r m a n e n te s U n g le ic h g e w ic h t a u f (Th. Heidhues 1977,
S. 114). Infolge des g e rin g e n B e v ö lk e ru n g s w a c h s tu m s u n d d e r g e rin g e n E in ­
kom m enselastizität d e r N a c h fra g e (s. K ap itel 2.2.3) w ä c h st d ie se la n g fris tig langsa-
Im internationalen Kaffeeabkommen wird jährlich die globale Exportmenge festgelegt, an
der Jedes Erzeugerland mit einer Quote beteiligt ist.

86 Allgemeine Einüußfaktoren des Agrarraumes
Abb.2.12;
Preisbewegung einzelner Agrarprodukte und Produktionsfaktoren 1970/71 - 1 992/93
(Index 1970/71 = 100; Quelle; AGRIMENTE 95, S. 26)
m e r als d ie P ro d u k tio n . D a ra u s e rg ib t sic h e in p e r m a n e n te r D ru c k au f die
A g ra rp re ise , d ie la n g s a m e r ste ig e n als d ie F a k to rk o ste n (A rbeit, B etriebsm ittel).
D er L a n d w irt g e rä t s o m it in d ie sog. P reis-K osten-S chere (s. A b b ild u n g 2.12). Er
re a g ie rt in a lle n I n d u s trie s ta a te n m it e in e r A u sw e itu n g d e r P ro d u k tio n je Betrieb
(ü b e r A u fsto c k u n g d e r B e trie b sflä c h e u n d E rh ö h u n g d e r F läch en p ro d u k tiv ität)
sow ie d u rc h Steigerung der Arbeitsproduktivität (ü b e r d ie R e d u z ie ru n g des Fak
to rs A rbeit). In d e r frü h e r e n B u n d e s re p u b lik D e u tsc h la n d e rh ö h te sich die Brutto-
B o d e n p ro d u k tio n v o n 34 M io. t GE (1950/51) a u f 62 M io. t GE (1979/80) und
86,7 M io. t im Ja h re 1989/90. D er W e rt d e r la n d w irts c h a ftlic h e n G esam tproduktio
n stie g v o n 18 M rd. DM (1955) b is 1990 a u f 72,55 M rd. DM. F ü r d ie Steigerung
d e r A rb e its p ro d u k tiv itä t fiel a b e r d e r R ü c k g a n g d e r la n d w irts c h a ftlic h e n Erwerbs
p e rs o n e n n o c h m e h r in s G ew icht. In d e r a lte n B u n d e s re p u b lik D eu tsch lan d verrin
g e rte sic h d ie Z ah l d e r b e trie b lic h e n A rb eitsk raftein h eiten ^® v o n 3,9 Mio. AK
(1950/51) b is 1993 a u f 646 000 AK, d .h . u m 83% (S tatist. Jb. ELF 1994, S. 58;
A g ra rb e ric h t 1995, S. 9). In d e n n e u e n L ä n d e rn e rb ra c h te n 1994 d ie 165 000 Besc
h ä ftig te n in d e r L a n d w irtsc h a ft 132 300 A K -E inheiten.
Als ein AK-Einheit wird eine voll beschäftigte Arbeitskraft im Alter von 16 bis unter 65
Jahre gerechnet; Arbeitskräfte im Alter von 14 bis 16 Jahren werden mit 0,5 AK-Einheiten und
im Alter über 65 Jahren mit 0,3 AK-Einheiten bewertet. Teilbeschäftigungen werden mit
entsprechenden Bruchwerten berücksichtigt.

Politische Einnußfaktoren 87
Die erh e b lic h g e ste ig e rte P ro d u k tio n w ird also v o n im m e r w e n ig e r P ro d u z e n te n
erbracht. Die S te ig e ru n g sra te n d e r A rb e its p ro d u k tiv itä t la g e n in d e n se c h z ig e r b is
achtziger Ja h re n so g a r ü b e r d e n e n a n d e r e r W irtsc h a ftsb e re ic h e . W u rd e n in d e r
B u n d esrep u b lik D e u tsc h la n d 1958/59 e rs t 16,5 t Gg^ e i d e e in h e ite n (GE) je AK
erzeugt, so w a r b is 1978/79 d ie L e istu n g a u f 65 t GE g e stie g e n . D ie M o b ilitä t d e r
H a u p tp ro d u k tio n sfa k to re n B o d en u n d A rb e it ist a b e r b e g re n z t; d ie A b w a n d e ru n g
aus der L a n d w irtsc h a ft v e rlä u ft in lä n g e re n F riste n , sie w ird e n d g ü ltig o ft e rs t im
G enerationsw echsel v o llzo g en . Als E rg e b n is des re la tiv la n g s a m e n A n stieg s d e r
E rzeugerpreise u n d d e r z ö g e rn d e n R e d u z ie ru n g des A rb e itsb e sa tz e s b le ib t in d e n
In d u strie lä n d e rn d e r A lten W elt d ie W e rtsc h ö p fu n g in ~ 3 e r L a n d w irtsc h a ft w e it
h in te r d e r in d e n ü b rig e n W irtsc h a ftsse k to re n z u rü c k , w ie a u s d e m B eisp iel d e r
B u n d esrep u b lik (T abelle 2.7) h e rv o rg e h t.
Tab. 2.7:
Die Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen
in der BR Deutschland
(Quelle: Agrarbericht 1982, MB, S. 32;
AGRIMENTE 95, S.37)
Land-und
Forstwirtschaft (DM)
übrige Wirtschaftsbereiche
(DM)
1971/72 1980/81 1989/90
10 523,- 17 785,- 36 322,-
27 527,- 36 975,- 73 511,-
D em nach e rb ra c h te e in L a n d w irt 1989/90 n u r 49 %d e r B ru tto w e rts c h ö p fu n g eines
B eschäftigten in d e n ü b rig e n W irtsc h a ftsb e re ic h e n , 1971/72 h a tte d e r W ert
erst bei 38,2 %gelegen. D er d a ra u s r e s u ltie re n d e E in k o m m e n s a b s ta n d trifft a u f
die B ereitschaft m o d e rn e r In d u s trie s ta a te n , ih re b e n a c h te ilig te n B e v ö lk e ru n g s­
g ruppen sozial a b z u sic h e rn .
Die U n te rsc h ie d e in d e r A g ra rp o litik d e r e n tw ic k e lte n S ta a te n e r k lä r e n sic h
hauptsäch lich au s d e n je w e ilig e n S e lb stv e rsq rg u n g sq u o te n . S ta a te n m it u n z u r e i­
chender S elb stv e rso rg u n g (Japan, G ro ß b rita n n ie n v o r B e itritt z u r EU, d ie B u n d e s­
republik D e u tsc h la n d in d e n fü n fz ig e r Jah re n , d ie frü h e r e n so z ia listisc h e n L änder)
zielen au f e in e S te ig e ru n g ih r e r e ig e n e n A g ra rp ro d u k tio n . D e m g e g e n ü b e r ist
die kleine G ru p p e e n tw ic k e lte r S ta a te n m it A g ra rü b e rs c h ü s s e n (USA, K an ad a,
A ustralien, die EU) b e m ü h t, d u r c h re s trik tiv e M a ß n a h m e n d ie P ro d u k tio n in
G renzen zu h a lte n . A uch d ie EU h a t in d e n m e is te n P ro d u k tb e re ic h e n in z w isc h e n
die S elb stv erso rg u n g e rre ic h t; b e i W eizen , B u tte r u n d Z u c k e r w e rd e n so g a r h o h e
Ü berschüsse p ro d u z ie rt (s. T ab elle 2.8).
2.4.3 Teilbereiche und Instrumente der Agrarpolitik
Welch vielfältige Z iele d ie A g ra rp o litik e in e s h o c h e n tw ic k e lte n S taates v erfo lg t,
soll am B eispiel d e r B u n d e s re p u b lik D e u tsc h la n d a u fg e z e ig t w e rd e n . Sie ist in
w ichtigen B e re ic h e n a lle rd in g s n ic h t m e h r a u to n o m , s o n d e r n v o n d e n E n t­
sch eid u n g sg rem ien d e r EU a b h ä n g ig . G esetzlich e G ru n d la g e n d e r A g ra rp o litik
sind das L an d w irtsc h a ftsg e setz v o n 1955 sow ie d ie A rtik el 39 u n d 110 d es EWG-
Vertrags.

88 Allgemeine Einflußfaktoren des Agrarrauines
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Politische Einñuüfaktoren 89
Tab. 2.8:
Der Selbstversorgungsgrad
der Europäischen Gemeinschaft
(in V. H.)
(Quellen: Statist. Jb. ELF 1975,
1983;AGRIMENTE 88,95)
1972/73 1980/81 1985/86 1991/92
Weizen 97 125 124 145
Getreide insges. 90 106 119 129
Kartoffeln 101 102 102 101
Zucker 92 127 133 123
Wein 89 100 ? 106
Rind- und Kaibfieisch 84 104 107 113
Schweinefieisch 100 101 102 103
Eier 99 102 102 102
Käse 102 107 108 110
Butter 106 114 125 105
In d e n jä h rlic h e n A g ra r b e r ic h te n d e r Bu n d e s r e p u b lik s te h e n d ie f o lg e n d e n
H auptziele g le ic h b e re ch tig t n e b e n e in a n d e r {A garbericht 1995, S. 89):
1. V erbesserung d e r L e b e n sv e rh ä ltn isse im lä n d lic h e n R a u m u n d T e iln a h m e d e r
in d e r Land- u n d F o rstw irtsc h a ft T ä tig e n a n d e r a llg e m e in e n E in k o m m e n s ­
u n d W o h lsta n d se n tw ic k lu n g ;
2. V ersorgung d e r B e v ö lk e ru n g m it q u a lita tiv h o c h w e rtig e n P ro d u k te n d e r A g ra r­
w irtschaft zu a n g e m e s s e n e n P re ise n ; V e rb ra u c h e rs c h u tz im E rn ä h r u n g s b e ­
reich;
3. V erb esseru n g d e r a g ra ris c h e n A u ß e n w irts c h a fts b e z ie h u n g e n u n d d e r W elte
rn äh ru n g slag e;
4. S ich eru n g u n d V e rb e s s e ru n g d e r n a tü r lic h e n L e b e n sg ru n d la g e n ; E rh a ltu n g
der bio lo g isch en V ielfalt; V e rb e s s e ru n g des T ie rsc h u tz e s.
Die e in zeln en Z iele s in d n u r u n te r B e rü c k sic h tig u n g v o n Z ie lk o n flik te n zu v e rfo l­
gen. So k o n k u rrie rt d ie V e rso rg u n g d e r V e rb ra u c h e r m it p re is w e rte n N a h ru n g s ­
m itteln (Ziel 2) m it d e r S te ig e ru n g d e r la n d w irts c h a ftlic h e n E in k o m m e n ; d ie
V erbesserung d e r A g r a r s tr u k tu r ist n ic h t o h n e E in g riffe in d e n L a n d sc h a ftshaushalt
- etw a b e i e in e r F lu rb e re in ig u n g - z u e rre ic h e n . B ei a lle r K ritik a n d e n
einzelnen Z ielen u n d M a ß n a h m e n (s. u .a. H. P r ie b e 1982, S. 102 - 116; G. Sc h m it t
1982, S. 133 - 148) m u ß d o c h fe stg e ste llt w e rd e n , d a ß d ie A g ra rp o litik d e r w e stlichen
In d u s trie lä n d e r d as Z iel d e r V e rs o rg u n g s s ic h e ru n g (Ziel 2) e rre ic h t h a t.
Diese relative S ic h e rh e it d a rf k e in e sw e g s m it A u ta rk ie v e rw e c h se lt w e rd e n . D er
relativ h o h e S e lb stv e rso rg u n g sg ra d d e r EU (s. T ab elle 2.8) b e r u h t a u f V o rle istu n ­
gen, die teilw eise a u f Im p o rte v o n E n e rg ie , R o h sto ffe n u n d F u tte rm itte ln h e rv o r­
gehen u n d d e re n W e rt v o n H . P r ie b e (1982, S. 104) m it w e n ig ste n ^ .40 % d e r
B ru ttoproduktion b e z iffe rt w ird .
Nach d en o.a. v ie r Z ie lse tz u n g e n k a n n d e r G e sa m tk o m p le x A g ra rp o litik in d ie
fünf T eilbereiche M arkt- u n d P re isp o litik , S tru k tu rp o litik , A g rarso z ia lp o litik , R e­
gionalpolitik u n d U m w e ltp o litik u n te rg lie d e rt w e rd e n . D as I n s tr u m e n ta r iu m einer
so g eg lied erten A g ra rp o litik w ird a u s Ü b e rsic h t 2.8 e rsic h tlic h .
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S
Markt- und Preispolitik
Preispetítík-i&i zw eiieflQ sJLm de.m .m jeisteix..Staaten d as K e rn stü c k
(je r .\grarpoliti]s„. W ie b e re its in K apitel 2.2.3 a u s g e fü h rt, d o m in ie rt d ie fre ie P re isbildung
aus d e m fu n k tio n a le n Z u s a m m e n s p ie l v o n A n g e b o t u n d N a ch frag e fast

90 Allgemeine Einfíuüfaktoren des Agrarraumes
ГіЯЙ
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n u r n o c h a u f d e n W e ltm ä rk te n , d .h . im z w isc h e n sta a tlic h e n A g rarh an d el. Die
P re is b ild u n g a u f d e n B in n e n m ä rk te n ist d a g e g e n f ü r d ie H a u p tn a h ru n g sm itte l
v o m W e ltm a rk t a b g e k o p p e lt, sie b ild e t e in a g ra rp o litisc h e s L e n k u n g sm itte l in der
H a n d des S taates. W ie s e h r d ie n a tio n a le n P re isn iv e a u s v o n e in a n d e r abw eichen,
zeigt A b b ild u n g 2.13 D abei w e rd e n d ie E rz e u g e rp re ise f ü r R in d e r, Schw eine und
M ilch in sech s u n te rs c h ie d lic h p ro te k tio n is tis c h e n S ta a te n m it d e n e n Neuseela
n d s v e rg lic h e n , d as w e ltw e it d as n ie d rig s te P re isn iv e a u a u fw e ist. Es zeigt sich,
d a ß d ie N e u s ie d lu n g s lä n d e r USA u n d A u stra lie n e rw a rtu n g s g e m ä ß zu d e n Niedr
ig p re is lä n d e rn z ä h le n , d ie EU n im m t e in e Z w isc h e n p o sitio n ein , d ageg en liegt in
S c h w ed en , Ja p a n u n d in d e r S ch w eiz d a s P re isn iv e a u fü r R in d fle isc h u n d Milch 4
b is 7 m al ü b e r d e m n e u se e lä n d isc h e n ! D iese e n o rm e D iffe re n z ie ru n g d e r nationale
n P reise, d ie b e i g e w e rb lic h e n G ü te rn u n b e k a n n t ist, lä ß t sic h n ic h t m e h r mit
u n te r s c h ie d lic h e n ö k o n o m is c h e n o d e r n a tü r lic h e n S ta n d o rtfa k to re n erklären.
D as h o h e(P reisn iv eax ^ fü r d ie K o p p e lp ro d u k te M ilch u n d R in d fle isch ist v o r allem
a u f di^e E in k o m m e n s fu n k tio n e n z u rü c k z u fü h re n , d ie sie in d e r A lten W elt für
Ы Ііп е L andw drte ЬаБёЩ ТАЖ І1‘ІШХШТІГі^кѳ8Тг52 Í982TS. 233).~
ln d e n e n tw ic k e lte n S ta a te n h a b e n d ie A g ra rp re ise h e u te p r im ä r E inkom m ensfu
n k tio n e n f ü r d ie E rz e u g e r. Ih re H ö h e w ird d a h e r w e n ig e r d u rc h d e n M arkt, als
v ie lm e h r v o n d e n P ro d u k tio n s k o s te n d u r c h s c h n ittlic h e r B e trie b e (P rinzip der
„ k o ste n g e re c h te n P re ise “) so w ie v o n d e n E in k o m m e n s e rw a rtu n g e n d e r Landw ir
te in R e la tio n z u v e rg le ic h b a re n B e ru fe n (P rin z ip d e r „ E in k o m m e n sp a ritä t“) vorg
egeben. In d e r EU s te u e rn sog. Marktordnungen A n g eb o t, N ach frag e u n d Preis
fü r fo lg e n d e A g ra rp ro d u k te : G e tre id e , R eis, Z u ck er, Ö le u n d F ette, O bst u n d Gem
ü se , le b e n d e P fla n z e n u n d W a re n d es B lu m e n h a n d e ls , W ein , H o p fen , Rohtabak.
F lachs u n d H a n f, T ro c k e n fu tte r, S a a tg u t, M ilch u n d M ilc h e rz e u g n isse , Rind-.
S chw eine-, Schaf-, Z iegen- u n d G eflü g elfleisch , E ier, S e id e n ra u p e n (H. Pacyna
1983, S. 85). A b b ild u n g 2 .1 4 « v e ra n sc h a u lic h t d e n M e c h a n ism u s d e r EU-Marktordn
u n g f ü r G etre id e . D ie w ic h tig ste G rö ß e ist d e r Richtpreis, d e r jä h rlic h vom Minis
te rra t f ü r e in W irtsc h a ftsja h r fe stg e le g t w ird . E r^oIT T u rT n län d isch es G etreide auf
d e r G ro ß h a n d e ls s tu fe im H a u p tz u s c h u ß g e b ie t (D u isb u rg -M a n n h e im ) erzielt wer
d e n . S in k t d e r B in n e n p re is b is z u m Interventionspreis ab, m u ß d ie E infuhr- und
V o rra tsste lle S tü tz u n g sk ä u fe v o rn e h m e n . Bei d e r E in fu h r w ird d e r n ied rig ere cif
W e ltm a rk tp re is v o n R o tte rd a m d u rc h v a ria b le A b sc h ö p fu n g e n a u f d e n Schwellenpreis
a n g e h o b e n , d e r sic h a u s R ic h tp re is a b z ü g lic h T ra n s p o rtk o s te n zum
H a u p tz u s c h u ß g e b ie t e rre c h n e t. B ei d e r A u s fu h r v o n G e tre id e e rh ä lt um gekehrt
d e r E x p o rte u r d ie D iffe re n z z w isc h e n S c h w e lle n p re is u n d W e ltm a rk tp reis als
E rsta ttu n g .
In I m p o rtlä n d e rn e rm ö g lic h t d ie u m g e k e h rte A n w e n d u n g d es A bschöpfungssy
ste m s e in e H e ra b s c h le u s u n g z u h o c h e m p f u n d e n e r W e ltm a rk tp re ise auf ein
a n g e stre b te s B in n e n p re is n iv e a u , e in e M a ß n a h m e , d ie z.B. v o n Ja p a n b ei Getreide
p ra k tiz ie rt w ird (Th. Heidhues 1977, S. 116).
In d e r EG h a tte n d ie A g ra rü b e rsc h ü sse in d e n a c h tz ig e r J a h re n e in derartiges
A u sm a ß a n g e n o m m e n , d a ß sie fü r d ie ö ffe n tlic h e n H a u sh a lte n ic h t m e h r finanz
ie rb a r w a re n . F o lg lich b e sc h lo ß d e r A g ra rm in is te rra t 1992 e in e Reform der
Agrarpolitik. D ie In te rv e n tio n s p re is e f ü r w ic h tig e P ro d u k te w u r d e n d rastisch gese
n k t. B e isp ielsw eise s a n k d e r P reis f ü r e in e D e z ito n n e W e ic h w e izen v o n DM 46,20

Politische EinfìuMaktoren 91
Abb. 2.13:
Die durchschnittlichen
Erzeugerpreise in den
Jahren 1977 - 79 für
Rinder, Schweine und
Milch in ausgewählten
Ländern bezogen auf
die Preise Neuseelands
(=100)
Quelle: S. Tangermann
u. W. Krostitz 1982,
S. 236)
v.H.
Abb. 2.14:
Schematische Darstellung
der Preisgestaltung
für
Getreide in der EG
(Quelle: F. W. Henning
1978, S. 275, ergänzt)
Schwellenpreis
W eltmarktpreis
WELTiyiARKT
, ^
Abschöpfung
BINNENMARKT
Richtpreis
Interventionspreis
Erstattung
(1980) au f DM 27,10 (1993/94; AGRIM ENTE 95, S. 25). Z u m A u sg leich d e r fin a n z i­
ellen E in b u ß e n e rh ie lte n d ie B a u e rn d ire k te A u sg le ic h sz a h lu n g e n v o n d u rc h ­
schnittlich DM 1100,-/h a . D a fü r m u ß te n a b e r 1 0 - 1 5 % d e r G e tre id e flä c h e stillgelegt
w erd en , w e n n e in L a n d w irt d ie A u sg le ic h sz a h lu n g e n b e a n tra g te . D iese
M aßnahm en fü h rte n z u e in e r R e d u z ie ru n g d e r G e tre id e flä c h e in D e u tsc h la n d
von 7,7 Mio. h a (1980) a u f 6,2 M io. h a (1993) u n d z u e in e m v e rs tä rk te n E in sa tz
ein h eim isch en G etre id e s b e i d e r V ie h fü tte ru n g a u f K o sten im p o r tie r te r F u tte r­
m ittel.
Auch a u ß e rh a lb d e r EG w u r d e n a u sg e fe ilte M e c h a n ism e n z u r B e e in flu ssu n g
der Preise enhvickelt. Festpreise g e lte n in K rie g sw irtsc h a fte n , in d e n P la n w irtschaften
d e r so z ia listisc h e n S ta a te n (d o rt oft in d u a lis tis c h e r F orm ; d e n F e stp re i­
sen d er S taatsläd en s te h e n d ie fre ie n P re ise d e r B a u e rn m ä rk te g e g e n ü b e r) sow ie
in vielen E n tw ic k lu n g slä n d e rn f ü r d ie je w e ilig e n G ru n d n a h ru n g s m itte l. D ie USA
kennen seit Roosevelts N ew D eal e in S y stem sta a tlic h e r Preisgarantien fü r d ie

92 Allgemeine EinHußfaktoren des Agrarraumes
w ic h tig ste n A g ra rp ro d u k te . U m d ie P ro d u k tio n a n z u re g e n , lie g e n in vielen S t u ­
te n d ie E rz e u g e rp re ise ü b e r d e n V e rb ra u c h e rp re is e n ; d ie D ifferen z, iiiu ß ,v o n t o
S taatsk asse g e tra g e n w e r d e n . D as g a lt z.B. f ü r B rot, F leisch u n d E ie r in d e r DDR,
a b e r a u c h in Ja p a n f ü r R eis. In G r o ß b rita n n ie n w u rd e v o r d e m B e itritt des Landes
z u r EG d a s S y stem d e r „d e fic ie n cey p a y m e n ts “ p ra k tiz ie rt. D abei z a h lte d e r Staat
d ie D ifferen z z w isc h e n d e n g a ra n tie rte n E rz e u g e rp re is e n u n d d e n niedrigeren
M a rk tp re ise n , d ie sic h n a c h A n g eb o t u n d N ach fra g e e n tw ic k e ln k o n n te n , direkt
a n d e n E rz e u g e r. D as S y ste m so rg te f ü r p re is g ü n s tig e N a h ru n g s m itte l, garantierte
d e n L a n d w irte n e in e n a n g e m e s s e n e n P reis, b e la s te te a b e r d e n S taatshaushalt
e rh e b lic h .
W ichtig e M a ß n a h m e n au s d e m re ic h h a ltig e n A rse n a l d e r M arkt- u n d Preispolitik
b ezw e c k en d ie Senkung der Produktionskosten. In a lle n In d u strie lä n d e rn
trä g t d ie L a n d w irtsc h a ft n u r n o c h _eine .m in im a le Steuerlast, w ä h re n d in vielen
E n tw ic H u n g sT a rid e rn d e r p r im ä r e S ek to r, d e r ja v ie lfa c h n o c h d e n Löw enanteil
des S o z ia lp ro d u k ts e rw irts c h a fte n m u ß , r e la tiv J io c h b e s te u e rt w i ^ . (W. 3. Morgan
1977, S. 123). S p ezielle K re d ite in ric h tu n g e n u n d Z in sv e rb illig u n g e n erleichte
r n in d e n e n tw ic k e lte n S ta a te n d ie In v e s titio n e n . In E n tw ic k lu n g slä n d e rn bildet
d e r A u fb au ein e s landwirtschaftlichen Kreditwesens e in w ic h tig e s A nliegen der
E n tw ic k lu n g sp o litik ; h ä u fig h a b e n k le in b ä u e rlic h e G ru p p e n k a u m Z u g an g zum
K re d itm a rk t u n d s in d a u f W u c h e re r a n g e w ie se n . W e ite re M ittel z u r S en k u n g der
P ro d u k tio n s k o s te n s in d s u b v e n tio n ie rte _ P re ise f ü r B e trie b sm itte l. In d e r B undesre
p u b lik D e u tsc h la n d k o ste t d ie sog. G a sö lv e rb illig u n g d e n B u n d e sh a u sh a lt 1993
ca. 840, 5 M io. DM.
Die Steuerung der Angebotsmenge k a n n b e im E rz e u g e r a n s e tz e n d u rc h Festleg
u n g v o n L ie fe rk o n tin g e n te n (z.B. f ü r Z u c k e rrü b e n in d e r EU), F ix ieru n g von
A n b a u flä c h e n (z.B. R e b la n d in d e r EU) o d e r - m it w e n ig e r E rfo lg - d u rc h Erheb
u n g v o n sog. E rz e u g e ra b g a b e n (z.B. f ü r M ilch in d e r EU). M a ß n a h m e n zu r Verr
in g e ru n g d es A n g eb o ts s in d a u c h A b s c h la c h tp rä m ie n fü r M ilc h k ü h e in d er EU.
F lä c h e n s tille g u n g s p rä m ie n in d e n USA u n d in Ja p a n (fü r N a ß re isla n d ) sowie
R o d u n g s p rä m ie n (in d e r EU fü r O b stb ä u m e , in B ra silie n fü r K affeesträucher). Ein
letztes u n d a n g e sic h ts d e r N a h ru n g s m itte lk n a p p h e it in d e n E n tw ick lu n g slän d ern
s e h r u m s tritte n e s M itte l z u r R e d u z ie ru n g d es A n g eb o ts b ild e n d ie D en atu rieru n g
u n d V e rn ic h tu n g v o n A g ra rp ro d u k te n . D ie b ra s ilia n is c h e R e g ie ru n g vernichtete
z w isc h e n 1930 u n d 1943 m e h r als 70 M io. S ack K affee (1 S ack = 60 kg) durch
V e rb re n n e n , V e rh e iz e n in L o k o m o tiv e n o d e r V e rse n k e n im O z e a n (G. Kohlhepp
1974, S. 429). D ie EU lä ß t jä h r lic h e tw a 20 M io. h l T a fe lw e in zu Industriealk o h o l
d e s tillie re n u n d ü b e rs c h ü s s ig e M ilch in F o rm v o n M ilc h p u lv e r z u V ie h fu tte r vera
rb e ite n (A g ra rb e ric h t 1995, MB, S. 127). ^ a a tlic h e A nkaufs- u n d Vor r a tsstellen -
in d e r B u n d e s re p u b lik D eu ts c h la n d d ie B u n d e s a n s ta lt f ü r la n d w irtsch aftlich e
M a r k to r d n u n g (BALM) - n e h m e n sa iso n a le Ü b e rsc h ü sse a u s d e m M arkt (z.B.
F leisch n a c h d e m A lm a b trie b ) u n d v e r h ü te n so P re is e in b rü c h e w ä h re n d sie bei
V e rk n a p p u n g s e rs c h e in u n g e n d e n P re is a u ftrie b d u r c h V e rk a u f ih r e r Bestände
d ä m p fe n k ö n n e n .
W eit sc h w ie rig e r als d as A n g eb o t ist d ie Nachfrage zu s te u e rn , vorausgesetzt,
d a ß N a h ru n g s m itte l a u s re ic h e n d v o rh a n d e n sin d . In Z e ite n d e r N a h ru n g sm ittelk
n a p p h e it ist d a g e g e n d ie R a tio n ie ru n g d a s k la ssisc h e M itte l d e r Nachfragefc
>

Politische Einflußfaktoren 93
Steuerung u n d d e r g e re c h te n V e rte ilu n g . E in g eläu fig es M ittel d e r N a c h fra g e ­
ste u e ru n g ist seit d e m M itte la lte r d e r V e rw e n d u n g s- u n d B e im isc h u n g sz w a n g ; e r
w ird in d e r B u n d e s re p u b lik g e g e n w ä rtig n o c h f ü r R apsöl (bei d e r M a rg a rin e h e r­
stellung) u n d fü r d e u ts c h e n T a b a k a u sg e ü b t. Bei a u s ta u s c h b a re n N a h ru n g s- u n d
G e n u ß m itte ln g reift d e r S ta a t seit J a h r h u n d e r te n d u rc h u n te rs c h ie d lic h e fisk alische
B e lastu n g en (Zölle, V e rb ra u c h s s te u e rn ) s te u e r n d in d ie K o n su m g e w o h n ­
heiten sein e r B ü rg e r e in (B u tte r - M a rg a rin e , K affee - T ee, B ier - W ein). E in M ittel
d er N ach fra g esteig e ru n g ist d ie A bgabe v o n N a h ru n g s m itte ln z u V o rz u g sp re ise n
(„W eih n ach tsb u tter“, S c h u lm ilc h ), w o b e i d e r S taat d ie D iffe re n z trä g t.
S ch ließ lich b e d ie n t sic h d ie A g ra rb ü ro k ra tie a u c h m o d e r n e r W erb e- u n d
M a rk etin g m eth o d en u m d e n A b satz z u fö rd e rn u n d n e u e R e g io n a lm ä rk te zu
erschließen.
Strukturpolitik
U nter Strukturpolitik w e rd e n im A g ra rb e re ic h alle M a ß n a h m e n z u r V e rb e sse ru n g
ТІРГ PrnftiiktÍQjÜ!-~üñ~d ^ rTiñüsbedinpjiíng^^ ѴеШаттгІетг.-----
In d en E n tw ic k lu n g slä n d e rrT n e g T ria s S c h w e rg e w ic h t d e r S tru k tu rp o litik a u f
der R eform d e r E ig e n tu m s- u n d B e sitz v e rh ä ltn isse u n d a u f d e r B o d e n b e w irtsc h a f­
tu n g srefo rm z u r S te ig e ru n g d e r P ro d u k tio n . B eide M a ß n a h m e n b ild e n d ie H a u p t­
bestandteile d e r Agrarreformen in d e n L ä n d e rn d e r D ritte n W elt. D a ru n te r v e r­
steht m a n n a c h F. K u h n e n (1967, S. 327 - 360) fo lg e n d e ii M a ß n a h m e n :
1. B o d en b esitzrefo rm
- U m v erteilu n g des B o d e n e ig e n tu m s,
- In d iv id u a lis ie ru n g d e s B o d e n e ig e n tu m s (P riv a tis ie ru n g d es K o lle k tiv e ig e n ­
tum s),
- B ildung v o n P ro d u k tio n s g e m e in s c h a fte n ,
- V erb esseru n g des P a c h tw e se n s (E rh ö h u n g d e r P a c h tsic h e rh e it, Ü b e rg a n g z u r
G eldpacht, B e g re n z u n g des P a c h tz in se s, B e se itig u n g d e r A fterp ach t).
2. B o d e n b e w irtsc h a ftu n g srefo rm
- V erb esseru n g d e r P ro d u k tio n s te c h n ik ,
- Ü bergang v o n S u b sisten z- z u M a rk tp ro d u k te n ,
- O rg an isatio n des M a rk tw e se n s,
- O rg an isatio n des K re d itw e se n s.
A grarreform en w u rd e n b is h e r in d e n m e is te n L ä n d e rn d e r D ritte n W elt - a u sg e ­
nom m en in A frika s ü d lic h d e r S a h a ra - m it m e h r o d e r w e n ig e r E rfo lg d u rc h g e ­
führt. R äum liche B eispiele f ü r tie fg re ife n d e R e fo rm e n b ie te n in s b e s o n d e re M exiko,
Kuba, A lgerien, Ä g y p ten , S y rie n , Ira k , Ira n , P a k ista n , In d ie n , In d o n e s ie n ,
P hilippinen, T aiw an, K orea, Jap an .
ln den In d u s trie lä n d e rn E u ro p a s w u r d e n d ie S tru k tu rp ro b le m e , m it d e n e n d ie
Staaten d e r D ritte n W elt h e u te z u k ä m p fe n h a b e n , in d e r R egel b e re its im 19. o d e r
ln der Bundesrepublik Deutschland wurde 1970 die „Centrale Marketinggesellschaft der
deutschen Agrarwirtschaft“ (CMA) als zentraler Fonds für Absatzförderung gegründet.
Daneben existieren Marketinggesellschaften auf Länderebene.

94 Allgemeine Einflußfaktoren des Agrarraumes
frü h e n 20. J a h r h u n d e r t gelöst, d ie S tru k tu rp o litik s te h t v o r v ö llig a n d e re n Aufgab
e n . Ih re Z ie lse tz u n g e n h a b e n sich v o n M a ß n a h m e n d e r a llg e m e in e n Landeskultu
r (D ränage, B o d e n m e lio ra tio n ) a u f k o m p le x e re A u fg a b e n w ie F lu rb erein ig u n g
u n d V e rb e sse ru n g d e r L e b e n sv e rh ä ltn isse im lä n d lic h e n R a u m v e rlag ert. Die bund
e sd e u tsc h e S tru k tu rp o litik u n te rs c h e id e t d a b e i e in z e lb e trie b lic h e M aßnahm en
(gezielte In v e s tio n s fö rd e ru n g v o n la n g fris tig e x iste n z fä h ig e n V ollerw erhsbetrieb
en ) v o n d e n ü b e rb e trie b lic h e n in f r a s tr u k tu r e lle n M a ß n a h m e n (J. E r t l 1980).
N e b e n k o n k r e te n M a ß n a h m e n w ie F lu rb e re in ig u n g , A u s s ie d lu n g u n d Dorfern
e u e r u n g s in d h ie r a u c h d ie fin a n z ie lle n A n reize z u r B etrie b sa u fg a b e (Landabg
a b e re n te , U m sc h u lu n g sb e ih ilfe n ) so w ie R e fo rm e n d es E rb re c h ts z u n e n n e n . Der
k la ssisc h e G e g e n sa tz v o n R e a lteilu n g s- u n d A n e rb e n g e b ie te n , d e r im B undesgeb
ie t n o c h b is M itte d e r se c h z ig e r Ja h re fe stste llb a r w a r (H. R o h m 1962), h at sich
h e u te d e facto z u g u n s te n d es A n e rb e n re c h ts a u fg e h o b e n (G. Sc h r e in e r 1975,
S. 483).
In d e r B u n d e s re p u b lik D e u tsc h la n d w e rd e n d ie s tru k tu rp o litis c h e n M aßnahm
e n se it 1973 n a c h d e m G esetz ü b e r d ie G e m e in sc h a ftsa u fg a b e „Verbesserung
der Agrarstrukur und des Küstenschutzes“ v o n B u n d u n d L ä n d e rn im V erhältnis
60 :4 0 g e m e in s a m fin a n z ie rt. A u ß e rd e m e x istie re n F ö rd e rp ro g ra m m e des Euro
p ä isc h e n R e g io n a lfo n d s u n d d es E u ro p ä is c h e n S o zialfo n d s z u r E n tw ick lu n g des
lä n d lic h e n R a u m e s. S c h w e rp u n k te d e r E n tw ic k lu n g s m a ß n a h m e n sin d die Dorfe
rn e u e ru n g , V e rb e s s e ru n g d e r lä n d lic h e n I n f r a s tr u k tu r (W egenetz), F lurbereinig
u n g , w a sse rw irts c h a ftlic h e M a ß n a h m e n , L a n d sc h a ftsp fle g e u n d d e r ländliche
T o u rism u s. D ie Strukturpolitik für den ländlichen Raum g e h t h e u te w eit über
a g ra rte c h n is c h e M a ß n a h m e n h in a u s . In d e r B u n d e s re p u b lik D eu tsch lan d sind
etw a 80 %d e r F läch e u n d r u n d d ie H älfte d e r B e v ö lk e ru n g d e m lä n d lic h e n Raum
z u z u o rd n e n (AGRARBERICHT, 1995, S. 113). S eit B e g in n d e r In d u stria lisie ru n g -
v e rs tä rk t seit d e m Z w e ite n W e ltk rie g - m u ß te e r v ie lfä ltig e E ro sio n sersch ein u n ­
g e n h in n e h m e n . D u rc h s tä n d ig e B e v ö lk e ru n g sv e rlu ste u n d S c h ru m p fe n d e r ländlic
h e n W irtsc h a ftsp o te n tia le w ie L and- u n d F o rstw irtsc h a ft, D o rfh a n d w e rk gerät
d e r lä n d lic h e R a u m in G e fa h r, z u m a b h ä n g ig e n A rm e n h a u s des S taates zu w eid
en (G. H e n k e l 1995, S. 196). V o rd rin g lic h ste A u fg ab e d e r sta a tlic h e n Förder
P o litik ist h e u te d ie S c h a ffu n g n e u e r E rw e rb sq u e lle n . „Z u r S tä rk u n g d e r Funktio
n sfä h ig k e it d e s lä n d lic h e n R a u m e s u n d z u r V e rb e sse ru n g d e r L ehensverhältn
isse d e r d o rt le b e n d e n M e n sc h e n m ü s s e n la n d w irts c h a ftlic h e u n d n ich tlan d ­
w irtsc h a ftlic h e E x iste n z m ö g lic h k e ite n e r h a lte n u n d n e u g e sc h a ffe n w erd en . Dazu
b e d a rf es ein e s in te g r ie r te n A n satzes v e rs c h ie d e n e r P o litik b e re ic h e “ (A grarbericht
1995, S. 113).
D ie E rg e b n isse d e r S tru k tu r- u n d R a u m o rd n u n g s p o litik fü r d e n ländlichen
R a u m s in d in a lle n In d u s trie s ta a te n e n ttä u s c h e n d . D ie rie sig e n T ran sfersu m m en
z u g u n s te n d e r L a n d w irtsc h a ft ä n d e r n o ffe n sic h tlic h n ic h ts a n d e r T atsache, daß
sich d ie D is p a ritä te n z w isc h e n d e n s tä d tis c h e n A g g lo m e ra tio n e n u n d d e m ländlic
h e n R a u m w e ite r v e rs c h ä rfe n (G. H e n k e l 1995, S. 212).
Agrarsozialpolitik
U n te r d e m w e itg e s p a n n te n B egriff d e r Agrarsozialpolitik w e rd e n verschiedene
M a ß n a h m e n v e rs ta n d e n , je n a c h d e m in w e lc h e m so z io ö k o n o m isc h e n Entwick­

Politische Einnußfaktoren 95
lu n g sstad iu m sich d as b e tre ffe n d e L an d b e fin d e t. In d e r B u n d e s re p u b lik D e u tsc h ­
land zielt die A g ra rso z ia lp o litik a u f d ie E in b e z ie h u n g d e r la n d w irts c h a ftlic h e n
B evölkerung in d ie S y stem e d e r so z ia le n S ic h e rh e it. W ä h re n d d ie la n d w irts c h a ftliche
U n fa llv e rsic h e ru n g b e re its a u f das Ja h r 1886 z u rü c k g e h t, w u r d e n e rs t 1957
die A ltersv ersich eru n g u n d 1972 d ie g e se tz lic h e K ra n k e n v e rs ic h e ru n g s p flic h t fü r
Landw irte geschaffen. D a e in e r s c h ru m p fe n d e n Z ah l v o n B e itra g sz a h le rn e in e
w achsende Z ahl v o n E m p fä n g e rn g eg en ü b ersteh t^® , e rfo rd e rn d ie so z ia le n N etze
w achsende Z u sc h ü sse a u s d e r S taatsk asse. Die S o z ia la u sg a b e n im B u n d e s a g ra r­
haushalt stieg en v o n 860 M io. DM (1970) ü b e r 3,7 M rd. DM (1981) a u f 7,56 M rd.
DM im Jahre 1996. V on d ie s e r S u m m e g in g e n 0,6 M rd. DM a n d ie U n fa llv e rsic h e ­
rung, 2,2 M rd. DM a n d ie K ra n k e n v e rs ic h e ru n g u n d 4,1 M rd. DM a n d ie A lte rsh ilfe.
Das System d e r so z ia le n S ic h e rh e it f ü r d ie L a n d w irte ist in D e u tsc h la n d h e u te
geschlossen. V on d e n G e sa m ta u s g a b e n v o n 16 M rd. DM in d e n H a u s h a lte n v o n
Bund u n d L ä n d e rn f ü r d ie L a n d w irtsc h a ft e n tfie le n r u n d 45 %a u f d ie S o zialp o ­
litik.
In d en E n tw ic k lu n g slä n d e rn ist a n e in d e ra rtig e s so ziales N etz n ic h t z u d e n ­
ken. A llenfalls k a n n d ie A g ra rp o litik d ie L e b e n sv e rh ä ltn isse d e r k le in b ä u e rlic h e n
und lan d lo sen G ru p p e n ü b e r d ie P reis- u n d S tru k tu rp o litik z u b e s s e rn v e rs u c h e n .
Regionalpoütik
Die Regionalpolitik, d .h . d ie B e m ü h u n g e n z u m A b b a u re g io n a le r D isp a ritä te n ,
spielt in d e r A g ra rp o litik d e r m e is te n S ta a te n n u r e in u n te rg e o rd n e te R olle. Die
allgem eine A g ra rp o litik w irk t m e is t n u r sek to ral, sie b e rü c k s ic h tig t se lte n d ie
räum lichen D isp a ritä te n des A g ra rra u m e s a u fg ru n d w irts c h a ftlic h e r u n d n a tü r licher
F aktoren. D em e u ro p ä is c h e n R e g io n a lfo n d s d e r EU - e r fö rd e rt k e in e sw e g s
nur la n d w irtsc h a ftlic h e P ro je k te - s ta n d e n 1993 in s g e s a m t 11,4 M rd. ECU (23,2
Mrd. DM) z u r V erfü g u n g , w ä h r e n d im g le ic h e n Ja h r f ü r d ie M a rk to rd n u n g e n d ie
dreifache S u m m e, n ä m lic h 34,59 M rd . ECU (67,45 M rd. DM) a u fg e w a n d t w u rd e n
(H. Pacyna 1994, S. 55; AGRIM ENTE 95, S. 52). Da d e r G ro ß te il d ie s e r S u b v e n tio ­
nen aus d e r M arkt- u n d P re is p o litik a n d ie p ro d u z ie rte M en g e g e b u n d e n ist,
w erden die a g ra risc h e n G u n s trä u m e m it h o h e r F lä c h e n p ro d u k tiv itä t so g a r n o c h
kum ulativ b e g ü n stig t.
Zu den reg io n al b e g re n z te n F ö rd e rp ro g ra m m e n z ä h le n d ie H ilfe n f ü r B e rg b a u e rn
in einigen S taaten . D ie A lp e n lä n d e r g e w ä h re n B e w irts c h a ftu n g s p rä m ie n u n d
D irektzahlungen, d a m it d ie a lp in e K u ltu rla n d s c h a ft e rh a lte n b le ib t. S eit d e m
_Hill F arm in g Act“ v o n 1946 z a h lt d ie b ritis c h e R e g ie ru n g ih r e n „H ill F a r m e r n “
zusätzliche S u b v e n tio n e n . In d e r B u n d e s re p u b lik D e u tsc h la n d e rh a lte n B e trieb e
in b e n a c h te ilig te n G e b ie te n m it „ e x tre m u n g ü n s tig e n S ta n d o r tb e d in g u n g e n “
eine A u sg leich szu lag e. Im J a h re 1991 w u r d e n im f r ü h e r e n B u n d e s g e b ie t a n
‘“Zwischen 1962 und 1993 verringert sich in der Bundesrepublik Deutschland die Zahl der
Beitragspflichtigen zu den landwirtschaftlichen Alterskassen von 815 000 auf 417 000, gleichzeitig
stieg die Zahl der Empfänger von Altershilfe von 330 000 auf 529 000. Die Aufwendungen
von 4,847 Mrd. DM mußten zu 78 %aus Bundeszuschüssen gedeckt werden (H. Pa c y n a
1994. S. 14). Nur 22 %der Ausgaben wurden durch die Beiträge der Landwirte gedeckt.

96 Allgemeine EinHußfaktoren des Agrarraumes
Abb. 2.15; Benachteiligte Gebiet in Deutschland (Quelle; Raumordnungsbericht 1993, S. 125)

Politische Einflußfaktoren 97
238 300 B etriebe in s g e s a m t 237 M io. DM o d e r DM 3 093,- je B e trie b v e rte ilt. S eit
1992 sin d a u c h d ie n e u e n B u n d e s lä n d e r in d ie F ö rd e ru n g d e r b e n a c h te ilig te n
G ebiete ein b ezo g en . Im v e re in te n D e u tsc h la n d sin d n u n m e h r 9,4 M io. h a o d e r
50,6 %d e r LF als b e n a c h te ilig te G e b ie te au sg e w ie se n (H. Pa c y n a 1994, S. 20; vgl. a.
A bbildung 2.15).
A bgesehen v o n d ie se n F ö rd e rm a ß n a h m e n fü r A g ra rb e trie b e im R a h m e n d ire k ­
ter P rogram m e p ro fitie rt d ie L a n d w irtsc h a ft in d ire k t v o n d e r a llg e m e in e n R egionalpolitik,
d e re n F ö rd e rg e b ie te ja ü b e rw ie g e n d p e rip h e re , lä n d lic h e R ä u m e m it
hohen A nteilen la n d w irts c h a ftlic h e r E rw e rb s p e rs o n e n sin d . B e k a n n te B eisp iele
sind das T ennessee-V alley-P rojekt au s d e n d re iß ig e r J a h re n , so w ie d ie ita lie n i­
schen M ezzo g io rn o -P ro g ram m e, d ie a n fa n g s, zu B e g in n d e r fü n fz ig e r Ja h re , d e r
E ntw icklung d e r L a n d w irtsc h a ft e in d e u tig e P rio ritä t e in rä u m te n . A u ch in d e r
frü h eren B u n d e s re p u b lik w u r d e n im R a h m e n v o n E m s la n d p ro g ra m m , P ro ­
gram m N ord, K ü ste n p la n u n d Z o n e n ra n d fö rd e ru n g d ie P ro d u k tio n s b e d in g u n ­
gen d er L a n d w irtsch aft in d ie s e n R e g io n e n e rh e b lic h v e rb e sse rt.
Umweltpolitik
Die Umweltpolitik h a t in n e rh a lb d e r A g ra rp o litik d e r m e is te n S ta a te n d e n g e rin g ­
sten S tellenw ert, a u c h w e n n o ffizielle V e rö ffe n tlic h u n g e n d as G e g e n te il b e h a u p ­
ten. So stellt d e r A g ra rb e ric h t 1995 (S. 90) fest: „Die B u n d e s re g ie ru n g ist b e stre b t,
in allen B ereichen z u r E rh a ltu n g d e r n a tü r lic h e n L e b e n s g ru n d la g e n f ü r M en sch ,
Tier u n d P ñ an ze b e iz u tra g e n . D a h e r ist a u c h in d e r A g ra rp o litik d e n B e la n g e n des
Umwelt-, N atur- u n d T ie rsc h u tz e s v e rs tä rk t R e c h n u n g z u tr a g e n “. In d e r R e a litä t
aller G esellschaftssystem e fin d e n ö k o lo g isch e G e sic h tsp u n k te e rs t d a n n stä rk e re
B erücksichtigung, w e n n d ie U m w e ltsc h ä d e n d ie ö k o n o m isc h e n G ru n d la g e n d e r
L andw irtschaft selbst b e d ro h e n o d e r d ie V e rb ra u c h e r d ie A b n a h m e b e s tim m te r
A grarprodukte v e rw e ig e rn .
Bedeutung der Agrarpolitik
In den m eisten In d u s trie s ta a te n b e e in flu ß t d ie Agrarpolitik d ie L a n d w irtsc h a ft
m ehr als die a n d e re n W irtsc h a ftsse k to re n . Die sta a tlic h e n Z u w e n d u n g e n h a b e n
ein derartiges A u sm a ß a n g e n o m m e n , d a ß sie oft w ic h tig e r s in d als d ie E rn te e r­
gebnisse. D er A g ra rb e ric h t 1995 (S. 51) d e r B u n d e s re g ie ru n g b e z iffe rt d ie T ra n s­
ferleistungen d e r ö ffe n tlic h e n H a n d f ü r d ie d e u tsc h e L a n d w irtsc h a ft im Ja h re
1994 m it fo lg en d en S u m m e n :
S ubventionen v o n B u n d u n d L ä n d e rn
B undesm ittel fü r A g ra rso z ia lp o litik
S te u e rm in d e re in n a h m e n
Sum m e d e r A u fw e n d u n g e n v o n B u n d u n d L ä n d e rn
EU-Finanzm ittel fü r D e u tsc h la n d
Sum m e d e r A u fw e n d u n g e n v o n EU, B u n d u n d L ä n d e rn
8.4 M rd. DM
6,1 M rd. DM
1.5 M rd. DM
16,0 M rd. DM
11,8 M rd. DM
27,8 M rd. DM
Die G esam tsu m m e d e r T ra n s fe rle is tu n g e n v o n 27,8 M rd. DM ü b e r tr a f 1994 e rs t­
mals die B ru tto w e rtsc h ö p fu n g d e r d e u ts c h e n L a n d w irtsc h a ft v o n 26, 5 M rd. DM
und erreich te fast d ie H älfte ih re s P ro d u k tio n s w e rte s v o n 59,6 M rd. DM. A us

98 Allgemeine Einflußfaktoren des Agrarraumes
d ie se n Z a h le n w ird e rsic h tlic h , d a ß d ie B e d e u tu n g d e r A g ra rp o litik fü r die w irtsch
a ftlic h e Lage d e r L a n d w irtsc h a ft g a r n ic h t h o c h g e n u g e in g e sc h ä tz t w erden
k a n n !
2.4.4 Räumliche Auswirkungen agrarpolitischer Maßnahmen
P o litisch e E n ts c h e id u n g e n w e rd e n a u f d e n fo lg e n d e n v ie r rä u m lic h e n M aßstabse
b e n e n w irk sa m ;
- re g io n a le E b e n e (R e g io n a lp ro g ra m m e),
- n a tio n a le E b e n e (n a tio n a le A g rarp o litik ),
- s u p ra n a tio n a le E b e n e (ü b e rn a tio n a le Z u sa m m e n s c h lü s s e w ie z.B. EU),
- m o n d ia le E b e n e (b ila te ra le u n d m u ltila te ra le A b k o m m en ).
V on ih n e n b ild e t d ie n a tio n a le - in d e r EU a u c h d ie s u p ra n a tio n a le - Ebene die
w e ita u s w ic h tig ste R a u m e in h e it, in w e lc h e r d e r p o litisc h e G estaltu n g sw ille seine
stä rk ste A u s p rä g u n g e rfä h rt. A u f d e r m o n d ia le n E b e n e k o m m t d e n zw ischensta
a tlic h e n A b k o m m e n , w ie e tw a d e n R o h sto ffa b k o m m e n , sow ie d e n W eltorganisa
tio n e n (FAO, GATT) n u r ein e b e s c h rä n k te E in flu ß m ö g lic h k e it zu.
V on g e o g ra p h is c h e r S eite w u r d e n ste ts d ie je n ig e n sta a tlic h e n M aß n ah m en bes
o n d e rs b e a c h te t, w e lc h e d ire k t in d ie P h y sio g n o m ie d e rA g ra rla n d sch a ft eingriffen
. Z u d e n ä lte s te n A u fg a b e n s ta a tlic h e r A g ra rp o litik z ä h lt d ie E rschließung
n e u e r S ied lu n g s- u n d N u tz flä c h e n , d ie Agrarkolonisation. Sie h a t n ic h t n u r den
je w e ilig e n S ie d lu n g s ra u m a u sg e w e ite t, s o n d e rn a u c h e in e F ü lle v o n raum - und
z e its p e z ifis c h e n F lu r- u n d S ie d lu n g s fo rm e n h in te r la s s e n : rö m is c h e Zenturiatio
n s f lu r e n in d e r P o e b e n e u n d im M a g h re b , m itte la lte rlic h e W aldhufensiedlu
n g e n in d e n M itte lg e b irg e n E u ro p a s, n ic h t z u le tz t das T o w n sh ip System der
USA. In e in ig e n e n tw ic k e lte n S ta a te n w u r d e n in d e n Ja h re n d e r N ahrungsm iltelk
n a p p h e it n a c h d e m Z w e ite n W e ltk rie g le tz tm a ls P ro g ra m m e z u r N eulandgew
in n u n g a u fg e ste llt. D ie U dSSR k o lo n is ie rte ih re a s ia tis c h e n Steppengebiete,
F in n la n d sie d e lte F lü c h tlin g e in L a p p la n d a n , d ie B u n d e s re p u b lik D eutschland
fö rd e rte M o o rk o lo n is a tio n u n d E in d e ic h u n g e n . D e r n ie d e rlä n d is c h e Zuiderz
e e p la n , d e r in s e in e n G ru n d z ü g e n a u f d as 19. J a h r h u n d e r t z u rü ck g eh t, bietet
w o h l d as le tz te B eisp iel v o n N e u la n d g e w in n u n g z u la n d w irtsc h a ftlic h e n Zwekk
e n in e in e m e n tw ic k e lte n L an d . In d e n E n tw ic k lu n g s lä n d e rn m it ih re m stark
w a c h s e n d e n N a h ru n g s m itte lb e d a rf sp ie lt d a g e g e n d ie A g ra rk o lo n isa tio n nach
w ie v o r e in e w ic h tig e R olle, so w e it n o c h L a n d re s e rv e n v o rh a n d e n sind. Räumlich
e S c h w e rp u n k te s in d d ie S te p p e n - u n d S a v a n n e n z o n e so w ie d ie Z one des tropisc
h e n R eg en w ald s.
V on d e n M a ß n a h m e n d e r A g ra rs tru k tu rp o litik b e in h a lte t d ie Flurbereinigung
d e n tie fg re ife n d s te n E in g riff in d ie g e w a c h se n e A g ra rla n d sc h a ft. Sie w andelt das
P a rz e lle n g e fü g e , r ä u m t d ie F lu r au s, sc h a fft e in n e u e s W ege- u n d G ew ässernetz
u n d lo c k e rt d ie S ie d lu n g e n au f. R a d ik a le U m fo rm u n g e n d e r F lu rfo rm e n unter
s ta a tlic h e m E in flu ß s in d k e in e E r fin d u n g d es te c h n is c h e n Z eitalters.
D ie E in h e g u n g e n in E n g la n d , d ie E in f ü h r u n g d e r K o p p e lw irtsc h a ft in Schlesw
ig -H o lstein , d ie V e re in ö d u n g e n in d e r F ü rs ta b te i K e m p te n m ö g e n als Beispiel
sta a tlic h e r S tr u k tu rp o litik au s frü h e r e n J a h r h u n d e r te n g e n ü g e n .

Politische Einflußfaktoren 99
Erheblich sch w ie rig e r sin d d ie A u s w irk u n g e n d e r sta a tlic h e n M arkt- u n d P re isp o ­
litik auf die Bodennutzung fe stz u ste lle n , d a d iese v o n s e h r v ie le n , sc h w e r zu
isolierenden F a k to re n a b h ä n g t. M an d a r f a b e r u n te rs te lle n , d a ß d e r R ü b e n z u c k e r
der g em äß ig ten B re ite n im fre ie n W e ttb e w e rb d e m tro p is c h e n R o h rz u c k e r k a u m
stan d h alten k ö n n te , d ü rfte d ie W e ltz u c k e rp ro d u k tio n ih re S ta n d o rte w e ltw e it
alleine nach d e m ö k o n o m isc h e n P rin z ip d e r k o m p a ra tiv e n K o sten a u ssu c h e n . In
G ro ß b ritan n ien b e se itig te d ie la n d e s w e ite V e re in h e itlic h u n g d e r M ilc h p re ise d ie
S tandortvorteile d e r m a r k tn a h e n P ro d u z e n te n , in d e r F olge e r f u h r e n d ie p e r ip h e ­
ren R äum e m it a n sich u n g ü n s tig e re n P ro d u k tio n s k o s te n e in e ü b e r d u r c h s c h n ittliche
S teig eru n g d e r M ilc h p ro d u k tio n ( M o r g a n u . M u n t o n 1971, S. 97).
Die rä u m lic h e n A u sw irk u n g e n s ta a tlic h e r A g ra rp o litik k o n n te n sc h o n im m e r
sehr gut an d e n Staatsgrenzen s tu d ie rt w e rd e n , w e n n v e rs c h ie d e n e p o litisc h e
Z ielrichtungen im g le ic h e n N a tu r r a u m a u fe in a n d e rtra fe n . N och in d e n d re iß ig e r
[ähren tre n n te d ie d e u ts c h -n ie d e rlä n d is c h e G re n z e im B o u rta n g e r M o o r b lü h e n ­
de h o llän d isch e F e h n k o lo n ie n v o m fast u n b e r ü h r te n H o c h m o o r a u f d e u ts c h e r
Seite. Erst in d e n fü n fz ig e r J a h re n g lich d ie d e u ts c h e A g ra rk o lo n isa tio n im R ahm
en des E m s la n d p ro g ra m m s d e n G e g e n sa tz aus. W ie sc h n e ll e in e u n te rs c h ie d liche
G esellschafts- u n d A g ra rp o litik e in e n v o rh e r e in h e itlic h e n A g ra rra u m d iffe ­
renzieren k a n n , b e w e ist d ie G re n z e z w isc h e n d e n a lte n u n d n e u e n B u n d e s ­
ländern. Sie w ird n o c h im k le in m a ß s tä b ig e n S a te llite n b ild sic h tb a r. Ö stlich d e r
ehem aligen in n e rd e u ts c h e n G re n z e w ird d as F lu rb ild n a c h w ie v o r v o n g ro ß e n
Schlägen m it 100 bis 300 h a b e s tim m t, w ä h re n d im W e ste n d as alte, k le in g lie d rig e
Parzellengefüge ü b e r d a u e r t h a t. G ro ß e G e g e n sä tz e b e s te h e n b e i d e r B e trie b s­
g rö ß en stru k tu r. B eträg t d ie d u r c h s c h n ittlic h e B e trie b sg rö ß e in N ie d e rsa c h se n
31.8 ha (1993), so lieg t sie im N a c h b a rla n d S ach sen -A n h alt u n te r ä h n lic h e n n a tu r ­
räum lichen V e rh ä ltn isse n b e i 279 h a LF (A g ra rb e rich t 1995, MB, T ab elle 10). D em
P achtlandanteil v o n 42,5 %im W e ste n s te h t im O ste n e in s o lc h e r v o n 90 % g eg e n ­
über. Als B etrieb sty p d o m in ie rt im O ste n h e u te d e r M a rk tfru c h tb e trie b o h n e
V iehhaltung, n a c h d e m d e r V ie h b e sta n d u m zw ei D ritte l re d u z ie rt w u rd e . D er
Viehbesatz lieg t in d e n m e is te n L a n d k re ise n z w isc h e n 40 u n d 80 G V E /100 h a LF,
w ährend in d e n w e s td e u ts c h e n Z e n tre n d e r V ie h h a ltu n g d e r W ert v o n 150 GVE/
100 ha ü b e rsc h ritte n w ird . G ro ß e G e g e n sä tz e tr e te n a u c h b e i d e r S o z ia ls tru k tu r
der lan d w irtsc h a ftlic h en E rw e rb s p e rs o n e n au f. W ä h re n d in d e n a lte n B u n d e slä n ­
dern die fa m ilie n e ig e n e n B e sc h ä ftig te n d o m in ie r e n , a r b e ite n a u f d e n G ro ß ­
betrieben d e r n e u e n L ä n d e r z u 70 % fa m ilie n fre m d e A rb e itsk rä fte . D er A rb e itskraftbesatz
ist im O ste n m it 2,4 A K E /lO O ha n u r h a lb so h o c h w ie im W esten
( 1,6 AKE/100 ha). T rotz e in ig e r A n g le ic h u n g s te n d e n z e n b e s te h e n in n e r h a lb des
vereinten D eu tsch lan d g ro ß e G e g e n sä tz e b ei d e r A g ra rs tru k tu r, d ie alte in n e r ­
deutsche G renze p a u s t sic h b e i d e n m e is te n S tru k tu rm e rk m a le n d e u tlic h d u rc h .
Dieses Erbe d e r v ie rz ig jä h rig e n T r e n n u n g in zw ei u n te rs c h ie d lic h e p o litisc h e u n d
gesellschaftliche S y stem e w ird a u f u n a b s e h b a re Z eit n a c h w irk e n .
Auf die a lte n B u n d e slä n d e r h a tte d ie d e u tsc h e T e ilu n g n u r g e rin g e A u sw irk u n ­
gen B em erkensw ert ist a lle n fa lls d ie A u sw e itu n g d e r Z u c k e rrü b e n -A n b a u flä c h e
von 130 000 h a (1935/38) a u f 402 000 h a (1978), als W e std e u tsc h la n d v o n s e in e m
alten V ersorgungsgebiet, d e r M a g d e b u rg e r B örde, a b g e s c h n itte n w a r. E rst n a c h
1945 konnte sich d e r Z u c k e rrü b e n a n b a u n a c h S ü d d e u ts c h la n d a u sw e ite n . Das

Ш
•т;
. I t
100 Allgemeine Einflußfaktoren des Agrarraumes
P h ä n o m e n , d a ß sic h b e s tim m te P ro d u k tio n s ric h tu n g e n e rs t d a n n entw ickeln,
w e n n e in g rö ß e re r W irts c h a fts ra u m a u fg e lö st u n d s c h ü tz e n d e G re n z e n errichtet
w u rd e n , lä ß t sic h h ä u fig e r b e o b a c h te n . D ie S ta a te n A frikas k o n n te n erst in der
P o stk o lo n ia lz e it z u m A u fb a u e in e r Z u c k e rp ro d u k tio n ü b e rg e h e n (E. W. SCHAMP
1981, S. 513). D ie T ü rk e i e n tw ic k e lte n a c h d e m Z u s a m m e n b ru c h des Osmanisc
h e n R eiches d e n T e e a n b a u in ih r e n p o n tis c h e n P ro v in z e n , als d ie K affeeanbaug
e b ie te d e r A ra b isc h e n H a lb in se l v e rlo re n w a re n . D er S taat b e h in d e rte m it fiskalisc
h e n M itte ln d e n K a ffe e im p o rt - d ie T ü rk e n w u r d e n z u T e e trin k e rn .
U m g e k e h rt w irk t sic h d ie E rric h tu n g v o n g rö ß e re n W irtsc h a ftsrä u m e n , also
d e r W egfall sta a tlic h e r G re n z e n , in R ic h tu n g a u f e in e g ro ß rä u m ig e Spezialisier
u n g au s. ln d e n d a n k n a tü rlic h e n u n d w irts c h a ftlic h e n F a k to re n o p tim a le n Räum
e n w ä c h st d ie P ro d u k tio n a u f K o sten d e r w e n ig e r b e g ü n s tig te n S tan d o rte. Nach
d e r B ild u n g d es D e u ts c h e n Z o llv e re in s (1835) k o n n te z.B. d ie R ebfläche in der
P falz s ta rk au sg e w e ite t w e rd e n , w ä h r e n d sie in d e n w e n ig e r b e g ü n stig te n Anbaug
e b ie te n (F ra n k e n , W ü rtte m b e rg ) sc h ru m p fte .
ln d e r G e g e n w a rt v o llz ie h t sic h in n e r h a lb d e r EU e in g ro ß rä u m ig e r Spezialis
ie ru n g s p ro z e ß d e r A g ra rp ro d u k tio n u n te r A u s n u tz u n g d e r n a tü rlic h e n u n d ökon
o m is c h e n S ta n d o rtg e g e h e n h e ite n . D er N o rd w e s te n E u ro p a s sp ezialisiert sich
a u f tie ris c h e P ro d u k te , v o r a lle m S ch w ein e-, G eflügel- so w ie R ind- u n d Kalbfleisch-
so w ie M ilc h p ro d u k te . D er A n teil d e r tie ris c h e n P ro d u k te a n d e r jew eiligen
la n d v id rtsc h a ftlic h e n G e s a m tp ro d u k tio n b e tr u g 1992 in G ro ß b rita n n ie n 61 %, in
D e u tsc h la n d 62 %, in D ä n e m a rk 72,5 %u n d in Irla n d so g a r 8 6 % (AGRIMENTE 95,
S. 51). D ies w ird b e g ü n s tig t d u rc h e in g ra sw ü c h sig e s K lim a, z a h lre ic h e Im porth
ä fe n f ü r F u tte rm itte l u n d n ic h t z u le tz t d u rc h d ie B a llu n g e in e r kaufkräftigen
B e v ö lk e ru n g .
D e m g e g e n ü b e r sp e z ia lisie rt sic h d e r M itte lm e e rra u m d e r EU v o rw iegend auf
p fla n z lic h e P ro d u k te , v o r a lle m a u f O b st u n d F rü h g e m ü se . M an n u tz t dabei sow
o h l d ie K lim a g u n st als a u c h d as n o c h n ie d rig e re L o h n n iv e a u in d e n peripheren
R ä u m e n f ü r a rb e its in te n s iv e B aum - u n d S tra u c h k u ltu re n . W ar in D eutschland
d ie p fla n z lic h e P ro d u k tio n 1992 n u r m it 37, 5% a n d e r la n d w irtsc h a ftlic h e n Ges
a m tp ro d u k tio n b e te ilig t, so w a r ih r A n te il in S p a n ie n 57 %, in Ita lie n 62 %und in
G rie c h e n la n d so g a r 79 %(AGRIM ENTE 95, S. 51).
In d e n g rö ß e re n K o lo n ia lg e b ie te n w u rd e d e r sta a tlic h e E in flu ß a u f die Bodenn
u tz u n g d e s R a u m e s b e s o n d e rs a u g e n fä llig . D ie E in f ü h r u n g u n d V erbreitung
tro p is c h e r K u ltu re n in d e n e in z e ln e n K o lo n ie n w u rd e s ta rk v o n d e n unterschiedlic
h e n B e d ü rfn is s e n d e r je w e ilig e n M e tro p o le g e ste u e rt. So f ö rd e rte n in d e r Sahelzo
n e A frikas v o r d e m E rs te n W e ltk rie g d ie F ra n z o s e n v o rra n g ig d ie E rd n u ß k u ltu r
(S enegal), d ie E n g lä n d e r d a g e g e n d ie B a u m w o lle (S u d an ). K o p fsteu ern , Anbaug
eb o te u n d -v e rb ö te w a re n d ie g ä n g ig e n M ittel d e r K o lo n ialzeit z u r E inführung
o d e r V e rh in d e ru n g e in e r K u ltu r. D ie A b h ä n g ig k e it v ie le r E n tw ic k lu n g slä n d e r von
e in o d e r zw ei E x p o rtk u ltu re n g e h t a u f d ie rä u m lic h S p e z ia lisie ru n g sp o litik der
K o lo n ia lm ä c h te z u rü c k .
Im R a h m e n e in e r im p e ria le n A rb e its te ilu n g h a tte d ieses P rin z ip durchaus ein
e n S in n - a u s d e r S ich t d e r e in z e ln e n K o lo n ie w u rd e d a d u rc h e in e diversifizierte
P ro d u k tio n u n te r b u n d e n u n d d as L a n d s ta rk v o n a u ß e n w irtsc h a ftlic h e n Bezieh
u n g e n a b h ä n g ig - a u c h g e ra d e b e i G ru n d n a h ru n g s m itte ln .
1 «

101
3 Der Agrarraum der Erde und seine Grenzen
3.1 Umfang
Eine V o rstellu n g v o m U m fa n g d es A g ra rra u m s, d .h . des g e s a m te n irg e n d w ie la n d ­
w irtschaftlich g e n u tz te n T eils d e r E rd o b e rflä c h e , g ib t a lljä h rlic h d ie FAO in ih re m
„Production Y earbook“ (s. T ab elle 3.1).
Diese Z ah len sin d m it V o rsic h t z u v e rw e n d e n , d a d ie K rite rie n d e r E rh e b u n g in
den ein z e ln e n S ta a te n s e h r u n te rs c h ie d lic h sin d . 1st sc h o n d as A c k e rla n d n ic h t
eindeutig zu erfassen , d a in e in ig e n Ю im a z o n e n d ie jä h rlic h b e ste llte F läch e s ta rk
schw ankt, so la sse n sic h d ie G re n z e n d es W e id e la n d e s in d e n s u b p o la re n u n d
ariden Z o n en sow ie g e g e n ü b e r d e n W a ld g e b ie te n ü b e r h a u p t n ic h t festleg en . Die
für 1993 a n g eg eb en e W elt-N u tzfläch e v o n 48,09 M io. km ^, z u s a m m e n g e s e tz t au s
1 047 000 km ^ D a u e rk u ltu re n , 13,43 M io. km ^ A c k e rla n d u n d 33,62 M io. km ^
W eideland sin d n u r als N ä h e ru n g s w e rte a n z u se h e n . D e n n o c h v e rd e u tlic h e n sie
die G rö ß e n o rd n u n g e n d e r la n d w irts c h a ftlic h e n B o d e n n u tz u n g . V on d e r L a n d ­
fläche d e r E rd e v o n r u n d 149 M io. km ^ w ird also n u r e in D ritte l irg e n d w ie la n d ­
w irtschaftlich g e n u tz t. D av o n e n tfä llt w ie d e ru m n u r e in D rittel, n ä m lic h 14,5
Mio. km^ au f A cker- u n d D a u e rk u ltu rla n d , w ä h re n d zw ei D ritte l m e is t se h r e x te n ­
siv genutztes W e id e la n d d a rste llt. D ie E r n ä h r u n g d e r M e n sc h h e it m u ß i.w . v o n
jenem Z e h n tel d e r F e stla n d sflä c h e g e w ä h rle iste t w e rd e n , d as a c k e rb a u lic h genutzt
w i r d .
Tab. 3.1:
Der Anteil der landwirtschaftlichen Nutzfläche an der Landfläche der Erde 1993
(Quelle: FAO. Production Yearbook 1989,1994)
Gesamtfläche
Mio. km^
Mio. km^
Landwirtschaftliche Nutzfläche
in V. H. der Ackerland Weideland
Gesamtfläche
Erde 148,49 48,09 32,3 9,7 22,6
Afrika 30,29 10,41 34,4 6,2 28,2
Nordamerika 22,84 6,33 27,7 11,9 15,8
Südamerika 17,82 5,98 33,6 5,8 27,8
Asien' 27,58 12,69 46,0 17,0 29,0
Europa 4,88 2,16 44,3 27,9 16,4
Ozeanien/ 8,54 4,79 56,1 6,0 50,1
Australien
UdSSR^
L
22,4 5,57 24,9 10,3 14,6
ohne UdSSR ^ Zahlen von 1988
Bei der V erteilu n g d es A c k e rla n d e s b e s te h e n g ro ß e regio n ale. U n te rsc h ie d e . U n te r
den K o n tin en ten h a t E u ro p a m it e in e m A n te il v o n r u n d 28 % a n d e r G e sa m tflä c h e
den höch sten W ert; d ie k lim a tisc h e B e g ü n stig u n g d ie se s K o n tin e n ts w ird h ie r
sichtbar. D agegen h a b e n d ie A c k e rflä ch e n in A frika (6,2 %}, O z e a n ie n /A u s tra lie n
(6,0 %) u n d S ü d a m e rik a (5,8 %) n a h e z u In se lc h a ra k te r. H ie r ü b e r tr if f t d ie W eid e­
fläche das A ckerland u m e in V ielfaches.

102 Der Agrarraum der Erde und seine Grenzen
A uf d e r S ta a te n e b e n e w e rd e n d ie D is k re p a n z e n n o c h w e it g rö ß er: w erd en in
D ä n e m a rk 59 % d e r S ta a tsflä c h e a c k e rb a u lic h g e n u tz t, so s in d es in Norwegen
g e ra d e n o c h 2,7 %.
Es e rh e b t sic h d ie F rage, w e lc h e R e se rv e n a n p o te n tie lle m A ck erlan d , das bish
e r n ic h t b e ste llt w u rd e , n o c h v e rfü g b a r sin d . A n h a n d v o n B o d en k arten und
Ю im a d a te n e n tw ic k e lte d ie FAO ü b e r e in G e o g ra p h isc h e s In fo rm atio n ssy stem
e in In v e n ta r p o te n tie lle r A n b a u flä c h e n fü r 21 N u tz p fla n z e n (N. Alexandratos
1995, S. 151 ff.). M a n e rre c h n e te e in th e o re tis c h e s P o te n tia l v o n 1,8 M rd. ha (18
M io. km ^). D av o n e n tfa lle n d ie g rö ß te n T eile a u f L a te in a m e rik a (48 %) u n d das
su b s a h a ris c h e A frik a (44 %), w ä h re n d S ü d a sie n u n d d e r V o rd e re O rie n t kaum
n o c h ü b e r L a n d re s e rv e n v e rfü g e n . E tw a d ie H älfte d ie s e r F läch e w ird von Wald
b e d e c k t, ih re R o d u n g ist a u s ö k o lo g isc h e n G rü n d e n p ro b le m a tisc h . W eitere Areale
s in d G e b irg sla n d o d e r tra g e n e rtra g s a rm e B ö d en . Bei re a listisc h e r B etrachtung
ist b is z u m Ja h re 2010 e in e A u sw e itu n g d e r la n d w irts c h a ftlic h e n N utzfläche von
le d ig lic h 90 M io. h a z u e rw a rte n (N. Alexandratos 1995, S. 158). D er m it Sicherh
e it zu e rw a rte n d e B e v ö lk e ru n g sa n stie g m u ß also i.w . d u rc h E rtrag ssteig eru n g en
a u f d e m b e re its b e s te llte n A c k e rla n d e r n ä h r t w e rd e n . E in e n w ic h tig e n B eitrag hat
d a b e i d ie V e rb e sse ru n g u n d A u sw e itu n g d e r BewässerungsEäche zu leisten. Mit
H ilfe d e r B e w ä sse ru n g lä ß t sich d ie p fla n z lic h e P ro d u k tio n u m e in M ehrfaches
ste ig e rn , E rtra g s s c h w a n k u n g e n tr e te n k a u m au f. D as A n b a u sp e k tru m ist sehr
v ie lse itig u n d e rla u b t e in e o p tim a le A n p a s s u n g a n d ie M ark tlag e. B ew ässerungsfe
ld b a u tr itt in a lle n K lim a z o n e n au f, in d e n e n A n b a u m ö g lic h ist, von d en Inner
e n T ro p e n b is z u n o rw e g isc h e n F jo rd e n ; se lb st in d e n tro c k e n e n A nbauinseln
Jak u tie n s w e rd e n d ie F e ld e r in d e r k u rz e n so m m e rlic h e n V eg etatio n sp erio d e bew
ä sse rt. I h re n h ö c h s te n b e trie h s w irts c h a ftlic h e n W irk u n g sg ra d e rz ie lt die Bewäss
e ru n g a b e r in d e n fro s tfre ie n T ro p e n u n d S u b tro p e n , w o sie m e h re re E rn ten im.
Tab. 3.2:
Die Ausweitung der Bewässerungsfläche auf der Erde 1973 bis 1993
(Quelle: FAO. Production Yearbook 1989,1994)
1973
1000km^
1983
1000km^
1993
1000km^ V. H. Anteil am
Ackerland (v. H.)
Erde 1815,8 2191,0 2481,3 100 17,1
Afrika 92,2 104,3 129,7 5,2 7,0
USA 165,1 198,3 207,0 8,3 11,0
Mexiko 41,3 48,5 61,0 2,4 24,7
Südamerika 62,4 79,6 89,0 3,5 8,7
Asien^ 1172,8 1373,0 1600,2 63,8 34,1
China 408,0 450,6 498,7 19,9 51,9
Indien 318,4 407,2 480,0 19,1 28,3
Europa 122,8 154,0 167,2 6,7 12,3
Ozeanien/ 16,1 18,7 23,9 1,0 4,6
Australien
ehern. UdSSR 127,5 191,5 205,0^ 8,1= 8,9=
Nordamerika 222,0 270,0 293,9 11,7 10,8
' ohne ehern. UdSSR ^ Werte von 1988

Innere und äußere Grenzen 103
Jahr erm öglicht. Die B e w ä sse ru n g ste c h n ik ist u ra lt, s in d d o c h f ü r Ä g y p ten , M esopotam
ien, In d ie n u n d C h in a sc h o n J a h rta u s e n d e v o r C h risti G e b u rt a u sg e fe ilte
B ew ässerungsanlagen b e z e u g t. Im 20. J a h rh u n d e rt, v o r a lle m in d e s s e n z w e ite r
Hälfte, e rfu h r d ie B e w ä sse ru n g sflä c h e d e r E rd e ih re b is la n g stä rk ste A u sw e itu n g .
K. Sa p p e r (1932, S. 227) g ib t f ü r 1925 - fre ilic h n u r a u f vag e S c h ä tz u n g e n g e s tü tz t -
die W eltb ew ässeru n g sfläch e m it 800 000 km ^ an. D ie FAO, d ie h e u te ü b e r e in
w esentlich g e n a u e re s D a te n m a te ria l v e rfü g t (vgl. T ab elle 3.2), b e z iffe rt ih r e n U m ­
fang fü r 1973 m it 1,816 M io. km ^ u n d f ü r 1993 m it 2,481 M io. km ^. D e m n a c h h ä tte
sie sich allein e in d e n le tz te n z w a n z ig J a h re n u m 665 000 km ^ e rw e ite rt. Im 20.
Ja h rh u n d ert e rfu h r sie in e tw a e in V e rd re ifa c h u n g - e in e b e a c h tlic h e , o b g le ic h
w enig b e k a n n te L e istu n g d e r M en sch h eit!
Auf A sien e n tfa lle n k n a p p zw ei D ritte l d e r W e ltb e w ä sse ru n g sflä c h e . H ie r e r­
reicht sie a u c h d e n h ö c h s te n A n teil a m A ck erlan d . B e w ä sse ru n g , R e isb a u u n d
niedriger L e b e n ssta n d a rd b ild e n d ie G ru n d la g e f ü r d ie a u ß e ro rd e n tlic h h o h e n
B evölkerungsdichten d e r a sia tis c h e n S tro m tie flä n d e r. A u ffa lle n d sin d d ie g e rin g e
B edeutung d e r B e w ä sse ru n g sw irtsc h a ft im s u b s a h a ris c h e n A frik a u n d in S ü d ­
am erika. H ier b e s te h e n o ffe n sic h tlic h n o c h g ro ß e u n g e n u tz te P o te n tia le .
3.2 Innere und äußere Grenzen
3.2.1 Das Phänomen der Anbaugrenze
Die in n e re D iffe re n z ie ru n g d es A g ra rra u m s d e r E rd e erfo lg t, so w eit sie n a tu r ­
gesteuert ist, ü b e r d ie u n te rs c h ie d lic h e n ö k o lo g isch en Standortangebote, d ie je ­
weils n u r d erje n ig e A u ssc h n itt a u s d e m S p e k tru m d e r K u ltu rp fla n z e n u n d N u tz ­
tiere w a h rn e h m e n k a n n , d e s s e n Standortanforderungen g e d e c k t w e rd e n . D arau s
folgt, d aß e in e b e s tim m te N u tz u n g sw e ise a n e in b e s tim m te s A real g e b u n d e n ist,
dessen G ren zen au s d e m Z u s a m m e n s p ie l v o n n a tü rlic h e n u n d ö k o n o m isc h e n
Faktoren gesetzt w e rd e n . D ie U n te rs u c h u n g v o n A rt u n d U rsach e d e ra rtig e r G re n ­
zen ist ein altes A n lie g e n d e r A g ra rg e o g ra p h ie , ih r W esen soll m it H ilfe e in e s
einfachen M odells d a rg e le g t w e rd e n (s. A b b ild u n g 3.1).
Das ökologische S ta n d o rta n g e b o t f ü r e in e P flan ze v e rs c h le c h te rt sich v o n (-i-)
nach (-), an d e r L inie AA’ fin d e t sie ih re biologische Grenze. Es h a n d e lt sic h h ie r
Abb. 3.1;
Die verschiedenen
Arealgrenzen einer
Kulturpflanze

104 Der Agrarraum der Erde und seine Grenzen
u m e in e a b so lu te G re n z e , d ie n ic h t z u v e r ä n d e r n ist, es sei d e n n , d a ß sich entw e­
d e r d as S ta n d o rta n g e h o t (ro im a ä n d e ru n g , B e w ä sse ru n g ) o d e r d ie genetischen
S ta n d o rta n fo rd e ru n g e n d e r P flan ze, e tw a d u rc h z ü c h te risc h e M a ß n a h m e n , änd
e rn . Die L inie BB’ m a rk ie rt d ie Rentabilitätsgrenze, sie ist e in e F u n k tio n aus
A u fw a n d u n d E rtra g u n d d a m it s ta rk e n O sz illa tio n e n u n te rw o rfe n , sie ist also
e in e re la tiv e G re n z e . Sie w a n d e rt in R ic h tu n g AA’, w e n n sich d e r A u fw an d verrin ­
g e rn lä ß t - e tw a d u r c h F o rts c h ritte d e r A g ra rte c h n o lo g ie -, sie z ie h t sich zurück,
w e n n d e r A u fw a n d steig t, e tw a b e i L o h n s te ig e ru n g e n . Ä h n lic h e W irk u n g en hab
e n P re is v e rä n d e ru n g e n . S te ig e n d e W e ltm a rk tp re ise f ü r W eizen la sse n z.B. in den
USA d ie R e n ta b ilitä ts g re n z e in G e b ie te m it z u n e h m e n d e r A rid itä t vorstoßen.
S ta a tlic h e S u b v e n tio n e n h a b e n d ie g le ic h e W irk u n g : o h n e sta a tlic h e F örderung
w ä re v e rm u tlic h d e r T a b a k a n b a u in d e r B u n d e s re p u b lik lä n g st erloschen. Die
L inie CC’ b e z e ic h n e t sc h lie ß lic h d ie effektive Grenze, w e lc h e das ta tsäch lich Anb
a u g e b ie t u m re iß t. In d e r R egel w ird sie d ie sse its d e r R e n ta b ilitä tsg re n z e liegen:
d e r A b sta n d v o n CC’ z u BB’ ist a b h ä n g ig v o n d e r E in k o m m e n s e rw a rtu n g der
la n d w ir ts c h a f tlic h e n B e v ö lk e ru n g u n d v o n d e r M ö g lic h k e it, a u f a n d e re Eink
o m m e n s q u e lle n a u sz u w e ic h e n . Ist d ie se g e rin g , k ö n n e n b e id e n L in ien zusarnm
e n fa lle n , ste ig t sie a n , v e rg rö ß e rt sic h d e r A b sta n d . In E in z e lfä lle n k a n n die
effek tiv e G re n z e a u c h ü b e r d ie R e n ta b ilitä tsg re n z e h in a u s g e h e n . A uf d e n Preisv
e rfa ll f ü r e in P ro d u k t re a g ie rt d e r A n b a u e r e rs t m it e in ig e r z e itlic h e r Verzöge-

Innere und äußere Grenzen 105
rung. L angfristig k a n n d ie se P o sitio n a b e r n u r b e ib e h a lte n w e rd e n , w e n n d ie
ö k onom ischen K ate g o rie n v o n A u fw a n d u n d E rtra g n ic h t a n g e w a n d t w e rd e n w ie
z.B. in d e r S u b siste n z w irtsc h a ft o d e r in d e r m o d e rn e n H o b b y la n d w irtsc h a ft v o n
In d u strieg esellsch aften . In d e r R e a litä t des in h o m o g e n e n g e o g ra p h isc h e n R au ­
mes ist die effektive G re n z e sc h w e r z u e rfa sse n , ih re D a rste llu n g u n te rlie g t s u b ­
jektiven E in flü sse n - je n a c h d e m , w e lc h e s M in d e stm a ß a n A n b a u flä c h e m a n als
U ntergrenze n im m t. T ro c k e n g re n z e u n d P o la rg re n z e s in d als G re n z sä u m e a u sg e ­
bildet, in d e n e n sich d re i q u a lita tiv u n te rs c h ie d lic h e effek tiv e G re n z e n b ü n d e ln :
- G renze des g ro ß flä c h ig e n g e sc h lo sse n e n A n b au s,
- G renze g ro ß flä c h ig e r A n b a u in se ln ,
- absolute V e rb re itu n g sg re n z e .
Die n ö rd lic h e W e in b a u g re n z e in E u ro p a (sie h e A b b ild u n g 3.2) d iffe re n z ie rt
W. Weber (1980) z.B. in e in e G re n z e d es F lä c h e n w e in b a u s (a), d e r e in e b is 500 k m
breite Zone m it in se lh a ft v e rb re ite te m , g ro ß flä c h ig e n H a n g w e in b a u a u f m esound
m ik ro k lim a tisc h b e g ü n s tig te n S ta n d o rte n v o rg e la g e rt ist. Je n se its v o n d e re n
G renze (b) k o m m t d ie W e in re b e n u r n o c h a u f k le in e n F lä c h e n o d e r als H ausw
einstock bis z u r a b s o lu te n G re n z e (c ) vor. In n e rh a lb d ie se s G re n z g ü rte ls ä n d e rt
sich au ch d ie w irtsc h a ftlic h e F u n k tio n d e r R e b k u ltu r v o m H a u p te rw e rb z u m
N ebenerw erb bzw . z u r F re iz e itb e sc h ä ftig u n g .
In v ielen V e rö ffe n tlic h u n g e n w e rd e n n u r a b so lu te V e rb re itu n g s g re n z e n a n g e ­
geben, die ö k o n o m isc h re la tiv b e la n g lo s sin d . Es h a n d e lt sic h d a b e i im G ru n d e
um die V e rb in d u n g slin ie n d e r ä u ß e rs te n w in z ig e n A n b a u in se ln ; sie tä u s c h e n e in
weit ü b e rd e h n te s A n b a u a re a l vor.
Die Außengrenzen des Agrarraumes der Erde^^ la sse n sich m it e in ig e r S ic h e r­
heit n u r au f d e r G ru n d la g e des A n b a u s v o n K u ltu rp fla n z e n an g e b e n , d a d ie G re n ­
zen d er v ie h w irtsc h a ftlic h e n N u tz u n g a llz u u n s ic h e r s in d u n d e rh e b lic h e n jä h r ­
lichen u n d ja h re s z e itlic h e n S c h w a n k u n g e n u n te rlie g e n . Z w isc h e n d e r G re n z e des
Ackerbaus (a g ro n o m isc h e G ren ze) u n d d e n la n d w irts c h a ftlic h n ic h t m e h r n u tz ­
baren W üsten u n d F ro s tsc h u tz z o n e n e rstre c k t sic h e in e Z o n e - in d e n G e b irg e n
eine H ö h en stu fe -, d ie a u ssc h lie ß lic h v ie h w irtsc h a ftlic h g e n u tz t w ird . Sie ist in
u n tersch ied lich en In te n s itä ts s tu fe n a u sg e b ild e t. In g ra sw ü c h sig e n k ü h l-g e m ä ß ig ­
ten K lim aten d ie n t d ie F u tte rflä c h e d e r G ras- u n d H e u g e w in n u n g b e i d u rc h a u s
hohem A rbeits- u n d K a p ita la u fw a n d . A n d e r T ro c k e n g re n z e u n d in tro p is c h e n
und su b tro p isc h e n G e b irg e n d o m in ie r e n d a g e g e n e x te n siv e W e id e w irtsc h a ftssystem
e au f d e r B asis n a tü r lic h e r P fla n z e n g e se llsc h a fte n , ä h n lic h w ie d ie R e n tie r­
haltung an d e r P o larg ren ze.
In der älteren Literatur werden Anbaugrenzen häufig synonym für die G ren zen d e r Ö k u ­
m ene gebraucht. Seinem Wortsinn (oikos = Haus) kann der Begriff „Ökumene“ aber nur den
menschlichen S ie d lu n g sra u m umfassen. Die Expansion nichtagrarischer Aktivitäten (Bergbau.
Fremdenverkehr) in landwirtschaftlich nicht nutzbare Räume hat eine wachsende Divergenz
von Siedlungsgrenzen und Anbaugrenzen mit sich gebracht. Die ältere Vorstellung,
daß größere Dauersiedlungen ohne agrarisches Umland langfristig nicht lebensfähig sind, ist
heute nicht mehr haltbar. Auf den siedlungsgeographischen Begriff der Ökumene wird
daher bewußt verzichtet.

106 Der Agrarraum der Erde und seine Grenzen
Es s in d p r im ä r k lim a tisc h e F a k to re n , w e lc h e d ie a b s o lu te n (biologischen) Anbaug
re n z e n in F o rm v o n T ro c k e n g re n z e n , P o la rg re n z e n u n d H ö h e n g re n z e n determ i­
n ie re n . D e m g e g e n ü b e r h a t d ie G re n z e d es A g ra rra u m s g e g e n ü b e r d em Wald
a n th ro p o g e n e U rsa c h e n , d .h . sie h ä n g t v o rw ie g e n d v o n so zio ö k o n o m isch en und
te c h n is c h e n F a k to re n ab, h a t d a h e r k e in e n A b so lu th e its c h a ra k te r u n d ist folglich
w e n ig e r k o n s ta n t als d ie k lim a b e d in g te n G re n z e n . Die k lim a b e d in g te n Anbaug
re n z e n s in d d u rc h w e g als G re n z sä u m e m it fo lg e n d e n M e rk m a le n ausgebildet:
- a b n e h m e n d e Z ah l v o n K u ltu rp fla n z e n u n d N u tz tie re n u n d d e m e n tsp rech en d
e in e re d u z ie rte Z a h l v o n B etrie b sz w e ig e n ,
- a b n e h m e n d e F lä c h e n e rträ g e ,
- z u n e h m e n d e s E rn te ris ik o (E rtra g ssc h w a n k u n g e n ).
3.2.2 Trockengrenzen
A g ro n o m isc h e T ro c k e n g re n z e n s in d A n b a u g re n z e n , d ie d u rc h e in u n z u reich en ­
d es S ta n d o rta n g e b o t a n n a tü r lic h e r F e u c h tig k e it v e ru rs a c h t w e rd e n . Sie liegen
je n s e its d e r k lim a tis c h e n T ro c k e n g re n z e n u n d d ü r f e n n ic h t m it ih r verw echselt
w e rd e n . Da sie in a lle n Ю im a z o n e n a u ftre te n , la sse n sie sich n ic h t ein fach durch
N ie d e rsc h la g sw e rte a n g e b e n , s o n d e rn r e s u ltie re n au s e in e m k o m p le x e n W echselsp
iel z w isc h e n W a sse ra n g e b o t u n d W a sse rn a c h fra g e .
F ü r d e n ö stlic h e n M a g h re b - e in W in te rre g e n g e b ie t - h a t H. ACHENBACH (1981)
v e rsu c h t, d ie a g ro n o m is c h e T ro c k e n g re n z e fe stz u le g e n , in d e m e r Jahresniederschlag,
a n n u e lle h y g risc h e V a ria b ilitä t so w ie d ie m o n a tlic h e F euchteversorgung
w ä h re n d d e r V e g e ta tio n sp e rio d e k o m b in ie rt u n d d ie se W e rte m it d e n Trockeng
re n z e n v e rs c h ie d e n e r B o d e n n u tz u n g s a rte n k o rre lie rt (s. T ab elle 3.3).
D ie T ro c k e n g re n z e fü r d e n g ro ß flä c h ig e n re g e lm ä ß ig e n G e tre id e a n b a u wird
d u rc h das D ry -F arm in g -S y stem v o rg e g e b e n . H ie r e n d e t d e r A n b au , d e r die Feuchtig
k e it a lle in d u rc h d e n d ire k t a u f d ie A c k e rp a rze lle fa lle n d e n N iederschlag be-
Tab. 3.3:
Die Trockengrenzen verschiedener Bodennutzungsarten im östlichen Maghreb
(Quelle: H. Achenbach 1981, S. 19)
Bodennutzungsart
Getreidebau im
Fruchtwechsel
Getreidebau Im
Dry-FarmIng-System
Episodischer
Getreidebau
Getreidebau mit
Sammlung von
Oberflächenwasser
Untergrenze des
Jahresniederschlags
(mm)
Annuelle
Variabilität
Mindestniederschlag je
Monat in der Vegetationsperiode
(mm)
500 20% 50
300 30% 30
200 35% 15
100 40% 10
Ölbaumkultur 150 -200 40% 1 0 -1 5

Innere und äußere Grenzen 107
zieht. Jenseits d ie se r G re n z e ist n u r e in e p iso d isc h e r A n b a u a u f R e g e n v e rd a c h t
sowie die B estellu n g v o n b e g ü n s tig te n F lä c h e n w ie S e n k e n o d e r W a d ib e tte n m ö g ­
lich, die ein e W a sse rz u fu h r v o n b e n a c h b a r te n R ä u m e n e rh a lte n .
In d e n ra n d tro p is c h e n S o m m e rre g e n g e h ie te n k a n n d ie a g ro n o m isc h e T rokkengrenze
n u r b e d in g t m it d e n Is o h y e te n k o rre lie rt w e rd e n . N ach H. U h l ig (1965,
S. 2) ist in A frika a u f g ü n s tig e n B ö d e n e in A n b a u ab 250 - 4 0 0 m m J a h re s ­
niederschlag m ö g lich ; b e i u n g ü n s tig e r V e rte ilu n g ü b e r d ie V eg e ta tio n sz e it, w ie
sie im ä q u a to ria le n K lim a ty p m it s e in e n zw ei R e g e n z e ite n v o rlie g t, k a n n d e r
kritische W ert a u f 600 m m , lo k al so g a r a u f 1 000 m m ste ig e n . Im G re n z b e re ic h
lim itiert zu sätzlich d ie S p e ic h e rfä h ig k e it d e r B ö d en d e n A n b au . N ach M. B o r n
(1967, S. 246) v e rlä u ft im S u d a n d ie T ro c k e n g re n z e a u f S a n d b ö d e n e n tla n g d e r
200-m m -Isohyete, a u f T o n h ö d e n sin d d a g e g e n 400 m m e rfo rd e rlic h . B esser als d ie
Jahressum m e d e r N ie d e rsc h lä g e e ig n e n sic h d a h e r D a u e r u n d In te n s itä t d e r h u ­
m iden Jahreszeit fü r d ie B e s tim m u n g d e r a g ro n o m is c h e n T ro c k e n g re n z e in d e n
w echselfeuchten R a n d tro p e n . N ach W. Sc h m ie d e c k e n (1979, S. 273 - 274) b e n ö tig t
in Nigeria die P io n ie rp fla n z e H irse 3 h u m id e u n d 3 s e m ia rid e M o n ate, d ie E rd ­
n u ß k u ltu r k o m m t m it 3 h u m id e n u n d 1 s e m ia rid e n M o n a t aus.
3.2.3 Polargrenzen
Die P o larg ren zen des A n b a u s s in d W ä rm e m a n g e lg re n z e n . P rim ä re r M in im u m ­
faktor ist d ie W ärm e, ih r D efizit k a n n d u rc h d ie e rh ö h te E in s tra h lu n g w ä h re n d
des langen P o lartag s n u r b e d in g t e rse tz t w e rd e n . P io n ie rp fla n z e n s in d G erste,
Hafer u n d K artoffeln. D ie G e tre id e b a u g re n z e k a n n m it B oden- u n d L u ftte m p e -
ratu iw e rte n k o rre lie rt w e rd e n . N ach R. Rostankowski (1981, S. 149 - 150) ist in
der S o w jetu n io n fü r d e n G e tre id e b a u e in e B o d e n te m p e ra tu r v o n d e u tlic h m e h r
als 10 - 11 °C w ä h re n d d e r M o n a te Ju n i, Ju li u n d A u g u st e rfo rd e rlic h . Bei K o rrelation
m it d e r L u ftte m p e ra tu r g e n ü g t im E x tre m fa ll e in e T e m p e ra tu rs u m m e (S u m ­
me d er T a g e s m itte lte m p e ra tu r a lle r T age ü b e r 10 °C) v o n 1 000 °C, u m G e tre id e
reif zu b e k o m m e n . Ö k o n o m isc h h a lb w e g s sin n v o ll w ird d e r G e tre id e b a u a b e r
erst bei T e m p e ra tu rs u m m e n v o n 1 200 - 1 600 °C. A uch d a n n b le ib t d e r G e tre id e ­
bau noch m it R isiken v o n Spät- u n d F rü h frö s te n b e la ste t, d ie Q u a litä t d e r K ö rn e r
reicht oft n ic h t z u m V e rm a h le n , d ie H e k ta re rträ g e b le ib e n n ie d rig . D as v e rd e u t­
licht ein V ergleich d e r H e k ta re rträ g e F in n la n d s m it d e n e n D ä n e m a rk s (D u rch ­
schnitt 1992 - 1994) in T ab elle 3.4.
Wie m a n sieh t, e rre ic h t F in n la n d b e i W eizen u n d R oggen n u r e tw as m e h r als
die Hälfte d e r d ä n is c h e n H e k ta re rträ g e , h e i G erste w e rd e n d re i V iertel d e r d ä n i­
schen W erte e rreich t.
Tab. 3.4:
Vergeich der Hektarerträge Finnlands mit
denen Dänemarks (Durchschnitt 1992 - 1994)
Quelle: FAO. Production Yearbook 1994
Finnland Dänemark Verhältnis F./D.
in V. H.
Weizen 36,2 65,0 55,7
Gerste 36,8 49,2 74,8
Roggen 25,8 47,4 54,4

108 Der Agrarraum der Erde und seine Grenzen
Die P o la rg re n z e des G e tre id e b a u s w ird a u f d e r S ü d h a lb k u g e l n u r in Südam erika,
u n d z w a r b e i e tw a 42° S, e rre ic h t, ln N o rd a m e rik a e n d e t d e r flä c h e n h a fte Anbau
im w e stlic h e n K a n a d a b e i e tw a 55° N; w e ite r n ö rd lic h lie g e n e in ig e A nbauinseln
(Peace R iver, F o rt N elso n , F a irb a n k s/A la sk a ), d e re n P ro d u k tio n w irtsch aftlich völlig
u n b e d e u te n d ist. In d e r A lten W elt e rre ic h t d e r g ro ß flä c h ig e G e treid ean b au in
N o rw e g e n se in e P o la rg re n z e b e i 64°, g e h t a b e r so n st k a u m ü b e r 60° hin au s -
a u s g e n o m m e n in F in n la n d , d as als e in z ig e r S ta a t d e r W elt fa st n u r ü b e r Ackerfläc
h e n n ö rd lic h des 60. B re ite n g ra d e s v e rfü g t u n d a u s A u ta rk ie g rü n d e n seine Prod
u k tio n tro tz n ie d rig e r E rträ g e w e n ig s te n s te ilw e ise a u fre c h tz u e rh a lte n sucht.
3.2.4 Höhengrenzen
Die a g ro n o m isc h e H ö h e n g re n z e ist im V e rg leich z u P olar- u n d T rockengrenzen
n u r fra g m e n ta ris c h a u sg e b ild e t, sie sc h e id e t a u c h n u r re la tiv k le in e Areale aus
d e m A g ra rra u m d e r E rd e au s. D ie H ö h e n g re n z e d es A n b a u s ist p r im ä r ebenfalls
e in e W ä rm e m a n g e lg re n z e ; sie k a n n k le in rä u m ig d u rc h G e ste in sa rt, B öden, Hangn
e ig u n g , E x p o sitio n z u r S o n n e u n d z u r H a u p tw in d ric h tu n g e rh e b lic h m odifiz
ie rt w e rd e n . Z u sä tz lic h e R isik o fa k to re n fü r d e n A n h a u im H ochgebirge sind
L a w in en , M u re n , H a n g ru ts c h u n g e n , e rh ö h te B o d e n e ro sio n sg e fa h r u n d W etterstü
rze. D ie g ro ß e n H ö h e n u n te rs c h ie d e a u f k u rz e r D istan z e rfo rd e rn ein en vers
tä rk te n E in sa tz v o n m e n s c h lic h e r, tie ris c h e r o d e r m e c h a n is c h e r Energie. Mit
z u n e h m e n d e r H a n g n e ig u n g w ä c h s t d e r A u fw a n d u n d s in k t d e r E rtrag. Der
T e rra s s e n fe ld b a u k a n n z w a r a u c h steile H än g e n u tz e n ; w e g e n sein es h o h en Arb
e itsa u fw a n d e s ist e r je d o c h n u r n o c h in B illig lo h n lä n d e rn a n w e n d b a r. Am höchste
n re ic h t d e r A n h a u in B o liv ien (K a rto ffe la n b a u b is 4 300 m ) u n d in Tibet, wo
jü n g s t d ie h ö c h s te n G e rs te n fe ld e r in e in e r H ö h e v o n 4 750 m festg estellt w urden
(H. U h l ig 1980a, S. 305). D e m n a c h e rre ic h t d ie a g ro n o m isc h e H ö h e n g ren ze ihre
g rö ß te H ö h e in d e n tro c k e n e re n R a n d tro p e n u n d S u b tro p e n sow ie im Inneren
g ro ß e r G e b irg e m it M a sse n e rh e b u n g se ffe k t. In d e n fe u c h te re n in n e re n Tropen
lie g e n d a g e g e n d ie H ö h e n g re n z e n d e u tlic h n ie d rig e r. P o lw ärts sin k e n sie ab und
fa lle n sc h lie ß lic h m it d e r P o la rg re n z e z u s a m m e n . Im D etail u n te rlie g t die Höheng
re n z e s e h r k o m p le x e n k lim a tis c h e n F a k to re n , d a sie a u c h d ie M erkm ale ihrer
K lim azo n e, d e r sie je w e ils a n g e h ö rt, re fle k tie rt, w ie z.B. h y g risc h e Jahreszeiten
u n d h o h e E in s tra h lu n g in d e n R and- u n d S u b tro p e n , th e rm is c h e Jahreszeiten in
d e n h ö h e r e n B re ite n . W ä h re n d in d e n im m e rfe u c h te n H o c h b e c k e n v o n Ecuador
e in g a n z jä h rig e r A n b a u m ö g lic h ist u n d so m it d e r Z w a n g z u r V orratshaltung
e n tfä llt (C. T r o l l 1975, S. 193), ist im b o liv ia n is c h e n H o c h la n d d ie A nbauperiode
a u f d ie R e g e n z e it b e s c h rä n k t. N ic h t se lte n ist so g a r B e w ä sse ru n g n ö tig (Hoher
A tlas, T ibet). D ie A n b a u v e rh ä ltn is s e a n d e r H ö h e n g re n z e k ö n n e n also nicht einfach
m it d e n e n a n d e r P o la rg re n z e v e rg lic h e n w e rd e n , o b w o h l b e id e p rim ä r auf
W ä rm e m a n g e l z u rü c k g e h e n . D ie Lage in n e r h a lb d e r je w e ilig e n Ю im azone determ
in ie r t a u c h d e n N u tz u n g s rh y th m u s d e r W e id e flä ch e n , d ie sic h in d e n m eisten
G e b irg e n o b e rh a lb d e r a g ro n o m is c h e n H ö h e n g re n z e fin d e n . W ä h re n d das Tagesz
e ite n k lim a d e r tro p is c h e n H o c h g e b irg e e in e n g a n z jä h rig e n W eid eg an g erm öglich
t, o b w o h l in d e r p e ru a n is c h -b o liv ia n is c h e n P u n a d a s W e id e a re a l b is in Höhen

Expansions- und Kontraktionsphasen 109
Abb. 3.3:
Die ökologisch-agrargeographische Höhenstufung der Hochanden von Südperu und Nordbolivien
(Quelle: C. Troll 1975, S. 192)
Nivale!
Stufe 1
Subпіѵаів'
[ Ganzjährige I
Frostwechseli
Stufe
X X X X X
.Grenze der ständigen Frosttemperaturen
rQiBtacher x X x x X x ^ .Schneegrenze
-S.'
V
Tì^renze der geschiossenen Vegetation
P^P.^ і-Ц-'-i • J G r e n z e des Ackerbaues
?tT IT *» * V i**V* I * I ' I ' f * I ' i ' ' t ^ • FT* ■• T itle a ca-S ae* Л . Kartoffel, Oka)
1 .1 . 1
• iKr^ojl^njfruçht-G etreidebaui
Vm
: 1 ' ! ¡ I X I'¡x
»Velie
Region
CielMbtnibi
Mittl. Grenze des Maisanbaues
Mítti. Frostgrenze
von ü b er 5 000 m h in a u fre ic h t (vgl. a u c h A b b ild u n g 3.3), g e sta tte t d as Ja h re sz e i­
tenklim a d e r A lpen a u f d e n d o rtig e n H o c h w e id e n le d ig lic h e in e n W e id e g a n g v o n
60 - 100 T agen.
3.3 Expansions- und Kontraktionsphasen
Die A u ß e n g re n z e n d es A g ra rra u m e s d e r E rd e sin d alles a n d e re als stab il. Im
geschichtlichen A b lau f w e c h se lte n Z e ite n d e r E x p a n sio n m it d e n e n d e r S ta g n a ­
tion, ja R egression. N u r b e i s ta rk g e n e ra lis ie rte r B e tra c h tu n g h a b e n d ie a c k e r­
baulich g e n u tz te n F lä c h e n a u f d e r E rd e se it d e m N e o lith ik u m la u fe n d e x p a n d ie rt.
Ein H ö h e p u n k t w a r d ie A u s w e itu n g d e r A c k e rflä ch e v o m 18. b is in s f r ü h e
20. Ja h rh u n d e rt d u rc h d ie K u ltiv ie ru n g d e r e k tro p is c h e n W ald- u n d G ra s lä n d e r
Nord- u n d S ü d a m e rik a s, A u stra lie n s, S ü d ru ß la n d s u n d S ib irie n s. B ei g e n a u e re r
B etrachtung tra te n im m e r a u c h R ä u m e u n d Z e ite n m it re g re ssiv e n A n b a u g re n ­
zen auf, w ie z.B. das Z u rü c k w e ic h e n d es A ck erb au s v o r n o m a d is ie re n d e n G ru p ­
pen in N o rd afrik a u n d im O rie n t v o m 10. b is z u m 19. J a h rh u n d e rt. D ie O sz illa tio n
der A nbau g ren ze w ird m e is t d u rc h e in k o m p le x e s W irk u n g sg e fü g e au s d e n folgenden
v ie r F a k to re n b e d in g t:
1. d em o g rap h isch e F a k to re n
In A g rarg esellsch aften e rz w in g t e in B e v ö lk e ru n g sw a c h stu m d ie A u sw e itu n g
d er A n b au fläch e; b e i r ü c k lä u f ig e r B e v ö lk e ru n g sz a h l (K riege, S e u c h e n )
sch ru m p f sie e n ts p re c h e n d .
2. ökonom ische F a k to re n
M ark to rien tierte L a n d w irtsc h a ft u n te rlie g t d e m E rtra g sg e se tz , d .h . d e r R elation
von A u fw an d u n d E rtra g . Im G re n z s a u m des A g ra rra u m s w ird d e r G re n z ­
ertrag viel frü h e r e rre ic h t als in d e n b e g ü n s tig te n K e rn rä u m e n . Ä n d e ru n g e n
d er F ak to rk o sten w ie d e r P ro d u k tp re is e sc h la g e n sic h h ie r s c h n e lle r in d e r

no
Der Agrarraum der Erde und seine Grenzen
E rtrag slag e n ie d e r. D e r V erfall d e r W e iz e n p re ise w ä h r e n d d e r W e ltw irtsc h a ftsk
rise d e r d re iß ig e r Ja h re fü h r te b e isp ie lsw e ise z u e in e m R ü ck zu g d e r W eizen-
F ro n tie r a n d e r T ro c k e n g re n z e d e r USA u n d A u stra lie n s.
3. p o litisc h e u n d so ziale F a k to re n
Die O sz illa tio n d e r A u ß e n g re n z e d e r A c k e rb a u g e b ie te w a r h ä u fig d a s h is to risch
e E rg e b n is v o n A u s e in a n d e rs e tz u n g e n v e rs c h ie d e n e r G ese llsc h a fte n . D abei
e x p a n d ie rte je w e ils d ie w irtsc h a ftlic h -te c h n isc h o d e r m a c h tm ä ß ig ü b e rle g e n e
G ru p p e m its a m t ih r e r W irtsc h a ftsfo rm (N o m a d e n im O rie n t v o m 10. - 19. Jh.;
e u ro p ä isc h e Ü b e rse e k o lo n isa tio n v o m 16. - 20. Jh.).
4. ö k o lo g isch e F a k to re n
ro im a s c h w a n k u n g e n b e e in flu s s e n n u r la n g fris tig u n d in E x tre m rä u m e n (Isla
n d , G rö n la n d ) d ie A n b a u g re n z e n . D ag eg en k ö n n e n e in e R eih e v o n w itte ­
ru n g s b e d in g te n M iß e rn te n d e n o h n e h in la te n t e rw o g e n e n E n tsc h e id z u r A ufg
ab e e in e r K u ltu r le tz te n d lic h h e r b e if ü h r e n . G rö ß e re n E in flu ß a u f A n b a u ­
g re n z e n h a b e n d a g e g e n a n th r o p o g e n e U m w e lts c h ä d e n w ie B o d e n e ro sio n ,
V e rs u m p fu n g u n d V e rsalzu n g .
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ln d e r G e g e n w a rt la sse n sic h a n d e n A u ß e n g re n z e n d es A g ra rra u m s so w o h l exp
a n siv e w ie re g re ssiv e T e n d e n z e n b e o b a c h te n .
In d e n In d u s tr ie lä n d e r n s in d d ie A n b a u g re n z e n rü c k lä u fig . V on d ie s e r T e n ­
d e n z s in d v o r a lle m P olar- u n d H ö h e n g re n z e b e tro ffe n . In d e n A lp en h a tte die
ä u ß e rs te A u s d e h n u n g d e r A n b a u g re n z e im G efolge d es B e v ö lk e ru n g sd ru c k s b e ­
re its M itte d es 19. J a h r h u n d e r ts ih r e n H ö h e p u n k t e rre ic h t. Sie ist s e itd e m re g io n a l
in e in e B e rg flu c h t, ja te ilw e ise in e in e E n ts ie d lu n g u m g e sc h la g e n (E. G r ö t z b a c h
1982, S. 18). In A laska w u r d e n n o c h u m 1935 m it sta a tlic h e r H ilfe A c k e rb a u k o lo ­
n ie n angeleg t, d ie h e u te m e is t v e rla s s e n sin d . D ie O stp ro v in z e n K an a d a s e rfa h re n
b e re its se it la n g e m e in e n a u s g e d e h n te n F lu rw ü s tu n g s p ro z e ß , w ä h r e n d in d e n
P rä rie p ro v in z e n des W e ste n s d ie A n b a u g re n z e n o c h b is e tw a 1970 p o lw ä rts w an -
d e rte ; se itd e m ist a u c h h ie r e in U m sc h w u n g e in g e tre te n (A. Pl e t s c h 1983, S. 374).
Bis a u f d as P eace R iv er C o u n try im N o rd e n A lb ertas s in d h e u te alle T eile des
b o re a le n W a ld la n d e s in K a n a d a d u rc h S ta g n a tio n , m e is t a b e r d u rc h A u fg ab e v o n
K u ltu rla n d u n d R ü c k v e rle g u n g d e r A n b a u g re n z e g e p rä g t. D as S p e k tru m des
W ü stu n g sp ro z e sse s re ic h t v o n F lu rw ü s tu n g e n ü b e r H o fw ü s tu n g e n b is z u r to ta le n
A u fg ab e v o n k le in e re n S ie d lu n g e n . L ed ig lich a n la n d s c h a ftlic h re iz v o lle n S tellen,
d ie sc h n e ll v o n B a llu n g s z e n tre n e rre ic h t w e rd e n k ö n n e n , b re m s e n P e n d le r u n d
Z w e itw o h n sitz e v o n S tä d te rn - w ie in a lle n In d u s tr ie lä n d e r n - d e n W ü stu n g s­
p ro z e ß (E. E h l e r s u . A. H e c h t 1994, S. 108).
S elbst d ie f r ü h e r e S o w je tu n io n , d ie z w isc h e n 1930 u n d 1950 m it g ro ß e m p ro ­
p a g a n d is tis c h e n A u fw a n d d ie P o la rg re n z e d e s G e tre id e b a u s a u s z u w e ite n v e r­
su c h te , h a t u m g e le n k t. D ie G e tre id e e rn te K are lie n s s a n k v o n 30 000 t (1950) a u f
N ull im Jah re 1978 (P. RosTANKOWSKi 1981, S. 151). In F in n la n d w a n d e r n die
G e tre id e b a u g re n z e n w ie d e r ra s c h n a c h S ü d e n , n a c h d e m sie in d e r e rs te n H älfte
d ie se s J a h r h u n d e r ts w e it n a c h N o rd e n v o rg e trie b e n w o rd e n w a r e n (s. A b b ild
u n g 3.4). U. V a r jo (1978, S. 54) m a c h t f ü r d ie R e g re ssio n p r im ä r d ie Preis-K osten-
S ch ere v e ra n tw o rtlic h : g e n ü g te z u r D e c k u n g d e r K o sten n o c h 1966 e in E rtra g v o n
800 k g G e rste je h a , so w a re n 1974 b e re its 1 760 k g e rfo rd e rlic h - e in W ert, d e r in

Expansions- und Kontraktionsphasen 111
Abb. 3.4:
Verschiebung der Poiargrenzen von
Gerste (G), Roggen (R) und Winter-
\weizen (WW) in Finniand 1930 -1 9 6 9
(Quelle: U. Varjo 1978, S. 46)
L a p p la n d e in fa c h n ic h t zu e rz ie le n ist. A u ch d ie B e m ü h u n g e n , k ä lte a n g e p a ß te
S o rte n m it k u rz e r V e g e ta tio n sz e it z u z ü c h te n , k ö n n e n d ie P reis-K osten-S chere,
d e r d ie L a n d w irtsc h a ft in d e n In d u s tr ie lä n d e r n g e g e n ü b e rs te h t, n ic h t b e se itig e n .
D ie P o la rg re n z e d es G e tre id e b a u s ist d a h e r in N o rd a m e rik a , S k a n d in a v ie n u n d
se lb st in d e r S o w je tu n io n se it d e n fü n fz ig e r J a h re n rü c k lä u fig . E r ist d e r K o n k u r­
re n z d e r A n b a u g e h ie te m it g ü n s tig e re n P ro d u k tio n s b e d in g u n g e n n ic h t g e w a c h ­
sen.
Beispiel Lappland
S e h r g u t e rfo rsc h t ist d as O sz illie re n d e r A n b a u g re n z e u n d d e r d a m it e in h e r ­
g e h e n d e K u ltu rla n d s c h a fts w a n d e l in N o rd fin n la n d , d e m b is la n g le tz te n g ro ß e n
R a u m p o la re r A g ra rk o lo n isa tio n . N ach d e m v e rlo re n e n Z w e ite n W e ltk rie g h a tte
F in n la n d 300 000 F lü c h tlin g e a u s d e n a n d ie S o w je tu n io n a b g e tr e te n e n O stg
e b ie te n a u fz u n e h m e n . F ü r ih re A u fn a h m e se tz te d e r S taat e in e g ro ß flä c h ig e
K o lo n isa tio n in M ittel- u n d N o rd fin n la n d in G ang. Z w isc h e n 1945 u n d 1969 e n t­
s ta n d e n a lle in e in d e r P ro v in z L a p p la n d 5 000 n e u e A g ra rb e trie b e , d ie LF stieg

112 Der Agrarraum der Erde und seine Grenzen
v o n 47 000 a u f 85 000 h a (D. PRiGGERT 1990, S. 416). G eg en E n d e d e r sech z ig e r
Ja h re e rfa ß te d e r g e se llsc h a ftlic h e W a n d e l F in n la n d s im G efolge e in e r e rfo lg re i­
c h e n I n d u s tr ia lis ie r u n g a u c h d e n N o rd e n des L andes: A b w a n d e ru n g in n ic h t­
la n d w irts c h a ftlic h e B e ru fe, Ü b e rp ro d u k tio n v o n A g ra rg ü te rn , M e c h a n is ie ru n g
d e r L a n d w irtsc h a ft. D ie A g ra rk o lo n isa tio n w u rd e e in g e ste llt, d e r S ta a t z a h lte ab
1969 so g a r F e ld stille g u n g sp rä m ie n . Z a h lre ic h e B e trie b e w u r d e n a u fg e g e b e n , d ie
LF s a n k w ie d e r a u f 58 000 h a (1980). D ie v e rb lie b e n e n B e trie b e sto c k te n ih re
F lä c h e n a u f u n d w a n d te n sic h m e ist u n te r A u fg ab e d es A c k erb au s d e r M ilc h w irtsc
h aft a u f G rü n la n d b a s is zu. G ro ß e T eile d e r jü n g e r e n B e v ö lk e ru n g w a n d e lte n ab
- n a c h S c h w e d e n , S ü d fin n la n d o d e r in d ie lo k a le n Z e n tre n . Es k a m zu e in e r
t j -
Abb. 3.5:
Schematische Darstellung
von Bevölkerungswachstum,
Nahrungsspielraum
und Siedlungsgrenzen
(Quelle: E. Ehlers
1985, S. 332)
1- 4.

Expansions- und Kontraktionsphasen 113
v e rs tä rk te n Z e n tre n b ild u n g , „d ie z u e in e r K o n z e n tra tio n d e r B e v ö lk e ru n g , d e r
W irtsc h a ft u n d d e r so z ia le n A k tiv itä te n v o n S taat u n d G e se llsc h a ft in d ie s e n M itte
lp u n k te n f ü h rt, w ä h r e n d d e r lä n d lic h e R a u m sic h z u n e h m e n d e n tv ö lk e r t“
(D. Pr ig g e r t 1990, S. 422).
E in e v ö llig a n d e re S itu a tio n h e r r s c h t in d e n E n tw ic k lu n g s lä n d e rn m it s ta rk e m
B e v ö lk e ru n g sw a c h stu m , d e m d as W a c h stu m d e r n ic h ta g ra ris c h e n A rb e itsp lä tz e
n ic h t fo lg e n k a n n . H ie r k a n n m a n v ie lfa c h n o c h e in e E x p a n sio n d e r A n b a u ­
g re n z e n b e o b a c h te n . D ie H ö h e n g re n z e des A n h a u s w a n d e rt in d e n p e ru a n is c h e n
A n d e n , in d e n d ic h tb e s ie d e lte n a frik a n is c h e n H o c h lä n d e rn u n d b e s o n d e rs in d e n
R a n d g e b irg e n des H im a la y a n a c h o b e n - te ilw e ise m it v e r h e e r e n d e n ö k o lo g i­
sc h e n F o lg en (E. G r ö t z b a c h 1982, S. 16). Im T ro c k e n g ü rte l d e r A lten W elt w u r d e n
d ie f ü r d e n F e ld b a u g e e ig n e te n A reale se it d e m a u s g e h e n d e n 19. J a h r h u n d e r t
w e itg e h e n d a u fg e sie d e lt, te ilw e ise b e g le ite t v o n d e r S e ß h a ftm a c h u n g d e r N o m a ­
d e n . E in e g rö ß e re V e rsc h ie b u n g d e r A n b a u g re n z e ist h ie r k a u m m e h r z u e rw a r­
te n . D ag eg en ist d ie E x p a n sio n g e g e n ü b e r d e n tro p is c h e n W ä ld e rn u n g e b ro c h e n ,
in d e r T ro p e n z o n e e r fä h rt d e r A g ra rra u m g e g e n w ä rtig se in e stä rk ste A u sw e itu n g .
D ie R o d u n g se lb st d es u n d u rc h d r in g lic h s te n U rw ald s b ild e t h e u te k e in te c h n i­
sches P ro b le m m e h r. D ie K o lo n isa tio n w ird te ils v o m S ta a t (u.a. B ra silie n , P e ru ,
E c u a d o r, Z e n tra la m e rik a , E lfe n b e in k ü ste , In d o n e sie n ) g e le n k t, m e h rh e itlic h a b e r
als u n g e re g e lte s c h le ic h e n d e L a n d n a h m e (tro p isc h e s A frika, S üd- u n d S ü d o stasien
) d u rc h g e fü h rt. A us g lo b a le r S ich t d ü rfte d ie Z u rü c k d rä n g u n g d e r tr o p i­
sc h e n W ä ld e r d ie tie fg re ife n d s te n ö k o lo g isc h e n F o lg en h a b e n , w ä h r e n d d ie Ü b ers
c h re itu n g d e r a g ro n o m is c h e n T ro c k e n g re n z e e h e r re g io n a l b e g re n z te S c h ä d e n
im Ö k o sy ste m v e ru rs a c h t.
E. E h l e r s (1985, S. 332) h a t d ie O sz illa tio n v o n A n b au - u n d S ie d lu n g s g re n z e n
a u s d e m Z u s a m m e n s p ie l v o n B e v ö lk e ru n g se n tw ic k lu n g u n d g e se llsc h a ftlic h e r
E n tw ic k lu n g a n h a n d e in e s e in fa c h e n M odells d a rg e ste llt (s. A b b ild u n g 3.5).
ln d e r P h a se I d e r frü h e n A g ra rg e se llsc h aft w e rd e n d ie n o c h v o rh a n d e n e n
G u n s trä u m e e rsc h lo sse n , ln d e r fo lg e n d e n P h ase II s in d d ie se R ä u m e a u fg e sie ­
d elt, d e r B e v ö lk e ru n g sd ru c k z w in g t z u r K o lo n isa tio n a u f d ie w e n ig e r g ü n s tig e n
S ta n d o rte . D ie P h ase III d e r frü h e n I n d u s tria lis ie ru n g fü h r t z u r S c h a ffu n g n ic h t­
la n d w irts c h a ftlic h e r A rb e itsp lä tz e in a u s g e w ä h lte n Z e n tre n . D er D ru c k a u f d e n
A g ra rra u m lä ß t n a c h . D ie P h a se IV d e r e n tw ic k e lte n In d u s trie - u n d D ie n stle i­
stu n g sg e se llsc h a ft b ie te t in z a h lre ic h e n Z e n tre n e in d e ra rtig e s A n g e b o t g u t e n t­
lo h n te r A rb e itsm ö g lic h k e ite n , d a ß d ie B e v ö lk e ru n g in g ro ß e r Z ah l d ie lä n d lic h e
P e rip h e rie v e rlä ß t; es k o m m t z u e in e r R ü c k n a h m e d e r A n b au - u n d S ie d lu n g s­
g re n z e n .
-.¿1 ...

114 Agrarregionen der Erde
4 Agrarregionen der Erde
4.1 Probleme der agrargeographischen Regionalisierung
E in altes A n lie g e n d e r A g ra rg e o g ra p h ie ist d ie A u fg lie d e ru n g des A g ra rra u m s d e r
E rd e, d.h . se in e R e g io n a lisie ru n g . So o ffe n sic h tlic h d ie sta rk e rä u m lic h e D iffe re n ­
z ie ru n g d e r L a n d w irtsc h a ft ist, so s c h w ie rig g e sta lte t sic h je d o c h d ie A u ssch eid
u n g v o n a g ra rg e o g ra p h is c h e n R a u m e in h e ite n .
4.1.1 Klassifikationssysteme der Landwirtschaft
E in e G ru n d v o ra u s s e tz u n g f ü r e in e a g ra rg e o g ra p h is c h e R e g io n a lisie ru n g ist e in e
a llg e m e in a n e rk a n n te Klassifizierung der Landwirtschaft, ä h n lic h w ie d ie K lassifik
a tio n e n v o n K lim a te n , B ö d en , P fla n z e n d ie G ru n d la g e n f ü r e n ts p re c h e n d e n
R e g io n a lisie ru n g e n b ild e n . D e r P ro z e ß d e r K la ssifiz ie ru n g b e r u h t a u f d e r Z u sa m ­
m e n fa s s u n g v o n In d iv id u e n z u G ru p p e n , d ie h in s ic h tlic h b e s tim m te r K rite rie n
m ö g lic h st h o m o g e n sin d . Ю a ssifik a tio n e n sin d n o tw e n d ig e rw e ise h ie ra rc h is c h
au fg e b a u t; je u m fa s s e n d e r d ie G ru p p e ist, d e sto a llg e m e in e r m ü s s e n d ie g e m e in ­
sa m e n M e rk m a le sein .
D a d e r A g ra rb e trie b d ie k le in s te o rg a n isa to risc h e u n d rä u m lic h e E in h e it d e r
la n d w irts c h a ftlic h e n P ro d u k tio n b ild e t, s te lle n m o d e r n e K la s s ifik a tio n e n d e r
L an d w irtsch aft Betriebssystematiken d a r, sie o rd n e n d e n E in z e lb e trie b in e in
h ie ra rc h is c h g e g lie d e rte s lo g isch es S y stem ein . ln d e r B u n d e s re p u b lik D e u tsc h ­
la n d gilt se it 1971 e in e o ffizielle B e trie b ssy ste m a tik , d ie in d ie v ie r S tu fe n B e trie b s­
b e re ic h (n e b e n d e m B e trie b sb e re ic h L a n d w irtsc h a ft e x istie re n n o c h d ie B e trie b s­
b e re ic h e G a rte n b a u , F o rstw irtsc h a ft u n d K o m b in a tio n sb e trie b e ), B e trie b sfo rm ,
B e trie b sa rt u n d B e trie b sty p g e g lie d e rt ist (s. Ü b e rsic h t 4.1).
E in zig es K rite riu m f ü r d ie E in o rd n u n g e in e s B e trie b s ist d ie m o n e tä re B ew ertu
n g d e r e in z e ln e n P ro d u k tio n s ric h tu n g e n , d. h. ih r in G eld g e m e s s e n e r B eitrag
Übersicht 4.1 :
Betriebssystematik für die Landwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland (Auszug)
Quelle: E. v. Oheimb 1973, S. 40; N. Deselaers 1971

Probleme der agrargeographischen Regionalisierung 115
z u m sog. S ta n d a rd d e c k u n g s b e itra g d es g e sa m te n B e trie b s (B ru tto le is tu n g d e r e in ­
z e ln e n P ro d u k tio n s ric h tu n g a b z ü g lic h d e r v a ria b le n S p e z ialk o sten ). V on e in e m
S p e z ia lb e trie b s p ric h t m a n , w e n n d e r A n teil e in e r P r o d u k tio n s ric h tu n g 75 v. H.
u n d m e h r a u sm a c h t, als V e rb u n d b e trie b g e lte n B e trieb e m it e in e m A n te il v o n 50
b is u n te r 75 v. H. E rre ic h t k e in e P ro d u k tio n s ric h tu n g 50 v. H., h a n d e lt es sic h u m
G e m isc h tb e trie h e .
D ie B e trie b ssy ste m a tik v o n 1971 lö ste e in e ä lte re K la ssifiz ie ru n g ab, d ie a u f
d e m p r o z e n tu a le n A n teil d e r v e rs c h ie d e n e n N u tz u n g s a rte n u n d K u ltu rp fla n z e n
a n d e r la n d w irts c h a ftlic h e n N u tz flä c h e (B o d e n n u tz u n g ssy ste m e ) b a sie rte . D ieses
S c h e m a h a tte d u rc h d ie z u n e h m e n d e S p e z ia lisie ru n g , v o r a lle m a u f d e m G eb iet
d e r tie ris c h e n P ro d u k tio n , a n B e d e u tu n g v e rlo re n , d a es d ie N u tz v ie h h a ltu n g n u r
in d ire k t - ü b e r d ie d e m F u tte rb a u g e w id m e te n F lä c h e n - b e rü c k sic h tig te . D as
F lä c h e n p rin z ip , d as im G ru n d e d e r g e o g ra p h isc h e n B e tra c h tu n g n ä h e rs te h t, w u r ­
d e also d u r c h e in m o n e tä re s B e w e rtu n g s p rin z ip n a c h a m e rik a n is c h e m V orbild^“
ab g elö st.
E in e in te re s s a n te K la ssifiz ie ru n g d e r A g ra rsy ste m e u n te r ö k o lo g isc h e m A sp ek t
w ird v o n S. Christiansen (1979) v o rg e sc h la g e n . E r u n te rs c h e id e t fo lg e n d e Ö kosystem
e:
- n a tü rlic h e Ö k o sy ste m e (S a m m e ln , Jagen, F isch en , F o rstw irtsc h a ft),
- m a n ip u lie rte Ö k o sy ste m e (N o m a d ism u s, s h iftin g c u ltiv a tio n ),
- tra n s fo rm ie rte Ö k o sy ste m e (D a u e rfe ld b a u m it e x te rn e n E n e rg ie z u flü sse n , Bew
ä sse ru n g ).
B eim n a tü r lic h e n Ö k o sy ste m b e s c h rä n k t sich die E n tn a h m e a n B io m asse a u f
„ E x tra k tio n “, d ie F ru c h tb a rk e it w ird d u r c h d as n a tü rlic h e Ö k o sy ste m a u fre c h te r­
h a lte n . E rst b e i d e n m a n ip u lie r te n u n d tr a n s f o r m ie r te n S y ste m e n k a n n m a n v o n
e ig e n tlic h e r „ P ro d u k tio n “ sp re c h e n , ln m a n ip u lie rte n S y ste m e n w ird e in T eil d e r
u r s p rü n g lic h e n b io lo g isc h e n E le m e n te d u rc h d o m e s tiz ie rte P fla n z e n u n d T iere
e rse tz t, d o c h re ic h t a u c h h ie r n o c h d as n a tü rlic h e R e g e n e ra tio n s p o te n tia l z u r
A u fre c h te rh a ltu n g d es P ro d u k tio n s p o te n tia ls aus. T ra n s fo rm ie rte S y stem e s in d
d a g e g e n a u f h o h e In p u ts v o n fo ssile r E n e rg ie u n d P fla n z e n n ä h rs to ffe n a n g e w ie ­
sen.
Die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung hat in ihrem Bericht von 1988
(BRUNDTLAND-Bericht, Berlin 1988) eine einfache Dreiteilung der Welt-Landwirtschaft
vorgenommen (zit. n. R. Schmidt u . G. Haase 1990, S. 30 - 32):
- re s s o u rc e n re ic h e L a n d w irtsc h a ft,
- re s s o u rc e n a rm e L a n d w irtsc h a ft,
- in d u s trie lle L a n d w irtsc h a ft.
D ab ei h a n d e lt es sic h u m g lo b ale B o d e n n u tz u n g ssy ste m e , d ie in A b h ä n g ig k e it
v o n c h a ra k te ris tis c h e n n a tü r lic h e n B e d in g u n g e n u n d s o z io ö k o n o m isc h e n E n t­
w ic k lu n g e n e n ts ta n d e n sin d .
Das Kriterium des Bruttoeinkommens zur Klassifizierung von Betrieben und Agrarräumen
wurde bereits um 1920 vom Russen A. Studensky angewandt und alsbald von amerikanischen
Agrargeographen und -Ökonomen übernommen und verbessert (H. F. Gregor
1970a, S. 116- 117).

116 Agrarregionen der Erde
Die ressourcenreiche Landwirtschaft - a u c h als „ L a n d w irtsc h a ft d e r G rü n e n R evolu
tio n “ b e z e ic h n e t - ist c h a ra k te ris tis c h f ü r d ie im m e r f e u c h te n u n d w e c h se l­
fe u c h te n T ro p e n . D ie h o h e n a tü r lic h e N e tto p r im ä r p r o d u k tio n ist im w e s e n t­
lic h e n k lim a tis c h d u r c h S tr a h lu n g s d a r g e b o t u n d F e u c h te ü b e r s c h u ß b e d in g t,
w ä h re n d d ie n a tü rlic h e F ru c h tb a rk e it d e r B ö d en re la tiv g e rin g ist. D ieser H a u p t­
ty p d e r L a n d w irtsc h a ft ist v o r a lle m in S üd- u n d O sta sie n so w ie in T e ilg e b ie te n
L a te in a m e rik a s u n d A frikas in w a s s e rre ic h e n T ie fe b e n e n a n z u tre ffe n . H ie r fin d e n
w ir d ie w ic h tig ste n R e isa n b a u g e b ie te d e r E rd e, in d e n e n es d u rc h e rh ö h te n E in ­
satz v o n D ü n g e m itte ln u n d P e stiz id e n so w ie d u r c h A u sb a u d e r B e w ä sse ru n g
g e lu n g e n ist, P ro d u k tio n u n d P ro d u k tiv itä t d e u tlic h z u ste ig e rn .
Die ressourcenarme Landwirtschaft ist a n u n g ü n s tig e B oden- u n d ro im a b e d in -
g u n g e n in d e n T ro c k e n g e b ie te n d e r E rd e g e b u n d e n . A c k e rla n d s te h t n u r in g e rin ­
g e m U m fa n g z u r V e rfü g u n g u n d ist a n B ö d e n m it h ö h e r e m W a sse rh a lte v e r-
m ö g e n o d e r a n lo k al b e g re n z te F lä c h e n m it B e w ä sse ru n g sm ö g lic h k e it g e b u n d e n .
Die e x te n siv e W e id e n u tz u n g d e r T ro c k e n s te p p e n u n d S a v a n n e n h e r r s c h t v o r. Es
ist b is h e r n ic h t g e lu n g e n , h ie r effek tiv e F o rm e n d e r B o d e n n u tz u n g e in z u fü h re n
u n d d u rc h z u s e tz e n . Bei s te ig e n d e n B e v ö lk e ru n g sz a h le n ist d ie S ic h e ru n g d e r
E rn ä h ru n g in z a h lre ic h e n L ä n d e rn n ic h t g e w ä h rle iste t. D as b e k a n n te s te B eispiel
fü r d ieses B o d e n n u tz u n g s s y s te m ist d ie S a h e lz o n e s ü d lic h d e r S ah ara.
Die industrielle Landwirtschaft w e ist e in h o h e s In te n s iv ie ru n g s n iv e a u a u f u n d
ist d u rc h d e n g ro ß flä c h ig e n E in sa tz v o n A g ra rte c h n ik u n d A g ro c h e m ik a lie n gek
e n n z e ic h n e t. Sie ist v o rw ie g e n d a n d ie g e m ä ß ig te n Z o n e n , te ilw e ise a u c h a n d ie
S te p p e n z o n e n d e r N ord- u n d S ü d h a lb k u g e l d e r E rd e g e b u n d e n u n d u m fa ß t d ie
H a u p ta n b a u g e b ie te fü r W e iz e n u n d K ö rn e rm a is. D er A n b a u e rfo lg t a u f B ö d e n
m it h o h e m n a tü r lic h e n E rtra g s p o te n tia l u n d h o h e r P ro d u k tiv itä t. D as Ю іт а
w e ist sic h d u rc h a u sg e g lic h e n e T e m p e ra tu rv e rh ä ltn is s e u n d F e u c h te au s. In d e n
L ä n d e rn m it in d u s tr ie lle r L a n d w irtsc h a ft (N o rd a m e rik a , E u ro p a , A u stra lie n ) ist
es in d e n le tz te n J a h rz e h n te n g e lu n g e n , d ie G e tre id e e rträ g e a u f 150 - 200 %d e r
A u sg a n g sw e rte M itte d e s 20. J a h rh u n d e rts z u ste ig e rn .
Die b is h e r u m fa s s e n d s te ro a s sifik a tio n d e r L an d w d rtsch aft m it A n sp ru c h a u f
w eltw e ite G e ltu n g w u rd e in d e n J a h re n 1964 - 76 v o n e in e r Kommission der
Internationalen Geographischen Union (IGU C o m m isio n o n A g ric u ltu ra l T ypology)
u n te r J. Kostrowicky e ra rb e ite t. Sie b a s ie rt a u f fo lg e n d e n v ie r H a u p tg ru p ­
p e n v o n K rite rie n (J. Kostrowicky 1980, vgl. a u c h Ü b e rsic h t 4.2):
- soziale M e rk m a le (u. a. E ig e n tu m s- u n d P a c h tfo rm e n , B e trie b sg rö ß e n ),
- M e rk m a le d es P ro d u k tio n sp ro z e sse s (z. B. E in sa tz v o n m e n s c h lic h e r, tie ris c h e r
u n d m e c h a n is c h e r A rb eit, M in e ra ld ü n g e ra u fw a n d , B e w ä sse ru n g , V iehbesatz),
- M e rk m a le d e r P ro d u k tiv itä t u n d d es P ro d u k tio n sz ie ls (F lächen- u n d A rb eitsp
ro d u k tiv itä t, V e rm a rk tu n g s q u o tie n t, S p e z ia lisie ru n g sg ra d ),
- M e rk m a le d e r A g ra rs tru k tu r (z.B. B o d e n n u tz u n g ssy ste m e , A n teil d e r tie ris c h e n
P ro d u k tio n ).
In d ie se n v ie r G ru p p e n sin d 27 q u a n tifiz ie rb a re V a ria b le z u s a m m e n g e fa ß t, m it
d e re n H ilfe 55 re a l e x is tie re n d e A g ra rty p e n a u sg e s c h ie d e n w u rd e n . Sie s in d d u rc h
Z a h le n c o d e u n d B u c h s ta b e n k o m b in a tio n g e k e n n z e ic h n e t u n d h ie ra rc h is c h in 5
T y p e n d e r 1. O rd n u n g , 20 T y p e n d e r 2. O r d n u n g u n d 55 T y p e n d e r 3. O rd n u n g
g e g lie d e rt (J. Kostrowicky 1980, S. 139 - 148).

Probleme der agrargeographischen Regionalisierung 117
Übersicht 4.2: Die Landwirtschaftsklassifikation der IGU-Komrnission
(Quelle: J. Kostrowicky 1980
E. Traditionelle extensive Landw irtschaft
Land häufig in Kollektivbesitz oder durch Arbeits- und Teilpächter bewirtschaftet. Kieinbetriebe
vorherrschend mit niedrigen Inputs von Arbeit und Kapital, sehr geringe Arbeits- und Flächenproduktivität,
geringer Vermarktungsquotient. Produktionsziel: hauptsächlich Nahrungsgüter.
En nomadische Weidewirtschaft
Ef Wanderfeldbau
Et Landwechselwirtschaft
T. Traditionelle intensive Landw irtschaft
Land meist von Eigentümern, seltener von Pächtern bewirtschaftet. Kleinbetriebe oder Latifundien.
Mittlere bis hohe Arbeitsinputs, niedrige Kapitalinputs. Mittlere bis hohe Flächenproduktivität, niedrige
Arbeitsproduktivität. Niedriger bis mittlerer Vermarktungsquotient.
Produktionsziel: hauptsächlich Nahrungsgüter.
Ti traditioneller, kleinbetrieblicher, arbeitsintensiver Ackerbau
(Indien, SO-Asien, Oasen des Orients)
Ts traditioneller, großbetrieblicher Ackerbau (z.B, Latifundien Südeuropas und Lateinamerikas,
tropische Plantagen älteren Typs
TI traditionelle, kleinbetriebliche gemischte Landwirtschaft
(Verbindung von Viehwirtschaft und Ackerbau)
M. M arktw irtschaftlich orientierte Landw irtschaft
Land in Privateigentum. Niedrige Arbeits- und hohe Kapitalinputs, hohe Flächen- und Arbeitsproduktivität,
hoher Vermarktungsquotient.
Ms kleinbetrieblicher, speziaiisierter Anbau von Industriepflanzen
Mi kleinbetrieblicher, hochintensiver Ackerbau
Mm gemischte Landwirtschaft (Verbindung von Viehwirtschaft und Ackerbau)
Ml großbetrieblicher intensiver Pflanzenbau, Moderne Plantage
Me großbetrieblicher extensiver Getreidebau
S. S ozialistische Landw irtschaft
Land in Staats- und Kollektiveigentum.
Großbetriebe mit unterschiedlicher Intensität und Produktivität.
Se sozialistische Landwirtschaft im Frühstadium
Sm sozialistische gemischte Landwirtschaft (Viehwirtschaft und Ackerbau)
Si sozialistische arbeitsintensive Landwirtschaft mit vorherrschendem Ackerbau (China, Vietnam)
Sh sozialistischer Gartenbau
Ss sozialistischer, spezialisierter Anbau von Industriepflanzen
A. H ochspezialisierte V iehw irtschaft
Großbetriebe, hoher Technologieeinsatz, hochgradige Spezialisierung.
Ar extensive stationäre Weidewirtschaft
Ad hochgradig industrialisierte Viehwirtschaft
A m IG U -System b e s tic h t d ie lü c k e n lo se E rfa ssu n g a lle r A g ra rsy ste m e d e r E rd e.
Die K la ssifik a tio n b ild e t e in o ffe n e s S y stem , es la sse n sic h d a h e r b e lie b ig viele
U n te rty p e n b ild e n . D ie K ritik (D. Grigg 1969; B. Hofmeister 1974) k o n z e n trie rt
sich a u f zw ei P u n k te . E in m a l e rfo rd e rt d ie p o s tu lie rte Q u a n tifiz ie ru n g e in e F ü lle
sta tis tis c h e r D aten , d ie n u r f ü r w e n ig e T eile d e r E rd e v e rfü g b a r sin d . In d e n
E n tw ic k lu n g s lä n d e rn ist z. B. e in e k le in rä u m ig e A g ra rsta tistik v ie lfa c h ü b e r h a u p t

118 Agrarregionen der Erde
n ic h t v o rh a n d e n . Z u m a n d e r e n b e d e u te t d ie A u ssc h e id u n g e in e r e ig e n e n H a u p t­
g ru p p e „S - S o z ia listisc h e L a n d w irts c h a ft“ e in e Ü b e rb e to n u n g d e r E ig e n tu m s v e r­
h ä ltn isse , d ie h e u te in v ie le n G e b ie te n ih r e r V e rb re itu n g u m 1980 b e re its ü b e rh o lt
ist.
4.1.2 Die Regionalisierung des Agrarraums
D as e ig e n tlic h g e o g ra p h isc h e A n lie g e n e in e r Ю a ssifiz ie ru n g d e r L a n d w irtsc h a ft
ist e rs t d e r fo lg e n d e S c h ritt, n ä m lic h d ie H e ra u s a rb e itu n g d e r re g io n a le n V e rb re i­
tu n g u n d A n o r d n u n g d e r a r tig e r A g ra rw irts c h a fts ty p e n (B. Hofmeister 1974,
S. 111). D ieses Z iel h a t a u c h d ie IG U -K om m ission b is z u r ih r e r A u flö su n g 1976
n ic h t e rre ic h t, e in e u rs p rü n g lic h g e p la n te W e ltk a rte a lle r A g ra rty p e n d e r E rd e
w u rd e n ie e rste llt; sie w ä re a n g e sic h ts des d e ta illie rte n IG U -System s a u c h n u r in
e in e m s e h r g ro ß e n M a ß sta b m ö g lich . F e rtig g e ste llt w u rd e v o n d e r P o ln isc h e n
A k ad em ie d e r W isse n sc h a fte n le d ig lic h d ie K arte v o n E u ro p a: Types of Agriculture
Map of Europe im M a ß sta b 1 : 2 500 000 (1984). D u rc h d e n Z u s a m m e n b ru c h
des S o z ia lism u s h a t sie n u r n o c h h is to ris c h e n W ert. D as A n lie g e n d e r A g rarg eog
ra p h ie e in e r a llg e m e in a n e r k a n n te n R e g io n a lisie ru n g d es A g ra rra u m s d e r E rd e
ist b is h e u te n ic h t b e frie d ig e n d g elö st (D. Grigg 1974, S. 3). A lle b is h e rig e n
G lie d e ru n g sv e rsu c h e (s. d ie v e rg le ic h e n d e Z u sa m m e n s c h a u b e i D. Grigg 1969)
b e r u h e n a u f re c h t u n te rs c h ie d lic h e n K rite rie n - je n a c h F o rs c h u n g s ric h tu n g u n d
-ziel. Sie w u r d e n v o rw ie g e n d p ra g m a tis c h e rs te llt u n d m ü s s e n n o tg e d ru n g e n
su b je k tiv e Z ü g e e n th a lte n . E in ig e d e r w ic h tig s te n A u fg lie d e ru n g e n d es A g rarra
u m s d e r E rd e so lle n n a c h fo lg e n d sk iz z ie rt w e rd e n .
G ro ß e n E in flu ß h a tte E. Hahns K arte d e r „ W irtsc h a ftsfo rm e n d e r E rd e “ (A bbild
u n g 4.1) v o n 1892. E r d iffe re n z ie rte n a c h P ro d u k tio n s m e th o d e n u n d G e rä te n
u n d u n te rs c h ie d d ie sech s W irtsc h a ftsfo rm e n Jäger- u n d F isc h e rle b e n , H ack b au ,
P la n ta g e n b a u , e u ro p ä isc h -w e sta s ia tisc h e r A c k e rb a u (b e ste h e n d a u s d e n d re i Elem
e n te n P flug, O chse, G etreid e), V ie h w irtsc h a ft, G a rte n b a u . Hahn g in g also ü b e r
d ie L a n d w irtsc h a ft im e n g e re n S in n e h in a u s u n d b e z o g in se in e m k u r z e n A ufsatz
a u c h w e ite re k u ltu re lle Ä u ß e ru n g e n - w ie z. B. E rn ä h ru n g s w e is e , P a rz e lle n g rö ß e
- m it ein. H e u te ist se in S y stem n u r n o c h v o n h is to ris c h e m In te re sse , n a c h d e m
Jäg er u n d F isc h e r n u r n o c h e in e v e rs c h w in d e n d e R e lik tg ru p p e d a rs te lle n u n d d e r
P flu g ü b e ra ll in d ie H a c k b a u g e b ie te e in d rin g t.
Th. Engelbrechts L a n d b a u z o n e n (1930) s te lle n im G ru n d e K lim a- u n d V egetatio
n s z o n e n d a r, d e n e n m it H ilfe d e r A g ra rsta tistik je w e ils e in e k e n n z e ic h n e n d e
K u ltu rp fla n z e z u g e o rd n e t w ird . F ü r d ie T ro p e n w e rd e n Reis- u n d H irse z o n e n
u n te rs c h ie d e n , d ie S u b tro p e n g lie d e rn sic h in Z u c k e rro h r-, B aum w olle-, M aisu
n d W in te rg e rs te n z o n e n , d ie A u ß e r tr o p e n w e r d e n v o n S o m m e rw e iz e n - u n d
H a fe rz o n e e in g e n o m m e n , w ä h r e n d d ie s u b a rk tis c h e G e rste n z o n e d e n p o lw ärtig
e n A b sc h lu ß d e r A n b a u z o n e n b ild e t.
Bis z u r G e g e n w a rt b a s ie re n viele U n te rg lie d e ru n g e n des A g ra rra u m s d e r E rd e
a u f d e m v o rg e g e b e n e n M u ste r d e r K lim a- u n d V e g e ta tio n sz o n e n , so z. B. a u c h b ei
B. Andreae (1983). D. Grigg (1969, S. 103) s ie h t d a r in e in e n fa lsc h e n A nsatz, d a e r
d e n E in flu ß d e r p h y s is c h e n F a k to re n a u f d ie L a n d w irtsc h a ft ü b e rb e w e rte t. Die

Probleme der agrargeographischen Regionalisierung 119
Abb. 4.1:
Eduard Hahns Wirtschaftsformen der Erde ca. 1 : 250 000
(Quelle: E. Hahn 1892, Tafel 2)
K lim a- u n d V e g e ta tio n sz o n e n g e b e n n u r d e n Eignungsraum f ü r d ie la n d w irtsch
a ftlic h e P ro d u k tio n ab, sie m a rk ie re n d as Produktionspotential, a b e r n ic h t d ie
ta ts ä c h lic h e n P ro d u k tio n s v e rh ä ltn is s e . P o te n tia lre g io n e n d ü r f e n n ic h t m it A g ra r­
re g io n e n g le ic h g e se tz t w e rd e n (H. F. Gregor 1970a, S.133).
E in frü h e s B eisp iel e in e r w e ltw e ite n P o te n tia lu n te rs u c h u n g b ild e t W. Hollsteins
„ B o n itie ru n g d e r E rd e a u f la n d w ir ts c h a f tlic h e r u n d b o d e n k u n d lic h e r
G ru n d la g e “ (1937). E r b e re c h n e te d ie E rtra g sfä h ig k e it d e r A n b a u g e b ie te u n te r
B e rü c k s ic h tig u n g v o n B o d e n e ig e n s c h a fte n e in e rs e its u n d d e r G lie d e ru n g des
a g ro n o m is c h e n Jah re s in V e g e ta tio n sz e ite n a n d e re rs e its . D ie Z a h l d e r E rn te n p ro
Ja h r u n d d ie A rt d e r K ö rn e rfrü c h te b e s tim m e n d as E rtra g sp o te n tia l. H o h ste in
u n te rs c h ie d 11 A reale, te ils m it g a n z jä h rig e m A n b a u , te ils m it Kälte- o d e r T rokk
e n r u h e bzw . m it W in te r- o d e r S o m m e rfrü c h te n . A n g esich ts w a c h s e n d e r E rn ä h ­
ru n g s p ro b le m e in w e ite n T e ile n d e r D ritte n W elt g e w in n e n P o te n tia lu n te rs u ­
c h u n g e n u n te r ö k o lo g isc h e m A sp ekt a n B e d e u tu n g . N ic h t se lte n fin d e n sic h in
d e n D a rste llu n g e n d e r L a n d sc h a ftsz o n e n o d e r V e g e ta tio n s fo rm a tio n e n d e r E rd e
a u c h A u ssa g e n ü b e r d ie la n d w irts c h a ftlic h e n N u tz u n g s m ö g lic h k e ite n d ie s e r n a ­
tü r lic h e n R a u m e in h e ite n (z. B. K. Müller-Hohenstein 1979).
A uf d ie a n g e lsä c h sisc h e A g ra rg e o g ra p h ie h a tte d ie A u fg lie d e ru n g des A g ra r­
ra u m s d e r E rd e v o n D. Whittlesey (1936) d e n d e n k b a r g rö ß te n E in flu ß , l n a b ­
g e w a n d e lte r F o rm w ir d se in e R e g io n a lis ie ru n g b is h e u te b e n u tz t - u. a. v o n
D. Grigg (1974).

120 Agrarregionen der Erde
Im G e g en satz z u d e n p ra g m a tis c h o p e rie re n d e n A n g e lsa c h se n b e fa ß te n sic h d e u t­
sch e A g ra rg e o g ra p h e n in te n s iv m it d e n th e o re tis c h m ö g lic h e n A b g re n z u n g e n
a g ra rg e o g ra p h isc h e r R a u m e in h e ite n v e rs c h ie d e n s te r G rö ß e n o rd n u n g . E. O t r e m -
BA (1976, S. 80 - 87) u n te rs c h e id e t n e b e n natürlichen Eignungsgebieten u n d
Verbreitungsarealen e in z e ln e r S a c h v e rh a lte (z.B. K u ltu rp fla n z e n , F lu rfo rm e n ,
E rb sitte n ) b e so n d e rs d as k le in rä u m ig e Agrargebiet v o n d e r g ro ß rä u m ig e n Agrarzone.
E in e w ic h tig e R an g k lasse im S y stem d e r a g ra rrä u m lic h e n E in h e ite n ist b ei
ih m d e r B egriff d e r Agrarlandschaft als „ G e sta lte in h e it m it e in e m in sic h e in h e itlic
h e n G efüge im rä u m lic h e n Z u s a m m e n k la n g a lle r K räfte u n d E le m e n te aus
a lle n B e re ic h e n u n te r d e m G e s ic h tsp u n k t d e r A g ra rw irts c h a ft“ (S. 82). W.-D. SiCK
(1993, S. 152 - 162) tr e n n t k la r d re i O rd n u n g s s tu fe n a g ra rg e o g ra p h is c h e r R a u m ­
e in h e ite n n a c h ih r e r G rö ß e n o rd n u n g :
- A g ra rb e trie b e,
- A g rarg eb iete,
- A g ra rre g io n e n .
E in e flä c h e n d e c k e n d e h ie ra rc h is c h e G lie d e ru n g d e r E rd e h ä lt e r - ä h n lic h w ie
O t r e m b a - fü r k a u m d u r c h f ü h r b a r , d a z w isc h e n d e n O rd n u n g s s tu fe n z a h llo se
Ü b e rg ä n g e b e s te h e n u n d v ie le R ä u m e m it M is c h s tru k tu r sc h w e rlic h e in e r b e­
s tim m te n E in h e it z u z u o r d n e n s in d (S. 153).
Abb. 4.2:
Agrarregionen der Erde (ca. 1 : 200 000)
(Quelle: eigener Entwurf nach D. Grigg 1969; B. Fautz 1970; H. W. Windhorst 1978; W.-D. Sick 1993;
Alexander-Weltatlas 1982 u.a.)

Probleme der agrargeographischen Regionalisierung 121
Abb. 4.3:
Agrarsystem nach Intensität,
Vermarktungsquote und
Produktionsrichtung
nu
Ф
s:
1 .
(Л
c (D ■o О
0>
Ü
CO
niedrig
hoch
Vermarktungsquote
1 Nomadismus
2 Stationäre extensive Weidewirtschaft
3 Intensive Grünlandwirtschaft
4 Viehwirtschaft in flächenarmen Betrieben
5 Wanderfeldbau und Landwechselwirtschaft
6 Intensiver Naßreisbau (asiatischer Typ)
7 Traditioneller, kleinbelrieblicher, arbeitsintensiver Ackerbau
8 Spezialisierter Marktfruchtanbau
8a Plantagenwirtschaft
8b Marktfruchtbetriebe der gemäßigten Breiten
8c Dauerkulturbetriebe der gemäßigten Breiten
9 Gemischtbetriebe Westeuropas und Nordamerikas
D er B egriff A g ra rre g io n als B e z e ic h n u n g f ü r g ro ß e A g ra rrä u m e , ggf. als o b e rste
S tu fe e in e r a g ra rrä u m lic h e n h ie ra rc h is c h e n G lie d e ru n g , e rs c h e in t n ic h t z u le tz t
d e sh a lb sin n v o ll, w e il e r d e m e n ts p re c h e n d e n T e rm in u s d e r e n g lisc h sp ra c h ig e n
L ite ra tu r (a g ric u ltu ra l re g io n ; vgl. D. Grigg 1969 sow ie A b b ild u n g 4.2) e n ts p ric h t.
E r w ird d a h e r h ie r ü b e rn o m m e n ; d e r B egriff „ A g rarzo n e“ e rs c h e in t w e n ig e r s in n ­
voll, d a d ie g ro ß e n a g ra rrä u m lic h e n E in h e ite n n u r se lte n e in e zo n a le , d .h . g ü r­
te lfö rm ig e A n o rd n u n g au fw e ise n .
Im fo lg e n d e n re g io n a le n T eil so lle n 9 A g ra rre g io n e n im e in z e ln e n b e h a n d e lt
w e rd e n . Ih re B e s tim m u n g e rfo lg t d u rc h d a s je w e ils d o m in ie re n d e A grarsystem ^^:
Der Begriff „Agrarsystem“ erscheint uns geeigneter als der in der deutschsprachigen Literatur
meist verwandte Ausdruck „Betriehsform“, der seihst in der Fachliteratur nicht eindeutig
festgelegt ist (E. Otremba 1976, S. 215). Zwar hat er in der deutschen Agrarstatistik seit 1971
seinen festen Platz, läßt sich aher nur schwer weltweit übertragen. Nomadismus und
Wanderfeldbau z.B. sind mehr als bloße Betriebsformen, es sind Agrarsysteme, d.h. ein
komplexer „Satz von Faktoren mitsamt den Beziehungen zwischen ihnen“ (P. Haggett 1979,
S. 52).

122 Agrarregionen der Erde
V ie h w irtsc h a ftsy ste m e
1. N o m a d ism u s
2. E x ten siv e sta tio n ä re W e id e w irtsc h a ft (R an ch in g )
3. In te n siv e V ie h w irtsc h a ft a u f G rü n la n d b a s is
4. V ie h w irtsc h a ft in flä c h e n a rm e n B e trie b e n (M a sse n tie rh a ltu n g )
A cker- u n d D a u e rk u ltu rs y s te m e
5. W a n d e rfe ld b a u u n d L a n d w e c h se lw irtsch a ft
6 . R eisb au
7. T ra d itio n e lle r k le in b e trie b lic h e r, a rb e its in te n s iv e r A ck e rb a u o h n e Reis
8 S p e z ia lisie rte r M a rk tfru c h tb a u
a) P la n ta g e n w irts c h a ft d e r T ro p e n u n d S u b tro p e n
b) M a rk tfru c h tb a u d e r g e m ä ß ig te n B re ite n
c) D a u e rk u ltu re n d e r g e m ä ß ig te n B re ite n
9 G e m isc h tb e trie b e W e ste u ro p a s u n d N o rd a m e rik a s
Die a u s g e w ä h lte n A g ra rre g io n e n d e c k e n z w a r n ic h t d e n g e sa m te n A g ra rra u m d e r
E rd e ab, sie u m fa s s e n a b e r d ie w ic h tig s te n P ro d u k tio n s rä u m e u n d d e n G ro ß teil
d e r A g ra rb e v ö lk e ru n g . Ih re A u sw a h l e rfo lg te so, d a ß v e rs c h ie d e n e Ю im a z o n e n
u n d d ie v ie r H a u p tk rite rie n d e r A g ra rk la ssifik a tio n d e r IGU (s. K ap itel 4.1.1),
n ä m lic h B o d e n n u tz u n g s s y s te m u n d V e rh ä ltn is v o n p fla n z lic h e r z u tie ris c h e r
P ro d u k tio n , I n te n s itä t u n d P ro d u k tio n z ie le , P ro d u k tio n s m e th o d e n so w ie a g ra r­
soziale V e rh ä ltn isse , b e rü c k s ic h tig t w u r d e n (s. A b b ild u n g 4.3).
4.2 Viehwirtschaftsregionen der Erde
V om g e s a m te n A g ra rra u m d e r E rd e v o n 48,09 M io. km ^ e n tfa lle n e tw a zw ei D ritte
l a u f D a u e rg rü n la n d u n te rs c h ie d lic h e r Q u a litä t, das n u r v ie h w irts c h a ftlic h zu
n u tz e n ist. L ed ig lich 10-12% d ie se r F läch e b e s te h t a u s g e d ü n g te m u n d z. T. m e ­
lio rie rte m K u ltu rg ra sla n d . D azu k o m m e n e tw a 4 M io. km ^ A c k e rla n d m it A ckerfu
tte r e in sc h lie ß lic h G e tre id e , d as in d e r V ie h w irtsc h a ft e in g e se tz t w ir d (28 %des
A ckerlandes). B e rü c k sic h tig t m a n n o c h d ie N e b e n p ro d u k te d e r p fla n z lic h e n P ro ­
d u k tio n , d ie in d e r T ie r e r n ä h ru n g e in g e s e tz t w e r d e n (z.B. S tro h , R ü b e n b la tt,
Ö lk u c h e n sc h ro te , T re b e r, M elasse), so s in d sc h ä tz u n g sw e ise d re i V ie rte l des A g rarra
u m s d e r E rd e d e r E rz e u g u n g tie ris c h e r P ro d u k te g e w id m e t (G r a e w e u . M e r t e n s
1979, S. 138).
Die M otive d e r N u tz tie rh a ltu n g s in d v ielfältig:
- E rz e u g u n g v o n N a h ru n g s m itte ln (F leisch, E ier, M ilch),
- E rz e u g u n g v o n R o h sto ffe n fü r d ie B e k le id u n g (H äute, Felle, W olle, H aare, Fed
e rn ),
- N u tz u n g d e r tie ris c h e n A rb e itsk ra ft (Zug- u n d T rag k raft),
- N u tz u n g d es K ots als D ü n g e r o d e r B re n n m a te ria l,
- a u ß e r- u n d se m iö k o n o m isc h e Z iele (R eligion, K ult, S o z ia lp re stig e , so ziale K onta
k te , D a se in ssic h e ru n g , F re iz e itg e sta ltu n g ).

Viehwirtschaftsregionen der Erde 123
V ielfach s in d v e rs c h ie d e n e P ro d u k tio n sz ie le m ite in a n d e r g e k o p p e lt, w ie z. B. d ie
Fleisch- u n d W o lle rz e u g u n g h e i d e r S c h a fh a ltu n g . D ie N u tz u n g s a n s p rü c h e a n d ie
g leich e T ie ra rt k ö n n e n re g io n a l s e h r u n te rs c h ie d lic h a u sg e p rä g t sein . D as R in d ist
w e ltw e it d e r w ic h tig ste Fleisch- u n d M ilc h lie fe ra n t, a b e r d ie rie s ig e n R in d er- u n d
B ü ffe lb e stä n d e des in d is c h e n S u b k o n tin e n ts (1994: 337 M io. T ie re o d e r 25% des
W e ltb e sta n d e s) w e rd e n , so w e it sie ü b e r h a u p t ein e w irtsc h a ftlic h e F u n k tio n e rfü l­
len , als Z u g tie re e in g e se tz t; le d ig lic h 10 - 12 % des B e sta n d e s d ie n e n d e r M ilc h e r­
z e u g u n g (Graewe u. Mertens 1979, S. 138). D er g rö ß te T eil d e r T ie re w ird n ic h t
g e sc h la c h te t, s o n d e rn s tirb t e in e s n a tü r lic h e n T odes, w o n a c h le d ig lic h d ie H a u t
w irts c h a ftlic h v e rw e rte t w ird . D ie se m iö k o n o m isc h e F u n k tio n d e r R in d e rh e rd e n
in d e n a frik a n is c h e n S a v a n n e n ist oft b e sc h rie b e n w o rd e n . D ie g ro ß e n H e rd e n
sin d z w a r M ilch-, B lut- u n d F le isc h lie fe ra n t, d a n e b e n d ie n e n sie a b e r als S ta tu s­
sy m b o l, als G e g e n sta n d z a h lre ic h e r T ab u s, fü r Z e re m o n ie n , als G esc h e n k , B ra u t
p re is u n d T a u sc h o b je k t (H. Hecklau 1978, S. 16).
D ie V ie h w irtsc h a ft k o n z e n trie rt sich a u f re la tiv w e n ig e T ie ra rte n , v o n d e n e n
n u r fü n f (R ind, S chaf, Z iege, S c h w e in u n d H u h n ) e in e w e ltw e ite B e d e u tu n g b e s itzen.
A n S ta n d o rte n m it e x tre m e n K lim a v e rh ä ltn isse n k ö n n e n h o c h sp e z ia lisie rte
T ie ra rte n , w ie K am el, B üffel, L am a, Yak, lo k al v o n g ro ß e r B e d e u tu n g sein . P ferd ,
E sel u n d M au lesel w e rd e n v o rw ie g e n d als A rb e itstie re e in g e se tz t. D ie B e w irtsc h a f­
tu n g d e r W ild tie re (D am w ild in E u ro p a , B isons in d e n USA, A n tilo p e n im s ü d lic
h e n A frika) steck t e rs t in d e n A n fä n g e n .
D ie T ie rb e stä n d e d e r E rd e h a b e n sic h in d e n le tz te n J a h rz e h n te n z a h le n m ä ß ig
s ta rk e rh ö h t. D er Z u w a c h s e rfo lg te v o r alle m in d e n je n ig e n E n tw ic k lu n g s lä n d e rn
m it w a c h s e n d e m L e b e n s s ta n d a rd , d. h . v o r a lle m in O sta sie n , L a te in a m e rik a u n d
im V o rd e re n O rie n t. In 93 v o n d e r FAO e rfa ß te n E n tw ic k lu n g s lä n d e rn e in sc h lie ß ­
lic h C h in a stie g e n z w isc h e n 1969/71 u n d 1988/90 d ie R in d er- u n d B ü ffe lb e stä n d e
v o n 798 M io. a u f 1 005 M io., d ie S c h w e in e b e stä n d e v o n 291 M io. a u f 486 M io.
T iere a n (N. Alexandratos 1995, S. 198). M it d e r w a c h s e n d e n N a ch frag e n a c h
tie ris c h e n P ro d u k te n als A u sd ru c k v o n B e v ö lk e ru n g sw a c h stu m u n d z u n e h m e n ­
d e r M a sse n k a u fk ra ft w a c h s e n p a ra lle l d ie T ie rb e stä n d e . Bis z u m Ja h re 2010 e r­
w a rte t d ie FAO e in e n w e ite re n Z u w a c h s d e r B e stä n d e in d e n E n tw ic k lu n g slä n ­
d e rn u m 35 %.
M it d e n T ie rb e s tä n d e n w a c h s e n a u c h d ie g lo b a le n E m is s io n e n v o n A m m o n ia k
(N H j) u n d M e th a n (CH^), d ie n e b e n d e m K o h le n d io x id f ü r d e n T re ib h a u se ffe k t
d e r A tm o sp h ä re v e ra n tw o rtlic h g e m a c h t w e rd e n .
Die rä u m lic h e O rd n u n g d e r V ie h w irtsc h a ft w ird d u rc h e in W ech se lsp ie l ö k o lo ­
g isc h e r, ö k o n o m is c h e r u n d k u ltu r e lle r F a k to re n g e s te u e rt. D ie a u s g e d e h n te n
G rü n la n d g e b ie te je n s e its d e r G re n z e n d es A ck erb au s s in d ra tio n e ll n u r ü b e r e in e
B e w e id u n g d u rc h W ie d e rk ä u e r, d e re n V e rd a u u n g ssy ste m d as ro h fa s e rre ic h e F u t­
te r a u fsc h lie ß t, z u n u tz e n . Es h a n d e lt sic h h ie r u m a b so lu te s W e id e la n d a u fg ru n d
d e r ö k o lo g isc h e n G e g e b e n h e ite n . D ie re la tiv h o h e n P ro d u k tio n s k o s te n tie ris c h e r
P ro d u k te e rfo rd e rn e in e N ach fra g e se ite n s k a u fk rä ftig e r S c h ic h te n , ih r V e rb ra u c h
ist in d e n In d u s tr ie lä n d e r n h o c h , in d e n E n tw ic k lu n g s lä n d e rn s e h r g erin g . Ih r
V e rb ra u c h lä ß t sic h d a h e r d ire k t m it d e r E in k o m m e n s e n tw ic k lu n g k o rre lie re n
(s. K ap itel 2.2.3). S c h lie ß lic h e n g e n d ie e r w ä h n te n S p e ise ta b u s d e r v e rs c h ie d e n e n
K u ltu rk re ise d ie A u sw a h l d e r m ö g lic h e n N u tz tie re ein.

124 Agrarregionen der Erde
E in Ü b erb lick ü b e r d ie rä u m lic h e O r d n u n g d e r V ie h w irtsc h a ft g ib t d as V e rb re i­
tu n g s m u s te r d e r T ie rp o p u la tio n e n (s. T ab elle 4.1). D er g rö ß te B e sta n d a n Rindern
und Büffeln^ ist a u f d e m in d is c h e n S u b k o n tin e n t k o n z e n trie rt - b e i d e n k b a r
g e rin g e r P ro d u k tiv itä t. W e ite re S c h w e rp u n k te s in d E u ro p a e in s c h lie ß lic h d e r
w e stlic h e n S o w je tu n io n , d ie USA u n d T eile S ü d a m e rik a s, ln A frik a h a t d ie R in d e r­
h a ltu n g ih re S c h w e rp u n k te im S ah el, in d e n o s ta frik a n is c h e n H o c h lä n d e rn u n d
im sü d lic h e n T eil d es K o n tin e n ts. D ageg en fa lle n d ie R eg en w ald - u n d F e u c h t­
sa v a n n e n g e b ie te A frikas w e g e n d e r T setseflieg e f ü r d ie R in d e rz u c h t w e itg e h e n d
aus.
Rinder und Schafe Ziegen Schweine Hühner
Büffel
Erde (Millionen) 1437 1086,6 609,5 875,4 12002
Afrika 14,7% 21,4% 29,2 % 2,6% 8,9 %
Asien 41,8 % 34,9 % 61,9 % 58,9 % 50,3 %
Indischer
25,4 % 7,7 % 31,3 % 1,5 % 6,3 %
Subkontinent
China 8,5 % 11,5 % 17,6% 49,1 % 24,4 %
Nordamerika 12,3% 1,8% 2,5 % 11,4 % 18,9%
Südamerika 21,2% 9,7 % 3,8 % 6,1% 10,6%
Europa 8,1% 13,4% 2,5 % 20,5 % 10,5%
Ozeanien 1,9 % 18,8% 0,1% 0,5 % 0,8%
Tab. 4.1 :
Die Verteilung des
Haustierbestandes
nach Kontinenten
1994
(Quelle: FAQ. Production
Yearbook
Vol. 48,1994)
Die Schafhaltung h a t ih re S c h w e rp u n k te so w o h l in s e m ia rid e n w ie o z e a n isc h e n
K lim ag eb ieten . D ie s tä rk s te n B e stä n d e fin d e n sic h in A u stra lie n u n d N e u se e la n d ;
stä rk e re P ro d u k tio n s z e n tre n trifft m a n in d e r e h e m a lig e n S o w je tu n io n , im V o rd e­
re n O rie n t, in S ü d o ste u ro p a , a u f d e n B ritisc h e n In se ln , in U ru g u a y u n d P a ta g o n i­
en. Je n a c h A bsatzlage k a n n F leisch o d e r W olle d as H a u p tp ro d u k t b ild e n .
D er zw eite ro e in w ie d e rk ä u e r, d ie Ziege, h a t ih re e in d e u tig e n S c h w e rp u n k te in
d e n tro p is c h e n u n d s u b tro p is c h e n Z o n e n A siens u n d A frikas; a u f b e id e K o n tin e n ­
te e n tfa lle n 90 % d es W e ltb e sta n d e s. D ie Z iege w ird im G e g e n sa tz z u m S chaf
v o rw ie g e n d fü r d ie h a u s w irts c h a ftlic h e E rz e u g u n g g e n u tz t.
Schwein und Huhn h a b e n ä h n lic h e S ta n d o rtv o ra u s s e tz u n g e n , n ä m lic h e in e n
b re ite n A n p a s s u n g s s p ie lra u m a n d ie v e rs c h ie d e n s te n K lim a z o n e n , b a lla s ta rm e
F u tte rm itte l in K o n k u rre n z z u r m e n s c h lic h e n N a h ru n g , h o h e R e p ro d u k tio n s ­
k a p a z itä t, E ig n u n g f ü r d ie M a s s e n tie rh a ltu n g , sc h lie ß lic h e in e h o h e N ä h rsto ffö
k o n o m ie (Horst u. Peters 1978, S. 199). B eid e T ie r a r te n h a b e n e in b re ite s
F u tte rs p e k tru m , d a s v o n A b fällen , N e b e n p ro d u k te n d es A ck erb au s, W e id e frü c h ­
te n b is zu h o c h k o n z e n trie rte n F u tte rm itte ln re ic h t. Ih re H a ltu n g ist d a h e r so w o h l
in d e r e x te n siv e n S u b s is te n z w irts c h a ft w ie in d e r A g ro in d u s trie m ö g lic h . Ih r
V e rb re itu n g s m u s te r lä ß t sie b m it d e r B e v ö lk e ru n g sv e rte ilu n g d e r E rd e k o rre lie ­
^^Der Büffelbestand der Erde von 148,8 Mio. Tieren (1994), das sind etwa 10 % des Rinderbestandes,
konzentriert sich zu 90 %auf die asiatischen Reisbaugebiete, wo der Büffel das
Arbeitstier darstellt.

Viehwirtschaftsregionen der Erde 125
re n , a u f C h in a e n tfä llt a lle in e 49 % d es S c h w e in e b e sta n d e s d e r E rd e. A u fg ru n d
ih r e r N a h ru n g s a n s p rü c h e h a b e n sie ih re B e s ta n d s s c h w e rp u n k te in A c k e rb a u ­
re g io n e n . D a d ie T iere a u c h h o c h k o n z e n trie rte , tr a n s p o rtk o s te n u n e m p fin d lic h e
F u tte rm itte l v e rw e rte n , k ö n n e n d ie P ro d u k tio n s s ta n d o rte m e h r u n d m e h r in d ie
d ic h tb e s ie d e lte n A b sa tz g e b ie te v e rla g e rt w e rd e n . Legt m a n d ie T ie rp o p u la tio n e n
a u f d ie K lim a z o n e n u m , so e rm ö g lic h e n d ie g e m ä ß ig te n K lim a te e in b re ite s
P ro d u k tio n s s p e k tru m m it R in d , S c h w ein , S ch af u n d G eflügel. In d e n w e c h se l­
fe u c h te n Z o n e n d e r T ro p e n u n d S u b tro p e n d o m in ie re n d ie W ie d e rk ä u e r R ind,
S chaf u n d Z iege, w ä h r e n d sic h in d e n fe u c h te n T ro p e n d ie re la tiv g e rin g e T ie r­
p ro d u k tio n s tä rk e r a u f S c h w e in u n d G eflü g el sow ie d ie W ie d e rk ä u e r Z iege u n d
B üffel s tü tz t (H o r s t u . P e ters 1978, S. 191).
D as w e ltw e ite V e rb re itu n g s m u s te r d e r T ie rb e stä n d e sp ie g e lt n u r m a n g e lh a ft
d ie tie ris c h e P ro d u k tio n w ie d e r, d a d ie P ro d u k tiv itä t je T ie r re g io n a l s e h r u n te r ­
sc h ie d lic h ist u n d in d e n m e is te n E n tw ic k lu n g s lä n d e rn n u r e tw a 25 % d es W ertes
d e r In d u s tr ie lä n d e r e rre ic h t. D ie se r L e istu n g s u n te rs c h ie d e rg ib t sic h a u s g e rin g e ­
re m S c h la c h tg e w ic h t, g e rin g e re m F le isc h z u w a c h s je T ie r u n d Ja h r so w ie au s e in e r
g e rin g e re n M ilc h le istu n g je K u h (s. T ab elle 4.2).
Tab. 4.2:
Schlachtgewicht und Milchleistung
in ausgewählten Ländern 1994
(Quelle: FAQ. Production Yearbook
48,1994)
Schlachtgewicht je Milchleistung je
Rind (kg) Schaf (kg) Kuh (kg)
Indien 103 12 984
Äthiopien 105 10 209
Bolivien 171 9 1401
Argentinien 212 16 2622
Rußland 195 22 2200
Deutschland 300 18 5320
USA 318 30 7277
D iese P ro d u k tiv itä ts u n te rs c h ie d e m a c h e n k la r, w e sh a lb v o n d e r tie ris c h e n N a h ­
ru n g s p ro d u k tio n d e r E rd e ü b e r v ie r F ü n fte l a u f d ie g e m ä ß ig te n Ю im a z o n e n u n d
e tw a 50 % a u f d ie In d u s tr ie lä n d e r e n tfa lle n , o b w o h l d ie E n tw ic k lu n g s lä n d e r ü b e r
a n s e h n lic h e T ie rp o p u la tio n e n v e rfü g e n . In fa st a lle n I n d u s tr ie lä n d e r n sin d d ie
V e rk a u fse rlö se a u s d e r tie ris c h e n P ro d u k tio n f ü r d ie L a n d w irtsc h a ft w e it w ic h tig
e r als d ie p fla n z lic h e n P ro d u k te . Sie b e lie fe n sic h z.B. 1992 in G ro ß b rita n n ie n
a u f 61 %, in d e r B u n d e s re p u b lik D e u tsc h la n d a u f 62 %, in D ä n e m a rk so g a r a u f 72 %
d e r G e sa m te rlö se .
4.2.1 Die Regionen des Nomadismus
D ie g ro ß e A u fm e rk sa m k e it, w e lc h e d e r N o m a d ism u s in d e r F o rs c h u n g v ie le r
D isz ip lin e n g e fu n d e n h a t, ist u m g e k e h rt p ro p o rtio n a l z u s e in e r h e u tig e n w irts
c h a ftlic h e n B e d e u tu n g . D ieses In te re s s e e rk lä rt sich e in m a l a u s d e r U rtü m lic h ­
k e it d ie se r W irtsch afts- u n d L e b e n sfo rm , z u m a n d e re n a u s d e m rie s ig e n A u sm a ß
d e r F lä c h e n z w isc h e n A tla n tik u n d Z e n tra la sie n , w e lc h e a u c h h e u te n o c h d u rc h

126 Agrarregionen der Erde
^ 0 ^
n o m a d is c h e W e id e w irtsc h a ft g e n u tz t w e rd e n . Sie ist d as sp e z ifisc h e A g rarsy stem ,
das in d e r A lten W elt z u r N u tz u n g d e r T ro c k e n g e b ie te m it s p ä rlic h e m u n d ja h re s ­
zeitlic h w e c h s e ln d e m F u tte ra n g e b o t e n tw ic k e lt w u rd e . In d e r N e u e n W elt h a t es
d a g e g e n n ie e in e n N o m a d ism u s g eg eb en , w ie sc h o n A. v o n H u m b o l d t e rk a n n te -
es fe h le n d ie W e id e tie re. In p rä k o lu m b ia n is c h e r Z eit w a r d as L am a, d a s le d ig lic h
als T ra g tie r u n d W o llie fe ra n t d ie n te , d as g rö ß te N u tz tie r A m erik as.
Die Anfänge des Nomadismus lie g e n im D u n k e l d e r V o rg esch ich te. E. W ir t h
(1969, S. 41) g ib t d e r k la ssisc h e n D re ite ilu n g d e r o rie n ta lis c h e n G e sellsch aft -
se ß h a fte A c k e rb a u e rn (F ellachen), N o m a d e n u n d S tä d te r - e in A lter v o n fü n f
Ja h rta u s e n d e n . F ü r d ie S a h a ra ist d ie A u sb ild u n g e in e r R in d e r h ir te n k u ltu r im
4. J a h rta u s e n d v. C hr. d u rc h F e lsb ild e r h e rv o rra g e n d d o k u m e n tie rt. O b es sich
b e i d ie s e r W e id e w irtsc h a ft b e re its u m N o m a d ism u s i.e.S. h a n d e lt, ist fre ilic h s trittig.
A. Leidlmair (1965, S. 82) s ie h t d e n U rs p ru n g im S te p p e n b a u e r n tu m des
O rie n ts, a u s d e m sich als F rü h fo rm e in K le in tie rn o m a d is m u s m it Schaf- u n d
Z ie g e n h a ltu n g a b sp a lte te . Die D o m e s tiz ie ru n g v o n P fe rd u n d K am el e rm ö g lic h te
z w isc h e n 1500 u n d 1100 v. C hr. d e n Ü b e rg a n g z u m V o lln o m a d ism u s (E. Wirth
1969, S. 47) im a sia tis c h e n S te p p e n ra u m . D ie b e id e n R e ittie re v e rs c h a ffte n d e n
N o m a d e n h o h e M o b ilitä t u n d m ilitä ris c h e Ü b e rle g e n h e it. D ie e rs te n s c h riftlic h e n
A u fz e ic h n u n g e n in d e n H o c h k u ltu re n d e r A n tik e b e ric h te n d e n n a u c h e in se itig
v o n k rie g e ris c h e n A u s e in a n d e rs e tz u n g e n m it N o m a d e n , w ie z.B. d as B u ch d e r
R ich ter, K ap itel 6 - 8 , v o m S ieg d e r Is ra e lite n ü b e r d ie M id ia n ite r. D a d ie sc h riftlic
h e n A u fz e ic h n u n g e n so g u t w ie a u ssc h lie ß lic h v o n S e ß h a fte n sta m m e n , sp ie ­
g eln sie d e re n S ich tw eise u n d V o ru rte ile w id e r (F. Scholz 1995, S. 46). D abei w ird
m e is t e in n e g a tiv e s B ild v o m N o m a d e n g e z e ic h n e t, e r ist d e r B a rb a r, e in e B ed ro ­
h u n g fü r d ie Z iv ilisa tio n . H ä u fig w e rd e n sie m it alles v e rz e h re n d e n H e u sc h re c k e n
v e rg lic h e n - e in T opos, d e r sic h v o m A lten T e s ta m e n t b is IBN Khaldoun fin d et:
„D en n sie k a m e n h e r a u f m it ih r e m V ieh u n d H ü tte n w ie e in e g ro ß e M en g e H e u ­
sc h re c k e n , d a ß w e d e r sie n o c h ih re K am ele zu z ä h le n w a re n , u n d fie le n in s L and,
d a ß sie es v e r d e r b te n “ (Richter 6, 5). Ü b e r J a h rta u s e n d e s te llte n d ie m o b ile n
a sia tisc h e n R e ite rk rie g e r (u.a. S k y th e n , H u n n e n , T a rta re n , M o n g o len) e in e stetig e
B e d ro h u n g d e r u m lie g e n d e n H o c h k u ltu re n d a r. D ie H e rk u n ft d e r N o m a d e n au s
d e m w e se n tlic h ä lte re n A ck e rb a u ist h e u te a llg e m e in a n e rk a n n t. Bis z u m E n d e
des 19. J a h rh u n d e rts h a tte sic h d ie D re is tu fe n th e ro rie des G rie c h e n Dikäarch
(ca. 310 V. C hr.) g e h a lte n , d e r zu fo lg e N o m a d is m u s e in e Z w isc h e n stu fe in d e r
a llg e m e in e n E n tw ic k lu n g d e r M e n sc h h e it v o n d e r S a m m le rstu fe ü b e r d a s H irten -
tu m z u m A ck erb au b ild e te . E rst F. Ratzel u n d E. Hahn w ie se n d ie H e rk u n ft au s
d e m A ck e rb a u ü b e rz e u g e n d n a c h , d a e r k e in e a u ta rk e W irtsc h a ftsfo rm ist; sc h o n
au s e rn ä h ru n g s p h y s io lo g is c h e n G rü n d e n ist d e r N o m a d e a u f d e n B ezu g v o n
p fla n z lic h e n P ro d u k te n d e r A c k e rb a u e rn a n g e w ie se n . A u ß e rd e m w a r d e r Ü b erg
a n g v o n d e r e in e n in d ie a n d e re L e b e n sfo rm im O rie n t h ä u fig flie ß e n d : N o m a­
d e n w u r d e n se ß h a ft. S e ß h a fte n o m a d is ie rte n (E. Wirth 1969, S. 41).
D er B egriff „Nomadismus“ w ird v ie ld e u tig g e b ra u c h t u n d a u f m a n c h e m o b ile
W irtsc h a ftsfo rm (W ild b e u te r, Z ig e u n e r, T o u riste n ) a n g e w a n d t. Im R a h m e n d ie se r
a g ra rg e o g ra p h isc h e n B e tra c h tu n g w e rd e n - in A n le h n u n g a n R. H e r z o g (1963,
5. 11) - u n te r N o m a d e n a u ssc h lie ß lic h „ W a n d e rh irte n , d e re n w e s e n tlic h e Existe
n z g ru n d la g e V ie h z u c h t is t“, v e rs ta n d e n . D iese D e fin itio n e n ts p ric h t a u c h d e m

Viehwirtschaftsregionen der Erde 127
W o rtsin n des g rie c h isc h e n V e rb u m s „ n e m e in “ = g ra se n , w e id e n , v o n d e m d e r
sc h o n b ei Herodot v o rk o m m e n d e B eg riff N o m a d e a b g e le ite t ist. Sie s c h lie ß t die
te m p o rä re A u fn a h m e a n d e r e r w irts c h a ftlic h e r A k tiv itä te n w ie T ra n s p o rtfu n k tio ­
n e n , H a n d e l o d e r u n g e re g e lte n A n b a u v o n G e tre id e e in . Es g ab u n d g ib t k a u m
N o m a d e n , d ie n ic h t irg e n d e in e B e z ie h u n g z u m A n b a u h a tte n . D ie s trik te T re n ­
n u n g d e r W irtsc h a ftsfo rm e n g e h ö rt z u r C h a ra k te ris ie ru n g v o n G ru p p e n in d e r
T h e o rie d e r W irtsc h a ftsstu fe n , sie ist in d e r P raxis se lte n . N ach F. Scholz (1982,
S. 6 ) w e ist d e r N o m a d ism u s als L ebens- u n d W irtseh aftsfo rm ^^ d ie fo lg e n d e n v ie r
M e rk m a le auf;
- V ie h h a ltu n g als W irtsc h a ftsg ru n d la g e ,
- N a tu rw e id e m it s p ä rlic h e r F u tte rp ro d u k tio n e rz w in g t g ro ß rä u m ig e H e rd e n ­
w a n d e ru n g e n ,
- d ie v ie h h a lte n d e n S o z ia lg ru p p e n w e c h se ln m it d e n H e rd e n d e n S ie d lu n g s­
p latz,
- g e n e a lo g isc h e S o z ia lg ru p p e n s in d d ie T rä g e r des N o m a d ism u s u n d d ie E ig e n ­
tü m e r v o n W e id e n u n d H e rd e n .
Die Viehhaltung b ild e t d ie E x iste n z g ru n d la g e se lb st d o rt, w o d e r N o m a d e als
T r a n s p o r tu n te r n e h m e r u n d H ä n d le r ag ie rt, d a a u c h d a n n se in V ieh d as H a u p t­
p r o d u k tio n s m itte l b ild e t. D ie H e rd e n b e s te h e n a u s K le in w ie d e rk ä u e rn (Schaf,
Z iege) u n d G ro ß v ie h (R ind, K am el, P fe rd u n d Yak) b e i re g io n a l w e c h s e ln d e r Z u­
sa m m e n se tz u n g . F. Scholz (1994, S. 72) u n te rs c h e id e t d ie N o m a d e n n a c h ih r e r
w ic h tig ste n E x iste n z g ru n d la g e , d e n T ie re n fü r d ie Z e it u m 1900 fo lg e n d e rm a ß e n ;
v o n O ste n n a c h W e ste n g ab es im T ro c k e n g ü rte l d e r A lten W elt d ie P fe rd e h a lte r
d e r M o n g o lei, d ie Y a k z ü c h te r d es tib e ta n is c h e n H o c h la n d e s u n d d e r a n g re n z e n ­
d e n G eb irg e, d ie K a m e ln o m a d e n Z e n tra la sie n s, d ie D ro m e d a rz ü c h te r z w isc h e n
R a ja sth a n im O ste n u n d M a u re ta n ie n im W e ste n so w ie d ie R in d e rh a lte r im S ah el
u n d in O stafrik a. H ä u fig w u r d e n d a z u S chafe u n d Z ie g e n g e h a lte n . D er a k tu e lle
B e d e u tu n g s rü c k g a n g v o n K am el, D ro m e d a r u n d P fe rd als T ra n s p o rttie re w ird
d u rc h d ie V e rm e h ru n g d e r Schaf- u n d Z ie g e n h e rd e n k o m p e n s ie rt, falls d ie F u tte r­
b a sis d as z u lä ß t. P ro d u k tio n sz ie le s in d p r im ä r d ie S e lb stv e rso rg u n g m it tie r i­
sc h e n P ro d u k te n u n d T ra n s p o rttie re n . Als tie ris c h e N a h ru n g s in d M ilch u n d
M ilc h p ro d u k te (B u tter, K äse, Jo g h u rt) w ic h tig e r als F leisch, d as se lte n a u f d e m
S p eise z e tte l ste h t. D ie N a h ru n g d e r N o m a d e n b e s te h t v o rw ie g e n d a u s p fla n z lic
h e n P ro d u k te n (G etreid e, D a tte ln , T ee, Z ucker), d ie e n tw e d e r se lb st a n g e b a u t
o d e r g e k a u ft w e rd e n . N ach H. Ruthenberg (1971, S. 257) b e n ö tig t z.B. e in F ü n f­
p e rs o n e n h a u s h a lt d e r S a h a ra n o m a d e n jä h rlic h 300 k g G e tre id e u n d 500 k g D atte
ln . D ie N o m a d e n s in d d e sh a lb se it je h e r a u f A u s ta u s c h b e z ie h u n g e n m it d e n
A c k e rb a u e rn a n g e w ie se n u n d m ü s s e n e in e Ü b e rs c h u ß p ro d u k tio n a n tie ris c h e n
E rz e u g n isse n (T iere, H ä u te , W olle, T e p p ic h e ) e rw irts e h a fte n . M it d e n w a c h s e n d e n
A n s p rü c h e n a n d as G ü te ra n g e b o t d e r h e u tig e n Z iv ilisa tio n ste ig t d ie V e rm a rk ­
tu n g s q u o te . R adios, A u to s u n d T ra k to re n in N o m a d e n la g e rn d es O rie n ts s in d
Zur Abgrenzung des Nomadismus von den übrigen Formen der Fernweidewirtschaft wie
Transhumanz und Almwirtschaft vgl. A. Beuermann 1967.S. 17-31.

128 Agrarregionen der Erde
h e u te n ic h ts U n g e w ö h n lic h e s m e h r, sie k ö n n e n n u r d u rc h d e n V e rk au f auch von
jü n g e r e n T ie re n e rw o rb e n w e rd e n . D a m it s in k t a u c h d ie B e d e u tu n g d e r semiu
n d a u ß e rö k o n o m is c h e n F u n k tio n e n , w e lc h e V ie h h e rd e n in n o m a d isc h e n Gesellsc
h a fte n z u e rfü lle n h a b e n , w ie z.B. S ta tu ssy m b o l, T rä g e r d es R angs ihrer
E ig e n tü m e r. N e b e n d e r V ie h h a ltu n g ü b e n N o m a d e n h ä u fig zu sä tz lic h e Aktivitä
te n au s \vie G e tre id e b a u , S a m m e lw irtsc h a ft (H aifa in d e n S te p p e n des M aghreb,
B re n n h o lz fü r d ie S täd te), M ilitä rd ie n st. D ie k la ssisc h e n N e b e n tä tig k e ite n Transp
o rte , H a n d e l, S ch m u g g e l, E rh e b u n g v o n S c h u tz g e b ü h re n v o m T ransitverkehr
u n d v o n a b h ä n g ig e n S e ß h a fte n sin d d u rc h d ie m o d e rn e E n tw ic k lu n g stark be-
Jahresniederschlag
Weidefläche je Schaf
300 - 400 mm 0 ,2 5 -0 ,5 ha
200 - 300 mm 1 - 4 ha
100 - 200 mm 10-20 ha
Tab. 4.3:
Potentielle Bestockungsdichte mit Schafen
für die algerische Steppe
(Quelle; W. Trautmann 1982, S. 107)
s c h n itte n w o rd e n bzw . w e g g efallen .
Die P ro d u k tio n s g ru n d la g e d e r n o m a d is c h e n V ie h w irtsc h a ft b ild e t stets die .Naturw
eid e, d .h . d ie n a tü rlic h e P fla n z e n g e se llsc h a ft d e r je w e ilig e n V egetationszone;
e in e W e id ep fleg e u n d F u tte rb e v o rra tu n g fin d e t n ic h t sta tt. N o m a d ism u s ist aussch
lie ß lic h im T ro ck en g ü rtel^^ d e r A lten W elt v e rb re ite t, e r w u rd e in d e n letzten
Ja h re n a u f d e re n a rid e re T eile, d ie fü r d e n R e g e n fe ld b a u n ic h t m e h r in Frage
k o m m e n , z u rü c k g e d rä n g t. S ta n d o rtv o ra u s s e tz u n g e n s in d W eid efläch en , die auch
in d e n T ro c k e n z e ite n n o c h e in e a u s re ic h e n d e F u tte rb a sis b ild e n sow ie genügend
W a sse rste lle n z u r V ie h trä n k e . F u tte ra n g e b o t u n d W a sse rste lle n d ic h te d eterm iniere
n d ie T ie ra rte n , d ie je w e ils d o m in ie re n . R e in b e stä n d e e in e r T ie ra rt sin d selten,
h ä u fig e r w e rd e n g e m isc h te H e rd e n g e h a lte n (V e rw e rtu n g v e rsc h ie d e n e r Pflanzen,
R isik o stre u u n g ), ln d e r T ro c k e n sa v a n n e A frikas d o m in ie rt d as R ind, das hier
n ic h t m e h r d u r c h d ie T setseflieg e g e fä h rd e t ist. ln d e r D o rn sa v a n n e erla u b t dageg
e n d ie lic h te r w e rd e n d e P fla n z e n d e c k e m it v ie le n d o rn ig e n A rte n u n d Hartg
rä s e rn n u r n o c h d ie H a ltu n g v o n S ch af u n d Z iege. K am ele b e g n ü g e n sich noch
m it d e m s p ä rlic h e n F u tte ra n g e b o t d e r R a n d w ü ste n ; d a sie in d e r w a rm e n Jahreszeit
n u r alle 2 - 3 T age, im W in te r n u r alle 2 - 3 W o c h e n g e trä n k t w e rd e n m üssen,
k ö n n e n sie a u c h F u tte rflä c h e n in 80 k m E n tfe rn u n g v o m L ager n u tz e n , die keine
a n d e re T ie ra rt e rre ic h t (H. Ruthenberg 1971, S. 257). In d e n su b tro p isch en
T ro c k e n ste p p e n N o rd a frik a s u n d des O rie n ts d o m in ie r t w ie d e r d ie Schaf- und
Z ie g e n h a ltu n g .
Die T ra g fä h ig k e it d e r N a tu rw e id e n ist g e rin g u n d sc h w a n k t s ta rk je n a c h Niederschlags-
u n d B o d e n v e rh ä ltn isse n . F ü r d ie alg e risc h e S tep p e g ib t W. Trautman.n
d ie in T ab elle 4.3 w ie d e rg e g e b e n e p o te n tie lle B e sto c k u n g sd ic h te an.
Die Wanderweidewirtschaft in der arktischen Tundrenzone mit Rentieren soll hier nicht
behandelt werden, da sie kaum noch in der Form des Nomadismus auftritt.

Viehwirtschaftsregionen der Erde 129
Die ja h rh u n d e rte a lte B e w e id u n g , in m a n c h e n G e b ie te n a u c h d ie M e th o d e des
A bbrennens, h a b e n d ie n a tü rlic h e V e g e ta tio n d e r S a v a n n e n u n d S te p p e n s ta rk
ü berform t - im E x tre m fa ll b is z u r V e rn ic h tu n g d e r V e g e ta tio n sd e c k e. D e n n o c h
w äre es falsch, d e n N o m a d e n d ie H a u p ts c h u ld a m g e g e n w ä rtig e n D e se rtifik a ­
tionsprozeß in d e n T ro c k e n z o n e n z u z u w e ise n . Im s e m ia rid e n R a u m ist d e r U m ­
bruch d er V e g e tatio n sd eck e zw ecks A ck e rb a u e in v iel tie fg re ife n d e re r E in g riff in s
Ö kosystem als d ie B e w e id u n g , z u d e m ist d e r H o lz v e rb ra u c h d e r S e ß h a fte n w e ­
sentlich h ö h e r als d e r d e r N o m a d e n (F. I b r a h im 1980, 1982). H e r d e n w a n d e ru n g e n
über größere D ista n z e n s in d d as e in fa c h ste u n d w irk u n g sv o llste M ittel z u r R egen
eration d e r V e g e tatio n sd eck e. B ei sin n v o lle r B e sta n d sg rö ß e b e s c h rä n k e n sich
die Ü b e rw e id u n g ssc h ä d en a u f d ie U m g e b u n g d e r W asse rste lle n . F. Sc h o l z (1995,
S. 20 - 21) sie h t im N o m a d ism u s e in e „ K u ltu rw e ise “, d ie n ic h t a u f N a tu rb e h e rrschung
u n d N a tu ra u sb e u te , s o n d e rn a u f d as L eben in u n d m it d e r N a tu r g e ric h te t
war. Sie stellte f ü r d e n T ro c k e n g ü rte l d e r A lten W elt e in e re g io n ssp e z ifisc h e , d ie
ökologischen M ö g lic h k e ite n o p tim a l z u r Ü b e rle b e n s s ic h e ru n g n u tz e n d e D a sein s­
äu ß eru n g d a r, w e il sie sc h o n e n d m it d e n b e s c h rä n k te n R e sso u rc e n u m g in g . D agegen
steigen d ie D e se rtifik a tio n ssc h ä d e n sc h la g a rtig an , w e n n N o m a d e n im u n g e ­
eigneten M ilieu se ß h a ft w e rd e n . D ie H e rd e n w e rd e n v ie lfa c h n e b e n d e m A n b a u
b eib eh alten , a b e r d ie W a n d e r d is ta n z e n v e rk ü rz t. D as E rg e b n is ist e in e V egetatio
n sz e rstö ru n g in d e r N ä h e d e r S ie d lu n g e n ; z u d e m f ü h r t d e r A c k e rb a u z u e in e r
schnellen D e g ra d a tio n d e r B ö d en , w ie sie d a s Ü b e rw e id e n k a u m v e ru rs a c h t.
Die Produktivität der n o m a d is c h e n H e rd e n , g e m e sse n a m F le isc h z u w a c h s u n d
an d er M ilch leistu n g , ist g e rin g . D as W a c h stu m d e r T ie re m u ß sic h d e m V egeta
tio n srh y th m u s a n p a sse n , d .h . in d e r R e g e n z e it g e w in n e n sie a n G ew ich t, in d e r
T rockenzeit m a g e rn sie ab, d ie M ilc h le istu n g s in k t a u f N ull. R elativ g e rin g ist d ie
R epro d u k tio n srate, d a v ie le K ü h e v e rk a lb e n u n d in d e r R egel n u r alle zw ei Ja h re
au fn eh m en . In d e r T ro c k e n z e it s in d v o r a lle m Ju n g tie re g e fä h rd e t. N ach H. Ru-
THENBERG (1971, S. 261) ü b e rle b e n in d e n tro p is c h e n S a v a n n e n k a u m 50% d e r
Kälber. Die H e rd e n sin d ü b e ra lte rt; a lte T ie re w e rd e n a b e r b e ib e h a lte n , w e il m a n
sie fü r se u c h e n re siste n t h ä lt. F o lg e n m e h r e r e D ü rre ja h re a u fe in a n d e r, w as in
allen se m ia rid e n R e g io n e n in u n re g e lm ä ß ig e n A b stä n d e n d e r F all ist, so w e rd e n
die H erden oft d e z im ie rt. T h . L a b a h n (1982, S. 84) b e z iffe rt d ie V e rlu ste d e r so m a ­
lischen N o m a d e n w ä h re n d d e r D ü rre 1974/75 a u f 30 % d e r R in d e r, 20 % d e r S chafe
und 10 % d e r K am ele. D ie a lg e ris c h e n S te p p e n n o m a d e n so lle n in d e n J a h re n
1945 - 47, in fo lg e d e r k a ta s tro p h a ls te n D ü rre d ie se s J a h rh u n d e rts , so g a r 80 % ih r e r
S chafherden v e rlo re n h a b e n (R. C o u d r e c 1976, S. 100).
Das sp ärlich e F u tte ra n g e b o t z w in g t d ie N o m a d e n m it ih r e n H e rd e n z u Wanderungen
ü b e r teilw eise e rh e b lic h e D ista n z e n . G e w a n d e rt w ird , so b a ld d a s F u tte r in
der N ähe k n a p p w ird . Je n a c h g e o g ra p h is c h e r o d e r o ro g ra p h is c h e r L age m ü s s e n
die W eid eg rü n d e im p e rio d isc h -ja h re s z e itlic h e n o d e r im e p is o d is c h e n R h y th m u s
gew echselt w e rd e n (s. A b b ild u n g 4.4). D ie h ä u fig s te n F o rm e n s in d d e r ja h re s z e itliche
W echsel z w isc h e n s o m m e rlic h e n H o c h w e id e n u n d w in te rlic h e n N ie d e ru n g s­
w eiden sow ie z w isc h e n d e n fe u c h te re n S te p p e n u n d S a v a n n e n u n d d e r R andw
üste, die w ä h re n d d e r je w e ilig e n R e g e n z e it a u fg e su c h t w ird . D ie N o m a d e n d e r
algerischen S teppe w a n d e r n z.B. w ä h r e n d d e r s o m m e rlic h e n T ro c k e n z e it n a c h
N orden bis z u m T eilg eb irg e, w ä h r e n d sie im W in te r d ie s p ä rlic h e n W e id e g rü n d e

130 Agrarregionen der Erde
'T
1
■ É І В ^
Winter
Winter
Sommer
П
Sommer / ^ /
- 2 000m
[J^^Sommer
В
-1 000m
■2S0m
/
Abb. 4.4:
Die verschiedenen
Formen des
Nomadismus
(Queiie:
F. SCHOLZ 1982, S.5)
А - Volinomadismus mit
periodisch-saisonaien,
horizontaien
Wanderungen;
В - Volinomadismus
mit episodischen,
ungerichteten
Wanderungen;
C - Halbnomadismus
mit periodisch-saisonalen,
horizontalen
Wanderungen;
D - Bergnomadismus
mit periodisch-saisonalen,
vertikalen
Wanderungen
Д Zelt
festes Haus, Hütte
Wasserstelle
ітгч saisonal/episodlsch
genutzte Felder
Weide
des S a h a ra ra n d e s (W in terreg en !) n u tz e n (s. A b b ild u n g 4.5). Je n a c h R elief w erden
v e rtik a le u n d h o riz o n ta le W a n d e ru n g e n u n te rs c h ie d e n . D ie W a n d erd istan zen
sin d h ö c h st u n te rs c h ie d lic h , ln d e n T a fe llä n d e rn N o rd a frik a s u n d A rabiens mit
ih r e r g e rin g e n n a tu r r ä u m lic h e n D iffe re n z ie ru n g le g e n d ie K a m e ln o m a d e n jäh r­
lic h S tre c k e n b is z u 500 - 800 k m z u rü c k (H. R u t h e n b e r g 1971, S. 256; F. I br ahim
1982, S. 55). D e m g e g e n ü b e r b ie te n d ie H ö h e n s tu fe n d e s a lp id is c h e n Gebirgsg
ü rte ls v o n M aro k k o b is Z e n tra la s ie n a u f k u r z e r E n tfe rn u n g e in ra sc h w echselnd
es F u tte ra n g e b o t, so d a ß d ie W a n d e rs tre c k e n w e s e n tlic h k ü rz e r sind.
E in w e se n tlic h e s M e rk m a l d es V o lln o m a n d is m u s ist, d a ß d ie g e sa m te viehhalte
n d e S o z ia lg ru p p e d ie H e rd e n b e i ih r e n W a n d e ru n g e n b e g le ite t. M ehrm als im
Ja h r m u ß d e r S ie d lu n g sp la tz v e rle g t w e rd e n , w as m o b ile B e h a u su n g e n (Zelte.
H ü tte n ) v e rla n g t. D ie A u s s ta ttu n g m it G e g e n s tä n d e n d e r m a te rie lle n K u ltu r kann
sic h n u r a u f d a s a b s o lu t N o tw e n d ig e b e s c h rä n k e n . D iese R e in fo rm des Volln
o m a d is m u s ist h e u te re la tiv se lte n g e w o rd e n . I m m e r m e h r n o m a d isieren d e
G ru p p e n v e rs tä rk e n d e n A ck erb au . D a m it w ird ih r W a n d e rv e rh a lte n n ic h t m ehr
a u ssc h lie ß lic h v o n d e r F u tte rsu c h e , s o n d e rn a u c h v o m a c k e rb a u lic h e n Arheitskale
n d e r g e ste u e rt. K o m m t z u r m o h ile n n o c h e in e feste B e h a u s u n g h in z u , die zu-

Viehwirtschaftsregionen der Erde 131
Abb. 4.5: Die Sommerwanderungen der algerischen Steppennomaden
(Quelle: Algerische Nomadismus-Enquete 1969)
m indest zeitw eise v o n T e ile n d e r S o z ia lg ru p p e b e w o h n t w ird , so ist d ie B ezeichnung
„ H a lb n o m a d ism u s“ (F. v. R ic h t h o f e n ) a n g e b ra c h t. D ie W irtsc h a ftsfo rm des
N om adism us ist stets m it trib a lis tis c h e n G e se lls c h a fts s tru k tu re n v e rb u n d e n . D ie
m enschlichen G ru p p e n sin d n a c h g e n e a lo g isc h e m P rin z ip , m e is t p a trilin e a r, in
G roßfam ilien, C lans, S ip p e n , T e ilstä m m e u n d S tä m m e g e g lie d e rt. Z u w e ile n w a ­
ren die S täm m e n o c h z u sä tz lic h n a c h d e r R e c h tsste llu n g d e r P e rs o n e n s tr u k tu ­
riert, die T u areg d e r S a h a ra z.B. in A dlige, F re ie u n d Sklaven. E in w e ite re s P rin z ip
der sozialen G lie d e ru n g b ild e t d ie G rö ß e d e r H e rd e n , d ie h ö c h s t u n g le ic h m ä ß ig
auf die e in z e ln e n F a m ilie n v e rte ilt s in d (H. R u t h e n b e r g 1971, S. 256). N ach
E. WiRTH (1969, S. 46) v e rfü g te u m 1960 e in e d u rc h s c h n ittlic h e N o m a d e n fa m ilie
im V orderen O rie n t ü b e r 300 S chafe, w ä h r e n d n ic h t w e n ig e d e r g ro ß e n S ch eich s
H erden v o n 20 000 b is 50 000 T ie re n b e sa ß e n ! ln A lg erien h a tte n 1975 n u r 5 %d e r
V iehzüchter ü b e r d ie H älfte d es S c h a fb e sta n d e s v o n 8 -1 0 M io. T ie re n z u e ig e n
(W. T r a u t m a n n 1982, S. 92). M it z u n e h m e n d e r M a rk to rie n tie ru n g u n d M o n e ta ­
risierung d e r n o m a d is c h e n P ro d u k tio n v e rs c h ä rfe n sich d ie so z ia le n G eg e n sä tz e
innerhalb d e r n o m a d is c h e n G ru p p e n .
Die h eu tig e B e d e u tu n g u n d V e rb re itu n g d es N o m a d ism u s in Z a h le n a u sz u d rü k -
ken ist schw ierig, d a so w o h l d ie s ta tis tis c h e n E rh e b u n g e n v ie lfa c h fe h le n w ie
auch die A b g re n z u n g e n des Voll- u n d H a lb n o m a d e n z u m S e ß h a fte n m it V iehhaltung
sc h w ie rig ist. In v e rs c h ie d e n e n P u b lik a tio n e n w ird d ie Z ah l d e r N o­
m aden fü r d ie se c h z ig e r Ja h re d ie se s J a h rh u n d e rts w e ltw e it a u f 15 M illio n e n
geschätzt (A. Leidlmair 1965, S. 83; D. Grigg 1974, S. 112). F. Scholz (1982, S. 14)

132 Agrarregionen der Erde
re c h n e t n o c h m it 6 - 8 M illio n e n , w a h rs c h e in lic h a b e r w e s e n tlic h m e h r M en ­
sch en , d ie als N o m a d e n le b e n . In s e in e r u m f a n g re ic h e n S tu d ie ü b e r d e n N o m a d ism
u s b e to n t F. Sc h o l z (1995, S. 211), d a ß e in e a k tu e lle D o k u m e n ta tio n d e r E rsc h e i­
n u n g sv ie lfa lt n ic h t le is tb a r ist. S ein e K arte e rfa ß t d e n n a u c h in s e h r d e ta illie rte r
F o rm d e n a ltw e ltlic h e n N o m a d ism u s f ü r d as Ja h r 1900, fü r d ie G e g e n w a rt fe h le n
d ie G ru n d la g e n e in e r d e ra rtig e n D a rste llu n g . Im V e rb re itu n g s m u s te r d es N o m a­
d ism u s sin d h e u te zw ei rä u m lic h e S c h w e rp u n k te z u e rk e n n e n , n ä m lic h e in m a l
d ie T ro ck en - u n d D o rn b u s c h s a v a n n e n A frikas (S ahel, S o m alia, o sta frik a n isc h e
H o c h lä n d e r), z u m a n d e r e n d ie H o c h lä n d e r Ira n s u n d A fg h a n ista n s. H ie r ste lle n
d ie N o m a d e n n o c h e in e n n e n n e n s w e r te n A n teil d e r B ev ö lk eru n g . In S o m alia
e rre ic h e n sie m it 2,3 M io. M e n sc h e n (o h n e F lü c h tlin g e ) n o c h 58 % d e r G e sa m tb e ­
v ö lk e ru n g v o n 4 M io. (T h . L a b a h n 1982, S. 82). F ü r d ie H o c h lä n d e r u n d G eb irg e
z w isc h e n A n a to lie n u n d In d u s e b e n e w ird ih re Z ahl a u f 5 M io. g e sc h ä tz t (D. G rig g
1974, S. 112), fü r A fg h a n ista n a lle in e a u f 2 M io. (C h . Je n t s c h 1973, S. 5).
D e m g e g e n ü b e r ist d e r Prozeß der Auñosung des Nomadismus, d .h . d e r Ü b erg
a n g z u r s e ß h a fte n L e b en sw eise, in Z e n tra la sie n , im V o rd e re n O rie n t u n d in
N o rd a frik a w e it fo rtg e sc h ritte n . In d e r S o w je tu n io n w u r d e n d ie le tz te n N o m a d e n
d u rc h d ie K o lle k tiv ie ru n g e n d e r Ja h re 1930 - 36 zw a n g sw e ise s e ß h a ft g e m a c h t.
D ie V ie h w irtsc h a ft in d e n a sia tis c h e n T ro c k e n g e b ie te n w ird v o n K o lch o sen u n d
S o w ch o sen b e trie b e n . In d e n L ä n d e rn d es V o rd e re n O rie n ts ist d ie Z a h l d e r N o­
m a d e n a u f k le in e G ru p p e n g e sc h ru m p ft, w ie d as B eisp iel des Ira k in T ab elle 4.4
zeigt (I. H a id a r i 1982, S. 139).
i!i!
Jahr Anzahl der Nomaden v.H. Gesamtbevölkerung
1867 500 000 35,00 %
1947 250 000 5,00 %
1977 95 000 0,12%
Tab. 4.4:
Entwicklung des Nomadentums im Irak
(Quelle: J. Haidari 1982, S. 189)
A uch in d e n Ö lfö rd e rs ta a te n a m P e rsisc h e n G olf, d ie e in e n o m a d e n fre u n d lic h e
P o litik b e tre ib e n (F u tte rp rä m ie je S ch af o d e r Z iege, B e re itste llu n g s u b v e n tio n ie r­
te r F u tte rm itte l, k o ste n lo se v e te rin ä rm e d iz in is c h e B e tre u u n g , E in ric h tu n g v o n
B ru n n e n ) s p ie lt d ie tra d itio n e lle F e rn w e id e w irts c h a ft n u r n o c h e in e m a rg in a le
Rolle (R. C o r d e s 1982, S. 179). Im M a g h re b ist d ie S itu a tio n d e r N o m a d e n v o n
S taat z u S ta a t re c h t u n te rs c h ie d lic h . In T u n e s ie n s in d n u r n o c h k le in e G ru p p e n
v o n V o lln o m a d e n im s ü d lic h e n L a n d e ste il a n z u tre ffe n - S c h ä tz u n g e n sp re c h e n
v o n 15 000 P e rso n e n . In M aro k k o n u tz e n n o c h g rö ß e re G ru p p e n in v e rtik a le n
W a n d e ru n g e n d as sa iso n a l w e c h s e ln d e F u tte ra n g e b o t in d e n G e b irg e n , sp eziell
im M ittle re n u n d H o h e n A tlas. D ie z a h le n m ä ß ig g rö ß te N o m a d e n p o p u la tio n ist
n o c h im a lg e risc h e n S te p p e n h o c h la n d a n z u tre ffe n . D ie V o lk sz ä h lu n g e n e rfa ß te n
d ie fo lg e n d e N o m a d e n b e v ö lk e ru n g (A. A r n o l d 1995, S. 157):
1966: 600 000; 1977: 418 330; 1987: 280 551.
D ie M e h rz a h l d e r N o m a d e n ist a u c h h ie r se ß h a ft g e w o rd e n . D ie H e rd e n w e r­
d e n v o n e in ig e n F a m ilie n m itg lie d e rn o d e r L o h n h irte n b e g le ite t, d ie w e ite rh in
das Z elt b e n u tz e n . A n g e sic h ts d e r h o h e n a lg e risc h e n F le isc h p re ise b ild e n V iehh
e r d e n e in e g u te K a p ita la n la g e. D ie N o m a d e n b e h a lte n d a h e r a u c h n a c h S eßhaft-

Viehwirtschaftsregionen der Erde 133
w e r d u n g ih re H e rd e n b e i, se lb st k a p ita lk rä ftig e S tä d te r in v e s tie re n in S c h a fh e r­
d e n . A us d ie se m G ru n d e h a t sic h d e r S c h a fb e sta n d in d e r S te p p e v o n 5 M io.
(1965) a u f h e u te 12 - 13 M io. T ie re e rh ö h t. D as e m p fin d lic h e Ö k o sy ste m ist d a m it
ü b e rb e a n s p ru c h t, e in e w e itflä c h ig e D e g ra d a tio n d e r S te p p e n v e g e ta tio n u n d D e­
s e rtifik a tio n s e rs c h e in u n g e n s in d d ie Folge, ln d e r B e w irts c h a ftu n g d e r S c h a fh e r­
d e n h a b e n sich in d e n le tz te n J a h rz e h n te n b e a c h tlic h M o d e rn isie ru n g sp ro z e sse
v o llzo g en . D ie W a n d e ru n g e n ü b e r g rö ß e re D ista n z e n e rfo lg e n h e u te m it d e m
LKW, z u r M ast w ird v o m S ta a t s u b v e n tio n ie rte s u n d m e is t im p o rtie rte s K ra ftfu t­
te r e in g e se tz t, T a n k w a g e n m a c h e n d ie H e rd e n v o n W a sse rste lle n u n a b h ä n g ig . D ie
N o m a d e n w a n d e lte n sic h z u V ie h z u c h tu n te rn e h m e rn , m o n e tä re s D e n k e n ist ih ­
n e n d u rc h a u s v e rtra u t. D ie e in stig e S u b siste n z w irtsc h a ft h a t sich z u r M a rk tw irtsch
a ft g e w a n d e lt.
E in e in te re s s a n te E n tw ic k lu n g z e ic h n e t sic h in d e r M o n g o lei ab. N ach so w je tisc
h e m V o rb ild w a r a u c h h ie r d ie n o m a d is c h e V ie h w irtsc h a ft ab 1959 w e itg e h e n d
k o lle k tiv ie rt w o rd e n . N ach d e r p o litis c h e n W e n d e im Ja h re 1990 w u r d e n d ie
g ro ß e n V ie h g e n o sse n sc h a fte n au fg e lö st u n d d e re n H e rd e n a n p riv a te E ig e n tü m e r
a u fg e te ilt. M e h re re m ite in a n d e r v e rw a n d te F a m ilie n s c h lo sse n sic h z u H ü te ­
g e m e in s c h a fte n m it 3 - 4 J u rte n z u s a m m e n . Jede F a m ilie n e n n t im D u rc h s c h n itt
85 T ie re ih r e ig en , a u fg e te ilt a u f d ie fü n f T ie ra rte n S chaf, Z iege, R in d e in s c h lie ß ­
lic h Yak, P fe rd u n d K am el. U n g elö st ist b is h e u te d ie F rage, ob d a s W e id e la n d in
S ta a ts e ig e n tu m b le ib e n o d e r e b e n fa lls p riv a tis ie rt w e rd e n soll (F.-V. MÜLLER u.
B. O. Bold 1996). D ie T ra n s fo rm a tio n v o m so z ia listisc h e n z u m m a rk tw irts c h a ftlic
h e n S y ste m f ü h rt a n s c h e in e n d z u e in e r W ie d e rb e le b u n g d es N o m a d ism u s.
D er T ro c k e n g ü rte l d e r A lte n W elt ist h e u te k e in e d u rc h g e h e n d e N o m a d e n ­
re g io n m e h r w ie n o c h z u B e g in n des 20. J a h rh u n d e rts . D ie rä u m lic h e n S c h w e r­
p u n k te des N o m a d ism u s s in d m e is t id e n tis c h m it S ta a te n g e rin g e n v o lk sw irtsc
h a ftlic h e n E n tw ic k lu n g ssta n d e s.
Über den Niedergang des Nomadismus liegt eine umfangreiche Literatur vor
(s. u.a. A. Leidlmair 1965; R. Herzog 1967; E. Wirth 1969; F. Scholz 1982, 1995;
G. Meyer 1984). Als Hauptgründe werden angeführt:
- U m w a n d lu n g d e r b e s te n W e id e n in A ck erlan d ,
- S e ß h a ftm a c h u n g s p o litik d e r K o lo n ia lm ä c h te u n d ju n g e n N a tio n a lsta a te n ,
- strik te s G re n z re g im e d e r N a tio n a lsta a te n , d as d ie F e rn w a n d e ru n g e n d e r H e r­
d e n e in s c h rä n k t,
- g e n o z id a rtig e R e p re ssio n d e r N o m a d e n d u rc h d ie je w e ilig e Z e n tra lre g ie ru n g
(T u a re g in N ig er u n d M ali, R aikas in N o rd w e st-In d ie n , K u rd e n in d e r T ü rk e i,
S a h ro u is in d e r W est-S ah ara n a c h F. Sc h o l z 1995, S. 21),
- V e rlu st d e r m ilitä ris c h e n Ü b e rle g e n h e it g e g e n m o d e rn e H eere,
- V e rlu st v o n T ra n sp o rt- u n d H a n d e ls fu n k tio n e n (K a ra w a n e n h a n d e l),
- P re isrü c k g a n g fü r K am ele u n d P ferd e,
- W eg fall v o n S c h u tz g e b ü h re n , A b g a b e n u n d A rb e its le is tu n g e n a b h ä n g ig e r
G ru p p e n ,
- a ttra k tiv e ö k o n o m isc h e A lte rn a tiv e n (B ergbau, In d u s trie , S tädte),
- h ö h e re K o n s u m a n s p rü c h e d e r N o m a d e n (G ü te rv e rso rg u n g , I n fra s tru k tu r, Bild
u n g sw e se n ),
- A b stu fu n g in d e r so z ia le n R a n g p o sitio n g e g e n ü b e r se ß h a fte n G ru p p e n .

134 Agrarregionen der Erde
D ie U rsa c h e n f ü r d e n N ie d e rg a n g d es N o m a d is m u s s in d p r im ä r e x te rn e E in flü sse
au s e in e m seit h u n d e r t J a h re n sic h w a n d e ln d e n so z io ö k o n o m is c h e n U m feld ,
s e k u n d ä r e in in te r n e r W e rtw a n d e l, d e r z u e in e r G e rin g s c h ä tz u n g d e r e ig e n e n
L e h e n sfo rm fü h rt. O ft m iß g lü c k t d e r Ü b e rg a n g in a n d e re E x iste n z fo rm e n , N o m a ­
d e n b ild e n n ic h t s e lte n d ie R a n d g ru p p e n in d e n fe s te n S ie d lu n g e n d es a ltw e ltlic
h e n T ro c k e n g ü rte ls.
W elche Zukunftsperspektiven h a t d e r N o m a d ism u s? In d e n m e is te n E n tw ic k ­
lu n g s lä n d e rn w ird e r als a n a c h ro n is tis c h e W irtsc h a fts- u n d L e b e n sfo rm a n g e se ­
h e n . W isse n sc h a ftle r a u s In d u s tr ie lä n d e r n b e w e rte n ih n v ie lfa c h n o c h als e in e
o p tim a l a n e in u n g ü n s tig e s M ilieu a n g e p a ß te W irtsc h a ftsfo rm . W er je m a ls e in
N o m a d e n la g e r b e s u c h t h a t, m it s e in e r s p a rta n is c h e n E in r ic h tu n g u n d s e in e n
a n a lp h a b e tis c h e n B e w o h n e rn , w ird k a u m f ü r d ie u n v e r ä n d e r te B e w a h ru n g d ie ­
se r F o rm m e n s c h lic h e r E x iste n z e in tre te n . A n d e re rse its s p re c h e n ö k o n o m isc h e
u n d ö k o lo g isch e G rü n d e fü r d ie A u fre c h te rh a ltu n g d e r F e rn w e id e w irtsc h a ft, d ie
ü b e r h a u p t e rs t d ie N u tz u n g rie s ig e r T ro c k e n rä u m e m it ja h re s z e itlic h w e c h se ln ­
d e m F u tte ra n g e b o t e rm ö g lic h t. D ie s te ig e n d e N a c h fra g e n a c h tie ris c h e n P ro d u k ­
te n in d e n h e u tig e n N o m a d e n re g io n e n b ie te n d e r V ie h w irtsc h a ft e in e sic h e re
w irtsc h a ftlic h e B asis. A lte rn a tiv e F o rm e n d e r F e rn w e id e w irts c h a ft w e rd e n seit
la n g e m a u sg e ü b t. D ab ei w e rd e n d ie H e rd e n n u r n o c h v o n H irte n b e g le ite t, w ä h ­
r e n d d e r G ro ß te il d e r S o z ia lg ru p p e a n e in e m fe ste n W o h n o rt v e rb le ib t u n d d ie
V o rteile d e r s e ß h a fte n L e b e n sw e ise w a h r n e h m e n k a n n . M an z ie lt d a b e i n ic h t n u r
a u f d ie E rh a ltu n g u n d S te ig e ru n g d e r tie ris c h e n P ro d u k tio n ab, s o n d e rn a u c h a u f
d ie E in g lie d e ru n g d e r n o m a d is c h e n B e v ö lk e ru n g in d ie n a tio n a ls ta a tlic h e G esellschaft.
E in e d e ra rtig e M o d e rn is ie ru n g d e r n o m a d is c h e n W e id e w irtsc h a ft u m fa ß t
e in B ü n d e l v o n M a ß n a h m e n ;
1. S ch u tz d e r n a tü r lic h e n W e id e g rü n d e
- A n p a ssu n g d es V ie h b e sta n d e s a n d ie m ittle re T ra g fä h ig k e it,
- g e re g e lte W e id e ro ta tio n m it V o rh a lte n v o n R ese rv e flä ch e n ,
- E ro sio n ssc h u tz , W in d sc h u tz h e c k e n .
2. S te ig e ru n g v o n P ro d u k tio n u n d V e rm a rk tu n g s q u o te
- z ü c h te risc h e V e rb e s s e ru n g d e r V ie h ra sse n ,
- A nlage k ü n s tlic h e r F u tte rflä c h e n ,
- Z u g a b e v o n F u tte rm itte ln in k ritis c h e n W a c h s tu m s p h a s e n (z.B. K alben),
- V e rb e sse ru n g d e r V e rm a rk tu n g s o rg a n is a tio n .
3. V e rrin g e ru n g d es P ro d u k tio n srisik o s
- F u tte rv o rrä te f ü r N o tlag en ,
- A nlage v o n T rä n k e n , E in sa tz v o n T a n k w a g e n ,
- ra sc h e H e rd e n v e rla g e ru n g d u r c h LKW,
- v e te rin ä rm e d iz in is c h e B e tre u u n g .
4. In fra s tru k tu re lle u n d so ziale M a ß n a h m e n
- A u fb a u e in e s N etzes fe ste r S ie d lu n g e n ,
- E in ric h tu n g e n d e r G ru n d d a s e in s fu n k tio n e n ,
- S c h a ffu n g n ic h tla n d w irts c h a ftlic h e r A rb e itsp lä tz e .

Viehwirtschaftsregionen der Erde 135
4.2.2 Regionen der extensiven stationären Weidewirtschaft
D ie e x te n siv e sta tio n ä re W e id e w irtsc h a ft (e n g l.-sp an isch „R a n c h in g “) ist d ie re n ta -
h ilitä ts- u n d m a rk to rie n tie rte A lte rn a tiv e z u m N o m a d ism u s. Sie n u tz t ä h n lic h e
N a tu rrä u m e w ie d e r N o m a d ism u s, n ä m lic h s e m ia rid e S a v a n n e n u n d S te p p e n
je n s e its d e r a g ro n o m is c h e n T ro c k e n g re n z e , m it v ö llig a n d e r e n P r o d u k tio n s ­
m e th o d e n . D as R a n c h in g ist e in v o n s e ß h a fte n E u ro p ä e rn , d ie sic h in se m ia rid e n
Ü h e rse e g e h ie te n n ie d e rg e la s s e n h a tte n , e n tw ic k e lte s A g ra rsy ste m . Es w ird c h a ­
ra k te ris ie rt d u rc h h o c h s p e z ia lis ie rte G ro ß b e trie b e m it e in e r B e trie b sflä c h e v o n
e in ig e n ta u s e n d b is ü b e r h u n d e r tta u s e n d H e k ta r u n d V ie h h e rd e n m it o ftm a ls
ta u s e n d e n v o n T ie re n . D ie B e trie b e s in d m a rk to rie n tie rt, sie w a re n zeitw e ise sog
a r v o rw ie g e n d a u f d e n W e ltm a rk t a u sg e ric h te t. Sie e n ts p ra c h e n d a m it d e r P la n ­
ta g e , ih r e m k o lo n ia lw irts c h a ftlic h e n P e n d a n t a u f d e m G e b ie t d e r tr o p is c h e n
P fla n z e n p ro d u k tio n .
Die Ursprünge d e r e x te n siv e n s ta tio n ä re n W e id e w irtsc h a ft s in d im s o m m e r­
tro c k e n e n Ib e rie n zu su c h e n , w o im Z uge d e r R e c o n q u ista m e n s c h e n le e re , se m i­
a rid e R ä u m e d u rc h g ro ß e H e rd e n v o n M e rin o sc h a fe n u n d R in d e rn u n te r A u fsich t
b e r itte n e r H irte n g e n u tz t w u rd e n . D ieses A g ra rsy ste m w u rd e v o m 16. J a h r h u n ­
d e rt a n v o n d e n S p a n ie rn u n d P o rtu g ie se n in die N eu e W elt ü b e rtra g e n . D o rt tra f
m a n m e n s c h e n le e re G ra s lä n d e r an, d ie o h n e m ü h s a m e R o d e a rb e it m it d e n H e r­
d e n b e sto c k t w e rd e n k o n n te n : d ie P a m p a s, d e n C haco, d ie S eriao s B ra silie n s, die
L lanos v o n V en e z u e la, d ie T ro c k e n g e b ie te des n ö rd lic h e n M exiko e in sc h lie ß lic h
T exas u n d K alifo rn ie n . S p ä te r ü b e r n a h m e n u n d v e rb e s s e rte n d ie B u re n in S ü d a f­
rik a (18./1 9 . Jh.) u n d d ie B rite n in A u stra lie n u n d N e u se e la n d d ie se s b e w ä h rte
S y stem , ln d ie W e ltw irtsc h a ft w u r d e n d ie R e g io n e n d e r e x te n siv e n W e id e w irtsc
h a ft e rs t im 19. J a h r h u n d e r t e in b e z o g e n , als d e r B e d a rf d e r e u ro p ä is c h e n In d u ­
strie a n tie ris c h e n R o h sto ffe n n ic h t m e h r v o m e ig e n e n K o n tin e n t g e d e c k t w e rd e n
k o n n te . D ie W e id e re g io n e n a n d e r w e ltw irts c h a ftlic h e n P e rip h e rie e rs c h ie n e n
a n fa n g s n u r m it p ro b le m lo s z u tr a n s p o r tie r e n d e n R o h sto ffe n (H äute, W olle) a u f
d e n M ä rk te n d e r In d u s trie lä n d e r. N ach 1870 fü h r te d ie b illig e u n d q u a lita tiv
h o c h w e rtig e Ü b e rse e w o lle z u m Z u s a m m e n b ru c h d e r S c h a fz u c h t in d e n n o r d ­
d e u ts c h e n H e id e g e b ie te n . D as F leisch d e r T iere w a r a n fa n g s fa st w e rtlo s, n e b e n
d e m E ig e n b e d a rf k o n n te n n u r g e rin g e M e n g e n als Salz- u n d T ro c k e n fle isch sow ie
F le isc h e x tra k t im E x p o rt v e rw e rte t w e rd e n . E rst e tw a ab 1880 w a r es m ö g lich , m it
H ilfe n e u e r T ra n sp o rt- u n d K o n s e rv ie ru n g s te c h n ik e n (D am p fsch iff, K o n se rv e n d o ­
se, K ühl- u n d G e frie rte c h n ik ) a u c h F leisch au s d e n S ü d k o n tin e n te n ü b e r d ie
h e iß e T ro p e n z o n e h in w e g n a c h E u ro p a , in s b e s o n d e re n a c h E n g la n d , z u v e rsc h iffen
. D ie V e rs tä d te ru n g im G efolge d e r I n d u s tria lis ie ru n g h a tte e in e n b re ite n A b­
sa tz m a rk t e rö ffn e t. D a m it w a r e n d ie R e g io n e n d e r e x te n siv e n W e id e w irtsc h a ft
m it ih r e r g e s a m te n P ro d u k tio n s p a le tte in d as z e n tra lp e rip h e re R a u m sy ste m d e r
W e ltw irtsc h a ft e in g e g lie d e rt. A us e u ro p a z e n tris c h e r S ich t e rs c h ie n e n sie u m 1920
als d e sse n ä u ß e rs te r THÜNENscher In te n s itä ts k re is (E. O b s t 1926). H e u te ist die
w e ltw irtsc h a ftlic h e V e rfle c h tu n g d ie s e r R e g io n e n w e it g e rin g e r als zu B e g in n u n ­
seres J a h rh u n d e rts . E in e rse its h a t d e r ra sc h e B e v ö lk e ru n g sa n stie g u n d d ie V ers
tä d te r u n g in d e n s ü d a m e r ik a n is c h e n L ä n d e rn d a z u g e fü h rt, d a ß n u r n o c h
g e rin g e M e n g e n a n F leisch f ü r d e n E x p o rt b e re its te h e n , a n d e re rs e its b e h in d e r t

136 Agrarregionen der Erde
jËîiJ
d e r A g ra rp ro te k tio n is m u s d e r In d u strie lä n d e r^® d e n F le is c h im p o rt h e u te v ie l
s tä rk e r als z u r Z eit d e r lib e ra le n H a n d e ls p o litik u m 1900. L ed ig lich in N am ib ia,
A u stra lie n u n d N e u se e la n d ist d ie V ie h w irtsc h a ft n o c h s ta rk v o m F le isc h e x p o rt
a b h ä n g ig .
D ie e x te n siv e s ta tio n ä re W e id e w irtsc h a ft w e ist fo lg e n d e Merkmale auf:
- G ro ß b e trie b e im E ig e n tu m v o n n a tü rlic h e n o d e r ju r is tis c h e n P e rso n e n ,
- m a rk to rie n tie rte tie ris c h e M o n o p ro d u k tio n ,
- h o h e s P ro d u k tio n s ris ik o a u fg ru n d n a tü r lic h e r u n d ö k o n o m is c h e r F a k to re n ,
- g e rin g e r F a k to re in sa tz in R e la tio n z u r F läch e a b e r h o h e r K a p ita la u fw a n d je
B etrieb,
- E in sa tz v o n L o h n a rb e ite rn , z.T. S a is o n a rb e ite rn u n d A rb e itsp ä c h te rn .
E x ten siv e W e id e w irtsc h a ft ist n u r a u f g ro ß e n F lä c h e n m ö g lic h , w as v o rd e rg rü n d ig
im g e rin g e n F u tte ra u fk o m m e n je F lä c h e n e in h e it b e g r ü n d e t ist. N ach W. E r ik s e n
(1971a, S. 26) b e n ö tig t a m p a ta g o n is c h e n A n d e n ra n d e in R in d 15 h a a u f fe u c h te ­
r e n S ta n d o rte n , a b e r b e re its 73 h a im s e m ia r id e n B e re ic h . In N a m ib ia is t je
G ro ß v ie h e in h e it (GV)^® e in e F läch e v o n 11 b is 40 h a e rfo rd e rlic h (J. BÄHR 1981,
S. 287). E in w e ite re r G ru n d f ü r g ro ß e E in h e ite n ist d ie K o s te n s tru k tu r d ieses
B e trieb sty p s. D er ü b e rw ie g e n d e T eil d e r K o sten - W o h n h a u s, Z ä u n e , B ru n n e n ,
F a h rz e u g e , E in k o m m e n s a n s p ru c h d e r F a rm e r - s in d F ix k o sten , d ie v o n d e r H e r­
d e n g rö ß e u n a b h ä n g ig sin d . D a d ie H e rd e n g rö ß e a b e r d ire k t v o n d e r W eid e flä ch e
a b h ä n g ig ist, w ird d ie F ix k o ste n b e la stu n g je T ie r u m so g e rin g e r, je g rö ß e r d ie
B etrie b sflä c h e u n d d a m it d ie H e rd e ist. In k a u m e in e m a n d e re n B e trie b sty p sp re ­
c h e n d ie „ e c o n o m ie s o f sc a le “ so fü r d e n G ro ß b e trie b w ie b e i d e r e x te n siv e n
W e id e w irtsc h aft. N a m ib isc h e F a rm e n b e w irts c h a fte n im D u rc h s c h n itt 5 000 bis
8 000 h a (J. BÄHR 1981, S. 279), w ä h re n d in A rg e n tin ie n E sta n c ie n v o n 5 000 b is
25 000 h a als M itte lb e trie b e u n d e rs t ü b e r 25 000 h a als G ro ß b e trie b e g e lte n
(W. E r ik s e n 1971b, S. 36). V ie h k o lc h o se n in K a sa c h sta n u m fa s s e n n ic h t se lte n
50 000 h a (E. G ie s e 1976, S. 200).
D ie B e trie b e d e r e x te n s iv e n W e id e w irts c h a ft s in d h o c h g ra d ig s p e z ia lisie rt.
M eist w ird n u r e in e T ie ra rt g e h a lte n , w o b e i d as P ro d u k tio n s z ie l n o c h w e ite r
s p e z ia lis ie rt s e in k a n n ; z.B. g lie d e rn sic h d ie a u s tr a lis c h e n S c h a fz ü c h te r in
F le isc h sc h a fh a lte r u n d W o llsc h a fh a lter. D iese M o n o s tru k tu r h a t e in s e h r h o h e s
Produktionsrisiko z u r Folge. Es u m s c h lie ß t so w o h l n a tu rb e d in g te R isik en (V iehv
e rlu ste d u rc h D ü rre n u n d S e u c h e n , V e rk a u fsz w a n g n a c h T ro c k e n ja h r) als a u c h
A b sa tz risik e n u n d sta rk e P re is sc h w a n k u n g e n . D ie A u s ric h tu n g a u f e in e T ie ra rt
m it oft s e h r la n g e n P ro d u k tio n s z e iträ u m e n (B u llen b e n ö tig e n b is z u r S c h la c h tre i­
fe zw ei Ja h re , in E n tw ic k lu n g s lä n d e rn so g a r 3 - 4 Jah re) m a c h t d ie B e trie b e s e h r
u n fle x ib e l, sie k ö n n e n sic h n u r sc h w e r d e n M a rk tv e rä n d e ru n g e n a n p a sse n .
Die Weltmärkte für tierische Nahrungsgüter sind außerordentlich eng, die Produkte werden
i.d.R. dort verbraucht, wo sie erzeugt werden. Der Anteil des Welthandels an der Weltproduktion
betrug 1977 - 1979 bei Fleisch etwa 6 % bei Milch 4,5 %, bei Eiern 1,5 % (Tangermann
u. Krostitz 1982, S. 233). Er hat sich seitdem kaum verändert.
^®GV = Großvieheinheit. Bezugsgrundlage ist die Kuh (= 1 GV). Nach Schlachtgewicht und
Futterbedarf werden die übrigen Tiere auf diese Einheit bezogen. Beipiele: Mastrind, Kuh =
1 GV; Zuchtschwein = 0,3 GV; Schaf = 0,1 GV.

Viehwirtschaftsregionen der Erde 137
R a n c h in g z ä h lt z u d e n e x te n siv ste n A g ra rsy ste m e n , d ie es gibt. D er E in sa tz d e r
P ro d u k tio n s fa k to re n A rb e it u n d K ap ital je F lä c h e n e in h e it ist e x tre m n ie d rig . D ie
W e id e n w e rd e n n ic h t g e d ü n g t, S ta llg e b ä u d e sin d in d e r R egel n ic h t e rfo rd e rlic h .
E n ts p re c h e n d g e rin g ist d ie B o d e n p ro d u k tiv itä t, d .h . d e r E rtra g je F lä c h e n e in h e it.
A n d e re rse its sin d w e g e n d es rie sig e n A u sm a ß e s je E in z e lb e trie b e rh e b lic h e K apita
lie n e rfo rd e rlic h . Sie s in d v o r a lle m in d e n H e rd e n so w ie in Z ä u n e n , B ru n n e n ,
F a h rz e u g e n , W e rk stä tte n u n d W o h n g e b ä u d e n g e b u n d e n . W eg en d e r re la tiv g e rin ­
g e n Z a h l v o n A rb e itsk rä fte n ist d e r K a p ita le in sa tz je A rb e itsk ra ft u n d d ie A rb e itsp
ro d u k tiv itä t s e h r h o c h - e in e n ts c h e id e n d e r U n te rsc h ie d z u m N o m a d ism u s! Die
h o h e A rb e its p ro d u k tiv itä t r ü h r t d a h e r, d a ß e in e A rb e itsk ra ft e in e s e h r g ro ß e Fläc
h e z u b e w irts c h a fte n v e rm a g . W. E r ik s e n (1971 b, S. 40) g ib t d as B eisp iel e in e r
a r g e n tin is c h e n S c h a ffa rm a n , d e re n F läch e v o n 10 000 h a , b e sto c k t m it 6 390
T ie re n , v o n n u r 7 D a u e rb e sc h ä ftig te n b e w irts c h a fte t v\drd. A uf e in e A rb e itsk ra ft
k o m m e n so m it 900 T iere u n d 1 400 h a W e id e la n d . W eg en des g ro ß e n U m fa n g s
d e r W irtsc h a ftsflä c h e n m u ß te n d ie H irte n se it d e n A n fä n g e n d ie se s A g ra rsy ste m s
s e h r m o b il sein; das R e itp fe rd ist h e u te o ft d u rc h G e lä n d e w a g e n o d e r g a r F lu g z e u ­
ge e rse tz t. R e g io n e n d e r e x te n siv e n W e id e w irtsc h a ft h a b e n e in e e x tre m n ie d rig e
B e v ö lk e ru n g sd ic h te , d ie m e is t b e i w e n ig e r als 1 E in w o h n e r/k m ^ Hegt.
D ie e x te n siv e W e id e w irtsc h a ft h a t seit ih r e r E n ts te h u n g im M itte la lte r m e h re re
Entwicklungsphasen d u rc h la u fe n (L. W a ib e l 1922; B. A n d r e a e 1983). U rs p rü n g ­
lic h w e id e te n d ie R in d e r frei, n u r u n te r A u fsic h t ih r e r b e r itte n e n H irte n (cow boys,
g a u c h o s, b o u n d a ry -rid e rs), n a c h B e d a rf k a m e n sie a n d ie T rä n k ste lle n . Die G re n ­
z e n d e r B e trieb e w a re n n u r v ag e fe stg eleg t (open-range). A n e in e sele k tiv e Z u c h t
w a r n ic h t z u d e n k e n , d a d ie v e rs c h ie d e n e n A lte rsk la sse n u n d G e sc h le c h te r in
e in e r H e rd e w e id e te n u n d sic h k re u z te n . Ein- bis z w e im a l im Ja h r trie b m a n d ie
H e rd e n z u s a m m e n , b r a n d m a r k te d ie K älb er u n d s o n d e rte d ie ü b e rs c h ü s s ig e n
T ie re z u m V e rk a u f au s. D er g rö ß te N a ch teil d ie se r W irtsc h a ftsw e ise w a r d ie u n ­
g le ic h m ä ß ig e A u s n u tz u n g d e r F u tte rflä c h e : w ä h r e n d d ie U m g e b u n g d e r W asserste
lle ü b e rw e id e t w a r, w u r d e n e n tfe rn te re F lä c h e n ü b e r h a u p t n ic h t a u s g e n u tz t
(s. A b b ild u n g 4.6 A). D ie A nlage v o n z u sä tz lic h e n k ü n s tlic h e n W a sse rste lle n f ü h r ­
te z u e in e r g le ic h m ä ß ig e re n A u s n u tz u n g d e r g e sa m te n W e id e flä ch e u n d z u e in e r
V e rrin g e ru n g d e r tä g lic h e n M a rsc h stre c k e d e r T iere (s. A b b ild u n g 4.6 B).
G eg e n E n d e d es 19. J a h rh u n d e r ts e rla u b te d ie P re is e n tw ic k lu n g fü r tie ris c h e
P ro d u k te u n d d ie a g ra rte c h n is c h e E n tw ic k lu n g d ie E in f ü h r u n g k a p ita lin te n s iv e r
M e th o d e n in d e r s ta tio n ä re n W e id e w irtsc h a ft. D er S ta c h e ld ra h t e rm ö g lic h te d ie
g e n a u e A b g re n z u n g d e r B e s itz tü m e r n a c h a u ß e n so w ie d e re n U n te rg lie d e ru n g in
e in z e ln e K äm p e (engl, p a d d o c k ; sp a n .-a rg e n t. p o tre ro ) - d ie K a m p te c h n ik w u rd e
e n tw ic k e lt (s. A b b ild u n g 4.6 C). N u n w u r d e n d ie H e rd e n n a c h G e sc h le c h t u n d
A lte rsk la sse n a u f d ie v e rs c h ie d e n e n W e id e q u a litä te n a u fg e te ilt, d ie A u s b re itu n g
v o n V ie h se u c h e n w a r e rsc h w e rt, v o r a lle m a b e r w m rde je tz t e in e o p tim a le B e w irts
c h a ftu n g d es F u tte ra n g e b o ts d u r c h W e id e ro ta tio n u n d R e se rv e k ä m p e fü r d ie
f u tte r a r m e J a h re s z e it m ö g lic h .^ ’’ F o rts c h ritte in d e r G ru n d w a s s e re rs c h lie ß u n g
^’’Ein Nachteil der Kamptechnik aus ökologischer Sicht muß erwähnt werden: die Zäune
unterbinden die Wanderungen der Wildtiere und sind daher bei großflächiger Einrichtung
eine Ursache für die Vernichtung der Großtierwelt von Steppe und Savanne.

138
Agrarregionen der Erde
в
Abb. 4.6:
Entwicklungsstufen
der extensiven
Weidewirtschaft
(Quelle:
B. Andreae 1983)
A -open-range-
System ohne Zäune,
eine Wasserstelle
В - Keine Zäune,
mehrere Wasserstellen
C - Kampsystem mit
Weiderotation,
Reservefutterfläche
■
Farmgebäude
und Feldfutterbau
I
О
О
Hauptwasserstelle
О
I
о
Nebenwasserstelle
--------Zaun
• it
Reservekamp
Feldfutter
(T ie fb ru n n e n , z.T. a u f a rte sisc h e s W asser, W in d m o to re n ) m a c h te n d ie B e sto c k u n g
v o n d e n n a tü r lic h e n W a sse rste lle n u n a b h ä n g ig . N u n k o n n te n H o c h le is tu n g s ­
ra sse n e in g e fü h rt h zw . m it d e n w id e rs ta n d fä h ig e n L o k a lra sse n g e k re u z t w e rd e n .
S c h lie ß lic h w ird a u f k le in e re n b e w ä s s e rte n F lä c h e n F e ld fu tte r f ü r k ritis c h e Z e ite n
a n g e b a u t. Ist e in le istu n g sfä h ig e s V e rk e h rsn e tz v o rh a n d e n , w ie z.B. in d e n USA,
so k ö n n e n F u tte rk o n z e n tra te v o n d e n A c k e rb a u g e b ie te n in d ie R e g io n e n d e r exte
n s iv e n W e id e w irts c h a ft tr a n s p o r tie r t w e rd e n . D er g e s a m te Z y k lu s v o n d e r
Z u c h t b is z u r M ast u n d S c h la c h tu n g ist d a n n a n d ie s e n S ta n d o rte n m ö g lich . In
d e n e n tw ic k e lte n L ä n d e rn v e r h in d e r t h e u te e in e le istu n g s fä h ig e In f r a s tr u k tu r
(V erkehrs- u n d K o m m u n ik a tio n sn e tz e , F u tte rm itte lh a n d e l, S ch lach t- u n d K ü h l­
h ä u se r), d a ß k lim a tis c h b e d in g te D ü rre p e rio d e n ä h n lic h e w irtsc h a ftlic h e K atas
tro p h e n a u slö se n , w ie in d e n N o m a d e n re g io n e n .
Die Sozialstruktur in d e n R e g io n e n d e r e x te n siv e n sta tio n ä re n W e id e w irtsc h a ft
ist in d e n m a rk tw irts c h a ftlic h o r ie n tie r te n S ta a te n d u r c h d e n G e g e n sa tz v o n
G ro ß e ig e n tü m e rn u n d L o h n a b h ä n g ig e n g e k e n n z e ic h n e t. D ab ei k o m m t es z u ein
e r m e rk w ü rd ig e n M isc h u n g v o n E le m e n te n d e r a lte n F e u d a lg e se llsc h a ft ib e risc
h e r H e rk u n ft, d e r K o lo n ia lg e se llsc h a ft m it ih r e n R a s s e n s c h ra n k e n u n d d e r
m o d e rn e n In d u strie g e se llsc h a ft. E ig e n tü m e r d e r G ro ß b e trie b e k ö n n e n P riv a tle u ­
te, F a m ilie n g ru p p e n , a b e r a u c h K a p ita lg e se llsc h a fte n se in . L e tztere tr e te n b e s o n ­
d e rs in d e n USA, in S ü d a m e rik a u n d in A u stra lie n auf. B e trie b e d e r e x te n siv e n

Viehwirtschaftsregionen der Erde 139
W e id e w irtsc h a ft sin d seit d e m a u s g e h e n d e n 19. J a h r h u n d e r t e in b e lie b te s A n lag e­
o b je k t f ü r K ap ital n ic h tla n d w irts c h a ftlic h e r H e rk u n ft. So flo ß z.B. viel e n g lisc h e s
K apital in a rg e n tin is c h e E sta n c ie n ; in d e n USA e n tw ic k e lte sic h se it e tw a 1960 das
v o n k a p ita lk rä ftig e n G ro ß k o n z e rn e n g e ste u e rte A g ro b u sin e ss z u e in e r G e fa h r fü r
d ie F a m ilie n b e trie b e . N ic h t z u le tz t lo ck t d ie N u tz u n g s te u e rlic h e r V o rteile h e u te
G ro ß v e rd ie n e r z u r A nlage in R in d e rg ro ß b e trie b e n d e r USA u n d B ra silien s. Die
B eleg sch aft d e r B e trie b e ist a u s g e s p ro c h e n h ie ra rc h is c h g e g lie d e rt. G ro ß e a rg e n tin
isc h e E sta n c ie n w e rd e n b e isp ie lsw e ise - b e i A b w e se n h e it d e r E ig e n tü m e r - v o n
e in e m M a n a g e m e n t a u s V e rw a lte r u n d B u c h h a lte r g e fü h rt. F a c h k rä fte w ie M e­
c h a n ik e r o d e r Z u c h tsp e z ia lis te n le ite n ih re e ig e n e n R esso rts, d ie L o h n a rb e ite r
u n te r g lie d e r n sic h w e ite r in V o ra rb e ite r, b e r itte n e H irte n u n d H ilfs a rb e ite r
(C h .-C . L iss 1979, S. 40 - 42). S aiso n a le A rb e itsp itz e n , w ie e tw a d a s S c h a fsc h e re n ,
w e rd e n v o n n u r z u d ie s e m Z w eck a n g e h e u e rte n S c h u rk o lo n n e n m it A k k o rd lo h n
b e w ä ltig t. D ie k o lo n ia le V e rg a n g e n h e it w ird d a r a n sic h tb a r, d a ß d ie u n te r s te n
L o h n g ru p p e n v ie lfa c h v o n d e r U rb e v ö lk e ru n g (In d io s, B a n tu s, a u s tra lis c h e U re in ­
w o h n e r) g e ste llt w e rd e n .
Das Verbreitungsgebiet d e r e x te n siv e n s ta tio n ä re n W e id e w irtsc h a ft ist i.w . a u f
d ie R ä u m e d e r e u ro p ä is c h e n A g ra rk o lo n isa tio n in Ü b ersee u n d im a sia tisc h e n
T eil d e r e h e m a lig e n U dSSR b e s c h rä n k t. S ein U m fa n g ist a lle rd in g s h e u te g e rin g e r
als v o r h u n d e r t Jah re n . D ie e x te n siv e W e id e w irtsc h a ft w u rd e in R ä u m e g e d rä n g t,
d e re n N a tu rp o te n tia le o d e r M a rk tfe rn e k e in e a n d e re N u tz u n g e rla u b t. E in e n e u e
E rs c h e in u n g ist d ie se s A g ra rsy ste m im T ro c k e n g ü rte l d e r A lten W elt, w o es die
n o m a d is c h e W e id e w irtsc h a ft ab g e lö st h a t.
Z u d e n w ic h tig ste n R e g io n e n d e r e x te n siv e n s ta tio n ä re n W e id e w irtsc h a ft z ä h lt
d e r tro c k e n e Westen der USA. In d e n le tz te n J a h rz e h n te n h a t sic h h ie r e in W a n d e l
v o n d e r R in d e rz u c h t z u r M ast in a g ro in d u s trie lle n G ro ß b e trie b e n v o llzo g en .D as
M a s tfu tte r w ird te ils a u f b e w ä s s e rte n F lä c h e n a n g e b a u t (A lfalfa, S o rg h u m ), te ils
als K o n z e n tra t z u g e k a u ft. D as M a g e rv ie h m u ß n ic h t m e h r w ie e h e d e m in d ie
M a isa n b a u g e b ie te des M ittle re n W e ste n s v e rk a u ft w e rd e n (H. B l u m e 1975; H.-W.
W in d h o r s t 1976). Es k a m z u e in e m ra s c h e n rä u m lic h e n K o n z e n tra tio n s p ro z e ß
d e r R in d e rm a s t in d e n s ü d lic h e n P la in s s ta a te n C o lo rad o , K ansas, N ew M exico,
O k la h o m a u n d T exas. D iese R e g io n s te ig e rte ih r e n A n te il a m M a s trin d e ra u f­
k o m m e n d e r USA z w isc h e n 1955 u n d 1986 v o n 14 %a u f 44 %. Z u g le ic h s a n k d e r
A n teil des c o rn b e lt v o n 39 % a u f 14 %(H.-W. WINDHORST 1989, S. 123). D as w in te r ­
m ild e Ю іт а d e r s ü d lic h e n P la in s e rm ö g lic h t d ie M ast d e r R in d e r im F re ie n ; in
rie sig e n F eed lo ts w e rd e n 100 000 u n d m e h r T iere in e in e m B e trie b g e h a lte n . D en
G ro ß m ä s te re ie n sin d m o d e rn e S c h la c h th ö fe n a c h g e sc h a lte t. E in e H a n d v o ll a g ra r­
in d u s trie lle r U n te rn e h m e n k o n tro llie rt so 85 %des R in d fle isc h m a rk te s d e r USA
(H.-W. W in d h o r s t 1989, S. 124).
Die südamerikanischen Weideüächen w e rd e n s ü d lic h des 40. B re ite n g ra d e s
v o rw ie g e n d v o n S c h a fe n b e sto ß e n , w ä h re n d in d e n ä q u a to r n ä h e re n G e b ie te n das
R in d d o m in ie rt. In B ra silie n w ird d ie R egion d e r R in d e r-W e id e w irtsch a ft g e g e n ­
w ä rtig g e g e n d e n R a n d s a u m d es a m a z o n is c h e n R e g en w ald es u n d in d ie C a m p o s
C erra d o s, d ie F e u c h ts a v a n n e n des Z e n tra le n H o c h la n d e s, v o rg e sc h o b e n . N ach ­
d e m e in e k le in b ä u e rlic h e A g ra rk o lo n isa tio n te ilw e ise fe h lg e sc h la g e n ist, fö rd e rt
d ie b ra s ilia n is c h e R e g ie ru n g d ie E in ric h tu n g rie sig e r R in d e rfa z e n d a s z u r Fleisch-

140 Agrarregionen der Erde
V e rso rg u n g d e r S tä d te . Ih re B e trie b s g rö ß e n s c h w a n k e n z w isc h e n w e n ig e r als
10 000 u n d m e h r e r e n h u n d e r tta u s e n d H e k ta r, sie e rre ic h e n e in e B e sto c k u n g v o n
d u rc h s c h n ittlic h 1,5 R in d e r/h a (G. K o h l h e p p 1978, S. 9). D ie F ü h r u n g erfo lg t n a c h
m o d e r n e n M a n a g e m e n tm e th o d e n u n d o ft m it g ro ß e m te c h n o lo g is c h e n A ufw
a n d . D ie I n v e s titio n e n w e r d e n v o rw ie g e n d d u r c h b r a n c h e n f r e m d e s K ap ital
n a tio n a le r u n d in te r n a tio n a le r H e rk u n ft f in a n z ie rt. Ö k o lo g isc h e u n d so ziale
S c h ä d e n d ie se s g ro ß flä c h ig e n P ro g ra m m s s in d u n ü b e rs e h b a r.
Abb. 4.7:
Plan der Estancia Cóndor (Patagonien) mit einer Fläche von 200 000 ha
(Quelle: C .-C h. Liss 1982)
I— ' Landesgrenze
------ Zaun
= Piste
* Siedlung
* Windmotor
Tajamar
(künstliches Wasserloch)
^ Laguna
(wassergefüllte Senke)
ESTANCIA
CONDOR
Die F arm zo n e N a m ib ia s e rs tre c k t sic h ü b e r u n te rs c h ie d lic h e K lim a rä u m e m it
Ja h re s n ie d e rs c h lä g e n v o n w e n ig e r als 200 b is z u 500 m m . G e b ie te m it m e h r als
250 m m d ie n e n v o rw ie g e n d d e r R in d e rz u c h t (P ro d u k tio n s z ie l S c h la c h tv ie h ),
w ä h re n d d ie tr o c k e n e re n R ä u m e v o m a n s p ru c h s lo s e re n K a ra k u lsc h a f g e n u tz t
w e rd e n . D ie K a ra k u lh e rd e n k ö n n e n s e h r flex ib el d e m s c h w a n k e n d e n F u tte ra n ­
g eb o t a n g e p a ß t w e rd e n : in T ro c k e n ja h re n w e rd e n alle L ä m m e r n a c h d e r G e b u rt

Viehwirtschaftsregionen der Erde 141
g e tö te t u n d ih re F elle (P e rsia n e r) v e rk a u ft, in F e u c h tja h re n b le ib t d ie b e n ö tig te
A n zah l f ü r d ie V e rjü n g u n g d e r H e rd e a m L e b en (J. Bä h r 1981, S. 283). In N a m ib ia
la sse n sic h h e u te n o c h d ie g le ic h e n ö k o n o m is c h e n P ro b le m e b e o b a c h te n , d ie
f r ü h e r f ü r alle R e g io n e n d e r e x te n siv e n W e id e w irtsc h a ft c h a ra k te ris tis c h w a re n ,
n ä m lic h M o n o s tru k tu r u n d E x p o rta b h ä n g ig k e it. D er V e rk a u f v o n S c h la c h trin ­
d e rn u n d K a ra k u lfe lle n m a c h t D re iv ie rte l des G e sa m tw e rts d e r la n d w irts c h a ftlic
h e n P ro d u k tio n au s. A n g e sic h ts e in e s m in im a le n B in n e n m a rk te s m u ß d e r
g rö ß te T eil d e r P ro d u k tio n in d ie R e p u b lik S ü d a frik a o d e r n a c h Ü b ersee v e rk a u ft
w e rd e n .
U n te r a lle n K o n tin e n te n h a t Australien d e n h ö c h s te n A n teil v o n F lä c h e n , d ie
d u rc h e x te n siv e W e id e w irtsc h a ft g e n u tz t w e rd e n . D ab ei w e rd e n d ie s u b tro p i­
sc h e n W in te rre g e n g e b ie te , d ie f ü r d e n W e iz e n a n b a u z u a rid sin d , m it W olls
c h a fe n b e sto ß e n , w ä h r e n d d ie w e c h s e lfe u c h te n tro p is c h e n S a v a n n e n b is a u f
k le in e A c k e rb a u in se ln im NE (Z u ck erro h r!) d e r R in d e rz u c h t d ie n e n . V e rsu c h e d e r
b ritis c h e n K o lo n isten , d ie ih n e n v e rtra u te re S c h a fz u c h t a u c h in d e n T ro p e n e in ­
z u fü h re n , s c h lu g e n fehl. N ach B. Fa u tz (1970, S. 388) w ird d ie R in d e rz u c h t a u c h
h e u te n o c h v o rw ie g e n d im o p e n -ran g e-S y stem , d .h . o h n e Z ä u n e , W e id e ro ta tio n
u n d g e re g e lte A u fz u c h t d u rc h g e fü h rt. D ie n ie d rig e n L ö h n e d e r e in g e b o re n e n
„ sto c k m e n “ s in d e in w ic h tig e r S ta n d o rtfa k to r im H o c h lo h n la n d A u stra lie n , des
Abb. 4.8:
Räumliches Organisationsmuster einer Großkolchose von 52 000 ha
(Quelle: E.GIESE1976, S. 201)
3-Э-2- Bewässerungsland DAUERSIEDLUNGEN
rrüis Regenfeldbau Ц Zentralsiedlung
Winterweiden
* Nebensiedlung
Frühjahrs- u. Herbstweiden
Sommerweiden
SAISONSIEDLUNGEN
• Wurfstation
mittesten Wohngebäuden
® Schurstation
mit festen Wohngebäuden
О Sommerlager
mit Jurten

N
142 Agrarregionen der Erde
¡fe,' '
se n V ie h w irtsc h a ft a n g e sic h ts se in e s b e s c h rä n k te n B in n e n m a rk te s s ta rk exportlä
stig ist. A u stra lie n ist n ic h t n u r d e r m it A b sta n d g rö ß te W o lle x p o rte u r d e r E rd e,
s o n d e rn a u c h d e r z w e itg rö ß te E x p o rte u r - n a c h d e n N ie d e rla n d e n - v o n F risc h ­
fleisch (W ert 1993: 2,2 M rd. D ollar).
Die T ro c k e n ste p p e n u n d H a lb w ü ste n d e r e h e m a lig e n mittelasiatischen GUS-
Staaten, d ie e in e n R e g e n fe ld b a u n ic h t m e h r z u la sse n , w e rd e n v o n R in d er-, Schafu
n d Z ie g e n h e rd e n b e w e id e t. B e trie b s e in h e ite n s in d se it d e r K o lle k tiv ie ru n g d e r
d re iß ig e r Ja h re S o w c h o se n u n d K o lch o sen m it oft m e h r als 50 000 h a LN. Im
Ü b e rg a n g sra u m z w isc h e n d e m T ie fla n d v o n T u ra n u n d d e n z e n tra la s ia tis c h e n
H o c h g e b irg e n h a b e n d ie K o lle k tiv b e trie b e d ie ja h re s z e itlic h -p e rio d is c h e n W a n d e ­
ru n g e n d e r frü h e r e n N o m a d e n te ilw e ise b e ib e h a lte n (E. G ie s e 1976, S. 200). Die
W in ter- u n d S o m m e rw e id e n lie g e n b is z u 200 k m v o n d e n H a u p ts ie d lu n g e n e n t­
fe rn t, in d e n e n d e r g rö ß te T eil d e r B e v ö lk e ru n g z u s a m m e n g e fa ß t ist. D a n e b e n
b e s te h e n feste W in te rla g e r m it S ta llu n g e n , G e h e g e n u n d W o h n g e b ä u d e n ; w ä h ­
r e n d d e r S o m m e rw e id e z e it im G eb irg e w ir d d a g e g e n n o c h d ie tra d itio n e lle Ju rte
b e n u tz t (s. A b b ild u n g 4.8). D u rc h F u tte rb e v o rra tu n g u n d E in s ta llu n g im W in te r
w u r d e n d ie f r ü h e r e rh e b lic h e n T ie rv e rlu ste e in g e d ä m m t. P ro d u k tio n sz ie le sin d
F leisch, W olle u n d K a rak u lfelle fü r d e n E x p o rt. D ie Z u c h t v o n P fe rd e n u n d K am e­
le n , b e i d e n N o m a d e n e in s t d e r v o rn e h m s te Z w eig d e r V ie h z u c h t, s p ie lt n u r n o c h
e in e u n te rg e o rd n e te Rolle.
4 .2 .3 Regionen der intensiven Viehwirtschaft auf Grünlandbasis
Die in te n s iv e V ie h w irtsc h a ft ist i.w . a u f d ie w o h lh a b e n d e n L ä n d e r b e s c h rä n k t, in
d e n e n e in a u s re ic h e n d k a u fk rä ftig e r M a rk t f ü r d ie re la tiv te u e r z u p ro d u z ie re n ­
d e n tie ris c h e n P ro d u k te v o rh a n d e n ist. N u r h ie r lä ß t sic h d e r h o h e A u fw a n d in
F o rm v o n G e b ä u d e n , B e trie b sm itte ln , V ie h sta p e l u n d A rb e it d u rc h e n ts p re c h e n d
h o h e E rträ g e re c h tfe rtig e n . V o n d e n w ie d e rk ä u e n d e n N u tz tie re n sin d in d e n In ­
d u s tr ie lä n d e r n n u r n o c h R in d u n d S c h a f v o n n e n n e n s w e r te r B e d e u tu n g als
N a h ru n g s lie fe ra n te n . S ie h t m a n v o n d e r in te n s iv e n F le isc h sc h a fh a ltu n g ab, d e­
r e n S c h w e rp u n k te in L ä n d e rn b r itis c h e r E ß tra d itio n (G ro ß b rita n n ie n , Irla n d ,
N e u se e la n d , A u stra lie n ) lie g e n , so ist d ie R in d v ie h h a ltu n g d ie h e u te d o m in ie re n ­
de M ö g lich k eit z u r ra tio n e lle n V e rw e rtu n g d es D a u e rg rü n la n d e s . D iese e in g e ­
sc h rä n k te N u tz u n g sm ö g lic h k e it ste llt im V e rg leich z u d e n v ie lfä ltig e n P ro d u k ­
tio n s m ö g lic h k e ite n a u f d e m A c k e rla n d e in e S c h w äch e d e r G rü n la n d w irts c h a ft
d ar. In E u ro p a ist d as A g ra rsy ste m G r ü n d la n d w irts c h a ft/R in d v ie h h a ltu n g n e b e n
e in ig e n S o n d e rk u ltu re n d as e in z ig e S y stem , d as als M o n o k u ltu r b e trie b e n w e rd e n
k a n n . Es lä ß t sich in d ie fo lg e n d e n H a u p tb e trie b s a rte n u n te rg lie d e r n (H o r s t u .
P eters 1978, S. 198):
- d e r sich selb st e rg ä n z e n d e Rindermastbetrieb a u f d e r B asis d e r M u tte rk u h ­
h a ltu n g ,
- der Milchviehbetrieb m it N e b e n p ro d u k tio n v o n J u n g rin d e rn , evtl, a u c h v o n
M astv ieh ,
- d e r a rb e itste ilig e Endmastbetrieb (B ullen- u n d K älb erm ast).

Viehwirtschaftsregionen der Erde 143
D er sic h se lb st e rg ä n z e n d e R in d e rm a s tb e trie b h ä lt e in e M ilc h k u h h e rd e u n d z ie h t
d ie m ä n n lic h e n K älb er z u r M ast u n d e in e n T eil d e r g e s u n d e n w e ib lic h e n K älb er
z u r E rg ä n z u n g d es K u h b e sta n d e s auf. D er V o rteil d ie se s T yps ist se in e V ielseitig ­
k e it (P ro d u k tio n v o n M ilch u n d F leisch als K o p p e lp ro d u k te ) so w ie se in e U n a b ­
h ä n g ig k e it v o n d e n V o rle is tu n g e n a n d e r e r B etrieb e. E r ist re p rä s e n ta tiv f ü r d e n
k le in e n b ä u e r lic h e n F a m ilie n b e tr ie b E u ro p a s. Im M ilc h v ie h b e trie b s te h t d ie
M ilc h e rz e u g u n g im V o rd e rg ru n d , ü b e rs c h ü s s ig e K älb er w e rd e n v e rk a u ft. D er
E n d m a s tb e trie b h ä lt k e in e K u h h e rd e , s o n d e rn k a u ft K älb er o d e r M a g erv ieh , u m
sie b is z u r S c h la c h tre ife z u m ä ste n . M a n fin d e t d ie s e n T yp v o rw ie g e n d u n te r
g rö ß e re n B e trie b e n u n d b e i g e rin g e m A rb e itsk rä fte b e s a tz . S e in S ta n d o rt lie g t
m e h r in d e n A c k e rb a u re g io n e n m it G e tre id e b a u o d e r sila g e fä h ig e n F u tte rp fla n ­
zen, e r k a n n a u c h als b o d e n u n a b h ä n g ig e r B etrieb g e fü h rt w e rd e n . E r h a t s e in e n
U rs p ru n g im M a isg ü rte l d e r USA u n d ist h e u te a u c h in E u ro p a , S ü d a m e rik a u n d
S ü d a frik a z u fin d e n (HORST u. P eters 1978, S. 199).
Die Ü b e rg ä n g e z w isc h e n d ie s e n d re i H a u p tb e trie b s ty p e n s in d flie ß e n d , je n a c h
M ark tlag e k a n n d e r S c h w e rp u n k t a u f M ilch- o d e r F le isc h e rz e u g u n g g eleg t w e r­
d e n - a u ß e r b e im h o c h s p e z ia lis ie rte n , a rb e its te ilig e n E n d m a s tb e trie b . Als b e ­
g le ite n d e r B e trie b sz w e ig d e r M ilc h v ie h b e trie b e tr itt h ä u fig n o c h d ie S c h w e in e ­
h a ltu n g au f, d ie z u r V e rw e rtu n g d e r a n fa lle n d e n M a g e rm ilc h u n d M olke d ie n t.
Futterbasis Grünland
D ie G r u n d f u tte r b a s is f ü r d ie in te n s iv e R in d e r- u n d S c h a fh a ltu n g b ild e t d a s
D a u e rg rü n la n d z u s a m m e n m it d e m la n g le b ig e n W e c h se lg ra s la n d (W echsel v o n
la n g jä h rig e r G ra s n u tz u n g m it e in ig e n J a h re n A ckerbau). D as D a u e rg rü n la n d ist
e in e v ie lg lie d rig e P fla n z e n g e se llsc h a ft a u s G rä se rn , L e g u m in o se n u n d a n d e re n
K rä u te rn . D ie G ra sn a rb e h a t g e g e n ü b e r d e m A ck e rb a u ökologische Vorteile: sie
sc h ü tz t d e n B o d e n v o r E ro sio n , re ic h e rt ih n m it H u m u s a n u n d ist g e g en P fla n ­
z e n sc h ä d lin g e w e n ig a n fällig . A n d e n k lim a tis c h e n G re n z s ä u m e n d es A n b a u s h a t
sie g e g e n ü b e r d e m F e ld b a u d e n V o rteil, je d e w a c h stu m sfä h ig e S tu n d e a u s z u n ü t­
zen. Sie k o m m t m it k ü rz e re n V e g e ta tio n sz e ite n aus u n d v e rträ g t h ö h e re N ie d e r­
schläge. D as D a u e rg rü n la n d ist g rö ß te n te ils a n th ro p o g e n , a u s d e r R o d u n g d e r
W ä ld e r e n ts ta n d e n . A u ch se in e E rh a ltu n g se tzt W e id e g a n g o d e r M ah d , also d ie
N u tz u n g d u r c h d e n M e n sc h e n , v o ra u s. O h n e m e n sc h lic h e E in g riffe v e rb u s c h t das
G rü n la n d in k u rz e r Z eit. N u r a u f w e n ig e n w a ld fe in d lic h e n S ta n d o rte n (M a tte n ­
stu fe , M o o re) ist n a tü r lic h e s G r ü n la n d a n z u tre ffe n . D ie in te n s iv e G r ü n la n d ­
b e w irts c h a ftu n g v e rs u c h t, m it v ie lfä ltig e n M e th o d e n d ie Q u a n titä t u n d Q u a litä t
des F u tte re rtra g s z u e rh ö h e n ; B e w ässern , W alzen, A b b re n n e n , K alken, D ü n g e n
m it G ü lle o d e r M in e ra ld ü n g e r, E in sa a t w e rtv o lle r F u tte rg rä s e r u n d K le earten .
In te n s iv g e n u tz te s G rü n la n d b ild e t e in w e itg e h e n d v o m M e n sc h e n g e sta lte te s
Ö k o sy stem , es ist e in e K u ltu rv e g e ta tio n . D as D a u e rg rü n la n d n im m t im L a n d b a u
d e r g e m ä ß ig te n B re ite n e in e w ic h tig e S te llu n g e in (s. T ab elle 4.5).
W ä h re n d d ie g ro ß rä u m ig e V e rb re itu n g des D a u e rg rü n la n d e s k lim a tis c h b e ­
g rü n d e t ist, sin d B oden- u n d W a sse rv e rh ä ltn is se f ü r se in e k le in rä u m ig e A n o rd ­
n u n g a u f F läch en , d ie f ü r d e n A c k e rb a u u n g e e ig n e t sin d , v e ra n tw o rtlic h . D erartiges
a b so lu te s G rü n la n d f in d e t sich a u f ü b e rs c h w e m m u n g s g e fä h rd e te n F läc
h e n (T a lau en , D e ic h v o rla n d ), a u f v e rn ä ß te n , to n ig e n o d e r fla c h g rü n d ig e n B ö d e n

Agrarregionen der Erde
Fläche (1 000 ha)
v.FI. der LN
Island 2 274 99,7
Neuseeland 13 500 78,0
Irland 4 690 83,6
Schweiz 1 114 70,5
Großbritannien 11 048 64,3
Niederlande 1 051 52,9
Österreich 1 954 56,6
Frankreich 10 764 35,6
BR Deutschland 5 251 30,6
Kanada 27 900 38,0
Tab. 4.5:
Der Anteil des Dauergrünlandes an der LN
1993
(Quelle: FAQ. Produktion Yearbook 48,1994)
III
liil
ii!
sow ie a u f ste ile n H ä n g e n . N e b e n d e m a b s o lu te n G rü n la n d , d a s k e in e n re n ta b le n
A ckerb au z u lä ß t, fin d e t sich d a s fa k u lta tiv e G rü n la n d , d as a u c h f ü r d e n A ck erb au
g e e ig n e t ist. W elch e N u tz u n g b e v o rz u g t w ird , h ä n g t v o n d e r je w e ilig e n A g rarp o l­
itik u n d v o n d e r P re is re la tio n p ñ a n z lic h e r /tie r is c h e r P ro d u k te ab. D as A cker-
G rü n la n d -V e rh ä ltn is ist la n g fris tig also k e in e sw e g s stab il. In d e r e u ro p ä isc h e n
A g ra rg e sc h ic h te w e c h s e lte n V e rg rü n la n d u n g s p h a s e n m it U m b ru c h z e ite n . A m b e­
k a n n te s te n ist d e r V e rg rü n la n d u n g s p ro z e ß d e r B ritisc h e n In se ln , als n a c h d e r
A u fh e b u n g d e r K o rn zö lle 1846 d ie L a n d w irts c h a ft g e z w u n g e n w a r, d ie p fla n z lic
h e P ro d u k tio n e in z u s c h r ä n k e n u n d sic h s tä r k e r d e r tie r is c h e n V e re d lu n g s­
w irtsc h a ft z u z u w e n d e n . In E n g la n d u n d W ales v e rrin g e rte sich z w isc h e n 1879
u n d 1939 d ie F läch e d es A c k e rla n d e s v o n ü b e r 6 M io. h a a u f 3,5 M io. h a. In d e n
le tz te n J a h rz e h n te n h a t d ie K o s te n h e g ü n s tig u n g d e r M ä h d ru s c h frü c h te w ie d e r zu
e in e m A n stie g a u f 6,1 M io. h a g e fü h rt. A u ch d ie d e u ts c h e n G rü n la n d g e b ie te (alte
M arsch, A lp e n v o rla n d , M ittelg eb irg e) h a b e n e rs t im V e rla u f e in e s ja h r h u n d e r te ­
la n g e n V e rg rü n la n d u n g s p ro z e s s e s , b e s o n d e rs se it M itte des 19. J a h rh u n d e rts , ih re
h e u tig e M o n o s tru k tu r e in g e n o m m e n . N ach d e r N u tz u n g sw e ise la sse n sic h fo lg en ­
d e F o rm e n d es G rü n la n d e s u n te rs c h e id e n (E. K la p p 1971, S. 15 - 16, S. 399 ff.):
- D a u e rw ie se n
- D a u e rw e id e n
- M ä h w ie se n
- W e c h s e lg rü n la n d
D a u e rw ie s e n w e r d e n d u r c h M a h d g e n u tz t, sie d ie n e n v o rw ie g e n d d e r H eu ­
g e w in n u n g . D er V o rte il d e r W iese g e g e n ü b e r d e r W eid e lie g t in ih r e r a rte n ­
re ic h e re n P fla n z e n g e se llsc h a ft u n d im h o h e n S ta llm ista n fa ll. S c h w e rw ie g e n d e
N a c h te ile s in d d e r h o h e A rb e its a u fw a n d u n d d a s W e tte rris ik o b e i d e r H e u ­
w e rb u n g so w ie e in g e rin g e s E rtra g s s te ig e ru n g s p o te n tia l. Bei d e r W e id e n u tz u n g
e n tfa lle n E rn te a rb e ite n u n d W e tte rrisik o , d e r N ä h rsto ffk re isla u f ist k u rz g e sc h lo s­
sen, d ie S ta lla rb e it ist re d u z ie rt. In d e r a lte n B u n d e s re p u b lik D e u tsc h la n d h a t sich
d a h e r se it 1965 d e r A n te il d e r W ie se n z u g u n s te n d es W e id e la n d e s ste tig v e rrin g e rt
(s. T ab elle 4.6). D er g e sa m te A n te il d es D a u e rg rü n la n d e s w a r in d ie s e m Ja h rh u n ­
d e rt m it 38 - 40 % d e r LN e rs ta u n lic h sta b il g e b lie b e n . S eit e tw a 1970 v e rrin g e rt er
sich je d o c h la u fe n d z u g u n s te n d es A c k e rla n d e s. H ie r la sse n sic h v ie l g rö ß e re
E rtra g s s te ig e ru n g e n e rz ie le n als m it W ie se n u n d W e id e n . M e lio ra tio n e n u n d

Viehwirtschaftsregionen der Erde 145
Tab. 4.6:
Anteil des Dauergrünlandes an der LN in der
alten Bundesrepublik Deutschland 1925-1992
(in V . H.)
(Quelle: Statistisches Jahrbuch ELF 1981, S. 70;
AGRIMENTE 95, S. 10)
Wiesen Weiden Dauergrünland
1925 24,7 12,3 37,0
1935/38 24,8 13,1 37,9
1951 25,6 13,9 39,5
1965 27,2 15,9 40,5
1980 21,3 17,5 38,8
1992 19,1 17,2 36,3
W a s s e rb a u m a ß n a h m e n h a b e n d as N ä sserisik o a u f fe u c h te n S ta n d o rte n re d u z ie rt.
Es s in d v o r a lle m d ie T a la u e n m it ih r e n v o rz ü g lic h e n A u e le h m b ö d e n , d ie zu
A c k e rla n d u m g e b ro c h e n tv e rd e n . F lo ra u n d F a u n a (S tö rche, W ie se n b rü te r) s in d
e n ts p re c h e n d v e ra rm t, l n d e n n e u e n B u n d e s lä n d e rn w a r d e r G r ü n la n d a n te il m it
e tw a 20 %d e r LN a u s n a tu r b e d in g te n G rü n d e n im m e r w e it n ie d rig e r als im A ltb
u n d e s g e b ie t.
Bei d e r rä u m lic h e n V e rte ilu n g v o n W iesen u n d W e id e n e rg ib t sic h in E u ro p a
e in s ta rk e r G e g e n sa tz z w isc h e n a tla n tis c h e n W e id e re g io n e n (B ritisc h e In se ln ,
N o rd w e stfra n k re ic h , N o rd w e std e u tsc h la n d ) u n d d e n k o n tin e n ta le n W ie se n re g io ­
n e n (S ü d d e u tsc h la n d , A lp e n lä n d e r), ln d e r a lte n B u n d e s re p u b lik lie g e n 66 %d e r
W ie se n flä c h e n in d e r s ü d lic h e n L a n d e sh ä lfte , 84 % d e r W e id e n im n ö rd lic h e n T eil
(H. R o h m 1964, S. 46). D ie se r rä u m lic h e G e g en satz lä ß t sic h e in m a l m it k lim a tisc
h e n B e d in g u n g e n e rk lä re n : u n te r k o n tin e n ta le n B e d in g u n g e n ist d ie W eid e­
p e rio d e k ü r z e r u n d d e r B e d a rf a n W in te rfu tte r g rö ß e r. M in d e ste n s eb e n so w ic h tig
sin d n a c h E. K la p p (1971, S. 20 - 24) a b e r a u c h S ie d lu n g sw e ise , F lu rfo rm u n d
B esitz- u n d P a rz e lle n g rö ß e n . W e id e w irtsc h a ft ü b e rw ie g t g e n e re ll b e i E in z e lh o f­
s ie d lu n g e n m it g ro ß e n P a rz e lle n u n d h o f n a h e r Lage d es G rü n la n d e s ; b e i s ta rk e r
F lu rz e rs p litte ru n g ist sie sc h w e r m ö g lich .
B eim la n g le b ig e n W e c h s e lg rü n la n d (le y fa rm in g ) w e c h s e lt la n g jä h rig e G ra s­
n u tz u n g m it e in ig e n A c k e rb a u ja h re n . D iese F e ld g ra sw irtsc h a ft lie fe rt n ic h t n u r
F u tte r, sie d ie n t a u c h d e r B o d e n v e rb e s s e ru n g fü r d e n A c k e rb a u (H u m u s a n re ic h e ­
ru n g , B e se itig u n g v o n A c k e ru n k rä u te rn ). Sie ist w e itv e rb re ite t a u f d e n B ritisc h e n
In se ln , in N o rd s k a n d in a v ie n , N e u se e la n d u n d in d e n USA.
U n te r d e n P r o d u k tio n s b e d in g u n g e n d e r In d u s tr ie lä n d e r g e ra te n d ie r e in e n
G rü n la n d re g io n e n z u n e h m e n d in e in e bedrängte Situation. G rü n la n d fin d e t sich
v o rw ie g e n d a u f F läche, d ie fü r d e n A ck erb au n ic h t g e e ig n e t sin d . D ie B e trieb e
sin d d a h e r w e n ig flex ib el, sie s in d a u f d ie R in d v ie h h a ltu n g fix iert. V ielfach k u m u ­
lie re n d ie u n g ü n s tig e n S ta n d o rtb e d in g u n g e n : k le in e B e trie b sflä c h e n , U n g u n st
d e r N a tu rfa k to re n , p e rip h e re Lage. D ie E rträ g e des G ra sla n d e s la sse n sic h n ic h t
im g le ic h e n M aße s te ig e rn w ie d ie des A ck erlan d es. D ie S te ig e ru n g d e r tie ris c h e n
E rz e u g u n g se tz t d e n Z u k a u f v o n F u tte rm itte ln v o ra u s, w as d ie B e trie b e d e r Preis-
K osten-S chere a u sse tz t. D er E n e rg ie b e d a rf d e r H o c h le is tu n g s rin d e r lä ß t sich im ­
m e r w e n ig e r d u rc h G ras u n d H eu d e c k e n , e n e rg ie re ic h e s K ra ftfu tte r m u ß z u ­
g e fü tte rt w e rd e n . D as b e g ü n s tig t a b e r d ie S ta n d o rte d e r in te n s iv e n V ie h w irtsc h a ft
in A c k e rb a u g e b ie te n bzw . in d e r N ä h e d e r Im p o rth ä fe n , w ä h r e n d d ie G rü n la n d ­
w irts c h a ft d e r p e r ip h e r e n R ä u m e im m e r m e h r in e in e G re n z k o s te n s itu a tio n gerät.
D a m it d ü rfte sic h d ie w irts c h a ftlic h e u n d soziale P ro b le m a tik d e r L a n d w irtsch
a ft in d e n p e r ip h e r e n G rü n la n d g e b ie te n in Z u k u n ft n o c h v e rs c h ä rfe n , z u m a l

146 Agrarregionen der Erde '
das H a u p tp ro d u k t M ilch im Ü b e rsc h u ß p ro d u z ie rt w ird . A uf la n g e S ich t ist die
L a n d b e w irts c h a ftu n g v o n g ro ß e n T e ile n d e s lä n d lic h e n R au m es, d ie h e u te d u rc h
das A g ra rsy ste m G r ü n la n d /R in d v ie h h a ltu n g g e n u tz t w e rd e n (G eb irg e, a tla n tisc
h e r K ü ste n ra u m , h ö h e re B reiten ), g e fä h rd e t.
ggig
Die Milchwirtschaft
D er w ic h tig ste B e trie b sty p d e r in te n s iv e n V ie h w irtsc h a ft ist d ie M ilc h v ie h h a l­
tu n g . D er M ilc h v e rk a u f (1992/93: 16,3 M rd. DM) e rb rin g t in d e r B u n d e s re p u b lik
D e u tsc h la n d e tw a e in V iertel a lle r la n d w irts c h a ftlic h e n V e rk a u fse rlö se u n d erre
ic h t d a m it fast d e n E rlös f ü r alle p fla n z lic h e n E rz e u g n isse z u s a m m e n (22,1 M rd.
DM), ln S c h w e d e n s ta m m t g a r e in D ritte l d e r la n d w irts c h a ftlic h e n E in k o m m e n
au s d e r M ilc h p ro d u k tio n .
Die h e u tig e zentrale Stellung d e r M ilc h p ro d u k tio n im n ö rd lic h e n E u ro p a u n d
in d e n USA h a t sich e rs t im V e rla u f d e r In d u s tr ia lis ie r u n g h e ra u s g e b ild e t. Bis in s
19. J a h r h u n d e r t d ie n te n R in d e r v o rw ie g e n d als A rb e itstie re u n d F le isc h lie fe ra n ­
te n . M ilch w a r e in N e b e n p ro d u k t, d e s s e n M en g e a u ß e rd e m im Ja h re s v e rla u f m it
d e m F u tte ra u fk o m m e n s ta rk sc h w a n k te , B u tte r g a lt als L u x u sp ro d u k t. E in ig e
w ic h tig e G e b ie te h a tte n sic h b e re its in d e r frü h e n N e u z e it a u f d ie M ilc h v e ra r­
b e itu n g sp e z ia lisie rt, w ie z.B. T eile d e r N ie d e rla n d e (L im b u rg ) u n d d e r Schw eiz.
V on h ie r k a m e n d ie F a c h k rä fte , d ie im 19. J a h r h u n d e r t a n d e rn o rts als In n o v a ­
to re n w irk te n (vgl. d ie B e z e ic h n u n g „ H o llä n d e re i“ f ü r M o lk erei o d e r d ie B eru fsb e­
z e ic h n u n g „ S c h w e iz e r“). So ist b e isp ie lsw e ise d ie E n tw ic k lu n g d es A llgäu z u m
fü h re n d e n d e u ts c h e n K ä se -P ro d u k tio n sra u m ab 1830 u .a. S c h w e iz e r E in w a n d e ­
r e r n z u v e rd a n k e n . D er a llg e m e in e A u fsc h w u n g d e r M ilc h w irtsc h a ft ist a u f folg
e n d e U rsa c h e n z u rü c k z u fü h re n :
- V e rb e sse ru n g d e r P re is re la tio n M ilc h /G e tre id e z u g u n s te n d e r M ilch. D ad u rc h
w u rd e d ie G e tre id e e rz e u g u n g a u f u n g ü n s tig e n S ta n d o rte n u n re n ta b e l.
- Die V e rs tä d te ru n g lie ß g ro ß e M ä rk te fü r M ilch u n d M ilc h p ro d u k te e n ts te h e n .
- Die E is e n b a h n e n e rla u b te n d e n H a n d e l m it M ilch u n d M ilc h p ro d u k te n ü b e r
w e it g rö ß e re D ista n z e n als frü h e r.
- H y g ien isch e M a ß n a h m e n f ü h r te n z u r V e rb e s s e ru n g d e r M ilc h q u a litä t.
- L e istu n g sfä h ig e O rg a n is a tio n s fo rm e n f ü r S a m m lu n g , V e ra rb e itu n g u n d V ertrie
b d e r M ilch e n ts ta n d e n .
- M o d e rn e G rü n la n d w irts c h a ft u n d A n b a u v o n F e ld fu tte rp fla n z e n b e se itig te n
d e n w in te rlic h e n F u tte re n g p a ß u n d m ild e r te n d ie S a iso n a litä t d e r M ilch p ro ­
d u k tio n .
- Die T ie rz ü c h tu n g ste ig e rte d ie M ilc h le istu n g d e r K ühe; au s d e n frü h e r e n M e h r­
z w e c k ra ssen e n ts ta n d e n re in e M ilc h ra sse n o d e r d as Z w e in u tz u n g s rin d (M ilch/
Fleisch).
E in a u ffa lle n d e s -M e rk m a l d e r M ilc h v ie h b e trie b e ist ih re k le in b e trie b lic h e S tru k ­
tu r. In d e n a lte n L ä n d e rn d e r B u n d e s re p u b lik D e u tsc h la n d h a tte n 1991 64% d e r
269 000 m ilc h v ie h h a lte n d e n B e trie b e e in e n B e sta n d v o n w e n ig e r als 20 K ühen;
a u f d ie se G rö ß e n k la sse e n tfie l 34 % des M ilc h k u h b e s ta n d e s v o n 4,7 M io. T ieren ,
w e ite re 53 % a u f d ie G rö ß e n k la sse 20 b is 49 T iere. S o m it s te h e n 87 % d e r M ilch k ü ­
h e in B e stä n d e n m it w e n ig e r als 50 T ie re n , d ie d u rc h s c h n ittlic h e K u h h e rd e zählte
1991 n u r 17, 6 K ühe. In d e n n e u e n L ä n d e rn m it ih r e r g ro ß b e trie b lic h e n S tru k tu r

Viehwirtschaftsregionen der Erde 147
s ta n d e n fre ilic h 96,5 % d e r M ilc h k ü h e in B e stä n d e n m it 100 u n d m e h r T ie re n , d ie
D u rc h sc h n ittsg rö ß e d e r H e rd e n la g b e i 202 K ü h en . V on d ie s e m S o n d e rfa ll a b g eseh
e n , w ird in d e n m a rk tw irts c h a ftlic h o rie n tie rte n L ä n d e rn d ie M ilch v o rw ie g e n d
in F a m ilie n b e trie b e n m it re la tiv w e n ig e n L o h n a rb e its k rä fte n e rz e u g t, w e n n a u c h
K o n z e n tra tio n s te n d e n z e n u n ü b e r s e h b a r sin d . D a fü r ist v o r a lle m d ie h o h e u n d
im Ja h re sg a n g g le ic h b le ib e n d e A rb e its in te n s itä t v e ra n tw o rtlic h . F ü r d ie la n d w irtsc
h a ftlic h e n K le in b e trie b e b e d e u te t d ie g a n z jä h rig e M ilc h p ro d u k tio n - m ilc h lo se
Z e ite n g ib t es b ei m o d e r n e n F ü tte ru n g s m e th o d e n n ic h t m e h r - e in e re g e lm ä ß ig e
B a rg e ld e in n a h m e , d ie sie b e i a n d e r e n P ro d u k te n k a u m e rz ie le n . D ie M ilc h ­
g e ld e in n a h m e n h a b e n f ü r d ie K le in b e trie b e e in e w ic h tig e so ziale K o m p o n e n te ,
d e r sta a tlic h g a ra n tie rte M ilc h p re is w ird z u e in e r E in k o m m e n s fu n k tio n in d e n
L ä n d e rn d e r A lten W elt. A n d e re rse its fü h rte d ie h o h e A rb e its b e la s tu n g b e i d e r
M ilc h k u h h a ltu n g in a lle n In d u s tr ie lä n d e r n z u e in e m s ta rk e n R ü c k g a n g d e r Z ah l
d e r M ilc h v ie h b e trie b e . Sie s a n k in d e r B u n d e s re p u b lik D e u tsc h la n d v o n 1 M io.
(1965) a u f 276 000 (1991).
Die in te n s iv e M ilc h w irtsc h a ft ist a u c h s e h r k a p ita lin te n s iv . E in e H e rd e v o n
H o c h le is tu n g s k ü h e n re p r ä s e n tie rt b e re its e in e n b e trä c h tlic h e n W ert. D azu k o m ­
m e n d ie A u fw e n d u n g e n fü r S ta llu n g e n e in sc h lie ß lic h F ü tte ru n g s-, E n tm is tu n g s ­
u n d M e lk te c h n ik , K ü h la n la g e n , E in r ic h tu n g e n z u r F u tte r b e v o r r a tu n g (Silos,
S c h e u n e n ), f ü r G ü lle la g e ru n g u n d - tra n s p o rt so w ie M a s c h in e n z u r F u tte rg e ­
w in n u n g . D ie h o h e n fix e n A u fw e n d u n g e n je B etrieb e rz w in g e n d ie V e rg rö ß e ru n g
des V ie h b e sta n d e s z u r N u tz u n g d e r „eco n o m ie s of sc a le “, d a d ie F ix k o ste n je T ie r
u m so g e rin g e r w e rd e n , je g rö ß e r d ie H e rd e ist. A us d ie s e m G ru n d e w u c h s in d e r
B u n d e s re p u b lik D e u tsc h la n d d ie d u rc h s c h n ittlic h e M ilc h k u h h e rd e v o n 4,5 T iere
n (1959) a u f 13,9 (1980) u n d 17,6 (1991) an. In d e n N ie d e rla n d e n w u r d e n 1991
b e re its 57 % u n d in G ro ß b rita n n ie n so g a r 81 %d e r M ilc h k ü h e in B e stä n d e n v o n 50
u n d m e h r T ie re n g e h a lte n (S tatist. Jb. ELF 1994, S. 443). A uch d ie S te ig e ru n g d e r
M ilc h le istu n g je K u h d ie n t d e r F ix k o ste n se n k u n g . D ie M ilc h p ro d u k tio n je K uh
stieg in d e r B u n d e s re p u b lik D e u tsc h la n d v o n 2 910 k g (1955) a u f 4 552 k g (1980)
u n d 5 241 k g (1993) an; in d e n N ie d e rla n d e n u n d in d e n USA lie g t d ie d u r c h ­
s c h n ittlic h e M ilc h le istu n g b e re its b e i ü b e r 6 000 kg. S p itz e n tie re e rre ic h e n 7 000
bis 8 000 kg. O b w o h l d ie M ilc h k u h b e s tä n d e in a lle n I n d u s tr ie lä n d e r n rü c k lä u fig
sin d - in S c h w e d e n z.B. v o n 1,6 M io. a u f 500 000 w ä h re n d d e r le tz te n 20 Ja h re , in
d e n USA v o n 21,9 M io. (1950) a u f 9,6 M io. (1994) - ste ig t d ie M ilc h p ro d u k tio n
d e n n o c h an .
Die le ic h te V e rd e rb lic h k e it d e r M ilch b e d in g t le istu n g s fä h ig e Organisationen
fü r ih re sch n e lle S a m m lu n g u n d V e ra rb e itu n g so w ie f ü r d e n V e rtrie b d e r M ilch ­
p ro d u k te . S c h o n au s d ie s e m G ru n d s tö ß t d e r A u fb a u e in e r m o d e r n e n M ilc h w irtsch
aft in d e n E n tw ic k lu n g s lä n d e rn d e r h e iß e n Z o n e n a u f e rh e b lic h e S c h w ie rig ­
k e ite n . S eit d e m a u s g e h e n d e n 19. J a h r h u n d e r t h a t sic h in d e n I n d u s tr ie lä n d e r n
d ie M o lk e re iw irtsc h a ft e n tw ic k e lt, n a c h d e m d ie te c h n is c h e n V o ra u s s e tz u n g e n
(M ilc h z e n trifu g e n , P a s te u ris ie ru n g , K ü h lv e rfa h re n ) g e g e b e n w a re n . Bis d a h in
h a tte sic h d ie M ilc h v e ra rb e itu n g a u ssc h lie ß lic h in n e r h a lb d es b ä u e rlic h e n Betrie
b s v o llzo g en . H e u te w e rd e n 92 % d e r M ilc h p ro d u k tio n d e r B u n d e s re p u b lik
D e u tsc h la n d v o n 28,1 M io. t (1993) a n M o lk e re ie n a b g e lie fe rt, w o sie z u e in e r
b re ite n P a le tte v o n M ilc h p ro d u k te n v e ra rb e ite t w ird (s. T ab elle 4.7).

148
Agrarregionen der Erde
Milcherzeugung (10001)
Ablieferung an Molkereien
28 098
25 829
Verwendung in Molkereien für
Frischmilcherzeugnisse 31,9 %
davon Konsummilch 12,9%
Sahne 14,2 %
Butter 36,5 %
Käse 20,0%
Sonstiges 11,6%
Tab. 4.7:
Die Verwendung der Vollmilch in der Bundesrepublik
Deutschland 1993
(Quelle: Statistisches Jahrbuch für ELF 1994, S. 230)
I li
D er h o h e A n te il d e r B u tte rp ro d u k tio n ist v o rw ie g e n d m it d e r sta a tlic h e n A b n ah ­
m e g a ra n tie , a b e r n ic h t m it d e n A n fo rd e ru n g e n des M a rk te s z u e rk lä re n . In d e n
USA, w o d ie M ilc h p ro d u k tio n v e rg le ic h sw e ise w e n ig sta a tlic h e F ö rd e ru n g e rh ä lt,
w ird d e r ü b e rw ie g e n d e T eil d e r E rz e u g u n g als K o n su m m ilc h ab g e se tz t. S ta a te n
m it h o h e n M ilc h ü b e rs c h ü s s e n (D ä n e m a rk , N ie d e rla n d e , Irla n d , N e u se e la n d ) m ü s­
se n d e n G ro ß te il d e r M ilc h e rz e u g u n g z u h a ltb a re n , tra n s p o rtfä h ig e n P ro d u k te n
w ie B u tte r, K äse, T ro c k e n m ilc h v e ra rb e ite n . Sie w e rd e n d a n n ü b e r o ft globale
D ista n z e n v e rm a rk te t.
D ie th e o re tis c h z u e rw a rte n d e r ä u m lic h e D iffe re n z ie ru n g d e r M ilc h v e ra rb e i­
tu n g in K o n su m m ilc h -, B u tter- u n d K ä se z o n e n in A b h ä n g ig k e it v o n d e r M ark t­
e n tf e r n u n g (s. A b b ild u n g 2.4) ist h e u te n u r n o c h b e i s e h r g ro ß rä u m ig e r B etrach ­
tu n g s e b e n e fe stste llb a r. So s in d d e r „ d a iry b e it“ d e r USA im v e rs tä d te rte n N o rd ­
o ste n u n d u m C hicag o a u f F risc h m ilc h , d ie p e r ip h e r g e le g e n e n S ta a te n W isco n sin
u n d M in n e so ta a u f B u tte r u n d K äse sp e z ia lisie rt. Im k le in rä u m ig e n E u ro p a lasse
n sich d e ra rtig e rä u m lic h e D iffe re n z ie ru n g e n n u r in A n sä tz e n fe stste lle n . Die
D ista n z e n s in d z u g e rin g u n d d ie T ra n s p o rtk o s te n d e r M ilc h ta n k w a g e n a u f d e m
e n g m a sc h ig e n A u to b a h n n e tz z u n ie d rig . D ie F ris c h m ilc h e rz e u g u n g w a n d e rte d a­
h e r v o m U m la n d d e r G ro ß stä d te in d ie n a tü r lic h e n G rü n la n d g e b ie te , so z.B. aus
d e r U m g e b u n g L o n d o n s n a c h W e ste n g la n d u n d W ales (D. G r ig g 1974, S. 207). In
d e r B u n d e s re p u b lik D e u ts c h la n d h a b e n sic h d ie k ü s te n n a h e n G rü n la n d g e b ie te
u n d das A lp e n v o rla n d z u S c h w e rp u n k te n d e r M ilc h k u h h a ltu n g e n tw ic k e lt. Das
v e rrin g e rte M ilc h a u fk o m m e n im U m la n d d e r B a llu n g srä u m e z w a n g d ie M olkere
ie n in N o rd rh e in -W e stfale n , ih r E in z u g sg e b ie t a u s z u d e h n e n (K. E c k a r t 1983,
S. 254). D ie sta rk e K o n z e n tra tio n a u f w e n ig e G ro ß m o lk e re ie n h a t d ie f r ü h e r lokal
s e h r b e g re n z te n E in z u g sb e re ic h e s e h r a u sg e w e ite t. A us d e n n e u e n B u n d e slä n ­
d e rn w ird M ilch so g a r b is in d ie N ie d e rla n d e g elie fe rt, w e il d o rt d ie N ach frag e
n a c h d e r E in f ü h r u n g d e r M ilc h q u o te n ic h t m e h r g e d e c k t w e rd e n k a n n . S elbst die
B a rrie re d e r A lp en ist h e u te k e in H in d e rn is m e h r f ü r d ie L ie fe ru n g g ro ß e r M eng
e n F risc h m ilc h a u s S ü d b a y e rn z u d e n o b e rita lie n is c h e n A g g lo m e ra tio n e n ; täg ­
lic h ü b e r q u e r t e in e F lo tte v o n m e h r e r e n h u n d e r t M ilc h ta n k z ü g e n d e n B re n n e r.
O ffe n sic h tlic h k a n n R o h m ilc h h e u te e in e n T ra n s p o rt ü b e r H u n d e rte v o n K ilom e­
te r n k o s te n m ä ß ig v e rtra g e n .
Die Milchproduktion der Erde ist n o c h s tä rk e r a u f d ie w o h lh a b e n d e n In d u ­
s trie lä n d e r m it e u ro p ä is c h e r B e v ö lk e ru n g k o n z e n trie rt, als d ie in te n s iv e V ie h w irtsc
h aft in sg e sa m t. A uf E u ro p a , d ie N a c h fo lg e sta a te n d e r S o w je tu n io n u n d A ustralie
n /N e u s e e la n d e n tfa lle n 74 % d e r g lo b a le n K u h m ilc h e rz e u g u n g .

Viehwirtschaftsregionen der Erde 149
Tab. 4.8: Die Kuhmilchproduktion der Erde 1994
(Quelle: FAQ. Production Yearbook 48,1994)
Mio. t v.H.
Erde 458,6 100,0
Europa^* 152,5 33,3
davon EU-12 110,7 24,1
GUS 82,7 18,0
Nordamerika 88,3 19,3
davon USA 69,7 15,2
Südamerika 36,0 7,8
Asien 67,1 14,6
Ozeanien, Australien 16,8 3,7
Afrika 15,2 3,3
1) ohne GUS
A u ffällig ist d ie g e rin g e R olle, w e lc h e d ie M ilch fü r d ie E r n ä h r u n g in d e n Entwicklungsländern
sp ielt. D iese S ta a te n g ru p p e trä g t k a u m m e h r als 20 %z u r g e s a m te n
M ilc h e rz e u g u n g d e r E rd e b ei. D as v e re in te D e u tsc h la n d p r o d u z ie r t m it 5,3 M io.
K ü h e n fast d o p p e lt so v ie l M ilch w ie d e r rie sig e a frik a n isc h e K o n tin e n t u n d n ic h t
viel w e n ig e r als In d ie n m it d e m g rö ß te n K u h b e sta n d d e r E rd e v o n 30 M io. T ie re n .
Die U rsa c h e n fü r d ie se g e rin g e P ro d u k tiv itä t lie g e n p r im ä r im v o lk sw irtsc h a ftlic
h e n E n tw ic k lu n g s s ta n d ; a u f d e n o ffe n s ic h tlic h e n Z u s a m m e n h a n g z w isc h e n
In d u s tria lis ie ru n g u n d d e r E n tw ic k lu n g d e r m o d e r n e n M ilc h w irtsc h a ft w u rd e
b e re its v e rw ie se n . A u ß e rd e m w e rd e n n a c h N. A l e x a n d r a t o s (1995, S. 200) in d e n
E n tw ic k lu n g s lä n d e rn ü b e r 90 %d e r V ie h b e stä n d e v o n Ю еіп Ь аи егп m it g e rin g e m
M a rk tz u g a n g g e h a lte n . D a n e b e n sp ie le n a b e r a u c h a n d e rs a rtig e K o n su m g e w o h n ­
h e ite n e in e R olle. Im o sta s ia tis c h e n K u ltu rk re is w e rd e n z.B. M ilc h p ro d u k te v e ra b ­
sch eu t; Ja p a n p ro d u z ie rt jä h rlic h n u r e tw a 8,3 M io. t K u h m ilc h , d .h . w e n ig e r als
d ie N ie d e rla n d e . Z u d e m ist b e i e in ig e n M e n s c h e n ra s s e n d ie M ü c h v e rd a u lic h k e it
w e g e n E n z y m m a n g e ls (L actase-M angel) o ffe n sic h tlic h s ta rk ein g e sc h rä n k t.
N u r v o n lo k a le r B e d e u tu n g s in d d ie Schaf- u n d Z ie g e n m ilc h im M itte lm e e r­
ra u m , in In d ie n , Ira n u n d S o m a lia so w ie d ie B ü ffe lm ilc h in In d ie n u n d P a k ista n .
F ü h re n d e r P r o d u k tio n s ra u m f ü r K u h m ilc h ist h e u te Westeuropa. A uf d ie E u ro ­
p ä isc h e G e m e in sc h a ft d e r Z w ö lf e n tfä llt a lle in e e in V ie rte l d e r W e lte rz e u g u n g v o n
K u h m ilch . D ie M ilc h p ro d u k tio n n im m t e in e z e n tra le S te llu n g in d e r M a rk tp o litik
d e r EU ein . A d m in is tra tiv fix ie rte P re ise u n d u n b e s c h rä n k te A b n a h m e g a ra n tie n
(bis 1984) o h n e R ü c k sic h t a u f d e n s ta g n ie re n d e n V e rb ra u c h sc h a lte te n d ie M a rk t­
m e c h a n is m e n au s u n d f ü h r te n in d e n se c h z ig e r u n d sie b z ig e r J a h re n z u e in e r
S te ig e ru n g d e r M ilc h p ro d u k tio n in d e r d a m a lig e n EG-9 v o n 79,4 M io. t. (1960) a u f
104,9 M io. t (1981). D ie B u tte rp ro d u k tio n stie g g le ic h z e itig v o n 1,3 M io. t a u f 1,81
M io. t o d e r u m 39 %, in Irla n d so g a r u m 80 %u n d in d e n N ie d e rla n d e n u m 84 %.
G ro ß b rita n n ie n , d as sic h v o r d e m B e itritt z u r G e m e in sc h a ft v o rw ie g e n d m it Im ­
p o rtb u tte r, v o r a lle m au s N e u se e la n d , v e rso rg t h a tte , e rle b te e in e P ro d u k tio n s s te i­
g e ru n g v o n 38 000 t (1960) a u f 171 0 0 0 1 (1981), d.h . u m d as D re ie in h a lb fa c h e . D as
B eispiel v o n Irla n d u n d G ro ß b rita n n ie n zeigt, w e lc h e P ro d u k tio n s re s e rv e n b e im
Ü b e rg a n g z u r A u tark ie- u n d H o c h p re isp o litik fre ig e m a c h t w e rd e n k ö n n e n . Als
E rg e b n is d ie s e r A g ra rp o litik p ro d u z ie rte d ie EG sc h w e r a b se tz b a re Ü b e rsc h ü sse
a n M ilc h p ro d u k te n . D er S e lb stv e rso rg u n g sg ra d b e i B u tte r e rre ic h te 1981/82 fü r

150
Agrarregionen der Erde
Kuhmilch
(1000t)
Milchleistung/Kuh
(kg/Jahr)
Butter
(1000t)
Käse
(1000t)
Belgien 3460 4669 61 69
Dänemark 4660 6583 77 322
Deutschland 28098 5241 482 1336
Griechenland 755 3668 1 178
Spanien 6030 4241 25 227
Frankreich 25300 5450 444 1505
Irland 5311 4208 127 94
Luxemburg 268 5249 3 3
Niederlande 10969 6024 188 658
Portugal 1652 4344 17 57
Großbritannien 14783 5381 109 307
EU-12 112126 5403 1631 5609
Tab. 4.9:
Die Erzeugung von Kuhmilch
und Milchprodukten
in den EU-Länder 1993
(Quelle: Statistisches
Jahrbuch ELF, 1994)
li
■ 1 - ■
d ie EG-9 d e n S atz v o n 128 %, d ie sog. M a rk to rd n u n g s a u s g a b e n f ü r M ilc h e rz e u g ­
n isse stie g e n v o n 2 072 M io. DM (1971) a u f 12 165 M io. DM (1980) a n . A n g esichts
d ie se r u n b e z a h lb a r g e w o rd e n e n Ü b e rsc h ü sse w u rd e z u m 1.4.1984 e in e G a ra n tie ­
m e n g e n re g e lu n g ü b e r feste M ilc h q u o te n p ro K u h h a lte rb e trie b e in g e fü h rt. D am it
g e la n g es, d ie K u h m ilc h p ro d u k tio n d e r e rw e ite rte n EU-12 b e i e tw a 112 M io. t u n d
d ie M a rk to rd n u n g s a u s g a b e n b e i 8-12 M rd. DM jä h rlic h z u sta b ilisie re n .
Rußland fe h le n g rö ß e re R e g io n e n m it g ra sw ü c h sig e m K lim a. Z w ei D ritte l sein
e r W ie se n u n d W e id e n lie g e n in d e r S te p p e n z o n e m it g e rin g e m F u tte ra u f­
k o m m e n . D ie n a tü r lic h e n G rü n flä c h e n s te u e r n d a h e r n u r e tw a 30 % d e r F u tte r­
e rz e u g u n g h e i (J. B r e b u r d a e t a l. 1976, S.95). D ie H a u p tfu tte rb a s is ist d a h e r d e r
A ck erb au , in s b e s o n d e re d ie G e tre id e e rz e u g u n g . D er E n tw ic k lu n g s s ta n d d e r V iehw
irtsc h a ft ist e rs ta u n lic h n ie d rig , d ie M ilc h le istu n g je K u h u n d Ja h r sta g n ie rt seit
J a h rz e h n te n h e i 2 200 kg. D e r K u h b e s ta n d R u ß la n d s v o n 20 M io. ist n u r g e rin g fü ­
gig k le in e r als d e r d e r EU-12 v o n 21,5 M io. T ie re n , p ro d u z ie rt a b e r n u r 44 M io. t
M ilch, v e rg lic h e n m it 112 M io. t in d e r EU. D ie S ta n d o rte d e r M ilc h w irtsc h a ft
h a b e n ih re S c h w e rp u n k te in d e r N ic h tsc h w a rz e rd e z o n e d es e u ro p ä is c h e n L and
esteils, d a sic h h ie r d ie g ro ß e n V e rb ra u c h e rz e n tre n b e fin d e n u n d N a tu rw ie se n
e in e n g rö ß e re n F lä c h e n a n te il e in n e h m e n .
Die M ilc h w irtsc h a ft d e r USA n im m t m it e in e r M ilc h le istu n g v o n 7 277 k g je
K uh im w e ltw e ite n V e rg leich e in e S p itz e n s te llu n g ein . D ie ra sc h e S te ig e ru n g d e r
J a h re s m ilc h le is tu n g v o n 5 510 k g (1981) a u f d e n h e u tig e n W e rt ist n ic h t zu le tz t
d e m E in sa tz v o n H o rm o n e n z u v e rd a n k e n , d ie in d e n USA - a n d e rs als in d e r EU -
e rla u b t sin d . In d e r M ilc h v ie h h a ltu n g d e r USA d o m in ie rt n o c h d e r k le in e u n d
m itte lg ro ß e F a m ilie n b e trie b , d o c h s c h re ite t d ie se k to ra le K o n z e n tra tio n ra sc h
v o ra n . Die g ro ß e n E in h e ite n fin d e n sic h v o r a lle m im s ü d lic h e n F lo rid a , in A rizon
a u n d v o r a lle m in K alifo rn ie n . In d ie se m S ta a t e x is tie re n b e re its M ilc h fa rm e n
m it m e h re re n ta u s e n d T ie re n (H.-W. W in d h o r s t 1989, S. 132). D er A g ra rp o litik d e r
USA ist es g e lu n g e n , d ie M ilc h p ro d u k tio n n ic h t a u s u fe rn z u la sse n . D e r A n stieg
v o n 58 M io. t (1979 - 81) a u f 6 9 ,7 1 (1994) e n ts p ric h t e tw a d e m B e v ö lk e ru n g sz u ­
w ach s. Die M e h rp ro d u k tio n w ird m it im m e r w e n ig e r K ü h e n erzielt: 9,4 M io. T iere
(1994) g e g e n ü b e r 10,8 M io. (1979 - 81). W eg en d es rü c k lä u fig e n V e rb ra u c h s p ro

Viehwirtschaftsregionen der Erde 151
K opf - fe tth a ltig e P ro d u k te w ie V o llm ilc h u n d B u tte r e rlitte n b e i d e n g e s u n d h e its ­
b e w u ß te n K ä u fe rn A b sa tz e in b u ß e n - e n ts ta n d e n a u c h in d e n USA b e trä c h tlic h e
Ü b e rsc h ü sse a n M ilc h p ro d u k te n .
D ie M ilc h p ro d u k tio n d e r USA ist re g io n a l h o c h g ra d ig k o n z e n trie rt. B ereits in
d e r z w e ite n H älfte d es 19. J a h rh u n d e rts h a t sich d e r „ d a iry b e it“ h e ra u s g e b ild e t,
d e r in e in e n n o rd ö s tlic h e n F lü g el (N e u e n g la n d sta a te n , N ew Y ork, P e n n sy lv a n ia )
u n d in e in e n W estflü g el (W isconsin u n d M in n eso ta) zerfä llt. A uf d e n N o rd o ste n
e n tfä llt e tw a e in F ü n fte l, a u f d e n W e ste n e in V iertel d e r n a tio n a le n M ilc h e rz e u ­
g u n g . D er d a iry b e lt ist k e in e sw e g s m o n o s tru k tu rie rt, d o c h s in d h ie r ü b e r 50 %d e r
B e trieb e „ d a iry fa rm s “, d ie m e h r als d ie H älfte ih r e r E in n a h m e n a u s d e r M ilch ­
w irts c h a ft e rz ie le n . N ach B. H o f m e is t e r (1970, S. 161) s in d d re i F a k to re n f ü r d iese
re g io n a le S p e z ia lisie ru n g v e ra n tw o rtlic h :
- k ü h lg e m ä ß ig le s, g ra sw ü c h sig e s K lim a,
- E in w a n d e r e r a u s L ä n d e rn m it tr a d itio n e lle r M ilc h w irts c h a ft w ie Irla n d ,
S chw eiz, S k a n d in a v ie n ,
- g ü n stig e A b sa tz v e rh ä ltn isse in d e n s tä d tis c h e n A g g lo m e ra tio n e n des „ m a n u ­
fa c tu rin g b e it“.
M it d e r W e s tw a n d e ru n g d es B e v ö lk e ru n g ssc h w e rp u n k ts k a m es a u c h z u e in e r
s tä rk e re n V e rla g e ru n g d e r M ilc h p ro d u k tio n in d e n W e ste n u n d S ü d e n d e r USA,
d ie fü h re n d e S te llu n g des d a iry b e lt b lie b a b e r e rh a lte n .
D er A u fb a u d e r M ilc h w irtsc h a ft Neuseelands b e g a n n 1882, als e in K ü h lsc h iff
d ie e rste L a d u n g v o n G e frie rfle isch u n d B u tte r n a c h G ro ß b rita n n ie n tr a n s p o r tie r ­
te. V o rh e r h a tte das L an d n u r W olle, H ä u te u n d F elle e x p o rtie re n k ö n n e n . D a m it
w a re n d ie V o ra u sse tz u n g e n fü r d e n Ü b e rg a n g des L a n d e s v o n d e r e x te n siv e n
S ch af-W eid ew irtsch aft z u r in te n s iv e n M ilc h w irtsc h a ft g e g eb en . D ie M ilc h p ro d u k ­
tio n ist a u fg ru n d d e r n a tü rlic h e n G e g e b e n h e ite n zu 80 %a u f d ie N o rd in se l k o n ­
z e n trie rt, d e re n W estteil M ilc h w irtsc h a ft in M o n o k u ltu r b e tre ib t (s. A b b ild u n g
4.9). H o h e N ie d e rsc h lä g e u m 2 000 m m , d ie g le ic h m ä ß ig ü b e r d a s g a n z e Ja h r
v e rte ilt s in d u n d e in T e m p e r a tu r g a n g , d e r e in e fa s t g a n z jä h rig e B e w e id u n g
e rla u b t, b o te n n a c h d e r sta a tlic h g e le n k te n K o lo n isa tio n d es R e g e n w a ld s b e ste
V o ra u sse tz u n g e n f ü r d ie A nlage v o n D a u e rw e id e n . S o w o h l d ie F u tte rp fla n z e n
(R aigras, W eiß k lee) w ie d ie J e rs e y rin d e r w u r d e n au s E n g la n d im p o rtie rt (B. Fa u t z
1967). A n g e sic h ts d es m in im a le n B in n e n m a rk te s ist d ie n e u s e e lä n d is c h e M ilch ­
w irtsc h a ft seit ih r e n A n fä n g e n a u f E x p o rtm ä rk te a n g e w ie se n . Bis 1970 w a r d as
L a n d ü b e rw ie g e n d a u f d e n b ritis c h e n M a rk t o rie n tie rt; n a c h d e m B e itritt des
M u tte rla n d e s z u r EG m u ß te n n e u e M ä rk te e rsc h lo sse n w e rd e n . T ro tz d e r e n o r­
m e n D ista n z e n sin d d ie n e u s e e lä n d is c h e n P ro d u k te k o n k u rre n z fä h ig , w e il d ie
P ro d u k tio n s k o s te n e x tre m n ie d rig s in d (g ro ß e B e trieb e, g a n z jä h rig e r W eid egang)
u n d d a s L an d e in e le istu n g s fä h ig e M o lk e re iw irtsc h a ft b e sitz t. Im V o rd e rg ru n d
s te h t d ie P ro d u k tio n tr a n s p o rtfä h ig e r E rz e u g n isse w ie B u tte r (1994: 230 000 t)
u n d K äse (190 0 0 0 1). W ä h re n d d ie B u tte rp ro d u k tio n w e g e n d e r p re k ä re n A bsatzs
itu a tio n a u f d e m W e ltm a rk t se it A n fa n g d e r a c h tz ig e r Ja h re rü c k lä u fig ist, h a t
sic h d ie K ä s e p ro d u k tio n m e h r als v e rd o p p e lt. V on s e in e r P o s itio n als e r s te r
B u tte re x p o rte u r d e r E rd e (M a rk ta n te il 1972: 23 % ) ist N e u se e la n d b is 1980 a u f d e n
4. R an g m it 10,5 %z u rü c k g e fa lle n - n a c h d e n N ie d e rla n d e n , d e r B u n d e s re p u b lik
D e u tsc h la n d u n d B elg ien -L u x em b u rg ! D ie su b v e n tio n ie rte E x p o rtp o litik d e r EU

152 Agrarregionen der Erde
J ü __iL
Abb. 4.9:
Milchfarmregion auf der Nordinsei
Neuseelands
(Quelle: B. Fautz 1967, S. 131)
i
ii
Besitzgrenzen
Farmgebäude
Melkanlage
о Heuschuppen
100m
- J b ild e t f ü r d a s L a n d e in e sc h w e re K o n k u rre n z . F o lg lic h s a n k d e r A n te il d e r
A g ra rg ü te r a n d e n n e u s e e lä n d is c h e n E x p o rte n v o n 90 %in d e n se c h z ig e r Ja h re n
a u f 45 %(1993/94), w o b e i d ie M ilc h p ro d u k te m it 14 %b e te ilig t w a re n .
4.2.4 Viehwirtschaft in flächenarmen Betrieben (Massentierhaltung)
D ie e x tre m ste F o rm d e r (k a p ita l)in te n s iv e n V ie h w irtsc h a ft ist d ie M a sse n tie r­
h a ltu n g in B e trie b e n m it g e rin g e n o d e r ü b e r h a u p t k e in e n F u tte rb a u flä c h e n , die
a u f F u tte rz u k a u f a n g e w ie se n sin d . D as P rin z ip d e r S u b s titu tio n d e r P ro d u k tio n s ­
fa k to re n B o d en u n d A rb e it d u rc h K apital w ird h ie r a u f d ie S p itze g e trie b e n , die
b e id e n H a u p tp ro d u k tio n s ric h tu n g e n d e r L an d w d rtsch aft, n ä m lic h d ie p fla n z lic h e
u n d tie risc h e E rz e u g u n g , s in d o rg a n is a to ris c h u n d z.T. a u c h rä u m lic h v ö llig getre
n n t. W eg en se in e s g e rin g e n F lä c h e n b e d a rfs ist d ie se s A g ra rsy ste m n u r in A usn
a h m e fä lle n re g io n p rä g e n d .
D er B egriff M a s s e n tie rh a ltu n g b e sa g t n a c h H.-W. W in d h o r s t (1973, S. 474), d a ß
viele E in z e ltie re a u f g e rin g e m R a u m k o n z e n trie rt w e rd e n , e in h ä u fig e r G enera
tio n e n w e c h s e l v o rlie g t, m it g e rin g s te m A rb e itse in sa tz u n d u n te r E in sa tz m e ­
c h a n is c h e r E in ric h tu n g e n z u r F ü tte ru n g , V e rs o rg u n g u n d E n ts o rg u n g gew irt-

Viehwirtschaftsregionen der Erde 153
sch ä fte t w ird so w ie h o c h w e rtig e s F u tte r u n te r h ö c h s tm ö g lic h e r A u s n u tz u n g v e r­
f ü tte rt w ird .
E in e frü h e V o rfo rm d e r b o d e n u n a b h ä n g ig e n M a s s e n tie rh a ltu n g w a re n d ie A b­
m e lk b e trie b e in d e n e u ro p ä is c h e n G ro ß s tä d te n des a u s g e h e n d e n 19. J a h r h u n ­
d e rts, d ie a u ssc h lie ß lic h M ilc h k ü h e ü b e r e in e L a k ta tio n sp e rio d e z u r F risc h m ilc h ­
e rz e u g u n g h ie lte n . W ä h re n d d ie se B e trie b sfo rm in d e n I n d u s tr ie lä n d e r n m it d e r
E n tw ic k lu n g d e r K ü h lte c h n ik v e rs c h w a n d , ist sie in in d is c h e n G ro ß s tä d te n n o c h
a n z u tre ffe n . Im O ld e n b u rg e r M ü n s te rla n d tr a te n sc h o n v o r d e m E rs te n W e ltk rie g
S c h w e in e m a s tb e s tä n d e m it m e h r als 1 000 T ie re n au f, d ie v o rw ie g e n d m it im p o r­
tie r te r ru s s is c h e r G erste u n d D o rsc h m e h l g e fü tte rt w ü r d e n (H.-W. W indhorst
1973, S. 472). Es h a n d e lte sic h a b e r n o c h u m b ä u e rlic h e B e trie b e m it e ig e n e m
F u tte ra n b a u . D ie te c h n is ie rte , te ilw e ise b o d e n u n a b h ä n g ig e M a s s e n tie rh a ltu n g
e n tw ic k e lte sic h e rst u m 1960 in d e n USA u n d w u rd e - v o r a lle m a u f d e m G eb iet
d e r G e flü g e lh a ltu n g - b a ld n a c h E u ro p a u n d in a n d e re E rd te ile ü b e rtra g e n . Es ist
strittig , ob d ie se in d u s tria lis ie rte F o rm d e r tie ris c h e n P ro d u k tio n n o c h als L andw
drtschaft z u b e z e ic h n e n ist.^^ A u sg elö st w ü rd e d ie E n tw ic k lu n g d ie s e r P ro d u k ­
tio n s fo rm d u rc h e in e v e rs tä rk te N a c h fra g e n a c h p re is w e rte n tie ris c h e n N a h ru n g s ­
m itte ln e in e rs e its u n d d u r c h d e n ö k o n o m is c h e n Z w a n g z u r S u b s titu tio n d e r
im m e r te u r e r w e rd e n d e n m e n s c h lic h e n A rb e itsk ra ft a n d e re rs e its . D ie v o n d e n
USA a u s g e h e n d e V e rb re itu n g v o n S c h n e llim b iß lo k a le n („fast fo o d “) tr u g b e s o n ­
d e rs z u r N a c h fra g e ste ig e ru n g n a c h G e flü g e lfle isc h bei. Die K o n z e n tra tio n g ro ß e r
T ie rb e stä n d e a u f e n g e m R a u m k o n n te e rs t e rfo lg en , als e in e R eih e v o n P ro b le m e n
a u f d e n G e b ie te n d e r T ie rz ü c h tu n g , S ta llte c h n ik , T ie r e r n ä h ru n g u n d T ie rm e d iz in
gelö st w a re n . A u ffa lle n d ste s M e rk m a l s in d d ie g ro ß e n S ta lla n la g e n , a u sg e s ta tte t
m it K lim a a n la g e n , v o lla u to m a tis c h e n - z.T. b e re its c o m p u te rg e s te u e rte n - E in ­
ric h tu n g e n f ü r V e rso rg u n g (F u tte r, W asser) u n d E n tso rg u n g . D ie T ie re rn ä h ru n g s -
w d ssen sch aft e n tw ic k e lte sp e z ifisc h e F u tte rm is c h u n g e n f ü r d ie e in z e ln e n T ie r­
a rte n , d e re n E n e rg ie g e h a lt o p tim a l a u s g e n u tz t w ird . D as tr a d itio n e lle V ie h fu tte r
W ürde in d e r M a s s e n tie rh a ltu n g w e itg e h e n d z u rü c k g e d rä n g t. Im L a n d k re is V echta
lie g t d e r S e lb stv e rso rg u n g sg ra d d e r tie ris c h e n V e re d lu n g sb e trie b e fü r F u tte r
n u r n o c h b e i etw a 10 % (H.-W . W indhorst 1986, S. 355), 90 % m ü s s e n e in g e fü h rt
w e rd e n . D ie se r b e s tä n d ig e I n p u t v o n N ä h rsto ffe n , d ie z u m G ro ß te il als G ü lle a u f
d ie la n d w irts c h a ftlic h e n F lä c h e n g e la n g e n , b ra c h te d as a g ra risc h e Ö k o sy ste m au s
d e m G leich g ew ich t, w e il d e r n a tü rlic h e N ä h rsto ffk re isla u f to ta l ü b e rla s te t w ird .
L edig lich in d e r R in d e rh a ltu n g m u ß e in G r u n d q u a n tu m v o n R a u h fu tte r v e ra b ­
re ic h t w e rd e n , sie b le ib t d a h e r in g e w isse m U m fa n g b o d e n a b h ä n g ig .
D ie B e trie b e d e r M a s s e n tie rh a ltu n g s in d in d e r R egel a u f e in e T ie ra rt sp e z ia ­
lisiert: L e g e h e n n e n , G e flü g e lm a st (H ä h n c h e n , E n te n , P u te n ), F erk el, S chw eine-,
In der Bundesrepublik Deutschland unterscheidet der Gesetzgeber zwischen landwirtschaftlicher
und gewerblicher Tierhaltung im sog. Bewertungsgesetz. Für landwirtschaftliche
Betriebe ist Bodenbewirtschaftung vorgeschrieben, sie sind steuerlich wesentlich
besser gestellt. Nach zunehmender Betriebsgröße sind degressiv gestaffelte Höchstgrenzen
der Tierbestände vorgeschrieben: 10 ha - 100 VE; 100 ha - 390 VE (H. Pa c y n a 1983, S.119).
Demnach gilt bodenunabhängige Viehwirtschaft als gewerbliche Aktivität. Die steuerlich
differenzierte Behandlung soll dem Schutz der bäuerlichen Familienhetriebe dienen.

154 Agrarregionen der Erde
ш
K älber- u n d R in d e rm a s t. D ab ei w e rd e n in S ü d o ld e n b u rg B e sta n d sg rö ß e n v o n
250 000 L e g e h e n n e n , 5 000 M a s ts c h w e in e n u n d 16 000 M a s tk ä lb e rn e rre ic h t
(H.-W. Windhorst 1973, S. 473). D ie S p e z ia lisie ru n g b e s c h rä n k t sic h n ic h t n u r a u f
e in e T ie ra rt, s o n d e rn b e trifft a u c h d e re n v e rs c h ie d e n e L e b e n sa b sc h n itte , d ie zu
su k z e ssiv e n P ro d u k tio n s s tu fe n fü h re n . So la sse n sic h Z u ch t- u n d V e rm e h ru n g s ­
b e trie h e , A u fz u c h tb e trie b e , M a stb e trie b e u n d A b le g e b e trie b e u n te rs c h e id e n . N e­
b e n e in s tu fig e n B e trie b e n m it n u r e in e m P ro d u k tio n sz ie l (z.B. E ie rp ro d u k tio n )
tr e te n a u c h m e h rs tu fig e B e trie b e bzw . B e trie b ssy ste m e a u f, d ie m e h re re P ro d u k tio
n sziele v e rfo lg e n (s. A b b ild u n g 4.10).
D ie B e trieb e e rh a lte n e in e n „ a g ra rin d u s trie lle n C h a ra k te r“ (H .-W . WINDHORST
1973, S. 474), w e n n sie m it d e n v o rg e la g e rte n (F u tte rm itte lfa b rik , S ta llb a u firm e n )
u n d n a c h g e la g e rte n (V e ra rb eitu n g , V e rm a rk tu n g ) P ro d u k tio n s s tu fe n u n te r e in e r
e in h e itlic h e n U n tc rn c h m c n s fü h ru n g v e re in ig t sin d . H. W. W indhorst sie h t in
d ie se r v e rtik a le n In te g ra tio n v e rs c h ie d e n e r P ro d u k tio n s s tu fe n so w ie in d e r Hiera
rc h is ie ru n g u n d D e z e n tra lis ie ru n g des M a n a g e m e n ts so g a r d ie e n ts c h e id e n d e n
K rite rie n v o n a g ra rin d u s trie lle n U n te rn e h m e n : „V on agrarindustriellen Unternehmen
k a n n e rs t d a n n g e s p ro c h e n w e rd e n , w e n n z u d e n K rite rie n d e r k a p ita lin ­
te n s iv e n P ro d u k tio n u n d d e r V e re in ig u n g g ro ß e r P ro d u k tio n s k a p a z itä te n a u f die
B e trie b se in h e it z u sä tz lic h d ie v e rtik a le In te g ra tio n so w ie d ie H ie ra rc h is ie ru n g
u n d D e z e n tra lis ie ru n g d es M a n a g e m e n ts k o m m e n “ (H .-W . WINDHORST 1989,
Abb. 4.10:
Produktionsverbund in einem vertikai integrierten Unternehmen der Gefiügeifieisch-Erzeugung
(Quelle: H. W. Windhorst 1989)
ImarktI ImarkiI
MARKT
I m a r k t I
^l

Viehwirtschaftsregionen der Erde 155
S. 32). D ie b lo ß e Ü b e rn a h m e in d u s trie s p e z ifis c h e r P ro d u k tio n s w e is e n w ie T ech ­
n ik e in s a tz u n d S p e z ia lisie ru n g b e re c h tig e n o c h n ic h t, v o n A g ra rin d u s trie zu sp re ­
c h e n . D ie h lo ß e T e c h n is ie r u n g d es P ro d u k tio n s p ro z e s s e s ist h e u te a u c h f ü r
h ä u e rlic h e F a m ilie n h e trie b e e in e S e lb stv e rstä n d lic h k e it. D ie h is z u r U n ü b e rs ic h t­
lic h k e it m ite in a n d e r d u r c h K a p ita lb e te ilig u n g e n u n d L ie fe rb e z ie h u n g e n v e r ­
s c h a c h te lte n F ir m e n k o n g lo m e ra te , w ie sie in d e n USA u n d im O ld e n b u r g e r
M ü n s te rla n d a n z u tre ffe n sin d , ste lle n z w e ifelsfrei in d u s trie lle O rg a n isa tio n sfo r­
m e n d a r (s. A b b ild u n g 4.10).
D ie b o d e n u n a b h ä n g ig e n G ro ß b e s ta n d s h a lte r a rb e ite n o ft a u f d e m K o n tra k t­
w e g m it b ä u e rlic h e n B e trie h e n z u s a m m e n , in d ie T e ilfu n k tio n e n a u sg e la g e rt w e r­
d e n , w ie z.B. L ie fe ru n g v o n Ju n g tie re n , A n b a u v o n G rü n m a is fü r d ie B u lle n m a st,
A b n a h m e v o n G ü lle u n d M ist. D er e n o rm e K a p ita lb e d a rf in d e r M a s se n tie rh a l­
tu n g k a n n v ie lfa c h n ic h t m e h r v o n e in z e ln e n P riv a tp e rs o n e n g e tra g e n w e rd e n ,
s o n d e rn w ird v o n a n o n y m e n K a p ita lg e se llsc h afte n - in d e n USA o ft v o n m u ltise
k to ra le n K o n z e rn e n - a u fg e b ra c h t, ln d e r B e trie b s fü h ru n g ist h ie r d e r B a u e r
v o m M a n a g e r ab g e lö st w o rd e n . F ü r d ie B e tre u u n g d e r T ie re w e rd e n v ie lfa c h
b e trie b s fre m d e A rb e itsk rä fte h e ra n g e z o g e n , d a das A rb e its p o te n tia l d e r F a m ilie
n ic h t m e h r a u s r e i c h t . I n f o l g e d e r Ü b e rn a h m e v o n O rg a n is a tio n s fo rm e n u n d
M a n a g e m e n tm e th o d e n a u s d e r I n d u s trie w ird d ie M a s s e n tie rh a ltu n g im e n g lisc
h e n S p ra c h ra u m a u c h als „ fa cto ry fa rm in g “ b e z e ic h n e t.
D ie B e d e u tu n g d e r M a s s e n tie rh a ltu n g sc h w a n k t m it d e n T ie ra rte n , ln d e r B u n ­
d e s re p u b lik D e u tsc h la n d ist d ie K o n z e n tra tio n a m w e ite s te n b e i d e r G eflü g elh
a ltu n g v o ra n g e s c h ritte n . Im Ja h re 1991 w u r d e n 80 % d e r 33 M io. M a s th ü h n e r in
n u r 319 B e trie b e n m it je w e ils m e h r als 25 000 T ie re n g e h a lte n . 10,7 M io. H ü h n e r,
d .h . e in D ritte l des B e sta n d e s, s ta n d e n in n u r 28 B e trie b e n m it je w e ils m e h r als
200 000 T ie re n (S tatist. Jb. ELF 1994, S. 136). Ä h n lic h ist d ie K o n z e n tra tio n b e i d e n
L e g e h e n n e n : 70 %v o n ih n e n w u r d e n in B e stä n d e n v o n m e h r als 10 000 T ie re n
g e h a lte n . N ach H.-W . W indhorst (1989, S. 150) k o n tro llie re n d ie v ie r g rö ß te n
A g ra rin d u s trie lle n 38 % d es E ie rm a rk te s. V on d e n S c h w e in e n s ta n d e n im frü h e r e n
B u n d e sg e b ie t 45,6 %in B e stä n d e n m it m e h r als 400 T ie re n , in d e n n e u e n L ä n d e rn
so g a r 96,5 % (S tatist. Jb. ELF 1994, S. 130).
D ie Z u s a m m e n fa s s u n g d e r N u tz tie re z u g ro ß e n B e stä n d e n w irft g ra v ie re n d e
P ro b le m e au f, b e so n d e rs, w e n n sic h e in e V ielzahl d e ra rtig e r B e trie b e rä u m lic h
k o n z e n tr ie r e n u n d d ie R e la tio n T ie r/R a u m s e h r u n g ü n s tig w ird . So e rre ic h te d e r
L a n d k re is V echta u m 1980 e in e D ich te v o n 1 050 S c h w e in e n u n d 25 000 H ü h n e r n
je km ^ LN! D ie rä u m lic h e K o n z e n tra tio n d e ra rtig e r T ie rm a sse n v e ru rs a c h t e rh e b ­
lich e U m w e ltb e la s tu n g e n b e i d e r B e se itig u n g d e r A b fallsto ffe (Kot, G ülle, T ie r­
k a d a v e r, S c h lach tab fälle). D ie b e s tä n d ig e Ü b e rd ü n g u n g fü h r te z u r N itra ta n re ic h e ­
r u n g im G ru n d w a sse r, d ie e rst u m 1980 b e w u ß t w u rd e . N ie d e rsa c h se n v e rs u c h te
m it w e n ig E rfo lg d u rc h e in e n „ G ü lle e rla ß “ d ie D ü n g u n g a u f d ie V e g e ta tio n sz e it
e in z u s c h rä n k e n u n d d ie A u sb rin g u n g a u f 2,5 D u n g e in h e ite n je H e k ta r (1 DE =
Für die Auslastung einer Vollarbeitskraft sind nach Wöhlken u. Porwoll (1981, S. 96) folgende
Bestandsgrößen erforderlich: 50 Milchkühe, 250 Bullenmastplätze, 100 Sauenplätze,
10 000 Legehennen, 30 000 Hähnchenmastplätze.

„ä
156 Agrarregionen der Erde ~~2
80 k g S tick sto ff u n d 70 k g P h o sp h a t) z u b e s c h rä n k e n . In d e n N ie d e rla n d e n w u r­
d e n sog. „ M istb a n k e n “ g e g rü n d e t, w e lc h e G ü lle in w e n ig e r b e la s te te n R eg io n en
a b se tz e n sollen.
G e ru c h sb e lä stig u n g e n tr e te n in z w e ie rle i F o rm auf. E in e s tä n d ig e D a u e rb e ­
la s tu n g r ü h r t v o n d e r A b lu ft d e r S tälle h e r, d e re n S c h m u tz p a rtik e l (A m m o n iak ,
S täube, Pilze) f ü r d as g e h ä u fte A u ftre te n v o n A lle rg ie n u n d E rk ra n k u n g e n d e r
A tem w eg e b e i d e r B e v ö lk e ru n g d e r U m g e b u n g v e ra n tw o rtlic h g e m a c h t w e rd e n .
E x tre m b e la s tu n g e n tr e te n b e i d e r A u sb rin g u n g d e r G ü lle auf.
E in e d a u e r n d e G e fä h rd u n g d e r T ie rb e s tä n d e b ild e t d ie S e u c h e n g e fa h r. Z u n e n ­
n e n s in d h ie r d ie E u ro p ä is c h e S c h w e in e p e st, H ü h n e rp e s t, N ew castle D isease,
M aul- u n d K la u e n se u c h e , A u jeszk y sch e K ra n k h e it (H .-W . W indhorst 1986, S. 354).
Die M a s s e n tie rh a ltu n g w ird n ic h t z u le tz t a u s e th is c h e n G rü n d e n z u n e h m e n d
k ritis c h e r b e w e rte t. D ie K ä fig h a ltu n g d e r L e g e h e n n e n u n d d ie E in s ta llu n g v o n
K ä lb e rn in lic h tlo s e n G ro ß stä lle n h a b e n m it a rtg e re c h te r H a ltu n g n ic h ts z u tu n .
D ie v o n d e r M a s s e n tie rh a ltu n g a u fg e w o rfe n e n P ro b le m e d e r T ie re th ik , d e r
U m w e ltb e la stu n g e n , d e r S e u c h e n g e fa h re n , d ie ille g a le V e rw e n d u n g v o n T ie r­
p h a rm a k a (z.B. w a c h s tu m s fö rd e rn d e H o rm o n e ) h a b e n b e i w e ite n B e v ö lk e ru n g s­
k re is e n tie ris c h e P ro d u k te in M iß k re d it g e b ra c h t. F le isc h h a t s e in Im a g e als
Q u a litä ts p ro d u k t v e rlo re n , in v ie le n I n d u s tr ie lä n d e r n s in k t d e r K o n su m v o n
F le isc h p ro d u k te n u n d E iern .
Die Standortwahl fü r B e trie b e d e r M a s s e n tie rh a ltu n g e rfo lg t- im G e g e n sa tz z u r
so n stig e n la n d w irts c h a ftlic h e n P ro d u k tio n - p rin z ip ie ll o h n e R ü c k sic h t a u f n a ­
tü rlic h e F a k to re n . D ie v ie lfa c h e rw ä h n te n n a tu r r ä u m lic h e n S ta n d o rtv o rte ile w ie
z.B. d ie h o h e G ü lle -A u fn a h m e k a p a z itä t le ic h te r G e e s tb ö d e n o d e r d ie k lim a ­
b e d in g t n ie d rig e re n S ta llb a u k o ste n in d e n S ü d s ta a te n d e r USA b ie te n allen falls
m a rg in a le K o ste n v o rte ile . A u ch d ie a p rio ri z u e rw a rte n d e A b s a tz o rie n tie ru n g ist
a n g e sic h ts d es re la tiv h o h e n W erts d e r tie ris c h e n P ro d u k te n ic h t z w in g e n d . Die
E n tw ic k lu n g d e r T ra n sp o rt- u n d K ü h lte c h n ik h a t im G e g e n te il d ie V e rla g e ru n g
d e r S c h la c h tb e trie b e a u s d e n V e rb ra u c h s z e n tre n in d ie P ro d u k tio n s rä u m e e rm ö g ­
lich t, w ie d e r N ie d e rg a n g d e r S c h la c h th ö fe v o n C h icag o b e w e ist. U n a b d in g b a re
S ta n d o rta n fo rd e ru n g ist a b e r e in e g u te V e rk e h rs in fra s tru k tu r z u m A n tra n s p o rt
d e r F u tte rm itte l u n d A b tra n s p o rt d e r tie ris c h e n P ro d u k te . Da a u f F u tte r e tw a 50 %
d e r P ro d u k tio n s k o s te n e n tfä llt, w ird d ie N ä h e d e r Im p o rth ä fe n bzw . d e r F u tte r­
m itte lw e rk e g e su c h t. In d e r B u n d e s re p u b lik D e u tsc h la n d h a b e n d re i V iertel a lle r
881 F u tte rm itte lfa b rik e n ih r e n S ta n d o rt in S c h lesw ig -H o lstein , N ie d e rsa c h se n
u n d N o rd rh e in -W e stfale n . S elb st p e rip h e re R ä u m e w ie S ü d o ld e n b u rg , d ie B re ta ­
g ne (Z e n tru m d e r fra n z ö s is c h e n S c h w e in e p ro d u k tio n ) u n d d ie s ü d lic h e n G reat
P lain s d e r USA k o n n te n sic h u n te r d ie s e n B e d in g u n g e n zu Z e n tre n d e r M assen ­
tie r h a ltu n g e n tw ic k e ln .
Im N o rd w e ste n d e r B u n d e s re p u b lik D e u tsc h la n d h a t sic h in d e n R e g ie ru n g sb e ­
z irk e n W eser-E m s, M ü n s te r u n d D e tm o ld e in S c h w e rp u n k t d e r M a sse n tie rh a l­
tu n g v o n S c h w e in e n u n d G eflügel e n tw ic k e lt (H. Doll 1984). K e rn b e re ic h ist
S ü d o ld e n b u rg , d as h e u te z u d e n A g ra rre g io n e n m it d e n h ö c h s te n V ie h d ic h te n
d e r W elt g e h ö rt. In z a h lre ic h e n A rb e ite n v o n H.-W. WINDHORST s in d se in e E n t­
w ic k lu n g , S tru k tu r u n d f u n k tio n a le n V e rfle c h tu n g e n u n te r s u c h t w o rd e n . D ieser
R a u m w a r v o n s e in e n m ä ß ig e n n a tü r lic h e n S ta n d o rtg e g e b e n h e ite n h e r k eines-

Viehwirtschaftsregionen der Erde 157
w egs fü r d ie se E n tw ic k lu n g p rä d e s tin ie rt. Sie b e g a n n b e re its E n d e d es 19. Ja h r­
h u n d e r ts b e i d e r S o z ia lg ru p p e d e r la n d a r m e n H e u e rlin g e , d ie z u r V e rb e sse ru n g
ih r e r ö k o n o m is c h e n S itu a tio n d ie S c h w e in e m a st a u fn a h m . D iese A u s ric h tu n g
w u rd e b e g ü n s tig t d u rc h d ie F u tte rm itte lim p o rte ü b e r d ie n a h e n W e se rh ä fe n sow
ie d u rc h d ie N a ch frag e im R u h rg e b ie t. N ach 1950 w u rd e a u s d e n USA d ie w e itg
e h e n d e a u to m a tis ie rte , te c h n is ie rte M a s s e n tie rh a ltu n g a d o p tie rt. S c h w e rp u n k te
s in d d ie G eflügel- u n d S c h w e in e h a ltu n g , se it 1970 g e w in n t a u c h d ie B ullen- u n d
K ä lb e rm a st a n G ew ich t (H .-W . WINDHORST 1981, S. 23), n a c h d e m d e r G rü n m a is ­
a n b a u s ta rk a u sg e w e ite t w u rd e . M ais w ird f ü r S ila g e fu tte r a n g e b a u t, w e il e r g ro ß e
G ü lle m e n g e n a u fn e h m e n k a n n u n d in d e r R o ta tio n m it sic h se lb st v e rträ g lic h ist.
Im w e s tlic h e n M ü n s te rla n d n im m t e r in e in ig e n G e m e in d e n b e re its 50 % d e r
G e m a rk u n g sflä c h e e in (J. N iggemann 1983, S. 30). D ie n o rd w e s td e u ts c h e n K e rn ­
rä u m e d e r M a s s e n tie rh a ltu n g w e r d e n g e p rä g t v o n d e r rä u m lic h e n K o n z e n tra tio n
h o c h s p e z ia lis ie rte r A g ra rb e trie b e a u f e n g s te m R a u m m its a m t ih r e r ö k o n o m i­
sc h e n u n d ö k o lo g isc h e n P ro b le m a tik . H ie r ist e in A g ra rsy ste m e n ts ta n d e n , d as
w e itg e h e n d v o n d e n n a tü r lic h e n P ro d u k tio n s g ru n d la g e n g elö st ist u n d n u r d a n k
d e r w e itg e s p a n n te n r ä u m lic h e n B e z ie h u n g e n b e i d e r F u tte r v e r s o r g u n g u n d
P r o d u k tv e rm a rk tu n g le b e n s fä h ig ist.
W ic h tig ste s w e s te u ro p ä is c h e s Z e n tr u m d e r M a s s e n tie rh a ltu n g s in d a b e r d ie
N ie d e rla n d e . A uch h ie r ist d ie se s A g ra rsy ste m au s d e r b ä u e rlic h e n V e re d lu n g s­
w irts c h a ft h e rv o rg e g a n g e n . Als se it d e m a u s g e h e n d e n 19. J a h r h u n d e r t b illig es
ü b e rse e isc h e s G e tre id e a u f d e n e u ro p ä is c h e n M ark t d ra n g , w a n d te sich d as L an d
n ic h t d e r S c h u tz z o llp o litik zu , s o n d e rn z w a n g se in e L a n d w irte frü h z e itig z u r
tie ris c h e n V e re d lu n g sw irtsc h a ft u n d E x p o rtp ro d u k tio n a u f d e r F u tte rb a sis v o n
Im p o rtg e tre id e . D ie B ild u n g d e r E u ro p ä is c h e n G e m e in sc h a ft 1957 v e rsc h a ffte d e r
le is tu n g s fä h ig e n n ie d e rlä n d is c h e n L a n d w irtsc h a ft u n g e h in d e r te n Z u g a n g z u ein
e m g ro ß e n M arkt. D ie N ie d e rla n d e k o n n te n ih re L a g e g u n st a n d e r R h e in m ü n ­
d u n g , in m itte n des n o rd w e s te u ro p ä is c h e n B a llu n g sra u m e s, voll a u ssp ie le n ; d ie
L a n d w irtsc h a ft re a g ie rte m it e in e r s ta rk e n A u sw e itu n g d e r tie ris c h e n (u n d g a rte n ­
b a u lic h e n ) P ro d u k tio n . D ie N ie d e rla n d e h a tte n 1981 m it 385 GV je 100 h a LF d ie
h ö c h ste T ie rb e s ta n d s d ic h te e in e s F lä c h e n sta a te s a u f d e r E rd e (z u m V erg leich d ie
B u n d e s re p u b lik D e u tsc h la n d ; 157 GV). D ab ei s in d Schweine^® (525 T ie re je 100 ha),
M ilc h k ü h e (123 T iere) u n d L e g e h e n n e n (1 368 T iere) d ie w ic h tig ste n T ie ra rte n .
Die tie ris c h e P ro d u k tio n ist e tw a je z u r H älfte fü r d e n E ig e n b e d a rf u n d f ü r d e n
E x p o rt b e s tim m t. D er S e lb stv e rso rg u n g sg ra d d e r N ie d e rla n d e e rre ic h te 1992 b ei
S c h w e in e fle isc h 278 %, G eflü g e lfle isc h 185 %, B u tte r 510 %u n d E ie r 317% (S tatist.
Jb. ELF 1994, S. 453). D ie h o h e B e sta n d sd ic h te in R e la tio n z u r LF ist n u r m ö g lic h
d u rc h u m fa n g re ic h e F u tte rm itte lim p o rte , d ie b e re its 1977/78 d e n W ert v o n 11,7
M io. t G e tre id e e in h e ite n e rre ic h te n (G. THIEDE 1980, S. 6). ln e rs te r L inie h a n d e lt
es sic h u m F u tte rg e tre id e , Ö lk u c h e n u n d T a p io k a (M a n io k m eh l). M e h r als d ie
Die räumlichen Schwerpunkte der Schweinehaltung hegen in den Provinzen Nordbrabant,
Gelderland und Limburg mit leichten, sandigen Böden, die viel Gülle aufnehmen
können. Mit Bestandsdichten von 1 000 - 1 200 Tieren je 100 ha LF werden hier ähnliche
Werte wie in Südoldenburg erreicht (J. Niggemann, 1983, S. 27).

158 Agrarregionen der Erde
H älfte d e r tie ris c h e n E rz e u g u n g d e r N ie d e rla n d e w ird m it e in g e fü h rte m F u tte r
erz ie lt, d e r F u tte rim p o rt e n ts p ric h t 110% d e r e ig e n e n F u tte rb a sis. R o tte rd a m ist
h e u te d e r W elt g rö ß te r U m sc h la g h a fe n f ü r F u tte rm itte l, als F o lg e in d u s trie n sin d
rie sig e F u tte rm itte lw e rk e e n ts ta n d e n . D ie k u r z e n D ista n z e n e rm ö g lic h e n ü b e ra ll
im L ande e in e k o s te n g ü n stig e B e lieferu n g .
In d e n USA b ild e t d ie R in d er- u n d G e flü g e lm a st d e n S c h w e rp u n k t d e r F leisch ­
p ro d u k tio n (vgl. a. T ab elle 4.10), w ä h r e n d d ie S c h w e in e m a st e rs t d ie d r itte P ositio
n e in n im m t. In d e n le tz te n J a h re n h a b e n sic h d ie a m e rik a n is c h e n V e rb ra u c h e r
z u n e h m e n d v o m fe ttre ic h e n „ ro te n “ F leisch a b g e w a n d t u n d d a fü r m e h r „ w e iß e s“
G eflü g e lfle isc h v e rz e h rt. D ie se r W a n d e l im V e rb ra u c h e rv e rh a lte n - v e ru rs a c h t
d u rc h e in w a c h s e n d e s G e s u n d h e its b e w u ß ts e in u n d d ie n ie d r ig e r e n G e flü g e l­
p re is e a n g e sic h ts s ta g n ie re n d e r K a u fk ra ft - tr u g d a z u b ei, d a ß in d e n a c h tz ig e r
J a h re n d ie E rz e u g u n g v o n G e flü g e lfle isc h sic h v e rd o p p e lt h a t; es h a t d a s R indu
n d S ch w e in e fle isc h ü b e r r u n d e t u n d n im m t h e u te d e n e rs te n P latz b e i d e r a m e rik
a n is c h e n F le is c h p ro d u k tio n ein . D iese E n tw ic k lu n g h a t d e n T re n d z u r M assen ­
tie r h a ltu n g in G ro ß k o n z e rn e n s e h r b e g ü n s tig t. S eit 1960 v e rla g e rte sic h d ie
P ro d u k tio n z u n e h m e n d v o n d e n b ä u e rlic h e n V e re d lu n g s b e trie b e n z u k o m m e r­
z ie lle n G ro ß b e trie b e n . G ro ß m ä ste r, d ie te ilw e ise ü b e r B e stä n d e v o n 200 000 T iere
n v e rfü g e n , e rz e u g e n ü b e r 50 % d e s R in d fle isc h e s b e i e in e m A n teil v o n n u r 1 %
a lle r B etrieb e (H.-W . WINDHORST 1976, S. 65). D ab ei k a m es a u c h z u e in e r r ä u m ­
lic h e n V e rla g e ru n g d e r R in d fle is c h p ro d u k tio n a u s d e m M a isg ü rte l in d ie süd-
1979-81 1987 1994
Rindfleisch 9991 10734 10826
Schweinefleisch 7234 6487 7960
Geflügelfleisch 6712 9154 13351
Tab. 4.10;
Die Fleischproduktion der USA 1979 - 1994 (10001)
Quelle; FAQ. Produktion Yearbook 43,1989; 48,
1994)
lie h e n G reat P la in s (u.a. T exas, O k la h o m a , K ansas, C o lo rad o ) u n d n a c h K aliforn
ie n . V e rsc h ie d e n e F a k to re n s in d d a fü r v e ra n tw o rtlic h , u .a. g rö ß e re B e trie b s­
flä c h e n d e r d o rtig e n B e trie b e , E rw e ite ru n g d e r F u tte rb a s is d u rc h B e w ä sse ru n g
(S o rg h u m ), k lim a tisc h b e d in g te n ie d rig e re F ix k o ste n f ü r d ie S ta lla n la g e n , g ro ß es
J u n g tie ra n g e b o t au s d e n B e trie b e n d e r e x te n siv e n W e id e w irtsc h a ft, p ro g re ssiv e re
B e trie b s fü h ru n g d u rc h q u a lifiz ie rte M a n ag er. E in e H a u p tu rs a c h e f ü r d e n T re n d
z u r M a s s e n tie rh a ltu n g w a r a b e r d as E in g re ife n n ic h tla n d w irts c h a ftlic h e n G ro ß ­
k a p ita ls in d ie la n d w irts c h a ftlic h e P ro d u k tio n , w e lc h e s W indhorst a u f d re i M otiv
e z u rü c k fü h rt; L a n d s p e k u la tio n e n , S te u e re rs p a rn is u n d d ie E n tw ic k lu n g v ollin
te g rie rte r N a h ru n g s k e tte n , b e i d e n e n d ie F le is c h p ro d u k tio n n u r e in G lied des
a g ra rin d u s trie lle n K om plexes ist. G eg en d ie K a p ita lk ra ft d e ra rtig e r U n te rn e h m e n
h a b e n d ie F a m ilie n fa rm e n e in e n s c h w e re n S ta n d . Ä h n lic h e K o n z e n tra tio n s ­
p ro z e sse h a tte n sic h in d e n se c h z ig e r J a h re n a u f d e m G e b ie t d e r L e g e h e n n e n ­
h a ltu n g u n d G e flü g e lm a st a b g e sp ie lt. D iese B e trie b e h a b e n h e u te ih re re g io n a le n
S c h w e rp u n k te im e h e m a lig e n B a u m w o llg ü rte l d es S ü d e n s u n d S ü d o ste n s, w o d ie
S ta lla n la g e n g e rin g e re n A u fw a n d e rfo rd e rn u n d b illig e fa rb ig e A rb e itsk rä fte als

Regionen der Ackerbau- und Dauerkultursysteme 159
V e rtra g sm ä ste r (sh a re c ro p p e r) u n d f ü r d ie S c h la c h te re ie n re ic h lic h z u r V erfü ­
g u n g ste h e n .
D ie M a s s e n tie rh a ltu n g v o n G eflü g el d rin g t z u n e h m e n d a u c h in d ie E n tw ic k ­
lu n g s lä n d e r v o r, w e il sie e in e sch n e lle , e n e rg ie s p a re n d e U m se tz u n g d es p fla n z lic
h e n F u tte rs in tie ris c h e P ro d u k te e rm ö g lic h t u n d d as K o n su m v e rla n g e n d e r
ra sc h w a c h s e n d e n s tä d tis c h e n S c h ic h te n b e frie d ig t. S c h lie ß lic h w ird G eflü g elfleisch
v o n re lig iö se n S p e ise ta b u s n ic h t b e r ü h r t, so d a ß sic h d e ra rtig e G ro ß b e trie ­
b e h e u te a u c h in Isra e l u n d in is la m is c h e n L ä n d e rn (A lgerien, Ä gypten) fin d e n , ln
E in z e lfä lle n d ie n e n sie a u c h d e r V e rso rg u n g v o n T o u ris te n z e n tre n , w ie z.B. in
T u n e sie n . D ie B e trie b e h a b e n ih re S ta n d o rte m e is t in d e r N ä h e d e r H ä fe n u n d
G ro ß stä d te .
4.3 Regionen der Ackerbau- und Dauerkultursysteme
V om g e s a m te n A g ra rra u m d e r E rd e v o n 48,1 M io. km ^ e n tfa lle n n u r 14,5 M io. km ^
a u f A c k e rla n d u n d D a u e rk u ltu re n . Z ie h t m a n v o n d ie s e r F läch e d ie A reale ab, d ie
m it F u tte rp fla n z e n (4 M io. km ^) u n d n ic h t f ü r d ie E r n ä h r u n g b e s tim m te n I n d u ­
s trie p fla n z e n b e ste llt sin d , so d ie n t le d ig lic h e in e F läche v o n e tw a 10 M io. km ^
o d e r 7 % d e r F e stla n d sflä c h e d e r d ire k te n m e n s c h lic h e n E rn ä h ru n g .
4.3.1 Regionen des Wanderfeldbaus und der Landwechselwirtschaft im Umbruch
Z u d e n ä lte ste n u n d u r tü m lic h s te n A g ra rsy ste m e n z ä h le n W a n d e rfe ld b a u u n d
L a n d w e c h se lw irtsch a ft, d ie in d e r ä lte re n e n g lis c h s p ra c h ig e n L ite ra tu r m e is t
u n te r d e m B egriff „ S h iftin g C u ltiv a tio n “ z u s a m m e n g e fa ß t sind.®^ N ach S c h ä tz u n ­
g e n d e r FAO e r n ä h r e n sic h w e ltw e it e tw a 250 M io. M e n sc h e n a u f d ie se u r tü m ­
lic h e W eise (W. W eischet 1981, S. 22). Ih r V e rb re itu n g sa re a l b e s c h rä n k t sic h h e u te
a u f d ie E n tw ic k lu n g s lä n d e r in d e n T ro p e n , w ä h re n d sie in p rä h is to ris c h e r u n d
h is to ris c h e r Z e it a u c h in a n d e r e n K lim a z o n e n a n z u tre ffe n w a re n .
W. Manshard (1965, S. 246) u n te rs c h e id e t d e n Wanderfeldbau v o n d e r Landwechselwirtschaft
B eim W a n d e rfe ld b a u w e rd e n so w o h l d ie W irtsc h a ftsflä c h e n
als a u c h d ie S ie d lu n g e n in e in e m g e w isse n R h y th m u s v e rleg t. D iese W irtsc h a ftsw
e ise ist n u r b e i s e h r g ro ß e n L a n d re s e rv e n m ö g lic h . Im G e g e n sa tz d a z u w e rd e n
b e i d e r L a n d w e c h se lw irtsch a ft d ie S ie d lu n g e n n ic h t m e h r v e rle g t, le d ig lic h die
^^Die wissenschaftliche Terminologie ist alles andere als einheitlich. Im Englischen treten
häufig die Begriffe „slash-and-burn-agriculture“, „swidden agriculture“, „rotational hush
fallowing“ auf; im Deutschen werden - teils mit unterschiedlichem Sinngehalt - die Termini
„Urwechselwirtschaft“, „Wanderhackhau“, „Schwendbau“, „Brandrodungsfeldbau“, „Brandrodungs-Wanderfeldbau“
verwandt. Dazu kommen zahlreiche lokale Ausdrücke aus den
jeweiligen Sprachen (s. eine Zusammenstellung bei W. M a n s h a r d 1965, S. 247).
Neuere englischsprachige Arbeiten folgen dieser Unterscheidung, indem sie „shifting
cultivation“ von „bush fallow“ trennen (G. BENNEH 1972, S. 246).
t

160 Agrarregionen der Erde
A n b a u flä c h e n w e c h se ln tu rn u s m ä ß ig , w o b e i sic h m e h r o d e r m in d e r la n g e B rac
h e z e ite n e rg e b e n . Z w isc h e n W a n d e rfe ld b a u u n d L a n d w e c h se lw irtsch a ft g ib t es
e in e V ielzahl v o n Z w isc h e n fo rm e n , e in e k la re A b g re n z u n g ist oft sc h w e r z u zieh
e n . R u t h e n b e r g u . A n d r e a e (1982, S. 126) b e fü rw o rte n d a h e r in A n le h n u n g a n
JoosTEN e in e Ю a ssifiz ie ru n g n a c h d e r In te n s itä t d es U m trie b s, d .h . n a c h d e m
V e rh ä ltn is z w isc h e n A n b au - u n d B ra c h ja h re n im R a h m e n d e r g e s a m te n U m lau f­
zeit e in e r R o ta tio n n a c h fo lg e n d e r F o rm el:
100 •A
R = ------------
A + B
A = A n b a u ja h re , В = B ra c h ja h re
Ein R v o n 40 h e iß t d a h e r, d a ß 40 %des a c k e rfä h ig e n L an d es in d e m je w e ilig e n
Ja h r ta tsä c h lic h b e ste llt w e rd e n . Bei n ie d rig e n R -W erten lie g t W a n d e rfe ld b a u v o r
(z.B. 1Î = 10 b e i 2 A nbau - u n d 18 B ra c h ja h re n ). Ü b e rsc h re ite t R d e n W e rt 33 k a n n
v o n e in e m W a n d e rn d e r F e ld e r u n d d e r B e v ö lk e ru n g k a u m n o c h g e sp ro c h e n
w e rd e n ; in d e r T e rm in o lo g ie v o n M a n s h a r d h a b e n w ir L a n d w e c h se lw irtsch a ft.
W e n n d e r R -W ert d ie Z ah l 66 ü b e rs te ig t, lie g t p e r m a n e n te r A ck erb au vor. W a n d e r­
fe ld b a u u n d L a n d w e c h se lw irtsch a ft w e ise n b e i a lle n V e rs c h ie d e n h e ite n d ie folg
e n d e n g e m e in s a m e n M e rk m a le a u f (J. E. Sp e n c e r 1966, S.22):
- R o ta tio n d e r F e ld e r a n ste lle d e r F e ld frü c h te , w o b e i k u rz e n A n b a u p e rio d e n v o n
1 - 3 Ja h re n la n g e B ra c h e p e rio d e n v o n 6 - 8 , o ft v o n m e h r als 20 J a h re n folgen;
- G e b ra u c h v o n Axt u n d F e u e r z u r B e se itig u n g d e r n a tü r lic h e n V egetatio n ;
- R e g e n e ra tio n d e r B o d e n fru c h tb a rk e it d u rc h la n g e B ra c h e p e rio d e n m it e in e r
S e k u n d ä rv e g e ta tio n .
D iese g e m e in s a m e n M e rk m a le u m s c h lie ß e n z a h lre ic h e lo k ale S u b sy ste m e dieses
w e itv e rb re ite te n Agrarsystems. D er W a n d e rfe ld b a u tr itt in d e n v e rs c h ie d e n e n
L a n d sc h a ftsz o n e n d e r T ro p e n in u n te rs c h ie d lic h e n A u s p rä g u n g e n a u f (W. D oppl
e r 1991, S. 33). B ei h o h e n N ie d e rs c h la g s m e n g e n u n d la n g e r B ra c h e d a u e r
h e rrs c h t d e r R e g e n w a ld vor: W a n d e rfe ld b a u w e c h se lt m it W a ld b ra c h e. Bei m ittle ­
r e n N ie d e rsc h lä g e n u n d r e d u z ie r te r B ra c h e d a u e r re ic h e n d ie A u fw u c h sp e rio d e n
n u r n o c h fü r d e n B usch: W a n d e rfe ld b a u w e c h se lt m it B u sc h b ra c h e . In d e n S av an ­
n e n a lte rn ie rt d e r A n b a u m it e in e r G ra sv e g e ta tio n , es b ild e t sic h e in e Feld-G ras-
W e c h se lw irtsc h a ft aus.
D er Wanderfeldbau ist m e h r als e in b lo ß e s R o ta tio n s p rin z ip , e r w ird v o n v ie le n
A u to re n (u.a. H. U h l ig 1970) als k o m p le x e W irtsc h a ftsw e ise u n d L e b e n sfo rm a n ­
g e se h e n , d ie in v ie lfä ltig e ö k o lo g isc h e , so z ia le u n d m a g isc h -re lig iö se B ezüge
e in g e b u n d e n ist.
E in w e se n tlic h e s M e rk m a l ist d ie fast a u ssc h lie ß lic h e V e rw e n d u n g menschlicher
Arbeitskraft, Z u g tie re w e rd e n n u r z ö g e rn d e in g e se tz t. Ü b e rh a u p t sp ie lt die
H a u s tie rh a ltu n g e in e u n te r g e o r d n e te R olle. Ю еіпѵіеЬ (S ch w ein u n d G eflü g el in
A sien, Z ieg en in A frika) so w ie F isch e u n d W ild tie re (e in sc h lie ß lic h R e p tilie n u n d
N a g etiere w ie z.B. d ie w e s ta frik a n isc h e R o h rra tte ) lie fe rn d ie - o ft u n z u re ic h e n ­
d e n - tie ris c h e n P ro te in e . W ic h tig ste W e rk z e u g e s in d Axt u n d B u sc h m e sse r fü r
d ie R o d u n g sa rb e ite n so w ie P flanz- o d e r G ra b sto c k o d e r d ie H acke z u r B o d e n v o r­
b e re itu n g . D abei d o m in ie rt in A frik a d ie H acke, in S ü d o sta sie n u n d z.T. a u c h in
L a te in a m e rik a d e r P flan zsto ck (H. U h l ig 1970, S. 86). D er P flu g fin d e t a u s ver-

Regionen der Ackerbau- und Dauerkultursysteme 161
s c h ie d e n e n G rü n d e n w e n ig A n k lan g : Z u g tie re fe h le n , W u rz e lstö c k e b e h in d e r n
d e n E in sa tz , d e r sta rk e E in g riff in d ie B o d e n s tru k tu r fö rd e rt E ro sio n u n d A usw a­
s c h u n g d e r N äh rsto ffe. E. Hahn (1892) b e n a n n te d ie W irtsc h a ftsfo rm d e s H ackb
a u s n a c h ih r e m A rb e itsg e rä t; h e u te w ird a llg e m e in d ie K e n n z e ic h n u n g e in e s
A g ra rsy ste m s n a c h d e m G e rä t n ic h t m e h r als a u s re ic h e n d e m p f u n d e n (W. Mans-
HARD 1965, S. 248).
S ta rk e soziale Interaktionen r e s u ltie re n a u s d e n a rb e its a u fw e n d ig e n R o d u n g s­
a rb e ite n , d ie o ft v o n d e r D o rfg e m e in s c h a ft o d e r d e r G ro ß fa m ilie g e m e in s a m
d u rc h g e fü h rt w e rd e n . D as f r ü h e r d o m in ie re n d e K o lle k tiv e ig e n tu m a m B o d en
w a n d e lt sich n u r la n g s a m in P riv a te ig e n tu m u m . U n k la re E ig e n tu m s v e rh ä ltn is s e
f ü h r e n in d e n W a n d e rfe ld b a u g e b ie te n L a te in a m e rik a s h ä u f ig z u K o n flik te n .
S ta m m e sre lig iö se R iten b e g le ite n in A frik a u n d S ü d o s ta s ie n d ie F e ld a rb e ite n
(P. Gourou 1976, S. 35).
D ie Anbautechniken ä h n e ln sic h in a lle n V e rb re itu n g sg e b ie te n . A uf d e r n a c h
b e s tim m te n K rite rie n (In d ik a to rp fla n z e n !) a u s g e w ä h lte n P a rz e lle w e r d e n d ie
S trä u c h e r, L ia n e n u n d sc h w ä c h e re n B ä u m e g e sc h la g e n u n d g e g e n E n d e d e r T rokk
e n z e it, w e n n d as M ate ria l a b g e tro c k n e t ist, v e rb ra n n t. N ach d e m e rs te n R egen
w e r d e n in d ie a s c h e b e d e c k te n o b e re n B o d e n s c h ic h te n d ie S a m e n k ö rn e r o d e r
S te c k lin g e m it H ilfe e in e G ra b sto c k s e in g e b ra c h t, im ü b rig e n b le ib t d e r B o d en
u n b e a rb e ite t. D ie Palette der Nutzpflanzen in d e n T ro p e n ist v o n fa st u n ü b e r s e h ­
b a r e r Vielfalt.Als e rste F ru c h t w e rd e n in d e r R egel G e tre id e u n d H ü ls e n frü c h te
ein g e sä t: M ais u n d B o h n e n in A m e rik a , H irse u n d M ais in A frika, B e rg reis in
S ü d o sta sie n . Im 2. u n d 3. Ja h r ü b e rw ie g e n K n o lle n frü c h te , v o n d e n e n in d e r A lten
W e lt M a n io k (C assava) z u n e h m e n d d e n Y am s v e rd rä n g t. M it z u n e h m e n d e r
M a rk to rie n tie ru n g w e rd e n a u c h M a rk tfrü c h te (z.B. K akao, K affee, T ab ak , K auts
c h u k , E rd n ü sse , B a u m w o lle , C oca) in d as P ro g ra m m a u fg e n o m m e n ; d ie S elb stv
e rs o rg u n g ist k e in e sw e g s m e h r d as a lle in ig e P ro d u k tio n sz ie l d e r G ru p p e n , d ie
W a n d e rfe ld b a u b e tre ib e n . N ach d e r d r itte n E rn te la sse n d ie E rträ g e in d e r R egel
so s ta rk n a c h , d a ß das L a n d w ie d e r a u fg e g e b e n w ird . L edig lich la n g le b ig e P fla n ­
z e n w ie Ö lp a lm e n o d e r B a n a n e n w e rd e n w e ite r a b g e e rn te t, im ü b rig e n w ä c h st
sc h n e ll e in e S e k u n d ä rv e g e ta tio n h o c h . A u ch w ä h r e n d d e s A n b a u z y k lu s s in d
Misch- und Stockwerkkulturen m it s e h r u n te rs c h ie d lic h e n P fla n z e n ü b lic h . Die
Kulturlandschaft in d e n R e g io n e n v o n W a n d e rfe ld b a u u n d L a n d w e c h s e lw irtsc
h a ft ist e in b u n te r F le c k e n te p p ic h v o n P a rz e lle n m it u n re g e lm ä ß ig e n u n d u n ­
sc h a rfe n G re n z e n . A b b ild u n g 4.11 z eig t d e n W ech sel z w isc h e n A n b a u flä c h e n u n d
B u sc h b ra c h e rin g s u m d a s G e h ö ft e in e r k o n g o le sisc h e n G ro ß fa m ilie ; L a n g fris
tig e r A n b a u w ir d n u r a u f d e m h o f n a h e n G a rte n la n d b e trie b e n . D ie A u ß e n ­
p a rz e lle n w e rd e n n u r 2 Ja h re g e n u tz t u n d v e rb u s c h e n w ie d e r, n e u e R o d u n g e n
s in d fällig.
K a u m e in a n d e re s A g ra rsy ste m ist so u m s tritte n , w ie d e r W a n d e rfe ld b a u . Die
B e w e rtu n g re ic h t v o n „ b e m e rk e n s w e rte r A n p a ssu n g a n d ie U m w e ltb e d in g u n g e n
d e r fe u c h te n T ro p e n “ (D. Grigg 1974, S. 71) b is z u r B e z e ic h n u n g als „ flä c h e n ­
v e rs c h w e n d e ris c h e s u n d le is tu n g s s c h w a c h e s N u tz u n g s s y s te m “ (W. W eischet
’ Vgl. die Karte der tropischen Nutzpflanzengesellschaften bei Jen-hu-Chang 1977, S. 243.

Щгі
sv3
162 Agrarregionen der Erde
r i
Abb.4.11:
Landwechselwirtschaft um den Hof eines Asande-Bauern (Zaire) in fünf Jahren
(Quelle; P. de Schuppe 1956, S. 113 -1 15)
Г
I Angebaute Felder
Gartenland
Maniok in beginnender Brache
------ Fußpfad
l - - ^ Hofraum • Haus ------ Feldgrenze
1981, S. 20). Das A b sc h la g e n u n d V e rb re n n e n d e r V e g e ta tio n ste llt zw eifello s e in e n
sc h w e re n E in g riff in d ie tro p is c h e n Ö k o sy ste m e d a r. Z w a r e rfa h re n d ie g e w o n n e ­
n e n K u ltu rflä c h e n a u s d e r A sche e in e N ä h rs to ffz u fu h r in F o rm v o n K a tio n e n (Ca,
M g, K, Na), P h o s p h a te n u n d S p u re n e le m e n te n , d e r S tick sto ff d e r v e r b r a n n te n
B io m asse e n tw e ic h t a h e r n u tz lo s in d ie A tm o sp h ä re . G le ic h z e itig w e rd e n 600 his
1 100 t o rg a n isc h e n M a terials je h a z e rstö rt (P. GOUROU 1976, S. 32) u n d in d e r
o b e rs te n B o d e n z o n e d ie p h y s ik a lis c h e n u n d c h e m is c h e n E ig e n sc h a fte n so w ie die
M ik ro le b e w e lt d u rc h d as B re n n e n b e e in trä c h tig t. D ie Z e rs tö ru n g d es n o c h n ic h t
in d e n B o d en e in g e a rb e ite te n H u m u s v e rrin g e rt n a c h W. W e is c h e t (1981, S. 28)
d ie N ä h rsto ff-S p e ic h e rk a p a z itä t d es B o d en s (K a tio n e n -A u sta u sc h k a p a z itä t = c.e.c)
so se h r, d a ß e in G ro ß te il d e r a n fa lle n d e n N ä h rsto ffe n u tz lo s a b g e sc h w e m m t w ird .
N ach d e r e rs te n E rn te h a t sic h d ie S p e ic h e rk a p a z itä t d es B o d en s d u rc h fo rtg e ­
s c h ritte n e M in e ra lis ie ru n g d e r o rg a n is c h e n S u b sta n z n o c h w e ite r v e rrin g e rt, so
d a ß se lb st M in e ra ld ü n g e r w e itg e h e n d w irk u n g slo s h le ib t.
D ie d ire k te E in s tra h lu n g f ü h r t z u p h y s ik a lis c h e n V e rä n d e ru n g e n im O b e r­
b o d e n , in d e m sie d ie K o n k re tio n s b ild u n g fö rd e rt u n d z u e in e r g ro b k ö rn ig e n
S tru k tu r (P se u d o sa n d ) f ü h r t (E. W e l t e 1978, S. 635). D a d u rc h w ird d ie D u rc h lä s­
sig k e it u n d A u sw a sc h u n g e rh ö h t. Jed e B o d e n b e a rb e itu n g b e w irk t e in e v e rs tä rk te
S a u e rs to ffz u fu h r u n d b e g ü n s tig t d ie b io lo g isc h e O x y d a tio n . U m s tritte n ist die
R olle d e r W u rz e lp ilz e M y k o rrh iz a e f ü r d ie B io m a s s e n p ro d u k tio n . W ä h re n d ih r
W e is c h e t (1981, S. 29) e in e S c h lü sse lro lle als N ä h rsto ffa lle u n d S y ste m sic h e re r
z u sp ric h t, h ä lt sie W e l t e (1978, S. 638) u n te r fe u c h ttro p is c h e n B e d in g u n g e n n ic h t
f ü r e n ts c h e id e n d . Es v e rh le ih t a u c h w e ite rh in e in E rk lä ru n g sd e fiz it, w a r u m d e r
tro p is c h e R e g e n w a ld m it s e in e m n a h e z u g e sc h lo sse n e n N ä h rs to ffk re is la u f die

Regionen der Ackerbau- und Dauerkultursysteme 163
h ö c h s te N e tto p ro d u k tio n a n p fla n z lic h e r B io m a sse u n te r a lle n P fla n z e n g e se lls
c h a fte n d e r E rd e au sw e ist, w ä h r e n d a g ra risc h e Ö k o sy ste m e n a c h k u rz e r Z eit
z u s a m m e n b re c h e n .
K o n tro v e rs w ird a u c h d ie ö k o n o m isc h e S eite d es W a n d e rfe ld b a u s b e u rte ilt,
d .h . d a s V e rh ä ltn is v o n A u fw a n d u n d E rtra g . M a n c h e A u to re n e ra c h te n d e n A r­
b e its a u fw a n d z u r G e w in n u n g d es L e b e n s u n te rh a lts im V e rg leich z u m p e r m a n e n ­
te n F e ld b a u fü r g e rin g (so. z.B. B. W. H o d d e r 1976, S. 97; P. GOUROU, 1976, S. 33).
D er K a p ita le in sa tz ist o h n e h in m in im a l. A n d e re b e w e rte n sie als a u fw e n d ig e s
A g ra rsy ste m m it S isy p h u sc h a ra k te r (W. W e is c h e t 1981, S. 20). U n b e s tritte n ist,
d a ß d e r W a n d e rfe ld b a u u n te r a lle n A n b a u sy ste m e n d e r T ro p e n u n d S u b tro p e n
d ie n ie d rig s te F lä c h e n p ro d u k tiv itä t a u fw e ist, w ä h re n d b e i d e r A rb e itsp ro d u k tiv i­
tä t n a c h W. D o p p l e r (1991, S. 36) e in m ittle re s N iv eau e rre ic h t w ird . A lle rd in g s ist
d ie A rb e its p ro d u k tiv itä t sc h w e r z u b e re c h n e n , d a d ie Ü b e rg ä n g e z w isc h e n A rb eit
u n d F re iz e ita k tiv itä te n u n k la r sin d . A rb e itssp itz e n sin d d e r U m z u g d e r S ie d lu n g
u n d d ie R o d u n g sa rb e ite n , w ä h r e n d d ie B o d e n b e a rb e itu n g m in im a l ist. W. D o pple
r (1991, S. 39) b e z iffe rt d e n A rb e itsa u fw a n d im W a n d e rfe ld b a u des tro p is c h e n
R e g e n w a ld e s m it 500 b is 2 000 S tu n d e n je H e k ta r u n d Jahr; in d e r B u sc h z o n e s in d
300 b is 1 000 u n d in d e r S a v a n n e 200 b is 900 A rb e its s tu n d e n z u v e ra n sc h la g e n .
E in k ritis c h e r F a k to r ist im m e r d ie B e v ö lk e ru n g sd ic h te . Bei g e rin g e r B evölkeru
n g s d ic h te fü g te sich d e r W a n d e rfe ld b a u ja h rta u s e n d e la n g h a rm o n is c h in d e n
N a tu rh a u s h a lt ein . Ö k o lo g isch e S c h ä d e n tr e te n e rs t d a n n au f, w e n n d u rc h ste i­
g e n d e B e v ö lk e ru n g sz a h le n o d e r ü b e rm ä ß ig e A u sw e itu n g d e r M a rk tp ro d u k tio n
d ie L a n d re s e rv e n s in k e n u n d d ie B ra c h e z e ite n so v e rk ü rz t w e rd e n m ü s s e n , d a ß
sie n ic h t m e h r f ü r d ie B o d e n re g e n e ra tio n a u sre ic h e n . U. SCHOLZ (1984, S. 363) g ib t
50 E in w o h n e r p ro km ^ als k ritis c h e O b e rg re n z e des W a n d e rfe ld b a u s a u f S u m a tra
an. F este U m trie b sz e ite n la sse n sic h n ic h t a n g e b e n , d ie W e rte s c h w a n k e n s e h r
sta rk m it d e n B oden- u n d K lim a v e rh ä ltn isse n . F ü r B o rn eo g ib t H. U h l ig (1970,
S. 87) b e isp ie lsw e ise e in e M in d e s tru h e z e it v o n 12 - 20 J a h re n a n . W e rd e n d ie se

164 Agrarregionen der Erde'
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U m trie b sz e ite n u n te r s c h r itte n , so k a n n es z u sc h w e re n ö k o lo g isc h e n S c h ä d e n
k o m m e n : V e ra rm u n g d e r B ö d e n a n N ä h rsto ffe n , K ru ste n b ild u n g , s p ru n g h a fte r
A n stieg des B o d e n a h tra g s, A u fs c h o tte ru n g u n d V e rw ild e ru n g d e r F lü sse, S tö ru n g
d es W a sse rh a u sh a lts.
W a n d e rfe ld b a u w ird z u n e h m e n d d u rc h in te n s iv e re A g ra rsy ste m e ab g elö st. Er
e x istie rt h e u te n u r n o c h in w e n ig e n G e b ie te n m it g e rin g e r B e v ö lk e ru n g sd ic h te
(W. D o p p le r 1994, S. 67). V e ru rs a c h t w ird d ie s e r P ro z e ß e in m a l d u rc h d e n sta rk e n
B ev ö lk e ru n g sz u w a c h s, z u m a n d e r e n d u rc h d ie N a c h fra g e ste ig e ru n g n a c h M ark t­
f rü c h te n als F olge d e r ra s c h e n V e rstä d te ru n g . D ie E in f ü h r u n g te c h n is c h e r In n o ­
v a tio n e n u n d e in e R e g ie ru n g sp o litik , w e lc h e a u f S te ig e ru n g d e r E x p o rtp ro d u k ­
tio n ab zielt, v e rs tä rk e n d e n Ü b e rg a n g v o n d e r r e in e n S u b s is te n z p ro d u k tio n z u r
M a rk tp ro d u k tio n . D ie F a m ilie n b e w irts c h a fte n in fo lg e d e sse n m e h r L an d , als sie
z u r E ig e n v e rso rg u n g b e n ö tig e n . W ird g a r d ie H acke d u rc h d e n O c h se n p flu g erse
tz t (z.B. S ahel, O stafrik a), so ste ig t d ie a n g e s tre b te B e trie b sg rö ß e s p ru n g h a ft von
2 - 3 a u f 6 - 8 h a (H. R u t h e n b e r g 1967, S. 135). W. D o p p l e r (1994, S. 67) schätzt,
d a ß re in e S u b siste n z b e trie b e , d ie m e h r als 90 %ih r e r E rz e u g u n g se lb st k o n s u m ie ­
re n , w e ltw e it n u r n o c h 5 %d e r A g ra rb e v ö lk e ru n g m it 10 % d e r LF in d e n T ro p e n
u n d S u b tro p e n a u s m a c h e n . 90 % d e r B e trie b e s in d h e u te so w o h l su h siste n z - w ie
m a rk to rie n tie rt. Ih re V e rm a rk tu n g s q u o te s c h w a n k t z w isc h e n 10 u n d 90 % des
P ro d u k tio n sw e rte s.
Als e rste I n te n s iv ie ru n g s s tu fe w a n d e lt sic h d e r W a n d e rfe ld b a u z u r Landwechselwirtschaft
m it v e r k ü r z te r B rach e, w e lc h e k e in e R e g e n e ra tio n d e r W aldv
e g e ta tio n m e h r z u lä ß t (B u sch b rach e). A n d ie S te lle n v o n z a h lre ic h e n R o d u n g s­
in s e ln im W ald tr itt e in e re la tiv o ffe n e A g ra rla n d s c h a ft, d ie v o n z a h lre ic h e n
G ra sflä c h e n o d e r B u s c h g ru p p e n d u rc h s e tz t ist. D ie V e rn ic h tu n g d e r W a ld fo rm a ­
tio n in d e n Z o n e n d es tro p is c h e n R e g e n w a ld s u n d d e r F e u c h ts a v a n n e ist zw ar
n ic h t a u ssc h lie ß lic h , a b e r d o c h m e h rh e itlic h a u f d e n L a n d h e d a rf d e r h ä u e rlic h e n
B e v ö lk e ru n g z u rü c k z u fü h re n . W eite F lä c h e n d e r T ro p e n s in d v o m M e n sc h e n m it
F e u e r u n d H acke v o n d e r u r s p r ü n g lic h e n W a ld v e g e ta tio n in e in e G ras- u n d
B u s c h v e g e ta tio n u m g e f o r m t w o r d e n (O sta frik a , M a d a g a sk a r, B o rn e o , P h ilip ­
p in e n , B rasilien). B. N. F l o y d (1982) b e z iffe rt d e n jä h r lic h e n S c h w u n d d e r tro ­
p isc h e n W a ld fläch e a u f 15,7 M io. h a . D ie A u sw irk u n g e n a u f d ie g lo b a le n Ö kosy
ste m e s in d sc h w e r a b z u s c h ä tz e n . F ü r d a s S tic h ja h r 1990 b e z iffe rt d ie FAO
d ie G e sa m tflä c h e d es tro p is c h e n R e g e n w a ld e s a u f 1,76 M rd. h a. D er jä h rlic h e
S c h w u n d b e lie f sic h im J a h rz e h n t 1980 - 90 a u f 15,4 M io. h a o d e r 0,8 %(N. A l e x a n ­
d r a t o s 1995, S. 207).
D er Ü b e rg a n g v o m W a n d e rfe ld b a u z u r L a n d w e c h se lw irtsch a ft b e d e u te t au ch
d ie F ix ie ru n g d e r S ie d lu n g e n , d ie n u n n ic h t m e h r n a c h e in ig e n J a h re n au fg eg e­
b e n w e rd e n m ü sse n . D as h a t d e n V o rteil, d a ß la n g fristig e In v e s titio n e n m ö g lich
w e rd e n , w ie z.B. k o m fo rta b le re H ä u se r, B ru n n e n , S c h u le n u n d a n d e re G e m e in ­
sc h a ftsb a u te n . B e v o rz u g t sie d e lt m a n sic h a n F e rn s tra ß e n a n , d ie b e sse re Komm
u n ik a tio n s- u n d H a n d e lsm ö g lic h k e ite n b ie te n (H. Hecklau 1978, S. 135). R ings
u m o rtsfe ste B e h a u s u n g e n w e rd e n H a u s g ä rte n a n g e le g t, d ie d u rc h A bfälle u n d
F ä k a lie n g e d ü n g t w e rd e n . Sie e rm ö g lic h e n d a h e r e in e p e rm a n e n te B eb au u n g .
D er G a rte n b a u b ild e t z u s a m m e n m it d e r Ю e in tie rh a ltu n g e in e d e r w ic h tig ste n
N a h ru n g s g ru n d la g e n in d e n T ro p e n . Bei g ü n s tig e r M a rk tla g e k a n n a u s ih m ein

Regionen der Ackerbau- und Dauerkultursysteme 165
M a rk tg a rte n b a u h e rv o rg e h e n (B o rn eo , S ü d -G h an a, ja p a n is c h e K o lo n ie n im A m a­
z o n a stie fla n d ).
B ei w e ite r e r L a n d v e r k n a p p u n g v e rs c h w in d e t a u c h d ie k u rz z e itig e B u sc h ­
b rach e, m a n m u ß z u r permanenten Landnutzung ü b e rg e h e n . D ab ei ist d ie E r­
h a ltu n g d e r B o d e n fru c h tb a rk e it d a s sc h w ie rig ste u n d w e ith in n o c h u n g e lö ste
P ro b le m . A n g esich ts d e r g ro ß e n k lim a tis c h e n u n d p e d o lo g isc h e n U n te rsc h ie d e
in n e rh a lb d e r T ro p e n ist s ic h e rlic h a u c h k e in e a llg e m e in g ü ltig e L ö su n g z u e rw a r­
te n . A b b ild u n g 165.1 v e ra n s c h a u lic h t d ie v e rs c h ie d e n e n E n tw ic k lu n g sm ö g lic h ­
k eiten .
U n p ro b le m a tis c h au s ö k o lo g isc h e r S ic h t ist in d e r R egel d e r Ü b e rg a n g z u m
Bewässerungsfeldbau, b e s o n d e rs z u m N a ß re isb a u . E r se tz t je d o c h a u s re ic h e n d e
N ie d e rsc h lä g e o d e r p e re n n ie r e n d e F lü sse v o ra u s u n d ist v o m K a p ita la u fw a n d w ie
v o n d e r A n b a u te c h n ik h e r re c h t a n sp ru c h sv o ll. S ein e E in f ü h r u n g ist d a h e r n u r
a u f b e g re n z te n F lä c h e n in n e rh a lb d e r T ro p e n m ö g lich .
Mehrjährige Baum- und Strauchkulturen (D a u e rk u ltu re n ) w e r d e n v o n d e n
m e is te n E x p e rte n als b ra u c h b a re A lte rn a tiv e n z u d e n W e c h se lsy ste m e n a n g e se ­
h e n . Im U n te rsc h ie d z u r P la n ta g e , d ie sic h a u ssc h lie ß lic h a u f M a rk tfrü c h te b e ­
s c h rä n k t, m ü s s e n im k le in b ä u e rlic h e n B e trie b M a rk tfru c h tb ä u m e (u.a. K affee,
K akao, Öl- u n d K o k o sp alm e, G u m m ib a u m ) z u s a m m e n m it d e n g ä n g ig e n N a h ­
ru n g s p fla n z e n in M is c h k u ltu r a n g e b a u t w e rd e n . A us ö k o lo g isc h e r S ich t b ie te n
d e ra rtig e P o ly k u ltu re n e in n a tu r n a h e s Ö k o sy ste m m it v ie lfä ltig e n V o rte ile n geg
e n ü b e r M o n o k u ltu rfe ld e rn : g a n z jä h rig e r S c h u tz des B o d e n s v o r E in s tra h lu n g
u n d S ta rk re g e n , e ffe k tiv e N u tz u n g d e r S o n n e n e n e rg ie , v e r r in g e r te E ro s io n s ­
g efah r, g rö ß e re I m m u n itä t g e g e n S c h ä d lin g sb e fa ll, g e rin g e N ä h rs to ffa b fu h r, d a
n u r e in k le in e r T eil d e r B io m asse als F ru c h t e n tfe rn t w ird . D as tie fg re ife n d e
W u rz e lw e rk e rsc h lie ß t N ä h rsto ff re s e rv e n a u s e in e m se h r v ie l g rö ß e re n B o d en ­
v o lu m e n , d e r k o n tin u ie rlic h e L au b fall v e rso rg t d ie o b e re n B o d e n sc h ic h te n m it
H u m u s u n d M in e ra lie n . B. N. Floyd (1982, S. 438) b e tra c h te t d ie B ä u m e g e ra d e z u
als „ N ä h rs to ffp u m p e n “, d e n e n e in e S c h lü sse lro lle fü r d ie E rh a ltu n g d e r B o d en ­
fru c h tb a rk e it im fe u c h ttro p is c h e n B e re ic h z u k o m m t. Z u d e m d ie n e n d ie B äu m e
als B re n n - u n d N u tz h o lz lie fe ra n te n - e in A sp ek t, d e m a n g e sic h ts d e s E n e rg ie ­
m a n g e ls in v ie le n L ä n d e rn d e r D ritte n W elt im m e r m e h r B e d e u tu n g z u k o m m t.
S c h lie ß lic h n ü tz t d ie h e te ro g e n e N u tz p fla n z e n g e se llsc h a ft d a s N ä h rsto ffp o te n tia l
des B o d en s b e s s e r aus, v o rte ilh a ft ist a u c h d ie g le ic h m ä ß ig e re V e rte ilu n g d e r
A rb e ite n so w ie d ie N a h ru n g s v e rs o rg u n g ü b e r d ie V e g e ta tio n sp e rio d e b e i su k z e ssiv
e m A n b a u . V on N a ch teil a u s ö k o n o m is c h e r S ich t ist, d a ß M is c h k u ltu re n je g lic h e
M e c h a n is ie ru n g v e rh in d e rn .
W e ite re b o d e n s c h o n e n d e M a ß n a h m e n s in d M u lc h e n (A b d eck en d es B oden s
m it P fla n z e n s tre u ), G r ü n d ü n g u n g , a u s g e w ä h lte F ru c h tfo lg e n b e i d e n U n te r­
k u ltu r e n so w ie d ie R e d u z ie ru n g d e r B o d e n b e a rb e itu n g a u f e in M in im u m .
W e rd e n T eile d es n a tü r lic h e n W ald es e rh a lte n u n d m it d e r a c k e rb a u lic h e n
N u tz u n g v e rz a h n t, so s p ric h t m a n v o n Agroforstwirtschaft. K o m m t g a r n o c h ein e
w e id e w irtsc h a ftlic h e N u tz u n g h in z u , so h a b e n w ir e in agrosilvopastorales Agrarsystem
v o r u n s (W. D o p p le r 1991, S. 70). D ab ei w e rd e n H o lzg ew äch se, N u tz p fla n ­
zen u n d W e id e tie re a u f e in e r F läch e so b e w irtsc h a fte t, d a ß sie sic h g e g e n se itig
ö k o lo g isch b e e in flu s s e n . D e ra rtig e B o d e n n u tz u n g s s y s te m e w e rd e n in jü n g s te r

166 Agrarregionen der Erde
Z eit im R a h m e n v o n E n tw ic k lu n g s p ro je k te n v ie l p ro p a g ie rt. Sie h a b e n ih re A n­
fä n g e in d e r F o rstp o litik d e r K o lo n ialzeit. In B u rm a u n d B ritisc h -In d ie n w u rd e n
sc h o n im 19. J a h r h u n d e r t ex p o rtfä h ig e H o lz a rte n w ie T eak, L im b a u n d M a h a g o n i
a n g e p fla n z t. Z w isc h e n d e n S e tz lin g e n k o n n te n d ie B a u e rn fü r e in ig e Ja h re ih re
a n n u e lle n N a h ru n g s p fla n z e n a n b a u e n , b is d a s K ro n e n d a c h sic h g e sc h lo sse n h a t­
te. D ieses T a u n g y a-S y stem w u rd e a u c h n a c h In d o n e s ie n u n d A frika ü b e rtra g e n .
U m s tritte n ist d ie E in f ü h r u n g v o n Feld-Gras-Wirtschaften in d e n T ro p e n . Z u­
n ä c h s t b e r e ite t d ie In te g r a tio n d e r V ie h h a ltu n g in d e n A c k e rb a u e rh e b lic h e
S c h w ie rig k e ite n . D as V ieh m u ß d a b e i d ie F u n k tio n e n N a h ru n g s lie fe ra n t, A rb eitstie
r u n d D ü n g e rlie fe ra n t ü b e r n e h m e n . D e r Ü b e rg a n g v o n d e r H acke z u m
O c h se n p flu g u n d W ag en b e d e u te t z w a r e in e e rh e b lic h e S te ig e ru n g d e r A rb eitsp
ro d u k tiv itä t, a b e r a u c h e in e te c h n o lo g isc h e R e v o lu tio n , d ie n u r z ö g e rn d a d o p ­
tie rt w ird.*^ A u ß e rd e m e rfo rd e rt sie e in e n h o h e n K ap ita le in sa tz , d e n d ie Ю еіпb
a u e r n oft n ic h t a u fb rin g e n k ö n n e n . W e ite re H e m m n is s e s in d V ie h k ra n k h e ite n ,
d ie in d e n T ro p e n w e it h ä u fig e r als in g e m ä ß ig te n B re ite n a u ftre te n , so w ie d ie oft
p ro b le m a tis c h e F u tte rb e re its te llu n g . D ie e rfo rd e rlic h e n F e ld -G ras-W irtsch aften
sin d n a c h H. Ruthenberg (1967, S. 139 - 143) n u r in k ü h le n tro p is c h e n H o ch ­
lä n d e rn , w o B o d e n u n d K lim a e in g a n z jä h rig e s W a c h stu m g u te r F u tte rg rä s e r
e rla u b e n , p ro b le m lo s. In d e n tro p is c h e n T ie flä n d e rn lä ß t m it s te ig e n d e n T e m ­
p e r a tu r e n d ie G ra s w ü c h s ig k e it n a c h . V ie lfa c h fo lg t d e m W a ld e in e w e rtlo se
S a v a n n e n v e g e ta tio n , w ie z.B. d ie A lang-A lang-S avanne in B o rn eo , d ie v o m V ieh
k a u m a n g e n o m m e n w ird (H. Uhlig 1970, S.87). Im U n te rsc h ie d z u d e n g e m ä ß ig ­
te n B re ite n k ö n n e n d a h e r F eld -G ras-W irtsch aften in d e n T ro p e n n ic h t in je d e m
Fall als b o d e n e rh a lte n d b e z e ic h n e t w e rd e n (H. Ruthenberg 1967, S. 142). S e h r
se lte n s in d b is h e r n o c h Düngerwirtschaften, b e i d e n e n d e r d u r c h S ta llv ie h ­
h a ltu n g g e w ö n n e D u n g a u f d ie p e r m a n e n t b e b a u te n F e ld e r tr a n s p o r tie r t w ird ,
w ie z.B. a u f d e r In se l U k ara im V icto riasee (H.-D. Ludwig 1967).
Ü b er d ie weltweite Verbreitung v o n W a n d e rfe ld b a u u n d L a n d w e c h se lw irtsc
h aft lie g t n u r u n z u lä n g lic h e s u n d te ilw e ise v e ra lte te s M a te ria l v o r. Die FAO
b e z iffe rte 1974 d ie G e sa m tflä c h e, a u f d e r d ie se W ech se lsy ste m e u m g e h e n , m it 36
M io. km ^ (W. W eischet 1981, S. 20) - e in W ert, d e r e n ts c h ie d e n z u h o c h a n m u te t.
E r w ä re m e h r als d o p p e lt so g ro ß als d ie g e sa m te A ck erfläch e d e r Erde!
In Südostasien le b te n in d e n se c h z ig e r J a h re n n a c h J. E. SPENCER (1966, S. 14 bis
17) n o c h e tw a 50 M io. M e n sc h e n v o m W a n d e rfe ld b a u , d e r sic h ü b e r e tw a 100
M io. h a tro p is c h e n W a ld la n d e s b e w eg t, w o v o n je w e ils 20 M io. h a b e b a u t sin d . Die
r ä u m lic h e n S c h w e rp u n k te b ild e n d ie B e rg w ä ld e r d es fe s tlä n d is c h e n S ü d o stasie
n s sow ie d ie g ro ß e n In s e ln B o rn eo u n d N e u g u in e a . In d e n m e is te n S ta a te n
b ild e n d ie sog. B e rg stä m m e in R ü c k z u g sg e b ie te n d ie T rä g e r des W a n d e rfe ld b a u s,
d e n e n d ie R e is b a u e rn d e r E b e n e n g e g e n ü b e rs te h e n . V o m S ta a tsv o lk s in d sie
d u rc h a n d e rs a rtig e W irtsc h a ftsw e ise , Volks-, S p rach - u n d R e lig io n sz u g e h ö rig k e it
^■*Nach U. S t ÜRZINGERs Untersuchungen (1980, S. 155) in der Republik Tschad sind primär
psychologische Hemmschwellen zu überwinden. Die Hackbauern kennen die Großviehhaltung
nicht und unterschätzen den Aufwand für Fütterung und Pflege des Viehs, das vielfach
den Knaben überlassen bleibt, während Erwachsene diese Arbeiten meiden.

Regionen der Ackerbau- und Dauerkultursysteme 167
Abb. 4.13:
Entwicklungstendenzen tropischer
Agrarsysteme
(Quelle: H. Ruthenberg 1979 u.a.)
g e tre n n t (H. Uhlig 1970, S. 86). Sie b ild e n e c h te L e b e n s fo rm g ru p p e n im S in n e
v o n H. Вовек. W ic h tig ste N u tz p fla n z e ist d e r B erg reis, d e r als E rs tfru c h t m it d e m
P fla n z sto c k a u sg e sä t w ird . D as sü d o s ta s ia tis c h e V e rb re itu n g s g e b ie t s c h r u m p f t
ra sc h , n a c h Spencer (1966, S. 14) g e h e n jä h rlic h 0,4 - 0,8 M io. h a in p e r m a n e n te n
F e ld b a u ü b e r. A uf B o rn e o w ir d d e r W a n d e rfe ld b a u a b g e lö st d u r c h N a ß re is ­
k u ltu re n , K au tsch u k - u n d K o k o sh ain e u n d M a rk tg a rte n b a u (H. UHLIG 1970). F ü r
S u m a tra lie g t m it d e r a g ra rg e o g ra p h is c h e n S tu d ie v o n U. Scholz (1988) e in e
e in g e h e n d e A nalyse d e s T ra n sfo rm a tio n sp ro z e sses v o m W a n d e rfe ld b a u z u p e r­
m a n e n te n K u ltu re n v o r. D ie la n d w irts c h a ftlic h e N u tz flä c h e d ie s e r g ro ß e n T ro ­
p e n in s e l m it e in e r L a n d flä c h e v o n 480 000 km ^ g lie d e rt sic h h e u te fo lg e n d e rm a ­
ß e n auf:
- D a u e rk u ltu re n
- B e w ä sse ru n g sfe ld b a u
- p e r m a n e n te r T ro c k e n fe ld b a u
- W a n d e rfe ld b a u
60%
25%
1 0 %
5 %.
Scholz k o n s ta tie rt v o r a lle m e in e n ra s c h e n Ü b e rg a n g v o m W a n d e rfe ld b a u zu
D a u e rk u ltu re n (u.a. K affee, K a u tsc h u k , Z im t, G e w ü rz n e lk e n , Pfeffer), w e il sic h
d ie se H a n d e ls p fla n z e n m it e in fa c h e n M itte ln in d e n W a n d e rfe ld b a u in te g rie re n
la ssen . A n sta tt das F eld n a c h 1 - 2 A n b a u ja h re n b ra c h fa lle n z u la sse n , p fla n z e n
d ie B a u e rn S e tzlin g e v o n B au m - u n d S tra u c h k u ltu re n z w isc h e n d ie e in jä h rig e n
N u tz p fla n z e n (m e ist T ro c k e n re is). A uf d ie se W eise s in d g ro ß e W a n d e rfe ld b a u -
F lä c h e n g le ic h sa m m it N u tz p fla n z e n „ a u fg e fo rste t“ w o rd e n . H e u te s in d m e h r als
60 % d e r g e s a m te n LN S u m a tra s m it D a u e r k u ltu r e n b e s ta n d e n , w ä h r e n d d e r
W a n d e rfe ld b a u b is a u f g e rin g e R este in a b g e le g e n e n R ä u m e n v e rs c h w u n d e n ist.
D ie k le in b ä u e rlic h e n B e trie b e m it e in e r N u tz flä c h e v o n d u rc h s c h n ittlic h 1,4 h a
p r o d u z ie r e n d a b e i so w o h l N a h ru n g s m itte l f ü r d e n E ig e n b e d a rf w ie H a n d e ls ­
frü c h te (cash crops) fü r d e n M ark t. A us ö k o lo g isc h e r S ich t ist d e r Ü b e rg a n g z u
la n g le b ig e n B aum - u n d S tra u c h k u ltu re n s e h r z u b e g rü ß e n , e r b ild e t e in e n p o s i­
tiv e n S c h ritt z u e in e r n a c h h a ltig e n B o d e n n u tz u n g in d e n T ro p e n .
Im tropischen Afrika k o n n te m a n d e n W a n d e rfe ld b a u in d e n se c h z ig e r J a h re n
n o c h h ä u fig in Z e n tra l- u n d O sta frik a a n tre ffe n , w ä h r e n d e r im S ah el u n d in
W e sta frik a b e re its w e itg e h e n d d u rc h L a n d w e c h se lw irtsch a ft v e rd rä n g t w a r (vgl.
A b b ild u n g 4.14). N ach d e r A u ssag e v ie le r R e g io n a lstu d ie n ist T ro p isch -A frik a ge-

168
Agrarregionen der Erde
Abb. 4.14;
Wanderfeldbau und Landwechselwirtschaft im tropischen Afrika
(Quelle: W. D. Morgan 1969, vereinfacht)
0 500 1000km
its
•M:
Li*-
¡ . ;| Wanderfeldbau
Landwechselwirtschaft
Permanenter Feldbau
Anbau im
Überschwemmungsbereich
Gemischte Landwirtschaft
(Ackerbau u. Viehzucht)
■; 'л Weidewirtschaft
v%v)
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R udolf-S ee
k e n n z e ic h n e t d u r c h e in v ie lfä ltig e s N e b e n e in a n d e r v e rs c h ie d e n s te r A g ra rsy ste ­
m e .Z w a r d o m in ie r e n in d e r F lä c h e W a n d e rfe ld b a u u n d L a n d w e c h s e lw irtsch
aft, d o c h ist in d e n d ic h tb e s ie d e lte n G e b ie te n d e r p e r m a n e n te F e ld b a u u n d in
S ta d tn ä h e d e r M a rk tg a rte n b a u im V o rd rin g e n , l n d e n ts e ts e fre ie n R ä u m e n w ird
d ie H acke la n g sa m v o m O c h se n p flu g v e rd rä n g t. F ü r d as tropische Amerika lieg t
d ie FA O -Studie v o n W atters (1971) v o r. W a n d e rfe ld b a u w ir d in d e n R e g e n ­
w a ld g e b ie te n Z e n tra la m e rik a s, a m O s th a n g d e r A n d e n u n d im A m a z o n a sb e c k e n
b e trie b e n . Watters u n te rs c h e id e t d e n tra d itio n e lle n , k o lle k tiv e n W a n d e rfe ld b a u
d e r In d io s tä m m e v o m in d iv id u e lle n d e r C a m p e sin o s. L e tztere ro d e n a u s L a n d n o t
d e n W ald, w e il d e s s e n E ig e n tu m s v e rh ä ltn is s e u n k la r sin d . W ä h re n d sic h d e r tr a ­
d itio n e lle T yp im G le ic h g e w ic h tsv e rh ä ltn is m it d e r N a tu r b e fin d e t, f ü h r t d e r in d i­
v id u e lle T yp h ä u fig z u irre v e rs ib le n S c h ä d e n im N a tu rh a u s h a lt, d a d e r W ald
k e in e a u s re ic h e n d e R e g e n e ra tio n s p a u s e e rh ä lt. M a n f in d e t d iese F o rm h ä u fig
e n tla n g d e n E rs c h lie ß u n g s s tra ß e n im U rw ald . F ü r N o rd k o lu m b ie n b e s c h re ib t
^^Zur Vielfalt der Agrarsysteme in Tropisch-Afrika vgl. W. B. Morgan (1969); G. Benneh
(1972); H. Hecklau (1978); W. Manshard (1988).

Regionen der Ackerbau- und Dauerkultursysteme 169
G. Mertins (1978) d e n W a n d e rfe ld b a u v o n K le in b e trie b e n , d ie 2,5 b is 3,5 h a
R o d u n g sla n d 2 - 3 Ja h re b e b a u e n u n d a n s c h lie ß e n d w ie d e r d e m W ald ü b e rla sse n .
Jä h rlic h m ü s s e n 1 - 1,5 h a h in z u g e ro d e t w e rd e n . A n g e b a u t w e rd e n R eis, M ais,
M an io k , Y am s u n d v e rs c h ie d e n e G e m ü se a rte n . D er A n b a u v o n N a h ru n g s m itte ln
f ü r d e n E ig e n b e d a rf d o m in ie rt, b e i g ü n s tig e r V e rk e h rsla g e w e rd e n Ü b e rsc h ü sse
v o n M ais u n d R eis v e rk a u ft. A u ch h ie r ist d e r Ü b e rg a n g z u L a n d w e c h se lsy ste m e n ,
b e s o n d e rs z u F eld-G ras-S ystem en, m it fix ie rte m W o h n p la tz flie ß e n d .
D ie A b lö su n g v o n W a n d e rfe ld b a u u n d L a n d w e c h se lw irtsch a ft d u rc h p e rm a ­
n e n te B o d e n n u tz u n g s s y s te m e ist la n g fris tig u n u m g ä n g lic h . Es k o m m t d a b e i d a r ­
a u f a n , d a s v o n N a tu r a u s b e s c h rä n k te E rtra g s p o te n tia l d e r T ro p e n n ic h t zu
ü b e rfo rd e rn . D ie B o d e n fru c h tb a rk e it a u f b e s c h rä n k te m N iv e a u (low -level-equilib
riu m ) k a n n la n g fris tig n u r d u rc h e in e a u f „ a u sg e g lic h e n e N ä h rsto ffb ila n z a u s­
g e ric h te te In p u t-O u tp u t-W irtsc h a ft“ (E. W elte 1978, S. 638) g e sic h e rt w e rd e n .
I n n e r h a lb d e r sic h ü b e ra ll ra s c h e n tw ic k e ln d e n V o lk sw irtsc h a fte n s in d b e id e
A g ra rsy ste m e h e u te ä h n lic h a n tiq u ie r t w ie d e r N o m a d ism u s. Sie u m s p a n n e n
z w a r n o c h rie sig e R äu m e, ih re ö k o n o m isc h e B e d e u tu n g ist a b e r re la tiv g erin g .
4.3.2 Reisbauregionen
U n te r d e n K u ltu rp fla n z e n d e r E rd e n im m t d e r R eis e in e ü b e rra g e n d e S te llu n g
ein , ste llt e r d o c h fü r m e h r als d ie H älfte d e r M e n sc h h e it d as H a u p tn a h r u n g s m itte
l d a r (H. WiLHELMY 1975, S. 9). D ie g lo b ale P ro d u k tio n v o n 534,7 M io. t (1994)
lie g t z w a r u n g e fä h r g le ic h a u f m it d e r v o n M ais u n d W e iz e n (s. T a b e lle 4.11), d a
a b e r d ie b e id e n a n d e re n H a u p tg e tre id e a rte n z u e rh e b lic h e n T e ile n a n das V ieh
v e r f ü tte r t w e rd e n , k o m m t d e m R eis f ü r d ie E rn ä h r u n g d e r W e ltb e v ö lk e ru n g e in e
S c h lü sse lste llu n g zu. A uf e in e m F ü n fte l d e r W e ltg e tre id eflä c h e e rb rin g t d e r Reis
a u f g r u n d s e in e r re la tiv h o h e n H e k ta re rträ g e e in V iertel d e r W e ltg e tre id e e rn te .
D ab ei k o n z e n trie re n sic h 90 %v o n P ro d u k tio n u n d K o n su m d e r g lo b a le n R eise
rn te a u f d ie v o lk re ic h e n E n tw ic k lu n g s lä n d e r Süd-, S ü d o st- u n d O sta sie n s, in
d e n e n 70 % d e r B e v ö lk e ru n g d e r D ritte n W elt le b e n . V on d e r g e s a m te n W e ltre ise
rn te e n tfa lle n so g a r 95% a u f d ie E n tw ic k lu n g slä n d e r, n u r 5% o d e r 27 M io. t
(1994) w e rd e n in In d u s tr ie lä n d e r n g e e rn te t. D ie w ic h tig ste n e n tw ic k e lte n Reis-
Tab. 4.11 :
Die Getreidebaustruktur der Erde
1994
(Quelle: FAQ. Production Yearbook
48,1994)
Ernte
Mio. t V. H.
Fläche
Mio. ha. V. H.
Erträge
dt/ha
Getreide insges. 1990,6 100 689,1 100 28,3
Weizen 528,0 26,5 215,9 31,3 24,5
Reis 534,7 26,8 146,5 21,2 36,5
Mals 569,6 28,7 131,5 19,1 43,3
Gerste 160,8 8,1 73,5 10,7 21,9
Hirse 37,7 1,9 26,0 3,8 6,9
Sorghum 60,9 3,1 43,7 6,3 13,9
Hafer 33,7 1,7 19,7 2,9 17,1
Roggen 22,6 1,1 11,0 1,6 20,5
Sonstige 42,6 2,1 21,3 3,1 20,0

170 Agrarregionen der Erde
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P ro d u z e n te n s in d Ja p a n m it 15 M io. t, d ie USA (9 M io. t), E u ro p a (2 M io. t) u n d
A u stra lie n m it 1 M io. t. D ie S te ig e ru n g d e r R e is p ro d u k tio n b ild e t s o m it e in e n
w e s e n tlic h e n T eil d e r g lo b a le n E n tw ic k lu n g sp o litik . Im a sia tisc h e n H a lb m o n d
z w isc h e n P a k ista n u n d K orea, d e r m it r u n d 3 M illia rd e n M e n sc h e n d e n B evölkeru
n g s s c h w e rp u n k t d e r E rd e b ild e t, e rm ö g lic h t d e r R e isb a u B e v ö lk e ru n g sd ic h te n ,
d ie z.B. im lä n d lic h e n Z e n tra lja v a W e rte w ie im R u h rg e b ie t m it 1 500 b is 2 000
E in w ./k m ^ e rre ic h e n k ö n n e n (W. RÖll 1979, S. 37). B ei tä g lic h d re i R e ism a h lz e i­
te n b e n ö tig t e in In d o n e s ie r jä h rlic h z w isc h e n 120 u n d 160 k g Reis^® (W. Roll
1979, S. 141), w o m it e tw a 60 - 80 % des K a lo rie n b e d a rfs a b g e d e c k t w e rd e n . A n
K alo rien - u n d N ä h rw e rt ist R eis d e m W e iz e n ü b e rle g e n , d o c h k ö n n e n b e i zu
e in se itig e r R e is n a h ru n g M a n g e le rs c h e in u n g e n a u ftre te n , d a R eis n u r 8 - 10 % P ro ­
te in e e n th ä lt u n d a rm a n e in ig e n V ita m in e n u n d K a lz iu m ist (H. W ilhelmy 1975,
S. 72). A n d e re rse its lie fe rt d as Ö k o sy ste m R eisfeld e rg ä n z e n d e P ro te in e in F o rm
v o n F isch en , a u c h w e rd e n in d ie R o ta tio n h ä u fig p ro te in re ic h e P fla n z e n , w ie z.B.
H ü lse n frü c h te , e in g e b a u t.
Als H a n d e ls g u t sp ie lt R eis seit je h e r im V e rg le ic h z u d e n a n d e r e n H a u p t­
g e tre id e a rte n e in e u n te rg e o rd n e te R olle. M an sc h ä tz t, d a ß in d e n a sia tisc h e n R eislä
n d e r n die H älfte d e r E rz e u g u n g v o n d e r P ro d u z e n te n fa m ilie v e rz e h rt w ird ; die
V e rm a rk tu n g s q u o te sc h w a n k t v o n L an d z u L a n d je n a c h v o lk sw irtsc h a ftlic h e m
E n tw ic k lu n g ssta n d u n d V e rstä d te ru n g s g ra d , l n d e n in te r n a tio n a le n H a n d e l gela
n g e n n u r 2 - 3 % d e r E rn te . V or d e m Z w e ite n W e ltk rie g w a re n ein ig e sü d o s ta s ia ­
tis c h e L ä n d e r - B u rm a , T h a ila n d u n d I n d o c h in a - d ie w ic h tig s te n E x p o rte u re .
V on ih n e n e rw irts c h a fte t h e u te n u r n o c h T h a ila n d n e n n e n s w e rte Ü b e rsc h ü sse fü r
d e n E xport, es h a t e in e n A n teil v o n 30% a n d e n g lo b a le n R e ise x p o rte n . D a n n
fo lg e n m it d e n USA u n d Ita lie n zw ei In d u s trie s ta a te n . In g u te n E rn te ja h re n k ö n ­
n e n n e u e rd in g s C h in a u n d V ie tn a m g e rin g e M e n g e n R eis e x p o rtie re n .
R eis ist - v o r d e m M ais - d ie H a u p tg e tre id e a rt d e r T ro p e n u n d S u b tro p e n . Die
U rh e im a t ist das w e c h se lfe u c h te S ü d o sta sie n ; in N o rd -T h a ila n d w u rd e R eis b e ­
re its u m 3500 V. C hr. a n g e b a u t. D ie K u ltu rp fla n z e Oryza sativa u m fa ß t v ie le ta u ­
s e n d S o rte n , d ie b e id e n w ic h tig s te n A rte n g r u p p e n s in d In d ic a (T ro p e n ) u n d
Ja p ó n ic a (S u b tro p e n ). D ie P fla n z e ste llt g e rin g e A n sp rü c h e a n d e n B o d en , w e n n
a u c h d ie b e s te n E rträ g e a u f d e n s c h w e re n S c h w e m m la n d b ö d e n e rz ie lt w e rd e n .
D ag eg en ste llt d e r R eis h o h e A n fo rd e ru n g e n a n T e m p e ra tu r, E in s tra h lu n g u n d
W a sse rv e rso rg u n g . W ä h re n d d e r W a c h stu m sz e it v o n 120 - 180 T ag e n s in d n a c h
Rehm u . Espig (1976, S. 21) 1 200 - 1 500 m m N ie d e rsc h la g o p tim a l, als M in im u m
s in d 800 m m e rfo rd e rlic h . S e in e p fla n z e n b a u lic h w ic h tig ste E ig e n sc h a ft ist die
F ä h ig k eit, d u rc h S a u e rs to ffa u fn a h m e ü b e r d ie o b e rird is c h e n O rg a n e im W asser
z u g e d e ih e n , o b w o h l e r k e in e W a sse rp fla n z e ist. D as e rm ö g lic h t e rst d ie N u tz u n g
d e r rie sig e n Ü b e rsc h w e m m u n g sg e b ie te tro p is c h e r F lüsse, d ie d a d u rc h z u K onz
e n tra tio n s rä u m e n v o n B e v ö lk e ru n g u n d S ie d lu n g w e rd e n - g a n z im G e g en satz
z u d e n T a la u e n d e r g e m ä ß ig te n B reiten! In d e n a rid e n u n d so m m e rtro c k e n e n
K lim a z o n e n k a n n R eis n u r b e i k ü n s tlic h e r B e w ä sse ru n g a n g e b a u t w e rd e n . D er
^®Zum Vergleich; In den USA stehen pro Kopf jährlich 1 000 kg Getreide zur Verfügung,
wovon 70 kg direkt verzehrt und 930 kg verfüttert werden (U.Kracht 1975, S. 217).

Regionen der Ackerbau- und Dauerkultursysteme 171
e ig e n tlic h b e g re n z e n d e F a k to r des R e isa n b a u s ist d ie T e m p e ra tu r. D ie K e im u n g
e rfo lg t b e i s u b tro p is c h e n S o rte n ab 10 - 12 °C, b e i tro p is c h e n ab 18 °C. W ä h re n d
d e r H a u p tw a c h s tu m s z e it w ird e in e M in im u m te m p e ra tu r v o n 20 °C b e a n s p ru c h t,
o p tim a l s in d 30 - 32 °C. W eg en des W ä rm e b e d a rfs lie g t d ie H ö h e n g re n z e a u c h in
d e n T ro p e n m e is t b e i 1 200 m , in A u s n a h m e fä lle n b e i 1 500 m . In th e rm is c h b e ­
g ü n s tig te n T ä le rn u n d B eck en d e s H im a la y a k ö n n e n 2 200 m , im E x tre m fa ll
2 850 m e rre ic h t w e rd e n (H. Uhlig 1980 b, S. 55). Die m e is te n d e r tra d itio n e lle n
R e isso rte n s in d s e h r fo to se n sitiv , sie b rin g e n d ie h ö c h s te n E rträ g e b e i la n g e r
S o n n e n s c h e in d a u e r. D ie H e k ta re rträ g e in d e n K e rn tro p e n (Af-Klima) m it K u rzta
g e n u n d s ta r k e r W o lk e n b e d e c k u n g lie g e n d a h e r d e u tlic h u n te r d e n e n d e r
w e c h s e lfe u c h te n T ro p e n (Aw) o d e r d e r W in te rre g e n g e b ie te (Cs) m it u n g e s tö rte r
s o m m e rlic h e r E in s tra h lu n g u n d la n g e n S o m m e rta g e n (K alifo rn ien , A u stra lie n ,
M itte lm e e rra u m ). Die m o d e r n e n S o rte n s in d d a g e g e n m e is t ta g n e u tr a l o d e r n u r
g e rin g fü g ig fo to p e rio d isc h e m p fin d lic h (Rehm u. Espig 1976, S. 21). R eis z ä h lt z u
d e n K u ltu rp fla n z e n , d ie in d e r R o ta tio n m it sich se lb st v e rträ g lic h sin d , w ie u .a.
a u c h R oggen, M ais, B a u m w o lle , Z u c k e rro h r. D iese E ig e n sc h a ft e rm ö g lic h t d e n
„ p e r m a n e n te n “ R e isa n b a u m it e in o d e r zw ei E rn te n jä h rlic h u n d d ie A u sb ild u n g
v o n A g ra rla n d sc h a fte n , d ie so e in d rü c k lic h v o n e in e r K u ltu r g e p rä g t w e rd e n .
D er b e so n d e re ökologische Wert d es „ e w ig e n “ N a ß re isb a u s b e s te h t d a rin , d a ß
e r o ffe n sic h tlic h das e in z ig e g ro ß flä c h ig e A n b a u sy ste m d e r T ro p e n ist, d as a u f
D a u e r o h n e n a c h te ilig e F o lg e n f ü r d a s Ö k o sy ste m b e trie b e n w e rd e n k a n n . A n d e r
S telle v o n R e g e n w a ld u n d F e u c h ts a v a n n e ist d e r Reis d ie K lim a x v e g e ta tio n d e r
K u ltu rla n d sc h a ft. D ie U rsa c h e n f ü r d ie S ta b ilitä t d ie se s A g ra rsy ste m s s in d b is
h e u te n ic h t v ö llig g e k lä rt. F o lg e n d e G rü n d e w e rd e n in d e r L ite ra tu r g e n a n n t
(D. Grigg 1974, S. 77; P. GOUROU 1976, S. 120; H. Uhlig 1980 b, S. 46):
- m o n a te la n g e W a sse rb e d e c k u n g d e r F e ld e r. D a d u rc h E rn ie d rig u n g d e r O b e rflä ­
c h e n te m p e ra tu r, V e rrin g e ru n g d e r A u sw a sc h u n g , d ie k in e tisc h e E n e rg ie d e r
S ta rk re g e n w ird u n w irk s a m u n d d ie E ro sio n v e rh in d e rt;
- N ä h rs to ffz u fu h r d u rc h d ie S ch w e b sto ffe im W asser, evtl, v e rs tä rk t d u rc h Bod
e n a u s h u b a u s d e n Z u le itu n g sk a n ä le n ;
- S tic k sto ffa b so rp tio n a u s d e m la n g s a m e n Z erfall d e r o rg a n is c h e n S u b sta n z e n
u n te r a n a e ro b is c h e n B e d in g u n g e n so w ie S tic k sto ffix ie ru n g d u r c h m e h r e r e
A lg e n a rte n .
- G rü n d ü n g u n g d u rc h S to p p e ln u n d U n k rä u te r;
- re la tiv g e rin g e N ä h rsto ff e n tn ä h m e w e g e n d e r B e sc h rä n k u n g d e r E rn te a u f d ie
R isp e n m it je w e ils 35 - 100 K ö rn e rn .
B e g ü n stig t s in d R e isb a u g e b ie te a u f ju n g v u lk a n is c h e n , n ä h rs to ffre ic h e n B ö d e n
(z. B. Java, B ali) sow ie im Ü b e rflu tu n g s b e re ic h s c h w e b sto ffre ic h e r „W eiß w asserflü
sse “ d e r T ro p e n . In d ie s e m F alle k a n n sic h d ie B o d e n e ro sio n im O b e rla u f fü r
d as R e isb a u g e b ie t im M ittel- u n d U n te rla u f p o sitiv a u sw irk e n .
D er A n b a u v o n Reis v o llz ie h t sic h in h ö c h s t u n te rs c h ie d lic h e n Formen, je n a c h
d e r ö k o lo g isc h e n S itu a tio n u n d d e m v o lk sw irtsc h a ftlic h e n E n tw ic k lu n g ssta n d .
A m B eisp iel d es R eisb au s la sse n sic h d ie u n te rs c h ie d lic h e n K o m b in a tio n sm ö g ­
lic h k e ite n d e r P ro d u k tio n s fa k to re n A rb eit, B o d en u n d K a p ital e in d ru c k sv o ll d e ­
m o n s trie re n . A uf d e r e in e n S eite s te h t d ie m a rk to rie n tie rte , v o llm e c h a n isie rte ,
g ro ß flä c h ig e R e isfa rm K a lifo rn ie n s o d e r A u stra lie n s, d ie m it h o h e m K a p ita le in ­

172 Agrarregionen der Erde
salz (F lu g zeu g e f ü r S aat u n d S c h ä d lin g sb e k ä m p fu n g , h o h e r D ü n g er- u n d C h e m i­
k a lie n v e rb ra u c h , M ä h d ru sc h ), a b e r m in im a le m A rb e itse in sa tz e in e h o h e A rb eitsu
n d F lä c h e n p ro d u k tiv itä t erz ie lt. A uf d e r a n d e r e n S eite b e fin d e t sic h d e r ja v a ­
n isc h e R e isb a u e r m it e in e r d u r c h s c h n ittlic h e n B e trie b sflä c h e v o n 0,5 - 0,7 h a, d e r
o h n e M a sc h in e n n u r d a n k h o h e m A rb e itse in sa tz s e in e r F a m ilie m ittle re E rträ g e
e rw irtsc h a fte t, d ie v o rw ie g e n d d e m E ig e n v e rb ra u c h u n d als P a c h tz in s d ie n e n .
E in e M itte lp o sitio n n im m t d e r R e isb a u in d e n In d u s tr ie lä n d e r n d e r A lte n W elt
e in (Japan, S p a n ie n , Ita lien ), w o b e i k le in e n b is m ittle r e n B e trie b sg rö ß e n , m ittle ­
re m A rb e its in p u t u n d h o c h g ra d ig e r M e c h a n is ie ru n g z w a r e in e h o h e F lä c h e n ­
p ro d u k tiv itä t e rz ie lt w ird , d ie h o h e n A rb e itsk o ste n a b e r n u r d a n k h o h e n sta a t­
lic h e n G a ra n tie p re is e n g e tra g e n w e rd e n k ö n n e n , ln Ja p a n w u rd e in d e n le tz te n
J a h re n d e r R e isb a u w e itg e h e n d m e c h a n is ie r t, d e r A rb e its a u fw a n d s a n k v o n
1 410(1965) a u f 644 S tu n d e n je H e k ta r u n d Ja h r ab (M. I s h ii 1984, S. 144). In
S ü d k o re a , T a iw a n u n d T h a ila n d b a h n t sic h e in e ä h n lic h e E n tw ic k lu n g an.
H in sic h tlic h B e trie b sg rö ß e u n d E ig e n tu m s fo rm e n s te h e n so z ia listisc h e , k o llek ­
tiv b e w irtsc h a fte te G ro ß b e trie b e a u f d e m a sia tis c h e n F e stla n d , k o m m e rz ie lle g ro ­
ß e R e isfa rm e n in d e n USA u n d b ä u e rlic h e K le in stb e trie b e in A sien n e b e n e in a n ­
d e r. In In d o n e s ie n w a r e n 1973 88,5 %a lle r B e trie b e k le in e r als 2 h a , 46 %b e w irtsc
h a fte te n so g a r w e n ig e r als 0,5 h a (W. Röll 1979, S. 136). F ü r d a s in Z en tral-
S u m a tra g e le g e n e M in a n g k a b a u -H o c h la n d g ib t U. Scholz (1988, S. 111) e in e
d u rc h s c h n ittlic h e W irtsc h a ftsflä c h e v o n 0,88 h a je B e trie b an . Da b e i g ü n stig e n
n a tü rlic h e n S ta n d o rtfa k to re n - V u lk a n b ö d e n u n d h o h e N ie d e rsc h lä g e - 1 - 2 E rn ­
te n m ö g lic h sin d , lie g t d ie jä h rlic h e E rn te flä c h e a b e r b e i 1,16 h a. D a ra u s e rw irtsc
h a fte n d ie K le in b a u e rn re la tiv h o h e E in k o m m e n . S c h arfe so ziale G eg e n sä tz e
z w isc h e n G ro ß g ru n d b e s itz e rn u n d la n d a r m e n o d e r la n d lo s e n P ä c h te rn u n d T a­
g e lö h n e rn s in d c h a ra k te ris tis c h f ü r d ie R e is b a u re g io n e n S üd- u n d S ü d o sta sie n s.
A uch in Ja p a n lie g t d ie d u rc h s c h n ittlic h e B e trie b sg rö ß e u n te r 1 h a , d o c h w u rd e
h ie r d ie so ziale P ro b le m a tik d a d u rc h g e m ild e rt, d a ß 87 % d e r B e trie b e n u r n o c h
im Zu- o d e r N e b e n e rw e rb b e w irts c h a fte t w e rd e n ; d ie In d u s tr ia lis ie r u n g sc h u f
g e n ü g e n d n ic h tla n d w irts c h a ftlic h e H a u p te rw e rb s q u e lle n
W eg en ih r e r ü b e r r a g e n d e n B e d e u tu n g in d e r W e lte rz e u g u n g so lle n n a c h fo l­
g e n d d ie v e rs c h ie d e n a rtig e n Reisbausysteme Asiens b e tra c h te t w e rd e n , d ie sich
a u f u n te rs c h ie d lic h e n Ö k o to p e n h e ra u s g e b ild e t h a b e n . N ach d e m Kriterium der
Wasserzufuhr, d ie w e itg e h e n d d ie A n b a u te c h n ik e n d e te rm in ie rt, u n te rs c h e id e t
H. Uhlig (1983, S. 272) fo lg e n d e H a u p tfo rm e n des R eisanbaus^^:
I. T ro c k en -R eisb au
- T ro c k e n re is im W a n d e rfe ld b a u ,
- T ro c k e n re is in D a u e ra c k er-R o ta tio n .
2. N a ß re isb a u
- R eisb au a u f R e g e n sta u ,
- R eisb au im n a tü rlic h e n Ü b e rs c h w e m m u n g s b e re ic h d e r F lüsse,
- R eisb au m it „ k ü n s tlic h e r“ B ew ä sse ru n g .
Die Terminologie ist sowohl im Deutschen wie im Englischen nicht einheitlich. Hier werden
die von H. Uhlig geprägten Begriffe übernommen.

Regionen der Ackerbau- und Dauerkultursysteme 173
Trockenlandreis w ird w ie je d e s a n d e re G e tre id e a u f o ffe n e n F e ld e rn , h o c h ü b e r
d e m G ru n d w a sse r, a n g e h a u t. D ie P fla n z e n sin d a u ssc h lie ß lic h a u f R egen a n g e ­
w ie se n . D er A n b a u e rfo lg t so w o h l im W a n d e rfe ld b a u m it d e m P flan zsto ck , als
a u c h im P flu g b a u b e i D au e ra c k er-R o ta tio n . H ä u fig w ird in d e r d e u ts c h e n T e rm i­
n o lo g ie a u c h d e r B eg riff „B e rg re is“ v e rw a n d t. Die F lä c h e n e rträ g e s in d m e is t n ie d ­
rig e r als b e i N a ß re isb a u u n d ü b e rs c h re ite n se lte n 15 d t/h a (Re h m u . E spio 1976,
S. 22). S ta rk e jä h rlic h e E rtra g s s c h w a n k u n g e n s in d d u rc h d ie N ie d e rsc h la g sv a ria ­
b ilitä t b e d in g t.
Beim Naßreisbau ist d a s F eld w ä h r e n d d e r H a u p tw a c h s tu m s z e it m ö g lic h st
g le ic h m ä ß ig v o n W asser b e d e c k t, w as e in e ex ak te N iv e llie ru n g d e r B o d e n o b e rflä ­
ch e e rfo rd e rt.
B eim Reisbau auf Regenstau w e rd e n d ie F e ld e r d u rc h n ie d rig e E rd w ä lle e in g e ­
faßt, w e lc h e d as R e g e n w a sse r z u rü c k h a lte n . Die F e ld e r w e rd e n m it d e m ja v a ­
n is c h e n B egriff „ S a w a h “ b e z e ic h n e t. V o ra u sse tz u n g fü r d ie se F o rm s in d h o h e
N ie d e rsc h lä g e u n d re la tiv u n d u rc h lä s s ig e B öden. Sie ist in G e b ie te n m a n g e ln d e r
o b e rird is c h e r W a s s e rfü h ru n g v e rb re ite t, e tw a a u f P la te a u s, te rra s s ie rte n H ä n g e n
u n d u n b e w ä s s e rb a re n h ö h e r e n F lu ß te rra s s e n . N a c h te ilig fü r d ie B o d e n fru c h t­
b a rk e it ist d ie m in im a le N ä h rs to ffz u fu h r d u rc h d a s R e g en w asser. D as E rtra g s­
risik o ist, w ie b e i a lle n R e isb a u sy ste m e n m it n a tü r lic h e r W a sse rz u fu h r, se h r h o ch .
D er Reisbau im natürlichen Überschwemmungsbereich d e r F lü sse ist d ie d o ­
m in ie r e n d e F o rm in d e n T ie flä n d e rn des fe s tlä n d is c h e n S üd- u n d S ü d o sta sie n
(H. Uhlig 1983, S. 273). D er A n b a u ist d e m m o n s u n a l-w e c h s e lfe u c h te n Ja h re s­
rh y th m u s d e r s te ig e n d e n u n d fa lle n d e n W a sse rstä n d e a n g e p a ß t. V or d e m H o ch ­
w a sse r w ird d e r R eis g e sä t u n d g e p fla n z t, d ie R e isp fla n z e w ä c h st m it d e m ste i­
g e n d e n W a sse rsta n d , n a c h d e m A b flu ß erfo lg t d ie E rn te . D ie A b h ä n g ig k e it v o m
n a tü r lic h e n A b flu ß re g im e ist risik o re ic h : u n g e n ü g e n d e W a s s e rz u fu h r in re g e n a r­
m e n J a h re n b e e in trä c h tig e n d ie E rn te e b e n so w ie z u sc h n e ll s te ig e n d e W assers
tä n d e u n d z u la n g e a n h a lte n d e Ü b e rflu tu n g e n . S c h lie ß lic h ist in d e r R egel n u r
e in e E rn te p ro Ja h r m ö g lich . D en n a tü r lic h e n Ü b e rs c h w e m m u n g s b e re ic h u n te r ­
g lie d e rt H. Uhlig (1983, S. 274 - 275) in d re i Ö k o to p e (s. A b b ild u n g 4.15).
Abb. 4.15:
Die Hauptformen des
Reisbaus nach der
Wasserzufuhr
(Quelle: H. Uhlig 1983,
vereinfacht)

174 Agrarregionen der Erde
- F la c h w a sse rb e re ic h m it W a sse rtie fe n v o n 5-15 cm . S ta rk tro c k e n h e its g e fä h r­
det, e rfo rd e rt sc h n e ll re ife n d e S o rten ;
- m itte ltie fe r B ereich (15 - 100 cm ); b e i W a sse rtie fe n v o n 15 - 50 c m k ö n n e n m o ­
d e rn e H o c h e rtra g s s o rte n v e rw a n d t w e rd e n , ü b e r 50 c m ist m a n a u f d ie tra d itio ­
n e lle n L a n g h a lm s o rte n a n g e w ie se n ;
- B e re ic h f ü r T ie fw a sse rre is („ S c h w im m e n d e r R e is“) b e i W a s s e rtie fe n v o n
1 - 3 m , im E x tre m fa ll b is 6 m . D ie e la s tis c h e n H a lm e w a c h s e n m it d e m ste ig e n ­
d e n W asser tä g lic h 10 - 15 cm ; E rn te n a c h d e m T ro c k e n fa lle n , s e lte n e r v o m
B oot aus.
D ie F lüsse im tro p is c h e n T ie fla n d s in d h ä u fig als D a m m u fe rflü sse a u sg e b ild e t.
D ab ei tra g e n d ie re la tiv b re ite n , h o c h w a s s e rs ic h e re n U fe rd ä m m e d ie S ie d lu n g e n
sa m t g a n z jä h rig b e s te llte n G ä rte n , w ä h r e n d d ie b re ite n S e n k e n h in te r d e n D äm ­
m e n , d ie m e h re re W o c h e n ü b e rflu te t sin d , d as n a tü rlic h e R e isla n d a b g e b e n .
R e g e n sta u u n d Ü b e rs c h w e m m u n g w e rd e n fä lsc h lic h e rw e ise oft als k ü n s tlic h e
B e w ä sse ru n g a u fg e fa ß t. H ä lt m a n sich a b e r a n d ie a lte D e fin itio n d e r k ü n s tlic h e n
B e w ä sse ru n g v o n P. H ir t h (1928)^®, n a c h w e lc h e r „ d u rc h m e n sc h lic h e s Z u tu n a u f
irg e n d e in e W eise W a sse r zu la n d w irts c h a ftlic h e n Z w eck en , a n d ie S telle g e b ra c h t
w ird , a n d ie es v o n N a tu r a u s n ic h t g e la n g t w ä r e “, so z ä h le n d ie se F o rm e n e in d e u ­
tig z u r n a tü r lic h e n W a sse rz u fu h r.
Tab. 4.12:
Die Reisbautypen Asiens 1973/75
(Quelle: H. Uhlig 1981, Tab. 1 und 2)
Gesamte
Reisfläche
(Mio. ha)
Überschwemmungsreis
u.
Reis auf
Regenstau
Trockenlandreis
v.H. von Spalte 1
Künstlich
bewässerte
Reisfläche
China 34,1 8 2 90
Japan 2,7 - 4 96
Südkorea 1,2 8 - 92
Südostasien 33,8 64 10 26
Indien 38,4 55 6 39
Bangla Desch 9,5 67 23 10
- 100
Pakistan 1,6 -
Sri Lanka 0,6 33 17 50
Südasien insges. 51,3 56 9 35
Der R e isb a u m it k ü n s tlic h e r B e w ä sse ru n g b ie te t u n g e a c h te t d e r h o h e n Investitio
n s- u n d U n te rh a ltu n g s k o s te n e rh e b lic h e V orteile: D ie E rtra g s s c h w a n k u n g e n
im G efolge d e r N ie d e rsc h la g sv a ria b ilitä t w e rd e n a u sg e g lic h e n . D ie re g e lm ä ß ig e
u n d k o n tro llie rte B e w ä sse ru n g p a ß t d ie W a s s e rz u fu h r ex a k t d e m W a sse rb e d a rf
d es je w e ilig e n W a c h s tu m s s ta d iu m an. D ie n e u e n H o c h e rtra g s s o rte n e r b rin g e n in
* Z itiert n ach K. Sa pper 1 9 3 2 , S. 226.

Regionen der Ackerbau- und Dauerkultursysteme 175
d e r k lim a tis c h e n T ro c k e n z eit, d.h . d e r frü h e r e n B ra c h z e it im w e c h se lfe u c h te n
K lim a, d e u tlic h h ö h e re E rträ g e a u fg ru n d d e r g ü n s tig e re n E in s tra h lu n g u n d n ie d ­
r ig e re n N a c h tte m p e ra tu re n . D ie G e fa h r v o n In se k te n b e fa ll u n d K ra n k h e its ris ik e n
s in d n ie d rig e r als in d e r R eg en zeit. E in g e b ra c h te r M in e ra ld ü n g e r w ird n ic h t a u s­
g e s c h w e m m t w ie b e i Ü b e rs c h w e m m u n g s re is b a u , d ie D ü n g e rre a k tio n e n sin d in
d e r n ie d e rs c h la g s a rm e n Z eit b e s s e r (H. U h l ig 1980 b, S. 42). D er H a u p tv o rte il d e r
g a n z jä h rig e n k ü n s tlic h e n B e w ä sse ru n g b e s te h t a b e r in d e n T ro p e n in d e r M öglic
h k e it, z u zw ei o d e r g a r d re i E r n te n ü b e rz u g e h e n . D er g a n z jä h rig e A n b a u
e rm ö g lic h t a u ß e rd e m v ie lfä ltig e R o ta tio n e n , a n d ie S telle des „ p e r m a n e n te n “
R e isb au s tr e te n k o m p le x e F ru c h tw e c h se lsy ste m e . D as F eld k a n n je d e s J a h r eino
d e r z w e im a l m it R eis u n d z u sä tz lic h m it a n d e re n F rü c h te n b e s te llt w e rd e n . D er
Ü b e rg a n g z u m e h r e r e n E r n te n b e d e u te t n ic h t n u r e in e b e trä c h tlic h e S te ig e ru n g
des E rtra g e s b e i u n v e r ä n d e r te r A n b a u flä c h e , s o n d e rn a u c h e in e v ie lse itig e E r­
n ä h r u n g . D iese o ffe n s ic h tlic h e n V o rte ile d e r k ü n s tlic h e n B e w ä sse ru n g h a b e n
z u e in e r U m b e w e rtu n g g ro ß e r A g ra rrä u m e g e fü h rt, ln In d ie n e n tw ic k e lte n sich
ju n g e B e w ä sse ru n g sg e b ie te z u e rfo lg re ic h e n Ü b e rsc h u ß g e b ie te n (u.a. P a n d sc h a b ,
S in d h ), w ä h r e n d G e b ie te m it a lte r R e isb a u tra d itio n , a b e r n a tü r lic h e r W a sse rz u ­
fu h r (W e stb en g alen , B ih a r, O rissa) Z u rü c k b le ib e n (H. U h l ig 1980 b, S. 43).
N ach H. U h l ig (1981, S. 203) s in d w e ltw e it n u r 25 - 50 % d e r R eisfläch e k ü n s tlic h
b e w ä sse rt, 35 - 50 % e n tfa lle n a u f R e g e n sta u u n d Ü b e rsc h w e m m u n g , 10 - 15 % a u f
T ie fw a sse rre is u n d 5 - 10 % a u f T ro c k e n la n d re is. E n tg e g e n e in e r w e itv e rb re ite te n
V o rste llu n g , d ie N a ß re isb a u ste ts m it k ü n s tlic h e r B e w ä sse ru n g in V e rb in d u n g
b rin g t, ist d ie W e ltre isflä c h e ü b e rw ie g e n d v o n n a tü r lic h e r W a s s e rz u fu h r m it all
ih r e n R isik en ab h ä n g ig . N a ß re is b a u m it n a tü rlic h e r W a s s e rz u fu h r d o m in ie rt in
S ü d o sta sie n , w ie z. B. in T h a ila n d (77 %) o d e r B u rm a m it 79 % d e r R eisfläch e
(H. U h l ig 1983, S. 271). T ro c k e n la n d re is h a t se in e S c h w e rp u n k te in B ra silie n (60 %
d e r R eisfläche), A frika (50 %) u n d a u f d e n P h ilip p in e n . R e isb a u m it k ü n s tlic h e r
B e w ä sse ru n g d o m in ie rt in O sta sie n se it a lte rsh e r. D as c h in e sisc h e R eich soll b e ­
re its im 14. J a h r h u n d e r t n. C hr. e in e b e w ä sse rte R eisfläch e v o n 8,5 M io. h a b e se s­
sen h a b e n (D. G r ig g 1974, S. 86). D ie re la tiv a lte n R e is b a u k u ltu re n d es isla ­
m is c h e n K u ltu rk re ise s b e r u h e n e b e n so a u ssc h lie ß lic h a u f k ü n s tlic h e r B ew ässeru
n g , w ie d ie m o d e rn e n K u ltu re n in d e n USA, in A u stra lie n u n d E u ro p a . D er
w e ite re A u sb a u d e r k ü n s tlic h e n B e w ä sse ru n g in d e n R e is b a u re g io n e n d e r D ritte n
W eltj ^ r d e e rh e b lic h e P ro d u k tio n s re s e rv e n m o b ilisie re n .
S eit M itte d e r se c h z ig e r Ja h re e r f u h r d e r a sia tisc h e R e isb a u e in e R eih e v o n
e rtra g s s te ig e rn d e n In n o v a tio n e n , w o fü r d as m e d ie n w irk s a m e S c h la g w o rt v o n
der “Grünen Revolution” g e p rä g t w u rd e . W ich tig stes In n o v a tio n s z e n tru m w a r
d a s 1962 g e g rü n d e te In te rn a tio n a l Rice R ese a rc h In s titu te (IRRI) v o n Los B años
(P h ilip p in e n ). Ih m g e la n g in re la tiv k u r z e r Z eit d ie Z ü c h tu n g v o n H o c h ertrag s-
H y b rid s o rte n (H igh-Y ielding-V arieties = HYV) a u s d e r K re u z u n g v o n In d ica- m it
k u rz w ü c h s ig e n J a p o n ic a -g a ^ e n . Ih re w ic h tig ste n E ig e n sc h a fte n sin d : h ö h e re Fläc
h e n e rträ g e , k ü rz e re r H a lm (d a d u rc h v e rrin g e rte G e fa h r d es U m le g e n s w e g e n d e r
sc h w e re re n R ispe), v e rk ü rz te W a c h stu m sz e it. U n te r V e rsu c h s b e d in g u n g e n w u r ­
d e n d a m it E rtra g s s te ig e ru n g e n v o n d e n b is d a h in h ö c h s te n W e rte n im s ü d o sta sia ­
tis c h e n R e isb a u v o n 40 d t/h a b is a u f 100 d t/h a e rz ie lt (H. Uhlig 1980, S. 39). D u rc h
d ie V e rk ü rz u n g d e r W a c h stu m sz e it w e rd e n 2 - 3 E rn te n im Ja h r m ö g lic h . In d e r

176 Agrarregionen der Erde
P raxis w e rd e n d ie se W e rte a lle rd in g s se lte n e rre ic h t, d a d ie H o c h e rtra g s s o rte n n u r
im V e rb u n d m it e in e m g a n z e n B ü n d e l v o n A n b a u te c h n ik e n ih r g e n e tisc h e s E r­
tra g sp o te n tia l v oll a u ssc h ö p fe n . N ach H. U h l ig (1980) ste lle n sie fo lg e n d e A n fo r­
d e ru n g e n :
- re g e lm ä ß ig e u n d k o n tro llie rte (m e ist k ü n stlic h e ) B e w ä sse ru n g ,
- V e rp fla n z e n s ta tt S aat (das R eisfeld w ird d a d u rc h 4 - 6 W o c h e n f ü r e in e a n d e r­
w e itig e N u tz u n g frei),
- g e n a u d o s ie rte r E in sa tz v o n M in e ra ld ü n g e r,
- E in sa tz v o n P e stiz id e n u n d H e rb iz id e n .
D ie so z ia le n u n d ö k o lo g isc h e n A u sw irk u n g e n d e r „ G rü n e n R e v o lu tio n “ w e rd e n
se h r u n te rs c h ie d lic h b e w e rte t (vgl. W . RÖLL 1979 m it H. U h l ig 1980). Die e rste
P h ase d e r „ G rü n e n R e v o lu tio n “ k a m v o r a lle m d e n A n b a u g e b ie te n m it k ü n s tlic
h e r B e w ä sse ru n g z u g u te , in d e n e n d ie k u rz s tro h ig e n H Y V -Sorten p ro b le m lo s
e in g e se tz t w e rd e n k o n n te n . D ag eg en w u r d e n d ie R e isb a u re g io n e n m it n a tü r lic
h e r W a s s e rz u fu h r a n fa n g s v e rn a c h lä s s ig t. H e u te ist d ie F o rs c h u n g a u c h u m
V e rb e sse ru n g e n in d ie s e n R ä u m e n b e m ü h t. D ie n e u e n A n b a u te c h n ik e n e rfo rd e rn
e in e n s e h r v ie l h ö h e r e n K a p ita le in sa tz f ü r S a a tg u t (H y b rid so rten !), A g ro ch em i-
k a lie n , M in e ra ld ü n g e r u n d G eräte. D ie K a p ita lk ra ft u n d d e r A u s b ild u n g ssta n d
d e r k le in b ä u e rlic h e n B e v ö lk e ru n g w ird v ie lfa c h ü b e rfo rd e rt, d ie „ G rü n e R evolutio
n “ k a m v o rw ie g e n d d e n In h a b e r n g rö ß e re r B e trie b e z u g u te . In In d ie n , P ak i­
sta n , In d o n e s ie n f ü h r te sie z u e in e r V e rs c h ä rfu n g d e r o h n e h in s e h r tie fe n so zialen
G egen sätze a u f d e m L an d e. A n d e re rse its ist n a c h H. U h l ig (1980, S. 60) e in e
E in k o m m e n s s te ig e ru n g f ü r b re ite b ä u e rlic h e S c h ic h te n im G efolge d e r n e u e n
A n b a u te c h n ik n ic h t z u b e s tre ite n . H. G. B o h l e (1989) e rw e ite rte d e n B egriff d e r
„ G rü n e n R e v o lu tio n “ u m e in e w e ite re D im e n s io n . Z u sä tz lic h z u m la n d w ir t­
sc h a ftlic h e n M o d e rn is ie ru n g s p ro g ra m m m it d e m o b e rs te n Z iel d e r sc h n e lle n u n d
n a c h h a ltig e n P ro d u k tio n s s te ig e ru n g tr itt z w e ite n s e in ü b e rg re ife n d e s E n tw ic k ­
lu n g s p ro g ra m m f ü r d e n lä n d lic h e n R au m . Es soll d a u e rh a ft A rm u t u n d H u n g e r
ü b e rw in d e n . D ieses z w e ite Z iel w u rd e b is h e r n ic h t e rre ic h t - h a u p ts ä c h lic h , w eil
n ic h t e tw a e in u n g e n ü g e n d e s A n g eb o t v o n N a h ru n g s m itte ln , s o n d e rn d ie fe h le n ­
de K a u fk ra ft d ie S itu a tio n d e r lä n d lic h e n A rm u t b e s tim m t. D ie K e h rse ite n d e r
„ G rü n e n R e v o lu tio n “ s in d n a c h BOHLE (1989, S. 92):
- w a c h se n d e re g io n a le D is p a ritä te n z w isc h e n B e w ä sse ru n g sre g io n e n u n d u n b e -
w ä s s e rte n A g ra rrä u m e n ,
- A u sw e itu n g d e r Ю иА zw isc h e n A rm u n d R eich,
- z u n e h m e n d e ö k o lo g isch e P ro b le m e .
A uf d e r a n d e r e n S eite w u rd e d ie z e n tra le F ra g e fü r d ie R e is b a u lä n d e r d e r D ritte n
W elt, n ä m lic h d ie P ro d u k tio n s s te ig e ru n g p a ra lle l z u r B e v ö lk e ru n g se n tw ic k lu n g
d u rc h h ö h e re F lä c h e n e rträ g e , b is h e r e rs ta u n lic h g u t g elö st (s. T ab elle 4.13). Die
W e ltre ise rn te k o n n te v o n ru n d 170 M io. t (1948/52) a u f 535 M io. t (1994) o d e r u m
214 % g e ste ig e rt w e rd e n . D ab ei w u c h s d ie R e isa n b a u flä c h e n u r u m 43 %, d ie H ekta
re rträ g e a b e r u m 121%. In d o n e s ie n v e rg rö ß e rte se in e R e isb a u flä c h e z w isc h e n
1948 u n d 1994 u m 89 %, d ie R e is p ro d u k tio n w u c h s a b e r u m 390 %! D er A n stie g d e r
P ro d u k tio n ist also p r im ä r d e r S te ig e ru n g d e r F lä c h e n p ro d u k tiv itä t z u v e rd a n ­
k e n , w ä h re n d b is z u r M itte d e s 20. J a h rh u n d e rts d ie A u sw e itu n g d es R eislan d es
d ie H a u p tu rs a c h e f ü r d a s W a c h stu m d e r E rn te n w a r. S eit d e n a c h tz ig e r J a h re n h a t

Regionen der Ackerbau- und Dauerkultursysteme 177
sic h d ie jä h rlic h e Z u w a c h sra te d e r g lo b a le n R e is p ro d u k tio n b e d e n k lic h v e r r in ­
g e rt, n ä m lic h v o n 3,2 % (1970 - 81) a u f 2,2 % (1982 - 94). M an b e fü rc h te t e rn s th a ft,
d a ß in Z u k u n ft d ie S te ig e ru n g d e r E rn te n h in te r d e m B e v ö lk e ru n g sz u w a c h s z u ­
rü c k b le ib t.
Tab. 4.13: Die Entwicklung der globalen Reisproduktion 1948 -1994
(Quellen: Brockhaus Enzyklopädie, Bd. 15,1972; FAQ. Production Yearbook 35,1981 und 48,1994)
Erde
Fläche (Mio. ha.)
1948/52 1970 1994
102,8 135,5 146,5
Ernte (Mio. t.)
1948/52 1970 1994
169,6 306,8 534,7
Erträge (dt/ha)
1948/52 1970 1994
16,5 22,6 36,5
Asien 96,1 123,7 130,0 158,0 280,1 485,1 16,4 22,6 37,3
\ V R China 26,8 32,2 30,4 58,2 100,0 178,3 21,7 31,1 58,7
Japan 3,0 2,9 2,2 12,7 16,5 15,0 42,3 56,9 67,7
Südkorea 0,9 1,3 1,2 3,4 5,9 7,1 36,2 46,0 60,8
Philippinen 2,4 3,2 3,4 2,8 5,7 10,2 11,8 17,8 30,3
Ц Thailand 5,2 7,3 8,5 6,8 16,6 18,4 13,1 22,8 21,8
^ Indonesien 5,9 8,2 10,6 9,4 16,8 46,2 16,1 20,4 43,4
\ Indien 30,1 37,7 42,0 33,4 62,5 118,4 11,1 16,6 28,2
Afrika 2,8 3,9 7,2 3,5 7,5 15,9 12,4 19,4 21,9
Ägypten 0,3 0,5 0,6 1,0 2,6 4,6 37,9 54,3 79,2
Amerika 3,5 7,1 8,1 6,5 15,9 29,0 18,8 22,4 35,7
Brasilien 1,9 4,6 4,4 2,9 7,6 10,6 15,8 16,4 23,8
USA 0,8 0,7 1,3 1,9 3,8 9,0 25,6 51,2 67,2
Europa 0,5 0,7 0,4 1,5 3,1 2,1 34,1 42,9 55,9
Australien 0,03 0,05 0,1 0,1 0,3 1,0 31,1 53,3 83,4
A us T ab elle 4.13 w ird d e u tlic h , w ie e in d e u tig d e r S c h w e rp u n k t des R e isb au s in
Asien lieg t. K eine a n d e re G e tre id e a rt ist so a u f e in e n K o n tin e n t k o n z e n trie rt. A uffa
lle n d s in d d ie U n te rsc h ie d e d e r F lä c h e n e rträ g e z w isc h e n O sta sie n u n d Süd- u n d
S ü d o sta sie n . Die h ö h e re F lä c h e n p ro d u k tiv itä t O sta sie n s ist e in m a l in d e n g ü n s tig
e re n k lim a tis c h e n V e rh ä ltn isse n , v o rw ie g e n d a b e r im g rö ß e re n E in sa tz v o n A r­
b e its k rä fte n (C hina) b zw . e rtra g s s te ig e rn d e n B e trie b s m itte ln (Japan) b e g rü n d e t.
E rtra g s s te ig e ru n g e n b e w irk e n a u c h d ie h a lb jä h rlic h e R o ta tio n z w isc h e n R eis als
S o m m e rfru c h t u n d d e n W in te rfrü c h te n (u. a. Soja, W eizen ) so w ie d ie D o m in a n z
d e r k ü n s tlic h e n B e w ä sse ru n g . D e m g e g e n ü b e r b e r u h t d ie R e isk u ltu r in S üd- u n d
S ü d o sta sie n n o c h fü r zw ei D ritte l d e r F läch e a u f n a tü r lic h e r W a sse rz u fu h r. H ie r
ü b e rw ie g t a u c h h e u te n o c h d e r a n d as M o n su n k lim a a n g e p a ß te A n b a u rh y th m u s
m it H a u p tw a c h s tu m in d e r fe u c h te n u n d (ein er) E rn te in d e r T ro c k e n z eit.
D er afrikanische Kontinent tr ä g t n u r 3,0 % z u r W e ltre is e rn te b ei, o b w o h l e r
g rö ß te n te ils d e n T ro p e n u n d S u b tro p e n a n g e h ö rt. D ie g e rin g e B e d e u tu n g des
R e isb a u s lä ß t sich te ilw e ise m it d e m Z u rü c k tre te n g ro ß e r S c h w e m m la n d e b e n e n ,
h a u p ts ä c h lic h a b e r a u s k u ltu re lle n G rü n d e n e rk lä re n (a n d e re E ß g e w o h n h e ite n ,
P ro b le m e m it d e r B e w ä sse ru n g ste c h n ik , re la tiv g e rin g e B ev ö lk e ru n g sd ic h te ). Als
rä u m lic h e S c h w e rp u n k te la s s e n sic h a u ssc h e id e n : Ä g y p te n (N ildelta), M a d ag ask
a r, T a n s a n ia so w ie e in ig e S ta a te n W esta frik a s (N igeria, E lfe n b e in k ü ste , G u in ea).
A u ffa lle n d s in d d ie n ie d rig e n H e k ta re rträ g e v o n 10 - 20 d t im tro p is c h e n A frika.

178 Agrarregionen der Erde
Südamerika, d e r a n d e re T ro p e n k o n tin e n t, e rb rin g t n u r 3,4% d e r g lo b a le n Reisp
ro d u k tio n , o b w o h l e r ü b e r rie sig e T ie flä n d e r v e rfü g t, d ie fü r d e n R e isb a u in
F rage k ä m e n . S c h w e rp u n k te s in d B ra silie n , K o lu m b ie n u n d P e ru . In d e r Flächenp
ro d u k tiv itä t b e s te h e n e rh e b lic h e D is p a ritä te n z w isc h e n B ra silie n m it 23,8 d t/h a
(D o m in a n z d es T ro c k e n la n d reise s!) u n d P e ru , w o b e i k ü n s tlic h e r B e w ä sse ru n g
58,4 d t/h a g e e rn te t w e rd e n .
Die USA s te ig e rte n ih re E rz e u g u n g v o n 1,9 M io. t (1948/52) a u f 9 M io. t (1994).
A n g esich ts des re la tiv g e rin g e n B in n e n k o n s u m s g e h e n 40 % d e r E rn te in d e n
E xport, d e r d u rc h g e rin g e P ro d u k tio n s k o s te n im v o h m e c h a n is ie rte n A n b a u u n d
e in e n h o h e n Q u a litä ts s ta n d a rd g e fö rd e rt w ird . D ie H a u p ta n b a u g e b ie te h e g e n in
K a lifo rn ie n u n d a n d e r G olfküste.
Australiens R e isb a u e rz ie lt m it 83,4 d t/h a (1994) d ie h ö c h s te n F lä c h e n e rträ g e
d e r W elt. Die P ro d u k tio n k o n n te v o n 84 000 t (1948/52) a u f 1 M io. t (1994) g esteig
e rt w e rd e n . Das H a u p ta n b a u g e b ie t h e g t im M u rru m b id g e e -B e w ä sse ru n g sp e rim
e te r (N eu sü d w ales), e in k le in e re s Z e n tru m im tro p is c h e n Q u e e n sla n d .
D er R eisbau im europäischen Mittelmeerraum ist a u s w e ltw e ite r S ich t u n b e ­
d e u te n d , A n b a u flä c h e n u n d P ro d u k tio n s in d rü c k lä u fig . D as g rö ß te g esch lo sseije
A n b a u g e b ie t ist d ie u n te r e P o eb en e; d ie s p a n is c h e n R e isb a u g e b ie te , b e so n d e rs
d as E b ro d elta, sin d w e g e n ih r e r h o h e n F lä c h e n e rträ g e (1994: 62 d t/h a ) b e m e r­
k e n sw e rt.
4 .3 .3 Regionen des traditionellen, kleinbetrieblichen, intensiven Ackerbaus
ohne Reis
N e b e n d e n R e isb a u sy ste m e n , d ie se it je h e r d ie A u fm e rk sa m k e it d e r F o rsc h u n g
a u f sich zogen, w e rd e n h ä u fig a n d e re tra d itio n e lle , k le in b e trie b lic h e A ck e rb a u ­
sy ste m e ü b e rs e h e n , d e n e n d ie M asse d e r A g ra rb e trie b e in d e r D ritte n W elt z u z u ­
r e c h n e n ist. D iese V e rn a c h lä ssig u n g h a t e in e la n g e T ra d itio n . In d e r K o lo n ialzeit
w a re n d ie „ E in g e b o re n e n w irts c h a fte n “ fü r d e n K o lo n ia lh e rrn u n in te re s s a n t, w eil
sie n u r g e rin g e Ü b e rsc h ü sse fü r d e n W e ltm a rk t lie fe rte n , d e n P la n ta g e n w u rd e
d a h e r in d e r R egel g rö ß e re A u fm e rk sa m k e it g e sc h e n k t. A u ch in d e r P o stk o lo n ia l­
zeit w u rd e n d ie tra d itio n e lle n A g ra rsy ste m e ja h r z e h n te la n g v e rn a c h lä ssig t, sie
la g e n n ic h t im In te re s s e n fe ld d e r n e u e n M a c h te lite n . F r ü h e r w a r d ie s e r T yp a u c h
in d e n In d u s tr ie lä n d e r n d e r A lte n W elt v e rb re ite t; e r m u ß te sic h a b e r e n tw e d e r
sp e z ia lisie re n - z.B. a u f W ein- o d e r O b stb a u - o d e r ist a u s d e r P ro d u k tio n a u sg e­
sc h ie d e n .
D. W h it t l e s e y (1936, S. 222-223) sc h ie d b e re its e in A g ra rsy ste m „ In te n siv e
S u b sista n c e T illage w ith o u t P a d d y R ice“ au s. Es tr itt in e in e r F ü lle v o n U n te rty p e n
au f, w ie das a n g e sic h ts s e in e r w e ite n V e rb re itu n g in d e n v e rs c h ie d e n s te n K lim a­
z o n e n zu e rw a rte n ist. M an trifft es in L a te in a m e rik a , A frika, im M itte lm e e rra u m ,
im O rie n t, in Süd-, S ü d o st- u n d O sta sie n so w ie O z e a n ie n an. In d e r IGU-FQassifikatio
n d e r A g ra rsy ste m e (s. T ab elle 3.3) b ild e t es n e b e n d e m M isch ty p T m d ie b e id e n
fo lg e n d e n U n te rty p e n (J. K o s t r o w ic k y 1980, S. 142 - 143): Ti: T ra d itio n e lle r, k le in ­
b e trie b lic h e r, a rb e its in te n s iv e r A ck erb au ; Ts: T ra d itio n e lle r, k le in b e trie b lic h e r,
te ilw e ise m a rk to rie n tie rte r, sp e z ia lis ie rte r A ck erb au .

Regionen der Ackerbau- und Dauerkultursysteme 179
B ei a lle r V e rs c h ie d e n h e it h in s ic h tlic h K u ltu rp fla n z e n , A n b a u te c h n ik e n u n d a g ra r­
so z ia le n V e rh ä ltn is s e n w e ise n d iese T y p e n fo lg e n d e g e m e in sa m e M e rk m a le auf:
- k le in e B e trie b sg rö ß e n ;
- m ittle r e r b is h o h e r A rb e itsa u fw a n d , n ie d rig e r K a p ita le in sa tz ;
- m ittle re b is h o h e F lä c h e n p ro d u k tiv itä t, n ie d rig e A rb e itsp ro d u k tiv itä t.
A us d e r sc h w e r ü b e rs c h a u b a re n F ü lle d e r S u b ty p e n so lle n n a c h fo lg e n d zw ei re ­
g io n a le B eisp iele v o rg e ste llt w e rd e n , e in m a l d ie O a s e n la n d w irts c h a ft des O rie
n ts (Typ Ti) a m B eisp iel d e r s ü d tu n e s is c h e n O ase G abès, z u m a n d e r e n d ie k le in ­
b ä u e rlic h e n K a k a o b a u re g io n e n W e sta frik a s (Typ Ts).
Die Oasenlandwirtschaft des Orients
Je n se its d e r a g ro n o m is c h e n T ro c k e n g re n z e ist A ck e rb a u n u r n o c h m it B ew ässer
u n g m ö g lic h . D e r A n b a u ist a u f d ie w e n ig e n S ta n d o rte m it a u s re ic h e n d e m
W a sse ra n g e b o t b e s c h rä n k t, d ie im is la m is c h e n K u ltu rk re is als Oasen^® b e z e ic h ­
n e t w e rd e n . D a ru n te r v e rs te h t m a n in s e lh a fte A n b a u flä c h e n m its a m t ih r e n S ied ­
lu n g e n in m itte n v o n W ü ste n u n d W ü s te n s te p p e n . S ie h t m a n v o n d e n a u s g e d e h n ­
te n S tro m o a se n ab, so h a n d e lt es sic h in d e r R egel u m r e c h t k le in e A reale.
D ie tra d itio n e lle , k le in b e trie b lic h e O a s e n la n d w irts c h a ft des O rie n ts z ä h lt zu
d e n k o m p liz ie rte s te n A g ra rsy ste m e n d e r E rd e. Sie u n te rs c h e id e t sic h v o n d e n
ü b rig e n F o rm e n des B e w ä sse ru n g sfe ld b a u s - w ie z.B. R eisb au , m o d e rn e B ew äss
e ru n g s w irts c h a ft - d u r c h ih r e K o m p le x itä t h in s ic h tlic h A n b a u s tr u k tu r (P fla n ­
z e n v ie lfa lt, S to c k w erk b au ), B e w irtsc h a ftu n g sfo rm e n , B esitzg efü g e, W asser- u n d
N u tz u n g s re c h te n so w ie d e r S o z ia ls tru k tu r d e r O a se n b e v ö lk e ru n g . Im G ru n d e
h a n d e lt es sic h b e i d e r O a s e n la n d w irts c h a ft u m e in e F o rm d es G a rte n b a u s. Die
m e n s c h lic h e A rb e itsk ra ft ü b e rw ie g t, d ie H acke ist das U n iv e rsa lg e rä t z u r B o d e n ­
b e a rb e itu n g . D er P flu g b a u m it S p a n n tie re n o d e r T ra k to re n ist i.w . a u f d ie g ro ß ­
flä c h ig e n , o ffe n e n S tro m o a se n b e s c h rä n k t. A. B e n c h e r if a (1990, S. 82) b e z e ic h n e t
d ie O a s e n la n d w irts c h a ft als „ e in es d e r in te n s iv s te n tra d itio n e lle n A n b a u sy ste m e
d e r W e lt“. Es ist e n ts ta n d e n , u m „die E rn ä h ru n g s e rfo rd e rn is s e d e r h o h e n B evölk
e ru n g s z a h l a u f e n g ste m R a u m z u e rm ö g lic h e n “.
O a se n w e rd e n h a u p ts ä c h lic h n a c h d e r A rt d e r W a sse rv e rso rg u n g d iffe re n z ie rt,
a lle rd in g s k ö n n e n m e h re re W a sse rb e s c h a ffu n g s a rte n in e in e r O ase a u ftre te n :
1. O b e rflä c h e n w a sse r
- p e r e n n ie r e n d e F re m d lin g sflü sse . D ie g ro ß e n S tro m o a se n s in d d ie m it A b sta n d
w ic h tig s te n A g ra rrä u m e in d e n T ro c k e n z o n e n . A llein im N iltal k o n z e n trie re n
sic h 50 M io. M e n sc h e n . D ie B e w ä sse ru n g ste c h n ik e n , d ie e in e n h o h e n so z ia le n
O rg a n is a tio n s g ra d e rfo rd e rn , w a re n m it e in A n laß z u r E n tw ic k lu n g d e r e rs te n
H o c h k u ltu re n .
- p e rio d is c h flie ß e n d e G ew ässer. Sie la u fe n e n tw e d e r lin ie n h a f t in W ad is ab o d e r
w e rd e n in G e lä n d e m u ld e n g e sa m m e lt.
Der Begriff Oase leitet sich über lateinisch oasis und griechisch oasis letztlich vom altäg}фtischen
wh’t = Kessel, Niederung ab (F. KLUGE, Etymologisches Wörterbuch der deutschen
Sprache. Berlin 1960).

180 Agrarregionen der Erde
; ' !
- W a sse rsp e ic h e r (S ta u se e n , S ta u te ic h e , T an k s) s in d d as w ic h tig ste M itte l z u r
M o d e rn is ie ru n g d e r W a sse rv e rso rg u n g . Sie m a c h e n d e n A n b a u v o n d e n sta r­
k e n jä h rlic h e n u n d ja h re s z e itlic h e n S c h w a n k u n g e n d es O b e rflä c h e n a b flu sse s
u n a b h ä n g ig .
2. G ru n d w a s s e r
- n a tü rlic h e Q u e lle n ,
- G ru n d w a s s e rs trö m e in W a d is, d ie a n F e lssc h w e lle n - sog. h y d r a u lis c h e n
S ch w ellen - v o n se lb st a n d ie O b e rflä c h e tre te n ,
- G ru n d w a sse r-S ic k e rsto lle n (Q an at, F o g g ara, R h e tta ra ),
- B ru n n e n a u f n ic h tg e s p a n n te s G ru n d w a sse r, d as d u rc h H e b e v o rric h tu n g e n a n
d ie O b e rflä c h e g e b ra c h t w ird ; M o to rp u m p e n v e rd rä n g e n m e h r u n d m e h r d ie
tra d itio n e lle n , v o n M e n sc h e n o d e r T ie re n b e tr ie b e n e n H e b e v o rric h tu n g e n .
- a rte sisc h e B ru n n e n , in d e n e n G ru n d w a s s e r u n te r h y d ro s ta tis c h e m D ru c k d ie
O b e rflä c h e e rre ic h t.
Hwti
n 1n
Regionalbeispiel Gabès
D ie s ü d tu n e s is c h e O ase G ab ès ist d u rc h d ie d e ta illie rte n S tu d ie n v o n H. ACHEN­
BACH (1971) u n d A. B e c h r a o u i (1980) a g ra rg e o g ra p h is c h g u t e rfo rsc h t. Sie v e rk ö r­
p e r t d e n T yp d e r s a h a ris c h e n B o d e n n u tz u n g , o b w o h l d e r R a u m b e i 180 - 190 m m
J a h re s n ie d e rs c h la g v e g e ta tio n s g e o g ra p h is c h d e r S te p p e z u z u r e c h n e n ist. D er
m a ritim e E in flu ß a u f d ie K ü ste n o a se m a c h t sic h d u rc h e in e n a u sg e g lic h e n e n
T e m p e r a tu r g a n g u n d h o h e L u ftfe u c h tig k e it g e lte n d . D ie n ie d r ig e n S o m m e r­
te m p e r a tu r e n (M o n a tsm itte l im A ugust: 27,3 °C) s c h lie ß e n z w a r d e n A n b a u v o n
h o c h w e rtig e n D a tte lso rte n au s, a n d e re rs e its b e g ü n s tig t d a s g e rin g e F ro strisik o in
d e r L ito ra lz o n e (Ja n u a rm itte l: 11,1 °C) d e n g a n z jä h rig e n G e m ü se a n b a u . G eg en ­
ü b e r d e n B in n e n o a s e n d e r S a h a ra ist d e r A n b a u h ie r W esen tlich v ie lse itig e r.
D ie G ru n d v o ra u s s e tz u n g d e r O a se n la n d w irtsc h a ft ist d ie Wasserversorgung.
G abès g e h ö rt z u e in e r G ru p p e v o n n e u n O asen , d ie v o n e in e m g ro ß e n G ru n d ­
w a sse rre se rv o ir m it te ilw e ise a rte s is c h e m C h a ra k te r leb t. D er ü b e rw ie g e n d e Teil
des W assers s ta m m t au s etw a 100 Q u e lle n , d ie zw ei F lü sse sp e ise n . S eit 1890
w u r d e n in d e r U m g e b u n g 60 B ru n n e n e rb o h rt, d ie z u e in e r Ü b e rn u tz u n g des
G ru n d w a sse rre se rv o irs u n d zu e in e r A b se n k u n g d es G ru n d w a sse rsp ie g e ls fü h r­
te n . D as W a sser m u ß n u n in z u n e h m e n d e m M aße g e p u m p t w e rd e n . In sg e sa m t
s te h t in d e r K ern o a se e in e W a sse rsp e n d e v o n 610 1/s z u r V e rfü g u n g , w o m it etw a
1 080 h a b e w ä sse rt w e rd e n (A. B e c h r a o u i 1980, S. 70).
Alle O asen , in d e n e n d as W a sse r d e r lim itie re n d e F a k to r d es A n b a u s ist, b e sitz
e n e in ausg efeiltes Wasserrecht. G ab ès k e n n t zw ei A n e ig n u n g fo rm e n , n ä m lic h
e in m a l das k o llek tiv e, a n d e n B o d en g e b u n d e n e u n d u n v e rä u ß e rlic h e W assern
u tz u n g s re c h t, z u m a n d e r e n d a s p riv a te W a sse re ig e n tu m , d as u n a b h ä n g ig v o m
B o d en ist. D as k o lle k tiv e N u tz u n g s re c h t ist a n d ie n a tü r lic h e n Q u e lle n g e b u n d e n ,
es d o m in ie rt in d e r K ern o ase. D as p riv a te W a s s e re ig e n tu m g ilt f ü r d ie B ru n n e n ­
e ig e n tü m e r a n d e r P e rip h e rie , w e lc h e d ie B o h ru n g f in a n z ie rt h a tte n . E in e W asserg
e n o sse n sc h a ft (ja m ia el m a), g e b ild e t a u s a lle n G ru n d s tü c k s e ig n e rn , w a c h t ü b e r
d ie W a sse rv e rte ilu n g . B e so ld ete W a s s e ra u fs e h e r ü b e r n e h m e n d as Ö ffn e n u n d
S c h lie ß e n d e r H a u p tv e rte ile r. D as W a sse r d e r b e id e n O a se n flü sse w ir d ü b e r
V e rte ile rre c h e n in im m e r k le in e re n Z u le itu n g s k a n ä le n (S eguías) d e n G ä rte n zu-

Regionen der Ackerbau- und Dauerkultursysteme 181
g e fü h rt. D ie W a s se rz u te ilu n g e rfo lg t n a c h a lte n W a sse rre c h te n u n d k e in e sw e g s
p ro p o rtio n a l z u r A n b a u flä c h e . So w e rd e n d ie G ä rte n in Q u e lln ä h e alle 15 T age,
d ie je n ig e n a m E n d e d e r S eg u ias n u r alle 20 T age (W inter) o d e r g a r n u r alle 27 - 30
T age (S o m m er) b e w ä sse rt (A. Bechraoui 1980, S. 78). ln d ie s e n p e r ip h e r e n B ereic
h e n fe h le n fo lg lich d ie U n te rk u ltu re n . D ie g ru n d le g e n d e Z e ite in h e it d e r Z u te i­
lu n g ist d ie O u jb a v o n 12 S tu n d e n , d ie sic h in v iele U n te re in h e ite n g lie d e rt. N ach
H. Achenbach(1971, S. 125) e r h a lte n in Q u e lln ä h e d ie G ä rte n 2 - 3 S tu n d e n la n g
e in D eb it v o n 100 1/s, w as b e i e in e r d u rc h s c h n ittlic h e n G a rte n flä c h e v o n 12,5 a r
e in e m E in sta u v o n 50 m m e n ts p ric h t.
ln a rid e n Ю іт а іе п m u ß d e r B e w ä sse ru n g im m e r e in e E n tw ä s s e ru n g d e r Böd
e n g e g e n ü b e rs te h e n , d a m it sic h d a s im W asser gelö ste Salz (2,5 g/1 in G abès)
n ic h t a n re ic h e rt, ln G abès f ü h r t e in N etz v o n e tw a 1,5 m tie fe n G rä b e n d as m it
Salz a n g e re ic h e rte W a sser (10 - 12 g/1) in s M eer ab.
W ie in a lie n tra d itio n e lle n O a se n d o m in ie re n a u c h in G abès d ie Ю еіп- u n d
Ю еіпаіЬ еігіеЬ е. D ie A n b a u flä c h e v o n 1 080 h a v e rte ilt sic h a u f 5 600 E ig e n tü m e r
(A Bechraoui 1980, S. 106), w o ra u s sic h e in e D u rc h s c h n itts flä c h e v o n 0,2 h a
e rre c h n e t. D ie g e n a u e Betriebsstruktur ist n ic h t zu e rm itte ln , d a e in K a ta ste r feh lt.
Bei e in e r T e ile rh e b u n g ü b e r 100 h a m it 891 E ig e n tü m e rn b e s a ß e n 1965 84 % w e n i­
g e r als 0,2 h a , 14,5% h a tte n 0,2 - 0,6 h a u n d n u r 1,5% v e rfü g te n ü b e r m e h r als
0,6 h a . D er g rö ß te G ru n d b e s itz u m fa ß te 2,5 h a . D ie im Isla m b e g rü n d e te t R ealte
ilu n g ist d e r H a u p tg ru n d f ü r d ie se B e trie b sstru k tu r.
N ach A. Bechraoui (1980, S. 105 - 126) la sse n sich drei Bewirtschaftungsformen
u n te rs c h e id e n :
- E ig e n b e w irts c h a ftu n g (etw a 60 % a lle r B etriebe),
- G e ld p a c h t m it z w e ijä h rig e r P a c h td a u e r (15 %),
- K h a m m e ssa t (T eilp ach t, 25 %).
D ie B e w irts c h a ftu n g s fo rm e n s in d k e in e sw e g s k la r v o n e in a n d e r g e tre n n t. Ю еіпe
ig e n tü m e r p a c h te n G ä rte n h in z u o d e r a rb e ite n als K h a m m e s. F ü r d ie A rb e itssp
itz e n im H e rb st o d e r u n a n g e n e h m e A rb e ite n , w ie z.B. d as L e e re n d e r L a trin e n
z u r D ü n g u n g , w e rd e n T a g e lö h n e r a n g e h e u e rt, d ie v o rw ie g e n d au s d e n ü b e rv ö l­
k e rte n B in n e n o a s e n S ü d tu n e s ie n s (D jerid, N efzaoua) f ü r e in e A rb e itssa iso n z u ­
w a n d e r n u n d e tw a 20 % d e r A rb e itsk rä fte ste lle n . D as k la ssisc h e a ra b isc h e T eilp
a c h ts y s te m d es K h a m m e ssa ts ist in G abès m it e in e r lo k a le n V a ria n te v e rtre te n .
D er K h a m m e s (h ie r C h é rik g e n a n n t) ste llt se in e A rb e itsk ra ft z u r V e rfü g u n g , d e r
E ig e n tü m e r s te u e rt d ie P ro d u k tio n s m itte l B o d e n - e in s c h lie ß lic h W a sse r - u n d
d ie B e trie b sm itte l (S aatg u t, A rb e itsg e rä t, T ra g tie r) bei. A n d e r E rn te ist d e r K h a m ­
m e s je n a c h K u ltu r m it v a r iie r e n d e n A n te ile n b e te ilig t: 1/3 d e r B o d e n k u ltu re n ,
1/4 d es O b stes, a b e r 1/7 d e r D a tte ln (A. Bechraoui 1980, S. 120).
Das Anbauspektrum in G abès ist ä u ß e rs t v ie lse itig (s. A b b ild u n g 4.16). D as gilt
n ic h t n u r f ü r d ie O ase als G an zes, s o n d e rn a u c h fü r d ie e in z e ln e n B etrieb e. D ie
v ie lg lie d rig e K u ltu rp fla n z e n g e s e lls c h a ft w ir d e rm ö g lic h t d u r c h d ie e r w ä h n te
K lim a g u n st, d ie g u te n V e rk e h rs v e rb in d u n g e n zu d e n A b sa tz m ä rk te n so w ie d u rc h
d e n K le in stb e sitz , d e r z u in te n s iv e n A n b a u fo rm e n zw in g t. D ie k n a p p e A n b a u flä ­
c h e e rfo rd e rt d ie A u ssc h ö p fu n g a lle r P ro d u k tio n s m ö g lic h k e ite n im S to ck w erk ­
b a u , d e r s c h o n v o n P u N iu s D. Ä. im e rs te n n a c h c h ris tlic h e n J a h r h u n d e r t a u s
G abès b e s c h rie b e n w ird (A. Bechraoui 1980, S. 139). Das O b e rsto c k w e rk b ild e t d ie

182 Agrarregionen der Erde
D a tte lp a lm e , d ie h ie r m it e tw a 40, d u rc h w e g g e rin g w e rtig e n S o rte n v e r tr e te n ist.
I h r e w irts c h a ftlic h e B e d e u tu n g ist rü c k lä u fig , w a s v o r a lle m a u f v e r ä n d e r te
K o n s u m g e w o h n h e ite n d e r tu n e s is c h e n B e v ö lk e ru n g z u r ü c k z u f ü h r e n ist. Das
v o m S taat s u b v e n tio n ie rte B ro t h a t d ie e in fa c h e n D a tte lso rte n als G r u n d n a h ­
ru n g s m itte l w e itg e h e n d v e rd rä n g t. D ie N e b e n n u tz u n g e n v o n P a lm w e d e l (Z äune,
F le c h tw a re n ) u n d P a lm s ta m m (Bau- u n d B re n n h o lz ) s in d h e u te u n b e d e u te n d . So
trä g t d ie P a lm e n u r n o c h 10 - 20 % d e r la n d w irts c h a ftlic h e n E in k o m m e n b ei.
Abb. 4.16: Bodennutzung in der Oase Gabès (Tunesien) (Quelle: H. Achenbach 1971)
- I L — » . I.-AI — ^ A4 — — -«» . ua - Ч - ^ ................. .............

Regionen der Ackerbau- und Dauerkultursysteme 183
g e rin g e re E rtra g s m e n g e n a u f (s. A b b ild u n g 4.16). E rtra g s in te n s iv e F rü h k u ltu r e n
f ü r d ie ra sc h w a c h s e n d e n s tä d tis c h e n A b sa tz m ä rk te g e w in n e n a n R a u m (F rü h ­
to m a te n , S pargel). V on d e n m e h rjä h rig e n K u ltu re n n e h m e n d ie L u z e rn e u n d d e r
H e n n a s tra u c h g rö ß e re F lä c h e n e in . L u z e rn e b ild e t d ie F u tte rb a s is d e r O a se n tie re
u n d d ie n t als B o d e n v e rb e sse re r. Bei jä h r lic h 8 - 9 S c h n itte n sic h e rt sie d e m F ellac
h e n g a n z jä h rig e B a re in n a h m e n . H e n n a ist e in w ic h tig e s F ä rb e m itte l im a ra b i­
s c h e n K u ltu rk re is (H aare, H ä n d e u n d F ü ß e d e r F ra u e n ), G ab ès lie fe rt a lle in d ie
H älfte d e r tu n e s is c h e n P ro d u k tio n . V on d e r g e s a m te n la n d w irts c h a ftlic h e n P ro ­
d u k tio n d ie n e n n a c h A. B e c h r a o u i (1980, S. 195) e tw a 20-40% d e m E ig e n v e r­
b r a u c h d e r F a m ilie n , w ä h r e n d e in w a c h s e n d e r A n teil a u f d e m L o k a lm a rk t d e r
S ta d t (92 000 E in w o h n e r) so w ie in e n tf e r n te r e n G ro ß stä d te n , v o r a lle m in d e r
L a n d e s h a u p ts ta d t T u n is, v e rk a u ft w e rd e n . D ie O a s e n la n d w irts c h a ft b e fin d e t sic h
h ie r im v o lle n W a n d e l v o n d e r S u b siste n z - z u r M a rk tw irtsc h a ft. D e r Anbaukalender
(vgl. A b b ild u n g 4.17) d e m o n s tr ie r t d e n g a n z jä h rig e n A rb e itsa n fa ll, e in e
to te S a iso n g ib t es n ic h t. Es ist v o r a lle m d ie B e w ä sse ru n g , w e lc h e d ie h ä u fig e
P rä se n z im G a rte n e rfo rd e rt (u.U. so g a r in d e r N acht), w ill m a n d ie W a sse rz u ­
te ilu n g n ic h t v e rs ä u m e n . D ie A rb e itssp itz e n tr e te n im H e rb st (S e p te m b e r b is N o­
v e m b e r) au f, w e n n d ie B e ste llu n g d e r W in te rfrü c h te u n d d ie E r n te n v o n H e n n a
u n d D a tte ln Z u sa m m e n tre ffe n . D ie A rb e its in te n s itä t ist s e h r h o c h , n a c h A. B e c h ­
r a o u i (1980, S. 125) lä ß t sic h e in u n g e f ä h r e r B esatz v o n 3 A K /h a e rre c h n e n . M in i­
m a l ist d a g e g e n d e r K a p ita la u fw a n d . M a n b e n ö tig t e in ig e w e n ig e A rb e itsg e rä te
(H ack en z u r B o d e n b e a rb e itu n g , S ic h e ln u n d M esser z u r E rn te ), d ie tra d itio n e lle n
T ra g tie re E sel u n d M a u ltie r w e rd e n ra s c h v o n M ofas v e rd rä n g t. D er n a tü rlic h e
D ü n g e r - M ist u n d F ä k a lie n - w ird z u n e h m e n d d u rc h M in e ra ld ü n g e r erse tz t.
I(
Abb.4.17:
Anbaukalender der Oase
Gabès (Südtunesien)
Quelle: H. A chenbach
1971, S. 130)
Ш
oc
Э
y;
oc
ш
I -
ANBAUFRUCHT
. Ul
= oc
S t
5 5
Э 0 С
in
Petersllie
Erbsen
Sellerie
Kohlrabi
sonst. Kohl
Bohren
Rettiche
Weiße Rüben
sonst. Rüben
Frühtomaten
Knoblauch
Porree
Lauch
Frühpaprika
Möhren
Tabak
Kartoffeln
Spargel
Paprika
Tomaten
Gurken
Courgettes
Zwiebeln
Melonen
Kürbis
Wassermelonen
ERNTEZEIT
S O N D J F M A M J A
S O N D J F M A U J J

184 Agrarregionen der Erde
Ііщі
Í'ív'^
ШП
D em h o h e n A rb e itsa u fw a n d in d e r O a s e n la n d w irts c h a ft e n ts p ric h t k e in e sw e g s
d ie F lä c h e n p ro d u k tiv itä t, w e n n m a n e tw a d e n E rw e rb s g a rte n b a u d e r In d u s trie ­
lä n d e r z u m V erg leich h e ra n z ie h t. N och w e it u n g ü n s tig e r ist d ie A rb e its p ro d u k ­
tiv itä t u n d d e m e n ts p re c h e n d d ie E in k o m m e n s s itu a tio n d e r O a s e n b a u e rn . A us
d ie se r D isk re p a n z re s u ltie rt in e rs te r L in ie d ie Krise der orientalischen Oasenlandwirtschaft,
v o r a lle m in d e n S ta a te n m it ra s c h e r v o lk sw irtsc h a ftlic h e r E n t­
w ic k lu n g , in d e n e n d a s L o h n n iv e a u ra s c h steigt. D ie O ase k o n n te als A g ra rsy ste m
n u r e x istie re n , so la n g e sie d a n k ih r e r Is o lie ru n g n ic h t m it b illig e r p ro d u z ie re n ­
d e n A g ra rrä u m e n in K o n k u rre n z s ta n d u n d so la n g e d ie L o h n k o ste n s e h r n ie d rig
w a re n (Sklaven!). D as V e rsc h w in d e n des K a ra w a n e n h a n d e ls - G abès w a r b is A n­
fa n g d ieses J a h rh u n d e rts e in w ic h tig e r Z ie lp u n k t d e r T r a n s s a h a r a k a r a w a n e n -
b e ra u b te viele O a se n ih r e r S tü tz p u n k tfu n k tio n e n . D er N ie d e rg a n g d es N o m a ­
d is m u s b e e n d e t a u c h d ie tra d itio n e lle S y m b io se z w isc h e n n o m a d is ie re n d e n V iehz
ü c h te r n u n d s e ß h a f te n O a s e n b a u e rn . E in e P ro d u k tiv itä ts s te ig e r u n g in d e n
tr a d itio n e lle n O a se n w ird v o r a lle m d u r c h d ie k o m p le x e n V e rfü g u n g s re c h te
ü b e r d ie P ro d u k tio n s m itte l - M ik ro e ig e n tu m , P a c h tv e rh ä ltn isse , W a sse rre c h te -
v e rh in d e rt. D a z u d e m d ie L a n d a rb e it im O rie n t seit je h e r e in g e rin g e s S o z ia lp re ­
stig e g e n ie ß t, ist d e r A n reiz z u r A b w a n d e ru n g h o c h , v o r a lle m b e i d e r Ju g en d .
D u rc h d ie V e rk le in e ru n g d es A rb e itsk rä fte re se rv o irs h a t sic h a n d e re rs e its d ie soziale
S itu a tio n d e r b is h e r m e h r o d e r w e n ig e r a b h ä n g ig e n R a n d g ru p p e n (H arratin
, K h am m es) s ta rk v e rb e sse rt. Sie h a b e n e rs tm a ls d ie C h a n c e z u m so z ia le n
A u fstieg u n d z u r E m a n z ip a tio n . T ro tz d es h o h e n B e v ö lk e ru n g sd ru c k s k o m m t es
zu E x te n s iv ie ru n g s e rs c h e in u n g e n . D ab ei la sse n sic h rä u m lic h e D iffe re n z ie ru n g s­
p ro z e sse b e o b a c h te n . W ä h re n d k le in e , a b se itig e O a se n h o h e W a n d e ru n g s v e rlu s te
e rle id e n u n d m a n re g io n a l b e re its v o m „ O a s e n s te rb e n “ sp ric h t, e rfa h re n g ro ß e
O a se n m it e in e m a u s re ic h e n d e n A n g e b o t a n n ic h tla n d w irts c h a ftlic h e n A rb eitsp
lä tz e n (In d u s trie , D ie n stle istu n g sse k to r) K o n z e n tra tio n s- u n d U rb a n is ie ru n g s ­
p ro zesse. D ies lä ß t sic h g u t in d e n o sta lg e risc h e n O a se n O u a rg la , G h a rd a ia u n d
T o u g g o u rt - N a c h sc h u b b a se n d e r Gas- u n d Ö lfe ld e r - a b e r a u c h in G ab ès b e o b ­
a c h te n . G abès w u rd e seit d e n se c h z ig e r J a h re n v o m tu n e s is c h e n S ta a t z u m E n t­
w ic k lu n g sp o l fü r d e n a rid e n S ü d e n a u s g e b a u t (vgl. A. A r n o l d 1979, S. 101 - 107:
H a n d e ls h a fe n , P h o s p h a tv e r a r b e itu n g , c h e m is c h e I n d u s tr ie n , Z e m e n tfa b rik ,
F re m d e n v e rk e h r). In d ie s e n b e g ü n s tig te n S ie d lu n g e n w ä c h st z w a r d ie B evölkeru
n g sz a h l, d ie O a s e n la n d w irts c h a ft p ro fitie rt a b e r n u r b e d in g t d a v o n . V ielfach
e rfa h re n d ie G ä rte n e in e n F u n k tio n s w a n d e l z u m F re iz e itg a rte n u n d s o m m e rlic
h e n Z w e itw o h n sitz , w ie z.B. in d e r a lg e risc h e n O ase G h a rd a ia . Die A g ra rp ro d u k ­
te w e r d e n a u s a n d e r e n R e g io n e n im p o r tie r t, d e r S e lb s tv e rs o rg u n g s g ra d d e r
f r ü h e r w e itg e h e n d a u ta rk e n O ase w ird im m e r g e rin g e r. D ie R e a k tio n d e r O a se n ­
la n d w irts c h a ft a u f d ie E in b in d u n g in w e itg e s p a n n te H a n d e ls b e z ie h u n g e n ist vielschichtig.
A. B e n c h e r if a (1990, S. 86 - 87) u n te rs c h e id e t d re i T e n d e n z e n b e i d e r
E n tw ic k lu n g d e r O a se n im M ag h reb :
- T eile d e r O a s e n flu r w e rd e n a u fg e la sse n , sei es w e g e n d e r E n tv ö lk e ru n g , sei es
w e g e n fe h le n d e r A rb e itsk rä fte . D ies b e trifft v o r a lle m d ie e x te n siv g e n u tz te n
R a n d b e re ic h e ; flü c h tig e R e ise n d e s c h lie ß e n b e im A n b lic k d e r u n g e p fle g te n
O a s e n rä n d e r fä lsc h lic h a u f „ O a s e n s te rb e n “. D ieses P h ä n o m e n ist k ein e sw e g s
v o n u m w ä lz e n d e m A u sm aß .

Regionen der Ackerbau- und Dauerkultursysteme 185
- D ie O a s e n flu r e rle b t e in e n E x te n siv ie ru n g sp ro z e ß . W eg en d e r V e rk n a p p u n g
d e r A rb e itsk rä fte b e s c h rä n k e n sic h d ie k u ltu rp fle g e ris c h e n M a ß n a h m e n a u f
e in M in im u m , u m d as W e ite rb e s te h e n d es O asen -Ö k o sy stem s g e ra d e n o c h z u
g e w ä h rle iste n . D ie F ru c h tb ä u m e , v o r a lle m d ie D a tte lp a lm e n , w e rd e n w e ite r­
h in p ro d u k tiv g e h a lte n , w ä h r e n d d ie U n te rk u ltu re n G e tre id e u n d F u tte rp fla n ­
z e n a u fg e g e b e n w e rd e n .
- D ie O a se n w irtsc h a ft e rle b t a n m a n c h e n O rte n e in e k a p ita lis tis c h m o tiv ie rte
In te n s iv ie ru n g . G a sta rb e ite r u n d R e m ig ra n te n in v e s tie re n n ic h t n u r in n e u e
H ä u se r, s o n d e rn a u c h im K au f v o n L an d , in M o to rp u m p e n , in d ie P fla n z u n g
n e u e r P a lm e n u n d so g a r in d ie Z u c h t le is tu n g s fä h ig e r R in d er.
V on d e r R e zessio n d e r O a s e n la n d w irts c h a ft b le ib e n d ie g ro ß e n S tro m o a se n u n b e ­
r ü h r t. D er A n b a u erfo lg t h ie r s tä rk e r a u f o ffe n e n F e ld e rn , d ie S to c k w e rk k u ltu r
tr itt z u rü c k . D as P a rz e lle n g e fü g e ist g ro b g lie d rig e r, d ie W a sse rv e rso rg u n g e n w e ­
n ig e r k o m p liz ie rt. F o lg lich ist d ie s e r O a se n ty p le ic h te r z u m o d e rn is ie re n , d e r
M e c h a n is ie ru n g s g ra d ist z.B. in Ä g y p te n b e re its re c h t h o c h . T ra k to re n , P u m p e n
u n d v e re in z e lt a u c h D re s c h m a s c h in e n s u b s titu ie re n re la tiv ra sc h d ie tie risc h e , in
g e rin g e re m U m fa n g a u c h d ie m e n s c h lic h e A rb e itsk ra ft.
Die kleinbetrieblichen Kakaobauregionen Westafrikas
D er K a k a o a n b a u d e r E rd e n im m t a u s a g ra rg e o g ra p h is c h e r S ich t e in e S o n d e rste l­
lu n g a u fg ru n d fo lg e n d e r M e rk m a le ein:
- K o n z e n tra tio n des A n b a u s a u f w e n ig e tro p is c h e E n tw ic k lu n g slä n d e r,
- K o n z e n tra tio n des K o n su m s a u f w e n ig e In d u s trie lä n d e r,
- e x tre m e P re is s c h w a n k u n g e n fü r d as P ro d u k t,
- D o m in a n z k le in b ä u e r lic h e r e in h e im is c h e r B e trie b e in d e n a f r ik a n is c h e n
H a u p ta n b a u g e h ie te n .
D er K a k a o b a u m {Theobroma cacoa L.), d e r h e u te in v ie lfä ltig e n K u ltu rfo rm e n
g e z ü c h te t w ird , s ta m m t a u s d e m U n te rh o lz d e r tro p is c h e n R e g e n w ä ld e r A m e­
rik as. S p a n ie r b ra c h te n ih n im 16. J a h r h u n d e r t a u f d ie In se l F e rn a n d o Poo, e rst
u m 1880 g e la n g te se in e K u ltu r a u fs w e sta frik a n isc h e F e stla n d , w o sie sich u n te r
d e n e in h e im is c h e n B a u e rn ra s c h a u s b re ite te - u n te r A ssisten z v o n e u ro p ä is c h e n
M is s io n ssta tio n e n u n d K o lo n ia lv e rw a ltu n g e n . B ereits z u B e g in n d es E rste n W eltk
rie g s h a tte sic h d e r A n b a u s c h w e rp u n k t a u s A m e rik a n a c h W e sta frik a v e rla g e rt,
w o d ie K a k a o k u ltu r a u f o p tim a le n a tü r lic h e u n d so z io ö k o n o m is c h e A n b a u ­
b e d in g u n g e n tra f. D ie a m e rik a n is c h e n A n b a u g e b ie te , v o r a lle m B rasilien , sp e z ia ­
lis ie rte n sic h fo rta n a u f d ie K u ltu r d es sog. E d elk ak ao s, w ä h r e n d W e sta frik a d e n
K o n su m k a k a o lie fe rte . H ie r w u rd e u m 1970 m it 73 % d e r W elt-K ak ao ern te e in
H ö h e p u n k t e rre ic h t; d a m a ls e n tfie le n a u f d ie v ie r H a u p tp ro d u z e n te n G h a n a , Elfe
n b e in k ü s te , K a m e ru n u n d N ig e ria a lle in e 67 %! S e itd e m ist d ie E rz e u g u n g G h a­
n a s u n d N ig erias a b so lu t s ta rk g e fa lle n - e in e F olge e in e r v e rfe h lte n A g ra rp o litik .
D ageg en k o n n te d ie E lfe n b e in k ü s te ih re P ro d u k tio n v o n 400 0 0 0 1 u m 1980 a u f
809 000 t (1994) v e rd o p p e ln ; d as L an d h a t G h a n a als g rö ß te n K a k a o p ro d u z e n te n
ab g elö st. D e n n o c h fiel d e r A n teil A frikas a n d e r W elt-K ak ao ern te bis 1994 a u f 53 %
ab. S eit B e g in n d e r a c h tz ig e r Ja h re s in d n e u e P ro d u k tio n s z e n tre n in A sien, v o r
a lle m in In d o n e s ie n , M alay sia u n d in g e rin g e re m U m fa n g in P a p u a -N e u g u in e a
e n ts ta n d e n . D ie W elt-K ak ao ern te v e rd o p p e lte sich z w isc h e n 1950 u n d 1970 a u f

186 Agrarregionen der Erde
1909 1925/29 1948/52 1969/71 1994
in 1000t 235 532 760 1506 2564
in V. H.
Afrika 35 63 66 73 53
Ghana 15 43 33 29 1
Nigeria 4 8 14 17 6
Elfenbeinküste - - - 13 32
Sao Tomé u. Principe 15 3 1 0,7 0,2
Amerika 62 36 34 24 25
Brasilien 13 12 16 12 13
Asien, Ozeanien - - - 3 22
Tab. 4.14:
Die W eltproduktion von
Kakaobohnen
(Quellen: H. Boesch 1969 u.
FAQ Production Yearbook
1981,1994)
Siri
1,5 M io. t, s ta g n ie rte d a n n b is e tw a 1980, u m b is M itte d e r n e u n z ig e r Ja h re e rn e u t
a u f etw a 2,5 M io. t a n z u w a c h s e n (s. T ab elle 4.14).
K akao z ä h lt z u d e n w e n ig e n tro p is c h e n P ro d u k te n , d ie fast k e in e n B in n e n ­
m a rk t b e sitz e n : e tw a 90 X d e r P ro d u k tio n m u ß e x p o rtie rt w e rd e n . Im R a h m e n d e r
k o lo n ia le n A rb e its te ilu n g w u rd e d e n P r o d u z e n te n lä n d e rn e in e e x p o rto rie n tie rte
K u ltu r a u fg e p rä g t, d ie ih re V o lk sw irtsc h a fte n b is h e u te v o m S piel d e r M a rk tk rä fte
a u f d e r L o n d o n e r R o h sto ffb ö rse a b h ä n g ig m a c h e n . Als A b n e h m e r k o m m e n - a n ­
d e rs als b e i K affee, T ee u n d T a b a k - fa st a u ssc h lie ß lic h In d u s tr ie lä n d e r in Frage:
1980 n a h m e n d ie EG 60 %u n d d ie USA 17 %d es in te r n a tio n a l g e h a n d e lte n K akaos
im W ert v o n 4,3 M rd. D o lla r ab. D ie W irts c h a fts s tru k tu r d e r a frik a n is c h e n P ro d u ­
z e n te n lä n d e r G h a n a u n d E lfe n b e in k ü s te ist s ta rk v o m K a k a o e x p o rt a b h ä n g ig
(E x p o rta n te il ca. 30%). D ie e x tre m e n S c h w a n k u n g e n d es in te r n a tio n a le n K akaop
re ise s, d ie a u f d ie g e rin g e E la stiz itä t v o n A n g e b o t u n d N ach fra g e d ie se s G e n u ß ­
m itte ls z u r ü c k z u f ü h r e n s in d (s. T a b e lle 2.5), b ild e n e in b is h e u te u n g e lö ste s
P ro b le m fü r d ie P ro d u z e n te n lä n d e r. D a ra n k o n n te a u c h d as se it 1972 b e s te h e n d e
W e lt-K a k a o ab k o m m e n m it E x p o rtq u o te n u n d A u sg le ic h sla g e rn n ic h ts ä n d e rn .
E in b e so n d e re s M e rk m a l d es in te r n a tio n a le n K a k a o h a n d e ls ist d ie M o n o p o lisie ­
r u n g des E x p o rts d u rc h d ie s ta a tlic h e n O rg a n is a tio n e n (m a rk e tin g b o a rd s) e in e r­
seits u n d d ie N a c h fra g e k o n z e n tra tio n a u f re la tiv w e n ig e in d u s trie lle V e ra rb e ite r
a n d e re rse its.
Als P flan ze d es tro p is c h e n R e g e n w a ld s b e v o rz u g t d e r K a k a o b a u m T e m p e ra tu ­
r e n v o n 25 - 28 °C, d as M ittel d es k ä lte s te n M o n a ts so llte 20 °C n ic h t u n te rs c h re i­
te n . N ie d e rsc h lä g e v o n 1 500 - 2 000 m m im Ja h r b e i m ö g lic h st g le ic h m ä ß ig e r
V e rte ilu n g g e lte n als o p tim a l, d ie a rid e Z e it d a rf 3 M o n a te n ic h t ü b e rste ig e n ; die
B ö d en so llte n tie fg rü n d ig u n d g u t d r ä n ie r t se in (R e h m u . E s p io 1976, S. 254 - 255).
D ie A n p fla n z u n g e rfo lg t d u r c h d ire k te S aat o d e r - h ä u fig e r - d u rc h Ju n g p fla n z e n
au s d e m A n z u c h tb e e t. Ju n g e B e stä n d e b e n ö tig e n e in S c h a tte n d a c h d u rc h älte re
B ä u m e o d e r d u r c h h ö h e r e N a h ru n g s m itte lp f la n z e n (B a n a n e n , M e h lb a n a n e n ,
M ais, M aniok), d ie in d e n e rs te n J a h re n z w isc h e n d e n K a k a o b ä u m c h e n a n g e b a u t
w e rd e n . D er e rste K akao w ird n a c h 5 - 7 J a h re n g e e rn te t, d e r v o lle E rtra g se tzt
n a c h 10 - 12 J a h re n e in u n d h ä lt e tw a b is z u m 30. Ja h r a n , d a n n se tz t e in ra s c h e r
E rtra g sa b fa ll e in . D a d ie B ä u m e a b e r 60 - 70 Ja h re alt w e rd e n , u n te r b le ib t in d e n
k le in b ä u e rlic h e n A n b a u re g io n e n h ä u fig d ie a n sic h e rfo rd e rlic h e V e rjü n g u n g d e r
B estän d e.

Regionen der Ackerbau- und Dauerkultursysteme 187
Ein ö k o lo g isc h e r V o rteil d ie s e r B a u m k u ltu r ist d ie g e rin g e N ä h rsto ff e n tn ä h m e
au s d e m B o d en , d a je H e k ta r n u r 200 - 400 k g K a k a o b o h n e n g e e rn te t w e rd e n .
U n te r d e n tro p is c h e n K u ltu re n ist d e r K a k a o b a u m e in e d e r b o d e n s c h o n e n d s te n
K u ltu rp fla n z e n (s. T a b e lle 4.15). Z u m g e rin g e n N ä h rs to ffe n tz u g k o m m e n d ie
V o rte ile d e r B e sc h a ttu n g , d e s s tä n d ig e n L au b falls als N ä h rsto ff- u n d H u m u s ­
lie fe ra n t sow ie e in e s e h r v ie l w e n ig e r h ä u fig e B o d e n b e a rb e itu n g h in z u . B ei Bea
c h tu n g g e w isse r R egeln - M isc h p fla n z u n g u n d E in b rin g e n d e r F ru c h ts c h a le n als
M u lch - e rla u b t d ie K a k a o k u ltu r e in e n la n g le b ig e n A n b au .
Tab. 4.15:
Der Nährstoffentzug
durch tropische Kulturen
(Quelle: J. D. Frewerda
1980, S. 30)
Kultur Produkt
Ernte N P К
kg/ha
kg/ha kg/ha kg/ha kg/ha
Mals Maiskörner 1626 26,0 5,2 6,0
Erdnuß Schote 905 43,0 2,9 11,0
Maniok Knolle 9867 19,0 6,4 59,0
Banane frische Frucht 15000 22,0 3,0 69,0
Kaffee trockene
479 17,0 1,3 18,0
Bohne
Kakao trockene
306 6,0 1,4 3,0
Bohne
E in h o h e s R isiko e rw ä c h s t fü r d ie K a k a o k u ltu re n a u s ih r e r A n fä llig k e it g e g e n ü b e r
P fla n z e n k ra n k h e ite n u n d tie ris c h e n S c h ä d lin g e n , b e s o n d e rs w e n n sie in M o n o ­
k u ltu r b e tr ie b e n w e rd e n . So h a t z.B. e in e V iru s k ra n k h e it (sw o lle n sh o o t) d ie
K a k a o k u ltu re n G h a n a s ja h r z e h n te la n g h e im g e su c h t.
D ie K a k a o k u ltu r h a t e in e n hohen Intensitätsspielraum, d e r F a k to re in sa tz u n d
d e m e n ts p re c h e n d d e r F lä c h e n e rtra g s in d s e h r v a ria b e l. E x te n siv u n d in te n s iv
w irts c h a fte n d e B e trie b e lie g e n in u n m itte lb a r e r N a c h b a rsc h a ft. S elb st a u f L ä n d e r­
e b e n e v a riie re n d ie H e k ta re rträ g e in W e sta frik a s e h r stark : 1994 w u r d e n in G h a n a
264 k g K a k a o b o h n e n , in d e r E lfe n b e in k ü ste 505 k g /h a g e e rn te t (FAO, P ro d u c tio n
Y e arb o o k 1994). M o d e rn e P fla n z u n g e n e rz ie le n g a r 2 000 b is 2 500 k g /h a . Bei d e r
tr a d itio n e lle n e x te n s iv e n W irtsc h a ftsw e ise w e rd e n d ie K a k a o b ä u m e k a u m gep
fleg t, als A rb e itsg e rä te g e n ü g e n H ack en , Ä xte u n d B u sc h m e sse r. Bei in te n s iv e r
B e w irtsc h a ftu n g e rfo lg t e in h ä u fig e re s Ü b e rp flü c k e n , g e z ie lte r B a u m s c h n itt sow
ie e in K a p ita le in sa tz in F o rm v o n M in e ra ld ü n g e r u n d P fla n z e n s c h u tz m itte ln .
In sg e sa m t ist a b e r in d e n w e s ta frik a n is c h e n K a k a o b a u re g io n e n d e r K a p ita le in ­
satz n ie d rig , d e r A rb e itse in sa tz d a g e g e n m it 30 - 95 T a g e n je h a re la tiv h o c h
(H. G. Sc h ö n w ä l d e r 1969, S. 58, 95). D ies h ä n g t a u c h d a m it z u s a m m e n , d a ß d ie
e rs te n A u fb e re itu n g s s tu fe n - F e rm e n tie re n (V ergären) u n d T ro c k n e n d e r K akaob
o h n e n - v o n d e n B a u e rn v o rg e n o m m e n w e rd e n m ü sse n . Im V e rg leich z u a n d e ­
r e n tro p is c h e n K u ltu re n ist d e r G e ld e rtra g je F lä c h e n e in h e it r e c h t h o c h , so d a ß
d ie B e trie b e m it e rs ta u n lic h k le in e n F lä c h e n a u sk o m m e n . Die K a k a o p ro d u k tio n
W esta frik a s w ird v o rw ie g e n d v o n Ю еіп Ь аи егп g e tra g e n , a u c h w e n n g ro ß b ä u e r­
lic h e B e trie b e in d e r H a n d v o n A frik a n e rn sow ie e u ro p ä is c h e P la n ta g e n d u rc h a u s
V o rk o m m e n . U m 1965 b e w irts c h a fte te n 75 %a lle r K a k a o b a u e rn G h a n a s w e n ig e r
als 4 h a; im S ü d o ste n d e r E lfe n b e in k ü s te h a tte n u m 1964 zw ei D ritte l d e r B e trieb e
w e n ig e r als e in H e k ta r (H. G. Sc h ö n w ä l d e r 1969, S. 25), n u r 3,4 %d e r B e trie b e m it

188 Agrarregionen der Erde
z u s a m m e n 15,4 % d e r K a k a o ñ á c h e b e w irts c h a fte te n m e h r als 3 h a . D ie k le in ­
b ä u e rlic h e B e trie b s s tru k tu r g e h t so w o h l a u f M a ß n a h m e n d e r b ritis c h e n K o lo n ialv
e rw a ltu n g - sie e rte ilte in G h a n a u n d N ig eria k e in e P la n ta g e n k o n z e s s io n e n -, als
a u c h a u f d ie In n o v a tio n s b e re its c h a ft a frik a n is c h e r S tä m m e z u rü c k , w e lc h e d e n
K a k a o a n h a u in d as tra d itio n e lle A n b a u sc h e m a d e r h e rk ö m m lic h e n L a n d w e c h se l­
w irts c h a ft e in z u p a s s e n v e rs ta n d e n . D ie g e rin g e B e trie b sg rö ß e f ü h r t in d e r R egel
d a z u , d a ß d ie B a u e rn n o c h a n d e re M a rk tfrü c h te (K o lan u ß , Ö lp alm e), v o r a lle m
a b e r N a h ru n g s m itte l f ü r d e n e ig e n e n H a u sh a lt a n b a u e n (Y am s, K assava, M ais,
B a n a n e , M e h lb a n a n e , B o h n e n , G em ü se). D ie N a h r u n g s m itte lp ñ a n z e n w e r d e n
Abb.4.18:
Bodennutzung im
Kakaogürtel Westnigerias
(Quelle:
K. G renzbach 1984)
Asphaltierte Straße
Fahrweg • Camp
Pfad
'0' Dorf (bebaute Fläche)
Hackbaufläche (Yams, Cassava,Cocoyams, Mais, Plantaren, Bohnen,
Melonen, Reffer, Okra, und Gemüse), etwa 65% Brache
Sekundärwald mit Kakaokulturen, vereinzelt Öl- und Rafflapalmen
Tropischer Regenwald (degradiert), in Siedlungsnähe mit Öl- und
Rafflapalmen, Kola, Plantaren und Bananen
Ödland (vorwiegend flachgrundig und trocken)
Felsen (Inselberge)

Regionen der Ackerbau- und Dauerkultursysteme 189
te ils a u f n e u a n g e le g te n K ak a o flä c h en als S c h a tte n p fla n z e n , ü b e rw ie g e n d a b e r
a u f in te n s iv b e w irts c h a fte te n s ie d lu n g s n a h e n P a rz e lle n g ezo g en . D a d u rc h b ild e n
sic h u m d ie S ie d lu n g e n e in e A rt v o n THÜNENschen In te n s itä ts k re is e n : d ie s e lte n e r
a u fg e s u c h te n K a k a o a re ale w e r d e n in d ie e n tf e r n te r e n G e m a rk u n g s te ile a b g e ­
d rä n g t (s. A b b ild u n g 4.18).
D ie E in f ü h r u n g d e r E x p o rtfra c h t K akao h a t ü b e ra ll in W e sta frik a z u e in e r
b e trä c h tlic h e n sozialen Differenzierung g e fü h rt. D er B o d e n w a r u rs p r ü n g lic h
K o lle k tiv e ig e n tu m d e r S tä m m e ; je d e r S ta m m e s a n g e h ö rig e - n ic h t s e lte n a u c h
S ta m m e s fre u n d e - e rh ie lt e in S tü c k L a n d z u m N ie ß b ra u c h n a c h s e in e n B e d ü rfn
isse n . D ie L a n g le b ig k e it d e r K a k a o k u ltu r v o n 30 - 60 J a h re n f ü h r t u n v e rm e id lic h
z u e in e r I n d iv id u a lis ie ru n g d e r B esitztitel. In W esta frik a e n tw ic k e lte sic h e in e
k le in e , a b e r e in flu ß re ic h e „ P fla n z e rb o u rg e o isie “. N ich t se lte n le g e n S tä d te r (K aufle
u te , P o litik er) ih r K apital in K a k a o p fla n z e n an, d ie sie v o n L a n d lo se n b e w irtsc
h a fte n lassen . H. G. Sc h ö n w ä l d e r (1969, S. 62) sp ric h t in d ie s e m Z u s a m m e n ­
h a n g v o m „ V o rd rin g e n re n te n k a p ita lis tis c h e r E rs c h e in u n g e n “.
D ie A rb e its k rä fte d e r K a k a o w irts c h a ft b e s te h e n a u s F a m ilie n a n g e h ö rig e n ,
P ä c h te rn u n d L o h n a rb e ite rn . In d e r M asse d e r K le in b e trie b e d o m in ie r e n d ie
fa m ilie n e ig e n e n A rb e its k rä fte . D ie A n la g e u n d P fleg e d e r B a u m b e s tä n d e ist
M ä n n e ra n g e le g e n h e it, F ra u e n u n d K in d e r h e lfe n b e i d e r E rn te . N e b e n d e n la n d ­
b e s itz e n d e n B a u e rn h a t sic h e in e b re ite la n d lo se S c h ic h t h e ra u s g e b ild e t, d ie in
u n te rs c h ie d lic h e n A rb e itsv e rh ä ltn isse n s te h t (W. Manshard 1962, S. 1 9 7 - 198;
H. G. Sc h ö n w ä l d e r 1969, S. 63 - 65):
I. Abusa-Pächter: b e i d ie s e m T e ilp a c h tsy ste m e rh ä lt d e r P ä c h te r 1/3, d e r B e sitzer
2/3 d e r E rträ g e . D er P ä c h te r h a t m it s e in e r F a m ilie alle A rb e ite n n a c h W e isu n g
d es B esitzers a u s z u fü h re n , e r h a t also k e in e U n te rn e h m e rfu n k tio n ;
2. ständige Lohnarbeiter, d ie S tu n d e n -, Tages-, M onats- o d e r J a h re s lo h n e rh a lte n ;
3. temporäre Lohnarbeiter, d ie n u r f ü r d ie A rb e itssp itz e n b e sc h ä ftig t w e rd e n . In
G h a n a ist d as N k o to k u a n o -A rb e itsv e rh ä ltn is w e it v e rb re ite t, w o b e i d e r A rb e ite r
n a c h A k k o rd , d .h . n a c h d e r M en g e des g e e rn te te n K akaos, b e z a h lt w ird . K ontra
k ta rb e ite r, oft in K o lo n n e n o rg a n isie rt, w e rd e n f ü r e in e fe st u m g re n z te A r­
b e it e in g e ste llt, b e isp ie lsw e ise f ü r R o d u n g e n , U n k ra u tjä te n , S a a tv o rb e re itu n g ;
4. Gastarbeiter a u s a n d e re n a frik a n is c h e n S ta a te n , b e s o n d e rs a u s d e r S ah elzo n e.
Sie b ild e n d ie u n te r s te so ziale S c h ic h t, d a sie n a h e z u re c h tlo s s in d u n d b ei
B e sc h ä ftig u n g sp ro b le m e n m it A u sw e isu n g re c h n e n m ü s s e n - so z.B. a u s G h a­
n a 1969/70 u n d au s N ig e ria 1983. Ih re Z ah l g e h t in d ie M illio n e n . S c h o n v o r
d e m E rs te n W e ltk rie g lö ste d ie K a k a o k u ltu r u m fa n g re ic h e W a n d e ru n g e n aus
d e n n ö rd lic h e n S a v a n n e n in d ie R e g e n w a ld z o n e aus. S aiso n a le A rb e ite rw a n ­
d e ru n g e n w e rd e n d u rc h k o m p le m e n tä re A n b a u z e ite n b e g ü n stig t. D ie H a u p t­
k a k a o e rn te a m E n d e d e r G ro ß e n R e g e n z e it (O k to b er b is J a n u a r) b e g in n t, w e n n
d ie E rn te in d e n S a v a n n e n b e e n d e t ist u n d d o rt d ie F e ld a rb e it w e g e n d e r
T ro c k e n z e it ru h t.
D er E in sa tz v o n S a is o n a rb e ite rn so w ie d ie te ilw e ise V e ra n k e ru n g in d e r S u b sis
te n z ö k o n o m ie v e rsc h a fft d e n w e s ta frik a n is c h e n K a k a o b a u e rn im V erg leich zu
d e n P la n ta g e n e in e g rö ß e re E la stiz itä t b e im A rb e itse in sa tz u n d e in e gew isse A bsic
h e r u n g g e g e n ü b e r d e n e x tre m e n W e ltm a rk t-P re issc h w a n k u n g e n - fre ilic h u m
d e n P reis d e r so z ia le n D e fo rm a tio n e in e r f r ü h e r n a h e z u e g a litä te n G esellsch aft.

'Ш V -/1
Щ - ^ 5 :
Die m o n o p o listisc h e n V e rm a rk tu n g s o rg a n is a tio n e n (M a rk e tin g B o ard s, C aisses
d e S ta b ilisa tio n ) w u r d e n b e re its in d e r S p ä tk o lo n ia lz e it g e g rü n d e t, u m d ie Ю еіп-
190 Agrarregionen der Erde
b a u e r n v o r d e n ä rg ste n F o lg en d e r P re is s c h w a n k u n g e n a u f d e m W e ltm a rk t zu
S i j
1 i
sc h ü tz e n . I h n e n o b lie g t A u fk au f, T ra n sp o rt, G ra d ie ru n g (S o rtie ru n g ), Q u a litä tsk
o n tro lle , L a g e ru n g u n d E x p o rt d es K akaos. In d e r P o stk o lo n ia lz e it s c h e in e n sie
te ilw e is e z u F in a n z ie r u n g s in s tr u m e n te n d e s S ta a ts h a u s h a lts u m f u n k tio n ie r t
w o rd e n z u sein . D er E rz e u g e r e rh ä lt in m a n c h e n L ä n d e rn n u r d e n g e rin g e re n Teil
d es E x p o rtp re ise s, d e n L ö w e n a n te il sc h ö p ft d e r S ta a t ab. In N ig e ria u n d G h a n a
re a g ie re n d ie K a k a o b a u e rn m it S c h m u g g e l in d ie N a c h b a rlä n d e r u n d P ro d u k ­
tio n s e in s c h rä n k u n g e n . So s a n k d ie K a k a o p ro d u k tio n G h a n a s v o n 430 000 t (1969
b is 71) a u f 230 000 t (1981) u n d sta g n ie rt s e itd e m a u f d ie s e m N iv eau , d ie je n ig e
N ig erias sa n k im g le ic h e n Z e itra u m v o n 261 0 0 0 1 a u f 160 0 0 0 1.
Der Entwicklungs- und Modernisierungseffekt d e r w e s ta frik a n is c h e n K akaow
irtsc h a ft w ird h ö c h s t u n te rs c h ie d lic h b e w e rte t. E in e rse its w e rd e n d e r re la tiv
h o h e E n tw ic k lu n g ssta n d d e r w e s ta frik a n is c h e n K ü s te n lä n d e r u m 1960 so w ie die
p o sitiv e n E in k o m m e n se ffe k te f ü r d ie K a k a o b a u e rn h e rv o rg e h o b e n (R. V. A l b e r ­
t i n i 1982, S. 374- 386), a n d e r e r s e its u n te r s tr e ic h t e in e k r itis c h e r g e w o rd e n e
A frikaforschung'*® d ie o ffe n s ic h tlic h e n N a c h te ile d ie se s A g ra rsy ste m s f ü r die
P ro d u z e n te n lä n d e r: to ta le A u ß e n a b h ä n g ig k e it, e x tre m e P re is s c h w a n k u n g e n , V ern
a c h lä s s ig u n g d e r N a h r u n g s m itte lp ro d u k tio n , so ziale D iffe re n z ie ru n g , E n tste ­
h u n g re g io n a le r D isp a ritä te n . A us g e o g ra p h is c h e r S ich t w ird m a n d e n h o h e n
G e ld e rtra g je F lä c h e n e in h e it so w ie d ie ö k o lo g isc h e V e rträ g lic h k e it d e r K akaok
u ltu r im V e rg leich z u je d e r N a h ru n g s m itte lk u ltu r n ic h t ü b e rs e h e n d ü rfe n . Das
sc h lie ß t d ie F o rd e ru n g n a c h s tä rk e re r D iv e rsifiz ie ru n g d e r K u ltu re n n ic h t aus.
4.3.4 Regionen des spezialisierten Marktfruchtanbaus
In G e se llsc h a fte n m it a u s g e p rä g te r A rb e itste ilu n g , e n tw ic k e lte r G e ld w irtsc h a ft
u n d in te n s iv e n F e r n h a n d e ls b e z ie h u n g e n k a n n es z u r A u s b ild u n g v o n A g ra r­
s y ste m e n k o m m e n , d ie a u f d ie E rz e u g u n g e in ig e r w e n ig e r p fla n z lic h e r P ro d u k te
sp e z ia lisie rt sin d . D ieser T yp M d e r A g ra rk la ssifik a tio n d e r IGU (s. Ü b e rsic h t 4.2)
lä ß t sich in zw ei U n te rty p e n g lie d e rn , d ie sic h n a c h B e trie b sg rö ß e , F a k to re in sa tz
u n d S o z ia lstru k tu r s ta rk u n te rs c h e id e n :
1. G ro ß b e trie b e (IG U -T ypen M l u n d M e) m it n ie d rig e m A rbeits- u n d h o h e m K apita
le in sa tz , h o h e r F läch en - u n d s e h r h o h e r A rb e itsp ro d u k tiv itä t, s e h r h o h e m
V e rm a rk tu n g s q u o tie n te n u n d s e h r h o h e m S p e z ia lisie ru n g sg ra d , E in sa tz v o n
L o h n a rb e ite rn .
2. K le in b e trie b e (IGU-Typ M i) m it h o h e m A rbeits- u n d K a p ita le in sa tz , s e h r h o h e r
F lächen- u n d A rb e its p ro d u k tiv itä t, s e h r h o h e m S p e z ia lisie ru n g sg ra d , s e h r h o ­
h e m V e rm a rk tu n g s q u o tie n te n , E in sa tz v o n fa m ilie n e ig e n e n A rb e itsk rä fte n .
So z.B. R. Tetzlaff: Ghana. In; Nohlen u. Nuschler (Hrsg.): Handbuch der Dritten Welt,
Band 2, Halbband 1, S. 179 - 195. Hamburg 1976.

Regionen der Ackerbau- und Dauerkultursysteme 191
D er e rste T yp ist u ra lt. L an g e b e v o r d ie P rin z ip ie n d e r A rb e itste ilu n g , S p e z ia lisie ­
r u n g u n d T re n n u n g v o n A rb e it u n d K ap ital E in g a n g in d ie g e w e rb lic h e W a re n ­
p ro d u k tio n fa n d e n , w u r d e n sie im la n d w irts c h a ftlic h e n G ro ß b e trie b p ra k tiz ie rt.
D ie L a tifu n d ie n d e r R ö m e r in N o rd a frik a , d ie b e re its a u f k a rth a g is c h e V o rb ild e r
z u rü c k g e h e n , w a re n S p e z ia lb e trie b e d e r p fla n z lic h e n P ro d u k tio n z u r V e rso rg u n g
d e r g ro ß s tä d tis c h e n M ä rk te d es Im p e riu m s m it G e tre id e u n d O liv en ö l. D ie e rs te n
Z u c k e rp la n ta g e n w u r d e n v o n P e rs e rn im M ü n d u n g s g e b ie t v o n E u p h r a t u n d
T igris im 9 ./10. J a h rh u n d e rt a n g e le g t (L. Waibel 1933, S. 25). Im R a h m e n d e r
K o lo n ia lh e rrsc h a ft ü b e r tr u g e n Europäer'^^ d as A g ra rsy ste m d e r P la n ta g e in d ie
T ro p e n u n d S u b tro p e n , u m d o rt N a h ru n g s- u n d G e n u ß m itte l so w ie in d u s trie lle
R o h sto ffe f ü r d ie M e tro p o le n z u p ro d u z ie re n , ln d e n g e m ä ß ig te n K lim a z o n e n
k a m e n G ro ß b e trie b e d es sp e z ia lis ie rte n M a rk tfru c h ta n b a u s e rs t m it d e r I n d u ­
s tria lis ie ru n g u n d M e c h a n is ie ru n g au f. In N o rd a m e rik a sp e z ia lis ie rte n sic h G ro ß ­
b e trie b e e rstm a ls n ic h t n u r a u f D a u e rk u ltu re n , s o n d e rn a u c h a u f n o rm a le F eld ­
frü c h te , w ie z.B. W eizen . In N o rd w e s te u ro p a fü h rte d ie K u ltu r d e r Z u c k e rrü b e im
19. J a h r h u n d e r t z u r A u sb ild u n g v o n sp e z ia lisie rte n M ark tfru ch tb etrieb en '* ^; es
w a r a b e r e rs t d ie e n o rm e V e rte u e ru n g d e r H a n d a rb e it n a c h 1950, w e lc h e d e n
W ech sel v ie le r g rö ß e re r B e trie b e W e ste u ro p a s v o m G e m isc h tb e trie b z u m sp e z ia lis
ie rte n M a rk tfru c h tb e trie b v e ra n la ß te . Im E x tre m fa ll w ird v ö llig v ie h lo s gew irtsc
h a fte t, d ie f ü r E u ro p a seit J a h r h u n d e r te n ty p isc h e V e rk n ü p fu n g v o n A ck e rb a u
u n d V ie h h a ltu n g in e in e m B e trie b lö st sic h auf. In d e n m e is te n so z ia listisc h e n
L ä n d e rn E u ro p a s v e rlie f d ie E n tw ic k lu n g z u s p e z ia lisie rte n M a rk tfru c h tb e trie b e n
(z.B. LPG P fla n z e n p ro d u k tio n ) ä h n lic h , d ie a n d e rs a rtig e E ig e n tu m s fo rm ist au s
g e o g ra p h is c h e r S icht u n e rh e b lic h .
N ach H. F. Gregor (1965, S. 22) w e ise n d ie g ro ß e n M a rk tfru c h tb e trie b e d e r
g e m ä ß ig te n K lim a z o n e n d ie m e is te n d e rje n ig e n M e rk m a le au f, d ie f r ü h e r a lle in
d e n P la n ta g e n z u g e s c h rie b e n w u rd e n , n ä m lic h S p e z ia lisie ru n g des A n b a u s, h o c h ­
ra tio n a lis ie rte K u ltu r- u n d E rn te te c h n ik e n , g ro ß e B e trie b s e in h e ite n , z e n tra lis ie rte
L e itu n g , S p e z ia lisie ru n g d e r A rb e itsk rä fte , M a sse n p ro d u k tio n u n d h o h e r K ap itala
u fw a n d . E r d e h n t d e sh a lb d e n B eg riff „ P la n ta g e “ a u f d ie M a rk tfru c h tb e trie b e
d e r M itte lb re ite n aus (H. F. Gregor 1970 b), w as a lle rd in g s v o n d e n m e is te n
A g ra rg e o g ra p h e n n ic h t n a c h v o llz o g e n w ird .
D er z w e ite T yp, d e r arb e its- u n d k a p ita lin te n s iv e sp e z ia lisie rte K le in b e trie b ,
k u ltiv ie rt v o rw ie g e n d B aum - u n d S tra u c h k u ltu re n , G e m ü se , Z ie rp fla n z e n . Als
G arten-, W ein- u n d O b s tb a u b e trie b h a t e r in v e rs c h ie d e n e n K u ltu rk re is e n e in e
a lte T ra d itio n . V om G ro ß b e trie b u n te rs c h e id e t e r sich n ic h t n u r d u rc h d ie s e h r
Es ist wenig sinnvoll, Stammbäume der Plantage aufzustellen. W. Gerling hat bereits 1954
darauf hingewisen, daß „beim Vorwalten ganz bestimmter ökonomischer Voraussetzungen
die Entwicklung einer solchen Wirtschaftsform prinzipiell möglich ist“.
Bereits E. Hahn (1892, S. 10) verglich in seiner bekannten Abhandlung „Die Wirtschaftsformen
der Erde“ den Zuckerrübenanbau mit der Plantagenwirtschaft: „Zugleich zieht der
Zuckerbau in steigendem Maße die Arbeitskräfte anderer Gegenden zu einer dem Plantagenbau
sehr ähnlichen Arbeit heran und versucht mit Glück unsere unerquicklichen Fabrikzustände
auf das flache Land zu verpflanzen.“

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'f I oW'^ ^
^
V i
^
192
Agrarregionen der Erde
'ч'- г ¿íS
т
v ie l g e rin g e re B etrie b sflä c h e, s o n d e rn a u c h d u rc h h ö h e re In te n s itä t u n d F lä c h e n ­
p ro d u k tiv itä t so w ie d u rc h d ie D o m in a n z fa m ilie n e ig e n e r A rb e itsk rä fte .
V on b e id e n T y p e n so lle n n a c h fo lg e n d d re i R a u m b e isp ie le e rö rte rt w e rd e n .
ШМ
Die Plantagenregionen
D as A g ra rsy ste m d e r P la n ta g e ist seit la n g e m U n te rs u c h u n g s o b je k t v e rs c h ie d e n e r
w isse n sc h a ftlic h e r D isz ip lin e n . V on g e o g ra p h is c h e r S eite h a b e n sic h v o r alle m
L. W a ib e l , W . G e r u n g , H. B l u m e , H. F. G r e g o r , P. p. C o u r t e n a y m it ih m b e fa ß t.
D ie P la n ta g e n w irts c h a ft w a r d as sp e z ifisc h e M a rk tfru c h ts y s te m d e r T ro p e n
u n d S u b tro p e n im R a h m e n d es k o lo n ia le n W irtsc h a ftssy ste m s. Z u s a m m e n m it
d e r e x te n siv e n s ta tio n ä re n W e id e w irtsc h a ft (vgl. K ap itel 4.2.2) u n d d e m B e rg b au
d ie n te sie als S p e e rsp itz e d e r k o lo n ia le n P e n e tra tio n . Im R a h m e n d e r Z e n tru m -
P erip h e rie -M o d e lle k ö n n e n P la n ta g e n als E in ric h tu n g e n d e r M e tro p o le n a n d e r
je w e ilig e n P e rip h e rie e rk lä rt w e rd e n (P. P. Courtenay 1980, S. 15). Ih re H a u p t­
fu n k tio n w a r d ie L ie fe ru n g d e rje n ig e n p fla n z lic h e n E rz e u g n isse a n d ie M e tro p o ­
le n , d ie d o rt a u s k lim a tis c h e n G rü n d e n n ic h t p ro d u z ie rt w e rd e n k ö n n e n . Z u r
E in ric h tu n g u n d U n te rh a ltu n g d es P la n ta g e n sy ste m s ist d e r T ra n s fe r v o n K apital
u n d M a n a g e m e n t a u s d e n M e tro p o le n n ö tig . P la n ta g e n a rh e ite r w u r d e n v o m 16.
h is in s 20. T a h rh u n d e rt m e is t a u s f re m d e n L ä n d e rn r e k r u tie r t, u rs p r ü n g lic h als
S k lav en , n a c h d e n S k la v e n b e fre iu n g e n als K o n tra k ta rb e ite r. D ie P la n ta g e w a r
so m it e in g e s p a n n t in e in w e iträ u m ig e s V e rfle c h tu n g ssy ste m v o n P ro d u k tio n sfa k -
to r e n u n d P ro d u k te n , d as e in d e u tig v o n d e n M e tro p o le n g e s te u e rt w u rd e . Im
e ig e n e n L an d h a tte n d ie P la n ta g e n re g io n e n v ie lfa c h E n k la v e n c h a ra k te r.
D ie Z ahl d e r P la n ta g e n d e fin itio n e n ist k a u m m e h r z u ü b e rs c h a u e n . W. G erl
in g (1954, S. 19 - 20) s c h re ib t d e r P la n ta g e fo lg e n d e M e rk m a le zu:
- E rz e u g u n g v o n R o h sto ffe n d e r tro p is c h -s u b tro p is c h e n Ю іт а г о п е п ,
- in te n siv e W irtsc h a ftsw e ise ,
- G ro ß b e trie b m it a u s g e d e h n te n K u ltu rflä c h e n u n d m it te ilw e ise te c h n isc h -in ­
d u s trie lle m C h a ra k te r,
- h o h e K apital- u n d A rb e ite rm e n g e n ,
- W e ltm a rk to rie n tie ru n g ,
- F ü h ru n g s k rä fte u n d E ig n e r s in d in d e r R egel E u ro p ä e r o d e r N o rd a m e rik a n e r,
- U n te rs c h e id u n g v o m b ä u e r lic h e n B e trie b d u r c h T e n d e n z z u r M o n o k u ltu r,
G rö ß e d e r A n b a u flä c h e u n d h ö h e re te c h n is c h e A u ssta ttu n g .
S eit d e m E rsc h e in e n v o n G e r l in g s v ie lb e a c h te te r M o n o g ra p h ie h a b e n d ie P la n ta ­
g e n re g io n e n in fo lg e d e r E n tk o lo n ia lis ie ru n g u n d d e r a llg e m e in e n so zioökonom
is c h e n E n tw ic k lu n g (In d u s tria lis ie ru n g , V e rstä d te ru n g ) tie fg re ife n d e V e rä n d e ­
ru n g e n e rfa h re n . D ie GERLiNGsche D e fin itio n m u ß d a h e r in e in ig e n P u n k te n m o ­
d ifiz ie rt w e rd e n . E in e jü n g e re , k n a p p e D e fin itio n d es A g ra rsy ste m s „ P la n ta g e “
fin d e t sich b ei W. D o p p l e r (1991, S. 188): „ P la n ta g e n s in d m a rk to rie n tie rte Betrie
b ssy ste m e m it D a u e rk u ltu re n , d ie d u rc h e in e h o h e F lä c h e n k a p a z itä t, h o h e
K a p ita lin v e stitio n e n u n d L o h n a rb e its v e rfa s s u n g g e k e n n z e ic h n e t sin d . D ie Z ielse
tz u n g ist in d e r R egel d ie M a x im ie ru n g d e r K a p ita lre n d ite u n d d es U n te rn e h ­
m e rg e w in n s. D ie F le x ib ilitä t d e r E n ts c h e id u n g e n ü b e r d ie P ro d u k tio n s ric h tu n -

Regionen der Ackerbau- und Dauerkultursysteme 193
g e n ist e in w ic h tig e s M e rk m a l d ie se r S y stem e. V on g le ic h e r B e d e u tu n g k a n n d ie
e rfo rd e rlic h e o d e r v o rh a n d e n e V e ra rb e itu n g s in d u s trie s e in .“ N ach d e r L e b e n s­
d a u e r d e r K u ltu re n u n te rs c h e id e t D o p p l e r d re i U n te rty p e n :
- K u rz fristig e In v e s titio n s p e rio d e in D a u e r k u ltu r e n m it A n p a s s u n g s m ö g lic h ­
k e ite n a n d ie M a rk tv e rh ä ltn isse in Z e its p a n n e n v o n d re i b is fü n f Ja h re n . D ies
g ilt fü r m e h rjä h rig e F e ld k u ltu re n w ie A n a n a s, Z u c k e rro h r, Sisal.
- M itte lfristig e In v e s titio n s p e rio d e n in D a u e rk u ltu re n m it A n p a ssu n g sm ö g lic h ­
k e ite n a n d e n M a rk t in n e r h a lb v o n 10 b is 20 Ja h re n b e i S tra u c h k u ltu re n w ie
K affee, T ee u n d B a n a n e n .
f
- L a n g fristig e I n v e s titio n s p e r io d ^ in D a u e rk u ltu re n m it A n p a s s u n g s m ö g lic h ­
k e ite n in n e r h a lb e in e r Z e its p a n n e v o n 20 b is 50 Ja h re n . H ie rb e i h a n d e lt es sich
u m B a u m k u ltu re n w ie ^ g u m e ^ K a u tsc h u k , Ö lp a lm e n .
In ih r e r fü n f h u n d e r tjä h r ig e n G e sc h ic h te h a t sich d ie P la n ta g e als re c h t d y n a ­
m isc h e s A g ra rsy ste m e rw ie se n , d a s sic h ste ts d e n W a n d lu n g e n d e r W irtsc h a ftsu
n d G e se llsc h a ftssy ste m e a n g e p a ß t h a t. In h is to ris c h e r S ich t la sse n sic h d re i E n t­
w ic k lu n g s p h a s e n fe stste lle n :
1. Die klassische traditionelle Plantage des 16. - 19. Jahrhunderts m it e u ro p ä ­
is c h e n E ig n e rn u n d F ü h ru n g s k rä fte n u n d a frik a n is c h e n S klaven. P ro d u k tio n s ­
ziel w a re n h o c h w e rtig e tro p is c h e S p e z ia lp ro d u k te f ü r d e n e u ro p ä is c h e n M ark t,
w e lc h e d ie h o h e n T ra n s p o rtk o s te n v e rtru g e n , w ie Z u c k e r u n d R u m , T ab ak ,
K affee u n d G ew ü rze. W eg en d e r g ü n s tig e n S e g e lsc h iffv e rb in d u n g e n zu E u ro p a
la g d as S c h w e rg e w ic h t im a m e rik a n is c h e n R aum ; d e r a m e rik a n is c h e P la n ta ­
g e n g ü rte l e rstre c k te sich v o n V irg in ia ü b e r d ie K a rib ik b is n a c h N o rd o st-B rasilie
n . E in ö k o n o m isc h e s V e rb u n d s y s te m E u ro p a-A frik a-A m erik a e n ts ta n d . In
d e r A lten W elt k a m es e rs t v o m 18. J a h r h u n d e r t an z u r A u sb ild u n g v o n k le in e n
P la n ta g e n re g io n e n , w ie Sao T o m é (K akao), M a u ritiu s u n d R é u n io n (Zucker).
2. D ie moderne kapitalistische Plantage e n ts ta n d in d e r 2. H älfte d es 19. J a h r h u n ­
d e rts. I n d u s tria lis ie ru n g u n d V e rs tä d te ru n g in E u ro p a u n d N o rd a m e rik a lie ­
ß e n d ie N ach fra g e n a c h tro p is c h e n P ro d u k te n steil a n ste ig e n . N eu e T ra n s p o rtte
c h n ik e n w ie D am pf- u n d K ü h lsc h iff e rm ö g lic h te n je tz t a u c h d e n V e rsa n d v o n
g e rin g w e rtig e n M a sse n g ü te rn u n d v e rd e rb lic h e r F risc h w a re , w ie z.B. B a n a n e n .
R isik o k a p ita l su c h te n a c h A n lag e - ä h n lic h w ie b e re its im 16. J a h r h u n d e r t n a c h
d e m Ü b e rg a n g z u r G e ld w irtsc h a ft (W. G e r l in g 1954, S. 11). G ro ß e K ap italg e­
se llsc h a fte n tr a te n h ä u fig a n d ie S telle d es p riv a te n P la n ta g e n e ig n e rs . S ch w ier
ig k e ite n b e re ite te n a c h d e n S k la v e n b e fre iu n g e n d e s 19. J a h r h u n d e r ts d ie
B e sc h a ffu n g d e r A rb e itsk rä fte . D e r S c h w e rp u n k t d e r P la n ta g e n w irts c h a ft v e r­
la g e rte sic h d a h e r in d ie a sia tis c h e n T ro p e n , n a c h O sta frik a u n d O z e a n ie n , d a
d o rt a u s d e m d ic h tb e v ö lk e rte n A sien d e r B e d a rf a n A rb e ite rn le ic h te r z u dekk
e n w ar. B reite S trö m e v o n in d is c h e n u n d c h in e s is c h e n K o n tra k ta rb e ite rn in
d ie P la n ta g e n re g io n e n w u r d e n au sg e lö st, d e re n N a c h k o m m e n n o c h h e u te d o rt
e th n is c h e M in o ritä te n b ild e n . D ie Ö ffn u n g d es S u e z k a n a ls (1869) v e rk ü rz te d ie
D ista n z z u E u ro p a u n d v e rb e s s e rte so d ie W e ttb e w e rb sste llu n g d e r afro-asiatis
c h e n P la n ta g e n re g io n e n .
3. D ie Plantage der Postkolonialzeit. E n tg e g e n v ie le n E rw a rtu n g e n ist d as A g ra r­
sy ste m P la n ta g e m it d e m E n d e d e r K o lo n ia lre ic h e k e in e sw e g s v e rs c h w u n d e n ,
d ie u n a b h ä n g ig g e w o rd e n e n S ta a te n v e rs u c h e n v ie lm e h r, d ie P la n ta g e ih r e r

194 Agrarregionen der Erde
i
: Ч
issa
n a tio n a le n W irtsc h a ftsp o litik d ie n s tb a r z u m a c h e n (vgl. a u c h T ab elle 4.16).
Die w irts c h a ftlic h e n V o rteile d e r P la n ta g e s in d o ffe n sic h tlic h so ü b e rz e u g e n d ,
d a ß R e g ie ru n g e n d e r u n te rs c h ie d lic h s te n id e o lo g isc h e n R ic h tu n g e n sie in ih re
E n tw ic k lu n g s p o litik in te g r ie r e n , ln v ie le n L ä n d e rn (M a g h re b , In d o n e s ie n ,
K uba, O sta frik a ) w u r d e n d ie a u s lä n d is c h e n E ig e n tü m e r e n te ig n e t u n d d ie
P la n ta g e n als S ta a tsb e trie b e , K o o p e ra tiv e n o d e r v o n e in h e im is c h e n P riv a tle u ­
te n w e ite rg e fü h rt. V e re in z e lt k a m es a u c h z u r V e rte ilu n g des P la n ta g e n la n d e s
a n Ю еіпЬ аи егп. D as a u s lä n d is c h e F ü h ru n g s p e rs o n a l w u rd e n a c h M ö g lich k eit
d u rc h E in h e im isc h e e rse tz t, d e r e th n is c h e D u a lism u s v e rs c h w a n d w e itg e h e n d ;
K o n tra k ta rb e ite r w e rd e n k a u m m e h r im A u sla n d a n g e w o rb e n . W eit sch w ierig
e r g e sta lte n sic h d ie B e m ü h u n g e n z u m A b b au des E n k la v e n c h a ra k te rs d e r
P la n ta g e n . N u r in re la tiv w e n ig e n L ä n d e rn (A lgerien, In d ie n , In d o n e s ie n , B rasilien
) k a n n d ie In p u tb e s c h a ffu n g im In la n d e rfo lg e n u n d n u r f ü r e in ig e P la n ta ­
g e n p ro d u k te w ie z.B. Z u ck er, T ab ak , T ee, p fla n z lic h e Ö le la sse n sic h B in n e n ­
m ä rk te e rsc h lie ß e n . D er D e v ise n m a n g e l u n d d as F e h le n a lte rn a tiv e r E x p o rtp
ro d u k te z w in g e n d ie E n tw ic k lu n g slä n d e r, d ie E x p o rto rie n tie ru n g ih r e r P la n ­
ta g e n a u fre c h tz u e rh a lte n , w ie d as B eisp iel d e r k u b a n is c h e n Z u c k e rw irtsc h a ft
le h rt.
Tab. 4.16;
Tropische Kulturen mit Anbauschwerpunkten in Plantagen
(Quellen: H. Ruthenberg, 1967, S. 183; P. P. C ourtenay, 1980, S. 105; FAQ. Production Yearbook
1981,1994)
4 :in' '
1 . . . f -
ökonomische Hauptanbaugebiete Ernte in 10001
Nutzungsdauer
Jahre 1969-71 1994
Zuckerrohr 6-8 Brasilien, Karibik,
576812 1075893
Indien, Australien
Bananen 20 Zentralamerika, Ecuador, 30761 52584
Westafrika
Sisal 6-20 Brasilien, Ostafrika 645 305
Tee 50 Indien, Sri Lanka,
1264 2623
Ostafrika
Gummibaum 35 Liberia, SO-Asien 3004 5636
Ölpalme 50 Malaysia, W-Afrika,
1987 14577
Kongo
Kaffee 30-100 Brasilien,
4262 5430
Zentralamerika, Ostafrika
Kokospalme 80 SO-Asien, Ozeanien 29355 44059
Ananas 6-13 SO-Asien, Hawaii,
Mexiko, Elfenbeinküste
4969 11832
P. P. Courtenay (1980, S. 83) g ib t e in e n e u e D e fin itio n d e r m o d e r n e n P la n ta g e d e r
P o stk o lo n ialzeit: sie ist a u fz u fa sse n als e in a u f d ie P ro d u k tio n u n d u n m itte lb a re
V e ra rb e itu n g v o n P fla n z e n sp e z ia lisie rte s W ir ts c h a fts u n te rn e h m e n u n te r z e n tra ­
le m M a n a g e m e n t, d as w isse n sc h a ftlic h e M e th o d e n u n d e ffiz ie n te P ro d u k tio n s-

1
Regionen der Ackerbau- und Dauerkultursysteme 195
te c h n ik e n a n w e n d e t. K u ltu re n d ie ih r e n A n b a u s c h w e rp u n k t in P la n ta g e n h a b e n ,
s in d ü b e rw ie g e n d D a u e rk u ltu re n m it g a n z jä h rig e r E rn te z e it. W eg en d e r g le ic h ­
m ä ß ig e re n A u sla stu n g v o n A rb e its k rä fte n u n d te c h n is c h e n A n la g e n s in d sie v o r­
te ilh a fte r als S a iso n frü c h te m it a u s g e s p ro c h e n e n A rb e itssp itz e n . F ü r d ie se e ig n e t
sic h d e r k le in b ä u e rlic h e B e trie b m it s e in e r g rö ß e re n A rb e its e la s tiz itä t b e s s e r
(P. P. Courtenay 1980, S. 83). A us d e r la n g e n ö k o n o m isc h e n N u tz u n g s d a u e r d e r
P la n ta g e n k u ltu re n v o n 60 - 80 J a h re n r e s u ltie re n e in ig e c h a ra k te ris tis c h e M erk ­
m a le d e r P lan tag e. A us ö k o lo g isc h e r S ich t d ie n e n D a u e rk u ltu re n w e it b e sse r d e r
E rh a ltu n g d e r B o d e n fru c h tb a rk e it als F e ld k u ltu re n . E in ig e e rla u b e n d ie N u tz u n g
v o n H ä n g e n , d ie fü r d e n A c k e rb a u n ic h t in F rage k o m m e n , w ie z.B. d e r T eestra
u c h . A us ö k o n o m is c h e r S ich t ist d e r h o h e K a p ita la u fw a n d je B e trie b b e m e r­
k e n sw e rt. E r e rg ib t sic h a u s d e r e rtra g s lo s e n Z eit z w isc h e n P fla n z u n g u n d e rs te r
E rn te , v o r a lle m a b e r au s d e n A u fw e n d u n g e n f ü r d ie I n f r a s tr u k tu r (V e rk e h rse in ­
ric h tu n g e n , P la n ta g e n s ie d lu n g e n m it W o h n u n g e n , S c h u le n , L äd e n usw .) u n d d ie
A u fb e re itu n g s- u n d V e ra rb e itu n g s a n la g e n , d ie v ie lfa c h F a b rik e n d a rste lle n . In d e r
ä lte re n P la n ta g e n lite ra tu r w ird d e r te c h n is c h -in d u s trie lle C h a ra k te r d ie se s A g rarsy
stem s b e so n d e rs b e to n t (z.B. b e i L. Waibel 1933). E r w ird te ils d u r c h d ie V erd
e rb lic h k e it d e r F rü c h te , te ils d u r c h d a s G e w ic h ts v e rlu s tm a te ria l e rz w u n g e n
(F a se ra n te il b e i S isalagave: 2 - 5 %l). D abei ist z w isc h e n e in fa c h e r te c h n is c h e r
A u fb e re itu n g (z.B. F e rm e n tie re n u n d T ro c k n e n d e r K a ffe e b o h n en ) u n d in d u s trie l­
le r V e ra rb e itu n g zu F e rtig p ro d u k te n , w ie z.B. A n a n a sk o n se rv e n , z u u n te rs c h e i­
d e n (W. Gerling 1954, S. 19). D ie h o h e n F ix k o ste n d e r A n la g e n h a b e n sc h o n frü h
d ie M o n o k u ltu r g e fö rd e rt. D as g ilt n a c h w ie v o r f ü r P ro d u k te , d e r e n V e ra rb e i­
tu n g s a n la g e n e in e rse its e in e g ew isse M in d e stg rö ß e h a b e n m ü sse n , d ie a b e r a n d e ­
re rse its k e in e h o h e n T ra n s p o rtk o s te n v e rtra g e n , w ie z.B. Z u c k e rro h r, A n a n a s.
A n d e re rse its g e h t au s ö k o lo g isc h e n u n d ö k o n o m isc h e n G rü n d e n d ie T e n d e n z z u r
P o ly k u ltu r. So b a u t z.B. d ie U n ite d F ru it C o m p a n y a u f ih r e n m itte la m e r ik a ­
n is c h e n P la n ta g e n n e b e n d e r H a u p tk u ltu r B a n a n e a u c h K akao u n d Ö lp a lm e n a n
(H. F. Gregor 1965, S. 227). F rü c h te , d ie frisc h a u f d e n M a rk t k o m m e n , b e n ö tig e n
z w a r k e in e V e ra rb e itu n g s a n la g e n , s in d d a fü r a b e r a u f e x ak t te r m in ie r e n d e E rnte-,
T ra n sp o rt- u n d A b sa tz o rg a n isa tio n e n a n g e w ie se n . A us d ie s e m G ru n d e d o m in ie rt
g e ra d e b e i d ie s e n P ro d u k te n (B an an e, A n an as) d e r G ro ß b e trie b .
E in g ra v ie re n d e r N a c h te il d e r B aum - u n d S tra u c h k u ltu re n m it ih re m la n g e n
P ro d u k tio n s v o rla u f v o n 4 - 8 J a h re n ist d ie g e rin g e E la stiz itä t d es A n g eb o ts. E in
A n p a s s u n g a n d e n M a rk t ist n u r la n g fris tig m ö g lich .
V o rte ilh a ft a u s d e r S ic h t d e r E n tw ic k lu n g s lä n d e r ist d e r h o h e B e d a rf d e r
D a u e rk u ltu re n a n H a n d a rb e it, d e r a u ß e rd e m re la tiv g le ic h m ä ß ig ü b e r d a s Ja h r
v e rte ilt ist. D ageg en s in d P la n ta g e n in H o c h lo h n lä n d e rn w ie USA u n d in s b e s o n ­
d e re im B u n d e s s ta a t H a w a ii so w ie A u s tra lie n h o c h g ra d ig m e c h a n is ie rt. D ie
S o z ia ls tru k tu r d e r P la n ta g e n b e s c h ä ftig te n ä h n e lt d e r v o n In d u s trie b e trie b e n m it
ih r e r s tra ff g e g lie d e rte n H ie ra rc h ie v o n L o h n e m p fä n g e rn : M a n a g e r, A n g estellte in
B ü ro s u n d F o rs c h u n g s e in ric h tu n g e n , In g e n ie u re , A u fse h e r, V o ra rb e ite r, F a c h ­
a rb e ite r, e in fa c h e A rb e ite r. D ie E n tk o lo n is ie ru n g h a t le d ig lic h d e n D u a lism u s
z w isc h e n W e iß e n u n d F a rb ig e n so w ie d e n a u s lä n d is c h e n K o n tra k ta rb e ite rn w e itg
e h e n d b e se itig t. G e setzlich e M a ß n a h m e n d e r u n a b h ä n g ig e n R e g ie ru n g e n versü
c h te n , d ie so ziale Lage d es lä n d lic h e n P ro le ta ria ts zu v e rb e sse rn : M in d e stlö h n e ,

196 Agrarregionen der Erde
Abb. 4.19:
Kautschukplantage in
West-Sumatra
(Quelle: U. Scholz
1977)
A n sätze e in e r S o z ia lv e rsic h e ru n g . A u ch h e u te n o c h e rfo lg t d ie E n tlo h n u n g n u r
te ilw e ise d u rc h G eld. So b e s te h t in d e n K a u ts c h u k p la n ta g e n W e st-S u m atras d e r
ü b e rw ie g e n d e T eil d es L o h n s a u s N a tu ra lie n w ie R eis, K ero sin , ro e id e rsto ffe ,
a u s fre ie r W o h n u n g u n d e in e m S tü c k L a n d z u m A n b a u v o n N a h ru n g s m itte ln
(U. Sc h o l z 1977, S. 161). T ro tz d e r n ie d rig e n L ö h n e s in d P la n ta g e n s e h r lo h n in ­
te n siv e B etriebe; d e r A n te il d e r L ö h n e a n d e n B e trie b sk o ste n k a n n 50 - 80 % e r­
re ic h e n . W ie in d e r in d u s trie lle n A rb e itsw e lt ü b lic h , w ird d ie B eleg sch aft d e n
A b s a tz m ö g lic h k e ite n a n g e p a ß t. E rfo r d e r n A b s a tz k ris e n e in e P ro d u k tio n s e in ­
sc h rä n k u n g , w ird e in T eil d e r B e sc h ä ftig te n e n tla sse n .
D ie so ziale G lie d e ru n g d e r P la n ta g e n b e v ö lk e ru n g sp ie g e lt sic h in d e r h ie r a r ­
c h isc h s tr u k tu r ie r te n P la n ta g e n s ie d lu n g w id e r - n ic h t u n ä h n lic h d e n B e rg b a u ­
s ie d lu n g e n in d e r D ritte n W elt (s. A b b ild u n g 4.19). P la n ta g e n s ie d lu n g e n k ö n n e n

1
Regionen der Ackerbau- und Dauerkultursysteme 197
d u rc h a u s d ie B e v ö lk e ru n g sz a h l e in e r Ю ein sta d t e rre ic h e n ; d ie A u s s ta ttu n g d e ra r­
tig e r W e rk s s ie d lu n g e n m it In fra s tru k tu r- u n d V e rs o rg u n g s e in ric h tu n g e n ü b e r ­
trifft o ft d e n S ta n d a rd lä n d lic h e r G ebiete.
D ie P la n ta g e ist e in se it la n g e m h e ftig u m s tritte n e s A g ra rsy ste m . Ih re u n b e ­
s tre itb a re n V o rteile lie g e n a u f ö k o n o m is c h e m G eb iet w e g e n ih r e n w isse n sc h a ftlic
h fu n d ie rte n , in d u s trie m ä ß ig e n P ro d u k tio n s m e th o d e n . Im V erg leich z u k le in ­
b ä u e rlic h e n B e trie b e n d e r T ro p e n u n d S u b tro p e n e rz ie le n sie m e is t e in e h ö h e re
F lä c h e n p ro d u k tiv itä t u n d v o r a lle m e in e h ö h e re P ro d u k tq u a litä t, w as f ü r d ie
E x p o rtfä h ig k e it e n ts c h e id e n d ist. D as g ilt b e s o n d e rs f ü r P ro d u k te m it h o h e m
A u fb e re itu n g s a u fw a n d w ie T ee, Z u c k e r, P alm ö l. D ie A rb e its p ro d u k tiv itä t u n d
- d a v o n a b h ä n g ig - d ie E in k o m m e n s - u n d L e b e n s v e rh ä ltn is s e d e r P la n ta g e n ­
b e v ö lk e ru n g sin d v ie lfa c h b e s s e r als in b e n a c h b a rte n b ä u e rlic h e n R eg io n en . A us
e n tw ic k lu n g s p o litis c h e r S ich t b ild e n P la n ta g e n re g io n e n in d e r R egel k e in e P ro ­
b le m rä u m e , sie g e n ie ß e n d a h e r a u c h w e n ig F ö rd e ru n g b e i F o rs c h u n g u n d E n t­
w ic k lu n g (W. Doppler 1991, S. 190). P la n ta g e n w a re n d ie W e g b e re ite r des w is s e n ­
s c h a ftlic h -te c h n isc h e n F o rtsc h ritts in d e r tro p is c h e n L a n d w irtsc h a ft; d ie m o d e rn e
P la n ta g e n te c h n ik m it ih r e n B au m - u n d S tr a u c h k u ltu re n k a n n sic h d e n ö k o lo g i­
sc h e n P ro b le m e n d e r T ro p e n fle x ib le r a n p a s s e n als d ie Ю еіп Ь аи егп . P la n ta g e n
s in d a u ß e rd e m v ie lfa c h d ie In s tr u m e n te d e r B in n e n k o lo n is a tio n im U rw ald.
D ie N a c h te ile d e r P la n ta g e s in d v o rw ie g e n d p o litis c h e r A rt, n ä m lic h d ie w e ite r
b e s te h e n d e A b h ä n g ig k e it v o n a u s lä n d is c h e n M ä rk te n m it e x tre m e n P re issc h w a n ­
k u n g e n . N u r b e i w e n ig e n P ro d u k te n w ie Z u ck er, T ee u n d P a lm ö l le is te n d ie
P la n ta g e n e in e n B e itra g z u r E rn ä h ru n g s s ic h e ru n g ih r e r S ta a te n ; v ie lfa c h s in d
P la n ta g e n re g io n e n a u f d ie Z u fu h r v o n G ru n d n a h r u n g s m itte ln a n g e w ie se n . Ih re
so ziale P ro b le m a tik , d ie S c h a ffu n g e in e r S c h ic h t v o n la n d lo s e n A rb e ite rn , d ü rfte
e ig e n tlic h h e u te n ic h t m e h r so n e g a tiv b e u rte ilt w e rd e n , d a d ie v o n a lle n E n tw ic k ­
lu n g s lä n d e r n a n g e s tre b te I n d u s tr ia lis ie r u n g d e n g le ic h e n E ffekt h ä tte .
W ie ist d ie Z u k u n ft d e r P la n ta g e z u b e u rte ile n ? Im Z u g e d e r E n tk o lo n is ie ru n g
g in g q n Z ah l u n d B e trie b sflä c h e n d e r P la n ta g e n in d e n m e is te n tro p is c h e n L änd
e r n s ta rk z u rü c k - ein ig e S ta a te n m it b e to n t m a rk tw irts c h a ftlic h e r W irtsc h a ftsp
o litik w ie L ib eria, E lfe n b e in k ü ste , M alaysia, P h ilip p in e n a u s g e n o m m e n . H e u te
ist d a g e g e n d ie P la n ta g e n w irts c h a ft in d e n T ro p e n w ie d e r in A u s b re itu n g b e g riffen
, a u s d rü c k lic h g e fö rd e rt v o n d e n ju n g e n N a tio n a lsta a te n . D ab ei la sse n sic h
n e u e a g ra rin d u s trie lle O rg a n is a tio n s fo rm e n b e o b a c h te n , d ie w e it ü b e r d e n a lte n
P la n ta g e n b e g riff h in a u s g e h e n - das sog. Agrobusiness. D ieser a u s d e n USA s ta m ­
m e n d e B eg riff b e z e ic h n e t e in k o m p le x e s P ro d u k tio n ssy ste m , d as v o n d e r I n p u t­
b e s c h a ffu n g ü b e r P ro d u k tio n , V e ra rb e itu n g u n d V e rm a rk tu n g re ic h t. U n te r d e m
Z w an g , a n g e sic h ts d es B e v ö lk e ru n g sa n stie g s d ie N a h ru n g s p ro d u k tio n ra s c h ste i­
g e rn u n d E x p o rtp ro d u k te b e re its te lle n z u m ü sse n , e n ts c h ie d e n sic h d ie R e g ie ru n ­
g e n o ft fü r a g ro in d u s trie lle G ro ß o b je k te a n ste lle d e r la n g w ie rig e n F ö rd e ru n g d e r
b ä u e rlic h e n P ro d u k tio n . Es k o m m t z u m Z u s a m m e n w irk e n v o n R e g ie ru n g e n , d ie
d as L an d z u r V e rfü g u n g ste lle n , in te rn a tio n a le n F in a n z q u e lle n u n d m u ltin a tio ­
n a le n L e b e n s m itte lk o n z e rn e n , d ie ih r e n S a c h v e rsta n d fü r P la n u n g , sc h lü sse lfe rtig
e n A u fb a u u n d F ü h r u n g d es G ro ß p ro je k ts so w ie d ie V e rm a rk tu n g d e r P ro d u k te
e in b rin g e n . E. W. Schamp (1981) h a t d e n A u fb a u e in e r R o h rz u c k e rp ro d u k tio n im
tro p is c h e n A frika b e sc h rie b e n . Z w ei K om plexe, d ie v o n d e r R e p u b lik K a m e ru n

198 Agrarregionen der Erde
Í
z u s a m m e n m it fra n z ö sisc h e n F irm e n b e trie b e n w e rd e n , u m fa s s e n 13 000 bzw .
11 200 h a. Ä h n lic h w ie b e i d e r P la n ta g e n w irts c h a ft w ird d e r ö k o n o m isc h e E rfo lg -
E rz e u g u n g v o n 40 000 t Z u c k e r/J a h r - m it so z ia le n F o lg en e rk a u ft: S aison- u n d
W a n d e ra rb e ite r au s N o rd k a m e ru n , so ziale E n k la v e n s itu a tio n d es G ro ß b e trie b e s.
D ie R e g ie re n d e n fö rd e rn d as G ro ß p ro je k t, d a es im V e rg leich z u k le in b ä u e rlic h e n
E n tw ic k lu n g sp ro je k te n le ic h te r d u rc h s e tz b a r u n d in te r n a tio n a l le ic h te r z u fin a n ­
z ie re n ist so w ie s c h n e lle r re n ta b e l w ird . D as a u s lä n d is c h e U n te rn e h m e n b e h e b t
d ie K n a p p h e it a n te c h n is c h -o rg a n isa to risc h e n F ä h ig k e ite n . In sg e sa m t g e h t a b e r
d ie ra sc h e ö k o n o m isc h e E ffizien z a u f K o sten e in e r in te g rie rte n E n tw ic k lu n g des
lä n d lic h e n R au m es. D ie F ö rd e ru n g d es A g ro b u sin e ss w a r e in e d e r U rsa c h e n d e r
ira n is c h e n R e v o lu tio n v o n 1979. F e h lin v e s titio n e n b le ib e n n ic h t aus. V on sechs
Z u c k e rk o m p le x e n d e r E lfe n b e in k ü s te m u ß te n 1984 zw ei m it je w e ils 6 000 h a
B e w ä sse ru n g sla n d w e g e n A b satz sc h w ie rig k e ite n stillg e le g t w e rd e n u n d so lle n au f
R e isa n b a u u m g e s te llt w e rd e n (F ra te rn ité M atin , A b id jan , 5.9.1984).
Marktfruchtbauregionen in der Bundesrepublik Deutschland
D ie v o lk sw irtsc h a ftlic h e E n tw ic k lu n g , v o r a lle m d e r ra sc h e A n stie g d es a llg e m e i­
n e n L o h n iv e a u s, z w a n g d ie L a n d w irtsc h a ft d e r a lte n B u n d e s re p u b lik n a c h 1950
z u e in e r U m k o m b in a tio n d e r P ro d u k tio n s fa k to re n : A rb e it w u rd e z u n e h m e n d
d u rc h K apital u n d B o d en e rse tz t. B e so n d e rs d ie te u r e n G ro ß m a s c h in e n , w ie z.B.
M ä h d re sc h e r u n d a n d e re V o lle rn te m a sc h in e n , e rz w a n g e n e in e A n p a ssu n g d e r
P ro d u k tio n s ric h tu n g , d ie als S p e z ia lisie ru n g o d e r B e trie b s v e re in fa c h u n g b e z e ic h ­
n e t w ird . D ie te u r e n G ro ß m a s c h in e n e r fo rd e rn g ro ß e F lä c h e n z u r A u s n u tz u n g
ih re s L e istu n g sp o te n tia ls, a u ß e rd e m s in d d ie P ro d u k tio n s te c h n ik e n so k o m p le x
g e w o rd e n , d a ß d e r e in z e ln e L a n d w irt n u r n o c h w e n ig e P ro d u k tio n s lin ie n b e h e r r ­
sc h e n k a n n .
E in e n ts c h e id e n d e r S c h ritt z u r M in im ie ru n g d es A rb e itsa u fw a n d e s ist d ie Red
u z ie ru n g bzw . A u fg ab e d e r V ie h h a ltu n g u n d d ie S p e z ia lisie ru n g a u f d e n A n b au
v o n M a rk tfrü c h te n . U n te r a lle n B e trie b sfo rm e n w ie se n d ie im V o llerw erb b e w irts
c h a fte te n M a rk tfru c h tb e trie b e d e r a lte n B u n d e s re p u b lik 1993/94 m it n u r 3,12
A K /100 h a d e n n ie d rig s te n AK-Besatz auf; in d e n n e u e n L ä n d e rn w irts c h a fte te n
d ie d o rt w e se n tlic h g rö ß e re n B e trie b e so g a r n u r m it 1,02 A K /100 h a (A g ra rb e rich t
1995, MB, S. 41). V o ra u sse tz u n g ist e in S ta n d o rt, d e r a u ssc h lie ß lic h A ck e rb a u
e rla u b t u n d n ic h t m it a b s o lu te m D a u e rg rü n la n d b e la ste t ist. E in e w e ite re V o ra u s­
s e tz u n g ist e in e a n g e m e sse n e B e trie b sg rö ß e , d a d ie R e in e rträ g e je F lä c h e n e in h e it
re la tiv g e rin g sin d . B eim F a m ilie n b e trie b m it d u rc h s c h n ittlic h 1,6 AK ist a u c h
e in e M in d e stflä c h e v o n 60 - 100 h a z u r A u sla stu n g d e r A rb e itsk rä fte e rfo rd e rlic h .
D iese V o ra u sse tz u n g e n s in d in d e n a lte n L ä n d e rn n u r a n w e n ig e n S ta n d o rte n
g e g eb en . R a u m p rä g e n d w u rd e d ie se s A g ra rsy ste m b is h e r n u r in O s th o lste in m it
s e in e n v ie le n G u ts b e trie b e n so w ie in d e n B ö rd e n la n d s c h a fte n . W eit v e rb re ite t ist
d e r v ie h lo s w irts c h a fte n d e M a rk tfru c h tb e trie b d a g e g e n in d e n n e u e n L ä n d e rn .
N ach d e r r e p rä s e n ta tiv e n A g ra rb e ric h te rs ta ttu n g 1993 z ä h lte n v o n d e n 28 000
B e trie b e n d e r n e u e n L ä n d e r r u n d 10 400 z u d ie s e m T yp. Sie b e w irts c h a fte n
d u rc h s c h n ittlic h 284 h a , in M e c k le n b u rg -V o rp o m m e rn so g a r 417 h a . Ü b e r d ie
H älfte d e r LF d e r n e u e n L ä n d e r w ird v o n M a rk tfru c h tb e trie b e n b e ste llt. D ie sta rk e
S te llu n g d ieses T yps e rk lä rt sic h a u s d e r in d e n sie b z ig e r J a h re n in d e r DDR

Regionen der Ackerbau- und Dauerkultursysteme 199
v o rg e n o m m e n e n T re n n u n g v o n tie ris c h e r u n d p fla n z lic h e r P ro d u k tio n , au s d e r
E ffiz ie n z d ie se s e x tre m a rb e its e x te n s iv e n A g rarsy stem s, v o r a lle m a b e r au s d e n
rie s ig e n F lä c h e n je B etrieb . D iese G ro ß b e trie b e k ö n n e n sic h m it re la tiv g e rin g e n
N e tto e rträ g e n je F lä c h e n e in h e it z u frie d e n g eb en , das B e trie b s e in k o m m e n ist im ­
m e r n o c h s e h r h o c h . Im W irts c h a fts ja h r 1 993/94 b e lie f sic h d a s B e trie b s e in ­
k o m m e n je H e k ta r n u r a u f DM 808, je AK a b e r a u f DM 79 000. ln d e n a lte n
B u n -d e s lä n d e rn e rw irts c h a fte te n d ie M a rk tfru c h tb e trie b e DM 8 5 3 /h a v e rg lic h e n
m it DM 1210 b e i d e n F u tte rb a u b e trie b e n u n d DM 2939 b e i d e n D a u e rk u ltu r­
b e trie b e n (A g ra rb e rich t 1995, S. 23).
D ie Z ah l d e r a n g e b a u te n M a rk tfrü c b te ist u n te r d e n g e g e b e n e n A n b au - u n d
A b s a tz v e rh ä ltn isse n in M itte le u ro p a r e c h t g e rin g g e w o rd e n u n d h a t sic h i.w . a u f
G e tre id e , H a c k frü c h te , R aps so w ie k le in e F lä c h e n v o n K lee u n d G ras z u r S a m e n ­
g e w in n u n g , H ü ls e n frü c h te u n d F e ld g e m ü se b e s c h rä n k t. D ie E n tw ic k lu n g d e r
L a n d te c h n ik lie ß d e n A n b a u v o n M ä h d ru s c h frü c h te n z u m a rb e its e x te n s iv s te n
P ro d u k tio n sz w e ig ü b e r h a u p t w e rd e n . F ü r e in e n H e k ta r G e tre id e ist n u r n o c h e in
A rb e itsa u fw a n d v o n 1 3 h /Ja h r n ö tig (Andreae u . Greiser 1978, S. 45). D ie frü h e r so
g e fü rc h te te n 'A rb e its s p itz e n v o n S aat u n d E rn te g e h ö re n b e im G e tre id e b a u d e r
t V e rg a n g e n h e it an. In fo lg e d e sse n stie g d e r A n te il d e r G e tre id e flä c h e a m A c k e rla n d
im a lte n B u n d e sg e b ie t v o n 55 % (1951) a u f 72 % (1981). Die A g ra rre fo rm e n d e r EU
z u B e g in n d e r n e u n z ig e r Ja h re b e w irk te n w ie d e r e in e n R ü c k g a n g d e r G e tre id e ­
flä c h e n a u f 59% in d e n a lte n L ä n d e rn u n d 53% in G e s a m td e u ts c h la n d (1993).
D iese „ V e rg e tre id u n g “ e rfo rd e rte n e u e , v e re in fa c h te Fruchtfolgen. S eit d e r E in ­
f ü h r u n g d e r F ru c h tw e c h se lw irtsc h a ft im 18. J a h r h u n d e r t w a r g ro ß e r W ert a u f
d e n s tä n d ig e n W ech sel z w isc h e n H u m u s m e h r e r n (F u tte rp fla n z e n ) u n d H u m u s ­
z e h re rn (H ack frü ch te), g a re fö rd e rn d e n (H a c k frü ch ten ) u n d g a re z e h re n d e n K u ltu ­
r e n (G etreid e), F la c h w u rz le rn (G erste) u n d T ie fw u rz le rn (L u zern e) g eleg t w o rd e n
(H. Steinhäuser e t al. 1978, S. 43). N u n w u r d e n d ie se G ru n d s ä tz e z u g u n s te n e in fa ­
c h e r, g e tre id e re ic h e r F ru c h tfo lg e n v e rn a c h lä ssig t (s. T ab elle 4.17), im E x tre m fa ll
w ird d e r b e w ä h rte W ech sel z w isc h e n H a lm fru c h t u n d B la ttfru c h t so g a r g an z
au fg e g e b e n : a u c h in M itte le u ro p a sin d h e u te re in e G e tre id e fru c h tfo lg e n a n z u tre f­
fe n . A n g e sic h ts d e r jü n g s te n P re is s te ig e ru n g e n f ü r K u n s td ü n g e r, sp e z ie ll fü r
S tickstoff, s c h e in t sich a lle rd in g s w ie d e r e in e R ü c k b e s in n u n g a u f d ie b e w ä h rte
v ie lg lie d rig e F ru c h tw e c h se lw irtsc h a ft a n z u b a h n e n .
D ie W ah l d e r je w e ilig e n F ru c h tfo lg e ist v o m B etrieb sziel, v o r alle m a b e r a u c h v o n
d e n S ta n d o rtv e rh ä ltn is s e n a b h ä n g ig (B. Andreae 1984, S. 1), w ird d o c h d ie Selbstu
n d F re m d v e rträ g lic h k e it d e r G e tre id e a rte n s ta rk v o n d e n B oden- u n d Ю іт а -
v e rh ä ltn is s e n b e e in flu ß t.
Tab. 4.17: А В C
Getreidereiche Fruchtfoigen in Nord- Ostholstein Ostholstein Lößbörde
deutschland 1. Winterraps 1. Winterraps 1. Hafer
(Quellen:W. Lange 1981, А und B;
2. Winterweizen 2. Winterweizen 2. Winterweizen
3. Wintergerste 3. Zuckerrüben 3. Wintergerste
B. Andreae 1984 , C)
4. Winterweizen 4. Winterroggen
5. Wintergerste

200 Agrarregionen der Erde
Übersicht 4.3;
Beispiel eines viehlosen M arktfruchtbetriebs in Ostholstein
(Quelle: W. U nge 1981)
Fläche;
Naturraum:
Betriebsorganisation:
AK-Besatz:
Maschinenpark:
100 ha LF, davon 96 ha Acker, 4 ha Dauerwiesen
flachwellige Grundmoräne mit stark wechselnden Böden; Bodenwertzahl
durchschnittlich 50 Punkte
bis 1976 Haltung einer Milchkuhherde von 50 Tieren zuzüglich Nachzucht;
7 Fremd-AK (einschl. 2 Melker) waren nötig. Nach Aufgabe der Viehhaltung
wird der Betrieb alleine vom Inhaber bewirtschaftet,
dazu 1 Saisonarbeiter
1,5 AK/100 ha
1 Mähdrescher von 3,50 m Schnittbreite, 3 Schlepper,
1 Körnertrocknungsanlage
Fruchtfolgen: vor 1976: seit 1976:
1. Kleegras 1. Winterraps
2. Winterraps 2. Winterweizen
3. Winterweizen 3. Zuckerrüben
4. Wintergerste 4. Hafer
5. Zuckerrüben 5. Wintergerste
6. Hafer
D er Ü b e rg a n g z u e in fa c h e n g e tr e id e r e ic h e n F ru c h tfo lg e n w u rd e e rm ö g lic h t
d u r c h M e c h a n is ie ru n g , a g ro c h e m is c h e H ilfe n (U n k ra u tb e k ä m p fu n g , P e stiz id e
u n d F u n g iz id e , H a lm v e rk ü rz u n g s m itte l) u n d n ic h t z u le tz t d u rc h d ie sta a tlic h e n
P reis- u n d A b sa tz g a ra n tie n , w e lc h e d as ö k o n o m isc h e R isiko m ild e rte n . M in e ra l­
d ü n g e r h a t d e n o rg a n is c h e n D ü n g e r e rse tz t, d e r H u m u s h a u s h a lt fin d e t se in e n
A u sg leich d u rc h E in a rb e itu n g v o n P fla n z e n re s te n (R ü b e n b la tt o d e r g eh ä c k se lte s
S tro h ) sow ie G rü n d ü n g e r. A lle rd in g s s in d d ie s e n p fla n z e n h y g ie n is c h e n M a ß n a h ­
m e n d a d u rc h G re n z e n g esetzt, d a ß sie m it e rh e b lic h e n z u s ä tz lic h e n K o sten v e r­
b u n d e n sin d . M it w a c h s e n d e r E in se itig k e it d e r F ru c h tfo lg e n n e h m e n K ra n k h e i­
te n u n d S c h ä d lin g e z u u n d b e d in g e n w a c h s e n d e K o sten (H. Steinhäuser et al.
1978, S. 43). Es b le ib t e in e R e stu n sic h e rh e it, ob d ie v e re in fa c h te n F ru c h tfo lg e n
m it ih re m h o h e n H a lm fru c h ta n te il la n g fris tig d ie B o d e n fru c h tb a rk e it s ic h e rn
k ö n n e n . Die z u n e h m e n d e A n w e n d u n g c h e m is c h e r P rä p a ra te ste llt e in e n E in g riff
in d as k o m p le x e ö k o lo g isc h e S y ste m d a r, d e s s e n A u s w irk u n g e n w e g e n d e r K ürze
des B e o b a c h tu n g sz e itra u m s n o c h n ic h t z u ü b e rs e h e n sin d .
Dauerkulturregionen der gemäßigten Breiten: die Obstbauregion Niederelbe als*Beispiel
N ach d e r b u n d e s d e u ts c h e n B e trie b ssy ste m a tik z ä h le n W ein , O b st u n d H o p fe n zu
d e n D aüerkulturen'^^. Sie h e b e n sich d u rc h fo lg e n d e M e rk m a le v o n d e n A ckerk
u ltu r e n ab:
Häufig findet sich auch der Begriff „Sonderkulturen“. Er umfaßt eine Gruppe von Früchten,
denen nur gemeinsam ist, daß sie in die Einteilung Getreide, Hackfrüchte, Futterpflanzen
nicht hineinpassen. Neben den o. a. Dauerkulturen versteht man darunter auch Tabak,
Arzneipflanzen und Feldgemüse.

Regionen der Ackerbau- und Dauerkultursysteme 201
- L a n g le b ig k e it,
- sta rk e B in d u n g a n n a tu rb e g ü n s tig te S ta n d o rte ,
- A n b a u m e is t in M o n o k u ltu r,
- h o h e A rb e its in te n s itä t, A u ftre te n a u s g e p rä g te r A rb e itssp itz e n ,
- h o h e K a p ita lin te n sitä t,
- h o h e E rtra g s in te n s itä t,
- h o h e s R isiko,
- k o m p le x e A n b a u te c h n ik e n , d ie e in h o h e s A u sb ild u n g s n iv e a u e rfo rd e rn ,
- a u fw e n d ig e V e ra rb e itu n g s-, L ager- u n d A b s a tz e in ric h tu n g e n u n d A b sa tz o r­
g a n is a tio n e n ,
- in E u ro p a D o m in a n z k le in e r F a m ilie n b e trie b e ,
- sta rk e Ü b e rfo rm u n g d e r K u ltu rla n d sc h a ft,
- la n g e A n h a u tra d itio n e n in v ie le n D a u e rk u ltu rre g io n e n .
D er B egriff „ D a u e rk u ltu r“ ist a u s ih r e r L an g le b ig k e it a b g e le ite t, d ie u n te r B each ­
tu n g d e r h e u tig e n R e n ta b ilitä ts g e s ic h ts p u n k te b e i H o p fe n 15 - 20, b e i O b st 15 - 30
u n d b e i W ein 30 - 40 Ja h re b e trä g t. D a ra u s e rg ib t sich e in e g e rin g e F le x ib ilitä t des
B e trie b e s als sc h w e rw ie g e n d e r N ach teil; a u f V e rä n d e ru n g e n d es M ark tes k a n n e r
n u r m it g ro ß e r V e rz ö g e ru n g re a g ie re n . D ie B in d u n g a n n a tu rb e g ü n s tig te S ta n d ­
o rte ist u n te r m itte le u ro p ä is c h e n V e rh ä ltn is s e n v o r a lle m b e im W ein, w e n ig e r b e i
O b st u n d H o p fe n a u sg e p rä g t. D er H a n d a rb e its a u fw a n d ist b e i D a u e rk u ltu re n
tro tz g e w isse r M e c h a n isie ru n g se rfo lg e n o c h se h r h o ch . D ie im V o llerw erb g e fü h r­
te n b u n d e s d e u ts c h e n D a u e rk u ltu rb e trie b e - z u zw ei D ritte l h a n d e lt es sic h u m
W e in b a u b e trie b e - b e s c h ä ftig e n 14,8 AK /1 0 0 h a, d.h. d a s F ü n ffa c h e d e r M a rk t­
fru c h tb e trie b e (A g ra rb e rich t 1995, MB, S. 41). D er jä h rlic h e A rb e itsa u fw a n d je
H e k ta r R e b la n d re ic h t v o n 700 h (F la c h la g e n d e r Pfalz) ü b e r 1 200 h (F ra n k e n ) b is
z u 1 700 h in S te illa g e n a n d e r M osel. E in n o r m a le r F a m ilie n b e trie b ist d a h e r m it
3 - 4 h a R e b la n d a rb e its m ä ß ig v oll au sg e la ste t. K leine B e trie b sflä c h e n d o m in ie re n
im e u ro p ä is c h e n W e in b a u . G ro ß e W e in g ü te r m it L o h n a rb e its k rä fte n k o m m e n
z w a r vor, s in d a b e r in E u ro p a - a n d e rs als in d e n USA - e h e r d ie A u sn a h m e . V on
d e n 77 400 B e trie b e n m it W e in b a u (1989/90) in d e r a lte n B u n d e s re p u b lik b e w irts
c h a fte te n n u r 1 0 1 0 e in e R e b fläch e v o n m e h r als 10 h a (S tatist. Jb. ELF, 1991,
S. 113). A b er a u c h im W ein- u n d O b stb a u ist d e r K o n z e n tra tio n s p ro z e ß d e r B e trie ­
b e in v o lle m G ange. Z w isc h e n 1979/80 u n d 1989/90 s a n k d ie Z ah l d e r B e trie b e
m it W e in b a u v o n 89 000 a u f 77 400 w ä h r e n d d ie d e r B e trie b e m it m e h r als 10 h a
R eb fläch e sic h v o n 521 a u f 1 010 v e rd o p p e lte .
T ra u b e n - u n d O b s te rn te n b ild e n a u s g e s p ro c h e n e A rb e its s p itz e n im J a h re s ­
a rb e its k a le n d e r, d a d ie H a n d a rb e it n u r s e h r e in g e s c h rä n k t d u rc h P flü c k m a sc h i­
n e n z u e rs e tz e n ist. D e r A rb e its a n fa ll k a n n n u r m it S a is o n k rä fte n b e w ä ltig t
w e rd e n , d ie a u f d e m d e u ts c h e n A rb e its m a rk t tro tz h o h e r A rb e itslo sig k e it k a u m
z u f in d e n sin d . W a re n es v o r G re n z ö ffn u n g im O ste n v o r a lle m T ü rk e n , d ie m it
T o u ris te n v is u m e in re is te n u n d sic h f ü r d ie E rn te z e it b e i W in z e rn u n d O b stb a u ­
e r n v e rd in g te n , so ste lle n h e u te P o le n d as G ros d e r - in d e r R egel le g a lis ie rte n -
S a iso n k rä fte . Sie tr e te n im H e rb st in d e n O bst- u n d W e in b a u g e b ie te n z u T a u s e n ­
d e n au f. D ag eg en ist d ie H o p fe n e rn te w e itg e h e n d m e c h a n is ie rt, se it d e n fü n fz ig e r
J a h re n h a t d ie H o p fe n p flü c k m a sc h in e d ie frü h e r e n S c h a re n v o n P flü c k e rn b is a u f
R este ü b e rflü s s ig g e m a c h t.

202 Agrarregionen der Erde
D er h o h e K a p ita la u fw a n d e r re c h n e t sich a u s d e n K o sten f ü r N e u a n la g e n (DM
40 000 b is 50 0 0 0 /h a im W e in b a u ; im m o d e r n e n O b stb a u g e lte n P fla n z d ic h te n v o n
1 000 b is 2 000 B ä u m e n /h a !), f ü r B e trie b sm itte l, L ager- u n d V e rp a c k u n g s e in ric h ­
tu n g e n sow ie d e n fe h le n d e n E in n a h m e n b is z u r e rs te n E rn te n a c h 3 - 4 Ja h re n .
D em s te h e n h o h e E in n a h m e n je F lä c h e n e in h e it g e g e n ü b e r. B e isp ielsw eise e rz ie l­
te n d ie W in z e r d e r R h e in p fa lz b e i F la s c h e n w e in v e rm a rk tu n g 1992/93 e in e n E r­
tra g v o n DM 26 990,- /h a , b e i F a ß w e in v e rm a rk tu n g n o c h DM 11 484,- / h a (S tatist.
Jb. ELF 1994, S. 168). O b s tb a u b e trie b e d e r N ie d e re lb e k a m e n 1994/95 a u f e in e n
E rtra g v o n DM 17 494,- / h a (M itt. OBV Jork). D e r A n b a u d ie s e r K u ltu re n a n ih re n
P o la rg re n z e n lä ß t d ie E rn te n v o n Ja h r z u Ja h r h in s ic h tlic h Q u a litä t u n d Q u a n titä t
s ta rk sc h w a n k e n . So b e w e g te sic h d ie w e s td e u ts c h e n W e in m o s te rn te z w isc h e n 5,4
M io. h l (1985) u n d 13,2 M io. h l (1989), d e r H e k ta re rtra g s c h w a n k te d e m e n ts p re ­
c h e n d z w isc h e n 58,1 u n d 140,8 hl. D ie S c h w a n k u n g e n w e rd e n a lle rd in g s g e m ild
e rt, d a b e i k n a p p e n E rn te n h ö h e re P re ise je P r o d u k te in h e it z u e rz ie le n sin d . Die
P re is s c h w a n k u n g e n fü r d ie P ro d u k te d e r D a u e rk u ltu re n s in d re la tiv g ro ß , sie
w e rd e n a u c h v o n d e n M a rk to rd n u n g e n d e r EU n ic h t v oll a u fg e fa n g e n . D a u e r­
k u ltu r e n s in d d a h e r in M itte le u ro p a m it e in e m re la tiv h o h e n R isiko v e rb u n d e n ,
d as ih n e n e in e n s p e k u la tiv e n C h a ra k te r v e rle ih t. U m d a s R isiko a b z u fe d e rn , h a ­
b e n E rz e u g e rg e n o ssen sc h a fte n , w e lc h e V e ra rb e itu n g , L a g e ru n g , V e rp a c k u n g u n d
A bsatz ü b e rn e h m e n , u n te r W in z e rn , O bst- u n d H o p fe n b a u e rn e in e sta rk e S tellu
n g . B eim H o p fe n d ie n t a u c h d e r V e rtra g s a n b a u f ü r B ra u e re ie n z u F e stp re ise n
d e r B e trie b ssic h e ru n g .
S tä rk e r als n o rm a le A c k e rk u ltu re n p rä g e n d ie D a u e rk u ltu re n d ie K u ltu rla n d ­
schaft. Das gilt f ü r d ie F lu re n w ie d ie S ie d lu n g e n . D ie h o c h g ie b e lig e n H o p fe n ­
h ä u s e r v o n S palt, d ie H o p fe n d a rre n im s ü d o s te n g lis c h e n K en t o d e r d ie u m m a u ­
e rte n W e in b a u d ö rfe r M a in fra n k e n s s in d m a rk a n te Z e u g n isse e in e r tr a d itio n s r e i­
c h e n D a u e rk u ltu r.
T ro tz d e n g e m e in s a m e n M e rk m a le n u n te rs c h e id e n sic h d ie D a u e rk u ltu rre g io ­
n e n d o c h e rh e b lic h n a c h A lter, G e n e se , P r o d u k tio n s r ic h tu n g u n d A b sa tz v e r­
fle c h tu n g . E x e m p la risc h soll d a h e r n a c h fo lg e n d d ie O b s tb a u re g io n N iérderelbe
Abb. 4.20:
Anteil der Obstflächen im Alten Land
(Quelle: R. Frömmelt 1977)

Regionen der Ackerbau- und Dauerkultursysteme 203
b e h a n d e lt w e rd e n . Sie b ild e t m it e in e r A n b a u flä c h e v o n 10 200 h a (1993) d ie
g rö ß te g e sc h lo sse n e O b stb a u re g io n D e u tsc h la n d s. Sie e rs tre c k t sic h ü b e r d ie s ü d ­
lic h e n E lb m a rs c h e n (W in se n e r M arsch , A ltes L and, L a n d K e h d in g e n , L an d Had
e ln ), w o b e i d a s A lte L an d e in d e u tig d e n A n b a u s c h w e rp u n k t b ild e t. U m se in
Z e n tru m Jo rk e rre ic h e n d ie O b stflä c h e n ü b e r 80 %d e r LN (s. A b b ild u n g 4.20). Die
T ra d itio n d es O b stb a u s re ic h t b is in s S p ä tm itte la lte r z u rü c k , d a m a ls w u rd e e r v o n
d e n G ru n d h e rre n , Ю öster d e r S ta d t S tad e, e in g e fü h rt. Im Ja h r 1657 w u r d e n b e ­
re its 742 B e trie b e m it O b s tb a u u n d e in e r G e sa m tflä c h e v o n 200 h a g e z ä h lt
(H. Achenbach 1984, S. 155 - 157). D er H a u p tb e trie b sz w e ig b lie b a b e r d e r G e tre i­
d e b a u m it V ie h w irtsc h a ft. E rst in d e r 2. H älfte des 19. J a h rh u n d e rts e rfo lg te d e r
Ü b e rg a n g z u r v o lle n M a rk tw irtsc h a ft u n d d ie S p e z ia lisie ru n g a u f d e n O b stb a u als
H a u p te rw e rb . D a m it g in g e in e ra sc h e E x p a n sio n d e r O b stflä c h e e in h e r. Sie u m ­
fa ß te im Ja h re 1900 b e re its 2 500 h a , d e r H ö h e p u n k t w u rd e u m 1970 m it 14 300 h a
in d e r R egion N ie d e re lb e e rre ic h t (K. LOOCK 1984, S. 142). D ie s e itd e m erfo lg te
S c h ru m p fu n g a u f je tz t 10 200 h a ist e in e R e a k tio n a u f d ie Ü b e rp ro d u k tio n in d e r
EG, ist a b e r a u c h d u rc h d ie A u fg ab e v ie le r B e trie b e zu e rk lä re n . S eit A n fa n g d e r
a c h tz ig e r Ja h re ist d ie Z ah l d e r O b s tb a u b e trie b e v o n 2 100 a u f e tw a 1 500 (1992)
g e s c h ru m p ft. D ie z.T. m it E G -P rä m ie n g e fö rd e rte n R o d u n g e n e rfo lg te n v o r alle m
a n d e n R ä n d e rn d e r O b s tb a u re g io n a u f G e e stb ö d e n , w o sic h d e n B a u e rn a lte rn a ­
tiv e A n b a u m ö g lic h k e ite n b o te n .
D ie H a u p tu rs a c h e f ü r d ie A u s b ild u n g d e r O b stb a u re g io n w a r a n fa n g s d ie N äh e
d es H a m b u rg e r A b sa tz m a rk te s. D ie M ö g lich k eit, d ire k t v o n d e n H ö fe n d as O b st
ü b e r K an äle u n d E lbe m it s tro h g e p o ls te rte n K ä h n e n z u v e rsc h iffe n , w a r im v o r­
te c h n is c h e n Z e ita lte r e in n ic h t z u u n te rs c h ä tz e n d e r S ta n d o rtv o rte il. Z u s a m m e n
m it d e r G e m ü s é b a u re g io n d e r V ie rla n d e u n d d e m B a u m sc h u le n g e b ie t u m P in n e ­
b e rg b ild e t d ie O b s tb a u re g io n N ie d e re lb e e in e n s ta d tn a h e n I n te n s iv k u ltu r r in g im
S inne Thünens (vgl. H. Achenbach 1984). D ie n e u e n T ra n s p o rtm itte l des In d u ­
strie z e ita lte rs e r la u b te n d ie E rs c h lie ß u n g e n tf e r n te r M ärk te, w ie d ie n o r d d e u t­
sc h e n G ro ß stä d te , d as R u h rg e b ie t, E n g la n d u n d S k a n d in a v ie n .
T rä g e r d e s O b s tb a u s w a r a n fa n g s e in e b re ite u n te r- u n d k le in b ä u e rlic h e
S ch ich t, d ie e in Z u b ro t su c h te . E rst v o n e tw a 1850 a n g in g e n a u c h d ie V o llh u fn e r
v o n d e r ü b lic h e n L a n d w irtsc h a ft z u m E rw e rb so b stb a u ü b e r.
D ie n a tü rlic h e A u s s ta ttu n g d e s R a u m e s ist fü r d e n O b stb a u g ü n stig . E r k o n z e n ­
tr ie r t sich v o rw ie g e n d a u f d a s 1 - 2 m ü b e r NN g eleg en e M a rsc h la n d h in te r d e m
E lb d eich , w ä h r e n d das n ie d rig e re , s ta u n a s s e S ie tla n d a m G e e stra n d g e m ie d e n
w ird . K le in e re F lä c h e n g re ife n h e u te a u c h a u f d ie G eest au s. D as m a ritim e K lim a
b e g ü n s tig t v o r a lle m d e n A p fe la n b a u : a u s re ic h e n d e N ie d e rsc h lä g e v o n e tw a
730 m m im Ja h r, h o h e L u ftfe u c h tig k e it - sie e rla u b t d ü n n s c h a lig e S o rte n - u n d
n ie d rig e S o m m e rte m p e ra tu re n , d ie f ü r e in a u sg e g lic h e n e s Z ucker-S äure-V erhältn
is so rg e n (H. Reich 1974, S. 9). E in w e s e n tlic h e r F a k to r ist d as g e rin g e S p ä tfro strisik
o , w as n ic h t z u le tz t a u f d ie a u s g le ic h e n d e W irk u n g d e r z a h lre ic h e n k ü n s t­
lic h e n u n d n a tü rlic h e n W a sse rlä u fe in d e r v o m 12. - 15. J a h r h u n d e r t a n g e le g te n
M a rs c h h u fe n flu r z u rü c k z u fü h re n ist.
E tw a 1 500 B e trie b e te ile n sic h d ie B a u m o b stflä c h e v o n 10 200 h a , so d a ß im
D u rc h s c h n itt 7 h a je B e trie b a n z u n e h m e n sin d . D ie B e trie b sg rö ß e n s in d je d o c h
re c h t u n te rs c h ie d lic h , n u r 850 B e trie b e b e w irts c h a fte n m e h r als 3 h a O b stla n d ;

204 Agrarregionen der Erde
Ш
K ä
d ie g rö ß e re n E in h e ite n k o m m e n a u f 15 - 20 h a O b stfläch e. D er O b stb a u e rfo rd e rt
S p e z ia lk e n n tn isse so w ie M a sc h in e n u n d E in ric h tu n g e n , d ie sic h n u r in g rö ß e re n
B e trie b e n re n ta b e l e in s e tz e n la sse n ; e r ist n ic h t m e h r e in fa c h im N e b e n e rw e rb
n a c h F e ie ra b e n d z u b e tre ib e n .
D as N ie d e re lb e g e b ie t h a t sic h in d e n le tz te n J a h rz e h n te n z u n e h m e n d a u f d e n
A n b a u v o n Ä p feln sp e z ia lisie rt. I h r A n teil ist z w isc h e n 1982 u n d 1993 v o n 79 % au f
87 % d e r O b stfläch e g e stie g e n . N u r n o c h 4 % e n tfa lle n a u f B irn e n , 5 % a u f S ü ß ­
k irs c h e n u n d 2,4 %a u f S a u e rk irsc h e n . D ie B irn e n - u n d K irsc h e n flä c h e ist in d e n
le tz te n J a h re n in fo lg e d e r ita lie n is c h e n K o n k u rre n z s ta rk z u rü c k g e g a n g e n (s. T a­
b e lle 4.18). D as S o rte n b ild d e r Ä pfel sp ie g e lt d ie A n p a ssu n g a n d as m a ritim e
Ю іт а w id e r: B oskop, E istar, G lo ste r u n d Cox O ra n g e s te h e n a n d e r S pitze; a u f die
9 w ic h tig ste n S o rte n e n tfa lle n 80 % d e r A n b a u flä c h e . D as S o rte n b ild ist d a b e i
e in e m s tä n d ig e n W a n d e l u n te r w o r f e n - je n a c h d e n A n fo rd e ru n g e n d es M ark tes
u n d d e r K o n k u rre n z s itu a tio n . T ra d itio n e lle S o rte n w ie H o rn e b u rg e r, In g rid M a­
rie u n d Cox O ra n g e v e rlie re n a n B e d e u tu n g u n d w e rd e n d u r c h N e u z ü c h tu n g e n
w ie G lo ster, Jo n a g o ld u n d Jo n a g o re d e rsetzt.
D er A rb e itsk rä fte b e s a tz ist w ie b e i a lle n D a u e rk u ltu re n s e h r h o c h . S tä n d ig
w e rd e n 1 500 AK b e sc h ä ftig t, in d e r E rn te z e it k o m m t n o c h m a ls d ie v ie rfa c h e Z ahl
v o n A u sh ilfsk rä fte n , n ä m lic h 6 000 AK, h in z u (K. Loock 1984, S. 144). M an re c h ­
n e t im J a h re s d u rc h s c h n itt f ü r je 6 h a e in e A rb e itsk ra ft. Als E rn te a rb e ite r w e rd e n
h e u te v o rw ie g e n d P o le n b e sc h ä ftig t, d ie o ffiziell o rg a n is ie rt e in re is e n . l n d e n
a c h tz ig e r J a h re n w a re n es ü b e rw ie g e n d T ü rk e n g ew esen , d ie m it e in e m T o u ­
ris te n v is u m e in re iste n .
Baumobstfläche
1981/82
ha V. H.
Baumobstfläche
1992/93
ha V. H
Baumobstfläche insgesamt 12062 100 10235 100
davon Äpfel 9175 79,1 8879 86,8
Birnen 698 6,0 438 4,3
Süßkirschen 682 5,9 522 5,1
Sauerkirschen 798 6,9 241 2,4
Pflaumen, Zwetschgen 243 2,1 155 1,5
Tab. 4.18:
Das Anbauspektrum der
Region Niederelbe
1981/82 und 1992/93
(Quelle: H. Lo o c k 1984,
S. 142; Mitt. Obstbauversuchsring
Jork 1994)
D er K a p ita le in sa tz lie g t m it 500 000 b is 800 000 DM je A rbeitsplatz^'^ d u rc h a u s im
N iv eau in d u s trie lle r A rb e itsp lä tz e . D ie w ic h tig s te n P o ste n b ild e n P fla n z g u t, P fla n ­
z e n sc h u tz m itte l, D ü n g e r, T re ib sto ffe , B e re g n u n g sa n la g e n , M a sc h in e n u n d G eräte.
l n d e n A p fe lp la n ta g e n g e h t d e r T re n d z u im m e r h ö h e r e r P fla n z d ic h te je
H e k ta r, sie lie g t b e i N e u a n la g e n b e re its b e i ü b e r 2 000 B ä u m e n je H e k tar. F olglich
ist d ie Z ahl d e r A p fe lb ä u m e tro tz rü c k lä u fig e r F lä c h e v o n 3,7 M io. B ä u m e n (1981)
a u f 8,2 M io. (1992) a n g e stie g e n . E tw a 60 - 70 % d e r A p fe lflä c h en s in d h e u te m it
F ro s ts c h u tz b e re g n u n g s a n la g e n a u s g e rü s te t. S e h r s ta rk fa lle n d ie L ag eru n g sk o -
Freundliche Mitteilung von Herrn Dr. P. Q u a s t , Obstbauversuchsanstalt Jork

Regionen der Ackerbau- und Dauerkultursysteme
205
;
! U
Abb.4.21:
Anbaugefüge eines
Obsthofes im Alten
Land
(Quelle:
R. Frömmelt 1977)
s te n in s G ew icht. Die V e rk a u fssa iso n d a u e rt v o n S e p te m b e r b is Ju n i, d.h . ü b e r 10
M o n ate. A b J a n u a r ist d a b e i b e i v ie le n S o rte n e in Q u a litä tsa b fa ll z u b e o b a c h te n -
falls sie n ic h t in S p e z ia lk ü h lh ä u s e rn g e la g e rt w e rd e n . D ie K ühl- u n d L a g e rte c h n ik
ist im m e r a u fw e n d ig e r g e w o rd e n . D ie E n tw ic k lu n g g in g v o m F risc h lu ftla g e r z u m
K ü h lla g e r m it k o n tro llie rte r A tm o sp h ä re . Bei d ie s e r te c h n is c h a u fw e n d ig e n СА/
U L O -L agerung w ird d e r S a u e rsto ffg e h a lt a u f 1,5 % re d u z ie r t u n d d a d u r c h d e r
A lte ru n g sp ro z e ß d e r Ä pfel v e rla n g s a m t.
D em h o h e n A u fw a n d e n ts p ric h t e in h o h e r E rtra g v o n d u rc h s c h n ittlic h 250 b is
300 d t/h a . E r k o n n te in d e n le tz te n 20 J a h re n d u rc h M o d e rn is ie ru n g d e r P la n ta ­
g e n v e rd o p p e lt w e rd e n , so d a ß d ie E rn te n tro tz V e rrin g e ru n g d e r A n b a u flä c h e n
g rö ß e r w u r d e n . D er A b satz e rfo lg t ü b e r v ie r E rz e u g e ro rg a n is a tio n e n , p riv a te

206 Agrarregionen der Erde
G ro ß h ä n d le r u n d d ire k t a n G r o ß a b n e h m e r (S aftereien ). D er D ire k tv e rk a u f a n
E n d v e rb ra u c h e r b e trä g t n u r e tw a 6 - 10 % d e r E rn te , k a n n a b e r b e i e in z e ln e n
B e trie b e n w e s e n tlic h h ö h e r lie g e n . D e r f r ü h e r e H a u p ta b s a tz p la tz H a m b u rg
n im m t n u r n o c h e tw a 10 % d e r E rn te ab. H a u p ta b n e h m e r s in d h e u te d ie In d u ­
strie g e b ie te N o rd rh e in -W e stfa le n s (45 %) so w ie d ie ü b rig e n s tä d tis c h e n A gglom e­
ra tio n e n N o rd d e u tsc h la n d s. E tw a a n d e r M a in lin ie e n d e t d ie K o n k u rre n z fä h ig ­
k e it des N ied erelb e-O b stes.
4.4 Regionen der landwirtschaftlichen Gemischtbetriebe
ІСІЖЯ
D ie In te g ra tio n v o n A ck e rb a u u n d V ie h z u c h t in e in u n d d e m s e lb e n B e trie b w a r
b is h e r in E u ro p a , so w e it es d e r g e m ä ß ig te n K lim a z o n e a n g e h ö rt, e tw as S elb stv e r­
stä n d lic h e s. A b g e se h e n v o n d e n re in e n G rü n la n d - u n d D a u e rk u ltu rb e trie b e n w a r
d e r ü b lic h e e u ro p ä is c h e B a u e rn h o f a u f d ie se b e id e n B etrie b sz w e ig e a u sg e ric h te t.
V on e u ro p ä is c h e n S ie d le rn w u rd e d ie se s A g ra rsy ste m n a c h Ü b ersee e x p o rtie rt.
S ein e H a u p tv e rb re itu n g s re g io n e n s in d h e u te W est- u n d M itte le u ro p a , P o le n - im
ü b rig e n ö stlic h e n M itte le u ro p a u n d O ste u ro p a w u rd e es d u rc h d ie K o llek tiv ier
u n g m o d ifiz ie rt -, in N o rd a m e rik a ö stlic h d e r T ro c k e n g re n z e a m 98. L ä n g e n ­
g rad . H ie r d o m in ie rt es im M a isg ü rte l, d e r n a c h B. HOFMEISTER (1972, S. 35) b e sse r
M a is-S o ja-S ch w ein e-R in d erm astg ü rtel h e iß e n sollte. A u sle g e r fin d e n sic h sc h lie ß ­
lic h in d e r a rg e n tin is c h e n P a m p a , S ü d o s ta u s tra lie n , N e u se e la n d u n d S ü d a frik a
(D. Grigg 1974, S. 152). A us w e ltw e ite r S ich t b le ib t d as A g ra rsy ste m d e r G e m isc h t­
b e trie b e d e n n o c h e in S o n d e rfa ll, h e rv o rg e g a n g e n a u s d e r m itte la lte rlic h e n D reife
ld e rw irts c h a ft d es n o rd w e s tlic h e n E u ro p a . D iese w a r v o rw ie g e n d a u f d ie E rz e u ­
g u n g v o n G e tre id e f ü r d e n m e n s c h lic h e n K o n su m a u sg e ric h te t, d ie V ie h h a ltu n g
w a r u n b e d e u te n d . D as V ieh - a u c h d ie S c h w e in e - w e id e te fast d as g a n z e Ja h r
ü b e r a u f d e m B ra c h fe ld o d e r d e r A llm e n d e . D ie „ a g ra re R e v o lu tio n “, d ie im 18.
J a h rh u n d e rt in E n g la n d e in se tz te , fü h rte u .a. z u r E in f ü h r u n g d e r F ru c h tw e c h se l­
w irts c h a ft m it B e se itig u n g d e r B rach e. N e b e n G e tre id e e rs c h ie n e n n u n a u c h
H a c k frü c h te (R ü b en , K arto ffeln ) u n d F u tte rp fla n z e n (Klee, G ras) in d e r R o tatio n .
D ie e rw e ite rte F u tte rb a sis e rm ö g lic h te d ie A u fsto c k u n g d es V ie h sta p e ls u n d d e n
Ü b e rg a n g z u r S ta llfü tte ru n g . D a m it stie g d as D ü n g e ra u fk o m m e n f ü r d as A ckerla
n d , d ie F lä c h e n e rträ g e stie g e n a n . E rst je tz t k a n n m a n v o n e in e r In te g ra tio n v o n
A ck erb au u n d V ie h h a ltu n g sp re c h e n , w ä h r e n d v o rh e r b e id e B etrie b sz w e ig e n e ­
b e n e in a n d e r , w e itg e h e n d u n v e r b u n d e n , b e tr ie b e n w u r d e n . D e r so z io ö k o n o -
m isc h e H in te rg ru n d f ü r d ie s e n In te n s iv ie ru n g s p ro z e ß w a re n B e v ö lk e ru n g sv e r­
m e h ru n g , In d u s tr ia lis ie r u n g u n d V e rstä d te ru n g .
In d e r a n g e lsä c h sisc h e n T e rm in o lo g ie w ird d as S y ste m d e r G e m isc h tb e trie b e
m e is t als „M ixed F a rm in g “, in d e r IG U -K lassifikation als „M ixed A g ric u ltu re “
b e z e ic h n e t m it fo lg e n d e n M e rk m a le n ; k le in e b is m ittle re B e trie b sg rö ß e n m it m ittle
re m A rbeits- u n d h o h e m b is s e h r h o h e m K a p ita le in sa tz , h o h e r F läch en - u n d
A rb e itsp ro d u k tiv itä t, h o h e m V e rm a rk tu n g s q u o tie n te n u n d O rie n tie ru n g a u f gem
isc h te p fla n z lic h e u n d tie ris c h e P ro d u k tio n . In d e r b u n d e s d e u ts c h e n B e trie b s­
sy ste m a tik ist d e r B egriff „ G e m is c h tb e trie b “ v iel e n g e r g efaß t, e r ü b e r s p a n n t n u r
d ie je n ig e n B e trie b e , w e lc h e a u s k e in e m d e r v ie r B e trie b sz w e ig e M a rk fru c h t,

Regionen der landwirtschaftlichen Gemischtbetriebe 207
F u tte rb a u , V e re d lu n g u n d D a u e rk u ltu r m e h r als 50 % d e r E in n a h m e n e rz ie le n
(1980/81: 12 %a lle r V o lle rw e rb sb e trie b e ), ln W irk lic h k e it s in d a u c h d ie m e is te n
F u tte rh a u - u n d V e re d lu n g sb e trie b e G e m isc h tb e trie b e , sie h a b e n n u r e in d e u tig e
S c h w e rp u n k te in d e r tie ris c h e n P ro d u k tio n . W ü rd e m a n d ie IG U -K riterien z u ­
g ru n d e le g e n , so w ä re n w o h l 80 %a lle r V o lle rw e rh sb e trie b e in d e r B u n d e s re p u b lik
D e u tsc h la n d G e m isc h tb e trie b e .
D ie v ie r w ic h tig ste n M e rk m a le des A g ra rsy ste m s „ G e m isc h tb e trie b “ sind:
- In te g ra tio n d e r B etrie b sz w e ig e A ck e rb a u u n d V ie h w irtsc h a ft,
- V ielfalt v o n F e ld frü c h te n u n d N u tz tie re n ,
- F a m ilie n h e trie b ,
- h o h e r V e rm a rk tu n g s q u o tie n t.
D ie In te g ra tio n v o n A ck erb au u n d V ie h w irtsc h a ft h a t z u r F olge, d a ß d as A ckerla
n d v o rw ie g e n d d e r F u ttc r c r z c u g u n g f ü r d a s b e trie b s e ig e n e V ie h d ie n t. Es
d o m in ie re n also d ie P ro d u k tio n s k e tte n В u n d C (s. A b b ild u n g 1.1), d ie sic h n u r
w o h lh ä b e n d e G e se llsc h a fte n le is te n k ö n n e n . G ras ist e n tw e d e r a u f das a b so lu te
G rü n la n d b e s c h rä n k t o d e r w ird in n e r h a lb d e r R o ta tio n n u r e in ig e Ja h re a u f d e m
A c k e rla n d a n g e b a u t. F ru c h tfo lg e n , b e i d e n e n d ie ü b lic h e n F e ld frü c h te m it G rasja
h r e n w e c h se ln (engl, ley-fa rm in g ), s in d b e so n d e rs a m a tla n tis c h e n S a u m E u ro ­
p a s s ta rk v e rb re ite t.
Die Feldpflanzengesellschaft is t in R e g io n e n m it G e m is c h tb e trie b e n re c h t v ie l­
fältig. D en L ö w e n a n te il n im m t G e tre id e ein , w o b e i d ie H a u p tg e tre id e s o rte n je
n a c h d e n K lim a v e rh ä ltn isse n M ais, W e izen o d e r G e rste s e in k ö n n e n . Im U n te r­
sc h ie d z u a n d e re n R e g io n e n d ie n t d as G e tre id e v o rw ie g e n d als V ie h fu tte r. So
w a n d e r t in D ä n e m a rk 90 %d e r G e tre id e e rn te - sie b e s te h t z u 85 %au s G e rste - in
d e n F u tte rtro g . Im a m e rik a n is c h e n M a isg ü rte l w ird d e r g rö ß te T eil des M aises a m
O rt v e rfü tte rt; im S ta a te Iow a, d e m Z e n tru m des M a isa n b a u s, w e rd e n 80 % des
V e rk a u fse rlö ses d e r F a rm e n m it tie ris c h e n P ro d u k te n e rz ie lt (B. H o f m e is t e r 1970,
S. 164). D ie z w eite H a u p tk u ltu r b ild e n in E u ro p a d ie H a c k frü c h te , b e s o n d e rs
Z u c k e rrü b e n , R u n k e lrü b e n u n d K arto ffeln . Ih re A n b a u flä c h e n s in d a lle rd in g s
m it A u s n a h m e d e r Z u c k e rrü h e s ta rk rü c k lä u fig , da sie e in e rs e its s e h r a rb e its in ­
te n s iv s in d u n d a n d e re rs e its d ie A b sa tz m ö g lic h k e ite n fü r K a rto ffe ln g e s u n k e n
sin d . So v e rrin g e rte sic h d e r A n teil d e r H a c k frü c h te a m A c k e rla n d in d e r a lte n
B u n d e s re p u b lik D e u tsc h la n d v o n 25,2 % (1951) a u f 8,5 %(1994). F ü r d ie G e m isc h t­
b e trie b e ste lle n d ie H a c k frü c h te a u c h e in e F u tte rq u e lle d ar: B latt u n d T ro c k e n ­
s c h n itz e l d e r Z u c k e rrü b e , f r ü h e r a u c h d ie K arto ffel. E in e b r e ite P a le tte v o n
F e ld fu tte rp fla n z e n s te h t d e n G e m is c h tb e trie b e n als d ritte H a u p tk u ltu r z u r V erfü
g u n g - in D e u tsc h la n d v o r a lle m G rü n m a is, Klee, L u z e rn e . Ih re A u sw a h l v a riie
rt s ta rk n a c h S ta n d o rt, T ra d itio n u n d je w e ilig e r A n b au - u n d E rn te te c h n ik , ln
d e n USA h a tte n d ie H a c k frü c h te n ie d ie B e d e u tu n g w ie in E u ro p a e rla n g t, v o r
a lle m , w e il d ie L o h n k o ste n w e g e n d e r g e rin g e n B e v ö lk e ru n g sd ic h te sc h o n im m e r
re la tiv h o c h w a re n . So b ild e te se it je h e r d ie v o n d e n I n d ia n e r n ü b e rn o m m e n e
M a is k u ltu r („ In d ia n c o rn “) d ie H a u p tfu tte rb a s is . Im Z e n tru m d es „C o rn B elt“
e rre ic h t d e r M ais 35 - 50 % des A ck e rla n d e s (B. H o f m e is t e r 1972, S. 351). S eit d e m
Z w e ite n W e ltk rie g h a t sic h d ie S o ja b o h n e als zw e ite H a u p tk u ltu r in n e rh a lb d e r
R o ta tio n e n tw ic k e lt - n e b e n H afer, W in te rw e iz e n , S o rg h u m u n d G ras. Im R ah ­
m e n d e r B e trie b s v e re in fa c h u n g b a u e n v ie l F a rm e r n u r n o c h M ais u n d Soja an .

208 Agrarregionen der Erde
v o n e in e r R o ta tio n k a n n k a u m m e h r g e sp ro c h e n w e rd e n (B. H o f m e is t e r 1970,
S. 167). S ie h t m a n v o n d ie s e m E x tre m h e isp ie l ah, so ist d e r G e m isc h tb e trie b im ­
m e r n o c h d u rc h e in e re la tiv e V ielse itig k e it s e in e r P ro d u k tio n g e k e n n z e ic h n e t.
V ielg lie d rig e r A n b a u , m e h r e r e T ie ra rte n u n d d ie v e rs c h ie d e n e n A lte rsstu fe n d e r
T ie rh a ltu n g e rg e b e n z u s a m m e n e in e g ro ß e V ielfalt v o n V e rb u n d m ö g lic h k e ite n
z w isc h e n p fla n z lic h e r u n d tie ris c h e r P ro d u k tio n , v o n d e n e n T ab elle 4.19 d re i
M ö g lic h k e ite n a u ffü h rt.
Tab. 4.19:
Fallbeispiele von Gemischtbetrieben (Vollerwerb)
Quellen: M. Gläser 1982 (A) und Ergebnisse des Geländepraktikums
des Geogr. Inst. Hannover 1982 (B u. C)
Betrieb A Betrieb В Betrieb C
Standort: Aurich Königsberg (Unterfranken)
ОТ Römershofen
Naturraum: Geest Fränkisches Gäuland
Jahresniederschläge: 770 mm 550 mm
Landw. Nutzfläche: 27 ha 27 ha 19 ha
davon Pachtland 13 ha 1ha 5 ha
Ackerland 27 ha 24 ha 12ha
Dauergrünland - 3 ha 7 ha
Fruchtfolge: 1. Gras 1. Gerste
2. Gerste 2. Winterweizen
3. Roggen 3. Grünmais
4. Hafer 4. Zuckerrüben
5. Gurken
Viehbestand:
Milchkühe 16 10 14
Jungvieh 25 30 16
Schweine 100 40 30
(nur Zuchtsauen)
Arbeitskräfte: 3 3 2
V on d e n in T a b e lle 4.19 a n g e g e b e n e n B e isp ie le n h a t n u r d e r B e trie b A e in e n
e in d e u tig e n S c h w e rp u n k t, n ä m lic h d ie F e rk e le rz e u g u n g . D a n e b e n b ie te n d e r V erk
a u f v o n M ilch u n d Ju n g v ie h s e k u n d ä re E in n a h m e q u e lle n . D ie g e sa m te G e tre id e ­
e rn te w ir d v e r fü tte rt, G ras b a u t m a n im W ech sel m it F e ld frü c h te n a u f d e m
A c k e rla n d an. Bei d e n b e id e n frä n k is c h e n B e trie b e n re ic h t d ie tra d itio n e ll b re ite
P ro d u k tio n s p a le tte v o n M ilch, K älb ern , M a stsc h w e in e n u n d F e rk e ln b is z u d e n
M a rk tfrü c h te n B ra u g e rste , Z u c k e rrü b e n u n d G u rk e n . D as D a u e rg rü n la n d b e ­
sc h rä n k t sic h w e g e n d e s n ie d e rs c h la g s a rm e n K lim as a u f d ie T a la u e n . D ie v ie lse i­
tig e, a rb e its in te n s iv e W irtsc h a ftsw e ise w ird in a lle n d re i B e isp ie le n d u rc h das
h o h e P o te n tia l fa m ilie n e ig e n e r A rb e itsk rä fte e rz w u n g e n . D ie a u f la n g e E rfa h ru n g
z u rü c k g e h e n d e V ielse itig k e it h a t d re i U rsach en :
- R isik o au sg leich ;
- A rb e itsa u sg le ic h . D as A rb e itsp o te n tia l d e r F a m ilie w ird v o r a lle m d u rc h die
g a n z jä h rig a n fa lle n d e n A rb e ite n d e r T ie rh a ltu n g au sg e la ste t;

Regionen der landwirtschaftlichen Gemischtbetriebe 209
- E in k o m m e n s v e rte ilu n g ü b e r d as Jahr;
- Fruchtwechsel zum Erhalt der Bodenfruchtbarkeit.
Die Sozialstruktur w ird in a lle n R e g io n e n m it G e m is c h tb e trie b e n v o m F a m ilie n ­
b e trie b g e p rä g t, d e r h e u te n u r n o c h m it fa m ilie n e ig e n e n A rb e itsk rä fte n w irts c h a f­
te t. F a m ilie n e ig e n tu m m it Z u p a c h t (P a rz e lle n p ach t) ist d ie d o m in ie re n d e B esitzfo
rm , d o c h ist in G ro ß b rita n n ie n , Irla n d u n d a u c h im M a isg ü rte l d e r USA d ie
P a c h tfa rm n ic h t se lte n . Ю еіпе b is m ittle re B e trie b sg rö ß e n ü b e rw ie g e n , d o c h v a­
r iie r t d ie «B etriebsgröße v o n d u rc h s c h n ittlic h 35,5 h a LF in d e r a lte n B u n d e s­
r e p u b lik ( n u r V o lle rw e rb s b e trie b e ) ü b e r 60 - 80 h a in G r o ß b r ita n n ie n b is zu
100 - 300 h a in d e n USA.
Die Vermarktungsquote lie g t ü b e r 90 %, S e lb stv e rso rg u n g - n o c h v o r e in e r G e­
n e r a tio n e in H a u p tm o tiv f ü r d ie d iv e rsifiz ie rte W irtsc h a ftsw e ise - sp ie lt n u r n o c h
e in e u n te rg e o rd n e te R olle.
U n te r d e n A g ra rsy ste m e n d e r E rd e ist d as d e r G e m is c h tb e trie b e e in e s d e r p ro ­
d u k tiv s te n m it S p itz e n le is tu n g e n d e r p fla n z lic h e n u n d tie ris c h e n P ro d u k tio n .
A u ch a u s ö k o lo g isc h e r S ic h t ist se in e S ta b ilitä t b e m e rk e n s w e rt. T ro tz d e m ist es in
a lle n In d u s tr ie lä n d e r n a u f d e m R ü c k z u g z u g u n s te n d e r S p e z ia lb e trie b e.

210 Die Welternährungssituation
5 Die Welternätirungssituation
D ie W e lte rn ä h ru n g s s itu a tio n ist g e k e n n z e ic h n e t d u rc h e x tre m e rä u m lic h e D isparitä
te n . A uf d e r e in e n S eite d ie w e stlic h e n In d u s trie lä n d e r, in d e n e n e in e k a u m
m e h r a b s e tz b a re Ü b e rp ro d u k tio n v o n A g r a r p r o d u k te n d a s H a u p tth e m a d e r
A g ra rp o litik b ild e t, a u f d e r a n d e re n S eite e in e w a c h s e n d e Z a h l v o n E n tw ic k lu n g s­
lä n d e rn m it N a h ru n g s d e fiz ite n . Ist in d e r e rs te n L ä n d e rg ru p p e d ie Überernährung
z u e in e m - v o rw ie g e n d m e d iz in is c h e n - P ro b le m g e w o rd e n , so k e n n z e ic h ­
n e t in d e r z w e ite n G ru p p e d ie Unterernährung d ie S itu a tio n . D en A u sg leich
z w isc h e n Ü b e rsc h u ß - u n d D e fiz iträ u m e n a u f k o m m e rz ie lle r B asis b e g re n z t d ie
p re k ä re Z a h lu n g s s itu a tio n d e r m e is te n E n tw ic k lu n g s lä n d e r. D as W e lte rn ä h ­
ru n g s p ro b le m lä ß t sic h d a h e r n ic h t e in fa c h a u f e in V e rte ilu n g s p ro b le m re d u ­
z ieren .
In W e ste u ro p a u n d N o rd a m e rik a k o n n te se it d e m 19. J a h r h u n d e r t d ie N ah ­
ru n g s m itte lp ro d u k tio n so g e ste ig e rt w e rd e n , d a ß sie d as B e v ö lk e ru n g sw a c h stu m
ü b e rtra f. D ie se r P ro d u k tio n s z u w a c h s h ä lt b is h e u te a n u n d ist b e i k a u m n o c h
w a c h s e n d e r B e v ö lk e ru n g d ie U rsa c h e f ü r d ie b e k a n n te n A g ra rü b e rsc h ü sse . Im
G efolge d ie s e r E n tw ic k lu n g h a t sic h in d e n le tz te n 150 Ja h re n d as E rn ä h ru n g s ­
v e rh a lte n d e r B e v ö lk e ru n g tie fg re ife n d g e w a n d e lt, so w o h l w as d ie Q u a n titä t als
d ie Q u a litä t, d .h . d ie Z u s a m m e n s e tz u n g d es N a h ru n g sk o rb e s b e trifft. D er K alorie
n v e rb ra u c h p ro K opf stie g s ta rk a n u n d d as N a h ru n g s a n g e b o t w u rd e v ielseitig
e r. S te ig e n d e E in k o m m e n im G efolge d e r I n d u s tr ia lis ie r u n g e rm ö g lic h te n
im m e r b r e ite re n B e v ö lk e ru n g ssc h ic h te n , d as v e rb e s s e rte A n g eb o t a u c h z u kau -
Abb. 5.1 : Die Entwicklung der Ernährungssituation in ausgewählten Industriestaaten 1800 -1980
(Quelle: D. Grigg 1994, S. 6)

Definitorische und methodische Probleme 211
fen . N och z u B e g in n d es 19. J a h r h u n d e r ts h a tte d ie d u rc h s c h n ittlic h e E n e rg ie
Z u fu h r in D e u tsc h la n d , B elg ien u n d F ra n k re ic h n ic h t m e h r als 1 800 h is 2 300
K a lo rie n p ro K opf u n d T ag b e tra g e n (D. G r ig g 1994, S.5 ff.). D as s in d W erte, w ie
sie h e u te n u r n o c h im s u b s a h a ris c h e n A frika u n d S ü d a sie n a n z u tre ffe n sin d ; sie
re ic h e n n ic h t fü r e in e a u s re ic h e n d e E r n ä h r u n g d e r g e s a m te n B e v ö lk e ru n g . M it
d e m A n w a c h se n d e r A g ra rp ro d u k tio n im 19. J a h r h u n d e r t e rre ic h te n a c h G r ig g
d e r d u rc h s c h n ittlic h e K o n su m d e n W e rt v o n 3 000 k c a l/K o p f/T a g in G ro ß b rita n ­
n ie n u m 1860, in F ra n k re ic h u m 1875, in D e u tsc h la n d 1895 u n d in S c h w e d e n u m
1910. Ita lie n , P o len u n d g ro ß e T eile O ste u ro p a s ü b e rs c h ritte n e rs t n a c h 1950 d ie
G re n z e v o n 3 000 kcal. D a n a c h stie g d ie E n e rg ie z u fu h r n u r n o c h la n g s a m a u f
e in e n W ert u m 3 400 kcal (s. A b b ild u n g 5.1).
G le ic h z e itig w u rd e d e r In h a lt d es N a h ru n g sk o rb e s u m g e sc h ic h te t. W ä h re n d
d e r K o n su m v o n tie ris c h e n P ro d u k te n , Z u ck er, O b st u n d G e m ü se , p fla n z lic h e n
Ö le n u n d A lkohol a n stie g , g in g d ie B e d e u tu n g v o n B ro t u n d a n d e re n G e tre id e ­
p ro d u k te n z u rü c k . D ie h e u tig e E rn ä h r u n g ist w e it v ie lse itig e r als d ie d es v o r­
in d u s trie lle n E u ro p a , d ie v o n G e tre id e p ro d u k te n , se it E n d e des 18. J a h rh u n d e rts
a u c h v o n K arto ffeln , d o m in ie rt w a r. D ie B e v ö lk e ru n g d e r In d u s tr ie lä n d e r ist seit
1 b is 2 G e n e ra tio n e n w e it b e s s e r e r n ä h r t als je in ih r e r G esch ich te.
P ro b le m e e n ts te h e n in d e n I n d u s tr ie lä n d e r n a u s d e r Ü b e r e r n ä h ru n g . So
sch ä tz te d ie D e u tsc h e G e se llsc h a ft fü r E rn ä h r u n g im Ja h re 1988 d ie K o sten fü r
e rn ä h ru n g s a b h ä n g ig e K ra n k h e ite n f ü r d ie B u n d e s re p u b lik a u f jä h rlic h m e h r als
40 M rd. DM ein (K. O l t e r s d o r f 1992, S. 74). D er d u rc h s c h n ittlic h e E n e rg ie v e r­
b ra u c h v o n 3 400 k cal lie g t ü b e r d e m G ru n d b e d ü rfn is v o n etw a 2 500 k c a l/K o p f/
Tag. A u ß e rd e m b e s te h t d e r N a h ru n g s k o rb zu e tw a e in e m D ritte l au s P ro d u k te n
tie ris c h e r H e rk u n ft, in D e u tsc h la n d 1990 b e isp ie lsw e ise 1 222 k cal v o n 3 455 kcal
F ü r d ie se „ V e re d e lu n g “ w e rd e n P rim ä rk a lo rie n b e n ö tig t, d ie a u f d e m U m w eg
ü b e r d e n T ie rm a g e n z u 70 b is 90 % v e rlo re n g e h e n . D ie re a le N a c h fra g e n a c h
N a h ru n g s e n e rg ie b e lä u ft sich d a h e r in d e n I n d u s tr ie lä n d e r n a u f e in e r G rö ß e n ­
o r d n u n g v o n 12 500 k c a l/K o p f/T a g (U. O l t e r s d o r f 1992, S. 75). Im N a h ru n g sk o rb
e in e s In d e rs fin d e n sic h d a g e g e n u n te r d e n 2 297 k cal (1990) n u r 162 o d e r 7 %au s
tie ris c h e r H e rk u n ft (FAO. P ro d u c tio n Y earb o o k 1994, S. 234).
D ie B e w e rtu n g d e r W e lte rn ä h ru n g s s itu a tio n h a t in d e n le tz te n J a h rz e h n te n
s ta rk z w isc h e n p e s s im is tis c h e n (n e o m a lth u s ia n is c h e n ) u n d o p tim is tis c h e n B e u r­
te ilu n g e n g e sc h w a n k t (P. v. Blanckenburg 1986, S. 149 ff.). N ach z u n e h m e n d e n
B e so rg n isse n in d e n se c h z ig e r J a h re n k a m u m 1970 O p tim is m u s a u fg ru n d d e r
e rs te n E rfolge d e r „ G rü n e n R e v o lu tio n “ au f. E r w u rd e sc h n e ll v o n K a ta s tro p h e n ­
s z e n a rie n n a c h sc h w e re n E rn te a u s fä lle n u n d ra p id e s te ig e n d e n G e tre id e p re is e n
in d e n J a h re n 1972 b is 1974 ab g elö st. A m b e k a n n te s te n w u r d e n d ie W a rn u n g e n
d es „C lub of R o m e “ m it s e in e m B e ric h t ü b e r d ie „ G re n z e n des W a c h s tu m s “. Im
N o v e m b e r 1974 setz te sic h e in e W e lte rn ä h ru n g s k o n fe re n z d as Ziel, in n e r h a lb
e in e r D ek ad e d ie U n te r e r n ä h r u n g in d e r W elt z u b e se itig e n . Es w u rd e b e k a n n tlic h
n ic h t e rre ic h t. A b er b e a c h tlic h e P ro d u k tio n s s te ig e ru n g e n in d e n In d u s trie - u n d
E n tw ic k lu n g s lä n d e rn - e tw a in I n d ie n u n d C h in a - lie ß e n zeitw e ise d as E rn ä h ­
ru n g s p r o b le m in d e n H in te r g r u n d tr e te n . N u r d ie e p is o d is c h e n H u n g e rk a ta ­
s tro p h e n im s u b s a h a ris c h e n A frik a (z.B. im S ahel 1981 - 1983) e rre g te n d ie W eltö
ffe n tlic h k e it. A m A u sg a n g d es 20. J a h rh u n d e rts m e h r e n sic h w ie d e r d ie pessi-

212 Die Welternährungssituation
m is tis c h e n S tim m e n , d ie a u f d ie s in k e n d e n Z u w a c h s ra te n in d e r N a h ru n g s ­
m itte lp r o d u k tio n h in w e is e n , w ä h r e n d d ie R a te n d es B e v ö lk e ru n g sw a c h stu m s
n u r a llm ä h lic h a h sin k e n .
S c h lie ß lic h h a t sic h in d e n le tz te n 20 J a h re n d ie D isk u ssio n ü b e r d ie G rü n d e
v o n H u n g e r u n d U n te r e r n ä h r u n g in d e r D ritte n W elt v o n e in e r an g e b o ts- zu e in e r
n a c h fra g e o rie n tie rte n B e tra c h tu n g sw e ise v e rsc h o b e n . Als S c h lü sse lp ro b le m w ird
w e n ig e r e in e u n z u re ic h e n d e P ro d u k tio n , als v ie lm e h r d ie m a n g e ln d e K au fk raft
b re ite r S c h ic h te n a n g e se h e n . „D ie A rm u t ist d e r K e rn d es P ro b le m s d e r U n te re r­
n ä h r u n g “ (P. Meyns 1993, S. 200). D er W e lte n tw ic k lu n g sb e ric h t d e r W e ltb a n k „Die
A rm u t“ v o n 1990 tr u g d e m R e c h n u n g . D a m it ist d ie E r n ä h ru n g s p ro b le m a tik d e r
E n tw ic k lu n g s lä n d e r e in g e b e tte t in d e n a llg e m e in e n E n tw ic k lu n g s p ro z e ß u n d
e n tz ie h t sic h je d e r m o n o k a u s a le n E rk lä ru n g .
N ach H .-G . B o h l e im d K r ü g e r (1992) la sse n sic h in d e r a k tu e lle n F o rsc h u n g
d re i th e o re tis c h e A n sä tz e z u r E rk lä ru n g v o n N a h ru n g s k ris e n u n te rs c h e id e n :
- w a c h s e n d e Ю и іі z w is c h e n N a h r u n g s m itte le r z e u g u n g u n d N a h r u n g s m itte l­
b e d a rf. E in e m s c h n e lle n B e v ö lk e ru n g sw a c h stu m s te h t e in e s ta g n ie re n d e o d e r
n u r la n g sa m w a c h s e n d e N a h ru n g s p ro d u k tio n g e g e n ü b e r. D ieser A n satz g e h t
im G ru n d e a u f M a l t h u s (1798) z u rü c k . In d e r e n g lis c h s p ra c h ig e n L ite ra tu r
w ird e r als Food Availability Decline b e z e ic h n e t.
- v e rfü g u n g s re c h tlic h e G ru n d la g e n . H u n g e rs n ö te e n ts te h e n n ic h t d u rc h m a n ­
g e ln d e s N a h ru n g s a n g e b o t, s o n d e rn w e il b e s tim m te B e v ö lk e ru n g sg ru p p e n die
M ö g lich k eit v e rlo re n h a b e n , L e b e n sm itte l z u p ro d u z ie re n , z u e rw e rb e n o d e r
e in z u ta u s c h e n (Food Entitlement Decline).
- k rise n - u n d k o n flik tth e o re tis c h e A n sätze. H u n g e rs n ö te w e rd e n e h e r als k u rz ­
fristig e K u lm in a tio n s p u n k te e in e r la n g d a u e rn d e n , s tru k tu re lle n K rise v e rs ta n ­
d e n . D a m it w ird z.B. d ie S itu a tio n im s u b s a h a ris c h e n A frika e rk lä rt.
V on g e o g ra p h isc h e r S eite lie g e n n ic h t s e h r v iele B e iträg e z u r W e lte rn ä h ru n g s ­
situ a tio n v o r. D ie ä lte re F o rs c h u n g b e fa ß te sich g e le g e n tlic h m it g lo b a le n T rag ­
fä h ig k e its b e re c h n u n g e n (Z u s a m m e n s te llu n g b e i W . M a n s h a r d 1987). M it d e r
e ig e n tlic h e n E r n ä h r u n g s s itu a tio n h a b e n sic h v o r a lle m d e r e n g lis c h e A g ra r­
g e o g ra p h D. G r ig g , a u f d e u ts c h e r S eite u .a. W . M a n s h a r d 1978 u n d n e u e rd in g s
H .-G . B o h l e befaßt. B o h l e u n d K r ü g e r (1992) g e h e n - g e stü tz t a u f a n g e lsä c h sisch
e G e o g ra p h e n - so g a r so w e it, e in e U m o rie n tie ru n g d e r h e rk ö m m lic h e n A g rarg
e o g ra p h ie z u e in e r „ G e o g ra p h ie d e r N a h ru n g s k ris e n “ a n z u m a h n e n .
A n g esich ts d e r K o m p le x itä t des P ro b le m s k ö n n e n w o h l n u r n o c h in te rd is z ip lin
ä re A n sätze d e m G e g e n sta n d g e re c h t w e rd e n .
Definitorische und methodische Probleme
D as A u sm a ß d e r U n te r e r n ä h r u n g k a n n a n g e sic h ts d e r m a n g e lh a fte n S ta tistik e n
in d e n E n tw ic k lu n g s lä n d e rn n u r g e sc h ä tz t w e rd e n . A u ß e rd e m ist d e r B egriff
„ U n te re rn ä h ru n g “ b is h e u te s e h r sc h w e r z u d e fin ie re n . E r w ird o ft sy n o n y m m it
H u n g e r b e n u tz t.
N ach d e n D e fin itio n e n v o n FAO u n d W H O (zit. n. B l a n c k e n b u r g im d C r e m e r
1983, S. 18) b e d e u te n :

Definitorische und methodische Probleme 213
- H u n g e r (gleich H u n g e rg e fü h l); e in K o m p lex u n a n g e n e h m e r G e fü h le , d ie sic h
b e i N a h ru n g s e n tz u g b e m e rk b a r m a c h e n .
- H u n g e rn (starv atio n ): d as E rg e b n is e in e r ü b e r e in e g ew isse Z eit a n d a u e r n d e n
d ra s tis c h e n V e rrin g e ru n g d e r N a h ru n g s a u fn a h m e . D ie F o lg en s in d sc h w e re
fu n k tio n e lle S tö ru n g e n u n d O rg a n v e rä n d e ru n g e n .
- U n te r e r n ä h r u n g (u n d e rn u tritio n ): e in k ra n k h a fte r Z u sta n d , d e r au s e in e r u n ­
z u re ic h e n d e n N a h ru n g s a u fn a h m e ü b e r e in e lä n g e re Z e its p a n n e re s u ltie rt. Sie
m a n ife s tie rt sich v o r a lle m in v e rrin g e rte m K ö rp e rg e w ic h t.
Bis A n fa n g d e r sie b z ig e r J a h re le g te n d ie E rn ä h ru n g s w is s e n s c h a ftle r g rö ß te n W ert
a u f d ie U n te rs c h e id u n g v o n zw ei F o rm e n d e r u n z u r e ic h e n d e n N a h ru n g s m itte l­
z u fu h r, n ä m lic h
- U n te r e r n ä h r u n g (u n d e rn u tritio n ); u n z u re ic h e n d e E n e rg ie z u fu h r;
- M a n g e le rn ä h ru n g (m a ln u tritio n ): sp e z ifisc h e r M an g el a n e in e m o d e r m e h r e ­
re n N ä h rsto ffe n (z. B. E iw eiß , V ita m in e ).
B eso n d ers d ie Eiweißversorgung w u rd e la n g e als d a s K e rn p ro b le m d e r W elte
r n ä h r u n g a n g e se h e n ; es galt, d ie sog. E iw e iß lü c k e z u sch lie ß e n . E iw eiß b e s te h t
a u s 20 - 25 A m in o sä u re n , v o n d e n e n 8 - 9 n ic h t im m e n s c h lic h e n S to ffw ech sel
a u fg e b a u t w e rd e n k ö n n e n u n d d a h e r u n b e d in g t in d e r N a h ru n g e n th a lte n se in
m ü s s e n (e sse n tie lle A m in o s ä u re n ). D ie b io lo g isc h e W e rtig k e it v o n N a h ru n g s ­
e iw e iß ist u m so g rö ß e r, je m e h r se in A m in o s ä u re n m u s te r d e m d es m e n s c h lic h e n
K ö rp e rs e n ts p ric h t. D a ra u s w m rde b is h e r d e r g rö ß e re W e rt d es - re la tiv te u r e n -
tie ris c h e n E iw eiß es a b g e le ite t. N ach n e u e r e n E rg e b n isse n s c h e in t d e r m e n s c h ­
lic h e O rg a n ism u s a b e r e in e n h ö h e r e n A n teil des G e tre id e e iw e iß e s a u s z u w e rte n ,
als b is h e r a n g e n o m m e n w m rde. E in e K o m b in a tio n a u s v e rs c h ie d e n e n p fla n z ­
lic h e n N a h ru n g s m itte ln - v o r a lle m G e tre id e u n d G e m ü se - s c h e in t d e n B e d arf
a n e sse n tie lle n A m in o s ä u re n a b z u d e c k e n . E in E x p e rte n a u s s c h u ß v o n FAO u n d
W H O s c h lu g d a h e r 1971 e in e H e ra b s e tz u n g d e r M in d e s tn o r m e n d es P ro te in ­
b e d a rfs v o r. In fo lg e d e sse n v e rrin g e rte sic h sc h la g a rtig d e r tä g lic h e Pro-Kopf-Bed
a r f d e r E n tw ic k lu n g s lä n d e r a n E iw eiß v o n 61 g a u f 38 g (U. Kracht 1975, S. 207),
w o m it m a k ro s ta tis tis c h d ie „ E iw e iß lü c k e “ w e itg e h e n d g e sc h lo sse n w a r. M a n
n a h m d a r a u f h in a n , d a ß d e r E iw e iß b e d a rf n o rm a le rw e is e g e d e c k t ist, w e n n d e r
E n e rg ie b e d a rf g e d e c k t ist. A u s n a h m e n b e s te h e n fü r g e fä h rd e te G ru p p e n (K in d er
b is z u 6 Jah re n , sc h w a n g e re u n d stille n d e F ra u e n ) so w ie f ü r R e g io n e n , in d e n e n
n ic h t G e tre id e s o n d e rn e iw e iß a rm e K o h le h y d ra tträ g e r w ie M a n io k u n d B a n a n e n
d ie H a u p tn a h r u n g s m itte l s in d (Blanckenburg u n d Cremer 1983. S. 27). D ie A ufm
e rk s a m k e it v e rla g e rte sic h fo lg lic h v o n d e r N a h ru n g se iw e iß - z u r N a h ru n g s ­
e n e rg ie fra g e (P. V. Blanckenburg 1986, S. 80). Im Ja h re 1981 w m rd en n e u e B e rech ­
n u n g e n v o n FAO u n d W H O v o rg eleg t, w e lc h e d e n E iw e iß b e d a rf w deder h ö h e r
a n se tz te n . D ie D isk u ssio n ist also k e in e sw e g s a b g e sc h lo sse n , sie o ffe n b a rt d ie
W isse n slü c k e n , d ie im m e r n o c h ü b e r d ie w e ltw e ite E rn ä h ru n g s s itu a tio n b e s te ­
h e n .
A u ch ü b e r d ie B e d a rfs n o rm e n f ü r E n e rg ie h e rrs c h t k e in e sw e g s E in m ü tig k e it.
Bei d e r B e re c h n u n g d es B e d a rfs m in im u m s g e h t m a n v o m E n e rg ie b e d a rf e in e s
M e n sc h e n b e i ru h e n d e m K ö rp e r au s (G ru n d u m sa tz ). D azu k o m m t d e r E n e rg ie b e ­
d a r f d u r c h k ö rp e rlic h e A k tiv itä te n (A rb e itsu m sa tz ). E r v a r iie r t m it A lter, G e­
sc h le c h t, K ö rp e rg rö ß e , G ew icht, K lim a z o n e u n d S c h w e re d e r A rb eit. D ie E rm itt-

214 Die Welternährungssituation
lu n g e in e s M itte lw e rte s ist d a h e r n ic h t e in fa c h . F ü r d ie E n tw ic k lu n g s lä n d e r g e h t
d ie FAO v o n e in e m G ru n d u m s a tz v o n 1 520 k cal au s. D en A rb e itsu m sa tz h a t d ie
FAO im 5. W o rld F ood S u rv e y n ic h t e in h e itlic h festg eleg t, s o n d e rn b ie te t zw ei
V a ria n te n , n ä m lic h d as l,2 fa c h e u n d l,4 fa c h e des G ru n d u m s a tz e s . D e m n a c h gelte
n zw ei W erte, 1 824 u n d 2 128 k c a l/K o p f/T a g als B e d a rfs m in im u m (P. Meyns
1993, S. 199)
Z ur Q uantifizierung d e r U n te re rn ä h ru n g w erd en zw ei M ethoden angew andt:
- S tic h p ro b e n e rh e b u n g e n (H a u s h a lts u n te rs u c h u n g e n o d e r m e d iz in is c h e U n te r­
su c h u n g e n ),
- B ila n z ie ru n g v o n N a h ru n g s a n g e b o t u n d N a h ru n g s b e d a rf a u f L ä n d e rb a sis.
A uf d ire k te m W ege ist d as A u sm a ß d e r U n te r e r n ä h r u n g n u r m it g ro ß e m A u fw a n d
fe stz u ste lle n . K leine S tic h p ro b e n e rh e b u n g e n au s H a u s h a lts u n te rs u c h u n g e n u n d
m e d iz in isc h e E rh e b u n g e n la sse n sic h a u f d ie G e sa m tb e v ö lk e ru n g h o c h re c h n e n .
In d ire k te B e re c h n u n g e n d e r E rn ä h ru n g s itu ta tio n ste lle n d ie N a h ru n g s b ila n z e n
d a r, w elch e d ie FAO fü r je d e s L an d a u fste llt (vgl. T ab elle 5.1). A us d e r S u m m e v o n
N a h ru n g s g ü te rp ro d u k tio n e n , E x p o rt u n d Im p o rt so w ie e in ig e n a n d e r n V a ria b le n
(L a g e rh a ltu n g , V e rlu ste , S a a tg u tb e d a rf) w ird d ie f ü r d e n m e n s c h lic h e n V e rb ra u c h
v e rfü g b a re N a h ru n g s m e n g e u n d d e re n N ä h rw e rt e rre c h n e t. T eilt m a n d ie se S u m ­
m e d u rc h d ie Z ah l d e r E in w o h n e r u n d d ie 365 T age d es Ja h re s, so e rg ib t sich d ie
d u rc h s c h n ittlic h e v e rfü g b a re K a lo rie n z a h l je K opf u n d Tag. D as so e rre c h n e te
N a h ru n g s a n g e b o t k a n n d e m p h y sio lo g isc h e n B e d a rf d es K ö rp ers g e g e n ü b e rg e ­
ste llt w e rd e n .
Da n u n in k e in e m L a n d d e r W elt d ie N a h ru n g s m itte l g le ic h m ä ß ig u n te r alle
S c h ic h te n v e rte ilt w e rd e n , h ä lt m a n e in e V e rso rg u n g sra te v o n 110 % f ü r e rfo rd e r­
lich , d a m it a u c h d ie Ä rm s te n e in e n a u s r e ic h e n d g e d e c k te n T isc h v o rfin d e n
(P. V. Blanckenburg 1977, S. 346).
A n g esich ts d ie s e r d e fin ito ris c h e n u n d m e th o d is c h e n S c h w ie rig k e ite n sin d alle
A u ssag en ü b e r d as A u sm a ß d e r U n te r e r n ä h r u n g sp e k u la tiv . D ie W H O h a t d ie Z a h l
d e r U n te re rn ä h rte n w e ltw e it a u s e m p iris c h e n E rh e b u n g e n h o c h g e re c h n e t u n d
k o m m t se it J a h re n z u e in e r Z a h l v o n e tw a 400 M illio n e n M e n sc h e n , d ie als u n te r ­
e r n ä h r t a n z u s e h e n sin d . D ie FAO s tü tz t sic h a u f ih re N a h ru n g s b ila n z e n u n d
Kalorlenversorgung in ксаІ/КорІЯад Anteil 1990 in v. H.
1970 1980 1990 Pfl. T.
Äthiopien 1711 1858 1604 93 7
Bangla Desch 2196 1902 1994 97 3
Mall 2142 1789 2105 90 10
Indien 2082 1959 2297 93 7
China 2032 2332 2679 89 1
Nigeria 2492 1968 2093 97 3
Algerien 1804 2673 2867 88 12
Brasilien 2448 2705 2731 83 17
Iran 2005 2656 2647 91 9
Rumänien 3103 3455 3317 78 22
Deutschland 3217 3382 3455 65 35
USA 3192 3333 3680 68 32
Tab. 5.1 :
Nahrungsbilanzen
ausgewählter
Staaten
1970 bis 1990
(Quelle: FAO.
Production
Yearbook 48,
1994)

Unterernährung im historischen Kontext 215
s p ric h t v o n 800 M io. H u n g e rn d e n . D ie W e lte n tw ic k lu n g sb e ric h te d e r W e ltb a n k
e n th a lte n S c h ä tz u n g e n v o n 600 M io. b is zu e in e r M illia rd e M e n sc h e n , d ie u n z u ­
re ic h e n d e r n ä h r t sin d . „Es g ib t k e in e M eth o d e, m it d e r e in e e x ak te Z ah l d e r
U n te r e r n ä h r te n e rm itte lt w e rd e n k ö n n te “ (U. Oltersdorf 1992, S. 76).
5.2 Unterernährung im historischen Kontext
H in te r d e m s u m m a ris c h e n B eg riff d es W e lte rn ä h ru n g s p ro b le m s v e rb e rg e n sich
zw ei n a c h N a tu r u n d U rsach e v e rs c h ie d e n e P ro b le m e (U. Kracht 1975, S. 205):
- z e itlic h u n d rä u m lic h b e g re n z te H u n g e rsn ö te ,
- c h ro n is c h e U n ter- u n d M a n g e le rn ä h ru n g w e ite r T eile d e r E rd b e v ö lk e ru n g .
Hungersnöte w e rd e n h e u te a u ssc h lie ß lic h m it E n tw ic k lu n g s lä n d e rn v e rb u n d e n ,
sie tr a te n b is in s 19. J a h r h u n d e r t a b e r ü b e ra ll a u f E rd e n a u f u n d s in d so a lt w ie d ie
M e n sc h h e it selbst. M an lese d e n a u s fü h rlic h e n B e ric h t ü b e r d ie sie b e n m a g e re n
u n d fe tte n Ja h re im p h a ra o n is c h e n Äg5ф te n im 1. B u ch M ose K ap itel 41. A u ch in
E u ro p a h a t es H u n g e rs n ö te g e g e b e n , v o n d e n e n v ie le w e s e n tlic h s c h lim m e r
w a r e n als d ie E rn ä h r u n g s k r is e n , d ie w ir h e u te in A frik a u n d A sie n e rle b e n
(P. V. B l a n c k e n b u r g 1986, S. 41). W. A b e l (1974) b e s c h re ib t fü r d ie P e rio d e v o m
a u s g e h e n d e n 17. J a h r h u n d e r t b is z u r M itte d es 19. J a h r h u n d e r ts elf g ro ß e H u n ­
g e rsn ö te in D e u tsc h la n d u n d s e in e n b e n a c h b a rte n G e b ie te n . D ie le tz te n s in d v o n
1771/74, 1795/96, 1816/17, 1825, 1836 u n d 1846/47 ü b e rlie fe rt. „T he G re a t Fam
in e “ in Irla n d v o n 1846/48, v e ru rs a c h t d u rc h e in e K a rto ffe lk ra n k h e it u n d w e ­
g e n d e r U n tä tig k e it d e r b r itis c h e n R e g ie ru n g z u r K a ta s tro p h e a u sg e w a c h se n ,
h a tte d e n T o d v o n e in e r M illio n Ire n z u r Folge. Sie ist b is h e u te e in tra u m a tis c h e s
E rle b n is im K o lle k tiv g e d ä c h n is d e r I r e n g e b lie b e n . In E u ro p a w a r sie d ie le tz te
g ro ß e H u n g e rsn o t, d ie a u f n a tü rlic h e U rsa c h e n z u rü c k g in g . D ag eg en tr a te n in
In d ie n u n d C h in a n o c h b is z u r M itte des 20. J a h rh u n d e rts M a s s e n s te rb e n m it
M illio n e n v o n T o te n au f. E in e d e r g rö ß te n H u n g e rs n ö te d ie se s J a h rh u n d e rts e r­
e ig n e te sich 1943/44 in In d ie n , h a u p ts ä c h lic h in B e n g alen . Sie fo rd e rte zw ei b is
v ie r M illio n e n T ote (P. v. B l a n c k e n b u r g 1986, S. 48).
D iese zeitlic h u n d rä u m lic h b e g re n z te n H u n g e rs n ö te e re ig n e n sic h a u s e in e m
Z u s a m m e n w irk e n n a tü r lic h e r u n d a n th ro p o g e n e r F a k to re n . N a tü rlic h e U rsa c h e n
s in d e x tre m e W itte ru n g s b e d in g u n g e n w ie m e h rjä h rig e D ü rre , Ü b e rs c h w e m m u n ­
g en , H a g elsch lag so w ie e p id e m is c h a u ftre te n d e K ra n k h e ite n u n d S c h ä d lin g e b ei
K u ltu rp fla n z e n u n d H a u s tie re n (z.B. H e u sc h re c k e n , R in d e rse u c h e n ). Sie k ö n n e n
h e u te n u r n o c h in u n te r e n tw ic k e lte n G e se llsc h a fte n m it u n z u r e ic h e n d e n A b­
w e h r m itte ln u n d m a n g e ln d e m K o m m u n ik a tio n s - u n d T r a n s p o r tp o te n tia l zu
H u n g e rs n ö te n fü h re n . M a n k a n n d ie se H u n g e rsn ö te als e h e r k u rz fris tig e K u lm i­
n a tio n s p u n k te e in e r la n g d a u e rn d e n , s tru k tu re lle n K rise v e rs te h e n (H.-G. B o h l e u .
F. Krüger 1992, S. 260).
Anthropogene Hungersnöte tr e te n v o r a lle m im G efolge v o n K rieg en au f. In
D e u tsc h la n d s in d d ie H u n g e rja h re im G efolge d e r b e id e n W eltk rie g e b e i d e r älte ­
r e n G e n e ra tio n n o c h u n v e rg e sse n . In d e r G e g e n w a rt v e ru rs a c h e n m e is t lo k ale
in n e rs ta a tlic h e K o n flik te E rn ä h ru n g s k ris e n . Sie f ü h r e n z u r D e sin te g ra tio n w irtsc
h a ftlic h e r K reisläu fe, M a sse n a rm u t, z u r Z e rs tö ru n g d e r In fra s tru k tu r, z u r Ver-

хЛ
216 Die Welternährungssituation
n ic h tu n g d e r E rn te n u n d oft a u c h z u r V e rtre ib u n g u n d E n tw u rz e lu n g d e r b ä u e r­
lic h e n B ev ö lk eru n g . N ach e in e r 1990 v e rö ffe n tlic h te n Ü b e rsic h t d e r FAO ü b e r
E rn ä h ru n g s n o ts tä n d e im s u b s a h a ris c h e n A frik a w a re n fast d ie H älfte d e r b e tro f­
fe n e n L ä n d e r S c h a u p lä tz e k rie g e risc h e r K o n flik te (P. M e y n s 1993, S. 203). A uch
R e v o lu tio n e n u n d ra d ik a le U m g e sta ltu n g e n d e r S o z ia ls tru k tu r z ie h e n o ft E rn ä h ­
ru n g s k ris e n n a c h sich; d ie Z ah l d e r T o te n im G efolge d e r so w je tisc h e n K ollektiv
ie ru n g d e r L a n d w irts c h a ft n a c h 1930 w ir d a u f 3 b is 10 M illio n e n g e sc h ä tz t
(P. V. B l a n c k e n b u r g 1986, S. 46); d ie c h in e sisc h e K u ltu rre v o lu tio n soll in d e n
sech z ig e r J a h re n g a r 30 b is 40 M illio n e n M e n sc h e n d as L e b en g e k o ste t h a b e n .
D iese z e itlic h u n d rä u m lic h b e g re n z te n H u n g e rs n ö te tr e te n h e u te n u r n o c h im
s u b s a h a ris c h e n A frika h ä u fig e r auf.
V on d ie se m T yp d e r E rn ä h ru n g s k ris e n m u ß d ie chronische Unterernährung
d e r u n te r e n so z ia le n S c h ic h te n in d e n E n tw ic k lu n g s lä n d e rn u n te rs c h ie d e n w e r­
d e n . Sie is t z u r ü c k z u f ü h r e n a u f u n b e f r ie d ig e n d e W irtsc h a fts- u n d S o z ia lv e r­
h ä ltn isse , d ie sic h in n ie d rig e r P ro d u k tio n s le is tu n g o d e r m a n g e ln d e r K a u fk ra ft
a u sd rü c k e n . D ie u n te r e n E in k o m m e n s k la s s e n v e rfü g e n n ic h t ü b e r g e n u g L a n d
o d e r T e c h n o lo g ie, u m sic h se lb st a u s re ic h e n d z u e r n ä h r e n o d e r d e r V e rd ie n st au s
L o h n a rb e it ist z u g e rin g , u m a u s re ic h e n d N a h ru n g k a u fe n z u k ö n n e n . „Das P ro ­
b le m lie g t n ic h t so s e h r b e i d e r u n z u r e ic h e n d e n la n d w irts c h a ftlic h e n P ro d u k tio n ,
als v ie lm e h r im M an g el a n R esso u rcen , A rb e it u n d K au fk raft (H. R u t h e n b e r g
1980, S. 296).
D iese F o rm d es H u n g e rs, d .h . d e r c h ro n is c h e n U n te re rn ä h ru n g , g a lt d as H a u p t­
a u g e n m e rk d e r F o rs c h u n g in d e n le tz te n Ja h rz e h n te n . Sie ist k a u m m it N a tu r­
fa k to re n , s o n d e r n d u r c h g e se llsc h a ftlic h e S tr u k tu r d e f iz ite z u e rk lä re n , d e re n
B e w e rtu n g s e h r k o n tro v e rs e rfo lg t. F o lg e n d e U rs a c h e n la s s e n sic h a n f ü h r e n
(P. M e yns 1993, S. 202 ff.):
- sta rk e s B e v ö lk e ru n g sw a c h stu m , d ie sog. „ B e v ö lk e ru n g se x p lo sio n “;
- ö k o lo g isch e Z e rs tö ru n g e n d e s A cker- u n d W e id e la n d es;
- n a tio n a le A g ra rp o litik ; d ie P o litik d e r „ u rb a n b ia s “ b e g ü n s tig t d ie S ta d tb e v ö lk e ­
r u n g a u f K o sten d e r L a n d b e v ö lk e ru n g , z.B. d u rc h n ie d rig e P re ise f ü r G ru n d ­
n a h ru n g s m itte l; F ö rd e ru n g d e r P ro d u k tio n v o n E x p o rtfrü c h te n g e g e n ü b e r d e r
v o n N a h ru n g s frü c h te n ; V e rn a c h lä ssig u n g d e r F ra u e n , d ie in v ie le n L ä n d e rn
fü r d e n A n b a u d e r G ru n d n a h r u n g s m itte l z u s tä n d ig s in d (etw a d u r c h u n te r ­
d u rc h s c h n ittlic h e E in sc h u lu n g ).
- S c h ä d e n d u r c h d e n in te r n a tio n a le n A g ra rh a n d e l; s u b v e n tio n ie rte N a h ru n g s ­
m itte le x p o rte a u s d e n In d u s tr ie lä n d e r n s c h ä d ig e n d ie P ro d u z e n te n in d e n E n t­
w ic k lu n g s lä n d e rn ; d a s V o rd rin g e n d e r „ W e iß b ro tk u ltu r“ b e e in trä c h tig t d e n
A bsatz tra d itio n e lle r N a h ru n g s m itte l w ie e tw a H irse o d e r D atteln .
5.3 Entwicklung von Bevölkerung und Nahrungsmittelproduktion
T h o m a s R o b e r t M a l t h u s (1766 - 1834) le b te in g rö ß e re r Z e itn ä h e z u d e n le tz te n
H u n g e rsn ö te n in E u ro p a u n d e rk a n n te d as e in s e tz e n d e B e v ö lk e ru n g sw a c h stu m
v o r d e r In d u s tria lis ie ru n g . S e in e 1798 e rs c h ie n e n e S c h rift „An E ssay o n th e P rin ­
cip le o f P o p u la tio n “ b e e in flu ß t b is h e u te d ie D isk u ssio n ü b e r d ie W e lte rn ä h ru n g s -

Entwicklung von Bevölkerung und Nahrungsmittelproduktion 217
situ a tio n , a u c h w e n n se in e G ru n d id e e - W a c h stu m d e r B e v ö lk e ru n g in g e o m e ­
tr is c h e r R eih e (1, 2, 4, 8, 16), S te ig e ru n g d e r N a h ru n g s m itte lp ro d u k tio n als Folge
d e s a b n e h m e n d e n E rtra g s z u w a c h s e s n u r in a r ith m e tis c h e r R e ih e (1, 2, 3, 4,
5) - sic h n ic h t b e w a h rh e ite t h a t. S ein b le ib e n d e s V e rd ie n st ist je d o c h d ie E n td ek -
k u n g d e r W e c h se lb e z ie h u n g e n z w isc h e n B e v ö lk e ru n g se n tw ic k lu n g u n d W ach s­
tu m d e r N a h ru n g s m itte lp ro d u k tio n .
S eit 1800 ist d ie W e ltb e v ö lk e ru n g v o n e tw a 1 M illia rd e a u f 5,3 M illia rd e n (1990)
u n d 5,8 M illia rd e n (1996) a n g e w a c h se n : fü r das Ja h r 2010 w ird e in S ta n d v o n 7,2
M illia rd e n M e n sc h e n e rw a rte t. B in n e n 200 J a h re n h a t sic h d ie Z a h l d e r M e n sc h e n
u m d as S ie b e n fa c h e e rh ö h t. Z w isc h e n 1990 u n d 2010 w ird e in e V e rm e h ru n g v o n
1,9 M rd. e rw a rte t; in d e n z w a n z ig J a h re n v o n 1970 b is 1990 h a tte d e r Z u w a c h s n u r
1,6 M rd. b e tra g e n . E in L ic h tb lic k ist d ie re la tiv e Z u w a c h sra te , d ie b e re its 1965 - 70
m it 2,1 %p. a. ih r e n h ö c h s te n W e rt e rre ic h t h a t; je tz t lie g t sie b e i 1,7 %u n d d ü rfte
b is 2010 a u f 1,3 %u n d sc h lie ß lic h a u f 1 %u m 2025 fa lle n (N. A l e x a n d r a t o s 1995,
S. 75). D a d ie s e r R e la tiv w e rt a b e r v o n e in e m im m e r g rö ß e re n A u sg a n g sb e sta n d zu
e r r e c h n e n ist, b le ib t das a b so lu te W a c h stu m a u f la n g e S ich t n o c h h o c h . D er ab so ­
lu te Z u w a c h s d e r W e ltb e v ö lk e ru n g im Ja h r stie g v o n 63 M io. (1960 - 65) a u f je tz t
93 M io. a n u n d d ü rfte e rs t ab 2005 la n g s a m a b n e h m e n , l n d e n E n tw ic k lu n g slä n ­
d e r n lie g t d ie d u rc h s c h n ittlic h e W a c h stu m sra te d e r B e v ö lk e ru n g n o c h b e i 2 %, im
s u b s a h a ris c h e n A frika so g a r b e i 3 %. Sie ist d a m it w e it h ö h e r als in d e n I n d u s trie ­
lä n d e r n im 19. J a h r h u n d e r t D ieses a u ß e ro rd e n tlic h h o h e W a c h stu m d e r W eltb
e v ö lk e ru n g ist d ie H a u p tu rs a c h e f ü r d e n z u n e h m e n d e n B e d a rf a n N a h ru n g s ­
m itte ln n e b e n d e m e in k o m m e n s b e d in g te n N ach fra g ezu w a c h s.
A us T ab elle 5.2 u n d A b b ild u n g 5.2 ist z u e rs e h e n , d a ß sic h tro tz d ieses s ta rk e n
B e v ö lk e ru n g sw a c h stu m s d ie E rn ä h ru n g s s itu a tio n in d e n m e is te n G ro ß rä u m e n
d e r E rd e w ä h r e n d d e r le tz te n 30 Ja h re e rh e b lic h v e rb e s s e rt h a t. W e ltw e it ist d ie
tä g lic h e K a lo rie n z u fu h r p ro K opf u m 18 % g e stieg en , in d e n E n tw ic k lu n g s lä n d e rn
so g a r u m 27 %. ln d e n L ä n d e rn d es N a h e n O sten s u n d N o rd a frik a s (+ 36 %) w u rd e
b e re its d e r S c h w e lle n w e rt v o n 3 000 k cal ü b e rs c h ritte n , d e n D e u ts c h la n d u m
1895 e rre ic h t h a tte . D ie s p e k ta k u lä rs te V e rb e sse ru n g m it 50 %w u rd e in O sta sie n
Tab. 5.2:
Die Ernährungssituation in den Großregionen der Erde 1961 -1 9 9 0 (kcal/Kopf/Tag;
Quelle: N. Alexandratos 1995, Tabelle A2)
1961/63 1969/71 1979/81 1988/90 Veränderung 1961/90
Erde 2288 2434 2579 2697 +17,9 %
Entwicklungsländer 1945 2122 2327 2474 +27,2 %
Entwickelte Länder 3032 3195 3287 3404 +12,3 %
Subsaharlsches Afrika 2120 2138 2120 2098 -1,0%
Naher Osten/Nordafrika 2208 2384 2833 3010 +36,3 %
Ostasien 1730 2020 2342 2597 +50,1 %
Südasien 1974 2041 2090 2215 +12,2%
Lateinamerika/Karibik 2364 2503 2694 2689 +13,7%
Westeuropa 3077 3227 3355 3468 +12,7 %
Osteuropa 3137 3290 3437 3386 +7,9 %
Ehern. UdSSR 3147 3323 3368 3380 +7,4 %
Nordamerika 3054 3235 3330 3604 +18,0 %

218 Die Welternährungssituation
kcal/Kopt/Tag
3000 -
/ Г - ' S , ’’
/ \.^s^
/ ' \ Naher Osten
urtd Nordafrika
Lateinamerika
und Karibik
Ostasien
alle
Entwicklungsländer
Abb. 5.2:
Die Entwicklung der
Ernährungssituation in
den Großregionen der
Erde 1961 -1992
(Quelle:
N. Alexandratos 1995,
S. 48)
i
; Südasien
к / V V
subsaharisches
Afrika
(o h n e Japan) erzielt, a lle rd in g s v o n e in e m s e h r n ie d rig e n A u sg a n g sn iv e a u aus. A uch
h ie r d ü rfte u m d as Ja h r 2000 d ie S ch w elle v o n 3 000 k cal ü b e rs c h ritte n w e rd e n . 1st
dieses N iveau e rst e in m a l erre ic h t, w ä c h st d e r N a h ru n g sb e d a rf n u r n o c h lan g sam , w ie
das B eispiel d e r w e ste u ro p ä isc h e n In d u strie lä n d e r b ew eist (s. A b b ild u n g 5.1). U nbefried
ig e n d ist d ie E n tw ic k lu n g des P ro-K opf-V erbrauchs in S ü d a sie n (+ 12 %), v o r alle m
ab e r im s u b sa h a ra isc h e n A frika. H ier lieg t d ie d u rc h sc h n ittlic h e K a lo rie n z u fu h r n o c h
u n te r d e m sc h o n s e h r n ie d rig e n N iveau v o n 1961/63, e in F o rtsc h ritt ist n ic h t in Sicht.
A ber a b g eseh en v o n d ie se n b e id e n G ro ß re g io n e n , ist d ie M en sch h eit in ih re r G esam t­
h e it h e u te q u a n tita tiv u n d q u alitativ b e sse r e rn ä h rt als je in ih re r G eschichte (vgl. Abbild
u n g e n 5.3 u n d 5.4).
Die V e rb e sse ru n g d e r E r n ä h ru n g s s itu a tio n ist m e h rh e itlic h d u r c h d ie S teiger
u n g d e r A g ra rp ro d u k tio n e rz ie lt w o rd e n . W a c h s tu m s ra te n d e r A g ra rp ro d u k tio n
v o n d u rc h s c h n ittlic h 3 %p .a. in d e n le tz te n J a h rz e h n te n , w ie sie in d e n m e is te n
E n tw ic k lu n g s lä n d e rn e rz ie lt w u r d e n (s. T ab elle 5.3), ü b e rtre ffe n d ie d e r en tw ik -
k e lte n L ä n d e r u n d lie g e n h ö h e r als je in d e r W irtsc h a ftsg e sc h ic h te E u ro p a s. D an e­
b e n g ib t es S ta a te n , b e i d e n e n d ie V e rb e s s e ru n g d e r E r n ä h ru n g s s itu a tio n w e n ig e r

Entwicklung von Bevölkerung und Nahrungsmittelproduktion 219
Tab. 5.3:
Steigerungsraten
der Agrarproduktion
pro Jahr
(in V. H.; Quelle:
N. Alexandratos
1995, S. 80)
Nahrungsmittelproduktion
insgesamt
pro Kopf
1979-1990 1990-2010 1970-1990 1990-2010
Erde 2,3 1,8 0,5 0,2
Subsaharisches Afrika 1,9 3,0 -1,1 -0,2
Naher Osten / Nordafrika 3,1 2,7 0,3 0,3
Ostasien 4,1 2,7 2,4 1,5
Südasien 3,1 2,6 0,7 0,6
Lateinamerika / Karibik 2,9 2,3 0,6 0,6
Entwickelte Länder 1,4 0,7 0,6 0,2
'Schätzung
a u f d ie S te ig e ru n g d e r e ig e n e n A g ra rp ro d u k tio n , s o n d e rn a u f h o h e Im p o rte z u ­
r ü c k z u fü h re n ist. E in ig e L ä n d e r N o rd a frik a s s in d b e i d e r V e rso rg u n g ih r e r B evölk
e r u n g s ta r k v o n A g ra rim p o rte n a b h ä n g ig ; so f ü h r e n A lg e rie n u n d Ä g y p te n
b e re its m e h r als d ie H älfte ih r e r G ru n d n a h ru n g s m itte l au s d e m A u sla n d ein .
5.4 Verbreitungsmuster der Unterernährung
D ie S tu d ie d e r FAO „W orld A g ric u ltu re to w a rd s 2010“ (H rsg.: N. A l e x a n d r a t o s )
v o n 1995 e n th ä lt e in e S c h ä tz u n g d e r c h ro n is c h e n U n te r e r n ä h r u n g fü r d e n Z eitr
a u m 1988 - 90 in 93 E n tw ic k lu n g s lä n d e rn (s. T ab elle 5.4).
D e m n a c h g e lte n 781 M illio n e n o d e r 20 %d e r r u n d 4 M illia rd e n B e w o h n e r d e r
D ritte n W elt als u n te r e r n ä h r t. Als D e fin itio n d e r U n te r e r n ä h r u n g w ird d a b e i e in e
K a lo rie n z u fu h r a n g e n o m m e n , d ie u n te r d e m G re n z w e rt lieg t, d e r fü r d ie E rh al-
Abb. 5.3: Das Nahrungsangebot je Kopf und Tag 1992 (Quelle: FAO. Production Yearbook 48,1994)
< 1900 kcal
1900-2200 kcal
2200-2 5 0 0 kcal
2500-3 0 0 0 kcal
3000 - 3500 kcal
I > 3500 kcal
(Nur Staaten mit mehr als 2 Mio. Einwohnern)
=50 Mio. Menschen

220 Die Welternährungssituation
Abb. 5.4: Die Veränderung des Nahrungsangebots je Kopf und Tag 1970 -1992
(Quelle: FAQ. Production Yearbook 48,1994)
(Nur Staaten mit mehr als 2 Mio. Einwohnern)
50 Mio. Menschen
tu n g des K ö rp e rg e w ic h ts b e i le ic h te n A k tiv itä te n e rfo rd e rlic h ist. E r re ic h t v o n
1760 k c a l/K o p f/T a g in A sien b is z u 1985 k cal in L a te in a m e rik a . G e g e n ü b e r d e n
S tic h ja h re n 1969/71 m it 941 M illio n e n U n te r e r n ä h r te n g leich 36 %d e r B evölker
u n g h a t sic h d ie g lo b ale E rn ä h ru n g s s itu a tio n d e u tlic h v e rb e sse rt.
D ie rä u m lic h e n S c h w e rp u n k te d e r U n te r e r n ä h r u n g lie g e n in Süd- u n d O sta sie n
sow ie in A frika. A uf d ie b e v ö lk e ru n g s re ic h e n E n tw ic k lu n g s lä n d e r A sien s e n tfa l­
le n zw ei D ritte l d e r e tw a 800 M io. U n te r e r n ä h r te n d ie s e r E rd e, h ie r lie g t das
S c h w e rg e w ic h t d e s p e r m a n e n te n E r n ä h r u n g s p r o b le m s d e r u n te r e n so z ia le n
S c h ic h te n . Es b e trifft so w o h l d ie E n e rg ie z u fu h r w ie d ie q u a lita tiv e Z u s a m m e n ­
se tz u n g d e r N a h ru n g , e rre ic h t d o c h d e r A n te il a n tie ris c h e m E iw eiß in d e n asiatis
c h e n R e is lä n d e rn s e in e n T ie fp u n k t. D a b e i d a rf m a n d ie E n tw ic k lu n g d e r
E r n ä h ru n g s s itu a tio n in O sta sie n m it O p tim is m u s b e tra c h te n . Seit 1969/71 fiel d ie
Tab. 5.4:
Schätzung der chronischen Unterernährung 1988-90
Quelle: N. A lexandratos 1995, S. 50
kcal/Kopf/Tag
Bevölkerung
(Millionen)
Unterernährte
V. H. der
Bevölkerung
Millionen
Subsaharlsches Afrika 2100 473 37 175
Naher Osten, Nordafrika 3010 297 8 24
Ostasien 2600 1598 16 258
Südasien 2220 1103 24 265
Lateinamerika 2690 433 13 59
Summe 2470 3905 20 781

Ausblick 221
Z ah l d e r U n te r e r n ä h r te n so w o h l a b so lu t v o n 506 M io. a u f 258 M io. als a u c h re la tiv
v o n 44 %(!) a u f 16 %d e r G e sa m tb e v ö lk e ru n g . W e n ig e r g ü n s tig w a r d ie E n tw ic k ­
lu n g in S ü d a sie n . Z w a r ist a u c h h ie r d e r A n teil d e r U n te r e r n ä h r te n v o n 34 % a u f
24 %g e su n k e n , w e g e n d es s ta rk e n B e v ö lk e ru n g sw a c h stu m s stie g a b e r ih re a b so lu ­
te Z a h l v o n 245 a u f 265 M illio n e n a n . H ie r ist d e r b e a c h tlic h e Z u w a c h s d e r
A g ra rp ro d u k tio n v o m B e v ö lk e ru n g sw a c h stu m w e itg e h e n d k o n te rk a rie rt w o rd e n .
F ü r In d ie n sch ä tz t D. B r o n g e r (1996, S. 297 - 298), d a ß v o n d e n h e u te m e h r als
900 M io. E in w o h n e rn 400 - 500 M io., also d ie H älfte, s tä n d ig a m R a n d e d es Exis
te n z m in im u m s le b e n . Sie k ö n n e n sic h in d e r R egel a lle n fa lls zw ei M a h lz e ite n a m
T ag leiste n . A ber a u c h B r o n g e r k o n s ta tie rt, d a ß sic h d ie L e b e n sv e rh ä ltn isse fü r
d ie M e h rh e it d e r A g ra rb e v ö lk e ru n g seit d e r U n a b h ä n g ig k e it v e rb e s s e rt h a t.
D ie E rn ä h ru n g s s itu a tio n d es s u b s a h a ris c h e n A frikas ist v o n g ru n d s ä tz lic h a n ­
d e re r A rt. H ie r tr e te n n o c h alle d re i F o rm e n des H u n g e rs auf: e p iso d isc h e H u n ­
g e rsn ö te , sa iso n a le N a h ru n g s v e rk n a p p u n g g eg e n E n d e d e r T ro c k e n z e it u n d d ie
c h ro n is c h e U n te r e r n ä h r u n g d e r u n te r e n so z ia le n S c h ic h te n . W e n n d ie n a tu r ­
b e d in g t h o h e V a ria b ilitä t d e r N ie d e rsc h lä g e m it p o litis c h e n K o n flik te n (B ü rg e r­
k rie g e , R e v o lu tio n e n , M a s s e n v e rtre ib u n g e n e th n is c h e r M in d e rh e ite n ) z u s a m ­
m e n trifft, k ö n n e n im m e r n o c h k la ssisc h e H u n g e rs n ö te e n ts te h e n . A m b e d rü k -
k e n d s te n ist die ra sc h e Z u n a h m e d e r U n te r e r n ä h r te n v o n 94 M illio n e n (1969/71)
a u f 175 M illio n e n (1988/90), w ä h r e n d sic h ih r re la tiv e r A n te il n u r u n w e s e n tlic h
v o n 35 % a u f 37 % e rh ö h t h a t. Ü b e r e in D ritte l d e r B e v ö lk e ru n g S c h w a rz a frik as gilt
als u n te r e r n ä h r t.
W ie d e r e in a n d e re s B ild b ie te t L a te in a m e rik a , w o e in e e x tre m d is p a ritä re
S o z ia ls tru k tu r fü r d ie U n te r e r n ä h r u n g v e ra n tw o rtlic h ist. D ab ei sin d d ie ä rm s te n
u n d a m sc h le c h te ste n e r n ä h r te n S c h ic h te n oft m it e th n is c h e n G ru p p e n (In d io s,
F arb ig e) id e n tisc h . D ie Z a h l d e r U n te r e r n ä h r te n ist h ie r w e it g e rin g e r als in A sien
u n d A frika.
5.5 Ausblick
D ie FAO e rs te llt in g rö ß e re n Z e ita b s tä n d e n Z u k u n fts p ro g n o s e n ü b e r d ie v o ra u s ­
sic h tlic h e E n tw ic k lu n g v o n A g ra rp ro d u k tio n u n d E rn ä h ru n g s s itu a tio n . N ach d e r
S tu d ie „ L a n d w irtsc h a ft 2000“ a u s d e m Ja h re 1981, le tz tm a ls re v id ie rt 1987, w u rd e
1995 d ie m e h rfa c h e rw ä h n te P ro je k tio n „W orld A g ric u ltu re to w a rd s 2010“ (H rsg.;
N. A l e x a n d r a t o s ) v o rg e ste llt. Sie z e ic h n e t in d e r F o rts c h re ib u n g d e r T re n d s seit
d e n sech z ig e r J a h re n e in re la tiv o p tim istisc h e s B ild fü r d ie m itte lfris tig e E n tw ic k ­
lu n g d e r E r n ä h ru n g s s itu a tio n d e r M e n sc h h e it.
Z w a r w e r d e n d ie Z u w a c h s ra te n d e r W e lta g ra rp ro d u k tio n w e ite r a b sin k e n . Sie
s in d b e re its v o n jä h rlic h 3 % in d e n se c h z ig e r J a h re n a u f 2,3 %in d e n sie b z ig e r u n d
2 /0 in d e n a c h tz ig e r J a h re n g e fallen . F ü r d ie Z eit u m 2010 e rw a rte t d ie FAO n u r
n o c h e in jä h rlic h e s W a c h s tu m v o n 1,8 %(N. A l e x a n d r a t o s 1995, S. 79). F ü r d ie se n
A bfall d e r Z u w a c h s ra te n s in d z a h lre ic h e F a k to re n v e ra n tw o rtlic h : ö k o lo g isch e
H e m m n isse , A u fz e h ru n g d e r le tz te n L a n d re se rv e n , d as G esetz d es a b n e h m e n d e n
E rtra g sz u w a c h ses, v o r a lle m a b e r d ie la n g s a m e r w a c h s e n d e N a ch frag e n a c h N a h ­
ru n g s m itte ln . D ie s in k e n d e n Z u w a c h s ra te n d e r N ach fra g e re s u ltie re n e in m a l au s

222 Die Welternährungssituation
d e m A b sin k e n d e r R ate d es G e b u rte n ü b e rs c h u s s e s v o n h e u te 1,7 %p. a. a u f 1,3 %
im Ja h re 2010. Z u m a n d e re n n ä h e r t sic h e in im m e r g rö ß e re r T eil d e r W eltb e­
v ö lk e ru n g d e r S ä ttig u n g sg re n z e , d ie m it e tw a 3 000 k c a l/K o p f/T a g a n g e n o m m e n
w ird , ln d e n I n d u s trie lä n d e rn , d ie m it 24 % d e r W e ltb e v ö lk e ru n g 49 % d e r W elta
g ra rp ro d u k tio n k o n s u m ie re n (N. A l e x a n d r a t o s 1995, S. 79), ist d ie s e r W e rt seit
la n g e m e rre ic h t. F o lg lich b e s te h e n h ie r n u r n o c h g e rin g e S p ie lrä u m e f ü r P ro ­
d u k tio n sz u w ä c h se . F ü r d ie E n tw ic k lu n g s lä n d e r p ro g n o s tiz ie rt d ie FAO d e n gleic
h e n T re n d , w e n n a u c h m it g ro ß e n A u s n a h m e n . Z w a r ist h ie r d ie u n g e d e c k te
N ach frag e n a c h N a h ru n g s m itte ln n o c h s e h r g ro ß , d o c h lä ß t sich d ie e rfo rd e rlic h e
K a u fk ra ft zu ih r e r B e frie d ig u n g au s b e k a n n te n G rü n d e n n u r la n g sa m ste ig e rn .
ксаІ/КорІЯад
Unterernährte
V. H. der
Bevölkerung
Millionen
Subsaharlsches Afrika 2170 32 296
Naher Osten, Nordafrika 3120 6 29
Ostasien 3040 4 77
Südasien 2450 12 195
Lateinamerika 2950 6 40
93 untersuchte 2730 11 637
Entwicklungsländer
Tab. 5.5:
Prognose der chronischen
Unterernährung
für das Jahr 2010
(Quelle: N. A lexandratos
1995, S. 84)
T abelle 5.5 g ib t d ie P ro g n o se d e r E rn ä h ru n g s s itu a tio n fü r d a s Ja h r 2010 d u rc h d ie
FAO w ie d e r. D e m n a c h w ird d ie N ä h rsto ffv e rso rg u n g p ro K opf sic h g e n e re ll w e i­
te r v e rb e sse rn , a b e r d ie sc h o n in d e n le tz te n 20 J a h re n z u b e o b a c h te n d e A u se in a n ­
d e re n tw ic k lu n g d e r G ro ß rä u m e d e r sog. D ritte n W elt w ird n o c h z u n e h m e n (vgl.
T ab elle 5.2). D ie g ü n s tig ste P ro g n o se w ird w ie d e r fü r O sta sie n e rste llt. D ie d a n n
2 M illia rd e n O sta sia te n k ö n n e n im Ja h re 2010 tä g lic h m e h r als 3 000 kcal v e rz e h ­
re n . Die R egion w ird d a n n d e n E rn ä h ru n g s s ta n d a rd , d e n h e u te sc h o n d e r N ah e
O ste n h a t, e rre ic h e n , d ic h t gefo lg t v o n L a te in a m e rik a , ln a lle n d re i G ro ß rä u m e n ,
w e n n a u c h n ic h t in a lle n L ä n d e rn , soll d e r P ro z e n tsa tz d e r U n te r e r n ä h r te n a u f
e in e n W ert v o n 4 - 12 % d e r G e s a m tb e v ö lk e ru n g fallen .
A uch S ü d a sie n w ird F o rts c h ritte m a c h e n ; d a a b e r d as A u sg a n g sn iv e a u n o c h
s e h r n ie d rig ist, w ird d e r d u rc h s c h n ittlic h e K a lo rie n v e rb ra u c h a u c h im Ja h re
2010 m it g e sc h ä tz te n 2 450 kcal n o c h re c h t n ie d rig lie g e n . D er P ro z e n tsa tz d e r
U n te re rn ä h rte n k ö n n te sic h v o n je tz t 24 % a u f 12 %h a lb ie re n , ih re a b so lu te Z ahl
w ird a b e r m it 195 M illio n e n n o c h e rs c h re c k e n d h o c h sein.
D ie E rn ä h ru n g s s itu a tio n d es s u b s a h a ris c h e n A frik a w ird v o n d e r FAO a u c h fü r
das Ja h r 2010 s e h r d ü s te r e in g e sc h ä tz t. W ie sc h o n h e u te w ird a u c h z u d ie se m
Z e itp u n k t e in D ritte l d e r B e v ö lk e ru n g a n U n te r e r n ä h r u n g le id e n . M it 300 M illion
e n U n te re rn ä h rte n w ird A frik a d ie R olle A sien s als S c h w e rp u n k t d e r c h ro n i­
sc h e n U n te r e r n ä h r u n g ü b e r n e h m e n . D ie E n tw ic k lu n g k ö n n te a lle rd in g s p o s itiv e r
v e rla u fe n , w e n n d as tro p is c h e A frika d ie se it J a h rz e h n te n a n h a lte n d e w irts c h a ftlic
h e S ta g n a tio n ü b e r w in d e n w ü rd e . D as P o te n tia l f ü r e in ra sc h e S te ig e ru n g d e r
A g ra rp ro d u k tio n w ä re v o rh a n d e n .

г
Ausblick 223
F ü r d ie g e sa m te D ritte W elt e rw a rte t d ie FAO fü r das Ja h r 2010 n o c h e in e n P ro ­
z e n tsa tz v o n 11 % U n te re rn ä h rte r. D as ist z w a r e in e d e u tlic h e V e rb e s s e ru n g g e g e n ­
ü b e r 1988 - 90 m it 20 %u n d b e s o n d e rs g e g e n ü b e r 1969 - 70 m it 36 %. In a b s o lu te n
Z a h le n g e re c h n e t w ä re n d as fre ilic h im m e r n o c h m e h r als 600 M illio n e n M e n ­
sc h e n , d ie n ic h t g e n ü g e n d z u e sse n h a b e n . D as E rn ä h ru n g s p ro b le m d ü rfte also in
v ie le n E n tw ic k lu n g s lä n d e rn d a s Ja h r 2010 ü b e rd a u e rn .
Übersicht 5.1 :
Perspektiven zur Ernährungssituation
(Quelle: W. Manshard 1983, S.12, verändert)
Fachliche Ausrichtung
des Beobachters
Gesundheitsdienst
Landwirtschaft
Bildungswesen
Diagnose der Gründe
für Unterernährung
Krankheiten,
Umweltbeanspruchung,
Fehlernährung
unzureichende
Nahrungsproduktion
Unwissen,
Emährungsgewohnheiten
Lösungsvorschläge
Impfung, Umweltsanierung
erhöhte Nahrungsproduktion,
verbesserte Nahrungstechnologie
und Nahrungskonservierung,
verstärkte Agrarforschung
Ausbau des Bildungswesens,
Ernährungserziehung,
Massenkommunikation
Demographie hohes Bevölkerungswachstum Familienplanung, Umsiedlungen
Neoklass. Position der ungleiche Nahrungsverteilung Steuerpolitik, Agrarpreispolitik,
Nationalökonomie Landreform, Arbeitsbeschaffung, Ausbau der Distributionssysteme
Marxistische Position Kapitalismus, Imperialismus Revolution
Im Ja h re 2010 w ird d ie W e ltb e v ö lk e ru n g m it S ic h e rh e it 7 M rd. M e n sc h e n z ä h le n .
Ih re a u s re ic h e n d e E r n ä h r u n g ste llt d ie M e n sc h h e it v o r A u fg a b e n , d ie in d e r G e­
sc h ic h te k a u m P a ra lle le n b e sitz e n (W. M anshard 1983, S. 11). A us te c h n is c h e r
S ich t s c h e in t das W e lte rn ä h ru n g s p ro b le m f ü r d ie n ä c h s te n J a h rz e h n te lö s b a r zu
sein . N e b e n d e n te c h n is c h e n F ra g e n d e r P ro d u k tio n s s te ig e ru n g h a t d as P ro b le m
a b e r k o m p le x e so z io ö k o n o m isc h e D im e n s io n e n (s. Ü b e rsic h t 5.1), w e lc h e v e r­
stä rk te A n s tre n g u n g e n d e r E n tw ic k lu n g s lä n d e r se lb st e rfo rd e rn . Die oft p ro p a ­
g ie rte N a h ru n g s m itte lh ilfe v o n a u ß e n k a n n h ie r n u r h in d e rlic h se in - v o n K atas
tro p h e n s itu a tio n e n a b g e se h e n . A lle M a ß n a h m e n e rfo rd e rn e in e n h o h e n E in sa tz
a n m e n s c h lic h e r In te llig e n z , a n E n e rg ie u n d K apital. D ie Z e ite n d e r re la tiv b illig
e n P ro d u k tio n s s te ig e ru n g e n d u r c h A u sw e itu n g d e r A n b a u flä c h e n s in d w e itg
e h e n d a b g e sc h lo sse n , m u ß te d o c h im Z e itra u m 1900 - 1965 in d e n E n tw ic k ­
lu n g s lä n d e rn d ie H älfte d e r W a ld flä c h e d e r L a n d w irtsc h a ft w e ic h e n (WELTBANK
1982, S. 63). U n d P ro d u k tio n s s te ig e ru n g e n d u rc h E rh ö h u n g d e r F lä c h e n e rträ g e
u n te rlie g e n d e m G esetz d es a b n e h m e n d e n E rtra g sz u w a c h ses. Im V e rg leich zu
d e n g lo b a le n R ü s tu n g s a u s g a b e n sin d d ie A u fw e n d u n g e n je d o c h b e sc h e id e n . E in
S ilb e rstre if a m H o riz o n t d es 21. J a h rh u n d e rts s in d d ie s in k e n d e n G e b u rte n z iffe rn
in v ie le n E n tw ic k lu n g s lä n d e rn - M a lth u s’ V isio n ist k e in u n a b ä n d e rlic h e s N a tu r­
gesetz!

224 Literatur
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г
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Staatsexam ensarbeit H annover.

240 Abbildungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
A b b ild u n g 1.1
D ie v ie r H a u p tp ro d u k tio n s k e tte n v o n N a h ru n g s m itte ln 10
A b b ild u n g 1.2
A n teil d e r la n d w irts c h a ftlic h e n E rw e rb s p e rs o n e n
a n d e r E rw e rb sb e v ö lk e ru n g 10
A b b ild u n g 2.1
E rtra g s s c h w a n k u n g e n b e i W in te rw e iz e n u n d K a rto ffe ln 21
A b b ild u n g 2.2
E rtra g s k u rv e n 41
A b b ild u n g 2.3
D ie R en te in A b h ä n g ig k e it v o n d e r M a rk te n tfe rn u n g 44
A b b ild u n g 2.4
D ie R e n te n lin ie fü r d re i P ro d u k tio n s ric h tu n g e n d e r R in d e rh a ltu n g 46
A b b ild u n g 2.5
D ie THÜNENschen K reise 47
A b b ild u n g 2.6
E n tw ic k lu n g d es P ro-K opf-V erbrauchs e in ig e r N a h ru n g s m itte l
in d e r B u n d e s re p u b lik D e u tsc h la n d 1950 - 1990 53
A b b ild u n g 2.7
E n tv ric k lu n g des G e tre id e - u n d F le isc h v e rb ra u c h s p ro K opf
m it d e r E n tw ic k lu n g des E in k o m m e n s 53
A b b ild u n g 2.8
Die rä u m lic h e D iffe re n z ie ru n g des N a h ru n g s m itte lk o n s u m s 57
A b b ild u n g 2.9
S c h e m a des P re isb ild u n g sv o rg a n g s 59
A b b ild u n g 2.10
D ie E n tw ic k lu n g d e r la n d w irts c h a ftlic h e n B e trieb e
in d e r B u n d e s re p u b lik D e u tsc h la n d n a c h G rö ß e n k la sse n 1949 - 90 63
A b b ild u n g 2.11
S o z ia lk a rtie ru n g d e r O rtste ils R ö m e rsh o fe n (U n te rfra n k e n ) 71
A b b ild u n g 2.12
P re isb e w e g u n g a u s g e w ä h lte r A g ra rp ro d u k te u n d P ro d u k tio n s fa k to re n
in d e r B u n d e s re p u b lik D e u tsc h la n d 1970/71 - 1992/93 86
A b b ild u n g 2.13
D ie d u rc h s c h n ittlic h e n E rz e u g e rp re is e 1977 - 1979 fü r R in d e r,
S c h w e in e u n d M ilch in 6 S ta a te n b e z o g e n a u f d ie P re ise N e u se e la n d s 91
A b b ild u n g 2.14
S c h e m a tisc h e P re is g e s ta ltu n g f ü r G e tre id e in d e r EG 91
A b b ild u n g 2.15
B e n a c h te ilig te G e b ie te in d e r B u n d e s re p u b lik D e u tsc h la n d 96
A b b ild u n g 3.1
D ie v e rs c h ie d e n e n A re a lg re n z e n e in e r K u ltu rp fla n z e 103

Abbildungsverzeichnis 241
A b b ild u n g 3.2
D ie a k tu e lle n N o rd g re n z e n des e u ro p ä is c h e n W e in b a u s
A b b ild u n g 3.3
D ie ö k o lo g isc h -a g ra rg e o g ra p h isc h e H ö h e n s tu fu n g
d e r H o c h a n d e n
A b b ild u n g 3.4
D ie V e rsc h ie b u n g d e r P o la rg re n z e n v o n G erste, R oggen u n d
W in te rw e iz e n in F in n la n d 1930 - 1969
A b b ild u n g 3.5
S c h e m a tisc h e D a rste llu n g v o n B e v ö lk e ru n g sw a c h stu m ,
N a h ru n g s s p ie lra u m u n d S ie d lu n g sg re n z e n
A b b ild u n g 4.1
Eduard Hahns W irtschaftsformen der Erde (1892)
A b b ild u n g 4.2
A g ra rre g io n e n d e r E rd e
A b b ild u n g 4.3
A g ra rsy ste m e n a c h In te n s itä t, V e rm a rk tu n g s q u o te
u n d P ro d u k tio n s ric h tu n g
A b b ild u n g 4.4
D ie v e rs c h ie d e n e n F o rm e n des N o m a d ism u s
A b b ild u n g 4.5
D ie S o m m e rw a n d e ru n g d e r a lg e risc h e n S te p p e n n o m a d e n
A b b ild u n g 4.6
E n tw ic k lu n g s s tu fe n d e r e x te n siv e n W e id e w irtsc h a ft
A b b ild u n g 4.7
P la n d e r E sta n c ia C ó n d o r (P a ta g o n ie n )
A b b ild u n g 4.8
R ä u m lic h e s O rg a n is a tio n s m u s te r e in G ro ß k o lc h o se
A b b ild u n g 4.9
M ilc h fa rm re g io n a u f d e r N o rd in se l N e u se e la n d s
A b b ild u n g 4.10
P ro d u k tio n s v e rb u n d in e in e m v e rtik a l in te g rie rte n U n te rn e h m e n
d e r G e flü g e lfle isc h -E rz e u g u n g
A b b ild u n g 4.11
L a n d w e c h se lw irtsch a ft u m d e n H of ein e s A sa n d e -B a u e rn (Z aire)
A b b ild u n g 4.12
W a n d e ru n g v o n S ie d lu n g u n d A n b a u p a rz e lle n im W a n d e rfe ld b a u
A b b ild u n g 4.13
E n tw ic k lu n g s te n d e n z e n tro p is c h e r A g ra rsy ste m e
A b b ild u n g 4.14
W a n d e rfe ld b a u u n d L a n d w e c h se lw irtsch a ft im tro p is c h e n A frika
A b b ild u n g 4.15
D ie H a u p tfo rm e n des R eisb au s n a c h d e r W a sse rz u fu h r
A b b ild u n g 4.16
B o d e n n u tz u n g in d e r O ase G abès (T u n e sie n )
104
109
111
112
118
120
121
130
131
138
140
141
152
154
162
163
167
168
173
182

242 Abbildungsverzeichnis
A b b ild u n g 4.17
A n b a u k a le n d e r d e r O ase G abès
A b b ild u n g 4.18
B o d e n n u tz u n g im K a k a o g ü rte l W e stn ig e ria s
A b b ild u n g 4.19
K a u tsc h u k p la n ta g e in W e s ts u m a tra
A b b ild u n g 4.20
A n teil d e r O b stb a u flä c h e im A lten L an d
A b b ild u n g 4.21
A n b a u g e fü g e e in e s O b sth o fe s im A lten L an d
183
188
196
202
205
A b b ild u n g 5.1
D ie E n tw ic k lu n g d e r E rn ä b ru n g s s itu a tio n in a u s g e w ä h lte n
I n d u s trie s ta a te n 1800 - 1980 210
A b b ild u n g 5.2
D ie E n tw ic k lu n g d e r E r n ä h ru n g s s itu a tio n in d e n G ro ß re g io n e n
d e r E rd e 1961 - 1992 218
A b b ild u n g 5.3
D as N a h ru n g s a n g e b o t je K opf u n d T ag 1992 219
A b b ild u n g 5.4
D ie V e rä n d e ru n g des N a h ru n g s a n g e b o ts je K opf u n d T ag 1970 - 1992 220
V o rd e re s V orsatz
lin k s: E rde: E r n ä h r u n g 1 : 120 000 000
rech ts: E rde: A g ra rsy ste m e 1 : 120 000 000
H in te re s V orsatz
lin k s: E u ro p a: L e istu n g sfä h ig k e it d e r L a n d w irtsc h a ft 1 : 30 000 000
rech ts: E rde: B o d e n d e g ra d ie ru n g 1 : 120 000 000
Q u e lle d e r V o rsa tz k a rte n : K lett-P erth es. A le x a n d e r P ro [S ch u latlas], G o th a u n d
S tu ttg a rt 1996

Tabellenverzeichnis 243
Tabellenverzeichnis
T ab elle 2.1
D er M in e ra ld ü n g e re in s a tz in d e n a lte n B u n d e s lä n d e rn
T ab elle 2.2
D er W a sse rb e d a rf v e rs c h ie d e n e r B e w ä s s e ru n g s k u ltu re n in Ä g y p ten
T ab elle 2.3
D as G esetz d e s a b n e h m e n d e n E rtra g sz u w a c h ses
T ab elle 2.4
E rz e u g e ra n te il a n d e n N a h ru n g s m itte lp re is e n
in d e r B u n d e s re p u b lik D e u tsc h la n d 1989/90
T ab elle 2.5
D ie W e ltm a rk tp re ise f ü r Z u c k e r, K affee u n d K akao im je w e ilig e n
D u rc h s c h n itt d e r Ja h re 1984 - 1993
T ab elle 2.6
E rw e rb s s tru k tu r d e r la n d w irts c h a ftlic h e n B etrieb e
in d e r a lte n B u n d e s re p u b lik D e u tsc h la n d 1970, 1981 u n d 1994
T ab elle 2.7
D ie B ru tto w e rts c h ö p fu n g je E rw e rb stä tig e n
in d e r B u n d e s re p u b lik D e u tsc h la n d
T ab elle 2.8
D er S e lb stv e rso rg u n g sg ra d d e r E u ro p ä is c h e n G e m e in sc h a ft
T ab elle 3.1
D er A n teil d e r la n d w irts c h a ftlic h e n N u tz flä c h e a n d e r L an d flä c h e
d e r E rd e 1993
T ab elle 3.2
D ie A u sw e itu n g d e r B e w ä sse ru n g sflä c h e a u f d e r E rd e 1973 b is 1993
T ab elle 3.3
D ie T ro c k e n g re n z e n v e rs c h ie d e n e r B o d e n n u tz u n g s a rte n
im ö s tlic h e n M a g h reb
T ab elle 3.4
V erg eich d e r H e k ta re rträ g e F in n la n d s m it d e n e n D ä n e m a rk s
(D u rc h sc h n itt 1992 - 1994)
T ab elle 4.1
D ie V e rte ilu n g des H a u s tie rb e s ta n d e s n a c h K o n tin e n te n
T ab elle 4.2
S c h la c h tg e w ic h t u n d M ilc h le istu n g in a u s g e w ä h lte n L ä n d e rn 1994
T ab elle 4.3
P o te n tie lle B e sto c k u n g sd ic h te m it S ch a fe n
f ü r d ie a lg e risc h e S te p p e
T ab elle 4.4
E n tw ic k lu n g des N o m a d e n tu m s im Ira k
T ab elle 4.5
D er A n te il d e s D a u e rg rü n la n d e s a n d e r LN 1993
30
34
40
50
59
74
87
89
101
102
106
107
124
125
128
132
144

244 TabeUenverzeichnis
T ab elle 4.6
A n teil des D a u e rg rü n la n d e s a n d e r LN
in d e r a lte n B u n d e s re p u b lik D e u tsc h la n d
T ab elle 4.7
D ie V e rw e n d u n g d e r V o llm ilch in d e r B u n d e s re p u b lik D e u tsc h la n d 1993
T abelle 4.8
D ie K u h m ilc h p ro d u k tio n d e r E rd e 1994
T abelle 4.9
D ie E rz e u g u n g v o n K u h m ilc h u n d M ilc h p ro d u k te n
in d e n E U -L ändern 1993
T ab elle 4.10
D ie F le is c h p ro d u k tio n d e r USA 1979 - 1994
T ab elle 4.11
D ie G e tre id e b a u s tru k tu r d e r E rd e 1994
T ab elle 4.12
D ie R e isb a u ty p e n A sien s 1973/75
T ab elle 4.13
D ie E n tw ic k lu n g d e r g lo b a le n R e isp ro d u k tio n 1948 - 1994
T ab elle 4.14
D ie W e ltp ro d u k tio n v o n K a k a o b o h n e n
T ab elle 4.15
D er N ä h rsto ffe n tz u g d u rc h tro p is c h e K u ltu re n
T ab elle 4.16
T ro p isc h e K u ltu re n m it A n b a u s c h w e rp u n k t in P la n ta g e n
T ab elle 4.17
G e tre id e re ic h e F ru c h tfo lg e n in N o rd d e u ts c h la n d
T ab elle 4.18
D as A n b a u s p e k tru m d e r R eg io n N ie d e re lb e 1981/82 u n d 1990/93
T ab elle 4.19
F a llb eisp iele v o n G e m is c h tb e trie b e n
T ab elle 5.1
N a h ru n g s b ila n z e n a u s g e w ä h lte r S ta a te n 1970 b is 1990
T ab elle 5.2
D ie E r n ä h ru n g s s itu a tio n in d e n G ro ß re g io n e n d e r E rd e 1961 - 1990
T ab elle 5.3
S te ig e ru n g s ra te n d e r A g ra rp ro d u k tio n p ro Ja h r
T ab elle 5.4
S c h ä tz u n g d e r c h ro n is c h e n U n te r e r n ä h r u n g 1988 - 1990
T ab elle 5.5
P ro g n o se d e r c h ro n is c h e n U n te r e r n ä h r u n g fü r d a s J a h r 2010
145
148
149
150
158
169
174
177
186
187
197
199
204
208
214
217
219
220
222

г
Übersichtenverzeichnis/Abkürzungen 245
Ubersichtenverzeichnis
il
Ü b e rsic h t 2.1
D as la n d - u n d fo rstw irtsc h a ftlic h e E rtrag s-p o ten tial
d e r n a tü rlic h e n B oden- u n d V e g e ta tio n sz o n e n d e r E rd e
Ü b e rsic h t 2.2
T y p e n d e r B o d e n d e g ra d a tio n
Ü b e rsic h t 2.3
D ie A n fo rd e ru n g e n des S o m m e rg e tre id e s a n d ie W itte ru n g in M itte le u ro p a
Ü b e rsic h t 2.4
F a k to re n k o m b in a tio n in d e r L a n d w irtsc h a ft in A b h ä n g ig k e it
v o m s o z io ö k o n o m isc h e n E n tw ic k lu n g s s ta n d
Ü b e rsic h t 2.5
D ie O h k a w a -G le ic h u n g z u r B e re c h n u n g d e r N a c h fra g e e n tw ic k lu n g
Ü b e rsic h t 2.6
B o d e n z e rs p litte ru n g im Ira n a u fg ru n d d es isla m isc h e n E rb re c h ts
Ü b e rsic h t 2.7
D ie so ziale O rg a n isa tio n d e r A it O u rria g h e l in N o rd m a ro k k o
Ü b e rsic h t 2.8
T e ilb e re ic h e u n d In s tr u m e n te d e r A g ra rp o litik
25
26
35
42
51
64
70
88
Ü b e rsic h t 4.1
B e trie b ssy ste m a tik f ü r d ie L a n d w irtsc h a ft d e r B u n d e s re p u b lik D e u tsc h la n d 114
Ü b e rsic h t 4.2
D ie L a n d w irtsc h a ftsk la ssifik a tio n d e r IG U -K om m ission 117
Ü b e rsic h t 4.3
B eisp iel e in e s v ie h lo se n M a rk tfru c h tb e trie b e s in O sth o lste in 200
Ü b e rsic h t 5.1
P e rsp e k tiv e n z u r E rn ä h ru n g s s itu a tio n 223
Abkürzungen imText
AK
GV
EG
IGU
EM Z
LE
EW G
LN
EU
StB
GE
VE
A rb e itsk ra ft
G ro ß v ie h e in h e it
E u ro p ä isc h e G e m e in sc h a ft
In te rn a tio n a l G e o g ra p h ic a l U n io n
E rtra g s m e ß z a h l
L a n d w irtsc h a ftlic h g e n u tz te F läch e
E u ro p ä isc h e W irtsc h a ftsg e m e in s c h a ft
L a n d w irtsc h a ftlic h e N u tz flä c h e
E u ro p ä isc h e U n io n
S ta n d a rd b e trie b s e in k o m m e n
G e tre id e e in h e it
V ie h e in h e it

246 Sachregister
Sachregister
A b u sa 81, 189
A c k e rb ü rg e r 73
A g ra rk o lo n isa tio n 98, 99, 111, 112
A g ra rla n d sc h a ft 13, 120,
A g ra rö k o n o m ie 17
A g ra rp ro te k tio n is m u s 84
A g ra rq u o te 11
A g ra rra u m 9, 12, 14, 17, 101 ff.
A g ra rre fo rm e n 77, 82, 93
A g ra rre g io n 120, 122
A g ra rso z ia lp o litik 9 4 ,9 5
A g ra rsy ste m 120, 121
A g rarsy stem e, a n g e p a ß te 28
A g ra rz o n e 120
A g ro b u ssin e s 197 ff.
A g ro fo rstw irtsc h a ft 165
A g ro -Ö k o sy stem e 29
A rb e itsp a c h t 80
A rb e its p ro d u k tiv itä t 46, 86
G e sin d e 82
G ro ß e ig e n tu m s la n d w irt 75
G r u n d r e n te 44
s G rü n e R e v o lu tio n 175 ff., 211
G rü n la n d , a b so lu te s 143
G rü n la n d , fa k u lta tiv e s 144
H a lb n o m a d is m u s 131
H o b b y la n d w irt 74, 105
H o fp a c h t 79
H ö h e n g re n z e n 106 ff.
I n n o v a tio n 16
In te n s itä ts b e g riff 46
K a p ita lp ro d u k tiv itä t 46
K h a m m e s s a t 81, 181
K ib b u z 77
KiNGsche R egel 59
K le in e ig e n tu m s la n d w irt 75
K u ltu rp fla n z e n 9
I >
b e h a v io ra l g e o g ra p h y 13, 15, 16, 67
B e w ä sse ru n g sflä c h e 102, 103
B o d e n d e g ra d a tio n 26
B o d e n fru c h tb a rk e it 38
B o d e n n u tz u n g 99
B o d e n v e rd ic h tu n g 20
D e se rtifik a tio n 27
D iffu sio n sp ro z e ß 16
D o rfe rn e u e ru n g 94
d ry -fa rm in g 37, 106
E jid o 77
E la stiz itä tsb e g riff 50, 58, 59, 195
ENGELsches G esetz 51
E n ts c h e id u n g s v e rh a lte n 67, 70
E r n ä h r u n g s s itte n 54
E rtra g sz u w a c h s 40
E v a p o tra n s p ira tio n 34
L a n d a rb e ite r 81, 82
L a n d b e w irtsc h a ftu n g , a lte rn a tiv e 32
L a n d s c h a fts h a u s h a lt 24, 27
M a rk tfru c h tb e trie b 198 ff.
M a rk tg a rte n b a u 165, 168
M a rk to r d n u n g 90
M etay ag e 81
M e z z a d ria 81
M in im a lk o s te n k o m b in a tio n 4 0 ,4 6 ,
47
M o n o k u ltu re n 24
N e b e n e rw e rb s b e trie b e 7 3 ,7 4
N itr a ta n r e ic h e r u n g 30
N u tz u n g s e ig e n tü m e r 79
P ä c h te r 79
P a rz e lle n p a c h t 80
P h ä n o lo g ie 33
P h o to s y n th e s e 19
-P o la rg re n z e 105 ff., 202
P ro d u k tio n s g e m e in s c h a fte n , la n d w ir t­
sc h a ftlic h e 77, 78

Sachregister
R e g e n e ra tio n s p o te n tia l 24
R e g io n a lp o litik 95
R o h s to ffa b k o m m e n 85
S e lb s tv e rso rg u n g sg ra d 89
S o z ia lb ra c h e 14
S p e z ia lb e trie b 115
S ta n d a rd b e trie b s e in k o m m e n
64
S ta n d a rd d e c k u n g s b e itra g 115
S tr u k tu r p o litik 93, 94
T a u n g y a -S y ste m 166
T e ilp a c h t 80
T e m p e r a tu r s u m m e 107
T rin k s itte n 55
T ro c k e n g re n z e 105 ff. ^ -f-
T ie rb e s tä n d e 123, 125
U ja m a a 77
U m w e ltp o litik 97
V a ria b ilitä t d es J a h re sn ie d e rsc h la g s
36
V e g e ta tio n sp e rio d e 33
V e rb u n d b e trie b 115
V e rm a rk tu n g s q u o te 49, 51
V o lle rw e rb sb e trie b 73, 74
W a c h stu m ssc h w e lle 62
W a sse rre c h t 180 ff.
W a sse rre sso u rc e n 28
W e tte rrisik o 35
W in te rfe u c h te 3 7
W irts c h a fts ra u m 13
W itte ru n g 34
Z u e rw e rb s b e trie b e 73, 74
Z w is c h e n fru c h ta n b a u 3 3

4 P
Perthes GeographieKolleg
Diese neue Studienbuchreihe behandelt wichtige geographische Grundlagenthemen. Die Bücher dieser
Reihe bestechen durch ihre Aktualität (Erscheinungsdaten ab 1994), ihre Kompetenz (ausschließlich von
Hochschuldozenten verfaßt) und ihre gute Lesbarkeit (zahlreiche Abbildungen, Karten und Tabellen).
Sie sind daher für Studenten und Lehrer aller geo- und ökowissenschaftlichen Disziplinen eine unverzichtbare
Informationsquelle für die Aus- und Weiterbildung.
Physische Geographie Deutschlands
Herbert Liedtke und Joachim Marcinek (Hrsg.)
2. Auflage 1995, 560 Seiten, 3-623-00840-0
Das Klima der Städte
Von Fritz Fezer
1. Auflage 1995, 199 Seiten, 3-623-00841-9
Das Wasser der Erde
Eine geographische Meeres- und Gewässerkunde
Von Joachim Marcinek und Erhard Rosenkranz
2. Auflage 1996, 328 Seiten, 3-623-00836-2
Naturressourcen der Erde und ihre Nutzung
Von Heiner Barsch und Klaus Bürger
2. Auflage 1996, 296 Seiten, 3-623-00838-9
Geographie der Erholung und des Tourismus
Von Bruno Benthien
1. Auflage 1997, 192 Seiten, 3-623-00845-
Wirtschaftsgeographie Deutschlands
Elmar Kulke (Hrsg.)
1. Auflage 1998, ca. 480 Seiten, 3-623-00837-0
Agrargeographie Deutschlands
Von Karl Eckart
1. Auflage 1998, ca. 440 Seiten, 3-623-00832-X
Allgemeine Agrargeographie
Von Adolf Arnold
1. Auflage 1997, 248 Seiten, 3-623-00846-X
Lehrhuch der Allgemeinen Physischen Geographie
Manfred Hendl und Herbert Liedtke (Hrsg.)
3. Auflage 1997, 867 Seiten, 3-623-00839-7

M aß stabl :120 000000
Bodendegradierung
Schädigung der nutzbaren Böden
G rad d e r B o d en schädig u n g
I I Gebiete ohne Bodendegradierung
I • • ] Gebiete mit geringer Bodendegradierung und bis zu 10% geschädigter Räche
Gebiete mit mittlerer bis sehr starker Bodendegradierung
Gebiete mit über 25% geschädigter Räche
U rs a c h e n d e r m ittle re n und sta rk e n B oden schädig u n g
Erosion des Windes, z.B. Bodenausblasung
I . ] I Erosion des Wassers, z. B. Bodenausspülung
I I chemische Prozesse, z. B. Bodenversauerung, Versalzung
physikalische Prozesse, z.B. Bodenverdichtung, Vergleyung
A n te il d e r g e s c h ä d ig te n Fläche
gesamte geschädigte
übrige landfläche

Agrargeographische Themen beschäftigen immer wieder die
Öffentlichkeit und sind nach wie vor Gegenstand von Lehre und
Forschung. Kein Wunder: Die prekäre Welternährungssituation ist
ein Hauptproblem der Menschheit - Überproduktion in einigen
Regionen steht der Mangel in der Dritten Welt gegenüber. Zudem ist
die landwirtschaftliche Produktion heute oft auch mit ökologischen
Problemen verbunden. Die räumliche Situation der Landwirtschaft
auf der Erde ist Ergebnis des vielfältigen Zusammenwirkens von
Faktoren aus Natur, Wirtschaft, Gesellschaft und mit ihr verbunj
dener Politik, ihr Zusammenspiel gliedert den Agrarraum der Erde.
I Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkten setzt der Autor
die Schwerpunkte seines Buches: In einem ersten Teil werden