die stücke der spielzeit 2011/2012 - Schauspiel Essen
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DIE GESELLSCHAFT<br />
DER GESELLSCHAFT<br />
Die Einheit des Systems einer Protestbewegung ergibt sich aus ihrer<br />
Form, eben dem Protest. Mit <strong>der</strong> Form des Protestes wird sichtbar gemacht,<br />
daß <strong>die</strong> Teilnehmer zwar politischen Einfluß suchen, aber nicht auf<br />
normalen Wegen. Dies Nichtbenutzen <strong>der</strong> normalen Einflußkanäle soll zugleich<br />
zeigen, daß es sich um ein dringliches und sehr tiefgreifendes, allgemeines<br />
Anliegen handelt, das nicht auf <strong>die</strong> übliche Weise prozessiert<br />
werden kann. Die Protestkommunikation erfolgt zwar in <strong>der</strong> Gesellschaft,<br />
sonst wäre sie keine Kommunikation, aber so, als ob es von außen wäre.<br />
Sie hält sich selbst für <strong>die</strong> (gute) Gesellschaft, was aber nicht dazu führt,<br />
daß sie gegen sich selber protestieren würde. Sie äußert sich aus Verantwortung<br />
für <strong>die</strong> Gesellschaft, aber gegen sie. Das gilt gewiß nicht für alle<br />
konkreten Ziele <strong>die</strong>ser Bewegungen; aber durch <strong>die</strong> Form des Protestes<br />
und <strong>die</strong> Bereitschaft, stärkere Mittel einzusetzen, wenn <strong>der</strong> Protest nicht<br />
gehört wird, unterscheiden <strong>die</strong>se Bewegungen sich von Bemühungen um<br />
Reformen. Ihre Energie und auch <strong>die</strong> Fähigkeit, Themen zu wechseln, sofern<br />
sie nur als Protest kommuniziert werden können, erklären sich, wenn<br />
man dem Rechnung trägt, daß hier ein Oszillieren zwischen Innen und<br />
Außen eine Form gefunden hat.<br />
Außerdem kommt auf <strong>die</strong>se Weise eine spezifische Form gesellschaftlicher<br />
Differenzierung zum Ausdruck, nämlich <strong>die</strong> Differenzierung von Zentrum<br />
und Peripherie. Die Peripherie protestiert – aber nicht gegen sich selbst.<br />
Das Zentrum soll sie hören und dem Protest Rechnung tragen. Da es aber<br />
in <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Gesellschaft kein gesamtgesellschaftliches Zentrum mehr<br />
gibt, findet man Protestbewegungen nur in Funktionssystemen, <strong>die</strong> Zentren<br />
ausbilden; vor allem im politischen System. Gäbe es <strong>die</strong>se Zentrum/Peripherie-Differenz<br />
nicht, verlöre auch <strong>der</strong> Protest als Form seinen Sinn, denn<br />
es gäbe dann keine soziale (son<strong>der</strong>n nur noch eine sachliche o<strong>der</strong> zeitliche)<br />
Grenze zwischen Desi<strong>der</strong>at und Erfüllung.<br />
Mit <strong>der</strong> Form des Protestes fällt eine deutliche Entscheidung gegen ein<br />
kognitives und für ein reaktives Vorgehen. Man verwendet anerkannte,<br />
resonanzfähige „scripts“ (etwa: Erhaltung des Friedens), spitzt sie aber auf<br />
bestimmte Problemlösungen zu (hier: gegen Rüstung), <strong>die</strong> nicht mehr ohne<br />
weiteres konsensfähig sind. Man begnügt sich mit einer stark schematisierten<br />
Darstellung des Problems, oft verbunden mit einer Aufmachung als<br />
„Skandal“, und stellt <strong>die</strong> eigene Initiative als Reaktion auf unerträgliche<br />
Zustände dar. Und auch von den Adressaten wird Reaktion verlangt – und<br />
nicht weiteres Bemühen um Erkenntnis. Denn während Bemühungen um<br />
mehr Information und gut abgesicherte Zukunftsplanung sich verzetteln<br />
und in eine Zukunft ohne Ende ausweichen würden, verspricht reaktives<br />
Vorgehen schnell erreichbare Wirkungen. (Daß <strong>die</strong>s keine Spezialität <strong>der</strong><br />
Protestbewegungen ist, zeigt ein Blick auf <strong>die</strong> Planungen in <strong>der</strong> Wirtschaft,<br />
von <strong>der</strong> monetären Politik <strong>der</strong> Zentralbanken bis zu den Produktions- und<br />
Organisationsplanungen <strong>der</strong> Firmen. Auch hier scheint Zeitdruck einen<br />
Übergang von eher kognitiven zu eher reaktiven Strategien zu erzwingen.)<br />
In <strong>der</strong> Form des Protestes wird mitkommuniziert, daß es Interessierte<br />
und Betroffene gibt, von denen man Unterstützung erwarten kann. Wie<br />
oft gesagt, <strong>die</strong>nen Protestbewegungen daher auch <strong>der</strong> Mobilisierung von<br />
Ressourcen und <strong>der</strong> Fixierung neuer Bindungen. Erst wenn eine solche<br />
Mobilisierung auf Ziele hin zustandekommt, kann man von einem sich<br />
selbst reproduzierenden autopoietischen System sprechen. In erheblichem<br />
Umfange kommt es daher auch zu Protestaktionen (etwa <strong>der</strong> Organisation<br />
Greenpeace), <strong>die</strong> nicht zur Bildung sozialer Bewegungen führen, aber ein<br />
Protestklima reproduzieren.<br />
Die Form „Protest“ leistet für Protestbewegungen das, was Funktionssysteme<br />
durch ihren Code erreichen. Auch <strong>die</strong>se Form hat zwei Seiten: <strong>die</strong><br />
Protestierenden auf <strong>der</strong> einen Seite und das, wogegen protestiert wird